1 DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Tel. (0221) 345 1503 Die geteilte Arche Berlin und seine Zoos von Rosemarie Mieder und Gislinde Schwarz Sendung: 15.01.2016 URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. DeutschlandRadio 2 (auf Tiergeräusche) Einbl. 01 Andreas Knieriem: Zoo Berlin hatte letztes Jahr z.B. 3,2 Millionen Besucher. Sehr viel mehr kann es auch nicht werden, das geht auf diesen 32-33 Hektar gar nicht, das ist mit diesem Wegesystem nicht mehr möglich zweites ist es auch ein Negativerlebnis für unsere Besucher dann. Also wenn wir 15-17 000 Besucher an einem Tag im Zoo haben dann ist auch wirklich Ende der Fahnenstange. So wir haben also schon mal einen Zoo der ist voll. Dann haben wir noch den anderen das ist der Tierpark, der hat ja auch keine schlechten Besucherzahlen. Nicht nur für den Osten Berlins, auch für die Stadt Berlin. Mit anderen relativ einfachen Worten: Hätte Berlin nicht zwei Zoos – wir müssten heute einen zusätzlichen noch dazu bauen. Ansage Die geteilte Arche Berlin und seine Zoos Eine Sendung von Rosemarie Mieder und Gislinde Schwarz (Atmo weg) Sprecherin: Im Juni 1954 fand im Ostberliner Rathaus eine besondere Sitzung statt. Auf der Tagesordnung stand ein einziger Punkt: der Aufbau eines eigenen Tierparks. Am Tisch des stellvertretenden Oberbürgermeisters trafen sich eine Vertreterin des Ministeriums für Kultur und die Zoodirektoren der DDR. Der Leipziger Zoo hatte einen Vertreter geschickt – den wissenschaftlichen Assistenten Heinrich Dathe. Sein Sohn Falk Dathe, Kurator im Tierpark, erzählt: Einbl. 2 Falk Dathe: Mein Vater war ja nach Berlin zu dieser entscheidenden Sitzung geschickt worden, um den Magistrat die Gründung eines neuen Zoos auszureden. … Er war einer von denen, die meinten, Berlin braucht keinen zweiten Zoo. Da gibt es 3 einen. Der ist so, dass dort auch noch viel gebaut werden muss, der fertig gestellt werden muss. Ansonsten gab es eben in Leipzig, Halle und Dresden noch Zoos. Auch die waren weitgehend zerstört. Und Geld war knapp und Baukapazitäten auch, es mussten Wohnungen gebaut werden. Atmo Baumlöwe Sprecher: In Berlin existierte bereits ein renommierter Zoo – der älteste in Deutschland, eröffnet am 1. August 1844. Der Krieg hatte ihn weitgehend zerstört, von 3715 Tieren hatten nur 91 die schweren Luftangriffe überlebt. Vom berühmten Aquarium standen nur noch die Grundmauern. Die sprichwörtliche Tierliebe der Berliner bewährte sich: Viele teilten ihr weniges Essen mit den Tieren und halfen sofort nach Kriegsende beim Wiederaufbau. Direktorin Katharina Heinroth erinnert sich 1956 im RIAS: Einbl. 3a In den ersten Jahren hat man ja nicht viel gesehen, war ja alles unterirdisch. Die größte Sorge die wir hatten, das war, immer genügend Futter zu beschaffen. Hin und wieder hat uns die russische Administration mit einem Ukas geholfen, aber ganz schlimm war es während der Blockade Einbl. 3 Falk Dathe: Der Zoo im Westteil der Stadt war inzwischen durch die neue Währung, die D-Mark, ein bisschen problematisch. Es waren ja damals Wechselkurse von 1 zu 5 oder noch schlimmer. Und insofern war das vor allem eine politische Entscheidung, in Ostberlin einen anderen Zoo zu gestalten. Und soweit ich dann später gehört habe, auch als Folge des 17. Juni, wo man dann doch von der DDR-Staatsführung zu der Ansicht gekommen war: Wir können nicht nur die Normen hochschrauben, wir müssen den Leuten auch `ne Freizeitmöglichkeit zur Erholung bieten. Sprecherin: Um die allesamt konträr eingestellten Zoodirektoren der DDR umzustimmen, zeigte man ihnen die Plätze, die für einen neuen Tiergarten infrage kämen: die 4 Wuhlheide, den Treptower Park – zuallererst aber das Gelände um das Schloss derer von Treskow in Berlin-Friedrichsfelde. Der Landschaftspark hier wurde einst von Lenné gestaltet. Nun war er zwar teilweise verwüstet und verwildert, aber seine Schönheit mit großen Wiesenflächen, breiten Alleen und alten Bäumen war immer noch erkennbar. Einbl. 4 Falk Dathe: Mein Vater war begeistert von dem Friedrichsfelder Schlosspark, von dieser Baumpracht, dieser Weite und wurde da etwas wankend. Und als die Frage gestellt wurde in dieser Sitzung: Na, wer könnte denn die Leitung in dieser Sache übernehmen, da ging das alles auf ihn zu, weil es damals nur in Leipzig einen wissenschaftlichen Mitarbeiter, einen Assistenten gab, der vom Fach war. Und das war er. Atmo Dathe Kauz Sprecherin: Für den promovierten Zoologen und begeisterten Ornithologen Heinrich Dathe die Chance seines Lebens - aber auch eine gewaltige Herausforderung. Wusste er doch, welch großen Ruf der Berliner Zoo hatte – und wie sehr seine Direktorin in Fachkreisen geschätzt war. Als erste und einzige Frau in Deutschland leitete Katharina Heinroth einen Zoologischen Garten. Dathe bewunderte ihre Arbeit – und ihre Erfolge beim Wiederaufbau. Einbl. 