Die geteilte Arche Berlin und seine Zoos

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DEUTSCHLANDFUNK
Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel
Redaktion: Ulrike Bajohr
Tel. (0221) 345 1503
Die geteilte Arche
Berlin und seine Zoos
von Rosemarie Mieder und Gislinde Schwarz
Sendung: 15.01.2016
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 DeutschlandRadio
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(auf Tiergeräusche)
Einbl. 01
Andreas Knieriem: Zoo Berlin hatte letztes Jahr z.B. 3,2 Millionen Besucher. Sehr viel
mehr kann es auch nicht werden, das geht auf diesen 32-33 Hektar gar nicht, das ist
mit diesem Wegesystem nicht mehr möglich zweites ist es auch ein Negativerlebnis
für unsere Besucher dann. Also wenn wir 15-17 000 Besucher an einem Tag im Zoo
haben dann ist auch wirklich Ende der Fahnenstange. So wir haben also schon mal
einen Zoo der ist voll. Dann haben wir noch den anderen das ist der Tierpark, der hat
ja auch keine schlechten Besucherzahlen. Nicht nur für den Osten Berlins, auch für
die Stadt Berlin. Mit anderen relativ einfachen Worten: Hätte Berlin nicht zwei Zoos –
wir müssten heute einen zusätzlichen noch dazu bauen.
Ansage
Die geteilte Arche
Berlin und seine Zoos
Eine Sendung von Rosemarie Mieder und Gislinde Schwarz
(Atmo weg)
Sprecherin:
Im Juni 1954 fand im Ostberliner Rathaus eine besondere Sitzung statt. Auf der
Tagesordnung stand ein einziger Punkt: der Aufbau eines eigenen Tierparks.
Am Tisch des stellvertretenden Oberbürgermeisters trafen sich eine Vertreterin
des Ministeriums für Kultur und die Zoodirektoren der DDR. Der Leipziger Zoo
hatte einen Vertreter geschickt – den wissenschaftlichen Assistenten Heinrich
Dathe.
Sein Sohn Falk Dathe, Kurator im Tierpark, erzählt:
Einbl. 2
Falk Dathe: Mein Vater war ja nach Berlin zu dieser entscheidenden Sitzung
geschickt worden, um den Magistrat die Gründung eines neuen Zoos auszureden. …
Er war einer von denen, die meinten, Berlin braucht keinen zweiten Zoo. Da gibt es
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einen. Der ist so, dass dort auch noch viel gebaut werden muss, der fertig gestellt
werden muss. Ansonsten gab es eben in Leipzig, Halle und Dresden noch Zoos.
Auch die waren weitgehend zerstört. Und Geld war knapp und Baukapazitäten auch,
es mussten Wohnungen gebaut werden.
Atmo Baumlöwe
Sprecher:
In Berlin existierte bereits ein renommierter Zoo – der älteste in Deutschland,
eröffnet am 1. August 1844. Der Krieg hatte ihn weitgehend zerstört, von 3715
Tieren hatten nur 91 die schweren Luftangriffe überlebt. Vom berühmten
Aquarium standen nur noch die Grundmauern.
Die sprichwörtliche Tierliebe der Berliner bewährte sich: Viele teilten ihr
weniges Essen mit den Tieren und halfen sofort nach Kriegsende beim
Wiederaufbau. Direktorin Katharina Heinroth erinnert sich 1956 im RIAS:
Einbl. 3a
In den ersten Jahren hat man ja nicht viel gesehen, war ja alles unterirdisch. Die
größte Sorge die wir hatten, das war, immer genügend Futter zu beschaffen. Hin und
wieder hat uns die russische Administration mit einem Ukas geholfen, aber ganz
schlimm war es während der Blockade
Einbl. 3
Falk Dathe: Der Zoo im Westteil der Stadt war inzwischen durch die neue Währung,
die D-Mark, ein bisschen problematisch. Es waren ja damals Wechselkurse von 1 zu
5 oder noch schlimmer. Und insofern war das vor allem eine politische Entscheidung,
in Ostberlin einen anderen Zoo zu gestalten. Und soweit ich dann später gehört
habe, auch als Folge des 17. Juni, wo man dann doch von der DDR-Staatsführung
zu der Ansicht gekommen war: Wir können nicht nur die Normen hochschrauben, wir
müssen den Leuten auch `ne Freizeitmöglichkeit zur Erholung bieten.
Sprecherin:
Um die allesamt konträr eingestellten Zoodirektoren der DDR umzustimmen,
zeigte man ihnen die Plätze, die für einen neuen Tiergarten infrage kämen: die
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Wuhlheide, den Treptower Park – zuallererst aber das Gelände um das
Schloss derer von Treskow in Berlin-Friedrichsfelde. Der Landschaftspark hier
wurde einst von Lenné gestaltet. Nun war er zwar teilweise verwüstet und
verwildert, aber seine Schönheit mit großen Wiesenflächen, breiten Alleen und
alten Bäumen war immer noch erkennbar.
Einbl. 4
Falk Dathe: Mein Vater war begeistert von dem Friedrichsfelder Schlosspark, von
dieser Baumpracht, dieser Weite und wurde da etwas wankend. Und als die Frage
gestellt wurde in dieser Sitzung: Na, wer könnte denn die Leitung in dieser Sache
übernehmen, da ging das alles auf ihn zu, weil es damals nur in Leipzig einen
wissenschaftlichen Mitarbeiter, einen Assistenten gab, der vom Fach war. Und das
war er.
Atmo Dathe Kauz
Sprecherin:
Für den promovierten Zoologen und begeisterten Ornithologen Heinrich Dathe
die Chance seines Lebens - aber auch eine gewaltige Herausforderung. Wusste
er doch, welch großen Ruf der Berliner Zoo hatte – und wie sehr seine
Direktorin in Fachkreisen geschätzt war. Als erste und einzige Frau in
Deutschland leitete Katharina Heinroth einen Zoologischen Garten. Dathe
bewunderte ihre Arbeit – und ihre Erfolge beim Wiederaufbau.
