HEIMTIERHALTUNG Das Schicksal der Futtertiere Ganz im Gegensatz zu der Haltung von Nagern als Heimtiere, fand das Thema Nager als Futtertiere bisher nur wenig Beachtung in Tierschutzkreisen, obwohl in der Schweiz täglich Hunderte von Nagern an Reptilien verfüttert werden. Die Lebens- und Sterbensumstände dieser Tiere sind unbekannt. Über die Zucht, den Transport, das Töten oder die (lebende) Verfütterung ist der Gesellschaft wenig bekannt. Meist interessiert sich auch der Kunde nicht dafür, woher das Futtertier kommt. Sandra Dürrenberger, Zoologin, STS-Fachstelle Heimtiere und Pferde Werden Wirbeltiere wie Ratten, Mäuse, Hamster und Meerschweinchen als Futtertiere für Wildtiere verwendet, müssen sie laut Tierschutzverordnung (TSchV Artikel 4, Fütterung) tot verfüttert werden. Ausnahmeregelungen bestehen, wenn etwa die Ernährung mit toten Tieren nicht «sichergestellt» werden kann (also das Tier das Totfutter nicht akzeptiert) oder das Tier ausgewildert werden soll. Wenn das Nagetier aus einem gesetzlich akzeptierten Grund lebend verfüttert wird, muss es im Terrarium Unterschlupf und eine artgerechte Unterbringung vorfinden. So wird es in der Theorie festgehalten. Es ist aber schlichtweg unmöglich, private Reptilienhalter zu überprüfen. Nur bei Klagen kommen Verstösse ans Licht. So dürften auch heute noch viele Reptilien mit lebenden Tieren, die dabei Todesängste ausstehen, ernährt werden – mit der Begründung, das Tier würde kein totes Futter fressen. Oft sind jedoch die suboptimalen und schlechten Haltungsbedingungen dafür verantwortlich, dass ein Tier kein Totfutter frisst. Beispiele hierfür sind falsche Temperaturen, schlechte Beleuchtung oder falsche Luftfeuchtigkeit. Laut einer Reptilienzoofachhandlung in Zürich kaufen neunzig 28 Prozent der Kunden die Nager lebendig. Dies ist nicht verboten, sofern die Tiere nach Tierschutzverordnung gehalten und vor der Verfütterung getötet werden. Ein Tier töten darf per Gesetz aber nur, wer dazu die notwendigen Kenntnisse und TIERREPORT 2|15 «Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will» (Albert Schweitzer) Fähigkeiten hat. Wie sich Privatpersonen diese Kenntnisse und Fähigkeiten aneignen müssen, bleibt eine gesetzliche Grauzone. Inländische Futtertierzucht wurde unwirtschaftlich Die Einführung des Tierschutzgesetzes für Wirbeltiere hat viel Positives bewirkt. Wer die Mindestvorschriften nicht einhält, macht sich strafbar. Auch wenn die Vorgaben oft minimalistisch sind, garantieren sie ein gewisses Tierwohl. Die Tierschutzverordnung hat jedoch auch eine Kehrseite: Früher wurden auch in der Schweiz viele Ratten, Mäuse, Hamster und Meerschweinchen als Futtertiere gezüchtet. Nach der Einführung des Gesetzes lohnten sich die meisten Zuchten jedoch nicht mehr, da die nachfragenden Tierhalter offensichtlich nicht am Wohl der Futtertiere interessiert sind, sondern – obwohl sie ihre Tierhaltung als Hobby und aus Freude betreiben – nur auf das Geld schauen. So verschob sich die Futtertierzucht mehr und mehr ins Ausland. Fast das gesamte Frostfutter kommt heute aus Deutschland, Holland, Polen, Tschechien oder aus weiteren östlichen Ländern. Dort wird massenweise produziert und günstig verkauft und exportiert. Auch die meisten lebenden Futtertiernager werden im Ausland gezüchtet und in die Schweiz transportiert. Wie die Tiere in ausländischen Zuchten gehalten und getötet werden, bleibt unklar. Laut Aussagen der Lieferanten geschieht die Tötung durch Kohlendioxid (CO2), es kursieren aber auch Gerüchte, dass Futtertiere erschlagen, ertränkt oder eingefroren werden. Diese Gerüchte sind weder widerlegt noch bestätigt. Eine optimale Tötungsmethode gibt es nicht CO2 führt zu einem Sauerstoffmangel im Gewebe. Es kann bei Tieren Angst auslösen, sichtbar in Form von Urination, Defäkation, verstärkter Atmung, Zittern, Aufrichten und hektischen Bewegungen. Die Wirkungsgeschwindigkeit von CO2 ist mässig schnell; der Zoo Basel beschreibt aus eigenen Beobachtungen, dass bei Mäusen noch bis zu vier Minuten eine Atembewegung sichtbar sein kann. Die Tötung durch CO2 ist noch immer die übliche Tötungsart, sie wird auch in den veralteten Richtlinien des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV von 1993 empfohlen. Eine gute Alternative gibt es nicht. Die möglichst schonendste Tötung mit CO2 erfordert Fachwissen: viele Faktoren wie Raumtrennung, Grösse der Behältnisse oder Einflussrate müssen beachtet werden. Deswegen und aufgrund diverser schlechter ISTOCKPHOTO Anleitungen im Internet TIERREPORT 2|15 rät der STS vom Selbstbau einer CO2-Tötungsanlage dringendst ab, um den Tieren grosses Leid zu ersparen. Von der Anwendung mechanischer Methoden ohne Ausbildung wird ebenfalls abgeraten. Für die Tötung von Neonaten ist CO2 absolut ungeeignet, denn Babymäuse sind wegen ihrer langsamen Atmung sehr CO2-resistent. Das Einfrieren von Neonaten ohne Narkose ist gesetzlich verboten! Für Neonaten gibt es in der Massenproduktion also keine geeignete 왎 Tötungsmethode. Was ist die Lösung? Die Faszination für die Reptilienhaltung ist verbreitet und kann auch nicht unterbunden werden. Der STS spricht sich insgesamt für eine artgemässe Haltung und einen schonenden Umgang mit Futtertieren aus. Eine eigene, tiergerechte Zucht wäre den Auslandzuchten vorzuziehen. Der STS fordert hier, dass Privatpersonen, welche Futtertiere töten, Ausbildungskurse besuchen müssen. Denn ob sich eine Privatperson die nötigen Kenntnisse selbst genügend aneignet, ist kaum zu überprüfen. Die Verbraucher sollen lernen, die Futtertiere nicht nur als Nahrungsquelle für ihre Reptilien zu sehen, sondern diese auch als eigenständige, interessante und durchaus leidensfähige Mitgeschöpfe zu achten. 29
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