5 Falk Dathe: Mein Vater ist auf alle Fälle davon ausgegangen, dass sich die beiden Zoos grundsätzlich unterscheiden müssen. Dass der Tierpark eben anders gestaltet werden muss, damit er hier in Berlin Bestand hat und nicht unbedingt eine direkte Konkurrenz zum Zoo darstellt.Und dass die Mauer gebaut wird, das konnte ja keiner so voraus sehen - ist er davon ausgegangen, dass er etwas anderes bieten muss, wenn er hier in Berlin einen Tiergarten aufbaut. Sprecherin: 5 Der neue Tiergarten, so wurde er anfangs genannt, würde eine dem Kulturamt unterstellte Einrichtung sein. Notwendige Gelder und unvermeidliche Subventionen, um ihn zu einem wirklich attraktiven Gegenpol des West-Zoos zu machen, kamen aus dem Staatsetat der DDR. Sprecher Der Berliner Zoo dagegen ist seit 1845 eine gemeinnützige Aktiengesellschaft. Mit 4000 Aktien und fast ebenso vielen Aktionären. Denen ging es nicht um hohe Rendite; eine Zoo-Aktie zu besitzen war etwas ganz Besonderes. Von Generation zu Generation wurde sie in den Familien weitergegeben und bekundete einerseits Teilhabe an der traditionsreichen Einrichtung. Andererseits aber bewies sie auch die Zugehörigkeit der Aktieninhaber zur feinen Berliner Gesellschaft. Der Zoo mit seiner exotischen prunkvollen Architektur, den Spielplätzen, der Flanierallee, den Cafés, Restaurants und gewaltigen Festsälen war bis zu seiner Zerstörung ein Treffpunkt für Familien, ein Ort für festliche Veranstaltungen und rauschende Bälle. Atmo Seelöwe unter 6 Einbl. 6 Falk Dathe: Mein Vater hatte da aber andere Ideen, er wollte Tiere in der Landschaft darstellen, vergleichend die Tiere präsentieren, durchaus aber auch zoogeografisch sie bieten. Er wollte nicht das klassische Affenhaus oder das klassische Vogelhaus oder das Aquarium – Aquarium sowieso nicht, weil er ja das Aquarium hier im Zoo kannte - und er wollte da auch keinen Gegenpool hinsetzen sondern er wollte in die Landschaft hinein die Tieranlagen komponieren. Sprecherin: Leidenschaftlich und mit ungezügelter Begeisterung warb Dathe überall in der DDR für seine Idee und für Unterstützung. Einbl. 6a: Wen halten Sie für den prominentesten Berliner dieser Woche? …Dr. Dathe vom Tierpark… 6 Sprecherin: Er erreichte es, dass sogar Kleingärtner nicht nur ihre Parzellen für das Parkgelände aufgaben, viele von ihnen griffen selbst zu Hacke und Spaten, um „ihren“ Tierpark mitzugestalten. Einbl. 7 Falk Dathe: Es ist dann ein Generalbebauungsplan erstellt worden. Das ist unwahrscheinlich, was da alles vorgesehen war. Das ging hin bis zu einem Delfinarium…. Ja, der Tierpark war einfach komplett für die ganze Fläche war er konzipiert worden und dann wurden eben die ersten Baumaßnahmen eingeleitet. Im Herbst 54 ist die Grundsteinlegung gewesen. Sprecherin: Die Westberliner Zoodirektorin Katharina Heinroth sollte von dem Vorhaben nicht erst aus der Zeitung erfahren; Heinrich Dathe fuhr selbst zu ihr und erklärte die Pläne. Und als der Ostberliner Magistrat sich weigerte, ihr und anderen Westkollegen eine Einladung zur Eröffnung zu schicken, stellte der neue Tierparkchef sich quer: Wenn Heinroth unerwünscht sei, müsse auch auf ihn verzichtet werden. Die Ostberliner Machthaber lenkten ein, die Neugründung feierten beide Berliner Zoodirektoren gemeinsam. Einbl.8 Falk Dathe: Zu den ersten Tieren gehörten auf alle Fälle Brillenkaimane. Aber es sollen wohl auch ein Meerschweinchen gewesen sein und dann ein Rhesusaffe. Dann später kamen schon Löwen und ich glaube auch Tiger. Die sind in alten Eisenbahnwagen, russischen Eisenbahnwagen, erstmal untergebracht worden bis dann 63 das Alfred-Brehm-Haus fertig wurde. Musik (Tierparklied, Blaskapelle) Sprecherin: Zu seiner Eröffnung am 2. Juli 1955 konnte der Friedrichsfelder Tierpark schon einiges präsentieren. Auf einer Fläche, die schon damals fast doppelt so groß war wie der Westberliner Zoo, staunten Besucher über 400 Tiere. 7 Sprecher Viele davon Geschenke: ein volkseigener Betrieb, der Kühlschränke produzierte, stiftete einen Eisbären, das Ministerium für Schwermaschinenbau schenkte einen Elefanten, eine Fabrik für Schlafzimmermöbel hatte Störche mitgebracht und das Städtchen Strausberg einen Straus. Die wertvollste Spende kam vom Münchener Zoo Hellabrunn: zwei Wisente und drei Wildpferde Sprecherin: Im Rahmen des „Nationalen Aufbauwerkes“ leisteten Ingenieure, Arbeiter, Handwerker, Hausfrauen, Studenten und Schüler allein bis Ende 1956 freiwillig und unentgeltlich über 270 000 Aufbaustunden. Dazu kamen Spendengelder, Mittel aus der extra ins Leben gerufenen Bären-Lotterie und unzählige Sachspenden. Die Besucherzahlen in Friedrichsfelde erreichten schnell die Millionengrenze. Einbl. 6b Heinrich Dathe: Schauen Sie, der Tierpark ist noch kein Jahr alt, und ich bin schon etwas gerührt, als prominentester Berliner der Woche genannt zu werden. Man hört es mir ja an, dass ich gar kein Berliner bin. Einbl. 