23 Pflegekinder rauben Dir den Schlaf!

Ein Theaterprojekt von und mit Berliner Pflegekindern
r
e
d
n
i
k
e
g
e
fl
23 P
rauben Dir
!
f
a
l
h
c
S
n
e
d
m
e
d
t
h
e
t
s
le
b
m
e
s
Das En
.
r
e
b
ü
n
e
g
e
g
h
c
is
it
Titel kr
in Kooperation mit
Volksbühne am
Rosa-Luxemburg-Platz
indern
liner Pflegek
er
B
it
m
d
n
u
n
vo
kt
je
ro
n Theaterp
Ei
r
e
d
n
i
k
e
g
e
fl
P
23
!
f
a
l
h
c
S
n
e
d
r
i
rauben D
l
e
it
T
m
e
d
t
h
e
t
s
le
b
Das Ensem
kritisch gegenüber.
23 Pflegekinder
rauben Dir
den Schlaf!
Ein Theaterprojekt von
m
Das Ensemble steht de
Titel kritisch gegenüber.
in Kooperation mit
Volksbühne am
Rosa-Luxemburg-Platz
Ein Filmteam hat den gesamten Prozess begleitet und eine Filmdokumentation
sowie eine Aufzeichnung des fertigen Theaterstücks erstellt.
Auch online ansehen:
www.familien-fuer-kinder.de/23
Grußworte
Sehr geehrte Damen und Herren,
Was für Eindrücke!
das Theaterstück „23 Pflegekinder rauben Dir den Schlaf!“ mit und über Pflegekinder ist ein großartiges Projekt, das mich sehr beeindruckt hat. Es geht kreativ
Anfänglich hatte ich Probleme mit den vielen fremden Menschen. Kannte nur Anna-
mit einem sensiblen Thema um und gibt einen authentischen Einblick in den
Lena von einigen Treffen vom freien Träger, sonst niemanden. Die letzten Tage der
Alltag von Pflegefamilien. Darüber hinaus bildet es einen passenden Rahmen für
Reise haben mir aber langsam den Spaß an dem Projekt gebracht. Mit zunehmendem
die Pflegekinder, sich mit den eigenen Erfahrungen auseinanderzusetzen - mit
Vertrauen zu allen Beteiligten hat es mir immer mehr Freude gemacht, mich anzu-
selbstgeschriebenen Texten und in einer schnellen überraschenden Szenenab-
strengen und eigene Ideen mit einzubringen. Daraus wurde eine Kraft, die mir auch
folge. Überzeugt hat mich dabei auch die durchgehend pädagogische Begleitung
so manche Schwierigkeit zu meistern half. Nach der Premiere war ich super stolz und
dieses Projekts.
habe mich dann sehr auf die nachträglichen Aufführungen und die Feier gefreut.
Das Stück macht deutlich, welch bedeutenden Beitrag Pflegefamilien für das
Ich würde jedem Jugendlichen und auch jüngeren Kindern zuraten, so ein Projekt mal
Leben junger Menschen leisten. Mit der Aufführung gelingt es, die Öffentlichkeit
auszuprobieren.
in unserer Stadt stärker für das Thema Pflegekinder zu sensibilisieren; denn nach
Ich hätte nie gedacht , dass es so anstrengend sein würde. Aber ich würde es immer
wieder machen!
wie vor werden Pflegefamilien in Berlin gesucht. Die von den Akteurinnen und Akteuren angesprochenen
Themen sind nicht nur für viele Kinder, Jugendliche und Familien sehr wichtig, sondern spielen auch für mich
als Familiensenatorin eine große Rolle. Die Pflegekinder haben mir Ideen und Anregungen mit auf den Weg
Shiva Rogaci, 10 Jahre
gegeben, die ich in die weitere Diskussion mit und über Pflegefamilien in Berlin einbringen möchte.
