Lebendige Briefe Pfarrer Florian Kunz Ihr seid unser Brief, in unser

Predigt 2. Kor 3,2-6: Lebendige Briefe
Pfarrer Florian Kunz
Ihr seid unser Brief, in unser Herz geschrieben, erkannt und gelesen von allen
Menschen! Ist doch offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid, durch
unsern Dienst zubereitet, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des
lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln,
nämlich eure Herzen.
Solches Vertrauen aber haben wir durch Christus zu Gott. Nicht dass wir
tüchtig sind von uns selber, uns etwas zuzurechnen als von uns selber; sondern
dass wir tüchtig sind, ist von Gott, der uns auch tüchtig gemacht hat zu Dienern
des neuen Bundes, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der
Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.
„Ihr seid ein Brief“ sagt Paulus zur Gemeinde in Korinth. „Ihr seid ein Brief“!
Wer schreibt heute noch Briefe? Womöglich mit dem Füller? Auf Briefpapier in
schöner Schrift? Am PC geht das doch viel schneller, und Email oder SMS sind
so viel einfacher, schnell getippt, versendet, fertig. Weder Anrede noch
Briefmarke nötig. Ein paar Klicks und die Nachricht ist abgeschickt.
Wer schreibt heute noch Briefe? Immer weniger Menschen tun das. Schade
eigentlich. Denn ein Brief ist so wunderbar persönlich. Die Handschrift ein
Spiegel ihres Verfassers, seines Charakters, seiner Stimmung, seiner Gefühle. Es
ist eine viel verletzlichere Art der Kommunikation als Email und Textnachricht.
Wer mit eigener Hand schreibt, zeigt etwas von sich, bildet sich ab in den
geschwungenen Linien der Buchstaben aus Tinte, die in das Papier sickern.
„Ihr seid ein Brief“ sagt Paulus zur Gemeinde in Korinth „unser Brief, in unser
Herz geschrieben“.
Briefe, ins Herz geschrieben, lebendige Briefe. Solche Briefe gibt es in der
großen Literatur und in unserem kleinen Alltag, unserem Leben. Manche
bewahren wir auf wie einen wertvollen Schatz. Schließen sie ein, wie Juwelen.
Denn sie sind nur für uns.
Briefe, ins Herz geschrieben, lebendige Briefe. Der Schriftsteller Jurek Becker
hat solche Briefe geschrieben. Seinem Sohn Jonathan genannt „Johnny“ hat er
als der ein Kind war viele Postkarten geschickt. Manchmal jeden Tag eine.
Nicht nur wenn er auf Reisen war:
„Du lieber Wackelpudding, erinnerst du dich noch an den Clown aus dem
Zirkus mit seinem verrückten Auto? Hier in München habe ich auch einen
Clown getroffen; er sieht etwas anders aus, denn jeder Clown sieht etwas anders
aus als alle anderen. Er hat mich gefragt, ob du viel lachst, und ich habe
geantwortet: Über jeden Quatsch. Dein Pipopapi
Du alte Piratenschrippe, was hältst du davon, in den nächsten Tagen ins
Restaurant oben auf dem Funkturm zu gehen? Und wenn wir dann am Tisch
sitzen und der Kellner uns fragt, was wir wollen, sagst du: Radiescheneis! Und
wenn der Kellner sagt, dass es das nicht gibt, dann bestellen wir eben Vanilleeis.
Okay? Dein Papa
Du alte Quetschkommode,
hier in Polen, wo ich jetzt bin, sehen Polizisten aus wie bei uns die Briefträger.
Und die Briefträger sehen aus wie bei uns die Eisenbahner. Bloß die Kinder
sehen genauso aus wie bei uns. Jedes Mal, wenn ich eins sehe – und das
geschieht sehr oft -, muss ich an meinen Johnny denken. Dein Papa“
Briefe, ins Herz geschrieben, lebendige Briefe. Jurek Becker ist mit 59 Jahren
viel zu früh gestorben, sein Sohn Johnny war da erst sechs. Später hat er gesagt:
„Mein Vater hat mich so viel geliebt, das reicht für ein ganzes Leben.“
„Ihr seid ein Brief“ sagt Paulus zur Gemeinde in Korinth - „Ihr seid ein Brief“
sagt Paulus zur Gemeinde hier, „unser Brief in unser Herz geschrieben, erkannt
und gelesen von allen Menschen! Ist doch offenbar geworden, dass ihr ein Brief
Christi seid, durch unsern Dienst zubereitet, geschrieben nicht mit Tinte,
sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes“.