Einbl. 5
Falk Dathe: Mein Vater ist auf alle Fälle davon ausgegangen, dass sich die beiden
Zoos grundsätzlich unterscheiden müssen. Dass der Tierpark eben anders gestaltet
werden muss, damit er hier in Berlin Bestand hat und nicht unbedingt eine direkte
Konkurrenz zum Zoo darstellt.Und dass die Mauer gebaut wird, das konnte ja keiner
so voraus sehen - ist er davon ausgegangen, dass er etwas anderes bieten muss,
wenn er hier in Berlin einen Tiergarten aufbaut.
Sprecherin:
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Der neue Tiergarten, so wurde er anfangs genannt, würde eine dem Kulturamt
unterstellte Einrichtung sein. Notwendige Gelder und unvermeidliche
Subventionen, um ihn zu einem wirklich attraktiven Gegenpol des West-Zoos
zu machen, kamen aus dem Staatsetat der DDR.
Sprecher
Der Berliner Zoo dagegen ist seit 1845 eine gemeinnützige Aktiengesellschaft.
Mit 4000 Aktien und fast ebenso vielen Aktionären. Denen ging es nicht um
hohe Rendite; eine Zoo-Aktie zu besitzen war etwas ganz Besonderes. Von
Generation zu Generation wurde sie in den Familien weitergegeben und
bekundete einerseits Teilhabe an der traditionsreichen Einrichtung.
Andererseits aber bewies sie auch die Zugehörigkeit der Aktieninhaber zur
feinen Berliner Gesellschaft. Der Zoo mit seiner exotischen prunkvollen
Architektur, den Spielplätzen, der Flanierallee, den Cafés, Restaurants und
gewaltigen Festsälen war bis zu seiner Zerstörung ein Treffpunkt für Familien,
ein Ort für festliche Veranstaltungen und rauschende Bälle.
Atmo Seelöwe unter 6
Einbl. 6
Falk Dathe: Mein Vater hatte da aber andere Ideen, er wollte Tiere in der Landschaft
darstellen, vergleichend die Tiere präsentieren, durchaus aber auch zoogeografisch
sie bieten. Er wollte nicht das klassische Affenhaus oder das klassische Vogelhaus
oder das Aquarium – Aquarium sowieso nicht, weil er ja das Aquarium hier im Zoo
kannte - und er wollte da auch keinen Gegenpool hinsetzen sondern er wollte in die
Landschaft hinein die Tieranlagen komponieren.
Sprecherin:
Leidenschaftlich und mit ungezügelter Begeisterung warb Dathe überall in der
DDR für seine Idee und für Unterstützung.
Einbl. 6a: Wen halten Sie für den prominentesten Berliner dieser Woche? …Dr.
Dathe vom Tierpark…
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Sprecherin:
Er erreichte es, dass sogar Kleingärtner nicht nur ihre Parzellen für das
Parkgelände aufgaben, viele von ihnen griffen selbst zu Hacke und Spaten, um
„ihren“ Tierpark mitzugestalten.
Einbl. 7
Falk Dathe: Es ist dann ein Generalbebauungsplan erstellt worden. Das ist
unwahrscheinlich, was da alles vorgesehen war. Das ging hin bis zu einem
Delfinarium…. Ja, der Tierpark war einfach komplett für die ganze Fläche war er
konzipiert worden und dann wurden eben die ersten Baumaßnahmen eingeleitet. Im
Herbst 54 ist die Grundsteinlegung gewesen.
Sprecherin:
Die Westberliner Zoodirektorin Katharina Heinroth sollte von dem Vorhaben
nicht erst aus der Zeitung erfahren; Heinrich Dathe fuhr selbst zu ihr und
erklärte die Pläne. Und als der Ostberliner Magistrat sich weigerte, ihr und
anderen Westkollegen eine Einladung zur Eröffnung zu schicken, stellte der
neue Tierparkchef sich quer: Wenn Heinroth unerwünscht sei, müsse auch auf
ihn verzichtet werden. Die Ostberliner Machthaber lenkten ein, die
Neugründung feierten beide Berliner Zoodirektoren gemeinsam.
Einbl.8
Falk Dathe: Zu den ersten Tieren gehörten auf alle Fälle Brillenkaimane. Aber es
sollen wohl auch ein Meerschweinchen gewesen sein und dann ein Rhesusaffe.
Dann später kamen schon Löwen und ich glaube auch Tiger. Die sind in alten
Eisenbahnwagen, russischen Eisenbahnwagen, erstmal untergebracht worden bis
dann 63 das Alfred-Brehm-Haus fertig wurde.
Musik (Tierparklied, Blaskapelle)
Sprecherin:
Zu seiner Eröffnung am 2. Juli 1955 konnte der Friedrichsfelder Tierpark schon
einiges präsentieren. Auf einer Fläche, die schon damals fast doppelt so groß
war wie der Westberliner Zoo, staunten Besucher über 400 Tiere.
7
Sprecher
Viele davon Geschenke: ein volkseigener Betrieb, der Kühlschränke
produzierte, stiftete einen Eisbären, das Ministerium für Schwermaschinenbau
schenkte einen Elefanten, eine Fabrik für Schlafzimmermöbel hatte Störche
mitgebracht und das Städtchen Strausberg einen Straus. Die wertvollste
Spende kam vom Münchener Zoo Hellabrunn: zwei Wisente und drei
Wildpferde
Sprecherin:
Im Rahmen des „Nationalen Aufbauwerkes“ leisteten Ingenieure, Arbeiter,
Handwerker, Hausfrauen, Studenten und Schüler allein bis Ende 1956 freiwillig
und unentgeltlich über 270 000 Aufbaustunden. Dazu kamen Spendengelder,
Mittel aus der extra ins Leben gerufenen Bären-Lotterie und unzählige
Sachspenden. Die Besucherzahlen in Friedrichsfelde erreichten schnell die
Millionengrenze.
Einbl. 6b
Heinrich Dathe: Schauen Sie, der Tierpark ist noch kein Jahr alt, und ich bin schon
etwas gerührt, als prominentester Berliner der Woche genannt zu werden. Man hört
es mir ja an, dass ich gar kein Berliner bin.
Einbl. 9
Falk Dathe: Der Eintritt war immer eine Mark und Kinder 50 Pfennig. Das war
eigentlich fast bis zur Wende so. Das war auch eine politische Entscheidung genau
wie noch die Gaststättenpreise im Tierpark immer niedrig gehalten worden sind.
