Neue Heraus- forderung im

16
Berufsausbildung im Gefängnis
Fotos: Rizvi
Andreas Mayer dekoriert eine Schwarzwälder Kirschtorte
Neue Herausforderung im
Schokoraspel und Kirschen, Mehl, Eier
und Biskuit – die Schwarzwälder Kirschtorte ist bald fertig. Der Bäckerlehrling
Andreas Mayer streicht die Sahne glatt
und krönt das Werk mit Röschen aus
dem Spritzbeutel. Im Sommer hat er
Abschlussprüfung. In knapp einem Jahr
wird er entlassen. Mayer sitzt hinter
Gittern und macht seine Ausbildung
in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Rottenburg.
Von Sylvia Rizvi
Die Bäckerei der JVA verbirgt sich hinter
den dicken Mauern eines über hundertjährigen
Gebäudes. Drinnen ist die gesiebte Luft warm
und duftet nach Brötchen. Ein Kalender mit
schnellen Autos und tätowierten Frauen ziert
die Wand des Pausenraums, wo Andreas Mayer
(Name geändert) sonst mit sechs Kollegen
und zwei Azubis Pause macht. Jetzt lehnt er
am Tisch. Fünf Jahre muss er absitzen. Seine
Straftat möchte der 30-Jährige nicht vor der
Öffentlichkeit ausbreiten.
Der Mann will im gestandenen Alter von
30 Jahren neue Pfade einschlagen. Vor seiner
Inhaftierung arbeitete er in einem gutbürgerlichen Restaurant als gelernter Koch. Vor
knapp drei Jahren hat er beschlossen, im Gefängnis eine Bäcker-Lehre zu beginnen und
seine Arbeit in der Knast-Küche aufzugeben.
„Ich wollte eine neue Herausforderung annehmen.“ Sein Meister Markus Bradtke sitzt ihm
gegenüber und nickt. Er ist froh über Mayers
Entscheidung, denn er hat einen flinken Azubi
bekommen.
Und so backt der Inhaftierte Mayer täglich
Brote, wickelt Hefezöpfe, zaubert Torten und
schiebt Brezeln, Sesam-, Wasser- oder Laugenbrötchen, süße Stückle, Plunder und anderes Kleingebäck in den Ofen. Brot und
Weckle vertilgen Häftlinge oder JVA-Beamte
in der Kantine. Brezeln müssen Gefangene
im Knast-Shop kaufen. Viele Backwaren liefert die JVA zum Beispiel an Rottenburger
Behörden-Kantinen. „Jedes Jahr sind die Weihnachtsplätzchen der Renner“, sagt Mayers
Ausbilder. „2014 hatten wir damit 23.000 Euro
Umsatz.“ Der verbeamtete Bäckermeister und
ein Kollege bringen drei Bäcker-Azubis das
praktische Wissen um Teig und Semmeln,
Knethaken und Rührbesen, Fachtheorie und
Fachkunde nahe.
Mit einer Lehre wieder
Tritt fassen
Mayer ist einer von 448 Auszubildenden, die
eine Lehre in Baden-Württembergs Gefängnissen absolvieren. Sie wollen zum Beispiel
Bäcker oder Koch, Elektroniker oder Schreiner, Mediengestalter oder Schweißer werden.
„Mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung
erhalten die Gefangenen eine hervorragende
Chance, nach ihrer Haftentlassung im gesellschaftlichen Leben wieder Tritt zu fassen und
in sozialer Verantwortung ein Leben ohne
Straftaten zu führen“, sagt Steffen Ganninger,
Pressesprecher des Landesjustizministeriums.
Geschätzt seien die Lehrlinge zwischen 16
und 55 Jahre alt. Unbekannt sei die Zahl der
weiblichen Azubis. Zudem gibt es in den Vollzugsanstalten Kurzausbildungen wie Schweißer- oder Gabelstaplerkurse.
