„ Es ist eigentlich schade, dass man das überhaupt thematisieren

„Es ist eigentlich schade, dass man das überhaupt
thematisieren muss. Menschen mit Behinderung gehören
genauso zum Leben wie jeder andere.“
Guido Fussel, Personalleiter bei Früh (r.), mit Konstantin Pieper
POLITIK UND STANDORT
TITEL
» Die Frage war nur: Wie geht das? Welche technischen Einrichtungen braucht ein blinder Mensch?
Wie gehen die anderen Mitarbeiter damit um? „Vor
allem wollten wir nicht, dass Herrn Hoß noch einmal so etwas wie an der Uni passiert“, berichtet
Personalleiter Frank Beckhäuser: „Nicht, dass ihm
die IHK dann nachher die Prüfung auch nicht abnehmen kann!“ Diese Sorge konnten ihm die Ausbildungsexperten in der IHK Köln schnell nehmen.
Mit dem eigenen Laptop und einem Begleiter, der
bei Bedarf eine Grafik erklären kann, kein Prob-
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IHKplus Juni 2015
lem. Natürlich musste das Unternehmen, das keine
Erfahrungen mit blinden Mitarbeitern hatte, sich
auch erst mal auf die Situation einstellen, und ließ
sich vom Integrationsfachdienst und der Agentur
für Arbeit beraten. Nach kurzer Zeit aber war es
für alle Beteiligten einfach normal. Nicht nur dieses Beispiel zeigt: Inklusion am Arbeitsplatz kann
funktionieren. Mehr als das: Sie ist oft ein echter
Gewinn für Unternehmen.
Jedes Beispiel ist natürlich so individuell wie die
Menschen, wie ihre Behinderungen. Ganz anders
Als Fachpraktiker arbeiten Menschen mit Lernschwäche in
der Brauhaus-Küche von Früh. Konstantin Pieper (unten
mit Personalleiter Guido Fussel) hat das Asperger-Syndrom
und ist in der Personalabteilung der Brauerei eingesetzt.
RAT UND HILFE ZUR INKLUSION
Das Integrationsamt beim Landschaftsverband Rheinland unterstützt Menschen
mit einer Schwerbehinderung wie auch Arbeitgeber. Es kann Zuschüsse für
die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen geben, etwa zu Investitionen
in technische Einrichtungen. Außerdem berät es bei allen Fragen zu diesem
Thema individuell, stellt Info-Material zur Verfügung und führt Seminare durch,
beispielsweise ein Training, das bei der Kommunikation von hörenden und gehörlosen Mitarbeitern hilft. Der technische Beratungsdienst des LVR unterstützt
zudem bei der behinderungsgerechten Gestaltung von Arbeitsplätzen.
www.lvr.de
Zusätzliche Fördermöglichkeiten bietet „aktion5“, ein Arbeitsmarktprogramm
der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe. Aus den Mitteln
dieses Programms kann beispielsweise die Erstbesetzung eines Arbeitsplatzes
mit einem schwerbehinderten Menschen 3.000 Euro bei befristeter und mit
5.000 Euro bei unbefristeter Beschäftigung gefördert werden.
www.aktion5.de
Unternehmen können sich für die Beratung zum Thema Inklusion auch an den
Integrationsfachdienst Köln wenden, der ebenfalls im Auftrag des Landschaftsverbandes Rheinland arbeitet. Er hilft beim Umgang mit einer bestimmten Art
von Behinderung oder bei der Suche nach finanzieller Förderung und ist besonders engagiert beim Übergang von der Schule in den Beruf.
www.integrationsfachdienst-koeln.de
Auch die Agenturen für Arbeit fördern die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Berufsleben. So gibt es beispielsweise die Möglichkeit der finanziellen
Unterstützung innerhalb einer Berufsausbildung. Ziel ist, dass die Teilhabe am
Arbeitsleben erreicht wird.
liegt die Sache etwa bei Konstantin Pieper, einem
jungen Mann mit Asperger-Syndrom. Das ist eine
Variante des Autismus, die oft verbunden ist mit
hoher Sensibilität gegenüber Ungewohntem, mit
Schwierigkeiten auch im sozialen Miteinander, in
der Kommunikation, aber auch mit besonderen Talenten. Konstantin Pieper entspricht diesen Vorurteilen nicht. Man merkt ihm seine besondere Persönlichkeit nur wenig an. Er ist kommunikativ, und er
kann sich recht schnell auf neue Situationen einstellen. Dass er seinem Gesprächspartner nicht immer
in die Augen schaut, dass er etwas lauter spricht als
andere, das merkt man schon. Aber sonst?
