Unterwegs nach Emmaus – mit einem - GDG

„Mit dem Dritten sieht man besser!“
Unterwegs nach Emmaus – mit einem Unbekannten
Osterbildbetrachtung zu einem Gemälde von Janet Brooks-Gerloff
von Kurt Josef Wecker, Heimbach
„Unterwegs nach Emmaus“, so heißt dieses Gemälde, das uns aufgrund seiner stillen Intensität sehr
berührt und mitnimmt. Geschaffen wurde es im Sommer 1992 von der früh verstorbenen Künstlerin
Janet Brooks-Gerloff (1947-2008) für den hellen Klostergang des Südflügels der Benediktinerabei
Kornelimünster bei Aachen. Dargestellt ist der 'Emmausgang', eine Bild gewordene Predigt über
Lukas 24, 13-27. Das Wandgemälde hängt heute an der Stirnseite des Ganges, der die Mönche zum
Eingang in die Abteikirche führt. 'Hinter' der Wand liegt die Abteikirche; wenn wir gewissermaßen
im Bilde wären und weitergingen 'durch' die Wand mit dieser Dreiergruppe, gelangten wir in dieses
Gotteshaus. Vor diesem Bild sammeln sich die Mönche zur 'statio' vor ihren Liturgien; sie werden
still, bevor sie den Raum betreten, in dem sie das eucharistische Emmaus-Mahl mit dem
Auferstandenen feiern und das betende Gespräch mit Ihm suchen.
Aber wir sind nicht am Ziel, nicht in Emmaus. Wir befinden uns in einer eher wüsten Umgebung
und folgen diskret drei gebeugten Gestalten. Es sind Rückenfiguren, denen wir nachschauen. Nein,
nicht nur nachschauen. Wir sollen uns 'einzeichnen' in den Weg der beiden nach Emmaus, wir
werden mit in das weglose Gelände genommen, weg von Jerusalem und hin nach Emmaus. Heften
wir uns an ihre Fersen! Werden wir Gasthörer ihrer Gespräche! Die, deren Rücken wir sehen, sind
alterslos, gesichtslos, namenlos, zeitlos. Die dunklen Gewänder der beiden in der linken Bildhälfte
lassen an die Kutte der Mönche des hl. Benedikt denken. So dunkel gekleidet wie sie sind, so düster
ist auch ihre Innenwelt. Diese zwei gehören zusammen, sind Leidensgefährten. Es ist Ostersonntag.
Doch beide stecken tief in der Krise des Karfreitags, sind vertieft in ihren traurigen Dialog, aber ihr
Gespräch dreht sich im Kreis. Sie kommen nicht voran, treten auf der Stelle und schauen innerlich
zurück. Das ist frühe Kirchengeschichte: zwei Jünger auf der Flucht aus der gefährlichen Stadt in
ein vertrautes Dorf. Die beiden dunkel Gekleideten sind im Gespräch. Immerhin: „Wer redet, ist
nicht tot“ (G.Benn) Doch wer erlöst sie aus dem Selbstgespräch, dem ewigen resignativen Kreisen
um dieselben Fragen? Wer verwandelt sie? Die zwei Gefährten waren keine Osterzeugen: sie
bekamen etwas aus zweiter Hand, vom Hörensagen und nur gerüchteweise mit. Doch die
Erzählungen vom Grab Jesu, die andeutungsweise an ihr Ohr drangen, machten sie nicht froh; sie
blieben irritiert. Die Köpfe der beiden sind schwer von Erinnerung und Enttäuschung, auch verwirrt
von seltsamem Geschwätz und unglaublichen Andeutungen über das, was sich in Jerusalem ereignet
hat. Nein, Ostern erschließt sich nicht von selbst!
Sieht es in der Innenwelt der beiden noch Ahnungslosen so leer aus wie in der von Frau BrooksGerloff gemalten unösterlichen Welt? Die Jünger machen keinen idyllischen Frühlingsspaziergang
durch eine aufblühende Welt. Die hügelige Landschaft - ocker und gelb, braun, grau, orange
gezeichnet - ist wüst und leer, karg und seltsam konturlos, einsam, weglos, ausweglos. Ein
Regenschauer geht nieder. Die Konturen eines Hauses zeichnen sich an der linken Seite ab. Man
kann nur ahnen, dass die Wanderer auf dem Weg in das etwa 12 km von Jerusalem entfernte
Emmaus sind, für die man zwei Wegstunden benötigt. Doch das Ziel bleibt verborgen, ihre Zukunft
diffus, diese Fußgänger wirken orientierungslos. Bleibt dieser Emmausweg ein 'Enttäuschungsweg',
der bloße Rückweg derer, die eine Zeitlang Jesus-Sympathisanten waren? War 'das mit Jesus' nur
ein Traum? So große Hoffnung hatten sie in ihn gesetzt; sein Tod zerschlug alles, alles lief so ganz
anders als erhofft. Sie gehen gewissermaßen im Niemandsland in 'das Land der untergehenden
Sonne', das zufällig den Namen 'Emmaus' trägt.