Brief sein – nicht nur damals, heute auch.
Brief sein – nicht nur Träger,
Inhalt sein, die Botschaft verkörpern, verletzlich sein – lebendiger Brief.
Nicht nur Buchstaben auf Papier gedruckt,
nicht nur Wörter aneinandergereiht,
beschriebene Herzen aber, Handschrift des Geistes.
Wie wird er in uns schreiben? Was wird man aus uns lesen? Welch‘ ein Brief
werden wir sein?
Formloser Dreizeiler oder formvollendet mit Briefkopf und Schnick Schnack?
Epische 5 Seiten oder bunte Postkarte? Liebesbrief oder Mahnschreiben? Beides
zugleich sogar? Werbesendung auf Hochglanzpapier oder eine schlichte
Einladungskarte: „Kommt denn es ist alles bereit!“
Die Empfänger – wie werden wir ankommen bei Ihnen, wir lebendigen Briefe?
Klappt die Zustellung oder heißt es: „Empfänger unbekannt verzogen.“ Wird
man uns lesen … über die Betreffzeile hinaus oder sieht der Empfänger nur den
Umschlag, wirft den Brief ungelesen weg? Und wenn wir gelesen werden, was
wird es mit dem Adressaten machen? Werden unsere Worte ihn verändern?
Wird ihm unsere Sprache zur Sprache des anderen, der uns verfasst hat? Wird
man durch uns den Autor erahnen?
Und der Autor? Was ist mit ihm? Verfasst uns nicht sitzend in einer
Studierstube, ist kein Schreibtischtäter. Er kennt und liebt das Leben da draußen,
setzt sich ihm hautnah aus. Hier hält er sich auf. Hier schreibt er, beschreibt uns
wie er das Leben schreibt. Nicht abgetippt am Computer, kein Papier
eingeklemmt in der Schreibmaschine. Per Hand werden wir geschrieben. Kein
Gekritzel, keine schnellen Striche. Liebevoll. Herzblut statt Tinte.
„Ihr seid ein Brief“ sagt Paulus, „unser Brief, geschrieben nicht mit Tinte,
sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln,
sondern auf fleischerne Tafeln, nämlich eure Herzen. Denn der Buchstabe tötet,
aber der Geist macht lebendig.“
Buchstaben, die töten, auf Papier gebannt, in Seelen gebrannt, in Stein
gemeißelt, leblose Briefe. Auch von solchen Briefen ist die Welt voll.
Seelenlose Schreiben von Behörden und Großkonzernen. Keine verletzliche
Kommunikation, sondern automatisierte Distanz: „Dieses Schreiben wird
maschinell versandt und ist auch ohne Unterschrift gültig“. Bescheide von
Ämtern und Versicherungen, die mit ein paar Zeilen Menschen ins Unglück
stürzen können, Lebensperspektiven verbauen. „ …und so sehen wir uns leider
veranlasst, ihr Anliegen abschlägig zu bescheiden. Mit freundlichen Grüßen.“
Gesichtsloser Jargon. Noch schlimmer: die Erlasse diktatorischer Machthaber,
Gewalt wird in Gesetzesform gegossen, Unrecht als Recht ausgegeben,
verbriefte Grausamkeit. Die „Nürnberger Rassegesetze“ sind davon wohl der
furchtbarste Ausdruck. Buchstaben, die töten, auf Papier gebannt, in Seelen
gebrannt, in Stein gemeißelt, leblose Briefe.
„Solche Briefe sollt ihr nicht sein“ sagt Paulus, „seid lebendig, seid verletzlich,
zeigt euch, mit eurer Handschrift und man wird darin die Spuren des Geistes
lesen.“
„Ihr seid ein Brief“, liebe Gemeinde!
Ein Brief, die Traurigen zu trösten,
die Hungrigen zu speisen.
Ein Brief, die Gelangweilten aufzurütteln, die Ungerechten zu mahnen.
Ein Brief, alle einzuladen, die draußen stehen: „Kommt denn es ist alles bereit!“
Ein Brief voll Leben gegen alle Buchstaben, die töten.
Ein Brief aus Fleisch und Blut, verletzlich, vom Geist verfasst.
Lasst euch versenden, lasst euch verschenken - auf Briefpapier in schöner
Schrift,… als bunte Postkarten eines Vaters,… an Laternenmasten und auf
Häuserwänden, … gedacht, geschrieben, gesagt, gelebt.
Ihr seid ein Brief, ein Brief Christi!
Amen.