Wobei mein Vater da auch immer hinterher war, dass die nicht zu sehr anstiegen. Es
gab da oft Gedanken, diese Preise zu erhöhen in der Gaststätte, aber es sollte sich
jeder leisten können dort auch zu essen.
Eine Besonderheit gab´s in dem Terrassencafé – dort konnte man nämlich auch
eine Bockwurst ohne Lebensmittelmarke bekommen. Und ich weiß von einem Onkel
der in Westberlin lebte, dass er gerne in den Tierpark gefahren ist, weil er dort eben
auch noch mal eine Bockwurst so kriegte.
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Sprecherin:
Nach und nach entwickelte sich, was Heinrich Dathe hatte verhindern wollen:
der wachsende Tierpark mit seinen weiten Anlagen und seinen überaus
günstigen Preisen wurden zu einem immer stärkeren Konkurrenten des Zoos.
Sprecher
Dennoch blieben die Westberliner Zoodirektorin und der Ostberliner
Tierparkchef kollegiale Freunde.
Einbl. 9a
Heinrich Dathe: In der internationalen Tiergärtnerei ist immer ein guter Kontakt in
allen Zeiten gepflegt worden und wird es noch. Sie wissen, dass der Tierpark bereits
im internationalen Verband vertreten sind, und zwischen Frau Dr. Heinroth und mir
bestehen schon seit langem gute Verbindungen.
Sprecher:
Sie trafen sich, tauschten ihre Erfahrungen aus und heimlich sogar Tiere. Und
einer griff durchaus die Ideen des anderen auf: Die Sendung „Im Tierpark
belauscht“ – jahrzehntelang beliebteste Sendung im DDR-Rundfunk – war ein
Pendant zur Interviewreihe „Freundschaft mit Tieren“, die Heinroth im RIAS
installiert hatte.
Sprecherin
Solch enge Verbindung zwischen Ost und West passte den politisch
Verantwortlichen auf beiden Seiten nicht. Sie war wohl eine der Ursachen für
die plötzliche Absetzung Katharina Heinroths Ende 1956. Ihr Nachfolger,
Heinz-Georg Klös, hielt deutlich mehr Abstand zum Osten - und mit dem
Mauerbau 1961 war es mit einer Zusammenarbeit ohnehin vorbei.
Atmos Affen/Löwen/Baumlöwen
Einbl. 10
Falk Dathe: Nachdem in den Anfangsjahren doch geplante Gelder zur Verfügung
standen, sind ja 57/58 die Eisbärenanlage und die Brillenbärenanlage entstanden,
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ist 63 dann das Alfred-Brehm-Haus entstanden, ein Haus das so ein bisschen die
Ausnahme machte. Wo aber auch nicht nur Löwen und Tiger untergebracht werden
sollten, sondern auch in der Tropenhalle viele, viele Vögel. In den Vitrinen ringsum
waren noch Reptilien ausgestellt .Das war dann leider durch die finanziellen
Probleme etwas ausgebremst worden. Es ging nicht so weiter, wie man es ihm
versprochen hatte oder wie er es sich auch gewünscht hatte. Er musste dann
kleinere Kartoffeln backen und das letzte größere geplante Gebäude war das
Elefantenhaus, das Dickhäuterhaus, was im Herbst 89 eröffnet wurde. Und dann
nach der Wende auch noch fertig gestellt wurde mit den Außenanlagen.
Atmo Malaienbären
Einbl. 11a
Andrea Fleischer: Es war sowas von gerappelt voll, es kann sich heute niemand
mehr vorstellen.
Sprecherin
Andrea Fleischer, Tierpflegerin und Revierleiterin im Tierpark
11b Andrea Fleischer weiter: Wenn wir jetzt manchmal sagen: Gott ist das voll, dann
kommen manchmal die älteren Kollegen und sagen: Könnt ihr Euch erinnern? Wir
hatten Zeiten, da konnte man nicht mit dem Fahrrad fahren, weil man einfach keinen
Meter vorwärts gekommen ist in den Sommerferien. Es war Irrsinn!.
Musik 1
Sprecherin:
Den größten Ansturm in seiner Geschichte erlebte der Tierpark Friedrichsfelde
1989: 3,2 Millionen Besucher hatten sich durch die Eingänge geschoben, auf
den Wegen und in den großen Tierhäusern gedrängt.
Nach dem Fall der Mauer herrschte plötzlich gähnende Leere. Musik 1, heult weg
Sprecher
Nun stand man Schlange am Hardenbergplatz und vorm Elefantentor.
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Für viele Ostberliner waren der Zoo und vor allem sein Aquarium einer der
ersten Anlaufpunkte im unbekannten Teil der Stadt. Dass sie als
Willkommensgruß dort – wie auch in vielen anderen öffentlichen Einrichtungen
- erst einmal keinen Eintritt zahlen mussten, machte die Attraktivität noch
größer.
Reiner Kaiser, Kurator im Aquarium, erinnert sich:
Atmo Aquarium
Einbl. 12
Reiner Kaiser: Wir waren übermannt von der Vielzahl der Besucher die da kamen.
Hatten immer 700 000 Besucher im Jahr, was für ein Aquarium enorm viel ist. Zur
Wende hatte sich das auf 1,1 - 1,2 Millionen gesteigert. Danach eingependelt auf
800-900000 Besucher im Jahr. Zoo hatte vielfaches an Besuchern, das weiß ich.
Atmo 2 in Atmo 1
Einbl. 13
Andrea Fleischer: Die Wende war `ne spannende, `ne beängstigende, `ne sehr
seltsame Zeit. Wir haben, mit Sprecherrat gearbeitet, wir haben uns Wunder was
vorgestellt, was hier für Demokratie herrschen könnte, um dann sehr unsanft auf den
Boden der Tatsachen zurückgeholt zu werden, mit betriebsbedingten Kündigungen,
mit der Drohung der kompletten Abwicklung. Zudem sind massenhaft die Leute
weggeblieben, einfach weil - man konnte Reisen überall hin, wer wollte denn da im
Sommer noch hier in den Tierpark kommen? Also det war ne schwierige Sache.
Heinrich Dathe: Na, Freund, wie geht’s Dir? Geht`s Dir gut? (Rabe)
Sprecher:
7. Dezember 1990
Sehr geehrter Herr Professor Dathe!