„Wir wollten Herrn Pieper als ganz normalen
Mitarbeiter. Und das funktioniert auch sehr gut“,
sagt Guido Fussel, Personalleiter bei der Cölner Hofbräu P. Josef Früh KG, der bei dem Thema Inklusion
einen sehr kölschen Pragmatismus an den Tag legt:
„Jeder Mensch ist anders.“
Und damit soll eigentlich auch genug gesagt sein.
Fussel ärgert sich schon ein wenig darüber, dass Inklusion am Arbeitsplatz oft so schwierig dargestellt wird. »
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TITEL
POLITIK UND STANDORT
Mitarbeiter mit den unterschiedlichsten Behinderungen arbeiten in der Versandabteilung
der Hess-Gruppe. Eine Integrationsbeauftragte
kümmert sich jederzeit um ihre Anliegen.
INFORMATION
FACHPRAKTIKER: AUSBILDUNG MIT WENIGER THEORIE
Menschen mit einer Lernschwäche oder
anderen geistigen Einschränkungen können häufig durchaus eine Berufsausbildung absolvieren. Dafür gibt es das sogenannte Fachpraktiker-Modell, das an
die übliche duale Ausbildung angelehnt
ist, aber einen geringeren Theorie-Anteil
hat. Es gibt beispielsweise Fachpraktiker
für Bürokommunikation oder im Gastgewerbe.
Speziell von der IHK Köln als der bundesweit ersten Industrie- und Handelskammer wird eine Prüfung als „Fachpraktiker
Service in sozialen Einrichtungen“ abge-
nommen, die den Teilnehmern auch noch
ermöglicht, nach zwei Jahren Ausbildung
ihren Hauptschulabschluss zu erhalten.
Diese Ausbildungsgänge sind für viele
Unternehmen eine Chance, guten Nachwuchs zu finden, der aber an den Theorie-Anforderungen der normalen Ausbildung möglicherweise scheitern würde.
www.ihk-koeln.de/63607
Ansprechpartner:
Carsten Berg
Tel 0221 1640-640
[email protected]
» „Es ist eigentlich schade, dass man das überhaupt thematisieren muss. Menschen mit Behinderung gehören
genauso zum Leben wie jeder andere. Wir versuchen
hier eigentlich nur, die Gesellschaft abzubilden. Junge,
Ältere, Menschen aus anderen Ländern.“
Ein paar verwunderte Nachfragen
Eben wegen dieser Selbstverständlichkeit hat Fussel
auch keinen anderen Mitarbeiter über Piepers Handicap vorab informiert. Anfangs habe es schon ein
paar verwunderte Nachfragen gegeben, berichtet der
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IHKplus Juni 2015
Personalleiter. Aber das habe sich schnell gelegt: „Er
wirkt sehr positiv auf Menschen. Alle finden ihn toll!“
Pieper hat einen Bachelor in Geschichte, aber schon
im Studium merkte er, dass das nicht seine berufliche
Laufbahn werden sollte. So hat er eine überbetriebliche Ausbildung absolviert, kam über Vermittlung
eines Beraters zu einem Praktikum bei Früh, aus
dem bald ein befristetes Arbeitsverhältnis wurde.
„Und das haben wir jetzt vorzeitig verlängert, um
zu verhindern, dass er sich anderweitig orientiert“,
berichtet Fussel.
„Wir treffen uns einmal pro Woche zu Gruppen- oder auch
Einzelgesprächen, um sowohl das betriebliche als
auch persönliche Miteinander zu besprechen und mögliche
Probleme bereits im Vorfeld abzufangen.“
Katrin Broncel, Integrationsbeauftragte bei Hess, Foto unten
In der Personalabteilung ist Pieper jetzt unter
anderem für die Zeiterfassung und Datenbanken
zuständig. Sein Arbeitgeber hat finanzielle Förderung vom Landschaftsverband Rheinland bekommen. „Das war hilfreich, aber wir hätten Herrn
Pieper auch ohne diese Unterstützung beschäftigt.
Er hat sich ziemlich unersetzlich gemacht“, sagt
Fussel. Früh beschäftigt in der Brauhaus-Küche
auch noch mehrere Mitarbeiter als Fachpraktiker
– früher „Beiköche“ genannt – oder in der Ausbildung dazu. Sie alle haben Lernschwierigkeiten.
