„Es ist eigentlich schade, dass man das überhaupt thematisieren muss. Menschen mit Behinderung gehören genauso zum Leben wie jeder andere.“ Guido Fussel, Personalleiter bei Früh (r.), mit Konstantin Pieper POLITIK UND STANDORT TITEL » Die Frage war nur: Wie geht das? Welche technischen Einrichtungen braucht ein blinder Mensch? Wie gehen die anderen Mitarbeiter damit um? „Vor allem wollten wir nicht, dass Herrn Hoß noch einmal so etwas wie an der Uni passiert“, berichtet Personalleiter Frank Beckhäuser: „Nicht, dass ihm die IHK dann nachher die Prüfung auch nicht abnehmen kann!“ Diese Sorge konnten ihm die Ausbildungsexperten in der IHK Köln schnell nehmen. Mit dem eigenen Laptop und einem Begleiter, der bei Bedarf eine Grafik erklären kann, kein Prob- 26 IHKplus Juni 2015 lem. Natürlich musste das Unternehmen, das keine Erfahrungen mit blinden Mitarbeitern hatte, sich auch erst mal auf die Situation einstellen, und ließ sich vom Integrationsfachdienst und der Agentur für Arbeit beraten. Nach kurzer Zeit aber war es für alle Beteiligten einfach normal. Nicht nur dieses Beispiel zeigt: Inklusion am Arbeitsplatz kann funktionieren. Mehr als das: Sie ist oft ein echter Gewinn für Unternehmen. Jedes Beispiel ist natürlich so individuell wie die Menschen, wie ihre Behinderungen. Ganz anders Als Fachpraktiker arbeiten Menschen mit Lernschwäche in der Brauhaus-Küche von Früh. Konstantin Pieper (unten mit Personalleiter Guido Fussel) hat das Asperger-Syndrom und ist in der Personalabteilung der Brauerei eingesetzt. RAT UND HILFE ZUR INKLUSION Das Integrationsamt beim Landschaftsverband Rheinland unterstützt Menschen mit einer Schwerbehinderung wie auch Arbeitgeber. Es kann Zuschüsse für die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen geben, etwa zu Investitionen in technische Einrichtungen. Außerdem berät es bei allen Fragen zu diesem Thema individuell, stellt Info-Material zur Verfügung und führt Seminare durch, beispielsweise ein Training, das bei der Kommunikation von hörenden und gehörlosen Mitarbeitern hilft. Der technische Beratungsdienst des LVR unterstützt zudem bei der behinderungsgerechten Gestaltung von Arbeitsplätzen. www.lvr.de Zusätzliche Fördermöglichkeiten bietet „aktion5“, ein Arbeitsmarktprogramm der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe. Aus den Mitteln dieses Programms kann beispielsweise die Erstbesetzung eines Arbeitsplatzes mit einem schwerbehinderten Menschen 3.000 Euro bei befristeter und mit 5.000 Euro bei unbefristeter Beschäftigung gefördert werden. www.aktion5.de Unternehmen können sich für die Beratung zum Thema Inklusion auch an den Integrationsfachdienst Köln wenden, der ebenfalls im Auftrag des Landschaftsverbandes Rheinland arbeitet. Er hilft beim Umgang mit einer bestimmten Art von Behinderung oder bei der Suche nach finanzieller Förderung und ist besonders engagiert beim Übergang von der Schule in den Beruf. www.integrationsfachdienst-koeln.de Auch die Agenturen für Arbeit fördern die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Berufsleben. So gibt es beispielsweise die Möglichkeit der finanziellen Unterstützung innerhalb einer Berufsausbildung. Ziel ist, dass die Teilhabe am Arbeitsleben erreicht wird. liegt die Sache etwa bei Konstantin Pieper, einem jungen Mann mit Asperger-Syndrom. Das ist eine Variante des Autismus, die oft verbunden ist mit hoher Sensibilität gegenüber Ungewohntem, mit Schwierigkeiten auch im sozialen Miteinander, in der Kommunikation, aber auch mit besonderen Talenten. Konstantin Pieper entspricht diesen Vorurteilen nicht. Man merkt ihm seine besondere Persönlichkeit nur wenig an. Er ist kommunikativ, und er kann sich recht schnell auf neue Situationen einstellen. Dass er seinem Gesprächspartner nicht immer in die Augen schaut, dass er etwas lauter spricht als andere, das merkt man schon. Aber sonst? „Wir wollten Herrn Pieper als ganz normalen Mitarbeiter. Und das funktioniert auch sehr gut“, sagt Guido Fussel, Personalleiter bei der Cölner Hofbräu P. Josef Früh KG, der bei dem Thema Inklusion einen sehr kölschen Pragmatismus an den Tag legt: „Jeder Mensch ist anders.