Angesichts der jetzt rasch zu vollziehenden Überführung des Tierparkes in
eine neue Rechtsträgerschaft scheint es uns unumgänglich, mit der
Bewältigung der damit verbundenen Probleme eine jüngere Persönlichkeit zu
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betrauen, um Ihnen zusätzliche Belastungen zu ersparen. Sie werden daher ab
Montag, 10. Dezember, Ihre Amtsgeschäfte übergeben …
Heinrich Dathe: Das Glückliche ist, ja, dass die Krokodile diese Münzen nicht
fressen…
Leider müssen wir Sie auch anweisen, bis Ende des Monats Ihre
Dienstwohnung zu räumen.
Sprecherin:
Das Schreiben des Lichtenberger Kulturamtes kam an einem Freitag – ab
Montag war Dathe dann zwangspensioniert. Drei Wochen blieben ihm bis zum
Räumen der Dienstwohnung. – Ein kleines Haus auf dem Gelände des
Tierparks, das 1956 für den Direktor gebaut worden war. Fast 35 Jahre lang
hatte Heinrich Dathe hier mit seiner Familie gelebt, gearbeitet, publiziert und
Gäste aus aller Welt empfangen.
Am 6. Januar 1991 starb er. Vier Wochen nach dem Erhalt des rüden
Kündigungsschreibens.
Sprecher:
Im wiedervereinten Berlin stand nahezu alles zur Debatte. Braucht die Stadt
wirklich so viele Theater? Kann sie sich drei Opernhäuser leisten? So viele
Kliniken? Gleich drei Universitäten?
Atmo Affen
Sprecherin
Benötigt Berlin wirklich zwei zoologische Gärten?
Diese Frage beunruhigte die Mitarbeiter des Tierparkes. Etwa 300 waren es
Ende 1989; der Reptilienexperte Falk Dathe und die Zootierpflegerin Andrea
Fleischer gehörten dazu.
Einbl. 14
Andrea Fleischer: Und dann hieß es, der Tierpark muss sparen, muss kleiner
werden. Also Leute wurden in Vorruhestand geschickt letztendlich ist die
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Belegschaft generell auf die Hälfte zusammengeschrumpft worden. Und gruselig ist
immer wieder gewesen, dass eigentlich, immer, wenn die Nachfrage kam nach den
Zuwendungen vom Senat, die der Tierpark ja nun mal braucht, kam immer sofort:
Brauchen wir den Tierpark überhaupt oder können wir uns das Geld vielleicht
sparen?
Sprecherin:
Im April 1991 wurde aus dem Berliner Tierpark die Berlin-Friedrichsfelde
GmbH, eine landeseigene Einrichtung. Zweieinhalb Jahre später kaufte die
Zoo-AG die Anteile des Tierparks vom Land Berlin.
Sprecher
Seitdem ist der Tierpark eine Tochterfirma des Zoos.
Atmo Affen
Einbl 15
Andrea Fleischer: Menschenaffen sind weg, komplett weg. Natürlich weil die Haltung,
die wir hatten, nicht mehr zeitgemäß war. Und jeder wusste, dass die Million die ein
Umbau erfordert hätte, nie gekommen wäre.
Sprecher:
Ein Beschluss des Aufsichtsrats vom September 1993:
Im Zuge der Fusion und des Sparzwangs sind die 17 Aquarien und die
Schlangenfarm des Tierparks zum Jahresende zu schließen. Fische und
Reptilien werden in den Westen umgesetzt.
Sprecherin:
Damit wäre eine Attraktion des Tierparks endgültig verschwunden: die größte
Giftschlangensammlung Europas. Es erhob sich ein Sturm der Entrüstung.
Sogar ein eigenes Spendenkonto war blitzschnell eingerichtet: „Rettet die
Schlangen“
Einbl. 16
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Andrea Fleischer: (weiter) Und da hat sich dann die Belegschaft unabhängig von der
Leitung stark gemacht. Wir sind wirklich rumgerannt durch ganz Berlin und haben
Unterschriften gesammelt. Haben uns hier ans Tor gestellt, stundenlang. Und wir
haben`s geschafft.
Atmo Vögel
Sprecherin:
1991 wurde der Biologe Bernhard Blaszkiewitz Direktor der Tierpark-GmbH. Bis
zu seiner Ernennung war er wissenschaftlicher Assistent im Berliner Zoo.
Einbl. 17
Falk Dathe: Er kannte den Tierpark schon aus früheren Jahren er hat sich in den
Tierbestand sehr schnell hineingefunden und hat dann die Dinge in Angriff
genommen, die unbedingt verändert werden mussten. Wir hatten ja sehr viele
Holzgehege und sein Ziel war, innerhalb von 10 Jahren die gröbsten Provisorien im
Tierpark zu beseitigen. Und das ist ihm auch gelungen. Ob das, was dann
entstanden ist, so attraktiv ist, da kann man sich streiten. Auf jeden Fall war es an
vielen Stellen eine deutliche Verbesserung in der Tierhaltung für viele Tierarten. Und
das was ich ihm auch hoch anrechne: Er hat viel von den Ideen meines Vaters weiter
existieren lassen.
Einbl. 18
Andrea Fleischer: Dass man uns da ´ne komplette Westleitung vor die Nase gesetzt
hat, haben wir zur Kenntnis genommen. Die Art, wie die sich eingeführt hat, war –
sagen wir mal grenzwertig. Weil oft und lange der Chef mit dem Prokuristen und
nem Bauleiter durch den Park sind, ohne sich vorzustellen und wahrscheinlich
rundum abgecheckt haben. Was behalten wir? Was geben wir weg? Was können wir
ändern? – Davon haben wir aber nichts erfahren. Und das hat nochmal zu
Unsicherheiten geführt: Was machen die jetzt hier? Verkleinern die den Tierpark oder
so? Kuratoren wie Tierpfleger wurden nach und nach sämtlicher Verantwortung
beraubt und die Stimmung wurde immer schlechter.
Atmo Malaienbären
14
Einbl. 19
Andrea Fleischer: Man musste wirklich bei allem den Direktor fragen. Bei wirklich
allem! Wo wir uns immer gefragt haben: Warum muss der sich darum kümmern,
dafür hat der doch seine Leute eigentlich? Das war schlimm! Natürlich geht man
dem Besucher nicht mehr ganz so freundlich entgegen. Und mein Standardspruch
war dann immer, wenn ich gefragt wurde: Tut mir leid, kann ich ihnen nicht sagen, ich
bin ja nur der Tierpfleger.
