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11.03.2016 | 08:30 | Markus Kitz-Augenhammer (Wirtschaftsblatt)
In Wien fehlen Wohnund Ausbildungsräume für Flüchtlinge. Die Lösung wäre einfach: Die Stadt Wien müsste nur leerstehende Büroimmobilien
für Wohnzwecke umwidmen.
Im vergangenen Jahr wurden 90.000 Asylanträge in Österreich gestellt. Geht man von einer 50-prozentigen Anerkennungsquote aus, dann müssen in
Österreich Wohn-und Ausbildungsräume für rund 4000 Personen pro Monat geschaffen werden. Die Stadt Wien, die ihre Quote übererfüllt, müsste damit
jährlich Plätze für rund 10.000 Menschen mehr schaffen. Also damit deutlich mehr als die prognostizierten 60.000 Wohnungen.
Auch interessant: Flüchtlinge – EU-Staaten wollen Alternativrouten schließen
Leider ist bekannt, dass in Wien schon jetzt viel zu wenige Wohnungen vorhanden sind, um den Zuzug managen zu können. Hinzu kommt, dass die
meisten Flüchtlinge, die in Österreich Asyl bekommen, kaum Deutsch sprechen und keine adäquate Ausbildung haben, um auf dem angespannten
heimischen Arbeitsmarkt rasch Fuß fassen zu können. Freilich: Es kommen jene Menschen zu uns, die Mut bewiesen haben und den Willen haben,
woanders völlig neu anzufangen. Das können, ja sollen wir nützen.
Nimmt Österreich weiterhin Flüchtlinge auf, dann kommen zumindest zwei große Probleme auf uns zu: die Schaffung von Wohn-und Ausbildungsräumen.
Denn bevor wir die Flüchtlinge in ein alimentierendes System inklusive Mindestsicherung und Sozialwohnung integrieren und damit weitere soziale
Brennfeuer entfachen, wäre es wünschenswert, wenn wir die bereits zum Teil vorhandene Infrastruktur von sozialen Organisationen und leeren Immobilien
vereinen, um diese Menschen sinnvoll unterzubringen und auch auszubilden.
Ja, es gibt in Wien leere Immobilien, nicht Wohnhäuser, sondern große, etwas in die Jahre gekommene Bürohäuser und Gewerbehallen. Diese liegen in
mehr oder weniger gut angebundenen Gewerbegebieten, normalerweise in gutem Abstand von Wohngebieten. Guter Abstand heißt: weit genug entfernt von
Anrainern, die sich beschweren könnten, aber nah genug, dass die Flüchtlinge Anschluss an Verkehrs-und Einkaufsinfrastruktur haben.
Gewerbeimmobilien eignen sich für die Kombination von Wohn-und Ausbildungsstätten. Denn ein Bürohaus bietet viel Platz zum Wohnen. Natürlich
müsste die Infrastruktur im Haus angepasst werden und Bäder und Toiletten müssten eingebaut werden. Für die Einrichtung von Unterrichtsräumen
brauchte hingegen gar nichts mehr zu adaptieren-dafür sind Büros ideal. Deutsch-und IT-Kurse, Lehren für Buchhalter, Ingenieure etc. könnten sofort
starten. Eine Halle in der Nähe würde als Ausbildungsstätte eingerichtet. Hier könnten Tischler, Schlosser, Kranken-und Altenpfleger etc. ihr Handwerk
unterrichten.
Diese Welcome-Citys müssten aber nicht auf Flüchtlinge beschränkt bleiben. Das Campus-System wurde von Universitäten und Schulen weltweit kopiert.
Doch warum sollte man diesen Lern-und Lebensentwurf nur den besonders gut Ausgebildeten überlassen? Wäre nicht ein Welcome-City-Campus
vorstellbar, an dem sich Flüchtlinge selbst organisieren? Viele der Neuankömmlinge haben einen Beruf gelernt, beispielsweise Friseur, Koch oder
Reinigungskraft-alles Dinge, die an einem Campus gebraucht werden. Und könnte man diesen Campus nicht auch für jene Österreicher öffnen, die schlecht
ausgebildet sind und nicht im Alltagsgrau der AMS-Kurse verschwinden wollen, wo sie die Arbeitslosenstatistik schönen, aber nichts Sinnvolles lernen?
Das Einzige, was die Stadt Wien für die Verwirklichung eines solchen Projekts tun müsste, wäre die Nutzung von geeigneten Büroobjekten für Wohnzwecke
umzuwidmen. Das ist alles. Was macht Wien nun? Es wird das Gesetz einfach so geändert, dass jede private Initiative torpediert wird und die Stadt sich
und den stadtnahen Betrieben die Chance gibt, ähnliche Desaster wie Skylink, Stadthallenbad oder absehbar SMZ Nord zu wiederholen. Der Staat (die
Stadt) erlaubt sich gerade, sich nicht ans Gesetz halten zu müssen. Für Private gelten alle gesetzlichen Einschränkungen weiterhin, nur die Stadt Wien darf
sich über die Bauordnung hinwegsetzen. Wenn die Bauordnung zu unflexibel und verhindernd ist, sollte sie doch für alle geändert werden, nicht nur für die
Stadt selbst und die ihr nahestehenden Genossenschaften.
Wir alle wünschen uns eine baldige Besserung der Zustände in Syrien und Afghanistan. Auf dass nicht noch einmal Zigtausend Menschen ihre Heimat
verlassen müssen. Was aber passiert mit den Welcome Citys, wenn eines Tages tatsächlich keine neuen Flüchtlinge mehr kommen oder wenn diese ihren
Zweck erreicht haben, sprich: die Bewohner einen gut bezahlten Job, Sprachkenntnisse und genug Einkommen für eine eigene Wohnung haben? Was
passiert dann mit den aufwendig umgebauten Welcome Citys? Leerstand? Dieses Risiko muss nicht verstaatlicht werden.
Es müssen keine Steuergelder in die Adaptierung von Bürogebäuden fließen, denn der Einbau von Bädern und Toiletten kostet pro Wohnung so viel wie ein
Mittelklassewagen. Diese Investitionen könnten problemlos von Privaten getragen werden. Die Immobilienwirtschaft stünde bereit.
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