Entrepreneur 2015 - Experiment

Die globale EY-Organisation im Überblick
Die globale EY-Organisation ist einer der Marktführer in der Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung, Transaktionsberatung und Managementberatung.
Mit unserer Erfahrung, unserem Wissen und unseren Leistungen stärken wir
weltweit das Vertrauen in die Wirtschaft und die Finanzmärkte. Dafür sind wir
bestens gerüstet: mit hervorragend ausgebildeten Mitarbeitern, starken Teams,
exzellenten Leistungen und einem sprichwörtlichen Kundenservice. Unser
Ziel ist es, Dinge voranzubringen und entscheidend besser zu machen – für
unsere Mitarbeiter, unsere Mandanten und die Gesellschaft, in der wir leben.
Dafür steht unser weltweiter Anspruch „Building a better working world“.
Die globale EY-Organisation besteht aus den Mitgliedsunternehmen von
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und Unterlassen der jeweils anderen Mitgliedsunternehmen. Ernst & Young
Global Limited ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach englischem
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finden Sie unter www.ey.com.
Magazin No. 02 /2015 Entrepreneur by EY
EY | Assurance | Tax | Transactions | Advisory
02/2015
Experiment — Ein Aufbruch ins Ungewisse / Entdecken
statt Pauken / Von Sachzwängen und Geniestreichen /
Improvisation und Rhythmus / Alle Sinne auf Empfang
by EY
In Deutschland ist EY an 22 Standorten präsent. „EY“ und „wir“ beziehen
sich in dieser Publikation auf alle deutschen Mitgliedsunternehmen von
Ernst & Young Global Limited.
Experiment
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Mitgliedsunternehmen der globalen EY-Organisation wird ausgeschlossen. Bei jedem spezifischen Anliegen
sollte ein geeigneter Berater zurate gezogen werden.
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„Wir setzen
nicht auf Versuch
und Irrtum,
sondern wollen
die Zusammenhänge
verstehen.“
Uwe Ahrendt, CEO und geschäftsführender
Gesellschafter, NOMOS-Uhrenmanufaktur,
Glashütte
Magazin für unternehmerische Exzellenz
3
Perfektes Herz – mit der Entwicklung einer
eigenen Reglage brach die sächsische Uhrenmanufaktur NOMOS ein Schweizer Monopol
und belebt damit ein Handwerk neu, das in
Deutschland schon fast als ausgestorben galt:
den Bau feiner mechanischer Uhren.
Editorial
Der deutsche Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker
nannte das Experiment einmal ein „Verhör“ der Natur – und
meinte damit den Ansatz, mit Hilfe von Versuchen naturwissenschaftliche Phänomene zu verstehen und zu erklären. Ob ein
Experiment nun eine streng wissenschaftliche Untersuchung ist
oder eher spielerisch aus Versuch und Irrtum besteht – immer
stellt es eine Frage an die Welt und sucht neue Antworten darauf.
Und es setzt voraus, dass Menschen alte Gewissheiten aufgeben, neugierig sind, sich auf unbekanntes Terrain vorwagen. Seit
jeher machen wir dabei die Erfahrung, dass die Erkundung von
Neuem mit Gefahren verbunden sein kann, aber auch ungeahnte
Chancen eröffnet.
Was aber treibt die einen dazu, Neues auszuprobieren und vielleicht zu scheitern, während andere der Maxime „Bloß keine
Experimente“ folgen? Psychologisch gibt es einen engen Zusammenhang zwischen dem explorativen Verhalten einer Persönlichkeit und ihrer Fähigkeit zur Problemlösung. Experimentierfreudige Menschen suchen demnach gezielt unbekannte Felder
auf und versuchen, sich dort erfolgreich zu behaupten. Jede so
gewonnene Erfahrung erweitert die eigene kognitive Landkarte, sichert das Gefühl der Kontrollierbarkeit. Und das spornt zu
neuen Experimenten an.
Ohne den Einfallsreichtum und die Inspiration experimentierfreudiger Persönlichkeiten sind Fortschritt und Innovation
nicht denkbar. Aber sie brauchen dafür auch ein Umfeld, das
das Unmögliche für möglich hält, Improvisation fördert und
Neues entstehen lässt. Vor allem in Zeiten der Digitalisierung
scheint dies wichtiger denn je. Berlin etwa ist so ein Ort. In
dieser Ausgabe des ENTREPRENEUR beschreiben wir, wie die
Hauptstadt zum fruchtbaren Ökosystem für Unternehmensgründungen wurde. Neu in der deutschen Unternehmenslandschaft ist der Typus des Serial Entrepreneur. Dazu gehört etwa
Verena Pausder, die in ihrer Mindmap ihre unternehmerische
Motivation darlegt. Jüngstes Resultat ihrer Experimentierfreude:
eine höchst erfolgreiche App für kleine Kinder.
Doch auch Mangel und Sachzwänge können den Erfindergeist
zu Höhenflügen anspornen. Das junge Team der kenianischen
Gruppe Ushaihidi etwa, die einfache und billige Lösungen für
Internetzugänge im ländlichen Afrika sucht, oder den indischen
Ingenieur Arvind Gupta, der mit Wissenschaftsspielzeug aus
Müll seit Jahrzehnten den Ärmsten den Erwerb von Wissen und
Bildung ermöglicht.
Selbst auf traditionsreichen Feldern bringen Experimente mutiger Unternehmer Fortschritt, Wissensgewinn und wirtschaftlichen Erfolg. Das zeigen die Beispiele von Andrea Illy, der sich
nichts weniger vorgenommen hat als den perfekten Espresso,
von Uwe Ahrendt, dessen NOMOS-Uhrenmanufaktur eine in
Deutschland schon fast tot geglaubte Handwerkskunst neu belebt und geschickt mit Hightech kombiniert, und des Sudanesen
Ihab Daoud Abdellatif, dessen Agroindustriegruppe die Versorgung seines Heimatlandes durch innovative Ideen, durchaus im
Rückgriff auf Traditionen, erheblich verbessert hat.
Diese Kunst, einfach mal etwas auszuprobieren und neu anzufangen, wenn es schiefgeht, kann man die eigentlich lernen?
Ja, meint der britische Schauspieler Keith Johnstone, einer der
Pioniere des Improvisationstheaters. Allein positives Denken
könne ungeahnte Talente freisetzen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine
interessante Lektüre.
Georg Graf Waldersee
Vorsitzender der Geschäftsführung
EY Deutschland
02/2015 Entrepreneur
4
5
In dieser
Ausgabe
Entrepreneur 02/2015
Amir Roughani
Michael Reinboth /Jan Beckers
Ihab Daoud Abdellatif
Gesche Joost
Uri Alon
—
—
—
—
—
Deutschland? Das war für Amir
Roughani ein Land, in dem
es Spielzeug und Süßigkeiten
gab, die er aus seiner Heimat
nicht kannte. Und ein Land ohne Bombenangriffe. Er war
elf Jahre alt, als seine Eltern ihm
umgerechnet 100 Euro zusteckten und ihn in Teheran in
ein Flugzeug nach Deutschland setzten, weil sie ihn vor den
Gefahren des Krieges gegen
den Irak in Sicherheit bringen
wollten. „Mach was draus,
Amir!“, gaben sie ihm mit auf
den Weg. Das einstige Flüchtlingskind ist heute ein erfolgreicher Unternehmer. Warum
das kontrollierte Wagnis eine
unternehmerische Tugend
ist, erklärt der Gründer und Inhaber des Technologiekonzerns Vispiron ab Seite 14.
„Grönemeyer ist ganz gut“, meint
Michael Reinboth. Eine Aussage über den Musikunternehmer
Grönemeyer, nicht über den
Musiker. Mit seinem Label Compost Records hat Reinboth in
den letzten 20 Jahren sämtliche
Höhen und Tiefen des Musikbusiness durchlebt. Gegenwärtig feiern analoge Medien wie
die Vinyl-LP eine Renaissance.
Bei HitFox dagegen, dem von
Jan Beckers geführten Start-upInkubator, sind Digital- und
Datenkompetenz erstes Gebot.
„Wir sind eine Serienfertigung
für Unternehmen“, sagt Beckers,
während Reinboth bei dem
Gedanken an „Reißbrettmusik“
das Grausen kommt. Den inspirierenden Gedankenaustausch lesen Sie ab Seite 24.
Als gebürtiger Sudanese weiß
Ihab Daoud Abdellatif, wie
wichtig der Aufbau einer eigenen Nahrungsmittelbasis in
einem Land ist, das regelmäßig
von Hungersnöten heimgesucht wird. Mit viel Geschick
und Augenmaß hat der Chef
des Landwirtschafts- und Nahrungsgüterunternehmens DAL
Food aus bescheidenen Anfängen ein modernes agroindustrielles Unternehmen geschmiedet. Abdellatif verbindet die
Suche nach neuen Geschäftsfeldern mit gelebter Corporate
Social Responsibility. Besonders
wichtig ist ihm ein partnerschaftliches Verhältnis zu seinen Lieferanten. Seite 34.
„Man muss leichtfüßiger werden und mehr wagen.“ Gesche
Joost, Designforscherin und
Internetbeauftragte der Bundesregierung, sieht die Gefahr einer digitalen Spaltung der Wirtschaft: auf der einen Seite der
Siegeszug der Industrie 4.0 vor
allem im Anlagen- und Maschinenbau sowie in der Autoindustrie, auf der anderen eine tief
verwurzelte Digitalisierungsskepsis in weiten Bereichen des
Mittelstands. Warum Unternehmen stärker mit Experimentier-Labs kooperieren sollten
und warum sich die Konkurrenten aus Asien und den USA
über die typisch deutsche Art
des Bedenkentragens freuen,
erläutert Joost im Dialog mit
Hubert Barth, Mitglied der Geschäftsführung bei EY, ab
Seite 42.
„Ich fühlte mich wie ein Pilot,
der sein Flugzeug ohne Orientierung durch dichten Nebel
steuert“ – so erinnert sich der
israelische Systembiologe Uri
Alon an seine erste Bekanntschaft mit jenem seltsamen
Ort, der ihm im Laufe seiner
Karriere immer vertrauter werden sollte: Während seiner Promotion hatte er sich hoffnungslos im Gestrüpp seiner Experimente verheddert. Diesen Verlust an Orientierung hat Alon
immer wieder beobachtet –
nicht nur in den Naturwissenschaften, sondern auch bei
Politikern, Managern und Künstlern. „Eigentlich überall, wo
Menschen auf der Suche nach
innovativen Lösungen sind,
sie aber mit ihrem Erfahrungswissen nicht weiterkommen.“
Den Weg durch die Pforte zur
Erkenntnis weist Alon ab
Seite 53.
02/2015 Entrepreneur
7
Thema
Experiment
02/2015
Experiment — Ein Aufbruch ins Ungewisse / Entdecken
statt Pauken / Von Sachzwängen und Geniestreichen /
Improvisation und Rhythmus / Alle Sinne auf Empfang
by EY
Die Arbeiten des in Düsseldorf lebenden
Fotografen Martin Klimas bewegen sich
zwischen klassischen kunsthistorischen
Genres und dem physikalischen Experiment. In seinem Studio kreiert er komplexe
Versuchsaufbauten, die die Voraussetzung für seine finalen Bildresultate bilden.
Der Begriff der „Belichtungszeit“ benennt
die beiden Pole der Fotografie, Licht und
Zeit, und genau diese bilden das Kernthema in Martin Klimas’ Werk. Er interpretiert
die Gattung Stillleben grundlegend neu,
indem er auf Blumenvasen schießt und exakt
den Moment der Zerstörung im 7 000stelBruchteil einer Sekunde festhält.
Mit Musik, oder präziser: deren Schallwellen,
erschafft er fotografische Skulpturen von
abstrakter Schönheit und Komplexität. Auch
seine aktuelle Serie der „Polarizations“
übersetzt physikalische Phänomene in höchst
ästhetische Artefakte und zitiert dabei in
ihrer Bildsprache den Konstruktivismus des
frühen 20. Jahrhunderts.
Magazin für unternehmerische Exzellenz
34 Der Macher. Der sudanesische Entrepreneur
Ihab Daoud Abdellatif entwickelt innovative
Konzepte gern unter Rückgriff auf landestypische
Traditionen.
Expertise
37 Neue Beweglichkeit. Wie Unternehmen Freiräume für Experimente schaffen, um die Chancen
des Innovationszeitalters aktiv zu nutzen.
„Wir setzen
nicht auf Versuch
und Irrtum,
sondern wollen
die Zusammenhänge verstehen.“
Uwe Ahrendt, CEO und geschäftsführender
Gesellschafter, NOMOS-Uhrenmanufaktur,
Glashütte
03 Editorial
04 In dieser Ausgabe
Entrepreneure
08 Die Entdeckung der Langsamkeit. Die sächsische Uhrenmanufaktur NOMOS Glashütte zeigt,
dass auch im ehrwürdigsten Handwerk noch
Neuerungen möglich sind.
14 Rosen im Asphalt. Der Technologie-Entrepreneur Amir Roughani, der einst als Flüchtlingskind
aus dem Iran nach Deutschland kam, sieht im kontrollierten Wagnis eine unternehmerische Tugend.
Martin Klimas
Ohne Titel (Tulipa III)
Lambda Print, Diasec
220 x 170 cm
Auflage: 2
2006
herstellers illycaffè, naturgemäß über eine gewisse
Affinität zum Experiment.
42 „Es geht darum, das Prinzip zu begreifen, zu
wissen: Ich kann diese digitale Welt mitgestalten.“
Die Designforscherin Gesche Joost und Hubert
Barth, Mitglied der Geschäftsführung bei EY, im
Dialog über die digitale Revolution in den Unternehmen und die Gefahren deutscher Gründlichkeit.
48 Risikobereit, schnell und disruptiv? Ein Blick
auf die florierende Start-up-Szene in Berlin Mitte
und Kreuzberg.
Impulse
53 Die Pforte zur Erkenntnis. Der israelische Systembiologe Uri Alon erklärt, warum der Weg zu
neuem Wissen häufig durch eine Phase führt, in der
sämtliche Grundannahmen ins Wanken geraten.
56 Von Matisse bis Afrika. Wie beschränkte Ressourcen die Innovationsfähigkeit beflügeln können,
20 Die Passionsspieler. Der serbische Computer- zeigen jüngste technologische Entwicklungen
freak Branko Milutinović verschmolz seine Leiden- aus Afrika genauso wie das Spätwerk des Malers
schaft für Videospiele und Sport in dem OnlineHenri Matisse – eine erstaunliche Parallele.
Fußballspiel Top Eleven. Damit gelang ihm der
Aufstieg in die Champions League der Game-Branche. 64 Mach was! Wie die Berliner App-Entwicklerin
Verena Pausder sich selbst und kleine Kinder
24 Man braucht Freiheit, um Neues zu wagen. Über immer wieder auf Trab bringt.
die Bedeutung der Geschwindigkeit beim Aufbau
von Digitalunternehmen und das Verhältnis von Pas- 66 Raumschiffe aus Müll. Mit „Toys From Trash“
sion und Zeitgeist in der Musikindustrie diskutieren hat der Inder Arvind Gupta die Begeisterung für
naturwissenschaftliche Experimente auch in den
der Label-Gründer Michael Reinboth und Jan
Beckers, CEO der Start-up-Schmiede HitFox Group. entlegensten Winkeln seines Heimatlandes entfacht.
30 Die perfekte Tasse Kaffee. Als diplomierter
Chemiker verfügt Andrea Illy, Chef des Espresso-
68 Kann man Improvisation lernen? Zehn Fragen
an den britischen Schauspiellehrer Keith Johnstone.
02/2015 Entrepreneur
Entrepreneure  Report 9
Die Entdeckung
der Langsamkeit
Der Bau mechanischer Uhren hat
eine lange Tradition. Das Zusammenwirken von Federn und Rädchen
zum Messen der Zeit ist seit Jahrhunderten erforscht – und wirkt im
Zeitalter von Apple Watch und
Digitalanzeige liebenswert altmodisch.
Lohnen sich da Experimente überhaupt noch? Uwe Ahrendt zeigt mit
der sächsischen Uhrenmanufaktur
NOMOS Glashütte, wie man als
Newcomer eine Traditionsbranche
aufmischt und dass auch im
ehrwürdigsten Handwerk noch
Neuerungen möglich sind.
Fotos Sammy Hart
02/2015 Entrepreneur
P
lötzlich ist er da. Ganz selbstverständlich und ohne großes Aufheben
setzt sich Uwe Ahrendt mit an den
Tisch in der Kantine seines Unternehmens. Keine für die Besucher inszenierte Leutseligkeit, nichts von der
leichten Anspannung, bemühten
Geschäftigkeit, keine verebbenden
Gespräche wie sonst oft, wenn sich
Chefs mal unter ihre Mitarbeiter mischen, um Nähe und Zugänglichkeit
zu demonstrieren. Und das liegt nicht nur daran, dass Ahrendt,
45, CEO und geschäftsführender Gesellschafter der Uhrenmanufaktur NOMOS, hier im Örtchen Glashütte in Sachsen aufgewachsen ist, dass die älteren seiner Mitarbeiter sich noch
gut daran erinnern können, wie Ahrendt mit dem selbst getunten Moped durch die engen Talstraßen knatterte oder als
staatlich geprüfter Schallplattenunterhalter, vulgo DJ, zu DDRZeiten die Dorfdiscos beschallte – und sich dabei nie an die
offiziell vorgeschriebene 60/40-Regelung hielt: 60 Prozent
Ost-Liedgut, 40 Prozent internationale Hits.
Ahrendt verbreitet eine Atmosphäre freundlicher Gelassenheit um sich. Vielleicht liegt es daran, dass einer, der so viel
mit der Zerlegung der Zeit in Sekunden, Minuten und Stunden
zu tun hat, sich die Zeit einfach nimmt. Jedenfalls färbt sein
Vorbild ab. Wenn es so etwas wie entspannte Konzentration
gibt – bei NOMOS in Glashütte ist sie zu erleben; etwa in der
Chronometrie hoch am Hang über Glashütte. Hier entstehen
Entrepreneur 02/2015
Die Liebe zu den kleinen Dingen – obwohl NOMOS in
der Fertigung inzwischen überall dort Hightech
einsetzt, wo Maschinen präziser arbeiten, entsteht
jede der Uhren aus dem sächsischen Glashütte immer noch in vielen Stunden Handarbeit.
aus den winzigen Rädchen, Schräubchen und Federchen, die
an den CNC-Maschinen im alten Bahnhof unten im Tal mit
höchster Präzision geschnitten, gefräst, gedreht und verzahnt
worden sind, in tagelanger Handarbeit die Werke der NOMOSUhren. Neben einer ruhigen Hand brauchen die Mitarbeiter
dafür scharfe Augen. Viele Arbeiten sind nur unter der Lupe
möglich. Fast alle Arbeitsplätze liegen an den großen, hellen
Fenstern mit weiter Aussicht über Berg und Tal. Und wenn die
Uhrmacher alle paar Minuten gedankenverloren die Blicke in die
Ferne schweifen lassen, dann ist das ausdrücklich erwünscht.
Denn nur so können sich die Augen erholen, bleiben fit für acht
Stunden Feinstarbeit.
Uhrmacher, das hört sich nach einem altmodischen, aussterbenden Beruf an. An den Werkbänken von NOMOS aber sind
die meisten Mitarbeiter deutlich jünger als 40 Jahre. Überhaupt
wirkt das ganze Unternehmen jung, urban und kein bisschen
hinterwäldlerisch – von der lichtdurchfluteten, gradlinigen
Architektur, die die historischen Gebäude ergänzt, über die
vielen Kunstwerke an den Wänden bis zum klaren, modernen
Design seiner Produkte, oft ergänzt um ironisch-intellektuelle
i-Tüpfelchen. Sogar das Kantinenessen würde Herz und Magen
jedes Metropolenvegetariers erfreuen. Also eher Start-up als
Traditionsunternehmen. Und eigentlich ist es das ja auch. NOMOS
Glashütte ist ein Wendekind, gerade 25 Jahre alt. Der Name
aber ist Verpflichtung.
Das altgriechische Wort „Nomos“ hat zwei Bedeutungen: im
räumlichen Sinn als „Bezirk“ für die erste, alle folgenden
Maßstäbe begründende Messung, für die Ur-Teilung und
Ur-Verteilung – und im rechtlichen Sinn als „Gesetz“. Und auf die
Messung der Zeit trifft wohl beides zu. Es waren jedenfalls
ein stolzer Name und ein hoher Anspruch, den der Schweizer
Guido Müller gewählt hatte, als er 1906 die NOMOS-UhrGesellschaft Guido Müller & Co. gründete. Der Bau mechanischer Uhren in Glashütte hatte da bereits einige Tradition.
1845 mit Unterstützung des sächsischen Königs ins Leben
gerufen, um nach dem Niedergang des Bergbaus den armen
Bewohnern der abgelegenen Erzgebirgstäler ein bescheidenes
Auskommen zu sichern, erfreuten sich Uhren aus Glashütte
bald höchsten Renommees, wurden früh zu Statussymbolen.
Das weckte Begehrlichkeiten. Müller importierte Schweizer
Uhren nach Sachsen und vertrieb sie anschließend mit dem
prestigeträchtigen – und profitablen – Zusatz „Glashütte“. Der
Platzhirsch der Uhrmachergilde in Glashütte, A. Lange & Söhne,
ließ diese Geschäftspraxis alsbald gerichtlich unterbinden.
1910 musste Müller den Betrieb einstellen. Denn nur wer
mindestens 50 Prozent der Wertschöpfung am Kaliber, dem
Uhrwerk, vor Ort leistet, darf seine Zeitmesser als Glashütter
Uhren anbieten.
„Die Frage ist immer: Wie bekommen wir
das zu unseren Preisen in Serie hin?“
Uwe Ahrendt
Zwei Weltkriege und die DDR überstand die Glashütter Uhrenindustrie, wenn auch lädiert. Aber die Auflösung der Staatsbetriebe nach der Wende schien das endgültige Aus zu bedeuten.
Glücklicherweise fanden sich private Investoren, teils Nachfahren der früheren Besitzerfamilien, die die einstigen Vorzeigeunternehmen aus den Ruinen auferstehen ließen. Einer von
denen, die 1990 nach Glashütte kamen, war Roland Schwertner,
heute 62. Der Düsseldorfer hatte zwei Dörfer weiter eine
Tante und war fasziniert von der Glashütter Uhrengeschichte.
Schwertner, bis dahin auf so unterschiedlichen Gebieten wie
EDV und Modefotografie tätig, ist das, was man einen bunten
Hund nennt: umtriebig, begeisterungsfähig, experimentierfreudig. Kurzerhand erwarb er die Markenrechte an NOMOS
und begann in einer gemieteten Dreizimmerwohnung mit einer
eigenen Produktion.
Schwertner ist kein Techniker, aber er hat Geschmack und
gute Beziehungen zu fähigen Designern. Vier Modelle, in ihrer
modernen Klarheit an den Bauhaus-Stil angelehnt, die bis
heute den Grundstock der NOMOS-Produktpalette bilden, lässt
der Neu-Unternehmer entwerfen. In die selbst gestalteten
Stahlgehäuse baut Schwertner mechanische Uhrwerke aus
der Schweiz ein. Sein Ziel: eine gute mechanische Uhr mit
anspruchsvollem Design zu einem moderaten Preis. 1992 verkauft der Gründer bereits ein paar Hundert Uhren, die besonders bei Kreativen gut ankommen. Doch ebenso wie einst Müller
wird Schwertner bald mit dem Gesetz von Glashütte konfrontiert: 1994 steht NOMOS fast vor dem Aus, weil Schwertner
die geforderten 50 Prozent Eigenleistung am Uhrwerk zunächst nicht belegen kann. Doch er ist bereits auf dem Weg,
die Kaliber zu veredeln und darin sukzessive immer mehr
Elemente weiterzuentwickeln, durch Eigenkonstruktionen zu
ersetzen und zu ergänzen. Was mit der Entwicklung eines eigenen Sekundenstopp-Mechanismus beginnt, führt 2005 zur
02/2015 Entrepreneur
Entrepreneure Report 13
Uwe Ahrendt
Uwe Ahrendt, Jahrgang 1969, stammt aus einer alteingesessenen
Glashütter Uhrmacherfamilie, absolvierte eine Werkzeugmacherlehre und studierte anschließend Feinwerktechnik in Dresden. Seit
2000 führt Ahrendt die Geschäfte der Uhrenmanufaktur NOMOS
Glashütte, die ersten zehn Jahre gemeinsam mit Gründer Roland
Schwertner. Seit 2010, als sich Mehrheitsgesellschafter Schwertner
aus der aktiven Geschäftsführung zurückzog, ist Ahrendt als CEO gemeinsam mit Designchefin und Mitgesellschafterin Judith Borowski
für alle aktuellen Entscheidungen zuständig. NOMOS Glashütte ist
neben A. Lange & Söhne und Glashütte Original der dritte große
deutsche Hersteller feiner mechanischer Uhren. Das Unternehmen
beschäftigt rund 200 Mitarbeiter. Es hält inzwischen mehrere Patente und wurde mit über 120 Preisen und Auszeichnungen dekoriert.
Während die beiden lokalen Rivalen mittlerweile zu Schweizer Konzernen gehören, ist NOMOS weiterhin im Besitz der Entrepreneure.
„Wir versuchen“, gibt Ahrendt die Richtung vor, „als kleines mittelständisches Unternehmen langsam und gesund zu wachsen.“ Zurzeit
verdoppelt NOMOS nach eigenen Aussagen alle drei Jahre die Erlöse.
„Bestes Handwerk und beste Gestaltung zu besten Preisen“, beschreibt
der CEO die Strategie. Uwe Ahrendt ist „Entrepreneur Of The Year“
2014 in der Kategorie Konsumgüter/Handel.
wie die in den vergangen Jahren erreichten und für die Zukunft
angepeilten wären aber im hart umkämpften Hochpreissegment allein nicht möglich, ist sich der NOMOS-Chef sicher. Insgesamt wuchsen Umsatz und Absatz im vergangenen Jahr
um jeweils 30 Prozent.
Zwischen Tradition und Moderne – ein lichter
Glaskubus ergänzt den ehemaligen Bahnhof
von Glashütte, heute Firmensitz von NOMOS.
kompletten Umstellung auf Eigenfertigung aller Uhrwerke und
nach und nach zu einer Fertigungstiefe von heute 95 Prozent.
Mut und Erfolg des frechen Newcomers sprechen sich in dem
kleinen Ort, in dem jeder jeden kennt, natürlich schnell herum.
Und machen neugierig – auch Uwe Ahrendt, damals Mitte
20. Der junge Ingenieur versteht sowohl von Uhren als auch
von Feinmechanik eine Menge – und er mag das Risiko. Ahrendt
arbeitet bei der etablierten Konkurrenz. „Natürlich hätte ich
dort bleiben können“, sagt er heute, doch ihn reizte der Versuch,
etwas Neues, Eigenes zu beginnen.
Das größte Problem der frühen Jahre: „Wir hatten viele gute
Ideen, aber kein Geld“, so Ahrendt. NOMOS schreibt zwar
immer schwarze Zahlen, aber es mangelt an Liquidität für
große Investitionen. 1997 beteiligt sich der Versandhändler
Manufactum, der sich auf moderne Klassiker und hochwertiges
Handwerk spezialisiert hat, an NOMOS. Das eröffnet den
Entrepreneuren endlich größere Spielräume. Und sie erhalten
die Unterstützung der Bürgschaftsbank Sachsen, die über
ihre Tochter MBG bis heute stiller Gesellschafter ist. „Deren
Rat schätzen wir sehr, weil sie objektiv ist“, sagt Ahrendt.
Sicher bremsen die Banker die Experimentierfreude der NOMOSChefs gelegentlich, aber sie unterstützten sie beim wichtigsten Projekt der vergangenen Jahre.