Atmo Malaienbären frei und weg
Sprecher:
Im wiedervereinigten Berlin häuften sich die Schulden. Kurz nach der
Jahrtausendwende waren es über 40 Milliarden Euro. Um diesen Berg
abzutragen, wurde 2002 der SPD-Mann Thilo Sarrazin Finanzsenator . 220
Millionen sollten erst einmal sofort eingespart werden.
Sprecherin:
In dieser Zeit wurde Thomas Ziolko Mitglied im Förderverein des Tierparks –
wie viele andere auch.
Einbl. 20
Thomas Ziolko: Also es war 2003, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, hat
Sarrazin die Schließung vom Tierpark gefordert und das hat dazu geführt, dass viele
Leute aus der Politik eingetreten sind in den Förderverein. Um auch deutlich zu
machen, dass der Tierpark nicht nur ne Existenzberechtigung hat, sondern die
Unterstützung der gesamten Stadt verdient. Seitdem Sarrazin Finanzsenator war,
sind die Zuwendungen vom Tierpark jährlich zurückgegangen. Das hat dazu geführt,
dass in wenigen Jahren die Zuwendungen halbiert wurden.
Atmo Knut-Anhänger
Sprecher:
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Am 5. Dezember 2006 konnte der Zoo ein außerordentliches Ereignis bekannt
geben: Die erste Eisbärengeburt in Berlin seit über 30 Jahren. Die Mutter aber
nahm ihren Nachwuchs nicht an, eines der Jungen starb innerhalb von
wenigen Tagen. Daraufhin kam das zweite in einen Brutkasten und sein
Pfleger Thomas Dörflein blieb Tag und Nacht bei ihm. Als der kleine Knut nach
einem Vierteljahr der Öffentlichkeit präsentiert wurde, warteten Tausende, um
ihn zu sehen.
Atmo Knut Anhänger
Sprecher:
Innerhalb weniger Wochen avancierten der kleine Eisbär und sein Ziehvater zu
Medienstars. Sie bescherten dem Zoo einen gewaltigen Erfolg: Die
Besucherzahlen explodierten, der Kurs der Zoo-Aktie, der immer vor sich hin
gedümpelt hatte, stieg innerhalb eines Monats auf das Doppelte, Produkte mit
dem kleinen Eisbären steigerten den Gewinn des Zoos in ungeahnte Höhen.
Sprecherin
Aber auch kritische Stimmen waren zu hören. Sind Handaufzucht und die
Vorführung des Jungtieres artgerecht? Ist ein Zoo in Mitteleuropa überhaupt
der richtige Aufenthaltsort für einen Eisbären?
Einbl. 21a
Claudia Hämmerling: Der Ausgangspunkt war der, dass sich inzwischen Tierschützer
mit dem Thema Tierhaltung im Zirkus aber auch in Zoos kritisch auseinander gesetzt
hatten und sagten: Ihr müsst mal gucken viele Tiere leben dort alles andere als
artgerecht, sie haben Verhaltensauffälligkeiten entwickelt.
Sprecherin:
Claudia Hämmerling, tierschutzpolitisch Sprecherin der Fraktion Bündnis
90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus
21b Claudia Hämmerling weiter: Und wenn sie in den Tierpark gehen - diese
Stereotypien, die diese Tiere aufweisen, die werden sie wahrscheinlich ihr Leben
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lang nicht mehr ablegen. Die laufen dann zwei Schritte vor, zwei Schritte zur Seite,
zwei Schritte zurück. Sie wackeln mit dem Kopf nach rechts, nach links - das
sogenannte Weben ist das. Das sind Verhaltungsauffälligkeiten, die entstehen dann
und selbst wenn die Fläche groß ist, das hilft dem Tier nicht. Es braucht Futter fürs
Gehirn.
Sprecher:
Während der Zoo trotz aller Kritik immer weiter in der Besuchergunst stieg,
ebbten die Diskussionen um die Notwendigkeit zweier solcher Einrichtungen
nie völlig ab.
Sprecherin
Im Jahre 2013 forderte der FDP-Bundestagsabgeordnete Lars Lindemann: „Es
kann nicht sein, dass die öffentliche Hand den Tierpark auf Dauer bezuschusst.
Wenn er nicht in die Gewinnzone kommt, dann muss er schließen oder verkauft
werden. Wir haben einen Zoo in der Stadt und müssen da draußen nicht noch
einen Tierpark subventionieren.“
Einbl. 22
Claudia Hämmerling: Es war ein dämlicher Vorschlag. Und der ist dann erstmal
diskutiert worden und ernsthaft in Erwägung gezogen worden.
Aber ich glaube, alle die da mitdiskutiert haben, haben sich nie inhaltlich damit
befasst, was denn ein Zoo bedeutet. Und ob da Leute arbeiten, dass da Tiere
untergebracht sind, die man nicht auswildern kann. Sie können keine Großkatze
auswildern, sie können keine Affen auswildern, es sind keine wilden Tiere mehr. Die
sind an den Menschen gewöhnt und die kann man nicht einfach laufen lassen.
Von daher hätte man zu der Zeit längst die Frage stellen müssen: Was muss man
tun, damit ein Tierpark attraktiv wird? Ich nehm mal `n Beispiel aus Heidelberg, da ist
ne tolle Elefantenhaltung, da sind die Pfleger damit beschäftigt, für die Elefanten
Verstecke aufzubauen. Pfähle werden aneinandergebunden, dass der Elefant das
bewegen kann. Also er kann was tun. Er kann auch `n großen Erdhaufen platt
trampeln. Die Jungbullen, die dort gehalten werden, die rutschen da aufm Hintern
runter; also es macht auch Spaß da zuzusehen. Blaszkiewitz hat gesagt: So muss
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es sein! Und er hat zweifellos Ahnung von Tieren gehabt. Aber mit der Art, wie er
seine Aufgabe verstanden hat, hätte er ins Naturkundemuseum besser gepasst zum
Archivieren irgendwelcher Präparate. Als Zoochef war er `ne absolute
Fehlbesetzung.
Sprecherin
Ab 2007 war Bernhard Blaszkiewitz nicht mehr nur Direktor im Tierpark, er
leitete nun auch den Zoo. Dabei häuften sich längst Beschwerden über seinen
Umgang mit Tieren - aber auch mit den Mitarbeitern.