Lehrling Mayer kommt als Frühaufsteher
gut mit den Arbeitszeiten der Bäckerbranche
klar. „Ich stehe zwischen halb drei und halb
vier Uhr morgens auf“, berichtet er. Ab
5 Uhr 30 sei er in der Backstube. „Um sieben
Uhr ist Frühstückspause.“ „Das einzige, was
hier zuverlässig funktioniert“, flachst Meister
Bradtke. Sein Lehrling grinst. Nach der Pause
mischen die inhaftierten Bäcker den Teig für
den nächsten Tag. „Von elf bis zwölf Uhr wird
geputzt“, sagt Mayer.
Gegen zwölf Uhr ist für Andreas Mayer Feierabend. Beamte sperren die verschlossenen
Türen der vergitterten Arbeitsstelle auf. Er
kann duschen gehen, Mittag essen und sich
in seiner Zelle kurz aufs Ohr legen. „Danach
habe ich Zeit zu lernen und mich auf die Prü-
17
Bäckermeister Markus Bradtke bildet in der JVA Rottenburg drei Gefangene aus
fung vorzubereiten.“ Daneben zeichnet er gerne
oder backt auf seiner Stockwerksküche auch
mal für die gefangenen Stockwerksreiniger.
Berufsschule hinter
Gefängnismauern
Auch zum Berufsschulunterricht bleibt
Andreas Mayer hinter Gittern. Er büffelt bei
Anstaltslehrer Jürgen Fischer. „Wir haben
Leute mit sprachlichen Barrieren, andere waren
seit zehn, zwanzig Jahren nicht mehr in der Schule“, sagt Realschullehrer Fischer. Die Bandbreite
an Vorkenntnissen reicht vom Förderschulniveau
bis zum Gymnasium. Manchen Auszubildenden
fehlt es an Ausdauer und Durchhaltevermögen,
wissen Bradtke und Fischer. Einigen falle es
schwer, sich zu konzentrieren oder im Team
zu arbeiten. Dennoch gibt es laut Meister und
Lehrer nur wenige Abbrüche. Offizielle Zahlen
existieren nicht.
Um Andreas Mayer machen sich die beiden
keine Sorgen. Dennoch hat der 30-Jährige Bammel vor den Prüfungen. Darüber hinaus quälen
ihn Zweifel: Werden mich Arbeitgeber wegen
meiner Inhaftierung ablehnen? Der Mann aus
Anzeigen
einem anderen Bundesland würde im Ländle
gerne eine Stelle finden. „Schön wäre es auch,
sich selbstständig zu machen. Aber man muss
es sich leisten können, Angestellte und Pacht zu
bezahlen.“ Und wer weiß, vielleicht komme ihm
auch dabei seine Vergangenheit in die Quere.
Wenn sich in knapp einem Jahr für Andreas
Mayer die Gefängnistore öffnen, wird er verschiedene Lehren gezogen haben. Das Backen
von Torten gehört dazu.
Ausbildungsberufe in den Justizvollzugsanstalten des Landes BadenWürttemberg:
Anlagenmechaniker Sanitär, Heizung und Klima, Bäcker, Bauten- und Objektbeschichter, Elektroniker, Fachhelfer für Wagenpflege, Fachkraft im Gastgewerbe, Fachlagerist, Fleischer, Fräser, Gärtner (Landschafts- und Gartenbau),
Gartenbaufachwerker (Fachrichtung Garten- und Landschaftsbau), Gebäudereiniger, Hauswirtschafter, Holzbaufacharbeiter, Holzmechaniker, Industrieelektriker, Industriemechaniker, Kfz-Mechatroniker, Koch (auch Beikoch und
Teilkoch), Konstruktionsmechaniker Metalltechnik, Lagerfachkraft, Maler und
Lackierer, Maschinen- und Anlagenführer Metall- und Kunststofftechnik,
Maschinen- und Anlagenführer Druckweiter- und Papierverarbeitung, Maurer,
Mediengestalter, Drucker, Metallbauer, Metallbauer Konstruktionstechnik,
Modenäher, Schreiner/Tischler, Schweißer, Fachkraft für Metalltechnik, Textilreiniger, Zerspanungsmechaniker.
Zusätzlich gibt es Kurzausbildungen wie Schweißlehrgänge, Gabelstaplerkurse,
Schulausbildung, EDV-Qualifizierungen, Fremdsprachenkurse, Maschinenkurse.