2007 wagen sich Schwertner, Ahrendt und Designchefin
Judith Borowski, gemeinsam geschäftsführende Gesellschafter
von NOMOS, an ein Husarenstück. Sie wollen das sogenannte
Entrepreneur 02/2015
Assortiment selbst herstellen. Dieses Reguliersystem aus
Unruh, Spirale, Ankerrad, Anker und anderen kleinen Teilen,
das gewährleistet, dass eine Uhr genau geht, bezieht fast die
gesamte Branche aus der Schweiz von den Swatch-Töchtern
ETA und Nivarox. Es ist ein Monopol. Ein solch perfektes Uhrenherz in Serie selbst herzustellen, scheint für kleinere Hersteller
unmöglich. Höchstens die Fertigung von Hand zu Spitzenpreisen gilt als machbar – zehn oder hundert Stück. Das Problem dabei: Uhrmacher, die eine derartige Reglage bauen
können, nähern sich dem perfekten Zusammenspiel der kleinen
Dinge durch Versuch und Irrtum. „Doch wir wollten die Zusammenhänge verstehen.“ Als Ingenieur weiß Ahrendt, dass
man solche Abläufe am Computer simulieren und berechnen
kann – und dass sie damit wiederholbar werden: Vorbedingung für jede Serienfertigung. Mit der Technischen Universität
Dresden finden die NOMOS-Entrepreneure den geeigneten
wissenschaftlichen Partner für ihr Vorhaben.
Sieben Jahre dauert die Entwicklung des eigenen Assortiments
und sie kostet bis zur Serienreife insgesamt elf Millionen Euro.
Auf der Basel World 2014 ist das sogenannte Swing-System
von NOMOS eine kleine Sensation – und erweist sich im Nachhinein als ungemein hellsichtig. Denn 2010 – da war das NOMOSProjekt bereits voll im Gang – hatte die Swatch-Gruppe verkündet, dass sie die Lieferkontingente für alle ihre Kunden auf
dem damaligen Stand einfrieren werde. „Das hätte für uns
bedeutet, dass wir nicht weiter hätten wachsen können“, beschreibt Ahrendt die Folgen.
Nach und nach wird die gesamte Modellpalette, insgesamt zwölf
Modellfamilien mit rund 70 Varianten, mit dem hauseigenen
Swing-System ausgestattet. Dabei schließt die viele Handarbeit den Einsatz modernster Technik nicht aus. Dort, wo
Hightech präziser ist, wo es um Tausendstelmillimeter geht,
verwendet NOMOS Maschinen. „Die Frage ist immer: Wie bekommen wir das zu unseren Preisen in Serie hin?“, beschreibt
Uwe Ahrendt den Ansatz. Die Synthese aus Präzision und
Preis entscheide dann über die Verteilung von Hightech und
Handarbeit. Während die Impulse für technische Innovationen bei NOMOS meist aus Sachsen kommen, entstehen die
Designideen bei der Tochter Berlinerblau zwei Stunden entfernt an der Spree. Am Anfang war es Zufall, weil Berlin der
Lebensmittelpunkt von Designchefin Borowski ist. Heute ist
die NOMOS-Führung darüber mehr als glücklich. Ahrendt liebt
sein enges heimatliches Tal, aber er weiß auch, dass für kreative Ideen der Blick über die Kirchturmspitze hinaus notwendig ist: „Das sind zwei sehr unterschiedliche Welten, die sich
gegenseitig befruchten.“
Die Idee für ein weiteres Experiment etwa stammt aus Glashütte: „Jeder Uhrmacher“, weiß Ahrendt, „träumt davon,
einmal all sein Können in einer Uhr zu vereinen.“ Also fertigt
NOMOS seit 2013 eine kleine Kollektion goldener HauteHorlogerie-Uhren. Jedes dieser Einzelstücke kostet über
10 000 Euro, während sich die Preise für die Hauptkollektion
zwischen 1 000 und 4 000 Euro bewegen. Den Ausflug bewertet Ahrendt als geglückt, bester Ausweis für die hervorragenden Fähigkeiten seiner Mannschaft. Wachstumsraten
Wo wird NOMOS Glashütte in, sagen wir, fünf Jahren stehen?
Ahrendt will die Führungsposition, die sein Unternehmen als
mittlerweile größter deutscher Hersteller von mechanischen
Uhren hat, weiter ausbauen. Jedes Jahr eine kleine oder
größere Sensation, wie etwa das ultraflache Automatikuhrwerk
zum moderaten Preis, das NOMOS gerade auf der diesjährigen
Basel World vorgestellt hat, wäre dabei nicht schlecht. Noch
macht der Anteil der Sachsen aber in Relation zum Weltmarkt nur ein kleines Stückchen aus. Marktführer Rolex etwa
produziert jährlich eine Million mechanischer Uhren, während die versammelte Produktion aller Glashütter Hersteller
derzeit nicht einmal auf 100 000 Stück kommt. Dennoch sieht
Ahrendt auch international gute Chancen für die Uhren made
in Germany, vor allem in den USA. In Asien tauchen bereits
die ersten NOMOS-Plagiate auf. Ein Ärgernis, aber auch Zeichen
für wachsendes Prestige.
Hat er keine Angst davor, dass künftige Generationen, die
daran gewöhnt sind, die Zeit vom Handy oder von der Apple
Watch abzulesen, sich gar nicht mehr für eine mechanische
Uhr interessieren könnten? Nein, diese Angst hat Uwe Ahrendt
nicht. Sein 17-jähriger Sohn, auch so ein Handy-Kind, hat
ihn erst neulich gefragt, ob er vielleicht ab und zu Vaters
Tangente, die als Sonderedition für „Ärzte ohne Grenzen“
aufgelegt worden ist, tragen dürfe. Denn mechanische Uhren,
davon ist Ahrendt überzeugt, sind nicht einfach Gebrauchsartikel. Sie sind Wertgegenstände, die ein bisschen aus der
Zeit gefallen sind.
02/2015 Entrepreneur
Entrepreneure Report 15
Rosen im
Asphalt
Amir Roughani war elf Jahre alt, als seine
Eltern ihn in Teheran allein in ein Flugzeug
nach Deutschland setzten. Sie wollten ihn
vor den Gefahren des Kriegs gegen den Irak
in Sicherheit bringen. „Mach was draus,
Amir!“, gaben sie ihm mit auf den Weg. Und
der Junge machte sich diese Verpflichtung
zur Leitschnur: Aus dem Flüchtlingskind
von einst wurde ein erfolgreicher Unternehmer.
Der Gründer und Inhaber des Technologiekonzerns Vispiron, dessen eigene Jugend ein
soziales Experiment war, sieht im kontrollierten
Wagnis auch eine unternehmerische Tugend.
Fotos Elias Hassos
R
espekt vor Autoritäten zählt nicht zu den
hervorstechenden
Charakterzügen von
Amir Roughani. Es
gehört schon eine gehörige Portion Selbstbewusstsein dazu,
einer Ministerin, die
als nächste bayerische Regierungschefin gehandelt wird, entschieden zu widersprechen.
„Das Projekt ist eigentlich gestorben“, hatte
Ilse Aigner, Wirtschaftsministerin des Freistaats, kürzlich dem Vorhaben des Münchner
Technologieunternehmens Vispiron GmbH
beschieden, im Bayerischen Wald ein Pumpspeicherkraftwerk zu errichten. Die Anlage
sei schlichtweg unwirtschaftlich. Das mochte
Amir Roughani nicht kommentarlos hinnehmen. Die Frage der Wirtschaftlichkeit eines
Investitionsvorhabens, retournierte der Gründer und Inhaber von Vispiron vergrätzt, sei
„Angelegenheit der Investoren und nicht der
Politiker – sonst würde es sich um Planwirtschaft handeln“.
Ein wirtschaftliches Wagnis ist der Bau eines
solchen Kraftwerks, das elektrische Energie
sowohl speichert als auch erzeugt, indem man
Wasser zunächst bergan pumpt und es später wieder talwärts fließen lässt, allemal. Einsprüche von Umweltschützern können den
Bau möglicherweise um Jahre verzögern. Dort
wo Unternehmen das Risiko scheuen und sich
aufgrund nicht mehr wettbewerbsfähiger Marktpreisdifferenzen aus diesen Geschäftsfeldern
zurückziehen, setzt Roughani mit seinem Team
konsequent auf neuartige Geschäftskonzepte.
Sie konzentrieren sich auf Systemdienstleistungen für den Strommarkt, deren Bedarf
aufgrund von Netzschwankungen – bedingt
durch die Zunahme der erneuerbaren Energien – entsteht.
Der Aufbruch ins Ungewisse gehört von Anfang an zur DNA des Unternehmens, das am
Rande des Münchner Stadtteils Schwabing,
eingerahmt von Tankstelle, Fastfood-Restaurant, Spielhalle und Boxschule, in einem ausgesprochen unscheinbaren Firmengebäude
residiert. Gegründet wurde es im Jahr 2002,
zwei Jahre nachdem die Dotcom-Blase geplatzt
war, in eine Zukunft hinein, die nicht gerade
spektakulären Erfolg verhieß. Auch später, als
Vispiron jährlich zweistellige Umsatzsprünge
02/2015 Entrepreneur
16 Entrepreneure Report
Entrepreneure Report 17
„Das Verlassen der Komfortzone, die persönliche Veränderung, mich selbst immer
wieder neu erfinden, das
macht mir großen Spaß.“
Auf diese Weise entwickelte sich im Laufe
der Jahre ein Quodlibet an Produkten und
Dienstleistungen. Heute baut Vispiron schlüsselfertige Photovoltaik-Kraftwerke, realisiert
technische F+E-Projekte für Kunden aus der
Automobilbranche, der Luftfahrtindustrie und
dem Maschinenbau, organisiert das Fahrtenbuch- und Tankmanagement von Fahrzeugflotten und liefert Messtechniksysteme, die
weltweit bei der Drehschwinganalyse von Motoren, Getrieben und Turbinen eingesetzt werden.
Amir Roughani
Nicht immer führen die „ergebnisoffenen Experimente“ zum erhofften Resultat. „Drei, vier
Versuche sind definitiv gescheitert“, erzählt
Roughani. Das Rennrad-Projekt beispielsweise.
Roughanis Ingenieure hatten im Kundenauftrag bereits Testmethoden für Gabel, Rahmen,
Sattel und Lenker entwickelt und ein großes
Prüflabor aufgebaut. „Zu guter Letzt wollten
sie auch komplette Fahrräder bauen“, erzählt
Roughani. Reinrassige Renner, schnell und ultraleicht. Drei, vier Jahre Entwicklungsarbeit
steckten in den Prototypen. Leider erwiesen
sich die Absatzchancen als wenig verheißungsvoll; das Projekt wurde beerdigt.
Auf der Suche nach den Wurzeln für Roughanis
Affinität zum Wagnis stößt man unweigerlich
auf seine Kindheit. Im Grunde ist seine gesamte
Amir Roughani hat sein Unternehmen auf vier
Säulen aufgestellt und damit krisenfest gemacht.
Ein Börsengang steht vorerst nicht zur Debatte.
vorweisen konnte, ließ Roughani, mitunter in
der Manier eines Minenhundes, sein Unternehmen immer wieder auf unbekanntes Terrain
vorstoßen. Die heutige Unternehmensstruktur,
die auf vier Säulen beruht – Engineering, Messtechnik, Flottenmanagement und Energy –,
ist im Grunde das Resultat einer Reihe mehr
oder weniger kontrollierter Experimente.
Der 39-jährige gebürtige Iraner hat sein Unternehmen, dessen Name mit den Begriffen
„Vision“ und „Inspiration“ spielt, bewusst mit
offenen Grenzen angelegt – mit Technologie
als gemeinsamem Nenner. „In unserem Leistungs- und Produktspektrum gibt es per se
keine rote Linie“, erklärt er. „Ich könnte das
Geld auch aus dem Unternehmen ziehen und
in Konsum und Wohlstand stecken. Aber lieber
erlaube ich mir hin und wieder ein Wagnis.“ Das
Unternehmen ist dabei Spiegel seiner selbst.
„Das Verlassen der Komfortzone, die persönliche Veränderung, mich selbst immer wieder
neu erfinden, das macht mir großen Spaß.“
Entrepreneur 02/2015
Vita eine Art sozialer Freilandversuch dazu,
was ein entwurzelter junger Mensch aus seinem
Leben machen kann. Amir Roughani war elf
Jahre alt, als seine Eltern ihm umgerechnet
100 Euro zusteckten und ihn in Teheran in ein
Flugzeug nach Deutschland setzten. „Mach was
draus, Amir!“, gaben sie ihm mit auf den Weg.
Sein Heimatland befand sich damals in einem
zermürbenden Krieg gegen den Irak. Täglich
sah Amir, dass in der Nachbarschaft frische
Soldaten rekrutiert wurden, er erlebte die
Beerdigungen von Kriegsopfern und die Bombenangriffe auf seine Heimatstadt Isfahan.
Davor und vor allem vor der irgendwann drohenden Einberufung wollten seine Eltern
ihn – wie zuvor schon den drei Jahre älteren
Bruder Sharam – in Sicherheit bringen. Ein
Jahr zuvor war der Junge schon einmal kurz
in Deutschland gewesen, als er seinen Bruder
besucht hatte. In seiner Erinnerung war es vor
allem ein Land, in dem es Spielzeug und Süßigkeiten gab, die er aus der Heimat nicht kannte. So stieg Amir hoffnungsfroh ins Flugzeug.
Erst nach dem Umsteigen in Frankfurt am Main,
in der Maschine nach Berlin, überfielen ihn
die Ängste: Was ist, wenn mein Bruder nicht
am Flughafen ist? Wohin gehe ich dann? Doch
Sharam wartete mit einigen Schulkameraden
am Gate. „Heute kommt mein Bruder aus dem
Krieg“, hatte er seinen Kumpels erzählt, die
sich nun wunderten, dass ihnen kein Rambo
aus der Passkontrolle entgegenkam, sondern
ein schluchzendes schmächtiges Kerlchen.
Amir kam ins gleiche Kinderheim wie sein
Bruder. Und weil er zunächst kein Wort Deutsch
sprach, schickte man ihn auf die Hauptschule.
Im Heim und in der Schule widerstand er allen
Versuchungen. Er rauchte nicht, er trank keinen Alkohol, er klaute nicht. Während die anderen die Schule schwänzten, nahm Amir gern
den Deutsch-Nachhilfeunterricht am Nachmittag an, damit er die neue Sprache möglichst
schnell perfekt beherrschte. „Mir hat geholfen, dass ich meinen eigenen Weg gegangen
bin“, erinnert sich Roughani. „Wenn man sich
einer Gruppierung anschließt, schafft das zwar
kurzfristig eine Komfortzone, aber man kommt
nur schwer wieder heraus.“ Woher nahm der
Junge die Kraft und moralische Stärke für
diesen geradlinigen Weg, diese Zielstrebigkeit?
Amir Roughani muss keine Sekunde nachdenken. „Die Fähigkeit, all den Verlockungen zu
widerstehen, habe ich ganz klar meinen Eltern
und meiner Erziehung zu verdanken“, sagt er.
„Ich fühlte mich meinen Eltern gegenüber immer verpflichtet, das Beste aus der Trennungssituation zu machen. Alles, was dieses Ziel
hätte gefährden können, war für mich tabu.“
Es begann die schulische und berufliche Aufholjagd des Amir Roughani. Beim Pharmahersteller Schering bekam er eine Lehrstelle
als Chemikant; neben der Ausbildung holte
er die mittlere Reife nach, anschließend das
Fachabitur. „Ohne ein Studium, ohne ein Diplom wirst du uns enttäuschen“, hatten seine
Eltern ihm aufgegeben. Im Wirtschaftsingenieurstudium, nach der einen oder anderen
nicht bestandenen Klausur, war er „ein paar
mal drauf und dran, aufzugeben“. Er fragte seine Eltern, ob sie denn nicht vielleicht auch mit
einem guten Job bei Schering zufrieden wären.
„Aber da kam ein klares ‚Nein!‘“, erzählt Amir
Roughani. „Ich musste also weiterkämpfen.“
Heute ist Amir Roughani überzeugt, dass die
frühe Entwurzelung ihm Kraft verliehen hat,
gegen vielerlei Widerstände anzukämpfen. „All
diese Erfahrungen haben mich letztlich dort
hingebracht, wo ich heute bin.“ Und Berührungsängste erst gar nicht aufkommen lassen.
Wenn Politiker und Unternehmer darüber
diskutieren, ob man mehr jungen Menschen
ohne Schulabschluss eine Chance auf einen
Ausbildungsplatz geben sollte, ist der ehemalige Hauptschüler Roughani der Einzige, der
wirklich weiß, wovon die Rede ist. Und als ehemaliger Gewerkschaftsjugendvertreter bei
Schering „muss ich nicht lange darüber nachdenken, wie ich mit einem Gewerkschaftsboss
sprechen soll. Ich kann fast alle Sichtweisen
verstehen.“ Sowohl bei Schering als auch später beim Medienkonzern Kirch-Gruppe, wo
er als Key Account Manager für Verschlüsselungstechnologien arbeitete, hatte Roughani
das Gefühl, dass er „immer eine Schippe mehr
auflegen musste, um die gleiche Akzeptanz
bei den Vorgesetzten zu erreichen wie meine
deutschen Kollegen“. Anfangs schlug dem
jungen Mann mit dem fremd klingenden Namen regelmäßig Skepsis entgegen. Wer ist
das, was kann der?
Erst der Zusammenbruch der Kirch-Gruppe im
Jahr 2002 unterbrach Roughanis beruflichen
Aufstieg. Er fühlte sich „ein bisschen müde“
bei dem Gedanken, sich in einer neuen Anstellung wieder beweisen zu müssen. Und dass
Management durchaus kein Hexenwerk war,
hatte er bei Kirch zur Genüge gesehen. Im Oktober 2002 gründete er AXIS Engineering
GmbH, den Vorläufer der heutigen Vispiron,
einen Dienstleister für die Realisierung von
02/2015 Entrepreneur
18 Entrepreneure Report
IT- und Engineering-Projekten. Es war eine
Jungfernfahrt in schwerer See. Ringsum waren Tausende von Start-up-Träumen zerschellt. Kaum ein Investor war willens, eine
Gründung zu finanzieren. Die Abfindung von
Kirch, ein Darlehen der Eltern und ein Bankkredit, der eigentlich für etwas anderes gedacht war, mussten als Finanzpolster für das
erste halbe Jahr reichen. Vor einem Scheitern hatte der Jungunternehmer keine Angst.
„Dann hätte ich halt bei McDonald’s Burger
gebraten oder im Supermarkt Regale eingeräumt“, erinnert sich Roughani an seine Gedanken von damals. „Oder ich wäre zu meinen
Eltern zurückgegangen. Die hätten mich auf
jeden Fall wieder aufgenommen.“
Dass sein Einmannbetrieb einmal rund 360
Mitarbeiter beschäftigen würde, dass er Photovoltaik-Kraftwerke der Megawattklasse bauen
oder Projekte für Weltkonzerne wie Daimler,
ThyssenKrupp, EADS und Siemens übernehmen würde, stand damals nicht auf Roughanis
Agenda. Nachdem das Unternehmen die ersten Aufträge erfolgreich abgeschlossen hatte,
entwickelte es sich in einer ständigen Metamorphose, meist gezielt und geplant, zuweilen aber auch befeuert durch Versuche und
Rückschläge, zu seiner heutigen Vielgestaltigkeit. Schon bald reifte in Roughani die Leitidee, sein Unternehmen nicht auf nur ein einziges Geschäftsmodell zu gründen, sondern
Amir Roughani
Die im Jahr 2002 von dem gebürtigen Iraner Amir Roughani gegründete Vispiron GmbH
gliedert ihre Geschäftstätigkeit in die Bereiche Engineering, Messtechnik, Flottenmanagement und Energy. Das in München beheimatete Technologieunternehmen beschäftigt derzeit rund 360 Mitarbeiter und erwirtschaftete im vergangenen Jahr einen Umsatz von
47 Millionen Euro. Zu den mehr als 200 Kunden zählen u. a. BMW, Volkswagen, ThyssenKrupp, Vodafone, EADS und Siemens. Im vergangenen Jahr wurde Unternehmensgründer
und CEO Amir Roughani von EY als „Entrepreneur Of The Year“ in der Kategorie „Dienstleistung und Informationstechnologie“ ausgezeichnet. Die Juroren würdigten damit sowohl seine Leistung bei der Entwicklung des Unternehmens vom Start-up zum erfolgreichen
Technologie-Mischkonzern als auch sein soziales Engagement – beispielsweise bei der
Förderung ambitionierter Jugendlicher aus sozialen Brennpunkten oder bei der Gründung des
Friedhofservice München, der Senioren kostenlos zu den Gräbern ihrer Angehörigen fährt.
breit aufzustellen und damit krisenfest zu machen. Er kaufte die Messtechnik hinzu, begann
mit dem Aufbau der Energy-Sparte und entwickelte das Fahrtenbuch- und Flottenmanagement. Diese Diversifizierung ermöglichte es
ihm wenige Jahre später, Vispiron nahezu unbeschadet zunächst durch die Wirtschaftsund Finanzkrise zu manövrieren und anschließend auch den Niedergang des Solargeschäfts
ohne allzu große Blessuren zu überstehen. Zwar
musste das Unternehmen in den jeweils notleidenden Segmenten Einbrüche verkraften,
doch die wurden durch Umsatzsteigerungen
in anderen Bereichen mehr als kompensiert.
Für Investmentbanker und Börsenanalysten
sind „Gemischtwarenläden“ vom Schlage
Vispiron freilich ein großes Übel. Am Kapitalmarkt werden derartige Konglomerate regelmäßig abgestraft – wegen mangelnder
Fokussierung. Genau diese Diskussion erlebte Amir Roughani, als er vor vier Jahren
einen Börsengang plante und die Emissäre
mehrerer Banken zum Beauty Contest einlud. Ein Ingenieurdienstleister und Messtechnikspezialist, der auch noch große Solarparks baut – so etwas könne man keinem
Anleger vermitteln, lautete der Tenor der
Banker. „Sie rieten uns, das Solargeschäft
möglichst schnell möglichst weit wegzuschieben“, erinnert sich der Firmenchef, „obwohl wir damit Geld verdienten.“ Roughani
verzichtete auf den Börsengang.
Für Experimente, für Abenteuer gar wie die
Rennrad-Episode hätte die strenge Regie
der Quartalsberichte wohl kaum noch Platz
gelassen. Aber Roughani ist fest davon
überzeugt, dass Wagnisse, wohl dosiert und
mit beherrschbarem Risiko, heute wichtiger
sind denn je. Die Märkte seien dynamischer
geworden, die Konsequenzen von Krisen
einschneidender. „Das erfordert, dass man
in der Lage sein muss, sich immer wieder
neu anzupassen.“ Ein Beispiel, auf das er gern
verweist, kommt aus dem eigenen Haus. Vor
acht Jahren baute Vispiron in Frankfurt
Entrepreneur 02/2015
(Oder) einen Solartestpark – von dem sich
recht bald erwies, dass er nicht gebraucht
wurde. „Einstampfen!“, forderte der Aufsichtsrat, der befürchtete, das Reiten des
toten Pferdes werde weitere Millionen verschlingen. Roughani begann die Suche nach
den Rosen im Asphalt – und stieß auf das
Unterkonstruktionssystem, sozusagen das
Gestell für die Module, das seine Ingenieure
eigens für diesen Testpark entwickelt hatten. Die Konstruktion war dem Automobilbereich entnommen, viel leichter und einfacher
zu montieren als sämtliche Produkte auf dem
Markt. Die ersten Kunden, die das System
kauften, fragten begeistert an, ob Vispiron denn
nicht vielleicht gleich einen kompletten Solarpark für sie bauen könnte. Daraus entstand die
Business Unit Vispiron Energy, die zwischenzeitlich bis zu 50 Prozent des Gesamtumsatzes
erwirtschaftete. Mitunter entwickelt sich ein
Experiment zum Katalysator für das nächste.
Solarmodule bringen – wie auch Windräder –
das Problem mit sich, dass sie, anders als Kohlekraftwerke und Atommeiler, den Strom nicht
gleichmäßig bereitstellen können. Die Schwankungen können im Extremfall die Netzstabilität gefährden. Pumpspeicherkraftwerke wiederum sind in der Lage, „überschüssige“ Energie aufzunehmen und später, wenn sie benötigt wird, wieder abzugeben – und dadurch
die Schwankungen auszugleichen. Grund genug für Amir Roughani, ein Geschäftsmodell
zu wittern. Dass die bayerische Wirtschaftsministerin dem ersten Vispiron-Projekt auf
diesem Terrain kraft Amtes den Totenschein
ausgestellt hat, entmutigt ihn nicht. „Wir wissen noch nicht, ob wir uns da behaupten können“, sagt er. „Aber wir werden kämpfen.“
„Ich fühlte mich meinen
Eltern gegenüber immer
verpflichtet, das Beste
aus der Trennungssituation
zu machen. Alles, was
dieses Ziel hätte gefährden
können, war für mich tabu.“
Amir Roughani
21
Die
Passionsspieler
Play anywhere – anytime:
Das Online-Game Top Eleven
war bei seiner Premiere vor
fünf Jahren weltweit das erste
Spielerlebnis, das sich nahtlos auf PC, Tablet und Smartphone spielen ließ.
Uciendae ptatem hil incimpe rumquam idi
bero blacitias quid quibus verciur audis dolupti debitium eumquibus millupi eniendi
ommoditium qui quo etur aut restota quatetur? Xerum lia sa debitatem exeratint.
Cearum dolenisquam dolorerum dolupiet
quiae pro omni offici cuptas eic tem reicien
ecuscia veliber orerem qui qui as magnit
Wer träumt nicht davon, sein
Hobby zum Beruf zu machen?
Der serbische Computerfreak
Branko Milutinović traute
sich – er kündigte seinen gut
dotierten Job bei Microsoft,
gründete ein eigenes Unternehmen und verschmolz seine
Passion für Videospiele und
Sport in dem Online-Fußballspiel Top Eleven. Was als
Experiment mit ungewissem
Ausgang begann, endete mit
dem Aufstieg in die Champions
League der Games-Branche.
A
m Anfang des Weges in die Leidenschaft stand ein unscheinbares,
flaches schwarzes Kästchen. Im Jahr
1989, das weiß Branko Milutinović
genau, hielt das Computerzeitalter
Einzug in den Haushalt seiner Familie
in Belgrad. „Es war ein Sinclair ZX
Spectrum“, erzählt er – ein Heimcomputer aus britischer Fertigung,
vielleicht auch ein Nachbau aus der damaligen Tschechoslowakei.
Mit integrierter Tastatur, deren Haptik an Radiergummis erinnerte,
16 Kilobyte Arbeitsspeicher und einem eingebauten Lautsprecherchen, das grauslich quäkende Töne von sich gab. Wenn Branko
etwas speichern wollte, musste er einen Kassettenrekorder anschließen. Ob das erste Spiel, das er auf diesem drolligen Gerät
ausprobierte, „Bomberman“ war oder das damals angesagte „Jet
Set Willy“, kann er nicht mehr mit Gewissheit sagen. Aber die Saat
war gelegt.
