biotechnologie CHEMIE PLUS 6 / 7 - 2015 29 M A N A G E M E N T C E N TE R I N N S B R U C K Nase vorn in Algentechnologie Algenbiotechnologie ist ein Forschungsschwerpunkt am Management Center Innsbruck. Im Fokus stehen innovative Verfahren, um aus Algen hochwertige Roh- und Wirkstoffe zu gewinnen. Zukunftspotenzial zeigt sich in Pharma, Agrar, Lebensmittel und Kosmetik – für biotechnet Switzerland ein Grund, mit dem international tätigen MCI eine Partnerschaft einzugehen. ELSBETH HEINZELMANN A lgen sind eine Gruppe photosynthetischer Mikroorganismen, die sich mit raffinierten Mechanismen gegen Viren und Bakterien, Pilze oder erhöhte UV-Strahlung wehren. Damit sind sie Kandidaten für Wirkstoffe mit antibakteriellen, antimycotischen oder antiviralen Eigenschaften und könnten als Zusätze für Kosmetika und Lebensmittel wertvolle Dienste leisten. Da sie sich energetisch und zur Bindung von Kohlendioxid CO2 aus industriellen Emissionen nutzen lassen, stehen Algen heute weltweit im Blickpunkt der Grundlagenforschung. Eine Grünalge als «Versuchskaninchen» Das Forschungsumfeld am Management Center Innsbruck (MCI) ist ideal, um die Alge unter die Lupe zu nehmen, denn ausser Biotechnologie sind hier Fachkompetenzen in Umwelt-, Verfahrens- und Energietechnik weit entwickelt. Noch sind viele der photosynthetisch aktiven Algenarten völlig unbekannt. Um ihr Potenzial für gesellschaftlich wichtige Produkte zu verwerten, nutzt das MCI auch die Methoden der molekularen Algenbiotechnologie. Das heisst: Es geht hier um die Entwicklung und Optimierung von Promotoren und Reportern sowie um die transgene Expression von Allergenen und essbaren Impfstoffen. Besonders interessieren sich die Innsbrucker für Chlamydomonas reinhardtii, eine einzellige Grünalgenart von 10 Mikrometer Durchmesser. Sie wurde von der Food and Drug Administration (FDA) als GRAS (Generally Regarded As Save) klassifiziert und hat sich zum Modellorganismus für Grundlagenforschung gemausert. Am MCI spielen die Wissenschaftler mit dem Gedanken, mit dieser Alge biotechnologisch relevante Produkte wie Impfstoffe herzustellen und arbeiten daran, die Reproduzierbarkeit und Ausbeute der Transgenexpression zu optimieren. Für diese liefert C. reinhardtii, die im Boden und im Frischwasser sehr verbreitet ist – etablierte Methoden für Transformation, Marker und Reporter. Ihre Eigenschaft, Proteine mit bio- pharmazeutischer oder biotechnologischer Bedeutung, wie beispielsweise Antikörper, Enzyme oder antigene Peptide zu exprimieren, ist vielfach belegt. Effizienz dank Hitzeinduktion Die Herstellung von biotechnologisch relevanten rekombinanten Proteinen ist ein stark wachsender Markt, jedoch sind heutige Expressionssysteme sehr kostenintensiv, was die Kultivierung und Regenerierung betrifft. C. reinhardtii bietet eine Alternative, da sich diese Alge in Form von «Kügelchen» einnehmen lässt und somit als oraler Impfstoff dienen kann. Um die bisher unbefriedigenden Expressionsraten durch Wärmeinduktion zu erhöhen, greifen die MCI-Forscher auf synthetische Hitzeschock-Komponenten zurück. In einem ersten Schritt klonierte die Gruppe von Professor Christoph Griesbeck, Leiter des Departements Biotechnologie, ein Plasmid-DNA-Konstrukt, das HSE8x in Verbindung mit dem Rbcs2 Promotor von C. reinhardtii enthält, sowie Renilla Luciferase als Reporter-Gen. Geeignete C. reinhardtii-Stämme