9 Falk Dathe: Der Eintritt war immer eine Mark und Kinder 50 Pfennig. Das war eigentlich fast bis zur Wende so. Das war auch eine politische Entscheidung genau wie noch die Gaststättenpreise im Tierpark immer niedrig gehalten worden sind. Wobei mein Vater da auch immer hinterher war, dass die nicht zu sehr anstiegen. Es gab da oft Gedanken, diese Preise zu erhöhen in der Gaststätte, aber es sollte sich jeder leisten können dort auch zu essen. Eine Besonderheit gab´s in dem Terrassencafé – dort konnte man nämlich auch eine Bockwurst ohne Lebensmittelmarke bekommen. Und ich weiß von einem Onkel der in Westberlin lebte, dass er gerne in den Tierpark gefahren ist, weil er dort eben auch noch mal eine Bockwurst so kriegte. 8 Sprecherin: Nach und nach entwickelte sich, was Heinrich Dathe hatte verhindern wollen: der wachsende Tierpark mit seinen weiten Anlagen und seinen überaus günstigen Preisen wurden zu einem immer stärkeren Konkurrenten des Zoos. Sprecher Dennoch blieben die Westberliner Zoodirektorin und der Ostberliner Tierparkchef kollegiale Freunde. Einbl. 9a Heinrich Dathe: In der internationalen Tiergärtnerei ist immer ein guter Kontakt in allen Zeiten gepflegt worden und wird es noch. Sie wissen, dass der Tierpark bereits im internationalen Verband vertreten sind, und zwischen Frau Dr. Heinroth und mir bestehen schon seit langem gute Verbindungen. Sprecher: Sie trafen sich, tauschten ihre Erfahrungen aus und heimlich sogar Tiere. Und einer griff durchaus die Ideen des anderen auf: Die Sendung „Im Tierpark belauscht“ – jahrzehntelang beliebteste Sendung im DDR-Rundfunk – war ein Pendant zur Interviewreihe „Freundschaft mit Tieren“, die Heinroth im RIAS installiert hatte. Sprecherin Solch enge Verbindung zwischen Ost und West passte den politisch Verantwortlichen auf beiden Seiten nicht. Sie war wohl eine der Ursachen für die plötzliche Absetzung Katharina Heinroths Ende 1956. Ihr Nachfolger, Heinz-Georg Klös, hielt deutlich mehr Abstand zum Osten - und mit dem Mauerbau 1961 war es mit einer Zusammenarbeit ohnehin vorbei. Atmos Affen/Löwen/Baumlöwen Einbl. 10 Falk Dathe: Nachdem in den Anfangsjahren doch geplante Gelder zur Verfügung standen, sind ja 57/58 die Eisbärenanlage und die Brillenbärenanlage entstanden, 9 ist 63 dann das Alfred-Brehm-Haus entstanden, ein Haus das so ein bisschen die Ausnahme machte. Wo aber auch nicht nur Löwen und Tiger untergebracht werden sollten, sondern auch in der Tropenhalle viele, viele Vögel. In den Vitrinen ringsum waren noch Reptilien ausgestellt .Das war dann leider durch die finanziellen Probleme etwas ausgebremst worden. Es ging nicht so weiter, wie man es ihm versprochen hatte oder wie er es sich auch gewünscht hatte. Er musste dann kleinere Kartoffeln backen und das letzte größere geplante Gebäude war das Elefantenhaus, das Dickhäuterhaus, was im Herbst 89 eröffnet wurde. Und dann nach der Wende auch noch fertig gestellt wurde mit den Außenanlagen. Atmo Malaienbären Einbl. 11a Andrea Fleischer: Es war sowas von gerappelt voll, es kann sich heute niemand mehr vorstellen. Sprecherin Andrea Fleischer, Tierpflegerin und Revierleiterin im Tierpark 11b Andrea Fleischer weiter: Wenn wir jetzt manchmal sagen: Gott ist das voll, dann kommen manchmal die älteren Kollegen und sagen: Könnt ihr Euch erinnern? Wir hatten Zeiten, da konnte man nicht mit dem Fahrrad fahren, weil man einfach keinen Meter vorwärts gekommen ist in den Sommerferien. Es war Irrsinn!. Musik 1 Sprecherin: Den größten Ansturm in seiner Geschichte erlebte der Tierpark Friedrichsfelde 1989: 3,2 Millionen Besucher hatten sich durch die Eingänge geschoben, auf den Wegen und in den großen Tierhäusern gedrängt. Nach dem Fall der Mauer herrschte plötzlich gähnende Leere. Musik 1, heult weg Sprecher Nun stand man Schlange am Hardenbergplatz und vorm Elefantentor. 10 Für viele Ostberliner waren der Zoo und vor allem sein Aquarium einer der ersten Anlaufpunkte im unbekannten Teil der Stadt. Dass sie als Willkommensgruß dort – wie auch in vielen anderen öffentlichen Einrichtungen - erst einmal keinen Eintritt zahlen mussten, machte die Attraktivität noch größer. Reiner Kaiser, Kurator im Aquarium, erinnert sich: Atmo Aquarium Einbl. 12 Reiner Kaiser: Wir waren übermannt von der Vielzahl der Besucher die da kamen. Hatten immer 700 000 Besucher im Jahr, was für ein Aquarium enorm viel ist. Zur Wende hatte sich das auf 1,1 - 1,2 Millionen gesteigert. Danach eingependelt auf 800-900000 Besucher im Jahr. Zoo hatte vielfaches an Besuchern, das weiß ich. Atmo 2 in Atmo 1 Einbl. 13 Andrea Fleischer: Die Wende war `ne spannende, `ne beängstigende, `ne sehr seltsame Zeit. Wir haben, mit Sprecherrat gearbeitet, wir haben uns Wunder was vorgestellt, was hier für Demokratie herrschen könnte, um dann sehr unsanft auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt zu werden, mit betriebsbedingten Kündigungen, mit der Drohung der kompletten Abwicklung. Zudem sind massenhaft die Leute weggeblieben, einfach weil - man konnte Reisen überall hin, wer wollte denn da im Sommer noch hier in den Tierpark kommen? Also det war ne schwierige Sache. Heinrich Dathe: Na, Freund, wie geht’s Dir? Geht`s Dir gut? (Rabe) Sprecher: 7. Dezember 1990 Sehr geehrter Herr Professor Dathe! Angesichts der jetzt rasch zu vollziehenden Überführung des Tierparkes in eine neue Rechtsträgerschaft scheint