„Das waren ganz andere Zeiten“, erinnert sich Milutinović. „In
unserem Teil der Welt waren Computer eine ziemliche Rarität.“
In unserem Teil der Welt – das war Jugoslawien mit seinem Balkan-Sozialismus, dessen Ineffizienz von Jahr zu Jahr deutlicher zu
Tage trat. Der Besitz eines Computers galt als Luxus. Der Sinclair
jedenfalls reichte, um bei dem Rechtsanwaltssohn das IT-Feuer zu
entfachen. „Mit sieben hab ich das erste Mal etwas programmiert
und drei Jahre später mein erstes Computerspiel entworfen“, geht
die Zeitreise weiter. „Seit damals habe ich nicht mehr aufgehört,
mit Computern zu spielen. Nie wieder hat mich etwas so inspiriert
wie diese ersten Erfahrungen.“
Die Leidenschaft für das blitzschnelle Jonglieren mit Tastatur und
Joystick hat Branko Milutinović im Laufe der Jahre auf immer höhere Umlaufbahnen des IT-Universums geführt. In seiner Heimat
gilt der meist leger in Jeans und Polohemd gekleidete CEO der
Internetspiele-Schmiede Nordeus schon heute als Entrepreneur-
02/2015 Entrepreneur
22 Entrepreneure Expansion
Entrepreneure Expansion 23
Ikone. Das in der serbischen Hauptstadt Belgrad beheimatete
Unternehmen wurde in den vergangenen Jahren mit Preisen
und Auszeichnungen geradezu überhäuft; Milutinović selbst
wurde ob seines kometenhaften Aufstiegs von der Presse als
„serbischer Zuckerberg“ gefeiert.
und Fußball in einem Produkt verschmelzen. Bis sich aus dem
Geistesblitz ein marktfähiges Spiel entwickelte, vergingen allerdings Tausende von Stunden am Rechner. „Zwei Jahre lang haben
wir 16 Stunden am Tag gearbeitet“, erinnert sich Milutinović,
„ohne auch nur einen freien Tag. Es gab kein Wochenende, kein
Weihnachten, keinen Geburtstag.“ Fast alle Mitarbeiter, die mit
der Zeit an Bord des Nordeus-Schiffs kamen, waren passionierte
Gamer und Sportenthusiasten – so wie die Gründer. „Selbst
wenn wir gescheitert wären“, beschreibt Branko Milutinović den
Team-Spirit, „hätte die Erfahrung unser Leben bereichert – weil
es eine tolle Sache ist, ein Team aufzubauen, mit dem du etwas
wirklich Großes bewerkstelligen willst.“
Vor allem ein Produkt hat Nordeus zu weltweiter Popularität in
der Gamer-Gemeinde verholfen: Top Eleven, ein Online-Fußballmanagement-Spiel, das als Gratis-App mit täglich fünf Millionen
treuen Spielern und insgesamt 100 Millionen registrierten Nutzern
längst den Sprung in die Champions League der Sport-Videogames geschafft hat. Der Spieler schlüpft in die Rolle des Managers
eines kleinen Fußballteams, das er dann mit cleveren Transfers,
perfekter Match-Strategie, dem richtigen Training und StadionUpgrades zu großen Titeln führen kann. Mit Top Eleven war
Nordeus der Konkurrenz bei der Premiere vor fünf Jahren vor allem in einem Punkt voraus: „Wir haben als erste Firma auf der
Welt ein Spielerlebnis kreiert, das sich nahtlos auf PC, Tablets und
Smartphones genießen lässt“, erklärt der Unternehmenschef.
„Du spielst Top Eleven zu Hause auf deinem Laptop, schaltest das
Gerät aus und machst fünf Minuten später, wenn du in der U-Bahn
sitzt, an exakt der gleichen Stelle auf deinem Smartphone oder
Tablet weiter.“ „Play anywhere – anytime“ lautet der Slogan.
Die Gründung von Nordeus war ein Experiment mit ungewissem
Ausgang. Milutinović hatte weder potente Geldgeber im Rücken
noch verfügte er über nennenswertes Know-how in Sachen Marketing, Vertrieb, Lizenzen und Steuern. Zudem stand Serbien
nicht unbedingt im Ruf einer Brutstätte für Game-Blockbuster.
Letztlich war das Nordeus-Abenteuer getrieben vom Enthusiasmus für die Entwicklung neuer Ideen, „die das Potenzial haben,
Millionen zu faszinieren“. Und wenn Milutinović dabei sein Hobby
zur Profession veredeln konnte – hätte ihm etwas Besseres passieren können? Branko Milutinović gehört zu jener Generation gut
ausgebildeter, weltoffener junger Serben, die sich der neuen
Optionen nach dem Ende der düsteren Milošević-Ära entschlossen
und geschickt bedienten. Die 78 Tage währenden Luftangriffe
der Nato auf Belgrad im Frühjahr 1999, das nächtliche Heulen der
Sirenen wird er nie vergessen. Aber als alles vorbei war, erkannte er schnell die Zeichen der Zeit – und die wiesen weit über die
Grenzen seiner serbischen Heimat hinaus. Nach dem Abschluss
seines Elektrotechnikstudiums an der Universität Belgrad zog es
ihn im Sommer 2007 gemeinsam mit seinem Kommilitonen Milan
Jovović ins europäische Entwicklungszentrum von Microsoft nach
Kopenhagen. An der Hochschule hatten die beiden zusammen
Branko Milutinović
Die in der serbischen Hauptstadt Belgrad beheimatete Nordeus hat sich
auf die Entwicklung von Online-Sportspielen spezialisiert. Das Unternehmen wurde 2010 von Branko Milutinović und Milan Jovović gegründet
und beschäftigt heute gut 150 Mitarbeiter an fünf Standorten – der
Zentrale in Belgrad sowie Büros in Dublin, San Francisco, London und
Skopje. Wichtigstes Produkt und Hauptumsatzquelle ist das OnlineFußballspiel Top Eleven mit weltweit 100 Millionen registrierten Nutzern.
ein „richtig cooles Computerspiel“ entworfen, das lernbehinderte
Kinder in Verkehrssicherheit trainierte. Bei Microsoft entwickelten sie jetzt Software für Geschäftskunden – ein Job, dessen Faszination nicht allzu lange vorhielt. Schon bald beschlich sie das
Gefühl, dass Großkonzerne vielleicht doch nicht den besten Nährboden für innovative Ideen bieten. Und außerdem – ihr Herz
schlug nicht für Business-Software, sondern immer noch für Spiele. Sie wollten etwas Eigenes kreieren, etwas Einzigartiges.
So kehrten Milutinović und Jovović nach knapp zwei Jahren der
dänischen Hauptstadt den Rücken und zogen zurück nach Belgrad,
der an Save und Donau gelegenen „weißen Stadt“. Im März 2010
gründeten sie Nordeus – allen gut gemeinten Ratschlägen zum
Trotz. „Wie könnt ihr nur eure gut bezahlten 9-to-5-Jobs bei Microsoft für so ein Abenteuer hinschmeißen?“, schlug es ihnen entgegen. Die Idee für Top Eleven entstand relativ schnell; eigentlich ließ das Gründerduo lediglich seine Passion für Computer
Drei Jahre in Folge wurde Nordeus zum
„besten Arbeitgeber Serbiens“ gekürt.
Seit der Firmengründung hat nur ein einziger Mitarbeiter gekündigt.
Entrepreneur 02/2015
Anders als das Gros der Gründer investierten Milutinović und
Jovović keinerlei Zeit in die Suche nach Geldgebern. Vielleicht
wäre es auch nicht so einfach gewesen, Wagniskapital für ein
serbisches Start-up in der Videospielbranche aufzutreiben, wer
weiß. Aber letztlich benötigte Nordeus gar keine Finanzspritze.
„Wir hatten das Glück, dass unser Geschäftsmodell und unser
Hauptprodukt Top Eleven von Anfang an Umsätze generierten“, erklärt Milutinović. Außerdem hegt er grundsätzlich ein
gewisses Misstrauen gegenüber dem Wirken von Investoren.
„Wenn du dich mit Geldgebern einlässt, beschränkst du automatisch deine Handlungsfreiheit“, ist er überzeugt. „Sie werden
darauf drängen, dass du das Unternehmen auf das nächste Level
führst – damit es entweder an die Börse geführt oder verkauft
werden kann.“ Und irgendwann wächst das Unternehmen nicht
mehr, „weil du es willst, sondern weil die Investoren es wollen.
Das ist nicht unser Ding.“ Er wundert sich regelmäßig, wenn wieder
mal ein Start-up eine erfolgreiche Finanzierungsrunde zelebriert. „Dann kommen alle und gratulieren, das ist wie eine große
Party. Ehrlich gesagt, finde ich es wichtiger, sich über wirkliche
Erfolge zu freuen, eine erfolgreiche Produktpremiere etwa, als
einen Geldsegen zu feiern, der manchmal nur dazu verführt,
mehr auszugeben als nötig.“
Fünf Jahre nach der Gründung unterhält Nordeus Büros in Dublin,
San Francisco, London und Skopje. Das Unternehmen ist dort
präsent, wo auch die App-Store-Anbieter Google und Apple sowie
Facebook große Niederlassungen haben. Trotzdem ist und bleibt
Nordeus eine serbische Firma. „Hierzulande wird der Wettbewerb
um gute Mitarbeiter noch nicht so heftig geführt wie in den klassischen IT-Ländern“, lobt der Chef die Standortvorteile seiner Heimat. „Die Leute, die bei uns arbeiten, sind mit Herzblut dabei – und
sie schauen sich nicht ständig um, ob sie anderswo mehr verdienen
können.“ Drei Jahre in Folge wurde Nordeus zum „besten Arbeitgeber Serbiens“ gekürt. Natürlich ist Branko Milutinović stolz auf
eine solche Auszeichnung – aber noch mehr freut er sich über
das Ergebnis der Abstimmung mit den Füßen: Seit der Gründung
des Unternehmens hat nur ein einziger Mitarbeiter gekündigt.
„Die Leute, die bei uns arbeiten,
sind mit Herzblut dabei –
und sie schauen sich nicht
ständig um, ob sie anderswo mehr verdienen können.“
Junge Branche
im Wandel
Joachim Spill
[email protected]
Daniel Windsheimer
[email protected]
Technology, Media &
Entertainment und Telecommunications („TMT“)
Leader in Deutschland,
Österreich und der Schweiz
Head of Subsector „Media &
Entertainment“ und TMT
Service Line Leader Tax
in Deutschland, Österreich
und der Schweiz
Obwohl die Games-Branche noch vergleichsweise jung ist, befindet
sich diese Industrie bereits mitten im Strukturwandel. Während
das traditionelle Geschäft mit Spielen für Konsolen und PCs nahezu
stagniert, boomt der Markt der Online-Games für Smartphones
und Tablets. Allein in Deutschland wuchs 2014 der Umsatz mit Spielen für mobile Geräte um rund ein Drittel. Damit haben sich Mobile
Games binnen weniger Jahre zum Wachstumsmotor der Branche
entwickelt. Das Smartphone ist mittlerweile die beliebteste Gaming-Plattform.
Mit dem Siegeszug der Mobile Games sind die Marktzugangskosten
für neue Anbieter im Schnitt gesunken. Die Entwicklung und Vermarktung einer Smartphone-App ist in den meisten Fällen weniger
kapitalintensiv als die eines Spiels für Konsole oder PC. In der Vergangenheit war es insbesondere für europäische Spieleanbieter oft
ein Handicap, dass sie bei der Entwicklung und Produktion der Hardware, also vor allem der Konsolen, so gut wie keine Rolle spielten.
Mit der zunehmenden Verlagerung des Spielgeschehens von den
klassischen Devices wie Playstation und X-Box auf Tablets und Smartphones fällt dieser Nachteil immer weniger ins Gewicht.
Neben den großen etablierten Spieleentwicklern hat sich in den
vergangenen Jahren eine Vielzahl kleiner App-Schmieden positionieren können. Sie haben bewiesen, dass Leidenschaft für die Idee,
innovativer Spirit und die Antizipation von Branchentrends den
Mangel an Kapital mehr als wettmachen können. Zu dieser Kategorie
von Unternehmen zählt zweifellos auch der serbische Online-Spieleentwickler Nordeus. Das Unternehmen setzt auf eine Doppelstrategie:
Ohne das traditionelle Videospielumfeld komplett aufzugeben (das
Online-Fußballspiel Top Eleven lässt sich auch ganz klassisch auf dem
PC spielen), treiben die Nordeus-Entwickler ihr Geschäft klar in
Richtung Mobile Games. Als Erste in der Branche präsentierten sie
ein Spiel, das auf PC, Tablet und Smartphone läuft – überall und
jederzeit. Allerdings ist ein solcher Entwicklungsvorsprung in der
extrem schnellen Games-Branche in der Regel schnell aufgezehrt.
Eine Partnerschaft kann eine Alternative zur Übernahme durch einen
etablierten Mitbewerber sein. So lässt sich die Kreativität eines
kleinen Spezialisten mit der Finanz- und Marketingkraft eines größeren Medien- und Entertainmentunternehmens verbinden.
Branko Milutinović
02/2015 Entrepreneur
24 Entrepreneure Perspektivwechsel
Man braucht
Freiheit,
um Neues zu
wagen
Was haben sich ein Visionär der neuen elektronischen Musik und einer
der erfolgreichsten deutschen Unternehmensgründer zu erzählen?
Michael Reinboth, Gründer des legendären Labels Compost Records, und
Jan Beckers, CEO der HitFox Group,
teilen auf jeden Fall die Liebe zur
Musik, mit der alles begann: Reinboth
wurde in Hannover zum DJ, Beckers
in Münster zum Eventmanager und
bald darauf zum Shootingstar unter
den Berliner Internetunternehmern.
Hier sprechen sie über alles, was sie
verbindet: die Mischung aus Regelwerk
und Improvisation, wie sie der Jazz
hervorgebracht hat, die Rolle von Inkubatoren und Plattenlabels, die Widerstandskraft der analogen Medien und
die Zukunftschancen der digitalen.
Fotos Sigrid Reinichs
Entrepreneur 02/2015
26 Entrepreneure Perspektivwechsel
J
Jan Beckers: Für einen DJ,
Musiker und Produzenten
wie dich ist die Partywelt
essenziell. So hat es bei mir
auch mal angefangen! Ich
startete mit einer OnlinePlattform, aber das Ziel
waren eigene Partyreihen.
Wie ging es denn bei dir los?
Michael Reinboth: Ich habe 1980 in Hannover
aufgelegt, dann in München. Im berühmten
P1 war ich Resident DJ. Meine Hauptveranstaltung, jeden Freitag, hieß „Into Somethin’“. Dann
kam mir die Idee, ein Label zu gründen. Diversifizierung ist wichtig, Mut zum Experiment.
House, Techno, Drum & Bass, Hip-Hop, NuJazz:
Wir haben alle Styles der 90er- und 2000erJahre mitgemacht und unser musikalisches
Programm immer wieder erneuert.
Beckers: Hätte dir die Musik nicht gefallen, die
du gespielt hast, hättest du sie nicht vermarkten können. Man muss als Unternehmer hinter
seinem Produkt stehen.
Reinboth: Auf jeden Fall. Bei mir waren es das
Label und die Veranstaltungen: auflegen und
dabei sein, den direkten Draht zu den Leuten
haben. So haben wir auch Produzenten kennengelernt. Wie lange braucht ein Start-up
heute, um sich ein Standing zu erobern?
Entrepreneure Perspektivwechsel 27
Beckers: Standing hat, wer kontinuierlich liefert. Auch bei uns reicht es nicht, ein OneHit-Wonder zu landen. HitFox ist jetzt vier Jahre
alt. Wir haben als Start-up angefangen und
über die Zeit bewiesen, dass wir gut darin sind,
Unternehmen aufzubauen. Heute gehören
15 Tochterunternehmen zu der Gruppe, die
Advertising machen, Big Data, FinTech. Wir
bauen gerade die Banken und Versicherungen
der Zukunft auf. Wir können uns noch ganz
andere Bereiche vorstellen, solange wir sehen,
dass wir als kreative Kraft gebraucht werden.
Wo findet gerade ein Wandel statt, den etablierte Organisationen nicht wittern oder auf
den sie zu langsam reagieren? Es werden noch
viele Felder hinzukommen, auf denen wir unsere Digitalkompetenz und unsere Datenkompetenz beweisen können.
Reinboth: Bei uns kam der Sprung mit der
Gründung des Labels Compost Records. Inzwischen haben wir sieben oder acht SubLabels mit unterschiedlicher Musik. Ich bin
stolz darauf, dass wir seit 20 Jahren dieses
Label machen. Viele andere sind durch die
illegalen Downloads untergegangen.
Beckers: Jetzt geht es langsam wieder aufwärts, oder?
Reinboth: Ja, aber Musik ist ein schnelllebiges
Medium, in dem man sich alle paar Monate
erneuern muss. Das läuft auch wieder über die
gute alte Schallplatte. Manches gibt es sogar
ausschließlich als Vinyl. Und die kosten in limitierter Auflage 80, 90 oder 120 Euro das Stück.
Beckers: Und wie viele verkauft man davon?
Reinboth: Um die 500. Früher haben wir 5000
bis 12 000 Maxis verkauft, dann brach das
Geschäft ein. Jetzt sind wir beim Streaming
angelangt. Die Umsätze sind katastrophal.
Aber wenn man ein paar Künstler hat, die erfolgreich bei Streaming-Portalen sind, geht
es. Heute machen Downloads schon 40 Prozent unseres Umsatzes aus, die Hälfte davon
als Stream.
Jan Beckers, geboren 1983 in Münster, ist CEO der in Berlin ansässigen
HitFox Group und nennt das Firmengründen seine Leidenschaft. Schon
als BWL-Studienanfänger gründete er eine Eventagentur, die mehr als
100 Veranstaltungen mit bis zu 5 000 Gästen organisierte, und vor Abschluss der Diplomarbeit rief er eine Jobbörse ins Leben. Die 2011 gegründete HitFox Group wuchs 2013 um 600 Prozent und erzielte einen
Gewinn von 15 Millionen Euro. Das brachte Beckers die Auszeichnung als
„Entrepreneur Of The Year“ in der Sparte Start-up ein. Jedes Jahr werden mehrere Tochterunternehmen gegründet und binnen Kurzem avancieren Mitarbeiter zu Unternehmern. Der ursprüngliche Kernbereich,
die Akquise von Qualitätsnutzern für Online-Spiele, hat sich um die Sparten
Big Data und Finanztechnologie erweitert. Inzwischen beschäftigt HitFox
mehr als 450 Mitarbeiter, hat den Aufbau von Start-ups perfektioniert
und ist über den Berliner Stammsitz hinaus auch in San Francisco, Seoul,
Peking, Neu-Delhi und Tokio vertreten.
Beckers: Empfindest du dich eher als Musiker
oder als Unternehmer?
Reinboth: Ich weigere mich, alle unsere Projekte kaufmännisch durchzuplanen. Dafür habe
ich einen sehr guten Mitarbeiter.
die bei uns zum Vorstellungsgespräch antreten. Doch wir müssen das Gefühl haben:
Der ist so neugierig und so ehrgeizig wie wir.
Beckers: Da bin ich anders. Ich bin Unternehmer durch und durch. Wirtschaft hat mich
schon sehr früh interessiert. Mit 15 habe ich
meine Eltern dazu überredet, meine Führerscheinersparnisse in Electronic Arts zu investieren. Mit 20 Jahren habe ich meine erste
Firma gegründet und mit 22 das erste digitale
Unternehmen. Im Internet wachsen Unternehmen einfach schneller. Man erreicht große
Zielgruppen und hat mehr Impact. Deswegen
bin ich heute noch gern Internetunternehmer. Bisher waren alle Firmen, die ich aufgebaut habe, auch schnell und erfolgreich.
Reinboth: Auch wir nehmen nur Künstler unter Vertrag, von denen wir glauben, dass sie
eine Vision haben. Denn wenn du mit Musik
wirklich viel Geld verdienen willst, dann ist es
besser, du machst irgendeinen kommerziellen
Mist. Nein, das Echte braucht Leidenschaft.
Reinboth: Davor habe ich großen Respekt.
So einen wie dich hätte ich in meiner Firma
gebrauchen können! Wahrscheinlich wollen
viele junge Leute zu euch?
Beckers: Ja, wir bekommen etwa 1200 Bewerbungen im Monat und können uns die besten
20 herausfiltern. Smart sind sie eigentlich alle,
Michael Reinboth
Michael Reinboth, Jahrgang 1959, ist Geschäftsführer des Münchner
Musiklabels Compost Records, einer der angesehensten Plattenfirmen für
neue elektronische Musik in Europa. Nach der Schulzeit in Hannover gründete Reinboth dort sein erstes Musikmagazin und arbeitete daneben als
DJ. Da er die Musik selbst mitbringen musste, konnte er den Stil der Clubnächte nach eigenen Vorstellungen prägen. Nachdem er für das Studium
des Journalismus nach München umgezogen war, begann Reinboth, in den
bekanntesten Clubs der Stadt aufzulegen, und machte sich als Resident-DJ
durch seinen innovativen Stilmix einen Namen – von Garage-House über
Hip-Hop bis zu Techno, Rare Groove und Black Music. Legendär wurden
Reinboths „Into Somethin’ “-Nächte. Im Oktober 1994 gründete er das Label
Compost Records, das mit der Serie „Future Sounds of Jazz“ (Vol. 1 bis
11) den Grundstein für erfolgreiche Kompilationen elektronischer Musik
legte. Im Mai 2015 feierte Compost Records sein 20-jähriges Bestehen
und brachte die 500. Platte heraus.
Entrepreneur 02/2015
Jan Beckers
Beckers: Wie entsteht denn Neues in deinem
Bereich? Ich denke da an den Jazz mit seiner
Mischung aus Regeln und Improvisation.
Reinboth: Manche Künstler sagen: Der Jazz
ist die Mutter, von der man am meisten lernen
kann. Er stand auch bei unserem Label Pate.
Jazz hat ein starkes Image, das uns heute noch
nützt. Das andere ist die Freiheit der Improvisation. Alte Elemente werden mit neuen Beats
angereichert, man setzt sich über die klassische Songstruktur hinweg. Heute braucht man
dafür keine Combo mehr. Du kannst im Bedroom-Studio einen richtig krassen Jazz produzieren – „Eremitenjazz“ nenne ich das.
Beckers: Die Mischung aus Freiheit und Regeln
sehe ich bei den Innovationen des Unternehmers auch. Es bedarf einer gewissen Freiheit,
Neues zu wagen. Wenn man viele Leute hat,
funktioniert das nur mit kulturellen Regeln. Geglückte Innovation ist meistens eine Mischung.
Man hat die Regeln verstanden, bricht sie aber
um einer technischen Neuerung willen, die
es einem ermöglicht, das alte Geschäftsmodell
besser und zielgruppengerechter zu definieren. Doch Innovation ist nicht gleich Erfolg.
Als wir HitFox gestartet haben, hat das erste
Geschäftsmodell nicht funktioniert. Sind wir
deswegen gescheitert? Nein. Wir haben das
Geschäftsmodell gedreht und neu definiert.
Reinboth: Wie wichtig ist dabei Geschwindigkeit?
Beckers: Extrem wichtig. Wenn du ein modernes Digitalunternehmen aufbaust und nicht
schnell bist, kannst du einpacken. Wir bewegen
uns ja auf globalen Märkten. Die HitFox Group
macht nur noch 15 Prozent ihres Umsatzes
in Deutschland. Wir konkurrieren mit dem Silicon Valley und mit Asien. Das ist eine Branche,
in der man sich nicht lange ausruhen darf. Wir
arbeiten für viele der mehr als 500 Spielefirmen weltweit, die ihre Spiele über uns in
Hunderte Länder vertreiben.
Reinboth: Auch unser Material ist im letzten
Winkel der Erde verfügbar. Wenn wir morgen
etwas bei iTunes hochladen, erreichen wir
auch den DJ in Madagaskar. Aber wir müssen
unsere Stammkundschaft halten und gleichzeitig junges Publikum erreichen.
Beckers: Besteht in der Musik nicht die Gefahr,
aus aktuellen Trends herauszuwachsen und
von den Jugendlichen vergessen zu werden?
Reinboth: So empfinde ich es nicht. Wichtig
ist, dass deine Passion den Zeitgeist erfasst.
Einen Tag in der Woche setze ich mich hin,
höre neue Sachen an und frage mich: Wer ist
gerade angesagt?
Beckers: Das ist bestimmt dein Lieblingsarbeitstag.
Reinboth: Ja. Heute muss ich ihn mir erkämpfen, weil die Verwaltung mir die Zeit stiehlt.
Das Management liegt bei einem Label bei
80 Prozent.
Beckers: Wer ist unter deutschen Musikern
eigentlich der smarteste Unternehmer?
Reinboth: Grönemeyer ist ganz gut. Er hat mit
Grönland sein eigenes Label. Oder Dixon mit
Innervisions. Es gibt vielleicht noch zehn bis
15 Labels wie Compost. Um eine Label-Plattform in allen Formaten zu haben – Streaming,
CD, Vinyl, Künstler-Signings inklusive Management –, dazu braucht man viel Erfahrung. Und
Musiker, die eine Vision haben. Viele unserer
Künstler waren von Anfang an dabei.
Beckers: Wie wird eigentlich in der Musikbranche gezahlt?
Reinboth: Die Gehälter sind niedrig. Und es
gibt kaum Aufstiegsmöglichkeiten. Immerhin
beteilige ich meine Leute. Das erhöht Motivation und Engagement. Meine Künstler sind
Ambassadors oder Artist Repertoire Scouts
in der Welt.
Beckers: Die Musikindustrie lebt davon, dass
sie den nächsten Hit findet.
02/2015 Entrepreneur
28 Entrepreneure Perspektivwechsel
„Situatives Scheitern
akzeptiere ich, Scheitern auf
der ganzen Linie nicht.“
Reinboth: Wie geht der Neuaufbau eines Unternehmens denn vor sich? Was ist die Initialzündung?
Beckers: Es gibt zwei Wege: Entweder wir starten eine Idee aus unserem Team. Oder aber
es kommt ein Unternehmer von außerhalb mit
einer interessanten Idee, der sich von uns
schnellere Distribution erhofft. Das hat etwas
von einem Plattenlabel. Durch unsere Erfahrung heben wir sie in kurzer Zeit von null
auf Erfolg. Nennen wir es eine Serienfertigung
für Unternehmen. Wenn du ein neues Start-up
aufbaust, brauchst du immer wieder 80 Prozent derselben Komponenten.
Jan Beckers
Reinboth: Ja, aber die Vertriebswege sind
klassisch. Vinyl ist stark im Kommen, analoge Medien werden wieder stärker. Das ist bei
euch anders.
Beckers: Ja, die Digitalisierung verändert alles. Wir leben nicht nur von diesem Wandel,
wir gestalten ihn.
Reinboth: In der Musik wäret ihr der Produzent, der dem Künstler reinredet?
Reinboth: Das unterscheidet Daten von Kunst.
Nimm ein Künstleralbum: Das ist eine Konzeption, ein Statement. Wenn es nicht gut angekommen ist, kannst du es durch ein RemixAlbum nicht besser machen. Du kannst dem
Künstler nur sagen: Komm, reiß dich zusammen. Setz dich noch einmal hin. Nimm dir zwei
Jahre Zeit und mach es besser. Ein Album ist
nicht reversibel.
Beckers: Nein, wir reden wenig rein. Wir geben unseren Gründern die Instrumente und
den großen Verstärker und wir füllen das Stadion mit Fans. Die Musik macht der Gründer
mit seiner Band. Wir bieten alle Bausteine, die
ein Start-up benötigt: das Produktwissen, das
Marketingwissen, das rechtliche Wissen und
die Finanzierung. Und dadurch, dass wir die
ganze Wertschöpfung kontrollieren, können wir
die Qualität deutlich erhöhen. Man sagt, dass
normalerweise eines von zehn Start-ups erfolgreich ist. Wir streben an, dass 80 Prozent der
Unternehmen, die wir aufbauen, erfolgreich
sind. Wir systematisieren den Prozess von der
Unternehmensgründung bis hin zum Unternehmenserfolg. Das ist unsere Aufgabe. Wir
bauen die Fabriken für die Digitalisierung.
Beckers: Ein Trend in der Digitalisierung ist
künstliche, selbstlernende Intelligenz: Computerprogramme, die sich selbst neue Tätigkeiten beibringen. Dazu wird bald auch das Komponieren von Musik gehören. Wann wird es
so weit sein, dass der Computer nicht nur besser Schach spielt, sondern auch die bessere
Musik komponiert?
Reinboth: So arbeiten ja schon die Hit-Produzenten, die für die Major-Industrie Musik entwickeln. Du kannst einen Parameter einstellen,
und dann spuckt dir die Software etwas aus.