“ Und damit soll eigentlich auch genug gesagt sein. Fussel ärgert sich schon ein wenig darüber, dass Inklusion am Arbeitsplatz oft so schwierig dargestellt wird. » IHKplus Juni 2015 27 TITEL POLITIK UND STANDORT Mitarbeiter mit den unterschiedlichsten Behinderungen arbeiten in der Versandabteilung der Hess-Gruppe. Eine Integrationsbeauftragte kümmert sich jederzeit um ihre Anliegen. INFORMATION FACHPRAKTIKER: AUSBILDUNG MIT WENIGER THEORIE Menschen mit einer Lernschwäche oder anderen geistigen Einschränkungen können häufig durchaus eine Berufsausbildung absolvieren. Dafür gibt es das sogenannte Fachpraktiker-Modell, das an die übliche duale Ausbildung angelehnt ist, aber einen geringeren Theorie-Anteil hat. Es gibt beispielsweise Fachpraktiker für Bürokommunikation oder im Gastgewerbe. Speziell von der IHK Köln als der bundesweit ersten Industrie- und Handelskammer wird eine Prüfung als „Fachpraktiker Service in sozialen Einrichtungen“ abge- nommen, die den Teilnehmern auch noch ermöglicht, nach zwei Jahren Ausbildung ihren Hauptschulabschluss zu erhalten. Diese Ausbildungsgänge sind für viele Unternehmen eine Chance, guten Nachwuchs zu finden, der aber an den Theorie-Anforderungen der normalen Ausbildung möglicherweise scheitern würde. www.ihk-koeln.de/63607 Ansprechpartner: Carsten Berg Tel 0221 1640-640 [email protected] » „Es ist eigentlich schade, dass man das überhaupt thematisieren muss. Menschen mit Behinderung gehören genauso zum Leben wie jeder andere. Wir versuchen hier eigentlich nur, die Gesellschaft abzubilden. Junge, Ältere, Menschen aus anderen Ländern.“ Ein paar verwunderte Nachfragen Eben wegen dieser Selbstverständlichkeit hat Fussel auch keinen anderen Mitarbeiter über Piepers Handicap vorab informiert. Anfangs habe es schon ein paar verwunderte Nachfragen gegeben, berichtet der 28 IHKplus Juni 2015 Personalleiter. Aber das habe sich schnell gelegt: „Er wirkt sehr positiv auf Menschen. Alle finden ihn toll!“ Pieper hat einen Bachelor in Geschichte, aber schon im Studium merkte er, dass das nicht seine berufliche Laufbahn werden sollte. So hat er eine überbetriebliche Ausbildung absolviert, kam über Vermittlung eines Beraters zu einem Praktikum bei Früh, aus dem bald ein befristetes Arbeitsverhältnis wurde. „Und das haben wir jetzt vorzeitig verlängert, um zu verhindern, dass er sich anderweitig orientiert“, berichtet Fussel. „Wir treffen uns einmal pro Woche zu Gruppen- oder auch Einzelgesprächen, um sowohl das betriebliche als auch persönliche Miteinander zu besprechen und mögliche Probleme bereits im Vorfeld abzufangen.“ Katrin Broncel, Integrationsbeauftragte bei Hess, Foto unten In der Personalabteilung ist Pieper jetzt unter anderem für die Zeiterfassung und Datenbanken zuständig. Sein Arbeitgeber hat finanzielle Förderung vom Landschaftsverband Rheinland bekommen. „Das war hilfreich, aber wir hätten Herrn Pieper auch ohne diese Unterstützung beschäftigt. Er hat sich ziemlich unersetzlich gemacht“, sagt Fussel. Früh beschäftigt in der Brauhaus-Küche auch noch mehrere Mitarbeiter als Fachpraktiker – früher „Beiköche“ genannt – oder in der Ausbildung dazu. Sie alle haben Lernschwierigkeiten. Rechtschreibung, höhere Mathematik – solche Dinge sind nicht unbedingt ihre Sache. Lernfähig sind sie allemal. Und bei Früh haben sie die Chance bekommen, einen ganz normalen Job zu machen, ihr eigenes