es uns unumgänglich, mit der Bewältigung der damit verbundenen Probleme eine jüngere Persönlichkeit zu 11 betrauen, um Ihnen zusätzliche Belastungen zu ersparen. Sie werden daher ab Montag, 10. Dezember, Ihre Amtsgeschäfte übergeben … Heinrich Dathe: Das Glückliche ist, ja, dass die Krokodile diese Münzen nicht fressen… Leider müssen wir Sie auch anweisen, bis Ende des Monats Ihre Dienstwohnung zu räumen. Sprecherin: Das Schreiben des Lichtenberger Kulturamtes kam an einem Freitag – ab Montag war Dathe dann zwangspensioniert. Drei Wochen blieben ihm bis zum Räumen der Dienstwohnung. – Ein kleines Haus auf dem Gelände des Tierparks, das 1956 für den Direktor gebaut worden war. Fast 35 Jahre lang hatte Heinrich Dathe hier mit seiner Familie gelebt, gearbeitet, publiziert und Gäste aus aller Welt empfangen. Am 6. Januar 1991 starb er. Vier Wochen nach dem Erhalt des rüden Kündigungsschreibens. Sprecher: Im wiedervereinten Berlin stand nahezu alles zur Debatte. Braucht die Stadt wirklich so viele Theater? Kann sie sich drei Opernhäuser leisten? So viele Kliniken? Gleich drei Universitäten? Atmo Affen Sprecherin Benötigt Berlin wirklich zwei zoologische Gärten? Diese Frage beunruhigte die Mitarbeiter des Tierparkes. Etwa 300 waren es Ende 1989; der Reptilienexperte Falk Dathe und die Zootierpflegerin Andrea Fleischer gehörten dazu. Einbl. 14 Andrea Fleischer: Und dann hieß es, der Tierpark muss sparen, muss kleiner werden. Also Leute wurden in Vorruhestand geschickt letztendlich ist die 12 Belegschaft generell auf die Hälfte zusammengeschrumpft worden. Und gruselig ist immer wieder gewesen, dass eigentlich, immer, wenn die Nachfrage kam nach den Zuwendungen vom Senat, die der Tierpark ja nun mal braucht, kam immer sofort: Brauchen wir den Tierpark überhaupt oder können wir uns das Geld vielleicht sparen? Sprecherin: Im April 1991 wurde aus dem Berliner Tierpark die Berlin-Friedrichsfelde GmbH, eine landeseigene Einrichtung. Zweieinhalb Jahre später kaufte die Zoo-AG die Anteile des Tierparks vom Land Berlin. Sprecher Seitdem ist der Tierpark eine Tochterfirma des Zoos. Atmo Affen Einbl 15 Andrea Fleischer: Menschenaffen sind weg, komplett weg. Natürlich weil die Haltung, die wir hatten, nicht mehr zeitgemäß war. Und jeder wusste, dass die Million die ein Umbau erfordert hätte, nie gekommen wäre. Sprecher: Ein Beschluss des Aufsichtsrats vom September 1993: Im Zuge der Fusion und des Sparzwangs sind die 17 Aquarien und die Schlangenfarm des Tierparks zum Jahresende zu schließen. Fische und Reptilien werden in den Westen umgesetzt. Sprecherin: Damit wäre eine Attraktion des Tierparks endgültig verschwunden: die größte Giftschlangensammlung Europas. Es erhob sich ein Sturm der Entrüstung. Sogar ein eigenes Spendenkonto war blitzschnell eingerichtet: „Rettet die Schlangen“ Einbl. 16 13 Andrea Fleischer: (weiter) Und da hat sich dann die Belegschaft unabhängig von der Leitung stark gemacht. Wir sind wirklich rumgerannt durch ganz Berlin und haben Unterschriften gesammelt. Haben uns hier ans Tor gestellt, stundenlang. Und wir haben`s geschafft. Atmo Vögel Sprecherin: 1991 wurde der Biologe Bernhard Blaszkiewitz Direktor der Tierpark-GmbH. Bis zu seiner Ernennung war er wissenschaftlicher Assistent im Berliner Zoo. Einbl. 17 Falk Dathe: Er kannte den Tierpark schon aus früheren Jahren er hat sich in den Tierbestand sehr schnell hineingefunden und hat dann die Dinge in Angriff genommen, die unbedingt verändert werden mussten. Wir hatten ja sehr viele Holzgehege und sein Ziel war, innerhalb von 10 Jahren die gröbsten Provisorien im Tierpark zu beseitigen. Und das ist ihm auch gelungen. Ob das, was dann entstanden ist, so attraktiv ist, da kann man sich streiten. Auf jeden Fall war es an vielen Stellen eine deutliche Verbesserung in der Tierhaltung für viele Tierarten. Und das was ich ihm auch hoch anrechne: Er hat viel von den Ideen meines Vaters weiter existieren lassen. Einbl. 18 Andrea Fleischer: Dass man uns da ´ne komplette Westleitung vor die Nase gesetzt hat, haben wir zur Kenntnis genommen. Die Art, wie die sich eingeführt hat, war – sagen wir mal grenzwertig. Weil oft und lange der Chef mit dem Prokuristen und nem Bauleiter durch den Park sind, ohne sich vorzustellen und wahrscheinlich rundum abgecheckt haben. Was behalten wir? Was geben wir weg? Was können wir ändern? – Davon haben wir aber nichts erfahren. Und das hat nochmal zu Unsicherheiten geführt: Was machen die jetzt hier? Verkleinern die den Tierpark oder so? Kuratoren wie Tierpfleger wurden nach und nach sämtlicher Verantwortung beraubt und die Stimmung wurde immer schlechter. Atmo Malaienbären 14 Einbl. 19 Andrea Fleischer: Man musste wirklich bei allem den Direktor fragen. Bei wirklich allem! Wo wir uns immer gefragt haben: Warum muss der sich darum kümmern, dafür hat der doch seine Leute eigentlich? Das war schlimm! Natürlich geht man dem Besucher nicht mehr ganz so freundlich entgegen. Und mein Standardspruch war dann immer, wenn ich gefragt wurde: Tut mir leid, kann ich ihnen nicht sagen, ich bin ja nur der Tierpfleger. Atmo Malaienbären frei und weg Sprecher: Im wiedervereinigten Berlin häuften sich die Schulden. Kurz nach der Jahrtausendwende waren es über 40 Milliarden Euro. Um diesen Berg abzutragen, wurde 2002 der SPD-Mann Thilo Sarrazin Finanzsenator . 