Das ist Reißbrettmusik, schrecklich! Im Vorführbereich läuft das anders. Wir mieten Studios und buchen Musiker. Da geht nichts ohne
echte Entwicklung.
Beckers: Was sind die glücklichsten Momente
deiner Arbeit?
Reinboth: Auf Reisen, auf Tourneen, im direkten Kontakt mit dem Publikum. Ich bin einmal im Jahr eine Woche auf Ibiza. Das gehört
zu den Erlebnissen, bei denen ich es echt krachen lasse.
Umgang mit Künstlern gibt mir Kraft. Sieh
mal, wir haben Künstler, die nie wahrgenommen wurden. Und plötzlich passiert es.
Beckers: Das wäre im Internet unmöglich. Erfolg ist bei uns planbar, predictable. Wenn
man als Internetunternehmer 20 Jahre keinen Erfolg hatte, dann hat man in Serie etwas falsch gemacht. Und welche Branche wird
heute nicht von der Digitalisierung erfasst?
Jetzt sind wir schon bei hochkomplexen Gütern wie der Finanzdienstleistung angekommen: Wo lege ich mein Geld am besten an?
Eines der Unternehmen, das wir aufbauen,
ermöglicht es, statt null Prozent Zinsen in
Deutschland etwa drei Prozent Zinsen bei einer
Bank im europäischen Ausland zu bekommen.
Reinboth: Leute, die unabhängig von Trends
abgefahrene, innovative Musik machen, kommen
manchmal ohne Marketing zum Erfolg. Und
die können bei uns am Label andocken. Wir machen für sie das Backing, das Administrative.
Beckers: Das gibt es auch in der Digitalindustrie. Aber man hört ja nur von denen, die es geschafft haben. Neun von zehn schaffen es nicht.
Reinboth: Ich glaube, viele scheitern mit ihrer
Musik, weil sie stehenbleiben und nicht weitergehen.
Beckers: Da schließt sich der Kreis. Situatives
Scheitern akzeptiere ich, Scheitern auf der
ganzen Linie nicht.
Beckers: Opening oder Closing Week?
Reinboth: Das schaffe ich leider nicht. Eher
Ende Juli, Anfang August. Ich bin Familienvater! Grundsätzlich habe ich meine tollsten Erlebnisse auf den Events. Immer, wenn ich mich
gefragt habe, ob wir nach einer Krise noch
einmal auf die Füße kommen, denke ich an
unsere Live-Geschichten. Der persönliche
Entrepreneur 02/2015
„Wir nehmen nur Künstler unter Vertrag,
von denen wir glauben, dass sie eine Vision
haben. Das Echte braucht Leidenschaft.“
Michael Reinboth
Zwischen analoger und digitaler Welt,
Maß und Risiko, Regel und Improvisation: HitFox-CEO Jan Beckers (links)
und Labelgründer Michael Reinboth.
Entrepreneure Erfahrung 31
Die
perfekte
Tasse
Kaffee
Als diplomierter Chemiker verfügt
Andrea Illy, Chef des italienischen
Espressoproduzenten illycaffè,
naturgemäß über eine gewisse Affinität zum Experiment. Der Enkel des
Unternehmensgründers wacht streng
darüber, dass jeder Schritt auf unbekanntes Territorium letztlich immer
nur eines zum Ziel hat: den besten
Espresso der Welt herzustellen.
Andrea Illy ist unablässig auf
der Suche nach neuen „Kaffeeparadiesen“ – so nennt der
Chef des italienischen Espressoproduzenten illycaffè jene
Anbaugebiete, die gerade gut
genug sind für seinen Kaffee.
D
ie Leute vom Toyota-Besucherservice wussten nicht
so recht, was sie mit diesem Gast aus Italien anfangen sollten,
der sich bei ihnen zu einer Werksvisite angemeldet hatte.
Sie waren ja gewohnt, dass Produktionsexperten aus aller
Welt zu ihnen nach Japan pilgerten und ihre Fabriken bestaunten. Alle wollten sie das berühmte Produktionssystem des
Autoherstellers, das Anfang der 90er mit seinen beispiellos
strengen Qualitätsstandards, Just-in-time-Fertigung und
traumseliger Produktivität als Nonplusultra der Fabrikationswelt galt, studieren und kopieren.
Aber was sollten sie mit Andrea Illy anfangen, dem Sohn eines
Kaffeeproduzenten aus dem fernen Italien? Das Familienunternehmen aus Triest hatte sich auf die Produktion von Espresso
spezialisiert. Das war dieser pechschwarze Kaffee, den man
aus lächerlich kleinen Tassen trank. Nun, Industriespionage
war von ihm eher nicht zu befürchten. Also gewährte man
ihm freundlich Einlass und führte ihn durch die Fabrikhallen.
Andrea Illy, damals ein junger Mann Mitte 20, schaute vermutlich genauer hin als die meisten anderen Besucher. Er war
auf der Suche nach Best-Practice-Beispielen in der Qualitätskontrolle. Und er wollte nur von den Besten lernen. Das Mekka
der Produktionsqualität, die Null-Fehler-Philosophie des Autokonzerns waren ihm gerade recht. „Ich hatte nur ein Ziel
vor Augen“, erinnert er sich an die erste von mehreren JapanReisen. „Es ging darum, den besten Kaffee der Welt herzustellen.“ Und wenn er dafür nach Japan fliegen und sich die
Autofabrik mit den weltweit rigidesten Qualitätsstandards
anschauen musste, dann war das eben so. „Von den damals
gewonnenen Erkenntnissen profitieren wir bis heute“, sagt
Andrea Illy, seit 1994 CEO und Präsident von illycaffè, der
Kaffeedynastie aus Triest. Als er damals nach Italien zurückkehrte, krempelte er das Qualitätsmanagement des eigenen
Unternehmens nach dem Vorbild des Autokonzerns um.
Das Streben nach Vollkommenheit, nach dem unübertrefflichen
Kaffeegenuss gehört zur Gründungslegende von illycaffè.
Andrea Illys Großvater Francesco hatte es während des Ersten
Weltkrieges aus dem heutigen Rumänien in die Hafenstadt
an der Adria verschlagen. Anfang der 30er-Jahre stieg er, nachdem er es vorher mit Gewürzen, Tee und Schokolade versucht
hatte, in den Handel mit Kaffee ein. Allerdings war er nicht
zufrieden mit der Qualität des Getränks. Damals jagte man
noch Wasserdampf durch das Pulver, um die Aromen zu lösen.
02/2015 Entrepreneur
32 Entrepreneure Erfahrung
Weil die Temperatur des Dampfes zu hoch war, schmeckte
der Kaffee ausgesprochen bitter. Illy suchte nach einer besseren Lösung. Er entwarf, bastelte, experimentierte – bis er
1935 die Illetta präsentierte, die Vorläuferin aller modernen
Espressomaschinen. Und ganz nebenbei erfand er die goldene
Formel der Espressozubereitung, jene bis heute gültige Gleichung aus Kaffeemenge, Wasserdruck, Wassertemperatur und
Durchlaufzeit: Mit einem Druck von exakt neun Atmosphären
jagt der kundige Barista den 90 Grad heißen Wasserstrahl 25
bis 30 Sekunden lang durch eine Schicht von sieben Gramm
fein gemahlenem und sorgfältig gepresstem Kaffee. Seit jener
Zeit ist Qualität die Triebfeder jeglichen Innovationsstrebens
bei illycaffè geblieben. So erfand Francesco Illy beispielsweise
das Überdruckverfahren – eine Methode, mit der sich die Aromen in der Bohne einschließen lassen. Jetzt war es erstmals
möglich, Kaffee in Dosen zu verpacken und lange aufzubewahren, ohne dass sich das Aroma verflüchtigte.
Unter dem heute 50-jährigen Andrea Illy, Enkel des Firmengründers und Maestro des authentischen italienischen Espressos, zelebriert illycaffè die Suche nach Verbesserungen
des Besten noch systematischer als unter seinem Vater
und seinem Großvater. Der Kaffee durchläuft nicht weniger
als 114 Qualitätskontrollen; jede einzelne Bohne wird mit
einer elektronischen Sortierung geprüft. Ein Team von Agrarwissenschaftlern, Chemikern und Biologen arbeitet in vier
Laboratorien am Ideal der perfekten Tasse Kaffee. Schon als
Kind war Andrea Illy beseelt von dem Wunsch, „Dinge perfekt in Ordnung zu bringen“. Wenn Freunde ihm ihre Fahrräder liehen, bastelte er daran herum, bis die Drahtesel kaum
noch wiederzuerkennen waren. Unter der Schulbank frisierte er Vespa-Motoren. Wäre er nicht in eine Espressodynastie hineingeboren worden, hätte er vielleicht als Autokonstrukteur Karriere gemacht. „Der Absolutist“ lautete
einmal die Schlagzeile eines Artikels über den Qualitätsperfektionisten. Gemeint war nicht eine sonnenköniglich un-
90 Grad Wassertemperatur, neun Atmosphären Druck, sieben Gramm fein
gemahlener Kaffee – so lautet die goldene
Regel für den perfekten Espresso.
Entrepreneur 02/2015
„Ich habe Chemie studiert, um besser
zu verstehen, was bei der Herstellung
und Zubereitung von Kaffee passiert.“
Andrea Illy
beschränkte Regentschaft über das Unternehmen, sondern
„unser kompromissloses Streben nach Qualität. Alles, was
wir tun, ist getrieben davon.“ Niemals stehe bei einer Innovation oder einer Verbesserung der Produktionsabläufe
eine schnöde Kostensenkung im Fokus, sagt Illy. Sollen die
anderen doch ihren Espresso im Supermarkt billiger anbieten – ihn kümmert das nicht. Nicht zuletzt bei den von ihm
belieferten Cafés, Bars und Restaurants – weltweit über
50 000 in 140 Ländern – wacht er streng darüber, dass sie
seine Qualitätsstandards penibel einhalten. Lokale, in denen sich die Klagen über minderwertig zubereiteten Espresso häufen, werden nicht mehr beliefert.
Dass er selbst Chemie studiert und damit eine gewisse Affinität zum Experiment entwickelt hat, erleichtert Illy das Verständnis der komplexen chemischen und physikalischen Vorgänge bei der Produktion und der Zubereitung von Kaffee.
„Das war letztlich der Grund für mich, Chemiker zu werden“, erzählt er, „ich wollte einen wissenschaftlichen Hintergrund bekommen, damit ich besser verstehe, warum manche Espressos beispielsweise unangenehm bitter schmecken,
wie angebrannt.“
Etwa 1 500 chemische Eigenschaften definieren den Charakter eines Kaffees. Nur eine kleine Abweichung, „ein nicht
korrekt eingestelltes Mahlwerk zum Beispiel – und schon ist
ein Espresso nicht so, wie er sein soll“. Und wie soll er sein?
Weich und samtig auf jeden Fall, mit einem Hauch von Bitterkeit, die allerdings erst nach etwa zwei Minuten einsetzt.
Illy schwärmt von einem „reichen Aroma mit Noten von Schokolade, geröstetem Brot, Honig und Karamell“. Der Espresso ist und bleibt für ihn die Quintessenz des Kaffeegenusses.
„Mit Espresso extrahieren Sie nur die besten Aromen des Kaffees.“ Anders als beim Konferenz-Wachmacher aus der großen Thermoskanne enden die Öle, Träger eines großen Teils
der Aromen, nicht in der Filtertüte, sondern können sich in
der Tasse verteilen und entfalten.
Erfolgreichstes Resultat der naturwissenschaftlichen Experimentierfreude im Hause illycaffè ist Iperespresso, ein Convenience-Espresso aus der Alukapsel. Nachdem Nestlé mit
seiner Nespresso-Kapsel den Kaffeemarkt kräftig aufgemischt hatte, sah sich auch Illy am Zuge. Bereits Jahre zuvor
waren seine Verfahrenstechniker auf eine Kapselvariante
gestoßen, als sie nach Alternativen zur traditionellen Weise
der Espressozubereitung suchten. Mit mathematischen Modellen und Labortests hatten sie verschiedene Varianten getestet – unter anderem eine Kapsel, die funktioniert wie eine
Brühkammer in zwei Phasen: Infusion und Emulsion. Seit der
Premiere von Iperespresso im Jahr 2007 lässt sich illy Kaffee
auch zu Hause genießen, ohne sündhaft teure Maschine. Und
ohne Abstriche bei der Qualität, betont Andrea Illy. „Iperespresso schmeckt nicht so ähnlich wie ein richtiger Espresso, es
ist ein richtiger Espresso.“
Auf weitgehend unerforschtes Territorium wagt sich Illy auch
bei der Suche nach neuen Kaffeeparadiesen. So nennt er jene
Anbaugebiete, die gerade gut genug sind für illy Kaffee, einen
Blend aus neun Arabica-Sorten aus 20 Ländern. Jede Region
bringt Kaffee mit einem charakteristischen Geschmacks- und
Aromaprofil hervor. Aus Indien beispielsweise bezieht Illy
Bohnen mit ausgeprägtem Bittergeschmack und intensiven
Noten von Kakao und geröstetem Brot, während äthiopischer
Kaffee vergleichsweise mild daherkommt, verziert mit blumigen Arabesken aus Jasminaromen.
Andrea Illy (50) führt das von seinem Großvater Francesco Illy im Jahr 1933 gegründete
Triester Familienunternehmen illycaffè seit 1994 als CEO und Präsident. Nach dem
Schulabschluss studierte er an der Universität Triest Chemie und begann seine Karriere
1990 im Unternehmen in der Qualitätskontrolle. Auf mehreren Reisen nach Japan erforschte er Best Practices im Qualitätsmanagement. illycaffè ist heute in 140 Ländern
vertreten; in mehr als 50 000 Cafés, Restaurants und Bars wird der Espresso aus Triest
serviert. 700 Mitarbeiter erwirtschafteten im Jahr 2013 einen Umsatz von knapp 374 Millionen Euro. Der Firmenchef selbst ist – was das eigene Produkt betrifft – ein maßvoller
Genießer: In der Regel trinkt er vier Tässchen Espresso pro Tag. Ohne Zucker natürlich.
Ein Team aus 14 Agrarwissenschaftlern reist in Illys Auftrag
das ganze Jahr in der Welt umher und scannt die Kaffeeanbaugebiete nach neuen Bezugsquellen – nach Kaffeebauern,
die in der Lage sind, zuverlässig höchste Qualität zu liefern.
Vor einigen Jahren führte ihr Weg die Kaffee-Scouts erstmals
auch nach China. Vor allem in den Bergen der Provinz Yunnan,
übersetzt „südlich der Wolken“, an der Grenze zu Vietnam, Laos
und Myanmar, haben sich einige Kooperativen auf Kaffeeanbau spezialisiert. Illys Berater helfen ihnen, ihre Anbaumethoden
zu verbessern. „Wir haben mit ihnen im experimentellen Maßstab angefangen“, berichtet Andrea Illy, „mit kleinen Mengen,
wie in einem Labor. Und jetzt führen wir sie Schritt für Schritt
an unsere Qualitätsstandards heran.“ Illy kauft den Bauern die
Bohnen stets direkt ab. Dadurch erhalten sie rund 30 Prozent
mehr als das, was die Händler ihnen sonst zahlen. „Wer mit uns
arbeitet, hat eine langfristige Perspektive“, sagt der Espressomogul aus Triest. „Auf der Suche nach neuen Produzenten
scheuen wir das Experiment nicht – aber wenn es erst einmal
geglückt ist, bleiben wir unseren Lieferanten treu.“
Andrea Illy
02/2015 Entrepreneur
Entrepreneure Vorbild 35
Der Macher
Aus bescheidenen Anfängen hat der sudanesische Entrepreneur Ihab Daoud Abdellatif
ein modernes agroindustrielles Unternehmen
geschmiedet. Der kluge Stratege setzt dabei auf
einheimische Rohstoffe und ein partnerschaftliches Verhältnis zu seinen Lieferanten.
Innovative Konzepte entwickelt er gern unter
Rückgriff auf landestypische Traditionen.
E
s gab Zeiten, da hätte sich
Ihab Daoud Abdellatif
nicht vorstellen können,
einmal derart inspiriert
über die Milchleistung
von Kühen zu berichten.
„Wenn sie wüssten, wie
viel Milch unsere Tiere geben, wären die
Bauern in manchen europäischen Ländern
sicher ein wenig neidisch auf uns“, erzählt
der Managing Director von DAL Food. Das
sudanesische Agrar- und Nahrungsgüterunternehmen nennt fast 7 000 HolsteinRinder sein Eigen – eine Rasse, die für
ihre Robustheit und ihre gute Milchleistung
bekannt ist. „Unsere Holstein-Rinder liefern im Schnitt fast ein Viertel mehr Milch
als ihre Artgenossinnen in westlichen
Industrieländern“, berichtet Ihab Daoud
Abdellatif stolz. Schließlich würden sie
auch besonders gut und reichlich versorgt –
mit bestem Futter von eigenen Feldern.
Ihab Daoud Abdellatif
Ihab Daoud Abdellatif setzt
auf einheimische Rohstoffe und
Lieferanten. Das von ihm
geführte Nahrungsgüterunternehmen DAL Food zählt zu
den wenigen Hoffnungsträgern
der sudanesischen Wirtschaft.
Das von Ihab Daoud Abdellatif geführte Agrar- und Nahrungsgüterunternehmen DAL Food gehört zum Mischkonzern
DAL Group, mit 7 000 Beschäftigten und einem geschätzten
Jahresumsatz von 1,5 Milliarden Dollar das größte Unternehmen im Sudan. Die Geschichte des Unternehmens spiegelt
die allmähliche Emanzipation von der Kolonialmacht wider.
1951 gründeten zwei britische Geschäftsleute den Vorgänger
der heutigen DAL Group, der den Vertrieb von CaterpillarBaumaschinen übernahm. 1966, zehn Jahre nach der Unabhängigkeit des Landes, übertrug Caterpillar den Vertriebskontrakt an Ihabs Vater Daoud. Den Briten blieb eine Minderheitsbeteiligung, bevor sie in den 70er-Jahren vollständig
abgefunden wurden. Seitdem befindet sich die DAL Group
im Besitz der Familie Abdellatif.
Ihab Daoud Abdellatifs Aufstieg zum Manager und größten Milchbauern des Landes war nicht unbedingt geplant. Als er
1985 nach seinem MBA-Studium in London
in sein Heimatland zurückkehrte, wollte
er seinem älteren Bruder Osama zur Seite
stehen. Der führte schon damals die Geschäfte der DAL Group, eines Mischkonzerns, der in fast allen Wirtschaftssektoren des Landes tätig ist. DAL baut, asphaltiert und betoniert, versorgt den Sudan
mit Arzneimitteln, Baumaschinen, Mercedes-Pkws, Milchprodukten und Coca-Cola,
betätigt sich als Immobilienentwickler und
betreibt große Farmen. Ihab rechnete mit
einer Einstiegsposition bestenfalls im unteren Management. Dort wollte er sich die
ersten Sporen verdienen.
Osama jedoch übertrug dem jüngeren Bruder gleich die Leitung der gerade erst gegründeten Landwirtschaftssparte. „Das
war ein Sprung ins kalte Wasser“, erinnert sich Ihab Daoud Abdellatif. „Ich hatte
ja keinerlei praktische Managementerfahrung – und von Landwirtschaft verstand
ich auch kaum etwas.“ Die materielle Ausstattung der neuen Unternehmensdivision
war anfangs recht übersichtlich. Ein paar
Felder, eine Handvoll Traktoren und Pflüge
sowie 50 Kühe, das war’s.
Aus diesen bescheidenen Anfängen hat
Ihab Daoud Abdellatif die Landwirtschaftsund Nahrungsgütersparte der DAL Group
zielstrebig auf- und ausgebaut – immer in
dem Bewusstsein, wie essenziell Agrarwirtschaft und Lebensmittelindustrie in
einem Land sind, das kaum in der Lage ist,
seine Menschen ausreichend zu ernähren.
Die 7 000 Kühe sind ein zentraler Baustein der Unternehmensstrategie von
DAL Food, das mittlerweile etwa 80 Prozent des Umsatzes der Unternehmensgruppe erwirtschaftet. Die komplette
Milchverarbeitungskette, vom Futteranbau über die Viehhaltung, eine Molkerei
und eine Milchpulverfabrik bis zum Verkauf und landesweiten Vertrieb von Milch,
Joghurt, Schlagsahne und Käse unter der
Marke Capo, ist einzigartig auf dem afrikanischen Kontinent. „Wir nennen es ‚Milchrevolution‘“, sagt Ihab Daoud Abdellatif stolz.
Ein enorm wichtiger Schritt in Richtung
modernes agroindustrielles Unternehmen
war die Eröffnung der größten Molkerei
des Landes vor fünf Jahren. „Dank dieser
Großmolkerei können wir pasteurisierte
Milch erstmals zu einem Preis anbieten,
den sich auch der Durchschnittshaushalt
leisten kann“, erklärt Abdellatif. Ein Glas
Milch pro Tag für jedes Kind im Sudan.
Ein kleiner Schritt? Ein großes Vorhaben.
Abdellatif setzt, wo immer das möglich ist,
auf einheimische Lieferanten und Rohstoffe aus dem eigenen Land. Das sichert
Jobs, schafft Einkommen, stärkt die Zulieferer und spart knappe Devisen. Im vergangenen Jahr beispielsweise kaufte DAL
Food in China zehn Treibhäuser, in denen
jetzt Gemüse gezogen wird, das nicht
mehr teuer importiert werden muss. All
die Jahre zuvor waren vielerorts Treibhäuser abgerissen worden, weil man den
Grundbesitzern eingeredet hatte, dass
sie mit dem Verkauf ihres Bodens an Immobilienentwickler mehr Profit machen
konnten als mit dem Gemüseanbau. So
kam es, dass man im Sudan im Sommer
für ein Kilo Tomaten mitunter mehr bezahlte als für ein Kilo Fleisch.
Mit seinen Lieferanten praktiziert das Unternehmen eine ausgesprochen faire Partnerschaft. So zahlt DAL Food den Kleinbauern einen höheren Milchpreis als andere
Molkereien und steht ihnen außerdem mit
technischer Beratung und tierärztlichem
Service zur Seite. Wer sich näher mit dem
Unternehmen beschäftigt, stößt immer
wieder auf Beispiele für die Synthese aus
gelebter Corporate Social Responsibility
und der erfolgreichen Suche nach neuen
Geschäftsfeldern. So trug eine Initiative
von DAL Food entscheidend dazu bei, den
02/2015 Entrepreneur
36 Entrepreneure Vorbild
Expertise Innovationskultur 37
Sorghumhirse war traditionell
Bestandteil fast aller Brotsorten im Sudan. Mit moderner
Produktionstechnik verhalf
DAL Food dem Hirsemehl zu
einem Comeback.
krebserregenden Mehlzusatz Kaliumbromat aus den Bäckereien des Landes fast
vollständig zu verbannen. Abdellatif wartete nicht ab, ob das von der Regierung
dekretierte Verbot der Chemikalie Wirkung
zeigte, sondern initiierte ein eigenes landesweites Projekt. Bis heute wurden mehr
als 5 000 Bäckereien und Haushalte darin
geschult, wie sie – mit Mehl aus den Mühlen
von DAL Food – auch ohne Kaliumbromat
gutes Brot backen.
Innovative Ideen entwickelt das Unternehmen mitunter auch mal unter Rückgriff auf
landestypische kulturelle Traditionen. Bestes Beispiel ist Zadna (übersetzt „unser
Lebensmittel“), ein Mehl aus Sorghumhirse.
Hirsemehl, früher Bestandteil fast aller
Brotsorten und Breigerichte im Sudan, war
in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend von länger haltbarem Weizenmehl
verdrängt worden – das aber importiert
werden muss. Als während der Hungersnot
der Jahre 2007/2008 die Weizenpreise
explodierten, entwickelte DAL Food gemeinsam mit den Herstellern von Mühlenequipment als erstes Unternehmen im Sudan
ein Verfahren zur industriellen Herstellung
von Mehl aus Sorghum zu einem bis dato
unerreicht günstigen Preis – und verhalf
dadurch diesem traditionellen Lebensmittel zu einem grandiosen Comeback.
Mit mehr als 7 000 Beschäftigten und
einem geschätzten Jahresumsatz von
1,5 Milliarden US-Dollar ist die DAL Group
heute das mit Abstand größte Unternehmen im Sudan – einer der wenigen
Leuchttürme in der Unternehmenslandschaft dieses Landes, das zur Kategorie
der „Least Developed Countries“ zählt.
Ihab Daoud Abdellatif malt die wirtschaftliche Situation seines Landes nicht schön.
So sei es selbst für erfolgreiche Unternehmer aus dem Sudan ausgesprochen schwierig, einen Bankkredit zu bekommen, erzählt er. Es gebe nun mal nicht allzu viele
gut beleumdete ausländische Geldhäuser,
die sich auf Geschäfte mit Unternehmen
Entrepreneur 02/2015
Neue Beweglichkeit
Wie Unternehmen Freiräume für Experimente
schaffen, um die Chancen des Innovationszeitalters
aktiv zu nutzen.
Von Markus Heinen, Dr. Philipp Wagner, Dr. Susanne S. Wosch
aus dem krisengeplagten Land einlassen.
Und wenn doch, dann können sie die Zinskonditionen diktieren. „Es reicht ihnen
nicht, wenn wir ihnen einen Arm hergeben“,
sagt er, „nein, sie verlangen auch noch
ein Bein.“ Abdellatif hebt resignierend die
Schultern und flüchtet sich in Sarkasmus.
„Nun ja, wer sich in der Position des Bettlers befindet, darf nicht wählerisch sein.“
Die oft prekäre Situation mündet bei den
Brüdern Abdellatif allerdings nicht in Tatenlosigkeit, sondern in Initiative. So hat
die politische Führung den Ausbau und den
Unterhalt der Infrastruktur sträflich vernachlässigt; das öffentliche Transportwesen
befindet sich in desaströsem Zustand. Also
investierten die Abdellatifs selbst massiv in
Transportkapazitäten, damit ihre Produkte
frisch und pünktlich den Bestimmungsort
erreichen. „Wir verfügen mittlerweile über
„Mit Hilfe modernster
Produktionstechnik
konnten wir
einigen traditionellen
sudanesischen
Lebensmitteln zu
einer Renaissance
verhelfen.“
Ihab Daoud Abdellatif
eigene Züge mit insgesamt 300 Waggons“,
zählt Osama Daoud Abdellatif auf, „außerdem haben wir eine eigene Lastwagenflotte mit 700 Fahrzeugen aufgebaut. Auch die
Depots und Lagerhäuser für unsere Waren
haben wir größtenteils selbst errichtet.“
Wer von Ihab Daoud Abdellatif zitierfähige
Sätze über den ökonomischen Unverstand
der islamistischen Führung erhofft, wird
enttäuscht. Schon sein Vater habe sich komplett aus der Politik herausgehalten, „und
genauso halten es mein Bruder und ich.
Täten wir das nicht, würde das Unternehmen
im kommenden Jahr nicht sein 50-jähriges
Bestehen feiern.“ „Man kann Politiker sein
oder Geschäftsmann“, erklärt sein Bruder,
„beides gleichzeitig geht im Sudan nicht.“
Für die „Kunst, sich als Unternehmer in
einem herausfordernden Umfeld zu behaupten“, haben die Brüder einen eigenen
Begriff geprägt: „Reliagility“ – eine Wortschöpfung aus „Reliability“ und „Agility“.
„Verlässlichkeit und Vertragstreue sind
unverzichtbare Grundtugenden“, erklärt
Ihab Daoud Abdellatif, „aber im Sudan,
wo sich die Bedingungen täglich ändern
können, muss man als Unternehmer auch
extrem schnell und wendig sein.“ Sein
Motto: „Versuche zu erahnen, was auf dich
zukommt, und bereite dich darauf vor –
dann gelingt es dir, den Nackenschlägen
auszuweichen.“„Wir haben alle politischen
Wechsel überlebt“, erklärt sein Bruder,
„von links nach rechts, von sozialistisch
nach islamistisch. Und die Regierungen
haben uns letztlich in Ruhe gelassen – weil
sie uns als Geschäftsleute sehen, die sich
aus der Politik strikt heraushalten. Man
kann Politiker sein oder Geschäftsmann.