wurden mit dem Plasmidkonstrukt mittels Glass Bead-Methode transformiert und auf Arginin-Auxotrophie (ohne Verwendung von Antibiotika) selektiert. Dadurch erzielten die Forscher dank Hitzeinduktion eine bis um das Dreifache erhöhte Expression des Reporterproteins im Vergleich zur bisher stärksten Promotorkombination. Diese Studien, durchgeführt mit der Humboldt Universität zu Berlin und der FH Campus in Wien, zeigen, dass es prinzipiell möglich ist, C. reinhardtii als Produktionsorganismus für biotechnisch und pharmazeutisch relevante Proteine einzusetzen, beispielsweise für oralen Impfstoff. «Das Interesse an der Anwendung von Algensystemen für essbare Impfstoffe nimmt rapid zu», erklärt Christoph Die einzellige Grünalge Chlamydomonas reinhardtii ist einer der am besten untersuchten photosynthetischen Organismen, liefert etablierte Methoden für Transformation, Marker und Reporter. Ihre Fähigkeit der Proteinexpression mit biopharmazeutischer oder biotechnologischer Relevanz wie Antikörper, Enzyme oder antigene Peptide, ist mehrfach erwiesen. 30 CHEMIE PLUS 6 / 7 - 2015 biotechnologie Laut Professor Christoph Griesbeck, Leiter Biotechnologie, kombinieren Mikroalgenbasierte Systeme die Vorzüge von Pflanzen mit den Eigenschaften von Mikroorganismen und bieten so eine Alternative zu «Gene Farming». (Fotos Elsbeth Heinzelmann) Griesbeck. «Neben Biopharmazeutika erschliesst sich ein zusätzlicher Applikationsbereich für Pharma-Produkte mit optimierten Metaboliten.» Algen könnten Vakzine revolutionieren So stellt die Gruppe beispielsweise – in Kooperation mit der Universität Salzburg – Allergene in C. reinhardtii zur Verfügung. Mit den vollständigen Algenkulturen können die Forscher, zusammen mit den hergestellten Allergenen, Mäuse mit einer spezifischen Immuntherapie behandeln, welche in ihren Körpern eine Desensibilisierung gegenüber Allergien bewirkt. «Derzeit arbeiten wir an Algen, die in ihren Zellen ein Hauptallergen von Birkenpollen produzieren», erklärt Christoph Griesbeck. «Die Möglichkeit, die ganze Zellkultur zu handhaben, erübrigt in der Zukunft die komplexe und kostenintensive Reinigung. Zudem könnten die zusätzlichen Algenkomponenten als Hilfsstoff dienen, der den therapeutischen Effekt erhöht.» Für den Einsatz von Mikroalgen für biotechnologische Zwecke zieht das Forschungsteam die gesamte Prozesskette in Betracht, von der Kultivierung über die Isolation bis Studenten untersuchen an der Laminar Flow Algenstämme, welche ihre Farbe von Grün zu Orange wechseln, je nach Kultivierungsbedingungen. Das zeigt, wie wichtig eine äusserst sorgfältige Kultivierung ist, da sie starken Einfluss auf die Produktbildung ausübt. zur Analyse. Nur die vielversprechendsten Mikroalgenstränge, die sie durch Bioaktivitätsscreenings in Biobanken erkennen, werden analysiert, um optimierte Wachstumsparameter zu identifizieren. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend, entsteht ein ökonomischer Photo-Bioreaktor mit optimiertem Licht, Nährstoffeintrag und flexibler Regulierung für die Einleitung von Biomasse und/oder die Wirkstoffproduktion. Mit neuartigen Methoden für den Zellaufschluss der Mikroalgen und die Gewinnung von Wirkstoffen konnten die Wissenschaftler den Downstream-Prozess nachhaltig verbessern. Auf der Suche nach neuen Wirkstoffen Am Ball bleiben die MCI-Forscher besonders mit der Gewinnung natürlicher Substanzen aus Algen. Die Aktivitäten reichen vom Screening von Algensammlungen und der Entwicklung von Kultivierungs-Screenings oder der Optimierung von Kultivierungsparameter für das Screening von Wirkstoffen für pharmazeutische, kosmetische und lebensmitteltechnische Anwendungen bis zur energetischen Verwertung von Biomasse. Da das MCI zur «Open University Innsbruck» ■ ■ ■ ■ gehört, ist der Partner das Institut für Botanik an der Universität Innsbruck. Deren Sammlung von Algendaten umfasst an die 1500 Stämme, meist von alpinen Regionen in Zentraleuropa, vor allem terrestrische, Luft- und Flechtenalgen. Sie geht zurück auf die späten 50er-Jahre. 1974 erweiterte sich die Algensammlung mit einer Schenkung des Schweizer Botanikers Wilhelm Vischer, ehemaliger Dozent an der Universität Basel. Ein Schwerpunkt des MCI-Teams sind Mikroalgen: Sie lassen sich in Anwesenheit von Licht preisgünstig kultivieren und bieten wertvolle Substanzen, erschliessen so enormes ungenutztes Potenzial. Im Zentrum der Arbeiten stehen noch nicht recherchierte Bio-Banken, besonders eine Sammlung terrestrischer Algen: Die Wissenschaftler vermuten, dass sie dadurch innovative Wirkstoffe auswerten könnten, beispielsweise für die pharmazeutische Industrie. Einheimische Flechtenalgen im Rampenlicht Manchmal sind die interessantesten Forschungsthemen gleich «um die Ecke»: In ihren Beobachtungen im Tirol und in Oberösterreich entdeckten die MCI-Forscher an Schauglasarmaturen Leuchten und Kamerasysteme LED-Technik Für den Ex-Bereich LICHT UND SICHT FÜR VERFAHRENSTECHNISCHE PROZESSE Angenstein AG, CH-4147 Aesch T +41 (0)61 756 11 11 F +41 (0)61 756 11 04 biotechnologie Baumstrünken spezielle Flechten. Mikroskopisch kleine Algen bevölkern hier Baumpilze. Sie gehen eine «Win-win-Situation» ein: Die Algen geniessen das stabile Umfeld, der Pilz profitiert vom hoch angereicherten Material, das die Alge aus Kohlendioxid und Sonnenlicht produziert. Sobald jedoch der Pilz zu schnell wächst, stielt er das Licht der Sonne. Die Wissenschaftler schlussfolgern, dass die symbiotische Alge für ihren Schutz Substanzen produziert, welche das Wachstum des Pilzes verhindern oder eindämmen. «Wir glauben deshalb, dass diese Wirkstoffe auch das Ausbreiten des Pilzes verhindern können», spekuliert Christoph Griesbeck. So zeigten in den letzten Jahren natürliche Substanzen aus Algen eine antiangiogenetische Wirkung, indem sie die Neubildung von Blutgefässen verhindern, welche zum Beispiel für die Ernährung und das Tumorwachstum nötig sind. Algen weisen antibakterielle Effekte auf, aber bis heute verstehen wir nicht, wie dieser Prozess genau funktioniert. Das motiviert Wissenschaftler in aller Welt, auch in diese Richtung zu forschen, um möglicherweise den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren. Eine wichtige Rolle spielt die Alge in der Lebensmittelkette: So ist beispielsweise Lachs eine reiche Quelle für Omega 3-Fettsäuren. «Aber Lachse produzieren diese Substanz nicht selbst, sondern nehmen sie mit ihrer Nahrung auf, das heisst: Kleinere ölhaltige Futterfische, die Omega 3-reiche Algen kon- sumieren», kommentiert Christoph Griesbeck. «Wir untersuchen, wie und in welchen Mengen Algen ungesättigte Fettsäuren produzieren, ein unverzichtbarer Baustoff für unsere Zellen und Nerven.» Algentechnologie spielt eine dominante Rolle für das Joint