Schließlich konnte der Aufsichtsrat sie nicht mehr übergehen; der Vertrag des
Direktors wurde nicht weiter verlängert.
Atmo
Rundfahrt mit Andreas Knieriem: So, wir starten jetzt hier mal am Schloss, … hier
werden wir gar nicht so viel verändern. Hinter dem Park eine große Voliere, eine
riesige Voliere, wenn möglich die größte in Europa. Mehrere Hektar, damit die Vögel
dort fliegen können. Wenn es um Platz geht, ist das für viele Zoos ein Problem.
Heute für den Tierpark kein Problem. Wir haben Platz, auch wenn wir marode sind,
wir haben Platz und können Platz für die Zukunft als Motto nehmen.
(Motorgeräusche)
Einbl. 23a
Andreas Knieriem: Im April letzten Jahres kam ich in ein Büro, in dem ich mich
überhaupt nicht wohl gefühlt habe. Wir mussten das erstmal in Schuss bringen.
Sprecher:
Seit 2014 ist Andreas Knieriem neuer Direktor. Der Tierarzt leitete bereits den
Tierpark in München-Hellabrunn und hatte vorher schon maßgeblich an der
Umgestaltung des Erlebnis-Zoos in Hannover mitgearbeitet.
23b Andreas Knieriem weiter:
So. Ich habe im Gegensatz zu meinen Vorgängern keine Schlüsselübergabe
bekommen, habe leere Schränke vorgefunden und desaströse Informationslenkung
und Struktur und habe die Verwaltung wirklich erst mal auf links drehen müssen.
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Auf der anderen Seite sage ich Ihnen: Ich war auch ganz beseelt, weil es einfach
tolle Einrichtungen sind. Der Zoo Berlin mit seiner Geschichte, mit diesen vielen
schönen Stilgebäuden der ja auch ein wunderschöner toller Zoo ist, auch wenn er in
manchen Punkten ein wenig aus der Zeit geraten ist… Dann habe ich gemerkt wir
haben auch viele gute Mitarbeiter, das ist ja das wichtigste Potential. Und auch was
den Tierpark angeht: Natürlich kann man sagen Oh Gott, oh Gott. Der sah ein
bisschen rostig aus. Aber wenn Sie bei dem Wetter hier sind wie heute, dann
merken Sie, welches Potential da drin liegt.
Einbl. 25
Thomas Ziolko Also es ist ja so, dass der Tierpark mit 160 Hektar nicht nur der
größte in Europa ist, sondern er ist im Vergleich zum Berliner Zoo fünfmal so groß.
Und sie haben hier `ne Wegestruktur von 25 Kilometern. Das ist, wenn sie einen
normalen Zoo in Deutschland sehen, mehr als viermal so viel wie der Zoo München
oder Hannover. Und zu DDR-Zeiten gab es einen Großteil des Geländes, ungefähr
35 Hektar, was noch nicht komplett bebaut war. Es gab Sandwege, Wüste fast, kann
man sagen, mit Holzgattern, wo Tiere untergebracht wurden. Das ist der Bereich
hinter dem Elefantenhaus gewesen. Und ich kann mich als Kind auch sehr gut dran
erinnern, man war danach immer eingestaubt in diesem Bereich.
Einbl. 26
Andreas Knieriem : Wenn man dann sieht, wie dieser Tierpark sich in der DDR
entwickelt hat. Er war ein relativ moderner Tierpark auch in der DDR. Allerdings hatte
man ein Stück weit auch Mangelwirtschaft, das hat man aber im Tierpark – glaub ich
– nicht immer wirklich gesehen. Erst in der Endphase. Das war weiß Gott kein
altertümlicher Zoo, den der Herr Dathe hier zeigte.
Atmo Heinrich Dathe mit Boa
Einbl. 27a
Andreas Knieriem: Und dann kommt der ganz wichtige Aspekt: wie baut man heute
Gehege, damit das Tier sich wohl fühlt, in dem es Komfortbereiche hat aber auch
Bereiche, um sich manchem zu entziehen ….
19
Sprecherin:
Im Mai 2014 wird das im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums
überarbeitete Säugetiergutachten veröffentlicht. Es stellt
Mindestanforderungen an Gehege, Haltung, Fütterung, aber auch
Tiermanagement.
27b Andreas Knieriem weiter: Und, was aber auch sehr wichtig ist, dass der
Besucher das Gefühl hat, jawohl das ist ein Lebensraum, das ist stimmig und
authentisch und hier fühlt sich das Tier auch wohl. Und da hat man im
Unterbewusstsein ein ganz klares Bild im Auge. Das ist nicht immer wissenschaftlich
begründet, das muss auch nicht immer richtig sein. Aber wir wissen sehr genau, der
Besucher denkt so. Er will Löwen nun mal nicht in einer gekachelten Bude sehen, die
aussieht wie `ne große Toilette, sondern in einem Areal, was dem Löwen würdig
erscheint.
Sprecherin:
Mindestanforderungen für Löwen:
Außengehege mindestens 200 m2 für 1 Tier oder 1 Paar;
Innengehege: mindestens 20 m2 und 2,5 m Höhe
Atmo
Im Raubtierhaus im Zoo: (Löwe brüllt) Jetzt hören wir gerade einen Löwenkater. Der
ist schon ein bisschen betagt sonst wär der noch ein bisschen lauter. Er ist
mittlerweile sogar 16 Jahre alt, ein stolzes Alter für einen Löwen (Löwe brüllt) Sprecher:
Bis zum Jahr 2012 wurde auch der Berliner Zoo jährlich mit zwei Millionen Euro
subventioniert. Dann strich der Senat die Zuschüsse - sie waren auch dank der
gestiegenen Besucherzahlen nicht mehr nötig.
Sprecherin:
Der Tierpark aber brauchte jährlich 6,4 Millionen Euro allein als öffentlichen
Zuschuss zu den Betriebskosten.
20
Einbl. 28
Andreas Knieriem: Wir müssen aber festhalten für den Tierpark Berlin, dass er aber
auch ein Mega-Zoo ist. Hinsichtlich der Arten, der Anzahl der Tiere, der Mitarbeiter.