Beides gleichzeitig geht nicht.“
Sie war das beherrschende Thema der diesjährigen CeBIT – die schnell voranschreitende
Digitalisierung aller Lebensbereiche und ihr
umfassender Einfluss auf die Wirtschaft. Das
griffige Schlagwort lautet: Diconomy! In der
Praxis bedeutet es nach einhelliger Meinung
aller Fachleute: Industrie, Handel, Dienstleistungen – sämtliche Branchen und Unternehmen stehen vor elementaren Umwälzungen.
verarbeiten, neu interpretieren und nutzen. Den
Unternehmen, denen die digitale Transformation gelingt, bieten sich aussichtsreiche Entwicklungspotenziale. Dabei spielt ihre Größe nur eine
untergeordnete Rolle. Nicht nur die großen,
kapitalkräftigen Akteure haben in diesem Szenario ihre Chance, sondern auch kleine und
mittlere Unternehmen sowie innovative Newcomer. Das ist die schöne Seite der neuen Welt.
Erste Praxisbeispiele zeigen, wie sich in der
Industrie der nahen Zukunft, der Industrie
4.0, Fabriken selbst steuern. Wie sich über
Netzwerke zudem die Produktionslinien von
Zulieferern und industriellen Abnehmern
selbstständig koordinieren und ihren Takt automatisch untereinander abstimmen. Nach
Einschätzung von Experten sind damit Produktivitätssteigerungen von bis zu 30 Prozent möglich.
Die weniger erfreuliche Seite, zumindest für
die etablierten Firmen, ist die Tatsache, dass
alte Gewissheiten nicht mehr gelten. Einst
höchst unterschiedliche Branchen konvergieren, lange Zeit erfolgreiche Geschäftsmodelle
kollabieren. Der einstige Computerhersteller
Apple etwa ist längst zum Vorreiter in der Unterhaltungs- und Kommunikationstechnologie
geworden, mischt mit Angeboten wie iTunes
aber auch die Musikbranche auf und wird heute wiederum von jungen Unternehmen wie
Spotify attackiert. Der Suchmaschinenanbieter Google hat sein Portfolio über seine zahlreichen Internetdienste hinaus auf Felder wie
Robotik, künstliche Intelligenz oder Gebäudeund Energiemanagement ausgedehnt und
fordert damit die auf diesen Gebieten tätigen
Unternehmen heraus.
Social Media, das mobile Internet und auch
Cloud Computing verändern das Konsumentenverhalten so schnell wie nie zuvor, bieten
Unternehmen aber zugleich auch die Chance, ihren Kunden näherzukommen als je zuvor, sie besser zu verstehen und dementsprechend Produkte und Dienstleistungen
maßgeschneidert zu gestalten. Die Kunden,
lange eine anonyme Masse, die abnehmen
mussten, was die Unternehmen ihnen anboten, werden zu differenzierten Individuen
und „Prosumern“.
Die Vielzahl der generierten Daten, Big Data,
eröffnet den Unternehmen beim Einsatz entsprechender Analysetools zudem detaillierte
Einblicke in die eigenen Abläufe und die Welt
da draußen – mit entsprechenden Möglichkeiten zu Optimierung und Innovation. Die Nase
vorne haben werden dabei künftig jene, die
die vorhandenen Informationen am klügsten
Die Ära der Innovationen
Nach einer Zeit, in der vor allem die Effektivität
von Technologien und die Effizienz der Prozesse zählten, beginnt für die Unternehmen
nun die Ära der Wertschöpfung durch Innovation. Um im Wettbewerb zu reüssieren, brauchen sie einen konstanten Fluss an neuen
Produkten, Prozessen und vor allem auch an
neuen Geschäftsmodellen.
Sobald sich dieser Innovationsfluss verlangsamt, dürften viele Unternehmen von schnel-
leren und einfallsreicheren, oftmals kleineren
oder völlig neuen Konkurrenten überholt
oder sogar aus dem Markt gedrängt werden.
Das Problem dabei: In vielen gestandenen
Unternehmen wird diese Gefahr oft nicht oder
zu spät erkannt. Sie fokussieren ihre Innovationsaktivitäten auf die Entwicklung und
Verbesserung bestehender Leistungsangebote und Geschäftsfelder. Dabei verlieren sie
Wettbewerber, die neue Geschäftsfelder entdecken und mit innovativen Leistungsangeboten Kunden völlig neue Wertversprechen
machen, aus dem Blick oder erkennen diese
erst als Bedrohung, wenn es schon zu spät ist.
Der renommierte Innovationsforscher Clayton
Christensen, Professor an der Harvard Business School, nennt diese Problematik das Innovator’s Dilemma. Die meisten Innovationen
in etablierten Feldern zielen auf Verbesserungen des Bestehenden. Die in einer Branche
dominierenden Firmen führen dabei meist die
Weiterentwicklung an. Anders sieht es aus,
wenn es zu einem Bruch kommt, ein völlig neuer Ansatz die bisher vorherrschende Technologie oder das Geschäftsmodell ablöst.
Fast immer verlieren bei sogenannten disruptiven Innovationen die bis dato führenden
Unternehmen ihre Spitzenposition oder
werden sogar ganz aus dem Markt gedrängt.
Dies resultiert daraus, dass derartige Entwicklungen von den Traditionsunternehmen
überhaupt nicht wahrgenommen werden –
oder zwar wahrgenommen, aber als irrelevant
abgetan werden bzw. die Reaktionen darauf
sind falsch. Ursachen hierfür sind oftmals
eine gewisse Risikoscheu sowie das Fehlen
von visionärer Kraft und Beweglichkeit, die
die Etablierten vermutlich am Anfang der
eigenen Unternehmensgeschichte einmal
selbst hatten.
02/2015 Entrepreneur
38 Expertise  Innovationskultur
39
Bedeutung und Auswirkungen der Digitalisierung
für die Geschäftsmodelle von Unternehmen
Mit der Digitalisierung befinden wir uns jetzt in
einer ausgeprägten Phase der disruptiven
Innovationen, die meist völlig neuen Herstellungsund Kommerzialisierungslogiken folgen.
Bei nahezu sieben von zehn Unternehmen spielen digitale Technologien inzwischen eine große
oder sehr große Rolle für das eigene Geschäftsmodell und jedes dritte Unternehmen rechnet mit
einer weiter stark steigenden Bedeutung digitaler Technologien für das eigene Geschäftsmodell.
Grafik 1: „Spielen digitale Technologien für
das Geschäftsmodell Ihres Unternehmens
derzeit eine Rolle?“
Grafik 3: „Bewerten Sie die zunehmende
Digitalisierung der Wirtschaft für Ihr Unternehmen in erster Linie als Bedrohung oder
als Chance?“
Grafik 2: „Erwarten Sie, dass die Bedeutung
digitaler Technologien für das Geschäftsmodell
Ihres Unternehmens in den kommenden fünf
Jahren steigen wird?“
4
17
24
29
32
32
64
14
Interessanterweise sind daran meist auch die
eigenen Kunden schuld, die mit ihren Wünschen das Unternehmen in eine Art Geiselhaft
nehmen und die Wahrnehmung neuer Kundengruppen und -bedürfnisse verhindern. Scheinbar haben die Unternehmen alles richtig gemacht, wenn sie die gesamte Organisation strikt
auf eine kundenorientierte Verbesserung ihrer
Leistungsangebote ausrichten – und am Ende
damit doch auch alles falsch.
Bruch mit der Vergangenheit
Ohne Zweifel befinden wir uns mit der Digitalisierung jetzt in einer ausgeprägten Phase der
disruptiven Innovationen. Diese stellen nicht
nur neue Wege zur Lösung von Kundenproblemen dar, sondern folgen meist auch völlig
neuen Herstellungs- und Kommerzialisierungslogiken. Es entstehen nicht nur neue Produkte
und Dienstleistungen, sondern auch völlig
neue Geschäftsmodelle.
Beispiel Mobilität
Schon heute helfen Smartphones bei der
Parkplatzsuche und berechnen die effizienteste Route. In naher Zukunft können
Autos mit ihnen gesteuert werden. Auch
hier wollen Google und Apple mitmischen.
Oder Autos fahren ohnehin selbst, kommunizieren untereinander und optimieren so
die Verkehrsflüsse oder informieren Halter
und Hersteller über anstehende Reparaturen.
Beispiel Handel
Das Internet hat sowohl den Einzel- als auch
den Versandhandel revolutioniert. Die
Digitalisierung von Angebotsdarstellung,
Bestellung und Logistik ermöglicht eine
riesige Produktauswahl und schnelle Lieferung selbst in entlegenere Gegenden. Der
nächste Schritt ist die digitale Objekterkennung. Man macht mit dem Smartphone
irgendwo ein Foto vom Wunschprodukt.
Binnen Sekunden erhält man alle relevanten Informationen und kann die Ware bei
Bedarf sofort online bestellen.
Gerade für ein Hochtechnologieland wie
Deutschland mit seiner starken Ausrichtung
auf den Export, in dem neben Konzernen auch
viele Mittelständler Marktführer in ihren Branchen sind, ist es von vitalem Interesse, sich
intensiv Gedanken darüber zu machen, welche
Implikationen die digitale Transformation für
die Unternehmen haben wird. Die Unternehmensführung muss die Potenziale für das eigene Geschäft erkennen. Klar formulierte Ziele
und eine übergreifende Digitalisierungsstrategie bilden die Grundlage für eine prosperierende Entwicklung.
Entrepreneur 02/2015
In Summe bedeutet dies, neue Technologieund Marktopportunitäten zu verstehen und
entsprechende neue Kompetenzen aufzubauen sowie Kunden neu und anders zu verstehen. Neue, digitale Geschäftsmodelle stellen dabei oft ganz andere Anforderungen als
das traditionelle Business.
Vor allem aber muss das interne Management
von Innovationen überdacht werden. Noch
werden nach unserer Erfahrung im Innovationsmanagement vieler Unternehmen Verbesserung und Effizienzsteigerung des bestehenden
Angebots als Ziele zu wichtig genommen.
Deutsche Firmen sind absolut führend, wenn es
darum geht, in bekannten Feldern Innovationen voranzubringen und zu skalieren. Strategie,
Kultur und die meist linearen Vorgehensweisen des Innovationsmanagements sind in diesem Sinne hocheffizient, doch sie eignen sich
weniger dazu, völlig neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle zu kreieren.
Angesichts der zuvor skizzierten Situation
müssen heutige Innovationsansätze aber offener und dynamischer werden, mit größerem Gewicht auf Experimentierfreude, der Lust
am Ausprobieren, Lernen aus Fehlern und
Erfahrungen sowie der schnellen Anpassung
von Vorgehensweisen.
Was also können die Unternehmen tun, um
dem Innovator’s Dilemma zu entgehen? Wie
können sie den Spagat schaffen, ihr Kerngeschäft zu betreiben und neben den etablierten gleichzeitig völlig neue Geschäftsaktivitäten aufzubauen?
Es wäre wohl fahrlässig, das bewährte Innovationsmanagement eines Unternehmens
insgesamt auf den Kopf zu stellen, durch die
vorschnelle Aufgabe von erprobten Produkten und deren konsequenter Verbesserung
40
Ja, eine sehr große
Kaum Gar nicht
Ja, eine mittelgroße
44
Ja, deutlich
Ja, leicht
Eher Chance Weder Bedrohung noch Chance
Eher Bedrohung
Nein
Grafik 4: „Inwiefern sehen Sie eine Chance?“
Direkter Zugang zu Kunden
Neue Kunden/Zielgruppen
Einfachere Markterschließung
Besseres Wissen über Kundenwünsche/Personalisierung
Neue Produkte/größere Vielfalt der Produkte
Neue Kompetenzfelder und veränderte Arbeitsabläufe
Erhöhung der Margen durch attraktive/differenzierte Geschäftsmodelle
0 Die große Mehrheit der Unternehmen sieht
in der voranschreitenden Digitalisierung
der Wirtschaft in erster Linie eine Chance –
nur jedes 25. Unternehmen bewertet die
Digitalisierung als Bedrohung. Die größten
Potenziale werden mit einem direkteren
Zugang zu bestehenden und neuen Kunden
sowie den Möglichkeiten, deren Wünsche
besser identifizieren zu können, verbunden.
Nur geringe Bedeutung messen die Unternehmen den Implikationen für ihr Geschäftsmodell zu. Und etwa ein Drittel der Unternehmen sieht für sich heute überhaupt keine
Relevanz in diesen Entwicklungen.
Ergebnisse einer Umfrage zur Digitalisierung
unter 1 025 Unternehmen in zwölf Ländern im
Jahr 2014.
5 10 15 20 52 %
9 %
25
30
35
der Unternehmen erwarten,
dass branchenfremde Akteure in
nennenswertem Umfang in die
eigene Branche expandieren
werden(unterstützt durch die
zunehmende Digitalisierung).
Nur
der Unternehmen kooperieren
mit Start-up-Firmen aus der
Digitalwirtschaft.
Quellen: EY
02/2015 Entrepreneur
40 Expertise  Innovationskultur
41
Der „Entrepreneurial Spirit“ eines Unternehmens,
die Fähigkeit offen, kreativ und flexibel
Neues anzugehen, muss wieder neu belebt werden.
Konflikt
• Bekannt und hohe
Kompetenz
• Kurzfristorientierung
• Unmittelbare Ergebnisse
• Hohe Sicherheit
und geringes Risiko
• Planbar
Innovation in
bestehenden
Geschäftsfeldern
Bestehende Innovationsmanagementsysteme
hocheffizient
die wirtschaftliche Basis der Organisation in
Gefahr zu bringen. Um verlässlich im großen
Rahmen und global aktiv zu sein, bedarf es in
Forschung und Entwicklung wie in allen anderen Unternehmensbereichen detailliert und
strikt geplanter und kontrollierter Prozesse.
Gleichzeitig ist aber zu fragen, wie der „Entrepreneurial Spirit“, offen, kreativ und flexibel
Neues anzugehen, den das Unternehmen in
seinen Anfängen ja ganz zweifellos hatte, wieder neu belebt werden kann.
Freiräume für Versuch und Irrtum
Der erste Schritt ist, Führungskräfte und Mitarbeiter in der Organisation zu identifizieren,
Entrepreneur 02/2015
Innovation in
neuen
Geschäftsfeldern
Neue, andere Ansätze
für das Innovationsmanagement nötig
die dem Neuen gegenüber besonders aufgeschlossen und experimentierfreudig sind. Solche Innovatoren zeichnen sich durch folgende
Eigenschaften aus: Sie sind
• N
etzwerker – sie tauschen sich gern mit Menschen aus, die sehr unterschiedliche Standpunkte, Ideen und Perspektiven vertreten;
•
Experimentatoren – sie probieren gern
Unbekanntes aus, besuchen fremde Orte
und suchen nach neuen Informationen,
um zu unorthodoxen Antworten zu kommen und so auf neue Ideen zu stoßen;
• Beobachter – sie untersuchen detailliert
das Verhalten von Kunden, Lieferanten
und Wettbewerbern, um neue Handlungsansätze zu identifizieren;
• Unbekannte und geringe
Kompetenz
• Langfristorientierung
• Keine unmittelbaren
Ergebnisse
• Hohe Unsicherheit
und großes Risiko
• Nur wenig planbar,
eher experimentieren
Quelle: EY
• F
ragesteller – sie stellen unbequeme und
manchmal lästige Fragen, die die allgemeine Haltung zu bestimmten Themen
herausfordern. Sie achten dabei mehr auf
neue Einsichten als auf fertige Antworten;
•
Kombinierer – sie ziehen Verbindungen
zwischen Fragen, Problemen und Ideen
aus Bereichen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Innovative Denker
haben die Gabe, Verbindungen zwischen
Dingen herzustellen, die andere als völlig
disparat beurteilen.
Soll dieser Geist tatsächlich Bewegung ins
Unternehmen bringen, dann brauchen Innovatoren mit den genannten Eigenschaften
Markus Heinen
[email protected]
Dr. Philipp Wagner
[email protected]
Dr. Susanne S. Wosch
[email protected]
EMEIA Strategy Leader
Partner
EY Advisory Services/Strategy
Senior Consultant
EY Advisory Services/Strategy
Biochemikerin
Senior Manager
EY Advisory Services/Strategy
den Auftrag und die uneingeschränkte Unterstützung des Topmanagements. Zudem
benötigen sie Freiräume zum Experimentieren,
in denen analog dem Motto von Facebook
„Move fast and break things“ weniger planen
und mehr handeln die Devise ist. In denen
sie Ideen mit einem schnellen, iterativen und
adaptiven Vorgehen ausprobieren können,
Prototypen von Produkten bauen und unter
realen Bedingungen testen können, auch
wenn diese Prototypen von der Praxisreife noch
weit entfernt sind. Freiräume, in denen Fehler kein Versagen, sondern Lernerfolge sind.
Die Lösung sind „Anbauten“ an die bestehende Organisation. Spezifische organisationale
Einheiten, die nicht direkt in die Strukturen
und Prozesse der Kernorganisation eingebunden sind und die damit Freiräume zum Experimentieren mit der Zukunft schaffen; geschützte Räume, die nicht den Anforderungen des
Kerngeschäfts unterworfen sind, die Platz und
Zeit bieten, Dinge anders zu machen. In solchen
Brutkästen für Innovationen, den sogenannten
Inkubatoren, ist es möglich, die eigenen Mitarbeiter unter Start-up-Bedingungen arbeiten
zu lassen oder direkt mit Start-ups und anderen innovativen Unternehmen gemeinsam
neue Ideen zu entwickeln und auszuprobieren – somit von der Wendigkeit „junger“ Entrepreneure zu profitieren (siehe auch S. 48).
Innerhalb dieser Freiräume sollten die Beteiligten weitreichende Autonomie haben und
mit so wenig Bürokratie belastet werden wie
möglich. Zugleich muss sichergestellt werden, dass der Kontakt zwischen dem etablierten „Mutterschiff“ und dem agilen „Schnellboot“ nicht abreißt; am besten gelingt dies
durch dezidierte Kommunikationsformate,
regelmäßigen Austausch und durch Mittler,
die sich in beiden Kulturen zu Hause fühlen.
Während jeder Inkubator unternehmensspezifisch ausgestaltet sein muss, ist eines für
alle unabdingbar – das Commitment des Topmanagements. Die Unternehmensspitze muss
sich als Katalysator verstehen, der die Veränderung der gesamten Organisation zu neuen Formen von Innovation beschleunigt. Es
muss klare Vorgaben im Rahmen einer ganzheitlichen Innovationsstrategie dafür geben,
welche Vorhaben den bewährten Pfaden folgen sollen und welche eher experimentellen
Charakter haben. Beide Kulturen sollten nebeneinander existieren, sich respektieren und im
besten Fall gegenseitig inspirieren.
Vorteile durch Inkubatoren
• Zugang zu neuen Ideen, Technologien und Kompetenzen
• Identifikation relevanter fundamentaler Innovationsentwicklungen
• Kooperative Entwicklung von
Innovation in geschütztem Umfeld
• Beförderung von Kreativität
und Innovativität
• Steigerung des Innovationspotenzials
• Generierung neuer Geschäftsaktivitäten und Sicherung
von Wettbewerbsvorteilen
• Förderung des unternehmerischen Handelns und der
Innovationskultur
Im Zusammenhang mit einer derartigen Transformation ist es oft unabdingbar, dass sich die
Unternehmensführung grundsätzliche Gedanken über den ursächlichen Unternehmenszweck machen muss. Gerade unter Berücksichtigung der aufgezeigten Brüche und Entwicklungssprünge durch die Digitalisierung
wird es für viele Unternehmen unumgänglich,
die eigene Zielsetzung zu justieren, zu fokussieren oder neu zu definieren. Nach unserer
Ansicht und Erfahrung führt eine aus einem
klaren Unternehmensziel abgeleitete Veränderung der Organisation („Purpose-led transformation“) und der organisatorischen Abläufe
sehr schnell zu mehr Beweglichkeit, Reaktionsfähigkeit und neuen Innovationsansätzen.
Auch wenn ein etabliertes Unternehmen
schon aufgrund seiner Größe und Strukturen
nie wieder die Beweglichkeit seiner Anfangszeit oder eines konkurrierenden Start-ups erlangen wird, so kann es doch seinen eigenen
Innovationsansatz durch eine klare Zielsetzung
und die Integration neuer Denkansätze, etwa
durch den Aufbau von Inkubatoren, agiler gestalten. Mit der richtig formulierten Strategie
und einem adäquat gestalteten Innovationsmanagement können Unternehmen so auch
im Zeitalter der Innovation und unter den Anforderungen des schnellen Wandels dem
reinen Reaktionsmodus entkommen und die
vielfältig sich bietenden Chancen der Digitalisierung aktiv nutzen.
Unserer Erfahrung nach ist der Aufbau solcher
Inkubatoren mit dem Ziel, die Innovationskraft des Unternehmens insgesamt zu befeuern, keine einfache Fingerübung, sondern er
bedeutet eine grundlegende Transformation
hin zu mehr Flexibilität und Agilität des Innovationsmanagements in toto.
02/2015 Entrepreneur
Expertise  Dialog 43
„Es geht darum, das Prinzip zu begreifen, zu wissen:
Ich kann diese digitale Welt mitgestalten.“
Ein mechanischer Holzwebstuhl neben einem supermodernen 3D-Drucker,
im Design Research Lab der Berliner Universität der Künste findet das niemand
erstaunlich. Tradition trifft Internet – so entsteht der Stoff der Zukunft. Genau der
passende Hintergrund also für Hausherrin Gesche Joost, Designforscherin und
Internetbotschafterin der Bundesregierung, um mit Hubert Barth, Mitglied der
Geschäftsführung bei EY, die Herausforderungen der Digitalisierung zu diskutieren.
Fotos Wolfgang Stahr
Hubert Barth: Frau Joost, die Digitalisierung
bringt in Wirtschaft und Gesellschaft große
Veränderungen mit sich. Erprobte Geschäftsmodelle und Arbeitsweisen verändern sich.
Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie – vor allem aus Sicht der Wirtschaft?
Gesche Joost: Die entscheidende Frage ist:
Haben die Unternehmen im Kern verstanden,
was auf sie zukommt? Ich fürchte, teilweise
nicht. Ich glaube, Digitalisierung wird noch zu
oft reduziert auf Breitbandausbau, also eine
bessere Infrastruktur. Oder die Unternehmen
glauben, es reiche, ihr IT-Equipment ein bisschen zu optimieren. Wie Cloud Services besser
genutzt werden, Big-Data-Analysen stärker
eingesetzt werden und die Digitalisierung tiefgreifende Veränderungen notwendig macht,
das wird uns die nächsten Jahre beschäftigen.
Hier ist der Zeitfaktor kritisch, damit wir international wettbewerbsfähig bleiben. Dabei
gibt es viele spannende Chancen. Daten an
sich werden etwas wert. Sie sind die Währung
der Zukunft.
Barth: Wir als Beratungsgesellschaft beobachten, dass Unternehmen sich offenbar scheuen, in die Digitalisierung zu investieren. Es
gibt eine Vielzahl von IT-Systemen, die mittlerweile 20 Jahre alt sind. Viele Fertigungsabläufe basieren letztlich immer noch auf
mechanischen Prozessen. Die Unternehmen
sind es nicht gewohnt, mit digitalen Daten
umzugehen, die es ermöglichen würden, die
Prozesse zu beschleunigen.
Joost: Da gibt es in der Tat eine große Diskrepanz. Einerseits erleben wir unter dem Schlagwort Industrie 4.0 die komplette Digitalisierung der Fertigungsprozesse im Anlagenbau, im
Maschinenbau und in der Automobilindustrie
als vielversprechendes Szenario. Gleichzeitig
gibt es gerade im Mittelstand eine fast gegenteilige Situation. Die Herausforderung wird
darin bestehen, auch den Mittelstand auf die
Digitalisierung vorzubereiten. Es gilt, einerseits Vertrauen zu schaffen und die IT-Sicherheit zu verbessern und gleichzeitig die Anwendungen so zu vereinfachen, dass selbst
ein kleinerer Mittelständler sie in seine Prozesse integrieren kann.
Barth: Einer unserer Klienten zum Beispiel,
ein mittelständischer Automobilzulieferer,
hat das Unternehmen seinem Enkel übergeben, der aus der digitalen Welt kommt. Der
Nachfolger hat defizitäre Geschäftsbereiche
allein dadurch profitabel gemacht, dass er
die Prozessketten anders aufgebaut hat, sich
jeweils gefragt hat: „Was ist die Aufgabe?
Was die Lösung?“ – und dabei auch auf Digitalisierung gesetzt hat. Das Thema scheint
also auch eine Generationenfrage zu sein.
Joost: Ich kenne es aus der eigenen Familie.
Meine Eltern hatten eine Druckerei. Da hat
die Digitalisierung bereits in den 80ern angefangen und den Bleisatz von Hand abgelöst.
Eine Zeitung zu setzen, das geschieht heute an
einem kleinen Laptop. Ein solches Umdenken
ist sicherlich schwierig, weil man traditionelle
Prozesse, handwerkliche Kenntnisse verliert
und über Bord werfen muss. Das ist ein teilweise schwieriger Ablösungsprozess.
Barth: Vor Kurzem war ein junger Entrepreneur
bei uns, der sich nicht weniger als den Bau der
Fabrik der Zukunft vorgenommen hat. Er will
eine Fabrik von der Seite der Digitalisierung
völlig neu denken, ohne Vorbedingungen. Und
er hat tatsächlich einen experimentierfreudigen Unternehmer gefunden, der ihm erlaubt
hat, eine seiner Fabriken vollkommen neu zu
konzipieren. Aber das ist die Ausnahme.
Schlaue Strickjacke: Im Notfall
reicht es, am Ärmel zu zupfen,
um die Rettung zu alarmieren.
Joost: Dieser Umbau der Prozessketten ist
total spannend. Das ist auch etwas, das wir
hier in unserem Bereich ausprobieren. Wir
arbeiten an Smart Textiles, intelligenten Stoffen. Das heißt, wir haben einerseits klassische Produktionsschritte für die Herstellung
von Kleidung. Die Zuschnitte für Kleidungsstücke werden digitalisiert, die Daten dann an
eine Strickmaschine, eine Webmaschine, teilweise auch an den 3D-Drucker geschickt. Dort
wird die Smartness in Form von Sensoren
gleich mit eingestrickt oder mit eingenäht.
02/2015 Entrepreneur
44 Expertise  Dialog
45
„‚Made in Germany‘ ist immer noch ein Qualitätssiegel. Wenn wir das, worin wir gut sind, nämlich die
Ingenieursperfektion, mit dem Schritt in die
Digitalisierung zusammenbringen, dann haben wir
eine reelle Chance im Wettbewerb.“
Hubert Barth
„Haben die Unternehmen im Kern verstanden,
was auf sie zukommt? Ich fürchte, teilweise nicht.“
Gesche Joost
Gleichzeitig wird eine App, die das Ganze steuert, auf das Smartphone gespielt, und heraus
kommt ein technisches System, das aussieht
wie ein normales Kleidungsstück. Es gibt in
Deutschland trotz des Niedergangs der Textilindustrie immer noch Weltmarktführer für
Web- und Strickmaschinen wie Dornier und
Stoll. Zu denen suchen wir gerade den Kontakt.
Wir wollen wissen, ob sie sich vorstellen können, etwa ein leitendes Garn zu verweben oder
kleine Sensoren in die Stoffe zu integrieren.
Barth: Aus meiner Erfahrung sind viele deutsche Unternehmen noch zu wenig experimentierfreudig. Die Unternehmen, auch derzeit
sehr erfolgreiche, verlieren einen Teil ihrer
Talente, weil der Prozess von der Idee über die
Genehmigung eines Projekts bis zur Realisierung oft zu lange dauert. Ich kenne eine Reihe
von Gründern, die ihre früheren Unternehmen
verlassen haben, um ihre Ideen selbst umzusetzen. Das Verwunderliche ist: Theoretisch
hätten diese Talente in den Unternehmen den
nötigen Support bekommen können, weil dort
die finanziellen Mittel vorhanden sind. Aber in
der Praxis wird ihnen genau das oft erschwert.