Ich bedanke mich bei allen Beteiligten, die das Theaterstück möglich gemacht haben: den Kindern und
Liebe Leser,
Jugendlichen, den Familien, dem Träger „Familien für Kinder“ und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
der Volksbühne.
zugegebenermaßen ist es sehr schwierig, die
Herzliche Grüße
passenden Worte für das zu finden, was wir –
Sandra Scheeres
die Spielerinnen und Spieler, aber auch das
Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft des Landes Berlin
Theater- und Organisationsteam – zusammen
innerhalb des letzten knappen Jahres erlebt
hatten. Viele Jugendliche aus allen Ecken Berlins
sind zusammengekommen, um mit tatkräftiger
Unterstützung von vielen engagierten Menschen
ein Projekt auf die Beine zu stellen, in dem es um
sie gehen sollte. Denn allesamt, so unterschied-
Neben der Freude am Entwickeln und am Spielen des Stückes
lich sie auch sind, sie haben eines gemeinsam:
hatten wir natürlich auch schwierige Momente zusammen,
Sie sind Pflegekinder.
denn man musste sich permanent mit sich selbst und mit
Eines war uns allen von Anfang an klar: „Wir
seiner Familie beschäftigen, was nicht immer einfach und
wollen keine Mitleidsnummer daraus machen“.
nervlich auch sehr anstrengend war.
So wurde es auf unserer Kennenlernfahrt von
Aber zum Schluss haben wir immer zusammengehalten und
allen zusammen ausgedrückt. Wir wollten es
konnten mit gutem Gefühl auf die Bühne gehen, denn wir
allen zeigen und das Ergebnis war selbst für uns
konnten uns alle auf den Anderen verlassen – und nur dann
Spieler überwältigend. Eine Mitleidsnummer ist
kann man wirklich Großes bewegen. Und das haben wir.
es auf keinen Fall geworden, vielmehr eine Mitteilung von beeindruckenden Menschen: „Schaut
Dominik Derner, 17 Jahre
her: Auch wenn wir es nicht immer leicht hatten;
wir sind verdammt stark“.
Dieses Theaterprojekt wird uns allen im Gedächtnis
bleiben, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass
diese intensive Zeit, die wir zusammen erlebt
hatten, spurlos an einem vorbeigehen kann.
4
5
Inhalt
Grußworte
4
Inhalt
7
KAPITEL 1 – ZUTATEN:
Eine Idee – Ein Rahmen – Viele Beteiligte
9
Wie Ideen entstehen
10
Ein Rahmen
11
Projektbeschreibung
14
Das Ensemble
16
Das künstlerische Team und das Team im Hintergrund
17
Steckbrief
18
KAPITEL 2 – ZUBEREITUNG:
Zwischenschritte – Meilensteine –
Das fertige Stück
19
Aus einzelnen Pixeln wird ein Bild – aus Individuen ein Ensemble
20
Was ist denn Familie?
22
Probenprozesse, Meilensteine
28
Bühne und Kostüme
34
Filmdokumentation
38
KAPITEL 3 – ZUKUNFT:
Auswirkungen – Feedbacks – Perspektiven
Impressum
41
51
Stolpersteine · Meilensteine · Edelsteine
Im Anschluss haben wir die Schauspieler
und das Team befragt, welche besonderen
Momente sie mit dem Projekt verbinden:
1. Was war ein Stolperstein für Dich
im Projekt?
2. Was war ein Meilenstein?
3. Was war dein besonderer Edelstein?
Die Antworten sind an vielen Stellen der
Dokumentation zu finden.
Stolpersteine · Meilensteine · Edelsteine
Stolperstein: Die Kleinen waren schwierig.
Es war immer so ein Rumgewusel. Streit
fand ich doof.
Meilenstein: Ich habe vor Publikum
gesungen und Klavier gespielt. Ein Meilenstein war, nach Musik auf der Bühne zu
tanzen (zusammen mit den Tieren) und der
Film „Familie im Brennpunkt“ hat mir viel
Spaß gemacht.
Edelstein: Die Premierenfeier im Roten Saal.
Als wir im Roten Saal alle zusammen auf der
Bühne standen und „Mama wo ist Mama“
gesungen haben.
Michael, 16 Jahre
7
KAPITEL 1 – ZUTATEN
Eine Idee
Ein Rahmen
Viele Beteiligte
8
Wie Ideen
EIN ABEND IM MÄRZ 2013
„Kommst du
mit zum
Theaterfestival?“
„Hhm, ok.“
entstehen
Familien für Kinder – Fachkräfte in der Pflegekinderhilfe
Ein Stück von vier jungen Frauen über die Auseinandersetzung mit den eigenen Müttern.