Ein Dritter musste hinzutreten, der das geschlossene Gespräch der beiden stört. Einer, der sie sanft
von sich wegführt – aus der Unkenntnis in das Wiedererkennen. Eine „Drittperson“ musste
kommen, die sie unterbricht, sie von sich ablenkt und sie zum - zunächst traurigen - Stehenbleiben
nötigt (Lk 24,17). Sie brauchen den Dritten. „Mit dem Dritten sieht man besser...“. Die beiden sind
zwar auf einem Heimweg, aber noch nicht „Anhänger des neuen Weges“ (Apg 9,2). Sie haben zwar
ein Ziel vor Augen, doch aus eigener Kraft blieben sie orientierungslos. Ihr Weg ist Weggang von
Jerusalem, mehr nicht. Ihr Weggehen aus der Stadt der Gewalt ist Flucht und eine Art Therapie, aber
kein Emmausweg, kein Aufbruch zu neuen Ufern.
Geheimnisvoll fremd zeichnen sich die Umrisse einer Randfigur ab. Sie passt nicht zu der
Zweiergruppe. Ein Fremder, ein Unbekannter, ein nicht zu erwartender Dritter, stört die traute,
traurige Zweisamkeit. Ein seltsamer Dritter ist zu ihnen gestoßen, mischt sich ein. Ein
Wortaustausch geschieht. Noch ahnen sie nicht, dass es derjenige ist, mit dem die beiden innerlich
längst abgeschlossen haben. Noch sind sie blind für das, was „Auferstehung“ meint. Ohne diesen
„Ohren-“ und „Augenöffner“ blieben sie im 'Tal der Ahnungslosen', würden sie über einen Toten
sprechen und ihre 'Wunden lecken'. Jesus fädelt sich kaum merklich ein. Er erfüllt das Versprechen,
bei den Seinen zu bleiben alle Tage, bis sich der Abend neigt, bis zum Ende der Welt (Mt 28.20).
Wie können die beiden zu hoffen wagen, dass er nun für sie beide da ist, um seine Verheißung zu
erfüllen? Noch können die Ahnungslosen nicht wahrnehmen, dass der Unbekannte 'ihr' Herr ist. Er,
den man nicht mehr am/im Grab bei den Toten suchen darf, läuft frei herum. Er nimmt sich die Zeit,
seinen beiden Jüngern auf der Spur zu bleiben und sie einzuholen. Er ist mitten unter denen, die in
seinem Namen (für sie der Name eines Gestrigen, eines Toten!) beisammen sind (vgl. Mt 18,20). Er
wird der sein, der sie auch auf ihrem Erkenntnisweg weiterbringt. Seine Erscheinung ist keine
Einbildung, nicht der dunkle Schatten dieser beiden. Es sind die Umrisse des Erhöhten, die die
Künstlerin hinein tupft. Wo kommt der her, der hier – anders als vermutet - seine verwunderliche
Nähe schenkt? Erschien er plötzlich? Oder wie lange war er bereits unmerklich dabei, hatte
mitgehört, sich an ihre Fersen geheftet? Nun hat er sie eingeholt. Er drängt sich nicht in die Mitte.
Noch ist er unerkannt und 'ihre Augen sind gehalten'. Er 'stellt sich dumm', weltfremd und
uninformiert; er 'tut, als ob' er weitergehen wolle (Lk 24,28). Er will zum Bleiben gebeten werden.
Diese Hauptfigur, obwohl in der Bildmitte, gesellt sich lautlos und zurückhaltend zu den beiden,
wird Weggefährte der Wanderer zwischen den Welten. Er ist so frei, zu ihnen zu treten und als
'Immanuel' mit ihnen zu gehen. Auch ihn umhüllt ein langer Mantel. Die Künstlerin wählt den
originellen Weg, die Andersartigkeit des auferweckten und erhöhten Herrn und seine
geheimnisvolle Aura nur anzudeuten - diesen spannenden Zwischenraum zwischen Erkennen und
Nicht-Erkennen. Er ist nur in Kontur gezeichnet, sparsam mit Bleistift skizziert. Der linke Wanderer
ist ihm zugewandt. Ruhen die Hände des mittleren auf den Schultern des Fremden? Die Künstlerin
respektiert das 'Andere', das was nach Ostern geschehen ist: Jesu Verborgenheit, seine neue Präsenz,
seine radikale Fremdheit. Er ist nicht 'fort', jedoch unfassbar. Verborgen begegnet der erhöhte Herr
uns 'vom Himmel her'. Die geheimnisvolle Transparenz der Jesusgestalt verdeutlicht auch, dass die
beiden Jünger noch blind für ihren Herrn sind. Auf Ihn sind sie – und sind wir! - nicht eingestellt.
Ostern ist immer das 'unverhoffte Wiedersehen' (J.P. Hebel), das 'ungläubige Staunen' (N.Kermani).