220 Millionen sollten erst einmal sofort eingespart werden. Sprecherin: In dieser Zeit wurde Thomas Ziolko Mitglied im Förderverein des Tierparks – wie viele andere auch. Einbl. 20 Thomas Ziolko: Also es war 2003, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, hat Sarrazin die Schließung vom Tierpark gefordert und das hat dazu geführt, dass viele Leute aus der Politik eingetreten sind in den Förderverein. Um auch deutlich zu machen, dass der Tierpark nicht nur ne Existenzberechtigung hat, sondern die Unterstützung der gesamten Stadt verdient. Seitdem Sarrazin Finanzsenator war, sind die Zuwendungen vom Tierpark jährlich zurückgegangen. Das hat dazu geführt, dass in wenigen Jahren die Zuwendungen halbiert wurden. Atmo Knut-Anhänger Sprecher: 15 Am 5. Dezember 2006 konnte der Zoo ein außerordentliches Ereignis bekannt geben: Die erste Eisbärengeburt in Berlin seit über 30 Jahren. Die Mutter aber nahm ihren Nachwuchs nicht an, eines der Jungen starb innerhalb von wenigen Tagen. Daraufhin kam das zweite in einen Brutkasten und sein Pfleger Thomas Dörflein blieb Tag und Nacht bei ihm. Als der kleine Knut nach einem Vierteljahr der Öffentlichkeit präsentiert wurde, warteten Tausende, um ihn zu sehen. Atmo Knut Anhänger Sprecher: Innerhalb weniger Wochen avancierten der kleine Eisbär und sein Ziehvater zu Medienstars. Sie bescherten dem Zoo einen gewaltigen Erfolg: Die Besucherzahlen explodierten, der Kurs der Zoo-Aktie, der immer vor sich hin gedümpelt hatte, stieg innerhalb eines Monats auf das Doppelte, Produkte mit dem kleinen Eisbären steigerten den Gewinn des Zoos in ungeahnte Höhen. Sprecherin Aber auch kritische Stimmen waren zu hören. Sind Handaufzucht und die Vorführung des Jungtieres artgerecht? Ist ein Zoo in Mitteleuropa überhaupt der richtige Aufenthaltsort für einen Eisbären? Einbl. 21a Claudia Hämmerling: Der Ausgangspunkt war der, dass sich inzwischen Tierschützer mit dem Thema Tierhaltung im Zirkus aber auch in Zoos kritisch auseinander gesetzt hatten und sagten: Ihr müsst mal gucken viele Tiere leben dort alles andere als artgerecht, sie haben Verhaltensauffälligkeiten entwickelt. Sprecherin: Claudia Hämmerling, tierschutzpolitisch Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus 21b Claudia Hämmerling weiter: Und wenn sie in den Tierpark gehen - diese Stereotypien, die diese Tiere aufweisen, die werden sie wahrscheinlich ihr Leben 16 lang nicht mehr ablegen. Die laufen dann zwei Schritte vor, zwei Schritte zur Seite, zwei Schritte zurück. Sie wackeln mit dem Kopf nach rechts, nach links - das sogenannte Weben ist das. Das sind Verhaltungsauffälligkeiten, die entstehen dann und selbst wenn die Fläche groß ist, das hilft dem Tier nicht. Es braucht Futter fürs Gehirn. Sprecher: Während der Zoo trotz aller Kritik immer weiter in der Besuchergunst stieg, ebbten die Diskussionen um die Notwendigkeit zweier solcher Einrichtungen nie völlig ab. Sprecherin Im Jahre 2013 forderte der FDP-Bundestagsabgeordnete Lars Lindemann: „Es kann nicht sein, dass die öffentliche Hand den Tierpark auf Dauer bezuschusst. Wenn er nicht in die Gewinnzone kommt, dann muss er schließen oder verkauft werden. Wir haben einen Zoo in der Stadt und müssen da draußen nicht noch einen Tierpark subventionieren.“ Einbl. 22 Claudia Hämmerling: Es war ein dämlicher Vorschlag. Und der ist dann erstmal diskutiert worden und ernsthaft in Erwägung gezogen worden. Aber ich glaube, alle die da mitdiskutiert haben, haben sich nie inhaltlich damit befasst, was denn ein Zoo bedeutet. Und ob da Leute arbeiten, dass da Tiere untergebracht sind, die man nicht auswildern kann. Sie können keine Großkatze auswildern, sie können keine Affen auswildern, es sind keine wilden Tiere mehr. Die sind an den Menschen gewöhnt und die kann man nicht einfach laufen lassen. Von daher hätte man zu der Zeit längst die Frage stellen müssen: Was muss man tun, damit ein Tierpark attraktiv wird? Ich nehm mal `n Beispiel aus Heidelberg, da ist ne tolle Elefantenhaltung, da sind die Pfleger damit beschäftigt, für die Elefanten Verstecke aufzubauen. Pfähle werden aneinandergebunden, dass der Elefant das bewegen kann. Also er kann was tun. Er kann auch `n großen Erdhaufen platt trampeln. Die Jungbullen, die dort gehalten werden, die rutschen da aufm Hintern runter; also es macht auch Spaß da zuzusehen. Blaszkiewitz hat gesagt: So muss 17 es sein! Und er hat zweifellos Ahnung von Tieren gehabt. Aber mit der Art, wie er seine Aufgabe verstanden hat, hätte er ins Naturkundemuseum besser gepasst zum Archivieren irgendwelcher Präparate. Als Zoochef war er `ne absolute Fehlbesetzung. Sprecherin Ab 2007 war Bernhard Blaszkiewitz nicht mehr nur Direktor im Tierpark, er leitete nun auch den Zoo. Dabei häuften sich längst Beschwerden über seinen Umgang mit Tieren - aber auch mit den Mitarbeitern. Schließlich konnte der Aufsichtsrat sie nicht mehr übergehen; der Vertrag des Direktors wurde nicht weiter verlängert. Atmo Rundfahrt mit Andreas Knieriem: So, wir starten jetzt hier mal am Schloss, … hier werden wir gar nicht so viel verändern. Hinter dem Park eine große Voliere, eine riesige Voliere, wenn möglich die größte in Europa. Mehrere Hektar, damit die Vögel dort fliegen können. Wenn es um Platz geht, ist das für viele Zoos ein Problem. Heute für den Tierpark kein Problem. Wir haben Platz, auch wenn wir marode sind, wir haben Platz und können Platz für die Zukunft als Motto nehmen. (Motorgeräusche) Einbl. 