Interessant. Nach dem Stück treffen der Regisseur Malte Hildebrand und ich Claudia
Bartel, die aktuell mit ihm zusammen an der Entstehung eines Stücks mitarbeitet: Expertentheater. Aha. Sehr interessant.
Familien für Kinder gGmbH ist ein etablierter Träger der Berliner Jugendhilfe und
Ein paar Bier und Malte und Claudia beschließen, dass sie bald mal ein eigenes Stück
machen wollen. „Und du?“ „Ich? Ein Theaterprojekt? Weiß ich nicht, kann ich nicht.“
„Was machst du denn?“ „Ich arbeite im Kinder- und Jugendhilferecht, vor allem in der
Pflegekinderhilfe.“ „Was ist das denn?“ „...“ „Aha, auch interessant!“ „Ja, stimmt! :)“
Familien für Kinder gGmbH besitzt langjährige Erfahrungen in den Bereichen
Ein Rahmen
eine Tochtergesellschaft des Arbeitskreises zur Förderung von Pflegekindern e.V.,
der sich seit 1974 für die Qualifizierung und Weiterentwicklung der Pflegekinderhilfe engagiert.
Werbung, Vorbereitung, Qualifizierung, Beratung und Begleitung von Vollzeitpflegefamilien.
In Deutschland lebten 2013 laut statistischem Bundesamt 67.812 Kinder in Pflegefamilien. Pflegekinder sind
– so wie Heimkinder – Kinder, die aus ganz unterschiedlichen Gründen heraus nicht bei ihren Eltern leben
SPÄTER ALLEINE
AUF DEM NACHHAUSEWEG
können. Manchmal ist die Zeit dieser Fremdunterbringung befristet, oder die Kinder bleiben dauerhaft, bis
und über ihre Volljährigkeit hinaus, in den Pflegefamilien.
Verrückt – ich und ein Theaterprojekt,
total abwegig. Aber Pflegekinder, Familie,
Interviews, Lebensgeschichten, verschiedene Perspektiven, Aufklärung, Kultur, Expertentheater...
...Oh, das passt doch irgendwie zusammen!
In der Öffentlichkeit gibt es ein breites Wissen um die Situation von Heimkindern. Das Wort Heimkind ist den
meisten Menschen geläufig und viele haben eine recht konkrete Vorstellung davon. Pflegekinder spielen in
unserer Öffentlichkeit wiederum in der Regel fast überhaupt keine Rolle.
Das Wohl und die Interessen der Pflegekinder sind Orientierung für das Denken und Handeln von Familien für
Kinder gGmbH: „Wir haben die Kinder im Blick.“ Diese Haltung weist den Weg für die Umsetzung der Angebote. Pflegekinder in ihrer Lebenssituation gut zu begleiteten, ist den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des
Trägers ein wichtiges fachliches Anliegen.
EINE SMS MITTEN IN DER NACHT
EIN PAAR WOCHEN SPÄTER
EIN ZUFÄLLIGES TELEFONAT
„Ich weiß jetzt, was für ein Theaterprojekt wir
zusammen machen können, mit Expert/innen –
in Sachen Familie…“
Malte mit Vanessa Unzalu-Troya: „... und, was machst du so?“ „Ein neues Projekt, ein
Theaterprojekt von, über und mit Berliner Pflegekindern!“ „Echt, wollt ihr das nicht
hier bei P14 an der Volksbühne machen?“ Oh, Volksbühne!
Als die Projektidee Anfang 2013 an Familien für Kinder gGmbH herangetragen wurde, war der Träger schnell
begeistert und überzeugt davon, dass dieses Theaterprojekt in Zusammenarbeit mit der Volksbühne am
Rosa-Luxemburg-Platz etwas ganz Besonderes werden kann, und das auf ganz unterschiedlichen Ebenen.