Rechtschreibung, höhere Mathematik – solche
Dinge sind nicht unbedingt ihre Sache. Lernfähig
sind sie allemal. Und bei Früh haben sie die Chance
bekommen, einen ganz normalen Job zu machen,
ihr eigenes Geld zu verdienen, auf eigenen Beinen
zu stehen.
„Man muss offen dafür sein“, das sagen die Personalchefs Beckhäuser und Fussel unisono. Klar,
ohne Bereitschaft, sich mit dem Thema und mit den
Menschen zu befassen, geht es nicht. Was dafür
zurückkommt, bestätigen beide ebenso einstimmig: »
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POLITIK UND STANDORT
»
TITEL
„ICH BIETE EINEN ALL-INCLUSIVE-SERVICE“
Interview mit Alexander Reimer, Inklusionsberater bei der IHK Köln im Auftrag des LVR-Integrationsamtes
Alexander Reimer arbeitet seit Dezember 2014 als Fachberater Inklusion
bei der IHK Köln, im Auftrag des LVR-Integrationsamtes. Seither unterstützt er Unternehmen bei allen Fragen zur Beschäftigung von Menschen
mit Behinderung – ob es um die technische Ausstattung von Arbeitsplätzen geht, um Anträge auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
oder die Integration im Kreis der Mitarbeiter.
Text: Werner Grosch
Fotos: Olaf-Wull Nickel
IHKplus: Wie können Sie Unternehmen beim Thema berufliche Inklusion helfen?
Alexander Reimer: Ich biete einen
All-Inclusive-Service. Das reicht von
technischen Arbeitshilfen und organisatorischen Fragen über den Kontakt zu
Kostenträgern und Hilfestellung bei An-
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IHKplus Juni 2015
trägen bis zur Unterstützung bei der Suche nach qualifizierten Mitarbeitern. Ich
sehe meine Aufgabe als eine Art Lotse im
Dschungel der Zuständigkeiten und Fördermöglichkeiten. Und wenn ich selbst
nicht weiterhelfen kann, dann kenne ich
in jedem Fall einen, der es kann.
Die Arbeitslosenquote unter Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung ist doppelt so hoch wie unter
Nicht-Behinderten. Wird das
Potenzial dieser Menschen nicht
genug ausgeschöpft?
Leider wissen noch nicht alle Unternehmen, wie lohnend es sein kann, einen
Menschen mit Behinderung einzustellen.
Das allein sagt ja nichts über die Leistungsfähigkeit eines Mitarbeiters aus,
sondern es besagt nur, dass gewisse
Rahmenbedingungen beachtet werden
sollten.
Welche Bedingungen sind das?
Das ist natürlich sehr individuell. Es
kommt darauf an, dass der Arbeitsplatz
zur Person passt und behinderungsgerecht ist. Nicht behinderten-, sondern
behinderungsgerecht!
Chance liegt. Warum?
Weil sie bei der Suche nach Fachkräften
oft darunter leiden, dass sie wenig bekannt sind. Deshalb gibt es nur wenige
Bewerbungen. Häufig sind Mitarbeiter
mit Behinderung auch besonders motiviert und engagiert. Die Unternehmen
können auf diesem Weg also hoch qualifizierte Fachkräfte finden.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ja, mein eigenes. Ich habe seit meiner
Geburt eine Gehbehinderung mit einem
Grad von 90. Zum Autofahren habe ich
eine Spezialeinrichtung am Lenkrad und
ein Gerät, mit dem ich Gas, Bremse und so
weiter von Hand bedienen kann. Und damit mache ich meinen Job wie jeder andere. Der Grad der Behinderung hat nämlich
nichts mit der Erwerbsfähigkeit zu tun.
Stehen der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung oft Vorurteile
entgegen?
Zumindest mangelndes Wissen. Man
denkt bei dem Thema an Rollstuhlfahrer
oder Menschen mit Down-Syndrom. Aber
80 Prozent der Menschen mit anerkann-
ter Schwerbehinderung sieht man diese
gar nicht an. Und nicht selten geht eine
Einschränkung auch mit besonders ausgeprägten anderen Fähigkeiten einher.
Setzt sich diese Erkenntnis
langsam durch?