23a Andreas Knieriem: Im April letzten Jahres kam ich in ein Büro, in dem ich mich überhaupt nicht wohl gefühlt habe. Wir mussten das erstmal in Schuss bringen. Sprecher: Seit 2014 ist Andreas Knieriem neuer Direktor. Der Tierarzt leitete bereits den Tierpark in München-Hellabrunn und hatte vorher schon maßgeblich an der Umgestaltung des Erlebnis-Zoos in Hannover mitgearbeitet. 23b Andreas Knieriem weiter: So. Ich habe im Gegensatz zu meinen Vorgängern keine Schlüsselübergabe bekommen, habe leere Schränke vorgefunden und desaströse Informationslenkung und Struktur und habe die Verwaltung wirklich erst mal auf links drehen müssen. 18 Auf der anderen Seite sage ich Ihnen: Ich war auch ganz beseelt, weil es einfach tolle Einrichtungen sind. Der Zoo Berlin mit seiner Geschichte, mit diesen vielen schönen Stilgebäuden der ja auch ein wunderschöner toller Zoo ist, auch wenn er in manchen Punkten ein wenig aus der Zeit geraten ist… Dann habe ich gemerkt wir haben auch viele gute Mitarbeiter, das ist ja das wichtigste Potential. Und auch was den Tierpark angeht: Natürlich kann man sagen Oh Gott, oh Gott. Der sah ein bisschen rostig aus. Aber wenn Sie bei dem Wetter hier sind wie heute, dann merken Sie, welches Potential da drin liegt. Einbl. 25 Thomas Ziolko Also es ist ja so, dass der Tierpark mit 160 Hektar nicht nur der größte in Europa ist, sondern er ist im Vergleich zum Berliner Zoo fünfmal so groß. Und sie haben hier `ne Wegestruktur von 25 Kilometern. Das ist, wenn sie einen normalen Zoo in Deutschland sehen, mehr als viermal so viel wie der Zoo München oder Hannover. Und zu DDR-Zeiten gab es einen Großteil des Geländes, ungefähr 35 Hektar, was noch nicht komplett bebaut war. Es gab Sandwege, Wüste fast, kann man sagen, mit Holzgattern, wo Tiere untergebracht wurden. Das ist der Bereich hinter dem Elefantenhaus gewesen. Und ich kann mich als Kind auch sehr gut dran erinnern, man war danach immer eingestaubt in diesem Bereich. Einbl. 26 Andreas Knieriem : Wenn man dann sieht, wie dieser Tierpark sich in der DDR entwickelt hat. Er war ein relativ moderner Tierpark auch in der DDR. Allerdings hatte man ein Stück weit auch Mangelwirtschaft, das hat man aber im Tierpark – glaub ich – nicht immer wirklich gesehen. Erst in der Endphase. Das war weiß Gott kein altertümlicher Zoo, den der Herr Dathe hier zeigte. Atmo Heinrich Dathe mit Boa Einbl. 27a Andreas Knieriem: Und dann kommt der ganz wichtige Aspekt: wie baut man heute Gehege, damit das Tier sich wohl fühlt, in dem es Komfortbereiche hat aber auch Bereiche, um sich manchem zu entziehen …. 19 Sprecherin: Im Mai 2014 wird das im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums überarbeitete Säugetiergutachten veröffentlicht. Es stellt Mindestanforderungen an Gehege, Haltung, Fütterung, aber auch Tiermanagement. 27b Andreas Knieriem weiter: Und, was aber auch sehr wichtig ist, dass der Besucher das Gefühl hat, jawohl das ist ein Lebensraum, das ist stimmig und authentisch und hier fühlt sich das Tier auch wohl. Und da hat man im Unterbewusstsein ein ganz klares Bild im Auge. Das ist nicht immer wissenschaftlich begründet, das muss auch nicht immer richtig sein. Aber wir wissen sehr genau, der Besucher denkt so. Er will Löwen nun mal nicht in einer gekachelten Bude sehen, die aussieht wie `ne große Toilette, sondern in einem Areal, was dem Löwen würdig erscheint. Sprecherin: Mindestanforderungen für Löwen: Außengehege mindestens 200 m2 für 1 Tier oder 1 Paar; Innengehege: mindestens 20 m2 und 2,5 m Höhe Atmo Im Raubtierhaus im Zoo: (Löwe brüllt) Jetzt hören wir gerade einen Löwenkater. Der ist schon ein bisschen betagt sonst wär der noch ein bisschen lauter. Er ist mittlerweile sogar 16 Jahre alt, ein stolzes Alter für einen Löwen (Löwe brüllt) Sprecher: Bis zum Jahr 2012 wurde auch der Berliner Zoo jährlich mit zwei Millionen Euro subventioniert. Dann strich der Senat die Zuschüsse - sie waren auch dank der gestiegenen Besucherzahlen nicht mehr nötig. Sprecherin: Der Tierpark aber brauchte jährlich 6,4 Millionen Euro allein als öffentlichen Zuschuss zu den Betriebskosten. 20 Einbl. 