Joost: Haben Sie den Eindruck, dass gerade
deutsche Unternehmen Probleme haben,
einzelnen Mitarbeitern Freiräume zu geben?
Barth: Ich kann aus dem Stand vier, fünf Beispiele nennen, bei denen die Unternehmen in
dieser Beziehung einfach zu risikoscheu waren. Aber das ändert sich gerade. Im Medienbereich gibt es inzwischen einige Unternehmen, die sich an kleinen Start-ups beteiligen
und ihnen Freiraum lassen, sie nicht zwingend
in ihre Prozesse integrieren. Ich sehe hier für
die Unternehmen eine große Herausforderung,
das vorhandene Talent auch wirklich zu nutzen.
Wie machen Sie das hier an der Universität?
Entrepreneur 02/2015
Joost: Das ist eine wichtige Frage für uns: Wie
ziehen wir diese tollen Talente an? Sie sind
sehr anspruchsvoll, sie sind hervorragend ausgebildet. Man muss ihnen wirklich Freiräume
bieten. Deshalb verstehen wir uns hier auch
nicht als klassisches Forschungsinstitut, sondern als offenen Experimentierraum. Wir haben viele Kooperationen mit großen, internationalen Unternehmen, die genau das suchen.
Das ist aus meiner Sicht auch die Aufgabe für
Unternehmen: Welche Infrastrukturen müssen
sie schaffen, um Innovationen zuzulassen?
Ich teile Ihre Erfahrungen, was die Sperrigkeit
der Strukturen in vielen großen Konzernen
angeht. Aber ein isolierter Innovationsraum
im Unternehmen, der anderen Spielregeln
gehorcht, funktioniert meist auch nicht. Der
erfolgreichste Weg, denke ich, ist tatsächlich, sich mit jungen Start-ups, mit Experimentier-Labs zusammenzuschließen und dort
einfach etwas auszuprobieren. Internationale
Partner haben da oft eine größere Leichtigkeit. Wir haben zum Beispiel eine Notfallstrickjacke für Ältere entwickelt. Die sagen: Das
ist toll! Bringt das auf den Markt. Deutsche
Unternehmen fragen erst mal: Was ist mit dem
Datenschutz? Ist das denn waschbar? Ist es
technisch zertifiziert? Diese Art des Bedenkentragens ist manchmal schon schwierig. Andererseits führt sie natürlich dazu, dass, wenn
wir etwas auf den Markt bringen, das dann
auch wirklich sicher und gut ist. Aber ich
glaube, man muss da ein bisschen leichtfüßiger werden und mehr wagen.
Barth: „Made in Germany“ ist immer noch ein
Qualitätssiegel. Wenn wir das, worin wir gut
sind, nämlich die Ingenieursperfektion im Anlagenbau und in der Automobilindustrie, mit
dem Schritt in die Digitalisierung zusammenbringen, dann haben wir eine reelle Chance
im Wettbewerb.
Joost: Jetzt geht es darum, dass die Industrie
und auch die Politik internationale Standards
setzen, Prozesse definieren. Die Gefahr in
Deutschland: Wir sind immer so gründlich. Wir
müssen schauen, dass uns das nicht zu sehr
verlangsamt, dass nicht, obwohl wir so früh
dran waren, aus Asien oder aus den USA dann
doch die schnelleren Lösungen kommen. Ein
anderer Bereich sind sicherlich Medizintechnik und Pharmaindustrie – von Big-Data-Analysen bis zur individuellen Medikation. Aber da
überwiegen zurzeit noch die Bedenken, dass
persönliche Daten zum Schaden des Patienten verwendet werden könnten. Hier brauchen
wir progressivere Konzepte und sollten nicht
immer fürchten, Big Data sei Big Brother.
Barth: Um solche Berührungsängste abzubauen, muss man den Umgang vermutlich
sehr früh üben. Ein erfolgreicher amerikanischer Unternehmer sagte mir vor Kurzem,
wenn man etwas für die junge Generation tun
wolle, dann müsste man sie Coding und Mandarin lehren. Wie sehen Sie das?
Joost: Da kann ich nur zustimmen. Es müssen
wirklich alle programmieren lernen. Es geht
nicht darum, komplizierte Programmiersprachen
aus dem Effeff zu beherrschen, sondern eher
darum, das Prinzip zu begreifen, zu wissen: Ich
kann diese digitale Welt mitgestalten. Es gibt
inzwischen ganz einfache Programmiersprachen, die selbst kleine Kinder lernen. Das macht
richtig Spaß. Das ist kein öder Informatikunterricht, sondern etwas Kreatives. Im Moment
sind deutsche Schulen im europäischen Vergleich abgehängt. England hat zum Beispiel
Coding durchgängig ins Curriculum integriert:
von der ersten Klasse bis in die Oberstufe.
Barth: Die Frage ist natürlich auch: Wie finde
ich die richtigen Informationen, wie kann ich
Gesche Joost
Gesche Joost, 1974 in Kiel geboren, hat Architektur
an der Technischen Universität Braunschweig und
Design an der Köln International School of Design
studiert. Von 2008 bis Ende 2010 war sie Juniorprofessorin an der TU Berlin für Interaction Design &
Media in Kooperation mit den Deutsche Telekom
Laboratories. Seit 2011 ist Joost Professorin an
der Universität der Künste Berlin für das Fachgebiet
Designforschung und leitet dort das Design Research
Lab. 2006 berief der spätere SPD-Kanzlerkandidat
Peer Steinbrück die Wissenschaftlerin in seinen persönlichen Beraterkreis und 2013 als netzpolitische
Expertin in sein Wahlkampfteam. 2014 wurde sie
Internetbotschafterin der Bundesregierung.
Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden,
Richtiges von Falschem?
Joost: Die richtigen Filtersysteme sind tatsächlich eine Herausforderung. Da fehlen in
der Tat noch viele Strukturen. Welches sind
relevante Informationen? Welches sind vertrauenswürdige Quellen im Netz? Das sind
Fragestellungen, die sich jetzt auftun. Welche
Weiterbildungsformate nutzen Sie denn in
Ihrem Unternehmen für Ihre Mitarbeiter?
Barth: Wir haben bei EY einige Web-based
Learning Tools mit interaktiven Programmen.
Zudem können wir uns über verschiedene
Systeme zusammenschalten und Dinge gemeinsam diskutieren. Ich persönlich bin kein
Fan von anonymem Web-based Learning, aber
die interaktive Arbeit in Gruppen über verschiedene Bereiche hinweg an verschiedenen
02/2015 Entrepreneur
Expertise  Dialog 47
Hubert Barth
1968 in Aalen geboren, ist Mitglied der Geschäftsführung
von EY Deutschland. Barth hat Betriebswirtschaftslehre
in Tübingen studiert. Er ist Wirtschaftsprüfer und Steuerberater sowie Dozent an der Munich Business School.
Seit mehr als 20 Jahren ist Barth in unterschiedlichen
Positionen im Prüfungs- und Beratungsgeschäft tätig.
Für jeweils drei Jahre hatte er Führungspositionen bei einer
Beratungsgesellschaft in New York sowie im weltweiten
Vermögensverwaltungsgeschäft eines internationalen Versicherungskonzerns inne. Neben großen internationalen
Unternehmen betreut er seit Jahren zahlreiche mittelständische Firmen sowie junge Start-up-Unternehmer.
[email protected]
Mitglied der Geschäftsführung
EY Deutschland
Standorten funktioniert mittlerweile sehr gut.
Wir sparen dadurch unglaublich viel Reisezeit, Expertenwissen verteilt sich viel schneller
und breiter. Sie beschäftigten sich hier in Ihrem Lab ja sehr viel mit Mensch-MaschineInteraktionen. Welche Bedingungen sind notwendig, damit Menschen Technik akzeptieren?
Joost: Wir entwickeln keine technischen Systeme, mit denen der Nutzer dann irgendwie
selbst klarkommen muss. Unser Ausgangspunkt sind immer die Menschen. Wir arbeiten
zum Beispiel mit einem Senioren-ComputerClub, der ganz großartig ist, mit Familien, mit
Demenzkranken, und entwickeln mit ihnen
zusammen Lösungen für den Alltag, die sie
unterstützen. Ein Beispiel ist die Notfallstrickjacke, die ich vorhin schon erwähnt habe. Wir
hatten Schlaganfall-Patienten hier, die mit
den vorhandenen Notfallsystemen nicht zufrieden waren. Es gibt so einen großen roten
Notfallknopf zum Umhängen. Das ist sehr stigmatisierend, und deswegen bleibt er in der
Nachttischschublade liegen, wo er nichts nützt.
Wir haben den entsprechenden Chip einfach
in eine Jacke integriert. Wenn der Träger in
eine Notsituation gerät, muss er nicht sein
Handy herauskramen, sondern einfach nur am
Ärmel ziehen. Dann werden die GPS-Koordinaten durchgegeben und es wird die Rettung
alarmiert. Wenn Menschen erleben, wie ein
System funktioniert und ihnen nützt, wenn
sie es dann noch mitentwickelt haben, ist die
Smarte Textilien: Die Integration von Chips
und Sensoren verwandelt herkömmliche
Kleidungsstücke in technische Systeme.
Akzeptanz enorm! Nutzerfreundlichkeit ist
klar ein Wettbewerbsvorteil, denn Nutzerakzeptanz bedeutet im industriellen Maßstab
Kundenakzeptanz und damit den Erfolg eines innovativen Produktes.
Barth: Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie
die Digitalisierung das alltägliche Leben verändert und verbessert. Aber ich sehe nicht nur
positive Aspekte dieses ja auch gesellschaftlichen Wandels. Vor allem bei Jugendlichen fällt
mir auf: Sie kommunizieren zwar über die sozialen Medien, aber das direkte Gespräch, das
direkte Erleben schwindet. Manche verlassen
kaum mehr ihre Zimmer. Bei älteren Menschen,
die sich dem Thema öffnen, erlebe ich dagegen, wie digitale Medien ihnen helfen, wieder
in Kommunikationsbahnen und -muster einzutreten, die sie schon aufgegeben hatten.
Joost: Es gibt dieses Phänomen der digitalen
Spaltung zwischen den Onlinern und den Nonlinern und das ist nicht nur eine Frage des
Alters. Zunächst einmal: Ich bin, was die junge
Generation angeht, nicht so pessimistisch. Es
stimmt schon, dass die jungen Leute eine etwas andere Definition von Privatsphäre haben
und auch für meinen Geschmack manchmal
zu unbekümmert sind. Aber da sehe ich gleichzeitig den Trend zu einem bewussteren Umgang. Die Kommunikationstools verändern sich
so schnell, dass man ein bisschen abwarten
muss, welche Etiketten und Grenzen sich etablieren. Ich glaube, das Wichtige ist, maßgeschneiderte Angebote zu machen, um möglichst
viele Menschen mit ins Boot zu holen. Viele
Ältere haben beispielsweise den Einstieg in die
Digitalisierung durch die Tablet-PCs geschafft,
die ganz einfach zu benutzen sind.
nehmen mit Start-ups zusammenzubringen,
um die besten Ideen nach vorne zu bringen.
Wie wird aus Ihrer Sicht die digitale Zukunft
aussehen, „The next big thing“?
Joost: Im Moment schauen alle auf die Startups. Ich bin aber davon überzeugt, dass sich
neue Arten von Infrastrukturen bilden. Das
wird „The next big thing“ sein. Es werden Open
Spaces entstehen, Fab Labs oder Future Labs,
in denen ganz unterschiedliche innovative Menschen zusammenkommen. Das können Vertreter von großen Unternehmen sein, Startup-Entrepreneure, Wissenschaftler, experimentierfreudige Maker. Das ist übrigens auch
ein Ziel, das ich mir hier an der Uni gesetzt
habe: einen Raum zu schaffen, der nicht mehr
rein universitär ist, sondern solch eine OpenLab-Infrastruktur bietet, in der wir gemeinsam
an Smart Textiles arbeiten, also im wahrsten
Sinne des Wortes an der Zukunft stricken. Die
klaren Grenzen – das ist das Unternehmen,
das nicht, du bist Experte, du Laie –, diese Grenzen verschwimmen. Das macht eine neue
Freiheit aus. Jeder kann mit der Community
gemeinsam etwas entwickeln, weil das Wissen und die Expertise von ganz vielen digital
frei verfügbar sind. Das bedeutet eine Dynamik, eine Offenheit und Schnelligkeit, von der
ich für die Zukunft viel erwarte.
Barth: Wir sehen uns bei EY als Impulsgeber.
Wir wollen dazu beitragen, etablierte Unter-
02/2015 Entrepreneur
48 Expertise  Gründer
49
Risikobereit, schnell und disruptiv?
Ein Blick auf die Berliner Start-up-Szene
Berlin zählt zu den attraktivsten Standorten für Unternehmensgründungen. Zwar
weit davon entfernt, Silicon Valley das Wasser reichen zu können, hat sich hier
dennoch ein Ökosystem gebildet, in dem neue Technologien und Dienstleistungen,
zeitgemäße Produkte und digitale Geschäftsmodelle wie Pilze aus dem Boden
schießen. Was verbirgt sich dahinter? Was macht die Szene und ihre Gründer aus?
Wie gehen die Teams vor? Welche Erfolgsfaktoren beherzigen sie? Welche nicht?
Ein Einblick in das Experimentieren mit Geschäftsmodellen in Mitte und Kreuzberg.
Von Peter Lennartz
Berlin, wie hast du dich verändert! In der einstigen Wirtschaftswüste ohne DAX-Unternehmen, in die sich noch vor fünf Jahren nur sehr
zaghaft Investoren und Konzerne wagten, wird
gegenwärtig alle 20 Stunden ein Start-up gegründet. Über 2 500 sind es zurzeit, insgesamt
mit ca. 20 000 – 30 000 Mitarbeitern. Gründer aus der ganzen Welt zieht es in die Hauptstadt, wo ein stabiles internationales Netzwerk
aus finanzkräftigen Investoren, Forschungsund Studieneinrichtungen, Inkubatoren, Akzeleratoren und Kreativen herangewachsen ist –
getragen auch von der Attraktivität der Stadt
mit ihrem exzellenten Freizeitangebot und
ihren relativ niedrigen Mieten. Wer sich das
Silicon Valley nicht leisten kann, versucht es
in Berlin. Einige sehr erfolgreich: Mit Rocket
Internet und Zalando kommen die beiden größten europäischen Börsengänge des Jahres
2014 aus Berlin. Und seit der jüngsten Übernahme von 6Wunderkinder durch Microsoft
ist nicht mehr zu übersehen, wie hoch die Attraktivität der Berliner Gründungen für internationale Investoren ist.
arbeitet haben. Ein Teil von ihnen sieht sich
als „Serial Entrepreneur“ und hat sich nicht
einem einzigen Geschäftsmodell verschrieben,
sondern der Idee, vielen Start-ups auf den
Weg zu helfen. Zu den bereits erfahreneren
Unternehmern zählt auch die Gruppe ehemaliger Berater, Rechtsanwälte oder „Corporates“, die sich aus schwerfällig und hierarchisch erlebten Unternehmensstrukturen lösen
und ihre Geschäftsidee auf ihre Art realisieren wollen. Und nicht zuletzt gibt es die Entrepreneure, oftmals identisch mit der vorgenannten Gruppe, die in ihrem privaten oder
beruflichen Alltag auf ein Desiderat gestoßen
sind und meist aus rein persönlichen Erfahrungen heraus eine Marktlücke schließen wollen.
Auffallend ist, dass inzwischen fast 50 Prozent der Gründer aus dem Ausland stammen.
Weltoffen ist Berlins Gründerszene allemal.
Auffallend ist aber auch, dass nur fünf Prozent
Gründerinnen sind.
Der typische Berliner Gründertyp?
Was viele Berliner Gründer bei aller Unterschiedlichkeit eint, ist die Motivation, ihr eigener Chef zu sein, gepaart mit dem Gefühl,
sich im Corporate-Bereich nicht ausreichend
entfalten zu können. Was sie zur Ideenentwicklung antreibt, ist die Leidenschaft, Probleme zu lösen, Lücken zu schließen, die Organisation des Alltags durch originelle Produkte
und Dienstleistungen zu erleichtern.
Sein eigener Chef sein und das
Leben praktischer gestalten
gen, der Suche nach einer praktischen Gestaltung unseres Lebens, also nicht nur nach
dem „Next big thing“. Vielmehr geht es um
Optimierung und Weiterentwicklung, um Übertragung bereits funktionierender Geschäftsmodelle auf neue Bereiche, um eine weitere
digitale Funktionalisierung. Da gibt es eine
App für die Bündelung von Carsharing-Angeboten, um schnell herauszufinden, welcher
Anbieter das nächste freie Auto in der Gegend
hat; den digitalen und mobilen Wäschedienst;
diverse Online-Handelsgebote, die sich in bis
dato unerschlossene Bereiche vorwagen, wie
die digitale Plattform für Baby- und Kleinkinderausstattung, gegründet von zwei berufstätigen
Müttern. Mit findigen und klugen Ideen kombinieren sie Bestehendes, erfinden Neues oder
übertragen erfolgreiche Geschäftsmodelle
auf neue Bereiche – und strahlen dabei große
Lust und einen starken Willen aus, etablierte
Marktteilnehmer anzugreifen und einen Wettbewerb zu entfachen, um den Verbrauchern
das Leben einfacher zu machen.
Radikal neu denken
Die meisten Gründer in Berlin entsprechen weder der mythischen Gründungsfigur eines
Steve Jobs noch lassen sie sich in das Klischee
des turnschuhtragenden ewigen Junggesellen pressen. Mit ihren unterschiedlichen Hintergründen und Motivationen bieten sie ein
vielfältiges Bild. Zu ihnen gehören junge Hochschulabgänger, die Entrepreneurship studiert
haben und möglicherweise die Gründerunterstützung ihrer Universitäten nutzen, zum
Beispiel des Centre for Entrepreneurship der
TU Berlin, das allein 60 Start-ups betreut. Ihnen zur Seite stehen erfahrene Gründer, die
bereits bei größeren und etablierten Startups – viele darunter bei Rocket Internet – ge-
Entrepreneur 02/2015
Meistens sind es keine Idealisten, die die Welt
grundsätzlich verändern wollen, und auch keine weltabgewandten Tüftler, die sich nächtelang darin verlieren, ihre Technologie weiterzuentwickeln. Freizeit und Familie sind für sie
genauso wichtig wie ihr Geschäft. Ihre Ideen
entspringen oft gewöhnlichen Alltagserfahrun-
Wer von Start-ups und ihren Innovationen
spricht, denkt oft an bahnbrechende Innovationen mit wirkmächtigem, disruptivem
Potenzial, also der Fähigkeit, plötzlich aufzutreten, schnell zu wachsen und bisherige
Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten
zu zerstören. Betrachtet man die Berliner
Martin Klimas
Ohne Titel (Polarization)
Video, Monitor 115 x 65 cm
(1+1AP)
2014
02/2015 Entrepreneur
50 Expertise  Gründer
51
Langsam setzt sich auch in Deutschland
die Erkenntnis durch, dass Scheitern zum Erfolg
dazugehört, und vor allem, dass sich aus
Niederlagen lernen lässt – wenn man sie nicht
totschweigt, sondern über sie redet.
Martin Klimas
Ohne Titel (Polarization)
Video, Monitor 115 x 65 cm
(1+1AP)
2014
Bayer, Google, Microsoft, BMW oder kürzlich
auch die Metro Group außerhalb der Konzernstrukturen in verschiedenartigen Programmen
mit Start-ups vorzugsweise in Berlin zusammen. Die Konzerne bringen dabei Kompetenzen,
Kunden, Kapital, Räumlichkeiten und andere
Ressourcen ein – die Start-ups bringen ihre
Innovationen und „Out of the box thinking“ ein.
Fail fast and pivot faster
Gründungsideen, sieht man gegenwärtig eine
Vielzahl von erfolgversprechenden Initiativen, aber eher nur wenige, die etablierte Marktteilnehmer im Sinne der schöpferischen Zerstörung von Schumpeter im Kern erschüttern
können, wie Apple und Amazon oder zuletzt
Tinder, Uber und Airbnb.
Dennoch beziehen die Berliner Entrepreneure
ihre Innovationskraft aus einer radikalen
Freiheit, neue, unsichere Wege zu erproben,
die etablierte Unternehmen sich versagen –
was diese langfristig in ihrer Wettbewerbsfähigkeit schwächt. Gefangen im Innovator’s
Dilemma, fällt es ihnen schwer, bewährte
Prozesse, Kulturen, Fähigkeiten, Systeme und
Anreizsysteme in Frage zu stellen. Warum
auch das bisherige Modell nicht weiterfahren,
wenn es doch noch Umsatz bringt? Warum
gegenwärtigen Erfolg unterminieren? Ihre Innovationen verharren in der Optimierung des
Bewährten. An das Experiment, ein ganz neues
Geschäftsmodell oder Produkt oder einen
unbekannten Service zu lancieren, wagen sich
nur Menschen, die wenig zu verlieren, aber
viel zu gewinnen haben: kleine Teams, die bei
null anfangen. Also keine Corporates. Ein erfolgversprechender Ausweg aus dem Dilemma,
Innovationen und Digitalisierung möglicherweise zu verpassen, sind dabei Akzeleratoren.
Dabei arbeiten Unternehmen wie die Deutsche Bahn, die Deutsche Bank, RWE, Henkel,
Entrepreneur 02/2015
Betrachtet man die Berliner Gründerkultur im
internationalen Vergleich, ist ihre Risikobereitschaft jedoch relativ gering. Es scheint zu stimmen, was man im Ausland über die „German
Angst“ sagt. In Deutschland nennt man das
Investitionskapital entsprechend Risikokapital, in den USA trägt es bezeichnenderweise
den nach Abenteuer schmeckenden Namen
Venture Capital.
Hinzu kommen in Deutschland starre Strukturen und mächtige Lobbykräfte, die radikal
neue Geschäftsmodelle behindern. Die konservativen, etablierten Player stärken lieber
die bisherigen Marktstrukturen, etablierte
Marktteilnehmer und ihre Geschäftsmodelle,
als riskantes Neuland zu betreten. Neue Services wie Angebote von Uber oder Airbnb,
die traditionelle Gewerbe bedrohen könnten,
haben es hierzulande schwer.
Entscheidend für den Erfolg ist aber auch die
Geschwindigkeit. Berliner Start-ups brauchen
oft bis zu einem Jahr, um ihre Idee zur Marktreife zu bringen. Erst dann trauen sie sich,
den Kunden ihr Produkt vorzustellen und das
eigentliche Experiment am Markt zu starten.
In den USA geht das bereits nach sechs Wochen.
Rasch eine Betaversion auf den Markt bringen
und das Produkt dann mit dem Kunden zusammen weiterentwickeln und optimieren –
Kritik und Misserfolge suchen, um aus ihnen
zu lernen. Je schneller und je vielfältiger, desto effektiver. Denn: Wer kennt die Kundenbedürfnisse besser als die Kunden selbst, die das
Produkt in der Praxis erproben und schließlich dafür zahlen sollen? Dann heißt es nachbessern („Pivoting“) und vielleicht wieder von
vorne anfangen, von der ursprünglichen Idee
abweichen. „Fail quick“ ist neben „Think big“
einer der Erfolgsfaktoren amerikanischer
Start-ups, der sich auch in Deutschland als
solcher zu etablieren beginnt, wo durchschnittlich neun von zehn Neugründungen mittelfristig nicht überleben. Investoren bewerten
zu einem nicht unerheblichen Teil auch die
Erfahrungen des Teams: Wer schon mal eine
Pleite erlebt und mehrere Ideen auf den
Markt gebracht hat, gilt als investitionswürdiger als die angeblichen Perfektionisten, die
seit Monaten fern von Kundenerfahrungen
an ihren Angeboten feilen, aber nicht wissen,
welche Fehler sie dabei machen.
Langsam setzt sich auch in Deutschland die
Erkenntnis durch, dass Scheitern zum Erfolg
dazugehört, und vor allem, dass sich aus Niederlagen lernen lässt – wenn man sie nicht totschweigt, sondern über sie redet. Bei Berliner Veranstaltungen wie den sogenannten
„FuckUp Nights“ treffen sich Gründungserfahrene und tauschen sich über Misserfolge
aus – ganz in der Tradition des Silicon Valley,
wo es zum guten Ton gehört, Niederlagen öffentlich zu feiern.
Austausch, Gewinnbeteiligung
und Demokratie
Ein Blick in die Arbeitsräume der Start-ups
zeigt Offenheit und den unbedingten Willen –
ja, die Pflicht –, sich auszutauschen. Wer
hier tätig ist, kann sich mit seiner Arbeit kaum
02/2015 Entrepreneur
52 Expertise Gründer
Peter Lennartz
[email protected]
Partner Assurance
Head Start-up Initiative GSA
Wirtschaftsprüfer, Steuerberater,
CPA
verstecken. Teams mit Mitarbeitern aus der
ganzen Welt stecken die Köpfe zusammen,
ohne sich abzuschotten. Die jederzeit zugänglichen Räume, die großen weitläufigen Etagen
laden ein, an den Arbeiten der anderen teilzuhaben. Ideen scheinen hier automatisch weitergetragen, -gedacht und -entwickelt zu werden,
zu zirkulieren. Einige überleben, viele verschwinden einfach zwischen zwei Gesprächen.
Die Angst, jemand könnte die Idee klauen
und sie besser umsetzen, ist hier unbekannt.
Beispielhaft für die Art, wie neue Produkte
erfunden werden, mag die Arbeitsweise eines
erfolgreichen jungen Softwareunternehmens
sein, das mittlerweile mehrere Hundert Angestellte hat. Mit der Ideenfindung für eine neue
Anwendung werden Teams à zehn bis 15 Leute
betraut. Nach einer Woche stellen sie ihre Ergebnisse vor. Sind gute Ideen dabei, werden
sie weiterverfolgt. Hat noch keine Idee richtig
gezündet, setzen sich neue Teams zusammen
und machen sich erneut an die Aufgabe. Ohne
hohe Investitionssummen und ohne Erfolgsdruck, ganz anders als in den etablierten Unternehmen, die größere Innovationsabteilungen
aufbauen, ein Innovationsbudget verteilen
und die Erfolgserwartungen hochschrauben.
In größeren Berliner Start-ups entsteht Druck
alleine durch die Konkurrenz der Teams untereinander und durch persönliche Motivation.
Die Entscheidung, welche Idee umgesetzt wird,
liegt bei den Teams. Ihre Stimmen und Empfehlungen zählen, nicht die der Vorgesetzten.
Demokratische Entscheidungsprozesse prägen
die Arbeitswelt dieser jungen Unternehmen,
die ihren Mitarbeitern so glaubwürdig das Gefühl vermitteln können, wichtig zu sein.
Die Anreizsysteme, mit denen Start-ups begabte und begehrte Spezialisten aus den Be-
Entrepreneur 02/2015
reichen IT-Programmierung, Marketing und
Vertrieb rekrutieren, speisen sich sehr stark
aus diesen kulturellen Faktoren. Es sind nicht
die hohen Gehälter oder Insignien der Macht,
die die kreativen Unternehmen attraktiv machen. Oftmals schütten sich auch die Geschäftsführer selbst nur ein niedriges Grundgehalt
aus und investieren lieber in Fehlerbehebung
und Optimierung ihres Geschäftsmodells als
in ihr Privatvermögen, natürlich auch in der
Hoffnung auf einen hohen Exit-Gewinn. Attraktiv ist ein Start-up, wenn es Austausch und
Demokratie so lebt, dass die Mitarbeiter sich
einbringen und entfalten können.