Geld zu verdienen, auf eigenen Beinen zu stehen. „Man muss offen dafür sein“, das sagen die Personalchefs Beckhäuser und Fussel unisono. Klar, ohne Bereitschaft, sich mit dem Thema und mit den Menschen zu befassen, geht es nicht. Was dafür zurückkommt, bestätigen beide ebenso einstimmig: » IHKplus Juni 2015 29 POLITIK UND STANDORT » TITEL „ICH BIETE EINEN ALL-INCLUSIVE-SERVICE“ Interview mit Alexander Reimer, Inklusionsberater bei der IHK Köln im Auftrag des LVR-Integrationsamtes Alexander Reimer arbeitet seit Dezember 2014 als Fachberater Inklusion bei der IHK Köln, im Auftrag des LVR-Integrationsamtes. Seither unterstützt er Unternehmen bei allen Fragen zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderung – ob es um die technische Ausstattung von Arbeitsplätzen geht, um Anträge auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Integration im Kreis der Mitarbeiter. Text: Werner Grosch Fotos: Olaf-Wull Nickel IHKplus: Wie können Sie Unternehmen beim Thema berufliche Inklusion helfen? Alexander Reimer: Ich biete einen All-Inclusive-Service. Das reicht von technischen Arbeitshilfen und organisatorischen Fragen über den Kontakt zu Kostenträgern und Hilfestellung bei An- 30 IHKplus Juni 2015 trägen bis zur Unterstützung bei der Suche nach qualifizierten Mitarbeitern. Ich sehe meine Aufgabe als eine Art Lotse im Dschungel der Zuständigkeiten und Fördermöglichkeiten. Und wenn ich selbst nicht weiterhelfen kann, dann kenne ich in jedem Fall einen, der es kann. Die Arbeitslosenquote unter Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung ist doppelt so hoch wie unter Nicht-Behinderten. Wird das Potenzial dieser Menschen nicht genug ausgeschöpft? Leider wissen noch nicht alle Unternehmen, wie lohnend es sein kann, einen Menschen mit Behinderung einzustellen. Das allein sagt ja nichts über die Leistungsfähigkeit eines Mitarbeiters aus, sondern es besagt nur, dass gewisse Rahmenbedingungen beachtet werden sollten. Welche Bedingungen sind das? Das ist natürlich sehr individuell. Es kommt darauf an, dass der Arbeitsplatz zur Person passt und behinderungsgerecht ist. Nicht behinderten-, sondern behinderungsgerecht! Chance liegt. Warum? Weil sie bei der Suche nach Fachkräften oft darunter leiden, dass sie wenig bekannt sind. Deshalb gibt es nur wenige Bewerbungen. Häufig sind Mitarbeiter mit Behinderung auch besonders motiviert und engagiert. Die Unternehmen können auf diesem Weg also hoch qualifizierte Fachkräfte finden. Können Sie ein Beispiel nennen? Ja, mein eigenes. Ich habe seit meiner Geburt eine Gehbehinderung mit einem Grad von 90. Zum Autofahren habe ich eine Spezialeinrichtung am Lenkrad und ein Gerät, mit dem ich Gas, Bremse und so weiter von Hand bedienen kann. Und damit mache ich meinen Job wie jeder andere. Der Grad der Behinderung hat nämlich nichts mit der Erwerbsfähigkeit zu tun. Stehen der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung oft Vorurteile entgegen? Zumindest mangelndes Wissen. Man denkt bei dem Thema an Rollstuhlfahrer oder Menschen mit Down-Syndrom. Aber 80 Prozent der Menschen mit anerkann- ter Schwerbehinderung sieht man diese gar nicht an. Und nicht selten geht eine Einschränkung auch mit besonders ausgeprägten anderen Fähigkeiten einher. Setzt sich diese Erkenntnis langsam durch? Ich mache die Erfahrung, dass bei den Arbeitgebern das Bewusstsein für die Beschäftigung beziehungsweise Ausbildung von Menschen mit Behinderung wächst. Sie wissen aber oft nicht, wo sie geeignete Bewerber finden und wer sie bei der beruflichen Inklusion unterstützt. Meine Aufgabe ist es deshalb, „Leider wissen noch nicht alle Unternehmen, wie lohnend es sein kann, einen Menschen mit Behinderung einzustellen. Das allein sagt ja nichts über die Leistungsfähigkeit