28 Andreas Knieriem: Wir müssen aber festhalten für den Tierpark Berlin, dass er aber auch ein Mega-Zoo ist. Hinsichtlich der Arten, der Anzahl der Tiere, der Mitarbeiter. Über 200 Mitarbeiter allein im Tierpark, aber auch hinsichtlich der Kosten. Sie müssen erst mal 160 Hektar bewirtschaften! Sie brauchen erhebliche Energiekosten. Wir haben Wasserkosten, wir haben vor allem Futterkosten. Und das heißt, wir brauchen auch die Einnahmen eines großen Zoos - und da hapert es eben. Atmo Löwen Einbl. 29 Andreas Knieriem: Die letzten Jahre waren desaströs geradezu. Jedes Jahr Verluste und das Eigenkapital schmilzt weg. Und wenn das so weiter geht, sind Sie irgendwann pleite. Atmoblende Rainer Kaiser (Aquarium): Ja wir stehen hier gerade vor unserem QuallenZylinderbecken. Das ist ein großer 1,20 Meter tiefer Zylinder, ungefähr 2 Meter hoch. Die Mitarbeiter des Aquariums haben sich das ausgedacht. Wir wollten ein Becken haben, ein schönes Becken wo man keine Technik sieht. Einbl. 31 Andrea Fleischer: Als der Chef, der neue Chef angefangen hat, hat er drum gebeten, jedes Revier möchte ne Wunschliste aufschreiben. Also was wollen wir schon immer im Revier geändert haben. Das erste was jeder geschrieben hat: Wir möchten Beschäftigung für unsere Tiere! Seile, Säcke, Bälle und und und. Sprecherin: Zoo und Tierpark haben zwar einen gemeinsamen Chef, eine gemeinsame Verwaltung, sie kaufen gemeinsam ein – aber es sind völlig unterschiedliche Organisationsformen. 21 Sprecher Auf der einen Seite die Aktiengesellschaft, von deren 4000 Aktien nur eine einzige dem Land Berlin gehört, Sprecherin: auf der anderen Seite deren Tochter, die Tierpark GmbH. Materiell herrscht zwischen der reichen Mutter im Westen und der armen Ost-Tochter strikte Gütertrennung. Und während sich die eine frei und selbstbewusst entwickeln kann, hängt die andere auf Gedeih und Verderb am Senatstropf. Atmo Vögel Einbl. 32 Andreas Knieriem: Die alten Zoos sind alle systematisch organisierte Zoos. Vogel Vogel - Vogel - Vogel – Vogelhaus. Affe - Affe - Affe - Affe – Affenhaus. AntilopeAntilope-Antilope- Antilopenhaus. Und so war das hier im Zoo Berlin. Er ist das Paradebeispiel eines systematisch organisierten Zoos. Sprecherin: Es sind gleich viel Berliner, die in den Zoo bzw. in den Tierpark gehen. Je etwa eine Million. Sprecher Nur dass am Hardenbergplatz – unweit von Gedächtniskirche und Ku`damm nochmal die doppelte Menge an Touristen dazu kommt. Die auswärtigen Gäste fehlen in Friedrichsfelde nahezu völlig. Auf Atmo Vögel Einbl. 33 22 Andreas Knieriem: Wenn jetzt aber der Zoo Berlin der systematische ist, stellt sich doch die Frage: Soll der Tierpark das gleiche machen, nur auf `ner größeren Fläche? Oder brauchen wir eine ganz klare Profiltrennung zwischen beiden? Sprecherin: 15 Kilometer liegen zwischen Zoo und Tierpark. Der eine mittendrin, der andere am Rand. Wer von einem zum anderen gelangen will, muss erst mit der S-Bahn zum Alexanderplatz fahren und dann in die U-Bahnlinie 5 umsteigen. Einbl. 34 Andreas Knieriem: Wenn er geografisch organisiert ist, wir also eine Überschrift finden wie „Eine Reise durch die Kontinente der Welt“ lassen sich ganz andere Dinge adaptieren. Das ist das Naturnahe, das ist die Lebensraumgestaltung, das ist die Weite, die Möglichkeiten, dass man sich eher mal vorstellen kann ja das ist Afrika und das ist Asien und das ist Europa! Mit diesem Schloss hier zusammen und dem Wald dort drüben, dem Lennèschen Wald ist das sowas Europa wie es Europa gar nicht mehr gibt. Atmo Rundfahrt Andreas Knieriem : Und von hier aus wird es dann auch die Reise in die sogenannte Himalaja geben. Für all das müssen sie weit laufen, wir fahren die ganze Zeit mit diesem kleinen Auto und es ist gerade mal ein Zehntel der Wegfläche die wir gefahren sind. Hier ist die Affenanlage und jetzt fahren wir mal den Berg hoch, da braucht der Wagen schon ein bisschen mehr. Ich hoffe mal dass wir nicht noch schieben müssen. Sprecherin: Eine Reise durch die Welt verspricht Andreas Knieriem. Eisbären und Robben in der Tundra, Mittagessen in der Afrika-Lounge, inmitten einer Savanne mit Büffeln, Zebras und Gazellen. Und schließlich mit der Seilbahn im Himalaja zu Schneeleoparden, Pandas und Takinen. Dazu ein Dschungelbiotop voller Krokodile, Leoparden, Malaienbären und mit einer Voliere, in der man den Flug von Flamingos und Kakadus beobachte kann. 23 Sprecher Billig wird das nicht. Einbl. 35 Andreas Knieriem Wir haben jetzt erst mal eine Summe von 92 Millionen Euro vorgesehen. Wir müssen sowieso sanieren, das wird eh eine Summe Geld kosten. Und dabei wollen wir ihn gleich attraktiv gestalten. Wichtiger für mich ist eine andere Summe. In den letzten 22-23 Jahren sind hier ja schon 200 Millionen rein geflossen, allerdings vordergründig als Betriebskostenzuschuss. Das ist wie in der Wüste. Wollen sie da immer Wasser in den Sand kippen oder wollen sie ihn endlich vorbereiten, dass eine Oase draus wird? Und ich bin für letzteres. Im Zoo Berlin wurde in den letzten Jahrzehnten deutlich mehr ausgegeben. Allein das Flusspferdhaus hat damals deutlich mehr als 35 Millionen DM gekostet. In Leipzig wurden weit über 100 Millionen bisher ausgegeben aber das Ergebnis sehen sie auch. Hier wollen wir in