Über 200 Mitarbeiter allein im Tierpark, aber auch hinsichtlich der Kosten. Sie
müssen erst mal 160 Hektar bewirtschaften! Sie brauchen erhebliche Energiekosten.
Wir haben Wasserkosten, wir haben vor allem Futterkosten. Und das heißt, wir
brauchen auch die Einnahmen eines großen Zoos - und da hapert es eben.
Atmo Löwen
Einbl. 29
Andreas Knieriem: Die letzten Jahre waren desaströs geradezu. Jedes Jahr Verluste
und das Eigenkapital schmilzt weg. Und wenn das so weiter geht, sind Sie
irgendwann pleite.
Atmoblende
Rainer Kaiser (Aquarium): Ja wir stehen hier gerade vor unserem QuallenZylinderbecken. Das ist ein großer 1,20 Meter tiefer Zylinder, ungefähr 2 Meter hoch.
Die Mitarbeiter des Aquariums haben sich das ausgedacht. Wir wollten ein Becken
haben, ein schönes Becken wo man keine Technik sieht.
Einbl. 31
Andrea Fleischer: Als der Chef, der neue Chef angefangen hat, hat er drum gebeten,
jedes Revier möchte ne Wunschliste aufschreiben. Also was wollen wir schon immer
im Revier geändert haben. Das erste was jeder geschrieben hat: Wir möchten
Beschäftigung für unsere Tiere! Seile, Säcke, Bälle und und und.
Sprecherin:
Zoo und Tierpark haben zwar einen gemeinsamen Chef, eine gemeinsame
Verwaltung, sie kaufen gemeinsam ein – aber es sind völlig unterschiedliche
Organisationsformen.
21
Sprecher
Auf der einen Seite die Aktiengesellschaft, von deren 4000 Aktien nur eine
einzige dem Land Berlin gehört,
Sprecherin:
auf der anderen Seite deren Tochter, die Tierpark GmbH. Materiell herrscht
zwischen der reichen Mutter im Westen und der armen Ost-Tochter strikte
Gütertrennung.
Und während sich die eine frei und selbstbewusst entwickeln kann, hängt die
andere auf Gedeih und Verderb am Senatstropf.
Atmo Vögel
Einbl. 32
Andreas Knieriem: Die alten Zoos sind alle systematisch organisierte Zoos. Vogel Vogel - Vogel - Vogel – Vogelhaus. Affe - Affe - Affe - Affe – Affenhaus. AntilopeAntilope-Antilope- Antilopenhaus. Und so war das hier im Zoo Berlin. Er ist das
Paradebeispiel eines systematisch organisierten Zoos.
Sprecherin:
Es sind gleich viel Berliner, die in den Zoo bzw. in den Tierpark gehen. Je etwa
eine Million.
Sprecher
Nur dass am Hardenbergplatz – unweit von Gedächtniskirche und Ku`damm nochmal die doppelte Menge an Touristen dazu kommt. Die auswärtigen Gäste
fehlen in Friedrichsfelde nahezu völlig.
Auf Atmo Vögel
Einbl. 33
22
Andreas Knieriem: Wenn jetzt aber der Zoo Berlin der systematische ist, stellt sich
doch die Frage: Soll der Tierpark das gleiche machen, nur auf `ner größeren Fläche?
Oder brauchen wir eine ganz klare Profiltrennung zwischen beiden?
Sprecherin:
15 Kilometer liegen zwischen Zoo und Tierpark. Der eine mittendrin, der andere
am Rand. Wer von einem zum anderen gelangen will, muss erst mit der S-Bahn
zum Alexanderplatz fahren und dann in die U-Bahnlinie 5 umsteigen.
Einbl. 34
Andreas Knieriem: Wenn er geografisch organisiert ist, wir also eine Überschrift
finden wie „Eine Reise durch die Kontinente der Welt“ lassen sich ganz andere Dinge
adaptieren. Das ist das Naturnahe, das ist die Lebensraumgestaltung, das ist die
Weite, die Möglichkeiten, dass man sich eher mal vorstellen kann ja das ist Afrika
und das ist Asien und das ist Europa! Mit diesem Schloss hier zusammen und dem
Wald dort drüben, dem Lennèschen Wald ist das sowas Europa wie es Europa gar
nicht mehr gibt.
Atmo Rundfahrt
Andreas Knieriem : Und von hier aus wird es dann auch die Reise in die sogenannte
Himalaja geben. Für all das müssen sie weit laufen, wir fahren die ganze Zeit mit
diesem kleinen Auto und es ist gerade mal ein Zehntel der Wegfläche die wir
gefahren sind.
Hier ist die Affenanlage und jetzt fahren wir mal den Berg hoch, da braucht der Wagen schon ein
bisschen mehr. Ich hoffe mal dass wir nicht noch schieben müssen.
Sprecherin:
Eine Reise durch die Welt verspricht Andreas Knieriem. Eisbären und Robben
in der Tundra, Mittagessen in der Afrika-Lounge, inmitten einer Savanne mit
Büffeln, Zebras und Gazellen. Und schließlich mit der Seilbahn im Himalaja zu
Schneeleoparden, Pandas und Takinen. Dazu ein Dschungelbiotop voller
Krokodile, Leoparden, Malaienbären und mit einer Voliere, in der man den Flug
von Flamingos und Kakadus beobachte kann.
23
Sprecher
Billig wird das nicht.
Einbl. 35
Andreas Knieriem Wir haben jetzt erst mal eine Summe von 92 Millionen Euro
vorgesehen. Wir müssen sowieso sanieren, das wird eh eine Summe Geld kosten.
Und dabei wollen wir ihn gleich attraktiv gestalten. Wichtiger für mich ist eine andere
Summe. In den letzten 22-23 Jahren sind hier ja schon 200 Millionen rein geflossen,
allerdings vordergründig als Betriebskostenzuschuss. Das ist wie in der Wüste.
Wollen sie da immer Wasser in den Sand kippen oder wollen sie ihn endlich
vorbereiten, dass eine Oase draus wird? Und ich bin für letzteres.
Im Zoo Berlin wurde in den letzten Jahrzehnten deutlich mehr ausgegeben. Allein
das Flusspferdhaus hat damals deutlich mehr als 35 Millionen DM gekostet. In
Leipzig wurden weit über 100 Millionen bisher ausgegeben aber das Ergebnis sehen
sie auch. Hier wollen wir in die Fläche gehen in die Landschaftsarchitektur wollen wir
hier gehen.