Das Ende des Experiments
In der kürzlich erschienenen Studie „Venture
Capital and Start-ups in Germany 2014“ hat
EY untersucht, welche Entwicklungen sich aus
vergangenen Finanztransaktionen ablesen
lassen und wie der deutsche Start-up-Standort
im Vergleich zu anderen Ländern und den Vorjahren dasteht. Der Trend ist eindeutig: Sowohl die Zahl der Transaktionen als auch die
Anzahl der in Deutschland aktiven VentureCapital-Investoren steigen ständig. In Europa
ist Berlin auf dem besten Weg, sich neben
London als Zentrum der digitalen Wirtschaft
zu etablieren. Wir beobachten auch, dass
Berliner Start-ups sich zunehmend für Börsengänge interessieren und insgesamt wagemutiger und angriffslustiger werden.
Seit einigen Jahren diversifiziert sich der digitale Sektor. Neben Online-Handel und digitalen
Marktplätzen kommen verstärkt Geschäftsmodelle aus den Bereichen Finanztechnologie
und Network & Communications hinzu. Weitere Treiber für den digitalen Wandel liegen
auch in den Trends zur Sharing Economy und
zu Industrie 4.0. Viele Branchen haben das
technologische Innovationspotenzial noch nicht
ausgeschöpft, wie zum Beispiel die Gesundheitsbranche und die Energiewirtschaft.
Dem Bundesverband deutscher Start-ups zufolge ist ein Unternehmen nach ca. fünf Jahren
aus der Start-up-Phase herausgewachsen.
Doch ob die Experimentierphase damit beendet ist, hängt von seiner Kultur ab. Apple und
Google haben es bis heute geschafft, ihren
Start-up-Spirit zu bewahren und fruchtbar zu
machen.
Die Stärke von Berlin liegt in seinem gut funktionierenden, großen Ökosystem mit seinem
exzellenten Netzwerk, das sich innerhalb der
vergangenen Jahre herausgebildet hat. Die
Berliner Start-up-Szene mit ihren erfolgreichen
Exits und ihrer zunehmenden Internationalisierung ist erwachsen geworden. Die Zeit für
Experimente sollte damit aber noch lange
nicht vorbei sein. Ganz im Gegenteil: Mit mehr
Wagnis, mehr Kapital, dem Zufluss von jungen, talentierten Entrepreneuren aus der ganzen Welt und erhöhter Geschwindigkeit hat
sie noch eine sehr gute Zukunft vor sich.
Die Pforte
zur Erkenntnis
Der Weg zu neuem Wissen führt häufig
durch eine Phase, in der nichts zu gelingen
scheint: Experimente scheitern, Orientierung und Sicherheit gehen verloren, Angst
und Frustration machen sich breit. Der
israelische Systembiologe Uri Alon hat diesen
emotionalen Ausnahmezustand bei
sich und anderen immer wieder beobachtet.
Nur wer bereit ist, die Komfortzone der
scheinbar bewährten Gedanken und Strategien zu verlassen, sei zu wirklicher Innovation im Stande, sagt Alon. Sein Grundsatz:
„Alle Sinne auf Empfang!“
U
ri Alon wird nie vergessen, wie er zum
ersten Mal Bekanntschaft mit jenem
seltsamen Ort machte, der ihm im Laufe
seiner wissenschaftlichen Karriere als
Physiker und Systembiologe immer vertrauter werden sollte. Es war während
seiner Promotion, vor gut 20 Jahren.
Er kam einfach nicht weiter, hatte sich
hoffnungslos im Gestrüpp seiner Experimente verheddert.
„Was auch immer ich versuchte, es führte mich nur in die nächste Sackgasse“, erinnert sich Alon, heute Professor am Weizmann-Institut im israelischen Rechovot. „Mein Selbstvertrauen
war total erschüttert. Ich fühlte mich wie ein Pilot, der sein
Flugzeug völlig ohne Orientierung durch dichten Nebel steuert.“
Er rasierte sich nicht mehr, hatte Mühe, morgens aus dem
Bett zu finden. Von Tag zu Tag wuchs in ihm die Angst, dass
er es in der Wissenschaft niemals zu etwas bringen würde.
Dieser virtuelle Ort, an dem Sie sich damals befanden – hat
der einen Namen? Ja, ich nenne ihn „The Cloud“. Die Cloud
gehört genauso zur wissenschaftlichen Forschung wie These
und Experiment. Sie hält sozusagen Wacht an der Grenze zwischen dem, was wir wissen, und dem, was wir nicht wissen –
zwischen dem Erforschten und dem Unerforschten. Man kann
einen Tag dort feststecken, eine Woche, einen Monat, ein
Jahr oder auch seine gesamte wissenschaftliche Karriere lang.
Das scheint ein sehr mystischer Ort zu sein – aber auch einer,
an dem man sich nicht gern aufhält. Es ist ein Ort, der auf
jeden Fall sehr stark mit negativen Emotionen verbunden ist.
Stellen Sie sich einmal vor, dass all das, was Sie für gesicherte
Erkenntnis halten, Ihre gesamten Grundannahmen, ins Wanken
02/2015 Entrepreneur
54 Impulse Out of the Comfort Zone
gerät. So etwas zieht Ihnen den Boden unter den Füßen weg.
Sie spüren Verwirrung, Angst, Verzweiflung und Frustration.
Sie befinden sich in einem emotionalen Zustand, der all Ihre
wissenschaftlichen Erwartungen zerschellen lässt. Ein Forscher will Klarheit, Eindeutigkeit, Sicherheit. Aber wenn Sie in
der Cloud sind, werden Sie feststellen, dass Ihr Bedürfnis nach
Sicherheit nicht erfüllt wird. Ihre Experimente scheitern ein
ums andere Mal. Nichts ist mehr klar, eindeutig oder sicher.
Diesen Verlust an Orientierung und Sicherheit an der Grenze zur Erkenntnis neuen Wissens hat der weltweit angesehene Systembiologe, der im vergangenen Jahr mit dem
renommierten Nakasone Award ausgezeichnet wurde, bei
sich selbst und bei Forscherkollegen immer wieder beobachtet – vorzugsweise in den Naturwissenschaften, wo
das Experiment und sein potenzielles Scheitern eine exponierte Stellung einnehmen. Aber längst nicht nur dort.
„Eine derart extrem aufreibende Auseinandersetzung mit
der eigenen Persönlichkeit, mit der Beschränktheit der
Erkenntnisfähigkeit finden Sie genauso bei Politikern, bei
Managern und bei Künstlern“, sagt Alon – „eigentlich
überall, wo Menschen auf der Suche nach innovativen
Lösungen sind, nach Durchbrüchen, sie aber mit ihrem
„Wer den riskanten Weg beschreiten will,
braucht positive Emotionen wie das Gefühl
von Unterstützung und Solidarität.“
Uri Alon
bis dato gesammelten Erfahrungswissen nicht weiterkommen und ein ums andere Mal gegen eine Wand prallen.“
Das mag für den Unternehmer gelten, dessen mit großen
Hoffnungen verbundenes neues Produkt zum Verkaufsflop
wird. Für den Minister, der sich an der längst überfälligen
Reform seines Beamtenapparats aufreibt. Für den Musiker
auf der Suche nach einer eigenen Ausdrucksform jenseits
der ausgetretenen Pfade der Charts. Oder für den Hochleistungssportler, der daran verzweifelt, dass er trotz neuer Trainingsmethoden den Sprung in die absolute Weltspitze nicht schafft. Sie alle befinden sich emotional in einer
ähnlichen Situation wie der Chemiker, dessen Experiment
zum wiederholten Mal scheitert.
Aber ein gescheitertes Experiment ist doch nicht per se vertane Zeit. Das ist richtig. Manche Experimente scheitern ja
auf besonders interessante Weise. Sie führen zunächst nicht
zum gewünschten Ergebnis – also nicht von der Frage A zur
Antwort B, sondern möglicherweise zu etwas ganz anderem
hin. Der Forscher steht vor einem Resultat, mit dem er nicht
gerechnet hat und mit dem er zunächst auch überhaupt nichts
anfangen kann. Er ist ja immer noch auf der Suche nach dem
Weg von A nach B. Dass die Antwort C quasi vor ihm liegt, erkennt er nicht – weil er sich in der Cloud befindet.
Er hat also, ohne es zu wollen, neues Wissen zu Tage gefördert? Ja, derart gescheiterte Experimente sind potenziell sehr
fruchtbar. Die Antwort B, auf die das Experiment ausgerichtet
war, gehört zum Bereich des gesicherten Wissens, die Antwort
C aber ist neues Wissen. C ist viel wichtiger und spannender als
B. Aber der Forscher steht vor einem Ergebnis, mit dem er nichts
anfangen kann, kratzt sich am Kopf und denkt: „Was geht
denn hier vor?“ Er erkennt in dem Scheitern des Experiments
noch nicht die Chance, etwas wirklich Neues zu entdecken.
Uri Alon versteht es, seinen
Zuhörern das Rätsel wissenschaftlicher Erkenntnis
unterhaltsam und für jedermann verständlich nahezubringen – wenn nötig auch mit
musikalischer Untermalung.
Uri Alon
Der israelische Physiker Uri Alon, geboren 1969, zählt zu den weltweit führenden Wissenschaftlern auf dem Gebiet der Systembiologie. Alon, der an der Hebräischen Universität studierte und in
Theoretischer Physik promovierte, lehrt seit 2008 am WeizmannInstitut in Rechovot. Im vergangenen Jahr wurde er für seine
Forschungen von der Human Frontier Science Program Organization mit dem renommierten Nakasone Award ausgezeichnet.
Für den Schritt auf unbekanntes Terrain ist weit mehr nötig als
aggregierte Fachkompetenz und das Bemühen, in den vorliegenden Informationen bereits bekannte Muster wiederzuentdecken. Der Weg zur Erkenntnis des Neuen führt heraus aus der
Komfortzone der eingeübten Gedanken und Strategien. Eine
Haltung, die Uri Alon so umschreibt: „Alle Sinne auf Empfang!“
Gibt es ein Patentrezept für den Weg aus der Cloud? Oder
lässt sie sich umgehen? Man kann diese Situation nicht umschiffen. Dann würde man aufhören, Wissenschaftler zu sein.
Schon der Wunsch, sie zu vermeiden, ist ein Fehler. Dadurch
würde man sich selbst wichtiger Erkenntnischancen berauben. Es kann also nur darum gehen, auf das Eintauchen vorbereitet zu sein. Dazu gibt es weder ein Patentrezept noch
einen Masterplan. Einige Male habe ich gedacht, ich komme
da nie wieder raus. Manchmal halfen scheinbar zufällige Begegnungen oder Gespräche mit anderen Menschen, die vordergründig gar nichts mit meinem Problem zu tun hatten.
Zum Beispiel? Vor einigen Jahren hatte ich eine Phase, in
der mein Beruf mir überhaupt keine Freude mehr bereitete.
Ich war sehr verzweifelt, weil ich doch stets gedacht hatte,
dass die Wissenschaft das ist, was mir mein Leben lang
Erfüllung bringt und Spaß macht. Und nun kostete es mich
Überwindung, morgens zur Uni zu fahren. Genau in dieser
Zeit bekam ich eine Mail einer Biologin, die sich mit mir
über ihre Arbeit unterhalten wollte. Ich wollte mich nicht
mit ihr treffen und ließ mir immer wieder Ausreden einfallen. Aber sie war hartnäckig. Schließlich trafen wir uns auf
einen Kaffee. Sie erzählte mir, dass sie sich mit der Form
der Krallen irgendeiner Vogelart beschäftigte. Das war ihr
Forschungsgebiet. Es hatte nicht das Geringste mit meiner
Arbeit zu tun. „Hoffentlich ist sie bald fertig“, dachte ich
zuerst. Aber dann erzählte sie immer weiter von diesen Vogelkrallen, mit einer unglaublichen Begeisterung, mit einem
Leuchten in den Augen. Plötzlich wurde mir klar, was mein
Problem war. Zu meiner originären Forschungsarbeit, die
ich mit der gleichen Begeisterung verfolgt hatte wie diese
Kollegin die Morphologie von Vogelkrallen, kam ich kaum
noch. Stattdessen leitete ich eine Forschungsgruppe mit
20 Mitgliedern, ein Großteil meines Arbeitstages war mit
stupider Verwaltung und Organisation ausgefüllt. Jetzt
wusste ich, was ich ändern musste.
Was tun Sie denn, wenn Sie merken, dass einer Ihrer Kollegen oder Studenten feststeckt? Also ich sage: „Super, toll,
du fühlst dich jetzt ganz bestimmt hundeelend.“ (Lacht.)
„Und das ist ein gutes Zeichen, weil es bedeutet, dass du
ganz nah an der Grenze zu neuer wissenschaftlicher Erkenntnis bist.“ Die Situation ist etwas ganz Normales; sie
ist wichtig und im Grunde genommen ist sie doch etwas
Wunderbares. Nur durch sie hindurch führt der Weg zur
Erkenntnis des Unerforschten.
Aber derjenige benötigt doch auch ganz konkrete Unterstützung. Natürlich. Wenn Angst und Verzweiflung Sie überkommen, greift Ihr Gehirn auf vergleichsweise einfache und
bewährte Denkmuster zurück. Sie machen also den gleichen
Fehler noch mal, führen das gescheiterte Experiment immer
und immer wieder durch. Dadurch wachsen Angst und Frustration noch mehr, Sie geraten in einen Zyklus negativer Emotionen. Wer den riskanten Weg beschreiten will, den Weg, der
aus der Cloud herausführt, beispielsweise zur Erkenntnis der
Antwort C, braucht positive Emotionen wie das Gefühl von Unterstützung und Solidarität. Sie stellen sich der Frustration
und der Angst entgegen.
Das Beste in einer solchen Situation absoluter Unsicherheit
ist also, den schwierigen Weg gemeinsam mit anderen zu
beschreiten? Allein da rauszukommen ist extrem schwer. Es
hilft, wenn man Menschen um sich hat, die solche intensiven
emotionalen Situationen selbst schon durchlebt haben. Das
ist eine soziale Dimension von Wissenschaft, die noch viel zu
wenig beachtet wird. Viele glauben ja immer noch, dass in der
Wissenschaft alles objektiv und rational zugehen muss – auch
die Art und Weise, wie die tägliche wissenschaftliche Arbeit
betrieben wird. Aber hier geht es doch um das Handeln von
Menschen. Der Versuch, Subjektivität und Emotionalität auszublenden und sogar als antiwissenschaftlich zu brandmarken, ist völlig weltfremd. Ich glaube, es ist nicht übertrieben
zu sagen, dass unser Institut seine Stärke nicht aus der Konkurrenz unter den Forschern bezieht, wo jeder ständig beweisen will, dass er besser ist als die Kollegen, sondern aus
der Solidarität – der Solidarität in der Cloud.
02/2015 Entrepreneur
Impulse Inspiration 57
Von
Matisse
bis
Afrika
Kreativität und Innovation sind die großen
Rätsel des 21. Jahrhunderts. Die Vorbilder
findet man oft unvermutet. Das Spätwerk
des Malers Henri Matisse ist ein solcher
Wegweiser, wie der Schub nach vorne
funktionieren kann. Von Krankheit behindert entwickelte Matisse im Alter eine
neue Technik, die seinem Werk noch einmal eine ganz neue Dimension verlieh.
Wer in der Gegenwart nach solchen Vorbildern sucht, wird immer öfter in Afrika
fündig. Dort bringen Sachzwänge den Erfindergeist zu Höhenflügen.
Geniestreich, geboren aus der Not: Henri Matisse
1952 mit einer Assistentin bei der Arbeit im Hôtel
Régina in Nizza. Weil er nicht mehr aufrecht stehen
konnte, konzentrierte er sich auf die Scherenschnitte, die sein Alterswerk so grandios machen.
02/2015 Entrepreneur
58 Impulse Inspiration
H
in und wieder
findet die Kultur
überraschend eine Fabel, die den Zeitgeist
auf den Punkt bringt. Die Ausstellung mit den
Scherenschnitten von Henri Matisse ist so
ein Fall. 2014 wurde das die erfolgreichste Ausstellung in der Geschichte der Tate Modern in
London. Im New Yorker Museum of Modern Art
musste sie dann wegen des nicht abebbenden
Besucheransturms verlängert werden, bevor
sie im Frühjahr 2015 im Amsterdamer Stedelijk
Museum das europäische Festland erreichte.
Nun sind Matisses Farben und Formen alleine
Grund genug, um einen Tag im Museum zu
verbringen. Das Licht und die Kontraste, die
er auf seinen Reisen nach Marokko und Tahiti
in sich aufgesogen hatte und die ihn später
durch die Jahre seiner Arbeit in der Gegend
rund um Nizza begleiteten, der buchstäbliche
Swing, den er in New York entdeckt hatte und
den er in seinen Formen und Linien aufnahm,
versetzen Betrachter in die leicht euphorische
Impulse Inspiration 59
Stimmung eines frühen Sommernachmittages.
Zwar gehörten Matisses Gemälde, Zeichnungen und Scherenschnitte schon immer zu den
Werken des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts, die sehr viel selbstverständlicher zu
Menschen sprachen, die erst viel später geboren wurden, als die oft viel schwerer zugänglichen Kunstformen, die schließlich im abstrakten Expressionismus einen großen Teil des
Publikums verschreckten. In ihrer Schlichtheit
und Geradlinigkeit erahnt man schon die PopArt und die Verschmelzung von Grafik und
Kunst im späten 20. Jahrhundert. Doch gerade
in der Entstehungsgeschichte dieser Bilder in
der Mitte des letzten Jahrhunderts steckt eine
Metapher für das Hier und Jetzt, die weit über
die Werke hinausgeht. In ihr stecken so aktuelle Themen wie der Geist der Innovation, die
Aufbruchsstimmung der Start-up-Welt, der
Umgang mit Kreativität und die echten und
falschen Hoffnungen, die sie derzeit wecken.
„La Polynésie“, 1946, war eine der
ersten Scherenschnittarbeiten, mit denen
Matissenach der Rückkehr von seiner
Reise nach Tahiti experimentierte. Selten
spürte er solche Glücksgefühle wie in
der Farbenpracht der Südsee.
Henri Matisse war sehr krank, als er 1948 beschloss, mit der Malerei aufzuhören und fortan nur noch mit Scherenschnitten zu arbeiten. In der Kunstgeschichte gilt sein Entschluss
als einer der radikalsten Wendepunkte im Leben eines Künstlers. Immerhin – Matisse eroberte sich nicht nur eine neue Bildsprache,
sondern gleich eine vollkommen neue Technik und einen komplett veränderten Umgang
mit Material. Es spielt heute kaum noch eine
Rolle, dass dieser Entschluss weder so radikal
noch so plötzlich war, wie es nun im Rückblick
erscheint. Mit Scherenschnitten hatte er sich
schon lange beschäftigt. 1920 hatte er mit
farbigen Papierschablonen seine Kostümentwürfe für die Diaghilew-Ballette angefertigt.
In den folgenden Jahren war es dann seine
„Gouaches découpées“-Methode, Papier erst zu
bemalen und dann in Formen zu schneiden.
So entwickelte er immer souveräner seine Technik mit Schere und Papier, die er zunächst
noch „Dreigroschenspielzeuge“ nannte. Die
Formen und Linien, die in den ersten Versuchen noch ihre Richtung suchten, waren schon
bald von derselben Kraft und demselben
Schwung bestimmt wie zuvor seine Gemälde.
Was in all diesen Geschichten
über Matisse steckt, ist weniger
eine Moral als eine Reihe von
Sehnsüchten. Nach Einfachheit,
nach dem Moment der Stärke
in der Schwäche.
1941, mit 71 Jahren, erkrankte Henri Matisse
schwer – so schwer, dass ihn die Kräfte buchstäblich verließen und er bettlägerig wurde.
Drei Monate verbrachte er damals in einer Klinik in Lyon, in der er wegen Darmkrebs operiert wurde. Kaum nach Vence zurückgekehrt,
jenem Vorort von Nizza, wo er in seinen späten Jahren sein Atelier eingerichtet hatte, fesselte ihn eine schwere Grippe noch einmal
über zwei Monate ans Bett. In der Folge war
er so geschwächt, dass er sich kaum noch
vor einer Staffelei auf den Beinen halten konnte. Und die Schwäche blieb, bald schon erschwert von einer schmerzhaften Arthritis.
Zunächst konzentrierte er sich auf Illustrationen und Zeichnungen. Doch nach 1943 arbeitete er verstärkt an den Scherenschnitten.
Meist ließ er seine Assistenten das Papier bemalen, dann schnitt er die Formen zurecht. Die
ausgeschnittenen Formen ließ er mit Nadeln
und Reißzwecken an die Wand heften. So entstand beispielsweise sein Künstlerbuch „Jazz“
(ein irreführender Titel, da er sich in den Bildern des Buches vor allem mit dem Zirkus
und dem Theater befasste).
20 Scherenschnitte suchte er aus den vielen
Bildern aus, die in diesen ersten Jahren der
Schwäche und Krankheit entstanden. Betrachtet man diese Bilder mit Titeln wie „Der Clown“,
„Der Cowboy“ oder „Der Messerwerfer“, ohne
zu wissen, wie sie entstanden, würde man nie
ahnen, aus welcher Not sich der bis dahin so
wirkmächtige Maler damals auf die vergleichsweise begrenzten Miniaturformate und den
kindlichen Umgang mit dem Material einließ.
Die Kraft und die Lebensfreude, die aus diesen Bildern sprechen, sind heute noch so ansteckend wie vor über einem halben Jahrhundert.
Bald aber wurden die Scherenschnitte zu sehr
viel mehr als nur zu einer Notlösung. Sie wurden der Kern seiner Arbeit. Die junge russische
Immigrantin Lydia Delectorskaya, die Matisses Frau Amélie zunächst als seine Krankenpflegerin angestellt hatte, wurde zu seiner
unersetzlichen Assistentin, die ihm half, das
Entrepreneur 02/2015
Technische Hürden überwinden
Innovation wird in Afrika selten von der Suche nach neuen Geschäftsfeldern
angetrieben. Der Windgenerator „The Saphonian“ (Bild oben) wurde beispielsweise in Tunesien entwickelt, um die Kosten für die Stromerzeugung
zu senken, die Technologie zu vereinfachen und die Effizienz zu steigern.
Statt durch Rotorblätter wird die Windenergie durch die Bewegungen eines
runden Segels umgewandelt, das diese Kraft auf ein einfaches System aus
Wellen überträgt. Der WLAN-Router BRCK (Bild unten) wurde vom digitalen
Kollektiv Ushaihidi in Nairobi erfunden, um die Alltagsprobleme zu überwinden, die das Gros der Internetnutzer weltweit plagen. In den meisten Megacities der Schwellen- und Entwicklungsländer gibt es nur selten stabile Stromversorgung und Internetverbindungen. Der BRCK-Router überbrückt solche
Versorgungslücken mit einem Akku, der die WLAN-Verbindung und angeschlossene Geräte acht Stunden lang mit Strom versorgt. Darüber hinaus bündelt der Router verschiedene drahtlose und kabelgestützte Verbindungen,
um so zu garantieren, dass immer mindestens ein Anschluss ans Internet funktioniert. Dieses Signal gibt er an bis zu 20 Computer weiter, sodass der
schlichte schwarze Quader einer ganzen Gemeinde als Verbindung zum Netz
dienen kann.
02/2015 Entrepreneur
Impulse Inspiration 61
Bald nachdem er mit den Scherenschnitten
begonnen hatte, erlebte Matisse jene
Glücksgefühle aufs Neue, die ihn zuvor in
einer Lagune auf Tahiti erfasst hatten.
raumgreifende Scherenschnitt eine ähnliche
kunstgeschichtliche Bedeutung wie Claude
Monets „Seerosen“ oder Oskar Schlemmers
Kostüme für das „Triadische Ballett“ – monumentale Höhepunkte als Erfüllung einer Vision.
Papier nach seinen Vorstellungen einzufärben
und die ausgeschnittenen Formen zu Bildern
zu kleben. Das fast drei Meter mal drei Meter
große Bild „L’escargot“ („Die Schnecke“) entstand beispielsweise über mehrere Monate hinweg vom Sommer 1952 bis ins Frühjahr 1953.
Heute hängt es in der Sammlung der Tate in
London und gilt als eines der wichtigsten Bilder
des mittleren 20. Jahrhunderts.
Was in all diesen Geschichten über das Spätwerk von Henri Matisse steckt, ist weniger
eine Moral als eine ganze Reihe von Sehnsüchten. Da ist zunächst einmal die Sehnsucht,
einen Moment der Schwäche in einen Zustand
der Stärke zu verwandeln. In einer Zeit, in der
der Neuanfang, sei es als Start-up, sei es als
Relaunch, zum Modus operandi ganzer Industrien geworden ist, hat solch ein Moment nicht
nur kathartische Wirkung, er kann über die
Zukunft entscheiden.
Im Geschäftsleben gibt es solche Geschichten nur selten. Bekanntestes Beispiel ist die
Wiedergeburt der Firma Apple, als sie sich
mit ihren Rechnern und ihrem Betriebssystem in eine Nische manövriert hatte, aus der
es scheinbar keinen Ausweg mehr gab. Es
waren dann der Wiedereintritt von Steve Jobs
in die Führungsriege und seine Vision vom
universalen Elektronikkonzern, die Apple zum
höchstnotierten Unternehmen der Wirtschaftsgeschichte machten.
Zufälligkeiten aus einem Moment der Schwäche
waren oft der Schlüssel zu Matisses Scherenschnittwerken. Seinen legendären Monumentalschnitt „La Piscine“ schuf er 1952, als er schon
in Nizza lebte. Eines Sommermorgens bat er
seine Assistentin Lydia Delectorskaya, ihn zu
einem Swimmingpool in Cannes zu bringen,
den er sehr mochte. Er wollte sich dort Turmspringer ansehen, die immer wieder Motiv für
ihn waren, doch die Hitze machte ihm zu schaffen. So ließ er sich zurück in die Kühle seines
Ateliers bringen, wo er sagte, er werde sich nun
seinen eigenen Swimmingpool schaffen, und
sogleich damit begann, seine Wände mit Formen und Farben zu überziehen. Heute hat der
Die zweite Sehnsucht in der Biographie von
Matisse ist die Kraft der Innovation aus Notwendigkeit. So entstand eines der wichtigsten
Scherenschnittwerke von Matisse nicht aus
einer künstlerischen Entscheidung heraus.
Im Sommer und Herbst des ersten Nachkriegsjahres, 1946, hatte er in seiner Pariser Wohnung Formen entworfen, die er eigentlich nur
über die hässlichen Flecken kleben wollte, die
während Renovierungsarbeiten auf den Tapeten auftauchten. Bald aber war er einem großen Werk auf der Spur. Seinem Freund, dem
ungarischen Fotografen Brassaï, sagte er noch:
„Ich weiß noch nicht, worauf das alles hinausläuft. Vielleicht Wandbilder, eine Art Mauerstruktur.“ Muscheln klebte er da, Fische, Vögel, Korallen und Meerespflanzen. Bald aber
erlebte er jene Glücksgefühle aufs Neue, die
ihn 15 Jahre zuvor in einer Lagune auf Tahiti
erfasst hatten. Der Textildesigner Zika Ascher
sah dann, wie diese Formen immer großflächiger über die Wände wucherten, und gab
zwei Wandbilder in Auftrag. So entstanden
„Océanie, le ciel“ und „Océanie, la mer“.
„L’escargot“ („Die Schnecke“) ist mit
fast drei mal drei Metern eines der
größten Papierwerke, die Matisse mit
Hilfe seiner Assistentin anfertigte.
Vom Sommer 1952 bis ins Frühjahr des
Jahres 1953 arbeitete er daran.