die Fläche gehen in die Landschaftsarchitektur wollen wir hier gehen. Sprecherin: Die Vision von Andreas Knieriem - sie hat ihre Bewunderer – aber durchaus auch ihre Kritiker. Die kommen vor allem aus dem östlichen Teil der Stadt und es sind nicht selten jene, die den Tierpark einst mit aufgebaut haben und sein Werden und Wachsen über Jahrzehnte begleiteten. Für sie ist der Ostberliner Tierpark ein Stück Heimat und Identität geblieben. Sie melden sich bei den Berliner Zeitungen mit Leserbriefen und in Internetkommentaren. Sprecher: Gerd K., Berlin-Hohenschönhausen: Nach "Klima-Zonen" - was soll das sein? Welch krampfhafte Charaktersuche! Es soll ein Landschaftspark mit Tieren sein und bleiben ohne Klimbim! Sprecherin Monika St.: Das Konzept für den Tierpark hört sich erst einmal gut an. Aber ich habe Bedenken, dass sich dann auch die Eintrittspreise erhöhen. 24 Sprecher Über die langen Laufstrecken für die Rentner sollte sich Herr Knieriem nicht zu viele Gedanken machen, die sind zum großen Teil fitter als er annimmt. Atmo Rundfahrt mit Andreas Knieriem: So wir fahren jetzt gerade quer durch Afrika. Ein stückweit hat man hier das ja schon als Gefühl, die Zebras sind schon hier, und alles hier hinten wird Savannenanlage werden. Das heißt, wir werden die Anlagen aufmachen, wir werden viele Tierarten nebeneinander zeigen und somit eine Riesenlandschaft zeigen können wo man dann Elefanten und Zebras und Antilopen, Strauße nebeneinander sieht. Das alles gehört zusammen. Platz wie gesagt haben wir hier. Sprecher: Völlig neu sind solche Vorstellungen nicht, auch nicht für Berlin. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts gab es hier die Idee eines Volks-Tierparks mit mehr Auslauf und Grün als Pendant zum ummauerten Zoo. Einbl.11b Andreas Knieriem: Und was sich hier anschließen wird, ist eine Art Märchenwald, wo man die Wölfe wiederfindet beispielsweise aber auch viele andere europäische Tierarten, weil wir einen ganz natürlichen Buchenwald hier haben, so wie man sich einen europäischen Wald eben auch vorstellt. Übrigens ist Europa so groß wie ein klassischer mitteldeutscher Zoo. Sprecherin: Und war dies nicht auch Dathes Idee – Tiere in ihrer natürlichen Umgebung, in ihren Lebensräumen zu zeigen? Einbl. 37 Andrea Fleischer: Dieser neue Masterplan, da bleibt im Tierpark kein Stein auf dem anderen. Da gibt’s dann die Traditionalisten, die sagen: Huch und der schöne Park 25 und vielleicht wird das so – wird `n Rummel und wird so wie in allen andern Zoos und die Zoos sehn alle gleich aus. Mhm. Ich würde mir wünschen dass dieses Ding 1 zu 1 umgesetzt wird! (lacht). Ich find den sehr ambitioniert supertoll u.a. deshalb, weil ein Großteil der Tiere dableibt wenn´s denn so kommt. Sprecherin: Wird es so kommen? Wird der Senat die 92 Millionen Euro bewilligen? Sprecher Der Umbau im großen Stil hat bereits begonnen. Allerdings nicht am Bärenschaufenster des Tierparks, sondern am Elefantentor des Zoos. Hier sollen die Dickhäuter in einer ganz neuen Anlage schwimmen können, Panzernashörner hinter Glas an Zuschauern vorbei tauchen, ein Vogelhaus sich in einen Abenteuer-Dschungel verwandeln. 60 Millionen wird der Spaß kosten. Geld, um das nicht gebettelt und auf das nicht gewartet werden muss. Es kommt aus eigenen Mitteln. Einbl. 38 Andreas Knieriem: Der Zoo wird mit Siebenmeilenstiefeln weiter schreiten. Wir sind jetzt dabei, den kompletten Eingang am Hardenbergplatz zu sanieren. Wir sind jetzt dabei, das Raubtierhaus zu sanieren. Wir sind dabei, das Vogelhaus zu verbessern den, Adlerfelsen zu sanieren. Also wenn der Tierpark da nicht weiter zurückfallen will gegenüber dem Zoo, müssen wir hier investieren. Das tun wir gerade und vielleicht nicht mit den großen Siebenmeilenstiefeln, aber wir haben bestimmte Summen bekommen und die geben wir auch aus. Sprecherin: Fünf Millionen Euro wurden dem Tierpark bisher zugebilligt. Finanziert wurde damit: ein faltbarer Wegeplan, den nun jeder Besucher beim Einlass erhält. Und eine neue bunt bemalte Elektrobahn. Sie soll den Fahrgästen eine Vorstellung von der Weitläufigkeit der Fläche vermitteln. Der Rest des Geldes aber wird ins Alfred-Brehm-Haus und in den Eingangsbereich fließen, in wichtige „Reparaturarbeiten“ und Erneuerungen. 26 Sprecher Eine vollständige Umgestaltung sieht anders aus. Und so bleibt die Frage bestehen: Kann sich Berlin auf Dauer zwei Zoos leisten? Sprecherin Werden beide ihre Chance bekommen? Atmo 12 Andreas Knieriem, Rundfahrt: Wer heute das Wetter hier sieht, den blauen Himmel, den Baumbestand, den Geruch der Elefanten, den wir hier gerade riechen – also Afrika, wenn wir nicht Afrika in Berlin haben, wo passt es sonst hin? Also ich persönlich rieche hier schon Afrika! Absage Die geteilte Arche Berlin und seine Zoos Sie hörten eine Sendung von Rosemarie Mieder und Gislinde Schwarz Es sprachen: Isis Krüger und Volker Risch Ton und Technik: Gunther Rose und Katrin Fidorra Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2016
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