eines Mitarbeiters aus. Viele Menschen mit Sehbehinderung beispielsweise können gehörte Texte in einem atemberaubenden Tempo erfassen. Sie sagen, dass gerade für kleinere Unternehmen in der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung eine CENTER interessierte Unternehmen zu beraten. Und die bisherigen Erfahrungen zeigen: Das funktioniert sehr gut, gerade auch durch die enge Zusammenarbeit mit den Aus- und Weiterbildungsberatern und der Fachkräftevermittlung in der IHK Köln. » Die große Miele-Ausstellung in Köln! -IELE3PEZIAL6ERTRAGSHÊNDLER 0% * Finanzierung så(AUSGERÊTE så%INBAUGERÊTE så'EWERBETECHNIK * Für alle Finanzierungsangebote gilt: Effektiver Jahreszins von 0,00% bei einer Laufzeit von 12 Monaten entspricht einem Sollzins von 0,00%. Bonität vorausgesetzt. Partner ist die Commerz Finanz GmbH, Schwanthalerstr. 31, 80336 München. Die Angaben stellen zugleich das 2/3 Beispiel gemäß § 6a Ab. 3 PAngV dar. Konrad Harbeke OHG Berliner Str. 1-9 und 12-16 51063 Köln (Mülheim) Tel.: 02 21/6 71 98-0 Fax: -39 E-Mail: [email protected] www.harbeke.de IHKplus Juni 2015 31 POLITIK UND STANDORT TITEL „Wir als Eltern wissen, wie wir mit der Behinderung unserer Tochter umgehen müssen. Deshalb will ich sie selbst ausbilden.“ Ylias Gülyerüz, Tankstellenbetreiber » Großer Fleiß, Einsatzbereitschaft, hohe Identifikation mit dem Unternehmen. Und dazu auch ein positiver Einfluss auf das Betriebsklima – ein Lerneffekt für alle, der bedeutet: Behinderung ist normal. Was ja auch stimmt. Mehr als sieben Millionen Menschen in Deutschland haben eine anerkannte Schwerbehinderung. Körperlich, geistig oder seelisch – oder mehreres davon. In dieser Bevölkerungsgruppe lag die Arbeitslosenquote in den vergangenen Jahren immer um die 14 Prozent, also etwa doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderung. 32 IHKplus Juni 2015 Rat und Hilfe von vielen Stellen Dass viele Unternehmen sich mit der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung schwertun, ist eine Tatsache, die man nicht verschleiern kann. Womöglich hat das vor allem mit mangelndem Wissen zu tun. Gerade kleinere Unternehmen fürchten oft den bürokratischen, technischen, teils auch finanziellen Aufwand, den die Beschäftigung eines Menschen mit Behinderung bedeuten kann. Bei alldem gibt es aber Unterstützung, Rat und auch ganz konkrete Förderung. Alexander Reimer, seit Dezember 2014 Schon heute hilft Milena in der Tankstelle ihres Vaters aus. Im Sommer soll sie dort eine reguläre Ausbildung beginnen. Sie hat das Tourette-Syndrom und ADHS. KONTAKT MERKBLATT MIT ERSTINFORMATIONEN im Auftrag des LVR-Integrationsamtes als Inklusionsberater bei der IHK Köln beschäftigt, sieht sich hier als Scout im Dschungel der Möglichkeiten (siehe Interview). Auch die zunehmende Digitalisierung in vielen Bereichen von Handel, Dienstleistung, aber auch Produktion erleichtert häufig den Zugang für Menschen mit Behinderung. Daniel Hoß zum Beispiel kann sich mittels einer Software Texte vorlesen lassen. Ein Scanner und eine Bilderkennung ermöglichen ihm, selbst komplexe Darstellungen von Optik » Auf ihrer Internetseite hat die IHK Köln ein Merkblatt zusammengestellt, das alle wichtigen Erstinformationen zum Thema berufliche Inklusion enthält – zur Definition von Schwerbehinderung, zu gesetzlichen Vorgaben wie dem besonderen Kündigungsschutz und vielem mehr. Das Merkblatt ist hier abrufbar: www.ihk-koeln.de/559 Ansprechpartner: Alexander Reimer Tel. 0221 1640-628 [email protected] IHKplus Juni 2015 33 POLITIK UND STANDORT TITEL Voll integriert war Daniel Hoß schon nach sehr kurzer Zeit im Kollegenkreis bei MBE CMT. Für die Computerarbeit hat er eine spezielle Tastatur mit Braille-Schrift. „Wir wollten nicht, dass Herrn Hoß noch einmal dasselbe wie an der Uni passiert, wo er keine Prüfung ablegen konnte.