Sprecherin:
Die Vision von Andreas Knieriem - sie hat ihre Bewunderer – aber durchaus
auch ihre Kritiker. Die kommen vor allem aus dem östlichen Teil der Stadt und
es sind nicht selten jene, die den Tierpark einst mit aufgebaut haben und sein
Werden und Wachsen über Jahrzehnte begleiteten. Für sie ist der Ostberliner
Tierpark ein Stück Heimat und Identität geblieben. Sie melden sich bei den
Berliner Zeitungen mit Leserbriefen und in Internetkommentaren.
Sprecher:
Gerd K., Berlin-Hohenschönhausen: Nach "Klima-Zonen" - was soll das sein?
Welch krampfhafte Charaktersuche! Es soll ein Landschaftspark mit Tieren
sein und bleiben ohne Klimbim!
Sprecherin
Monika St.: Das Konzept für den Tierpark hört sich erst einmal gut an. Aber ich
habe Bedenken, dass sich dann auch die Eintrittspreise erhöhen.
24
Sprecher
Über die langen Laufstrecken für die Rentner sollte sich Herr Knieriem nicht zu
viele Gedanken machen, die sind zum großen Teil fitter als er annimmt.
Atmo
Rundfahrt mit Andreas Knieriem: So wir fahren jetzt gerade quer durch Afrika. Ein
stückweit hat man hier das ja schon als Gefühl, die Zebras sind schon hier, und alles
hier hinten wird Savannenanlage werden. Das heißt, wir werden die Anlagen
aufmachen, wir werden viele Tierarten nebeneinander zeigen und somit eine
Riesenlandschaft zeigen können wo man dann Elefanten und Zebras und Antilopen,
Strauße nebeneinander sieht. Das alles gehört zusammen. Platz wie gesagt haben
wir hier.
Sprecher:
Völlig neu sind solche Vorstellungen nicht, auch nicht für Berlin. Bereits
Anfang des 20. Jahrhunderts gab es hier die Idee eines Volks-Tierparks mit
mehr Auslauf und Grün als Pendant zum ummauerten Zoo.
Einbl.11b
Andreas Knieriem: Und was sich hier anschließen wird, ist eine Art Märchenwald, wo
man die Wölfe wiederfindet beispielsweise aber auch viele andere europäische
Tierarten, weil wir einen ganz natürlichen Buchenwald hier haben, so wie man sich
einen europäischen Wald eben auch vorstellt. Übrigens ist Europa so groß wie ein
klassischer mitteldeutscher Zoo.
Sprecherin:
Und war dies nicht auch Dathes Idee – Tiere in ihrer natürlichen Umgebung, in
ihren Lebensräumen zu zeigen?
Einbl. 37
Andrea Fleischer: Dieser neue Masterplan, da bleibt im Tierpark kein Stein auf dem
anderen. Da gibt’s dann die Traditionalisten, die sagen: Huch und der schöne Park
25
und vielleicht wird das so – wird `n Rummel und wird so wie in allen andern Zoos und
die Zoos sehn alle gleich aus. Mhm.
Ich würde mir wünschen dass dieses Ding 1 zu 1 umgesetzt wird! (lacht). Ich find den
sehr ambitioniert supertoll u.a. deshalb, weil ein Großteil der Tiere dableibt wenn´s
denn so kommt.
Sprecherin:
Wird es so kommen? Wird der Senat die 92 Millionen Euro bewilligen?
Sprecher
Der Umbau im großen Stil hat bereits begonnen.
Allerdings nicht am Bärenschaufenster des Tierparks, sondern am Elefantentor
des Zoos. Hier sollen die Dickhäuter in einer ganz neuen Anlage schwimmen
können, Panzernashörner hinter Glas an Zuschauern vorbei tauchen, ein
Vogelhaus sich in einen Abenteuer-Dschungel verwandeln.
60 Millionen wird der Spaß kosten. Geld, um das nicht gebettelt und auf das
nicht gewartet werden muss. Es kommt aus eigenen Mitteln.
Einbl. 38
Andreas Knieriem: Der Zoo wird mit Siebenmeilenstiefeln weiter schreiten. Wir sind
jetzt dabei, den kompletten Eingang am Hardenbergplatz zu sanieren. Wir sind jetzt
dabei, das Raubtierhaus zu sanieren. Wir sind dabei, das Vogelhaus zu verbessern
den, Adlerfelsen zu sanieren. Also wenn der Tierpark da nicht weiter zurückfallen will
gegenüber dem Zoo, müssen wir hier investieren. Das tun wir gerade und vielleicht
nicht mit den großen Siebenmeilenstiefeln, aber wir haben bestimmte Summen
bekommen und die geben wir auch aus.
Sprecherin:
Fünf Millionen Euro wurden dem Tierpark bisher zugebilligt. Finanziert wurde
damit: ein faltbarer Wegeplan, den nun jeder Besucher beim Einlass erhält.
Und eine neue bunt bemalte Elektrobahn. Sie soll den Fahrgästen eine
Vorstellung von der Weitläufigkeit der Fläche vermitteln. Der Rest des Geldes
aber wird ins Alfred-Brehm-Haus und in den Eingangsbereich fließen, in
wichtige „Reparaturarbeiten“ und Erneuerungen.
26
Sprecher
Eine vollständige Umgestaltung sieht anders aus.
Und so bleibt die Frage bestehen: Kann sich Berlin auf Dauer zwei Zoos
leisten?
Sprecherin
Werden beide ihre Chance bekommen?
Atmo 12
Andreas Knieriem, Rundfahrt: Wer heute das Wetter hier sieht, den blauen Himmel,
den Baumbestand, den Geruch der Elefanten, den wir hier gerade riechen – also
Afrika, wenn wir nicht Afrika in Berlin haben, wo passt es sonst hin? Also ich
persönlich rieche hier schon Afrika!
Absage
Die geteilte Arche
Berlin und seine Zoos
Sie hörten eine Sendung von Rosemarie Mieder und Gislinde Schwarz
Es sprachen: Isis Krüger und Volker Risch
Ton und Technik: Gunther Rose und Katrin Fidorra
Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr
Eine Produktion des Deutschlandfunks 2016