Ich mache die Erfahrung, dass bei den
Arbeitgebern das Bewusstsein für die
Beschäftigung beziehungsweise Ausbildung von Menschen mit Behinderung
wächst. Sie wissen aber oft nicht, wo
sie geeignete Bewerber finden und wer
sie bei der beruflichen Inklusion unterstützt. Meine Aufgabe ist es deshalb,
„Leider wissen noch nicht alle Unternehmen, wie lohnend es sein kann,
einen Menschen mit Behinderung einzustellen. Das allein sagt ja nichts
über die Leistungsfähigkeit eines Mitarbeiters aus.
Viele Menschen mit Sehbehinderung
beispielsweise können gehörte Texte in
einem atemberaubenden Tempo erfassen.
Sie sagen, dass gerade für kleinere
Unternehmen in der Beschäftigung
von Menschen mit Behinderung eine
CENTER
interessierte Unternehmen zu beraten.
Und die bisherigen Erfahrungen zeigen:
Das funktioniert sehr gut, gerade auch
durch die enge Zusammenarbeit mit
den Aus- und Weiterbildungsberatern
und der Fachkräftevermittlung in der
IHK Köln.
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POLITIK UND STANDORT
TITEL
„Wir als Eltern wissen, wie wir mit der
Behinderung unserer Tochter umgehen müssen.
Deshalb will ich sie selbst ausbilden.“
Ylias Gülyerüz, Tankstellenbetreiber
» Großer Fleiß, Einsatzbereitschaft, hohe Identifikation
mit dem Unternehmen. Und dazu auch ein positiver
Einfluss auf das Betriebsklima – ein Lerneffekt für
alle, der bedeutet: Behinderung ist normal.
Was ja auch stimmt. Mehr als sieben Millionen
Menschen in Deutschland haben eine anerkannte
Schwerbehinderung. Körperlich, geistig oder seelisch
– oder mehreres davon. In dieser Bevölkerungsgruppe
lag die Arbeitslosenquote in den vergangenen Jahren
immer um die 14 Prozent, also etwa doppelt so hoch
wie bei Menschen ohne Behinderung.
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Rat und Hilfe von vielen Stellen
Dass viele Unternehmen sich mit der Beschäftigung
von Menschen mit Behinderung schwertun, ist eine
Tatsache, die man nicht verschleiern kann. Womöglich hat das vor allem mit mangelndem Wissen zu
tun. Gerade kleinere Unternehmen fürchten oft den
bürokratischen, technischen, teils auch finanziellen
Aufwand, den die Beschäftigung eines Menschen
mit Behinderung bedeuten kann. Bei alldem gibt
es aber Unterstützung, Rat und auch ganz konkrete
Förderung. Alexander Reimer, seit Dezember 2014
Schon heute hilft Milena in der Tankstelle ihres Vaters aus. Im Sommer soll sie dort
eine reguläre Ausbildung beginnen. Sie hat das Tourette-Syndrom und ADHS.
KONTAKT
MERKBLATT MIT ERSTINFORMATIONEN
im Auftrag des LVR-Integrationsamtes als Inklusionsberater bei der IHK Köln beschäftigt, sieht sich
hier als Scout im Dschungel der Möglichkeiten (siehe
Interview).
Auch die zunehmende Digitalisierung in vielen
Bereichen von Handel, Dienstleistung, aber auch
Produktion erleichtert häufig den Zugang für Menschen mit Behinderung. Daniel Hoß zum Beispiel
kann sich mittels einer Software Texte vorlesen lassen. Ein Scanner und eine Bilderkennung ermöglichen ihm, selbst komplexe Darstellungen von Optik »
Auf ihrer Internetseite hat die IHK Köln ein Merkblatt zusammengestellt, das
alle wichtigen Erstinformationen zum Thema berufliche Inklusion enthält – zur
Definition von Schwerbehinderung, zu gesetzlichen Vorgaben wie dem besonderen Kündigungsschutz und vielem mehr. Das Merkblatt ist hier abrufbar:
www.ihk-koeln.de/559
Ansprechpartner:
Alexander Reimer
Tel. 0221 1640-628
[email protected]
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POLITIK UND STANDORT
TITEL
Voll integriert
war Daniel Hoß
schon nach sehr
kurzer Zeit im
Kollegenkreis bei
MBE CMT. Für die
Computerarbeit
hat er eine spezielle Tastatur mit
Braille-Schrift.
„Wir wollten nicht, dass Herrn Hoß noch
einmal dasselbe wie an der Uni passiert,
wo er keine Prüfung ablegen konnte.“
Frank Beckhäuser, Personalleiter (Foto unten 2.v.r.)