“ Frank Beckhäuser, Personalleiter (Foto unten 2.v.r.) » in Akustik übersetzen zu lassen. Eine stationäre und eine mobile Braille-Zeile für die Blindenschrift komplettieren die Ausstattung. „Das ist teilweise nicht billig, aber es gibt Zuschüsse dafür, und für uns hat sich die Investition auf jeden Fall gelohnt“, sagt Geschäftsführer Zimmlinghaus. „Sehr schöne Symbiose“ Dass sich die Investitionen in die Integration von Menschen mit Behinderung lohnen, sieht auch Sabine Huntebrinker so. Sie ist eine von drei Ge- 34 IHKplus Juni 2015 schäftsführern der Hess Gruppe, einer Unternehmensgruppe mit über 800 Mitarbeitern an zehn Standorten und dem Schwerpunkt im Autoteilegroßhandel. Durch die Beschäftigung von 28 Integrationsmitarbeitern am Hauptsitz in Köln, an dem rund 400 Mitarbeiter beschäftigt sind, sei eine „sehr schöne Symbiose“ entstanden. Und auch wenn „lohnend“ in Bezug auf die Finanzkennzahlen nicht ganz zutrifft, wird die Vielfalt der Mitarbeiter bei Hess hoch aufgehängt: „Wir sind ein mittelständisches Familienunternehmen mit einer vielfälti- gen Unternehmenskultur! Erst wenn man diese Kultur lebt, dann wird es auch zu einem Erfolg.“ Zehn der 28 Mitarbeiter mit Behinderung arbeiten in der 2013 mit Unterstützung des LVR gegründeten Integrationsabteilung von Hess. Die Behinderungen sind vielfältig: Es gibt Autisten, Gehörlose, Menschen mit körperlichen Behinderungen oder Lernschwierigkeiten und solche mit seelischen Belastungen. Seit Mai vergangenen Jahres kümmert sich eine eigens für diese Abteilung eingestellte Integrationsbeauftragte um ihre Belange. Katrin Broncel, Heilpädagogin, ist erfahren im Umgang mit unterschiedlichen Behinderungen und beherrscht darüber hinaus auch die Gebärdensprache. „Wir treffen uns einmal pro Woche zu Gruppen- oder auch Einzelgesprächen, um sowohl das betriebliche als auch persönliche Miteinander zu besprechen und mögliche Probleme bereits im Vorfeld abzufangen.“ Das Vertrauensverhältnis zu den Kol- » Jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt. c hen e S p re r b er I h ü r i w nft! Zu k u Wir machen den Weg frei. Mehr Informationen erhalten Sie vor Ort oder unter vr.de/firmenkunden Volksbanken Raiffeisenbanken IHKplus Juni 2015 35 POLITIK UND STANDORT TITEL MEINUNG DIE NEUE WELT DER POTENZIALE Ulf Reichardt, Hauptgeschäftsführer der IHK Köln Vor allem im Bildungsbereich wird das Thema einer „inklusiven Beschulung“ in den letzten Jahren engagiert diskutiert. Hintergrund ist die UN-Behindertenrechtskonvention aus dem Jahre 2006. Auch für die Unternehmen zeichnet sich zunehmend eine positive Herausforderung ab. So wird als logische Konsequenz der schulischen Inklusion auch der Anteil von Ausbildungsplatzbewerbern und -bewerberinnen mit Behinderungen steigen. Inklusion nicht „um jeden Preis“ Allerdings werden auch mit den zunehmenden Erfahrungen die Grenzen der Inklusion in der betrieblichen Praxis erkennbar. Wir müssen uns daher – analog zum schulischen Bereich – davor hüten, Inklusion „um jeden Preis“ zu betreiben. An dieser Stelle sind Fachleute der Sozialverbände ebenso wie Fachpolitiker gefordert, Au- genmaß zu bewahren. Denn eine permanent überfordernde Tätigkeit in der betrieblichen Praxis entspricht ebenso wenig der UN-Behindertenrechtskonvention wie eine unterfordernde Aufgabe in speziellen Werkstätten. Personalverantwortliche der Unternehmen nehmen verstärkt auch Menschen mit Behinderungen als Potenzialgruppe der Fachkräftesicherung in den Blick. Gerade für viele kleine und mittlere Unternehmen sind allerdings die Herausforderungen einer vielfältigen Gesellschaft nicht einfach zu bewältigen. Beispielsweise muss es gelingen, die besonderen Fähigkeiten und die