Jesu österliche Verwandlung lässt nur Umrisszeichnung, nur leise Andeutung zu. Er lässt die Welt
durchscheinen und verdeckt sie nicht. Er überdeckt das Gespräch der beiden anderen auch nicht mit
großen Worten und Vorwürfen. Er lässt sich erzählen, hört zu, stellt Fragen, wird ihnen dann die
Schrift erschließen und ihre Herzen brennend machen. Noch sind sie „Ahnende“. Er wird ihnen
keine neuen Sachverhalte mitteilen, sondern die Heilige Schrift in ein neues Licht rücken. Dieser
Fremde ist so geheimnisvoll durchscheinend, fern und nah zugleich, unfassbar und hautnah,
menschlich und doch nicht 'einer von uns'. Der nie zu Fassende ist der stille und unaufdringliche
Wegbegleiter, „unsagbar nah bei uns“ (Gl 414,1), er, der es sich gefallen lässt, missverstanden und
verkannt zu werden.
Haben die Beiden Jesus überhaupt schon bemerkt? Hat er bereits begonnen, sich in ihre kreisenden
Selbstgespräche einzumischen, ihnen das gute Wort mitzuteilen und auszulegen, Vertrautes und
Neues zu verbinden? Beginnen sie, aufmerksam zu werden, wächst die neugierige Spannung? Wann
stellt er sich vor, öffnet er endlich ihre Augen, wird ihnen Ostern ein ihr Herz öffnendes Geheimnis?
Wann zündet es, wann 'brennt' ihr träges Herz, wann endlich stellt sich auf dem Weg Gewissheit
ein? Erst am Ziel, als er ihnen das Brot 'brechen' wird! Zunächst ist er nur ein Hörender und seine
Worte sind eine 'dunkle Rede'. Noch sind die Augen der Jünger 'gehalten', so dass ihnen Jesu
Realpräsenz entgeht. 'Auferstehung' bedeutet auch das Wunder der Begegnung, die Erfüllung Seines
Versprechens. Unerkannt ist er in unserer Mitte, an unserer Seite. Auch das ist Ostern: „Dass einer
mit mir geht, der's Leben kennt, der mich versteht“ (Evangelisches Kirchengesangbuch 209). Da ist
einer, der uns nicht mehr los lässt, der nie mehr abzuschütteln ist. Ostern, das heißt: Der Herr ist
schneller. Er holt uns ein, verwandelt hoffentlich Trauerwege in Pilgerwege. An ihm kommt keiner
mehr vorbei - im Leben wie im Tod!
Von dem im November 2015 verstorbenen evangelischen Theologen Klaus-Peter Hertzsch aus Jena
stammt das abschließende eindrucksvolle Gedicht: 'Weg nach Emmaus'.
(Klaus-Peter Hertzsch, Weg nach Emmaus. in: Vertraut den neuen Wegen, Leipzig 1996, S.12f).
Wir wussten es nicht, es war der Ostertag.
Wir waren unterwegs bei schrägem Sonnenlicht,
da uns der Tempelberg schon längst im Rücken lag
und noch von Emmaus kein Dach in Sicht.
Sahn das Land an uns vorübergleiten,
während wir hindurchgewandert sind:
Menschen, Orte, viele Jahreszeiten,
Vogelflug in unerreichten Weiten,
hin und wieder schon der Abendwind.
Neben unsern Schritten – seine Schritte,
da er sich plötzlich zu uns gesellt.
Im finstern Tal ging er in unsrer Mitte.
In unserm Zwiegespräch war er der Dritte,
und er erklärte durch sein Wort die Welt.
Er zog mit uns in wechselnden Gestalten,
uns sehr vertraut, uns völlig unbekannt.
Zuweilen konnten wir sein Bild behalten.
Im Neugewordnen sahen wir den Alten.
Und seltsam hat in uns das Herz gebrannt.
Nun, da der Tag sich neigt und wir die Tür aufklinken,
brennt schon die Lampe, ist der Tisch gedeckt.
Und Brot zu essen, Wein ist da zu trinken
Es ist wie Aufgang mitten im Versinken,
und nun am Abend werden wir geweckt.
Der dort am Tische sitzt und uns das Brot gebrochen
und der, der mit uns im Wechselwort gesprochen,
der Herr, mit dem wir redeten und handelten.
Der dort am Tische sitzt und uns den Kelch gesegnet
und der so vielgestaltig uns begegnet
er blieb sich immer gleich, doch wir sind die Verwandelten.
Noch am Abend brechen wir auf.
Ihnen und Euch wünsche ich solche Emmaus-Wege nach Ostern, in Gegenwart des Dritten! Geben
wir Christus Gelegenheit, sich in unsere Gespräche einzumischen, unsere Schritte zu lenken, uns zu
Ahnenden zu verwandeln und uns 'Auferstehungs-Hungrigen' seine Wegzehrung zu brechen!
Kurt Josef Wecker, Pfr.