Der Projekthintergrund:
Die Lebenssituation der Pflegekinder im Fokus
Aktuelle Forschungen, insbesondere der „Forschungsgruppe Pflegekinder“ von Prof. Dr. Wolf an der Universität Siegen (www.uni-siegen.de/pflegekinder-forschung), haben den Fokus auf die Pflegekinder selbst und
SOMMER 2013
Wir treffen einige Fachleute aus der Pflegekinderhilfe, um unsere Projektidee vorzustellen. Auch Peter
Heinßen und Angelika Nitzsche von Familien für Kinder. Finden Sie gut! Peter Heinßen fragt, ob
wir das nicht zusammen machen wollen, vielleicht könnten wir sogar Unterstützung von der Aktion
Mensch bekommen. Oh, Jugendhilfeträger! Oh, Aktion Mensch!
ihre Einschätzung und Haltung gegenüber der eigenen Lebenssituation gerichtet, was durch viele qualitative
Interviews für die wissenschaftliche Analyse erschlossen wurde. Prof. Dr. Wolf ergänzt damit die Erfahrungen
aus der sozialpädagogischen Praxis, Pflegekinder als „Experten ihres Alltags” zu begreifen und sie in wichtige,
ihr Leben betreffende Entscheidungen wesentlich einzubinden.
Aufbauend auf dieser Haltung im Umgang mit Pflegekindern, stellt sich für Träger der Jugendhilfe wie Familien für Kinder gGmbH die Frage, wie sie über das in der alltäglichen Arbeit praktizierte Maß hinaus intensiven
BIS FRÜHLING 2015
Ideen und Gespräche und Treffen und
Ideen und Umsetzungsfragen und ein
bisschen Chaos und weitere Ideen
und Fragen und immer wieder eine
Idee, die sich entwickelt.
GESCHAFFT:
10
Premiere
am
19.05.201
5
Das Team wächst und wächst und wechselt
teilweise, der Antrag wächst und wächst (uns
fast über den Kopf). Durchhalten… START!!
und dann: echte Pflegekinder – und so tolle :)
weiter, weiter, weiter…
Kontakt und Austausch mit den Pflegekindern bekommen können. In welchem Rahmen kann das geschehen
– was kann damit erreicht werden?
Die Projektidee
Familien für Kinder gGmbH hat hier die Idee von Diana Eschelbach aufgenommen und sich entschieden, ein
Diana Eschelbach ist Juristin
für Jugendhilfe und Familienrecht und beschäftigt sich
u.a. seit einigen Jahren mit
dem Thema Pflegekind.
Theaterprojekt mit entsprechend professionellem Projektpartner zu realisieren. Theater ist das Projektformat,
das maximale Partizipation der Beteiligten ermöglicht und im wahrsten Sinne des Wortes einen „Spielraum“
eröffnet. Es gestattet den Pflegekindern, ihre Ansichten in geschütztem Raum, im Verbund mit anderen
jungen Menschen in ähnlicher Situation zu äußern und kreativ damit umzugehen. Das künstlerische Ergebnis
erschließt wiederum über die öffentliche Präsentation einen weiter gefassten Zuschauerkreis. Hier kann wertvolle Aufklärung über die Pflegekinderhilfethematik und gesellschaftliche Realität mittels der Kunst erreicht
11
werden. Im Theater begegnen sich Spieler und Publikum und die behandelten Themen und Inhalte führen
ganz unmittelbar zu Diskussion und weiterer Auseinandersetzung.
Öffentliche Aufmerksamkeit und Nachhaltigkeit für die Pflegekinderhilfe
Die Pflegekinderhilfe allgemein tritt über dieses Theaterprojekt ins Rampenlicht und verschafft sich so eine
größere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Neue Pflegefamilien werden immer gesucht!
Von Anfang an war eine Nachhaltigkeit des Theaterprojekts geplant: mit einer Filmdokumentation und Theaterbroschüre verbunden mit der Hoffnung, dass das Theaterprojekt zu einem Mustermodell wird, das zum
Nachmachen anregt.