» in Akustik übersetzen zu lassen. Eine stationäre und
eine mobile Braille-Zeile für die Blindenschrift komplettieren die Ausstattung. „Das ist teilweise nicht
billig, aber es gibt Zuschüsse dafür, und für uns hat
sich die Investition auf jeden Fall gelohnt“, sagt Geschäftsführer Zimmlinghaus.
„Sehr schöne Symbiose“
Dass sich die Investitionen in die Integration von
Menschen mit Behinderung lohnen, sieht auch
Sabine Huntebrinker so. Sie ist eine von drei Ge-
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schäftsführern der Hess Gruppe, einer Unternehmensgruppe mit über 800 Mitarbeitern an zehn
Standorten und dem Schwerpunkt im Autoteilegroßhandel. Durch die Beschäftigung von 28 Integrationsmitarbeitern am Hauptsitz in Köln, an
dem rund 400 Mitarbeiter beschäftigt sind, sei
eine „sehr schöne Symbiose“ entstanden. Und auch
wenn „lohnend“ in Bezug auf die Finanzkennzahlen
nicht ganz zutrifft, wird die Vielfalt der Mitarbeiter
bei Hess hoch aufgehängt: „Wir sind ein mittelständisches Familienunternehmen mit einer vielfälti-
gen Unternehmenskultur! Erst wenn man diese
Kultur lebt, dann wird es auch zu einem Erfolg.“
Zehn der 28 Mitarbeiter mit Behinderung arbeiten in der 2013 mit Unterstützung des LVR gegründeten Integrationsabteilung von Hess. Die Behinderungen sind vielfältig: Es gibt Autisten, Gehörlose,
Menschen mit körperlichen Behinderungen oder
Lernschwierigkeiten und solche mit seelischen Belastungen. Seit Mai vergangenen Jahres kümmert
sich eine eigens für diese Abteilung eingestellte Integrationsbeauftragte um ihre Belange.
Katrin Broncel, Heilpädagogin, ist erfahren im
Umgang mit unterschiedlichen Behinderungen und
beherrscht darüber hinaus auch die Gebärdensprache. „Wir treffen uns einmal pro Woche zu Gruppen- oder auch Einzelgesprächen, um sowohl das
betriebliche als auch persönliche Miteinander zu besprechen und mögliche Probleme bereits im Vorfeld
abzufangen.“ Das Vertrauensverhältnis zu den Kol- »
Jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt.
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POLITIK UND STANDORT
TITEL
MEINUNG
DIE NEUE WELT DER POTENZIALE
Ulf Reichardt, Hauptgeschäftsführer der IHK Köln
Vor allem im Bildungsbereich wird das Thema
einer „inklusiven Beschulung“ in den letzten
Jahren engagiert diskutiert. Hintergrund ist die
UN-Behindertenrechtskonvention aus dem Jahre 2006. Auch für die Unternehmen zeichnet
sich zunehmend eine positive Herausforderung
ab. So wird als logische Konsequenz der schulischen Inklusion auch der Anteil von Ausbildungsplatzbewerbern und -bewerberinnen mit
Behinderungen steigen.
Inklusion nicht „um jeden Preis“
Allerdings werden auch mit den zunehmenden
Erfahrungen die Grenzen der Inklusion in der
betrieblichen Praxis erkennbar. Wir müssen uns
daher – analog zum schulischen Bereich – davor
hüten, Inklusion „um jeden Preis“ zu betreiben.
An dieser Stelle sind Fachleute der Sozialverbände ebenso wie Fachpolitiker gefordert, Au-
genmaß zu bewahren. Denn eine permanent
überfordernde Tätigkeit in der betrieblichen
Praxis entspricht ebenso wenig der UN-Behindertenrechtskonvention wie eine unterfordernde
Aufgabe in speziellen Werkstätten.
Personalverantwortliche der Unternehmen
nehmen verstärkt auch Menschen mit Behinderungen als Potenzialgruppe der Fachkräftesicherung in den Blick. Gerade für viele kleine
und mittlere Unternehmen sind allerdings die
Herausforderungen einer vielfältigen Gesellschaft nicht einfach zu bewältigen. Beispielsweise muss es gelingen, die besonderen Fähigkeiten und die große Motivation von Menschen
mit Behinderungen in der betrieblichen Praxis
auch wirklich zu erschließen. Unterstützungsangebote der öffentlichen Hand gibt es vielfältige, allerdings ist der Weg durch den Förderdschungel nicht für jedes Unternehmen
» leginnen und Kollegen ist mittlerweile so gut, dass
sie auch kontaktiert wird, wenn es private Krisen zu
meistern gilt, sagt die Heilpädagogin.
