«Da waren immer auch Freude, Hoffnung und Zuversicht»

Reintegration
«Da waren immer auch Freude, Hoffnung und Zuversicht»
Joel Leber erkrankte in seiner Lehrzeit an einer Psychose und musste seine
Ausbildung abbrechen. Nach einem Klinikaufenthalt kämpfte sich der
angehende Kaufmann mit viel Geduld und Engagement ins Berufsleben
zurück. Bald kann er seine Erstausbildung abschliessen.
Traumstelle. Doch diese Idylle wurde schnell
getrübt. Irgendetwas war nicht mehr wie
vorher. Joel Leber merkte, dass er bei der
Arbeit Konzentrationsschwierigkeiten hatte,
dass sein Denken und Handeln verlangsamt
waren. «Ich brauchte mehr Zeit, sprach un­
zusammenhängend und sprang von einem
Thema zu anderen», erinnert er sich. «Ich
vermied jeglichen Augenkontakt und es fiel
mir überaus schwer, Kontakt zuzulassen.»
Starker Rückzug
Seine Schwierigkeiten blieben dem Lehrbetrieb nicht verborgen. «Wir lernten Joel Leber
bei der Selektion als intelligenten und lebenshungrigen jungen Mann kennen», erinnert
sich Direktionsberufsbildner Jonathan Gimmel. «Bei Lehrbeginn stand plötzlich ein anderer Mensch vor uns – eine zwar immer
noch gehaltvolle und wohlbedachte, aber inzwischen in sich gekehrte und ängstliche Person.» Bald einmal zeigte sich, dass Joel Leber
grosse Probleme hatte und seine Leistung
nicht mehr bringen konnte. Vor allem das
Sozialverhalten genügte nicht mehr. Er hatte
immer mehr Mühe im Umgang mit Menschen und zog sich stark zurück.
Hält das Heft wieder fest in der Hand: Joel Leber, angehender Kaufmann.
Peter Brand
Wenn Joel Leber nächsten Juli sein Fähigkeitszeugnis entgegennimmt, geht ein langersehn­
ter Wunsch in Erfüllung. Gleichzeitig geht auch
eine beschwerliche Odyssee zu Ende: Nach
sechs herausfordernden Jahren kann der junge Mann endlich seine Grundbildung als Kaufmann abschliessen. Psychische Probleme hatten ihn zwischenzeitlich vom Weg abgebracht.
Lehrstelle nach Wunsch
Dabei hatte alles so gut begonnen. 2010 war
es, als Joel Leber seine Lehre als Kaufmann bei
der Präsidialdirektion der Stadt Bern antrat. Er
freute sich auf die Ausbildung. Es war seine
Wichtige Zusicherung
Die Situation spitzte sich zu. Trotz Case Ma­
nagerin und Psychiater war Joel Leber nach
drei Semestern nicht mehr in der Lage, sein
Leben selbständig zu meistern, und musste
in eine Klinik eintreten. «Als ich dorthin ging,
realisierte ich, dass ich die Ausbildung würde
abbrechen müssen», sagt der Lernende. «Das
war für mich ein bitterer Moment, denn ich
wollte die Lehre unbedingt zu Ende bringen.» Zum Glück stellte ihm der Lehrbetrieb
in Aussicht, dass er nach der Genesung die
Chance erhalten würde, die Lehre nochmals
zu be­ginnen. Dieser Vertrauensbeweis half
Joel Leber enorm. Daran hielt er sich fest,
auch wenn er ganz unten war.
Gute Kooperation
«Wir wollten unserem Lernenden eine gute
Perspektive bieten und ihm damit die Zuversicht geben, seine Krankheit zu überwinden»,
erklärt Gimmel. Er liess den Faden zu Joel
Leber in dieser Zeit nie abreissen. Bereits vorher hatte er dessen Reintegration an die Hand
genommen, die jetzt allerdings warten musste, da er sich in einem stationären Aufenthalt
befand. Als sich die Genesung abzeichnete,
besprach er mit allen Fachpersonen im Umfeld die nächsten Schritte. Joel Leber profi­
tierte davon, dass die Präsidialdirektion zu
diesem Zeitpunkt am nationalen Pilotprojekt
zur Früherkennung und Integration FER teilnahm und seither über die entsprechenden
Instrumente verfügt. «Wir holen insbesondere die IV rechtzeitig ins Boot», sagt Gimmel.
«Wir engagieren uns früh im Krankheitsverlauf und wollen nicht erst reagieren, wenn jemand lange weg vom Arbeitsplatz ist.» Die
Zusammenarbeit mit der IV Kanton Bern sei
im vorliegenden Fall vorbildlich gewesen.
Grosser Einsatz
Als es Joel Leber wieder besser ging, absol­
vierte er eine Arbeitsabklärung. Dabei wurde
seine Arbeitsfähigkeit näher unter die Lupe
genommen. Als Nächstes besuchte er diverse
Arbeitstrainings im kaufmännischen Bereich.
So fasste er allmählich wieder Tritt. In dieser
Zeit begann er wiederum, sich bei der Stadt
Bern für eine Lehrstelle zu bewerben. «Wir
legten Wert darauf, dass er sich erneut bewarb», sagt Gimmel. «Seine Bewerbung war
gewissermassen Ausdruck seiner Über­zeu­
gung, wieder einsteigen zu wollen.» Joel habe
nichts geschenkt bekommen, sondern alles
durch Engagement und Leistung verdient.
Zurück im Geschäft
Als es klappte, war Joel Lebers Freude riesig.
Er begann noch einmal bei null und stieg voll
motiviert ins erste Semester ein. Sonderbehandlung geniesst er keine. Dennoch ist er
gut unterwegs. Die dunkeln Schatten sind
fast alle verflogen. Spuren haben sie dennoch hinterlassen. «Ich nehme immer noch
eine kleine Dosis Medikamente und bin ein
wenig langsamer als vor der Krankheit», sagt
er. «Dafür darf ich sagen, dass die Qualität
meiner Arbeit hoch ist.» Er sei nun wieder
voll bei den Leuten. Das sehe man nicht
zuletzt auch an seinen guten Leistungen
in Beruf und Schule. Und auch an seinem
breiten so­zialen Netz.
Reiferer Mensch
Auch seine positive Einstellung zum Leben
konnte sich Joel Leber erhalten. «Sie half mir,
meine Krankheit zu überwinden», betont er.
«Ich war zwar zwischenzeitlich am Boden
und tieftraurig, aber da waren immer auch
Freude, Hoffnung und Zuversicht.» Das habe ihn getragen. Zudem sei er von seinem
Umfeld und von seinem Lehrbetrieb op­timal betreut worden. Jonathan Gimmel
seinerseits ist überzeugt, dass Joel durch
seinen Weg zu einem kompletteren und
reiferen Menschen geworden ist. «Er hat
in seinem jungen Leben bereits viele Herausforde­
rungen gemeistert», betont er.
«Das macht ihn stark. Er wird seine Ziele
erreichen.»
[email protected]
Pilotprojekt FER
Mehr: www.bsv.admin.ch (Suche > Gesundheitliche Früherkennung und be­
rufliche Reintegration)
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