Ein Spielraum für diejenigen, um die es geht: die Kinder und Jugendlichen
Über künstlerische Vorgehensweisen und Spielanlässe von Improvisation, Rollenentwicklung und Ensemblezusammenwirkung werden Identitätsbildung, Selbstbewusstsein, Offenheit und Kommunikationsfähigkeit
gestärkt und trainiert. Eine Theatergruppe, die sich genügend Zeit zum Zusammenwachsen nimmt, wird
zum Schutzraum und zum ersten Echolot für eigene Gefühle, Meinungen und Offenbarungen. Regelmäßige
Treffen und Proben erlauben den Teilnehmern, Vertrauen zu fassen: Vertrauen in eigene kreative Versuche,
in Irrwege und Erfolgswege, die man begeht; aber auch Vertrauen in diejenigen, mit denen man sich auseinandersetzt, die ähnliche Erlebnisse haben und auch ganz andere. Sich selbst zu trauen, schafft eine Basis
für Vertrauen in andere. Bei diesem Spiel ist man als ganzer Mensch gefragt, gibt sich ganz hinein, erlebt ein
hohes Maß an gemeinschaftlicher Energie und geht dann individuell bestärkt wieder heraus. Eine Besonderheit in diesem Projekt war die Grundentscheidung für eine Stückentwicklung mit den Jugendlichen selbst
und die Entscheidung, sich das Thema Familie – diese kleinste gesellschaftliche Zelle und Lebensrealität jedes
Einzelnen – vorzunehmen.
P14, das Jugendtheater der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
1993 forderte die Leitung der Volksbühne Jugendliche aus der Umgebung der Volksbühne auf, ihr Theater
doch selber zu machen, unter der Losung - Macht euer Theater selber - steht es auch heute noch.
Ein anarchistischer Experimentierraum, der Menschen ab 14 Jahren unabhängig von Herkunft und Geschlecht,
die Möglichkeit bietet, Theater zu machen und zu gestalten. Im Kollektiv, bestehend aus Jugendlichen, die
schon länger dabei sind, und Neuankömmlingen, verwirklichen sie ihre Ideen von Theater, Kunst und Zusammenarbeit.
Über ein Spielzeitthema entstehen in einer Saison sechs Inszenierungen unter der Regie der jungen Theatermacher selbst. Schreibwerkstätten, Diskussionsrunden, Open Stages für erste theatralische Essays, offene
Proben und Picknicks bringen die Jugendlichen in einen produktiven Austausch, um ihre Arbeit zu reflektieren
und voneinander zu lernen.
Sie sind autonom, werden aber nicht allein gelassen. Unter der theaterpädagogischen Leitung von Vanessa
Unzalu-Troya (seit 2008) und durch den technischen Leiter Leander Hagen werden sie im gesamten Prozess
begleitet und dabei unterstützt, ihre Inszenierung in einem professionellen Rahmen zu präsentieren.
P14 ist ein Theaterraum, der die Jugendlichen dazu inspiriert, nicht ausführende Theatermenschen sondern
junge Theatermacher zu werden. Es gibt einzig zwei Regeln. Die erste Regel ist: Man darf sich irren und man
darf scheitern! Die zweite Regel lautet: Mach Theater, so wie du es verstehst.
Eine besondere Förderung
Ein solch aufwändiges Zusatzprojekt kann der Jugendhilfeträger nicht aus eigenen Mitteln realisieren. Ohne
die Unterstützung der Aktion Mensch, die die Förderung des Theaterprojekts im gesamten Umfang übernommen hat, hätte dieser Spielraum ungenutzt bleiben müssen …
Eine besondere Kooperation
Die Realisierung eines Theaterprojekts dieser Art geht nur mit einem kompetenten Partner – jemandem, dem
die Kunstproduktion mit jugendlichen Laien vertraut ist, der weiß, wie man den Spielraum Theater mit Laien
besetzen kann, und der in diesem Feld erfahrene Künstler für das Projekt gewinnen kann.
Stolpersteine · Meilensteine · Edelsteine
Die Projektinitiatoren haben schnell den Kontakt
Stolperstein: Texte lernen
zur Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
hergestellt. Der Jugendbereich der VolksMeilenstein: Bühne war für mich, dass ich glücklich
bühne – P14 – ist bekannt für anspruchsvolle
bin, und innen im Herz habe ich gefühlt, dass ich das
und spannende Theaterarbeiten mit JugendTheaterspielen im Blut habe.
gruppen ganz unterschiedlicher Herkunft und
Edelstein: Dass wir auch gesungen haben, wie
Hintergründe. Kooperationen gehören regelKonzerte. Dass ich öfter auftreten kann, weil ich ein
mäßig zum Programm von P14. Mit diesem
Star bin, für meine Musik und rockig.