Seitdem Katrin Broncel da ist, sei die Akzeptanz
auch bei den Mitarbeitern ohne Behinderung deutlich gestiegen, bestätigt die Geschäftsführerin. Darüber hinaus engagiert sich das Unternehmen auch
ehrenamtlich im Arbeitskreis Gender & Diversity der
IHK Köln. So hat das Unternehmen auch die „Charta
der Vielfalt“ unterschrieben – eine Selbstverpflichtung zu Toleranz und Respekt vor Andersartigkeit,
für die die IHK Köln bei all ihren Mitgliedern wirbt.
„Natürlich ist das soziale Engagement für Menschen
mit Behinderung ein Wert für sich. Zugleich bedeutet es aber auch die Chance für Unternehmen, qualifizierte Mitarbeiter zu finden – da, wo sie sie viel-
INFORMATION
GESETZLICHE QUOTE WIRD UNTERSCHRITTEN
Betriebe mit mehr als 20 Mitarbeitern müssen mindestens fünf Prozent ihrer
Stellen mit Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung besetzen. Tun sie
das nicht, müssen sie eine Ausgleichsabgabe bezahlen, aus der beispielsweise
die Arbeit der Integrationsämter finanziert wird. Im Jahr 2013 lag die durchschnittliche Quote bei 4,7 Prozent. Während die öffentlichen Arbeitgeber den
Durchschnitt übertrafen, lag die Quote in der Privatwirtschaft bei 4,1 Prozent.
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IHKplus Juni 2015
leicht zu bewältigen.
Die IHK Köln hat mit
U n te r s t ü t z u n g d e s
Landschaftsverbandes
Rheinland seit Ende 2014 eine eigene Fachberatungsstelle geschaffen, die Unternehmen unterstützt, Arbeitsplätze für Auszubildende und
Arbeitskräfte mit Behinderungen einzurichten.
Nach den ersten Monaten können wir schon
ein positives Fazit ziehen, denn viele Unternehmen erkennen im Rahmen der Beratung,
dass die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen deutlich einfacher als erwartet zu
realisieren ist und auch betriebswirtschaftliche
Vorteile bringen kann. Damit werden wir auch
dem Anspruch der IHK Köln bei der Fachkräftesicherung gerecht, „Fährtenleser“ für die
Unternehmen durch die „neue Welt der Potenziale“ zu sein.
leicht zunächst nicht vermuten“, sagt Ulf Reichardt,
Hauptgeschäftsführer der IHK Köln.
In der Versandabteilung der Hans Hess Autoteile
GmbH, in der der Großteil der Mitarbeiter mit Behinderung seine Arbeitsplätze hat, ist übrigens von
der Betulichkeit einer betreuten Werkstatt nichts zu
spüren. „Hier geht es bei 2.500 Paketen, die pro Tag
rausgehen, um Sorgfalt und auch um Schnelligkeit“,
sagt Sabine Huntebrinker. Gerade das aber ist es, was
die Menschen mit Behinderung so zufrieden macht:
Teil eines „ganz normalen“ Betriebes zu sein, in einem Job, wie ihn jeder andere auch haben könnte.
Wie weit das möglich ist, muss jeder Einzelfall
zeigen. Milena Gülyerüz zum Beispiel wird vielleicht
nie einen ganz normalen Job bei irgendeinem Arbeitgeber haben. Tourette, ADHS, Schwierigkeiten
in der Schule und mit der Selbsteinschätzung stehen dem womöglich entgegen. Ihre Eltern wissen
das. Aber sie sagen auch: Wir können mit all dem
umgehen. „Deshalb will ich meine Tochter selbst als
Verkäuferin ausbilden“, sagt Vater Ilyas Gülyerüz,
der eine Tankstelle mit angeschlossener Werkstatt in
Leverkusen betreibt. Mit Hilfe und Rat von Alexander Reimer hat er einen Antrag auf Leistungen zur
Teilhabe bei der Agentur für Arbeit eingereicht und
gute Aussichten, die Unterstützung zu bekommen.
Dann wird Milena wohl nach den Sommerferien anfangen können.