Research Centre (JRC) der Europäischen Kommission. Im Rahmen seiner kürzlich entwickelten Bio-Ökonomie sind Mikroalgen eine bedeutende biologische Ressource für verschiedenste Anwendungen. Mikroalgen-basierte Moleküle zeigen spezifische Vorteile gegenüber synthetischen und traditionellen Alternativen, sind so eine kommerziell rentable Quelle für den Lebensmittelsektor. Der JRC Rapport hält fest, dass laut Experten die EU Potenzial hat, marktführend in mikroalgen-basierten Lebensmitteln und Futterprodukten zu werden. Das Netzwerk der Algenstrategie stärken Damit jedoch die Mikroalgenbiotechnologie marktfähige Produkte entwickeln kann, heisst es in Netzwerken gemeinsame Strategien schmieden und Synergien verschiedener Partner nutzen. Algen wachsen schnell, können ihre Zellzahl in wenigen Stunden verdoppeln und lassen sich damit regelmässig ernten. Gedeihen sie im Sonnenlicht, absorbieren Algen Kohlendioxid und geben den Sauerstoff ab, den wir zum Atmen brauchen. Es gibt kein ethisches Problem, da die Algenkultivierung nicht der Land- Marco Rupprich, Studiengangsleiter Umwelt-, Verfahrens- und Energietechnik sowie geschäftsführender Gesellschafter der ionOXess GmbH, erklärt den Bioreaktor für die Algenkultivierung mit einem Volumen bis zu 100 Liter. CHEMIE PLUS 6 / 7 - 2015 31 wirtschaft das Terrain streitig macht, im Gegenteil: Algen entwickeln sich oft auf Böden, die sich nicht für Agrarkulturen eignen. Mikroalgen liefern einen hohen Anteil an Protein und Öl, um Biokraftstoff oder Futtermittel zu produzieren. Sie lassen sich sogar im Meer anbauen in Form von Meeresalgen, deren Zucker in Biokraftstoffe und Chemikalien umgewandelt werden. Algen können in der Reinigung von Abwässern eingesetzt werden, sei es in kommunalen Abwasserreinigungsanlagen oder bei Industrieabwässern. Algen-Biomasse dient als Energiequelle. Die Alge selbst kann zur Produktion verschiedenster Substanzen verwendet werden, die dann als Zusätze im Kosmetik-Bereich, als Basis-Chemikalien, Polymere, Schmiermittel oder Dünger Verwendung finden können. Und Algen sind nicht wählerisch: Sie gedeihen in fast jedem Klima in unterschiedlichsten Produktionssystemen, von Wasserbecken über PhotoBioreaktoren bis Gärbottichen und schaffen ein breites Spektrum an Arbeitsplätzen in Forschung, Ingenieur- und Bauwesen, Agrarwirtschaft oder Marketing. Schulterschluss mit biotechnet Switzerland «Das exzellente Know-how am MCI veranlasst uns, die bestehende Kooperation mit dieser Forschungsgruppe auszubauen und zu verstärken, damit Synergien zu nutzen und rascher an effiziente Forschungsergebnisse zu kommen», erklärt Professor Daniel Gygax, Präsident von biotechnet Switzerland. «Erste Kontakte mit geeigneten Partnern an der ZHAW Wädenswil und der HES-SO Wallis/Valais sind geknüpft. Bis Herbst 2015 definieren wir Plattformen mit spezifischen Aufgaben und gemeinsamen Projekten im Bereich der BioressourcenTechnologien und der in vitro Diagnostik auf internationaler Ebene.» Die engere Zusammenarbeit zwischen dem Tirol und der Schweiz verschafft jungen Menschen einen Zugang zum Studienaustausch in Bachelorund Master-Arbeiten und erschliesst ihnen neue Chancen in Ausbildung auf hohem Niveau. – Alles in allem eine Win-win-situation für beide Forschungspartner. ■ WEITERE INFORMATIONEN: www.mci.edu www.biotechnet.ch
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