Diese Dringlichkeit der Innovation ist selbst
den jungen digitalen Industrien in den letzten
Jahren abhandengekommen. Wieder ist
Apple ein gutes Beispiel. Auf die innovativen
Jobs-Jahre, in denen der Konzern mit dem
iMac das Designverständnis einer ganzen Industrie, mit dem iPod das Musikhören und
mit dem iPhone den Alltag neu definierte, folgten Jahre der Langeweile im ewigen Zyklus
02/2015 Entrepreneur
62 Impulse Inspiration
Impulse Inspiration 63
Afrikas zukunftsweisende Erfinder
Auf den Straßen der Megacities kann Nahverkehr die Hölle sein. Traditionelle
Busse und Taxis sind in den oft engen, meist überfüllten Straßen der wild
wuchernden Städte überfordert. Vor allem aber sind 80 Prozent aller Fahrten in Städten kürzer als fünf Kilometer. Der südafrikanische Unternehmer
Neil du Preez kombinierte die bewährte Technik der Rikschas mit der modernen Technologie des Elektrofahrrads und baute das Mellowcab (Bild oben).
Diese leichtgängigen Dreiräder entlasten zum einen die Straßen, zum anderen ist der Einspareffekt auf Kurzstrecken gegenüber benzingetriebenen
Fahrzeugen enorm. Doch nicht jeder Innovator kommt aus der Großstadt. Der
Bauernjunge Richard Turere aus Kitengela im Süden Kenias war erst neun
Jahre alt, als er einen Weg suchte, die Viehherden seiner Familie vor Löwen
zu schützen. Nach erfolglosen Versuchen mit Öllampen und Vogelscheuchen
schloss er LED-Leuchten an eine Autobatterie an und schaltete einen Unterbrecher dazwischen. Die blinkenden Lampen verschrecken fortan die Löwen
und beruhigten gleichzeitig das Vieh. Inzwischen werden Tureres „Lion Lights“
von Bauern in ganz Ostafrika benutzt. Nach Vorträgen in aller Welt bekam
Turere ein Stipendium, um seine Ausbildung an einer Oberschule abzuschließen.
der Updates. Diese Zyklen werden in den meisten Industrien nicht von der Kraft der Erneuerung angetrieben, sondern folgen eher den
Gesetzen der Mode. Grundmotiv des Updates
ist der Versuch, den Konsumenten durch äußere Veränderungen oder irrelevante Leistungssteigerungen im Kreislauf der Produkterneuerungen zu halten.
Es ist kein Wunder, dass alle Welt derzeit die
Innovationskraft Afrikas bewundert. Dort gibt
es ganz reale Zwänge, die zu brillanten Ideen
und wirklichen Veränderungen führen. Das
junge Team von Ushaihidi aus der kenianischen
Hauptstadt Nairobi hat beispielsweise eine
ganze Reihe solcher Innovationen in Umlauf
gebracht, die nun weltweit genutzt werden.
Juliana Rotich kann lange davon erzählen. Sie
reist oft durch die Welt, um Ushaihidi auf
Konferenzen und Messen anzupreisen. Das
Programmieren hat sie in Amerika gelernt.
Die Erfindungen aber machte sie in ihrer afrikanischen Heimat.
Angefangen hatte Ushaihidi mit einem Landkartensystem, das nach dem CrowdsourcingPrinzip von allen Bürgern einer Gemeinde,
einer ganzen Stadt, eines ganzen Landes mit
Daten gefüttert wird. Was als Nothilfeprojekt
für Katastrophengebiete wie die brennenden
Slums von Nairobi während der Unruhen rund
um die Wahlen von 2007 oder in Haiti und
Japan nach den Erdbeben begann, wird heute
für so unterschiedliche Dinge genutzt wie das
Messen von Wasserverbrauch und die Steigerung von Ernteerträgen.
Nun kann man das Internet zwar für solche
Zwecke sehr gut nutzen, bald aber stießen
die Mitglieder von Ushaihidi auf ein Problem,
mit dem die meisten Schwellen- und Entwicklungsländern zu kämpfen haben. „Wie soll
man das Internet nutzen, wenn es keinen Strom
gibt?“, erinnert sich Rotich. So konstruierte
sie gemeinsam mit ihren Mitstreitern einen
Wi-Fi-Router mit dem Namen BRCK, der zum
einen als Batterie genügend Strom für acht
Stunden Betrieb liefern kann und der sich zum
anderen via SIM-Karte und GSM-Antenne auch
in empfangsarmen Gegenden einen Zugang
zum Internet sucht. „Die meisten Router und
In der Faszination, die afrikanische
Technologiesprünge auf die
industrialisierte Welt ausüben, liegt
die Hoffnung auf eine Vereinfachung, die nicht Beschränkung,
sondern Befreiung ist.
Entrepreneur 02/2015
Modems wurden für Städte wie New York und
London konstruiert“, sagt sie. „Die meisten
Menschen, die ins Internet gehen, leben heute
aber in Städten wie Nairobi oder Delhi.“ Deswegen ist das Gerät im schlichten Zweckdesign
auch sehr viel robuster als herkömmliche Digitalgeräte. Die Konzerne aus den industrialisierten Ländern schauen sich das Gerät schon
genau an.
Die dritte Sehnsucht aber, die in der Geschichte
steckt, ist die nach der Einfachheit. „Je abstrakter ich male, desto stärker reduziere ich
eine Form auf das Wesentliche“, sagte Matisse.
Die Kunstgeschichte hat diesen Drang in seiner Arbeit als Periode erneuter Einfachheit
eingeordnet, die von 1920 bis 1940 dauerte,
die Jahre danach als Periode der Beschränkung auf das Wesentliche.
Auch in der Faszination, die afrikanische Technologiesprünge auf die industrialisierte Welt
ausüben, liegt diese Hoffnung auf eine Vereinfachung, die keine Beschränkung, sondern eine
Befreiung ist. Es ist die Befreiung von den immer schwerer zu durchschauenden Zyklen einer Wirtschaft, die in einer immer komplexeren Welt Wege suchen muss, neue Bedürfnisse
zu wecken und so Wachstum zu generieren.
So sind die Technologiesprünge der Industrienationen oft Verbesserungen und Verfeinerungen, die Begierden wecken, anstatt Bedürfnisse zu stillen.
Nur so lässt sich erklären, warum der Sohn
einer Massai-Bauernfamilie namens Richard
Turere schon mit 13 zu einem Jungstar der
Innovationsszene wurde, der von CNN porträtiert und vom Ideenfestival TED Conference
eingeladen wurde. Mit neun Jahren musste
er mit ansehen, wie Löwen den Viehbestand
seiner Familie immer wieder dezimierten. Nachbarn hatten ganze Herden verloren. Die Löwen zu jagen war verboten – im Nationalpark,
aus dem sie auf die Turere-Farm vordrangen,
stehen sie unter Schutz. Erste Versuche, sie
mit Ölfunzeln oder Vogelscheuchen zu verschrecken, scheiterten. Eines Nachts aber bemerkte er, dass die Raubtiere sich vor seiner
Taschenlampe fürchteten. Bald darauf stellte
Turere Masten mit LED-Leuchten um die Herde herum auf, die er an eine alte Autobatterie
anschloss. Mit Hilfe einer Zwischenschaltung
brachte er diese Lichter zum Flackern. Sobald
sich die Raubtiere der Herde nähern, lösen
preisgünstige Sensoren die Lichtsperre aus.
Gleichzeitig beruhigt das Licht das Nutzvieh,
das nun die sonst so beunruhigend finstere
„Le Cirque“ („Der Zirkus“) ist einer
der 20 Scherenschnitte, die Matisse
bettlägerig während einer seiner
ersten schweren Krankheiten 1941
anfertigte. 1947 erschienen sie als
Künstlerbuch „Jazz“.
Savanne überschauen kann. Das steigert den
Ertrag an Milch und Fleisch. So erfand er seine Konstruktion, die als „Turere Lion Lights“
in ganz Afrika verwendet wird.
Trifft man den inzwischen 15-jährigen Jungen,
ist man beeindruckt, wie bescheiden, fast
schüchtern er auftritt. So wird er zu einem
Idealtypus des ehrlichen und einfachen Erfinders, der die Innovation in ihrem ursprünglichen Sinne versteht – als Antrieb für die Weiterentwicklung des Menschen.
Hinter den Sehnsüchten, die sich so kongenial in den Bildern von Matisse wiederfinden,
steckt aber eine Falle. Denn wie bei allen Sehnsüchten ist ihre Erfüllung gar nicht das wahre Ziel. Niemand will den Lauf der Menschheitsgeschichte zurückdrehen. Die Komplexität
der Zivilisation bleibt Herausforderung und
Antrieb zugleich. Jeder Versuch, den Fortschritt aufzuhalten oder abzulehnen, sich in
eine vormoderne Einfachheit zu flüchten,
scheitert. Die Schönheit in der absoluten Reduktion bleibt eine Domäne der Kunst. Und
selbst dort ist sie nur ein Traum, der nicht
hält, was er verheißt. Henri Matisse selbst gab
das einmal zu, als er sich spät im Leben noch
einmal an seine Reise nach Tahiti erinnerte.
„In Tahiti schätzte ich das Licht um seiner selbst
willen. Doch es war so herrlich wie langweilig. Es gibt in diesem Land ja keine Sorgen. Wir
haben unsere Sorgen von Kindheit an. Die
erhalten uns wohl am Leben. Dort ist das Wetter schon bei Sonnenaufgang wunderbar und
ändert sich bis Sonnenuntergang auch nicht.
So ein unveränderliches Glück aber ist letztlich doch nur ermüdend.“
02/2015 Entrepreneur
Impulse Mindmap 65
Persönlich
Unternehmertum
• Experimentierfreudig und
energiegeladen
• Menschen liebend und
harmoniebedürftig
• Himmelhoch jauchzend,
zu Tode betrübt
• Nie zufrieden, ungeduldig
• Risiken bieten Chancen –
das reizt mich
• Stehaufmädchen
• Freiheit und Unabhängigkeit – „Geht
nicht“ gibt’s nicht
• Unsicherheit aushalten – nicht nervös
werden, wenn es mal nicht läuft
• Trial and Error – nur wer wagt, gewinnt!
• Mit Mut und Toleranz die Welt verändern
• Risiken umarmen und keine Angst vor
Misserfolg
• Fail fast – Fehler machen alle. Je früher,
desto besser!
• Träume leben und Barrieren überwinden – die sind meist nur im Kopf
Digitalisierung
Inspiration
• Das Leben mit den Augen
von Kindern sehen
• Menschen, die sich immer
wieder ausprobieren,
ohne Angst vor der Meinung anderer
• Frauen in Führungspositionen – auf dass es auch
ohne Quote mehr werden
• Mein Motto: „Das Leben
wird vorwärts gelebt und
rückwärts verstanden.“
THEMA
Experiment
• Fluch und Segen, aber
auf jeden Fall die Zukunft
• Grüne Wiese mit großer
Verantwortung
• Mehr Chance als Risiko
• Programmieren als neue
Weltsprache
• IT-Infrastruktur an Schulen
und Universitäten ausbauen
• Ausländischen IT-Fachkräften den roten Teppich
ausrollen
Vorbilder
Familie
Mach
was!
Wie Verena Pausder kleine
Kinder und sich selbst immer
wieder auf Trab bringt.
• Das beste Experiment des Lebens
• Immer neu, immer anders, immer toll
• Tägliche Herausforderung Working
Mum – Learning by Doing
• Rückhalt, Kraft, Stärke, Zuversicht, Liebe
Angst vor neuen Welten – Verena Pausder (36) hat sie nie gehabt. Dafür die
stete Lust, sich vorzuwagen auf unbekanntes Terrain. Insofern ist es kein
Wunder, dass sie im Jahr 2012 mit ihrem Co-Gründer Moritz Hohl die Fox &
Sheep GmbH gründete. Das Berliner Unternehmen entwickelt und vertreibt
Apps für Kinder im Vorschulalter – also für die vielleicht engagiertesten Entdecker der Welt. Mit Pausders Produkten steuern sie Bauarbeiter, bringen
Ponys zum Tanzen und Schweine ins Bett. Und ganz nebenbei tasten sie sich
vor in die digitale Zukunft.
Etwas ausprobieren. Darin sind sich Pausder und ihre kleinen Kunden sehr
ähnlich. Bereits mit 20 Jahren gründete die Tochter eines Bielefelder Textilfabrikanten mit ihrer Schwester eine Sushibar, die sie neben dem BWL-Studium
sechs Jahre lang betrieb. Nach einer eher frustrierenden Station als Trainee
bei einer großen Versicherung machte sie sich erneut selbstständig, mit einer
Kette von Salatbars – und scheiterte nach bereits einem Jahr. Dabei verlor sie
ihre gesamten Ersparnisse. Erfolgreicher war dann ihre eigene Beteiligungsgesellschaft, die etwa Containerschiffe finanzierte.
• Bertrand Piccard (Solar Impulse), wegen
seines Mutes, Dinge zu wagen, die
angeblich unmöglich sind
• Elon Musk (Tesla), wegen seines Glaubens
an Innovation und Disruption
• Sheryl Sandberg (Facebook), wegen ihrer
Diversity im Denken
• Philipp Pausder (mein Mann), wegen seiner
Energie, den Status quo immer wieder
in Frage zu stellen
Danach machte Verena Pausder den Schritt in die digitale Welt und betrat
wieder Neuland. Zunächst als angestellte Managerin bei einer Online-Partnervermittlung, später half sie, als Head of Online für einen Medienkonzern eine
Lernplattform für Schulkinder aufzubauen. Im Jahr 2010 wird die Mutter von
zwei Söhnen geschäftsführende Gesellschafterin bei Young Internet, dem Betreiber einer Online-Spieleplattform für Kinder. Zwei Jahre später gründet sie
Fox & Sheep, um sich aufs mobile Geschäft zu konzentrieren.
Eine richtige Entscheidung – bei einem Umsatz im Jahr 2014 von knapp über
einer Million Euro und weltweit über zwölf Millionen Downloads hat sich Fox &
Sheep zu einer hochprofitablen Firma entwickelt. Und offenbar so zukunftsträchtig, dass sich der renommierte Spielwarenhersteller HABA zu Beginn des
Jahres die Mehrheit daran sicherte. Für Verena Pausder nicht nur eine schöne
Anerkennung, sondern die Chance, mit Fox & Sheep nun wieder ein neues
Experiment zu wagen: Deren digitale Charaktere sollen bald ganz real Einzug
in die Kinderzimmer halten. Damit man sie nicht nur auf einem Bildschirm
anstupsen, sondern richtig knuddeln kann.
Impulse Vordenker 67
Arvind Gupta mit seinem
ersten Wissenschaftsspielzeug, dem „Matchstick
Mecanno“. Aus Zündhölzern
und Ventilschlauchstücken
lassen sich ungezählte geometrische Figuren formen.
Raumschiffe
aus Müll
Der Inder Arvind Gupta baut Spielzeuge,
die zu einem großen Teil aus dem bestehen,
was andere Leute auf den Müll werfen.
Mit „Toys From Trash“ hat er die Begeisterung für einfache naturwissenschaftliche
Experimente auch in den entlegensten
Winkeln seines Heimatlandes entfacht.
Entrepreneur 02/2015
E
nde der 70er-Jahre gab es eine Zeit, da wusste
Arvind Gupta nicht so recht, was er mit seinem
Leben anstellen sollte. Andererseits hatte der junge
Mann eine ziemlich genaue Vorstellung davon,
was er nicht wollte – nämlich so weitermachen wie
bisher. Gupta arbeitete damals als Ingenieur für
den indischen Tata-Konzern und baute Lastwagen. Ein gut dotierter
Job, um den ihn viele beneideten. Doch er wurde immer unzufriedener. Von Tag zu Tag wuchs in ihm das Bedürfnis, seinem Leben
eine radikale Wendung zu verpassen. Gupta vollzog damals eine
Metamorphose – vom Ingenieur zum Spielzeugmacher. So bezeichnet er sich seitdem. Und in seiner neuen beruflichen Bestimmung
hat er es zu weltweiter Popularität gebracht. Mit Büchern, die
in viele Sprachen übersetzt wurden. Mit über 1 000 Filmen auf
YouTube. Mit Vorträgen auf Bildungskongressen in aller Welt.
Auf Spielwarenmessen, in den Katalogen der großen Hersteller
und bei Internetversendern sucht man die Kreationen des stets
freundlich auftretenden, in eine weit geschnittene Kurta gewandeten Mannes allerdings vergebens. Seine Spielwaren kann
man überhaupt nirgends kaufen. Sie haben auch keinen Preis,
weder in Euro noch in Dollar noch in indischen Rupien. Arvind
Guptas Spielwerk besteht zu einem großen Teil aus dem, was andere Leute wegwerfen. Aus Müll. Aus Fahrradschläuchen, Filmdosen, Strohhalmen, Drahtstücken, Garnröllchen, Pappe, Papier,
Styropor, Alufolie und Plastikbechern. Aus diesen Materialien
entstehen kleine Zentrifugen, Propeller, Hupen und Fanfaren,
Papierskelette, geometrische Figuren, Miniatur-Solarboote, Pumpen in allen Variationen und ein Raumschiff aus Papier, das, an
einer Schnur aufgehängt, quer durch den Raum saust.
Die Idee zu „Toys From Trash“ entsprang Arvind Guptas sozialistisch angehauchter Grundeinstellung. Anfang der 70er, als er
am Indian Institute of Technology in Kanpur studierte, verfolgte
er elektrisiert die weltweiten Anstrengungen für eine friedlichere
und gerechtere Welt. Im Geiste war er bei den Protestierenden
auf den Campussen der Universitäten und den Straßen der Metropolen; er sah sich auf der Seite der Benachteiligten und Entrechteten. „Allerdings hatte ich nur begrenztes Interesse an weitschweifigen Diskursen über den besten Weg zum Sozialismus“,
sagt er heute. Auch die Barrikade, mit wehender Fahne in der
Hand, war nicht sein Platz. Er bevorzugte praktische Schritte,
um das Los der Deprivierten zu erleichtern – jener Millionen von
Landsleuten, die mit ein paar Rupien in der Hand von einem Tag
auf den anderen lebten.
Auch Indien wurde damals von einer großen Begeisterung für die
Naturwissenschaften erfasst. In den Jahren nach der Landung
der ersten Menschen auf dem Mond erlebte insbesondere die
Physik eine Renaissance. 1975 wurde dann der erste indische
Satellit ins All geschossen – ein Akt der Emanzipation für das
Raumfahrt-Nachzüglerland.
In den meisten Schulen fristeten die Naturwissenschaften allerdings ein klägliches Dasein. Das wollten die Aktivisten vom
Hoshangabad Science Teaching Programme ändern. Sie brachten die Wissenschaft in die Dorfschulen und setzten dabei auf
entdeckendes, spielerisches Lernen statt auf stupides Pauken
aus Schulbüchern. So bereiteten sie den Nährboden für Arvind
Guptas Wandlung vom Ingenieur zum Spielzeugmacher. „Go to
the people. Live with them. Love them.“ hieß ihr Slogan. Mit
einfachen Experimenten sollten die Kinder selbst Antworten auf
alltägliche naturwissenschaftliche Fragen finden und mit ihrem
natürlichen Wissensdrang, ihrer Neugier und Probierlust die
unbelebte Natur sinnlich erfahren. Auch Arvind Gupta, dem der
sozial-aufklärerische Ansatz des Science Teaching Programme
nicht verborgen geblieben war, ließ sich von den Bildungsrevolutionären inspirieren. 1978 nahm er bei Tata eine zunächst auf
ein Jahr befristete Auszeit „für Studienzwecke“ und schloss sich
der Bewegung an, um die Begeisterung für Naturwissenschaften und Technik auch in den entlegensten Winkeln des Landes
zu entfachen.
Guptas erste Station war „eine sehr kleine Schule in einem sehr
kleinen Dorf“. Es gab dort weder ein Labor noch Chemikalien
oder Gerätschaften für einen anständigen Chemie- oder Physikunterricht. Die Schulbücher waren mindestens 30 Jahre alt.
Gupta suchte Unterrichtsmaterialien, die möglichst nichts kosteten. „Müll gab es in Hülle und Fülle“, erinnert er sich, „überall,
ich brauchte nur vor die Tür der Schule zu treten.“ Gupta begann,
Stücke eines Fahrradventilschlauchs mit Streichhölzern zu verbinden – und schuf damit sein erstes „Wissenschaftsspielzeug“,
das er bis heute zu seinen Lieblingskreationen zählt: den „Matchstick Mecanno“. Aus den Ventilstücken und den Zündhölzern
lassen sich ungezählte zwei- und dreidimensionale geometrische
Figuren formen: Polygone, Würfel, Tetraeder, Quader, Pyramiden. Die wiederum können dann zu komplexen Bauwerken, beispielsweise zu Häusern, zusammengefügt werden. Die Körper
lassen sich drehen, kippen, auseinanderziehen und quetschen wie
eine Ziehharmonika. Manche fallen um, andere bleiben stehen.
Wer damit hantiert, lernt beispielsweise eine Menge über Statik –
ohne jemals einen Blick in ein Lehrbuch darüber geworfen zu
haben. Eine solche Lerneinheit in Physik kostet nichts – sie erfordert nur Begeisterungsfähigkeit und Experimentierfreude.
Arvind Guptas einjährige Auszeit bei Tata wuchs sich zu einer
mittlerweile 37-jährigen Bildungsmission aus. Mehr als 650 Spielzeuge aus Abfall umfasst das aktuelle Portfolio des 61-Jährigen. 1 100 YouTube-Filme erklären, meist innerhalb von nicht
mehr als einer Minute, die Herstellung der „Toys From Trash“.
An wie vielen Schulen er sein kleines Bildungsfeuerwerk bisher
abgebrannt hat? Arvind Gupta hat irgendwann aufgehört zu
zählen. Für ihn ist etwas anderes entscheidend: „Jedes Mal, wenn
ich den Kindern diese Dinge zeige und sie sie dann anschließend
selbst ausprobieren, sehe ich ein Leuchten in ihren Augen“, sagt
er. „Ich sehe Hoffnung und ich sehe pure Freude.“
Toys From Trash
Unter www.arvindguptatoys.com findet sich eine
Vielzahl von Anleitungen für Experimente und den Bau
einfacher Spielzeuge aus Abfall.
02/2015 Entrepreneur
68 Impulse Zehn Fragen
Die Fähigkeit zur Improvisation – kann man sie lernen?
Allein positives Denken kann ungeahnte Talente freisetzen. Zudem
muss man aus sich selbst schöpfen und logisch agieren. Wenn dir dein
Improvisationspartner ein Paket überreicht – mach es auf.
Keith Johnstone
Bedeutet Improvisation die Fokussierung
auf sich selbst oder doch eher auf andere?
Beides. Wer versteht, wie er die Kreativität
anderer behindert, weiß auch, wie er seine
eigenen Entfaltungsspielräume einschränkt.
Etwa wenn man sich selbst in den Vordergrund spielt, indem man krampfhaft witzig
sein will.
Der britische Schauspiellehrer Keith Johnstone (82)
ist einer der Pioniere des Improvisationstheaters.
Bereits in den 60er-Jahren suchte er an der Londoner
Royal Academy of Dramatic Art nach Wegen zu
mehr Spontanität und Freude auf der Bühne, forderte
seine Schüler dazu auf, Grimassen zu schneiden und
sich bewusst nicht zu konzentrieren. An der Universität Calgary schuf er 1975 schließlich eine spezielle Form des Improvisationstheaters, für die er bis
heute berühmt ist – „Theatresports“, bei dem zwei
Mannschaften aus Schauspielern um Punkte eines
Schiedsrichters und die Gunst eines bewusst auch
lautstarken Publikums spielen. Seit der Gründung
seiner Loose Moose Theatre Company im Jahr 1977
hat Johnstone diverse weitere Improvisationsformate entwickelt, die dem grundsätzlich freien Spiel
einen festen Rahmen geben und deren weltweite
Verbreitung das 1998 aufgesetzte International
Theatresports Institute in Calgary maßgeblich vorantreibt. Johnstone selbst steht trotz seines hohen
Alters bis heute bei Workshops auf der Bühne.
Theatresports – warum haben Sie diese
spezielle Form des Improvisationstheaters
ursprünglich entwickelt?
Ich wollte mehr Dynamik ins Spiel bringen. Und
mir war ein Miteinander von Schauspielern
und Publikum wichtig. Deshalb habe ich mich
am professionellen Wrestling orientiert, was
ja auch eine Form von Theater ist.
Können Erfahrungen aus dem Improvisationstheater auf andere Lebensbereiche übertragen werden?
Ja, denn wir geraten immer wieder in unvorhersehbare Situationen. Wie beim Theater
müssen wir dann aus dem Stand heraus stimmig reagieren.
Haben denn auch Führungskräfte und Improvisationskünstler etwas gemeinsam?
Beide müssen einen Prozess aktiv weitertreiben, anstatt nur dem nachzulaufen, was andere vorgeben. Dabei können beide nicht wissen, was die Zukunft bringt.
Welche Lehren aus dem Improvisationstheater sind am ehesten im Geschäftsleben
anwendbar?
Ich tue mich schwer mit Ratschlägen. Aber
meine Arbeit findet erfolgreich Anwendung
etwa beim Coaching von Managern, und dafür wird es Gründe geben.
Entrepreneur 02/2015
Improvisationstheater folgt keinem Script –
was gibt trotzdem Orientierung?
Die Struktur ergibt sich, wenn man wach bleibt
und stets Bezug nimmt auf vorangegangene
Szenen. Das Streben nach Wahrhaftigkeit und
einer stimmigen Geschichte verhindert zudem, dass das Stück ins Sinnlose abdriftet.
Welche Rolle spielt dann Führung in experimentellen Prozessen?
Führung bedeutet eine Vorstellung, wohin
ein Prozess führen soll und warum bestimmte
Dinge dabei passieren. Das erkennt man aber
erst, wenn der Prozess schon im Gange ist.
Darüber sollte man sich freuen, auch wenn
es anstrengend ist.
Was ist die größte Hürde dabei, im Theater
erfolgreich zu improvisieren?
Angst. Sie verhindert, dass sich Menschen
verändern und entwickeln. Aber kein Mensch
will einen Schauspieler sehen, mit dem auf
der Bühne nichts passiert.
Wie würden Sie Scheitern definieren?
Scheitern ist ein wichtiger Schritt zur guten
Improvisation, denn ohne Scheitern gibt es
kein richtiges Lernen. Und nur wer lernt, kann
auch improvisieren. Für mich stellt sich deshalb eher die Frage, ob etwas funktioniert.
Wenn man auf der Bühne Fehler macht und das
Stück trotzdem fließt, ist das doch wunderbar.
Impressum
Herausgeber:
Georg Graf Waldersee
Gestaltung und Realisation:
Anzinger | Wüschner | Rasp, München
Art Direction:
Markus Rasp
Projektmanagement:
Martina Jacoby
Bildnachweise:
S. 5 links: Catalin Marin, S. 20–22: Nordeus, S. 30–32: illy,
S. 33: Mattia Balsamini, S. 34: Catalin Marin, S. 36:
iStock / GettyImages, S. 54 / 55: Fabrice Borgazzi, S. 56 / 57:
Archives H. Matisse, S. 58 / 60 / 61 / 63: Succession H.
Matisse/VG Bild-Kunst, Bonn 2015, S. 59 oben: Saphon
Energy, S. 59 unten: BRCK Inc., S. 62 oben: Lucia du Preez,
S. 62 unten: TED, S. 64: Jennifer Fey, S. 66 / 67: Sumeet
Moghe, S. 68: Benjamin Johnstone
Adresse der Redaktion:
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Die globale EY-Organisation im Überblick
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Magazin No. 02 /2015 Entrepreneur by EY
EY | Assurance | Tax | Transactions | Advisory
02/2015
Experiment — Ein Aufbruch ins Ungewisse / Entdecken
statt Pauken / Von Sachzwängen und Geniestreichen /
Improvisation und Rhythmus / Alle Sinne auf Empfang
by EY
In Deutschland ist EY an 22 Standorten präsent. „EY“ und „wir“ beziehen
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Uwe Ahrendt, CEO und geschäftsführender
Gesellschafter, NOMOS-Uhrenmanufaktur,
Glashütte
Magazin für unternehmerische Exzellenz