große Motivation von Menschen mit Behinderungen in der betrieblichen Praxis auch wirklich zu erschließen. Unterstützungsangebote der öffentlichen Hand gibt es vielfältige, allerdings ist der Weg durch den Förderdschungel nicht für jedes Unternehmen » leginnen und Kollegen ist mittlerweile so gut, dass sie auch kontaktiert wird, wenn es private Krisen zu meistern gilt, sagt die Heilpädagogin. Seitdem Katrin Broncel da ist, sei die Akzeptanz auch bei den Mitarbeitern ohne Behinderung deutlich gestiegen, bestätigt die Geschäftsführerin. Darüber hinaus engagiert sich das Unternehmen auch ehrenamtlich im Arbeitskreis Gender & Diversity der IHK Köln. So hat das Unternehmen auch die „Charta der Vielfalt“ unterschrieben – eine Selbstverpflichtung zu Toleranz und Respekt vor Andersartigkeit, für die die IHK Köln bei all ihren Mitgliedern wirbt. „Natürlich ist das soziale Engagement für Menschen mit Behinderung ein Wert für sich. Zugleich bedeutet es aber auch die Chance für Unternehmen, qualifizierte Mitarbeiter zu finden – da, wo sie sie viel- INFORMATION GESETZLICHE QUOTE WIRD UNTERSCHRITTEN Betriebe mit mehr als 20 Mitarbeitern müssen mindestens fünf Prozent ihrer Stellen mit Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung besetzen. Tun sie das nicht, müssen sie eine Ausgleichsabgabe bezahlen, aus der beispielsweise die Arbeit der Integrationsämter finanziert wird. Im Jahr 2013 lag die durchschnittliche Quote bei 4,7 Prozent. Während die öffentlichen Arbeitgeber den Durchschnitt übertrafen, lag die Quote in der Privatwirtschaft bei 4,1 Prozent. 36 IHKplus Juni 2015 leicht zu bewältigen. Die IHK Köln hat mit U n te r s t ü t z u n g d e s Landschaftsverbandes Rheinland seit Ende 2014 eine eigene Fachberatungsstelle geschaffen, die Unternehmen unterstützt, Arbeitsplätze für Auszubildende und Arbeitskräfte mit Behinderungen einzurichten. Nach den ersten Monaten können wir schon ein positives Fazit ziehen, denn viele Unternehmen erkennen im Rahmen der Beratung, dass die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen deutlich einfacher als erwartet zu realisieren ist und auch betriebswirtschaftliche Vorteile bringen kann. Damit werden wir auch dem Anspruch der IHK Köln bei der Fachkräftesicherung gerecht, „Fährtenleser“ für die Unternehmen durch die „neue Welt der Potenziale“ zu sein. leicht zunächst nicht vermuten“, sagt Ulf Reichardt, Hauptgeschäftsführer der IHK Köln. In der Versandabteilung der Hans Hess Autoteile GmbH, in der der Großteil der Mitarbeiter mit Behinderung seine Arbeitsplätze hat, ist übrigens von der Betulichkeit einer betreuten Werkstatt nichts zu spüren. „Hier geht es bei 2.500 Paketen, die pro Tag rausgehen, um Sorgfalt und auch um Schnelligkeit“, sagt Sabine Huntebrinker. Gerade das aber ist es, was die Menschen mit Behinderung so zufrieden macht: Teil eines „ganz normalen“ Betriebes zu sein, in einem Job, wie ihn jeder andere auch haben könnte. Wie weit das möglich ist, muss jeder Einzelfall zeigen. Milena Gülyerüz zum Beispiel wird vielleicht nie einen ganz normalen Job bei irgendeinem Arbeitgeber haben. Tourette, ADHS, Schwierigkeiten in der Schule und mit der Selbsteinschätzung stehen dem womöglich entgegen. Ihre Eltern wissen das. Aber sie sagen auch: Wir können mit all dem umgehen. „Deshalb will ich meine Tochter selbst als Verkäuferin ausbilden“, sagt Vater Ilyas Gülyerüz, der eine Tankstelle mit angeschlossener Werkstatt in Leverkusen betreibt. Mit Hilfe und Rat von Alexander Reimer hat er einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe bei der Agentur für Arbeit eingereicht und gute Aussichten, die Unterstützung zu bekommen. Dann wird Milena wohl nach den Sommerferien anfangen können.
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