Partner, so die Idee, ist der Spielraum für die
Niclas, 18 Jahre
Kunst eröffnet.
12
Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin
13
Projektbeschreibung
Ein Stück über Familie?
Das guckt sich doch niemand an!*
* Zitat aus dem Stück
Geplant als künstlerische Forschung im „Zwischenreich“ (so der Arbeitstitel des Projekts) zwischen
Herkunftsfamilie und Pflegefamilie, haben die Initiatoren ein 9-monatiges Theaterprojekt veranstaltet, in
dem Berliner Pflegekinder ein eigenes Stück zum Thema „Familie“ entwickeln konnten.
Theater? – Wie beforschen wir unseren Gegenstand
damit recht haben) wie für diejenigen, die glauben,
„Familie“? – Eine erste Schreibwerkstatt – Eine erste
dass es manch anderem vielleicht ähnlich geht (und
Präsentation …
damit recht haben)!
PHASE 4:
PHASE 5:
Eine Stückentwicklung
Präsentation und Dokumentation
Über 12 Wochen wurde nun in regelmäßigen Proben
Theater ist ein flüchtiges Medium: Man muss als
ausgehend von nichts als dem Thema „Familie“
Zuschauer im gegebenen Moment dabei sein.
und den Ideen und Gedanken der Jugendlichen
selbst ein Theaterstück entwickelt. In Auseinandersetzung mit Stoffen aus Büchern und Filmen,
aus eigenen Geschichten, mit Stückauszügen von
Theater ist auch die menschlichste aller Kunstformen: Die Spieler sind persönlich anwesend
und die Zuschauer begegnen ihnen und ihren
Geschichten direkt.
PHASE 1:
gewinnen. Der Spielraum Theater war eröffnet –
Henrik Ibsens „Nora oder Ein Puppenheim“ und
Interesse wecken
danach lag die freie Entscheidung bei den
aus einem Phantasiespiel um den Planeten Seritox,
Eine berlinweite Ausschreibung über das Netzwerk
Teilnehmer*innen selbst, ob sie weitermachen
auf dem – anders als auf der Erde im Jahr 2016 –
bühne am Rosa-Luxemburg-Platz ist unser Stück
wollten oder nicht. Und? 100 % Zustimmung!
es noch traditionelle Familienkonstellationen gibt
achtmal vor ausverkauftem Haus aufgeführt worden.
(Vati-Mutti-Kindi), fügte sich ein 2-stündiger Thea-
Knapp 600 Zuschauer haben das Stück gesehen
PHASE 3:
terabend. Ein Theaterstück für alle, die Familie
und sich dadurch mit Pflegekindern beschäftigt: mit
haben oder suchen, die sich mit Familie beschäf-
ihnen als Produzent*innen und Spieler*innen eines
esse und die Bereitschaft, über einen relativ langen
Gemeinsam auf einer Reise Theater
(er)leben
tigen oder sich für Familie interessieren, die glauben,
Theaterstücks wie auch mit ihnen als Erlebende
Projektzeitraum dabei zu bleiben.
Eine Theaterreise 5 Tage im Haus für Kinder- und
dass keiner so eine Familie hat wie man selbst (und
ihrer familiären Welten.
der Pflegekinderdienste warb für eine Teilnahme
aller interessierten Pflegekinder im Alter von 8 bis 18
Jahren. Keine Zugangshürde, keine Vorkenntnisse
nötig, keine Voraussetzungen – außer das Inter-
PHASE 2:
Interesse füttern
Jugendfreizeiten in Grünheide bei Berlin. Für viele
ein großer Schritt: Mit zunächst Unbekannten
verreisen, andernorts übernachten? Viel Zeit zum
Zwei 6-stündige Schnupperworkshops luden dazu
weiteren Kennenlernen, für gemeinsames Essen,
ein, den Reiz des Theater„spiels“ kennenzulernen
Spiel und Freizeit. Aber auch für tägliche künstle-
und einen ersten Eindruck von der Gruppe zu
rische Workshops: Wer sind wir? – Was ist (alles)
Nach der Premiere am 19. Mai 2015 in der Volks-
Die hier vorliegende Dokumentation will die Momente, Meilensteine, Erlebnisse und Ergebnisse dieses einmaligen und besonderen Theaterprojekts festhalten. Ergänzend liegt ihr die 30-minütige Filmdokumentation des
Theaterprozesses bei.
Stolpersteine · Meilensteine · Edelsteine
Stolperstein: Ich hätte gerne mehr Zeit gehabt mit den Jugendlichen,
um alle gleichermaßen in den Kampf zu integrieren.
Meilenstein: Das erste Mal die komplette Choreographie zu sehen.
Dass sich so viele Extra-Zeit genommen haben für den Bühnenkampf.
Edelstein: Ich hatte das Muschelhorn mitgebracht und es war schön,
wie die Spieler so eine Faszination mit so einem Gegenstand hatten.
Anton K. Krause, Bühnenkampftraining
und Choreographie
UNSERE
REISE
14
15
Das künstlerische Team
Das Ensemble
Überraschend schnell und überraschend viele Jugendliche aus allen Bezirken meldeten sich auf die berlinweite
Ausschreibung des Theaterstücks. Einige wenige entschieden sich während des Prozesses aus schulischen oder
persönlichen Gründen, nicht bis zur Premiere dabeizubleiben. Sie haben dennoch wichtige Projektphasen
miterlebt und mitgestaltet und gehören daher dazu, auch wenn sie am Ende nicht mit auf der Bühne standen.
Künstlerische Leitung
und Inszenierung
Samantha
Kuhlow
Daria Perl
8 Jahre
8 Jahre
Flankiert wurde die Inszenierungsarbeit von der Projektleiterin Katrin
Behrens, die die Kommunikation zwischen Familien für Kinder und
der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, zwischen sozialpädagogischer Begleitung und künstlerischer Leitung sowie zwischen dem
Team, den Jugendlichen, ihren Eltern und Pflegeeltern im Fluss hielt
und – im Trio mit Angelika Nitzsche und Susanne Stieler von
Familien für Kinder gGmbH – den nötigen Rahmen wie die inhaltliche
Begleitung für ein Projekt dieser Art schuf.
Celina Sahin
Shiva Rogaci
Lukas Bauer
9 Jahre
11 Jahre
12 Jahre
Anna-Lena
Napolski
Louise Constein
12 Jahre
12 Jahre
Die Erarbeitung des Theaterstücks lag in den Händen des
Regisseurs Jan Koslowski, der gerade seinen Abschluss
an der Zürcher Hochschule der Künste (Leading Artist for
Performing Arts) gemacht hat. Nach eigenen Spielerfahrungen bei P14 hat Jan Koslowski sich bereits mit mehreren
Inszenierungen mit Jugendlichen einen Namen gemacht
und ist bereits mehrfach mit seinen Produktionen zum
renommierten deutschen Festival „Theatertreffen der
Jugend“ eingeladen worden.
Theaterpädagogische
Leitung
Vanessa Unzalu-Troya, Theaterpädagogin und seit 2008 Leiterin der
Jugendsparte P14 an der Volksbühne
am Rosa-Luxemburg-Platz, leitete
mit ihm gemeinsam die Proben und
entwickelte das Theaterstück. Sie
hat bereits viele Theaterproduktionen mit Jugendlichen und jeweils
speziellen
Hintergründen
und
Themenansätzen entwickelt und
bindet immer wieder neue junge
Künstler in ihre Arbeit an der Volksbühne mit ein.
Sozialpädagogische
Begleitung
Diandra Sobotta
12 Jahre
Timmy
Maurice Tonn
12 Jahre
13 Jahre
Tamara Wiese
15 Jahre
Projektleitung
und Dramaturgie
Erric Berger
12 Jahre
Timmy Burkard
Sonja Vaziri
15 Jahre
Celine Göbel
Sebastian
Köhler
15 Jahre
15 Jahre
Weitere Künstler*innen wurden mit einbezogen: Die Theaterpädagogin Maura Meyer, die beiden Musiker Jonathan Hamann
und Max Grosse-Majench sowie Anton K. Krause, der Bühnenkampf trainierte und die Schlussszene choreographierte.
Jerôme Meisel
15 Jahre
Lukas Blum
16 Jahre
Michael
Burschewski
16 Jahre
16
Michelle
Burschewski
16 Jahre
Der
Dokumentarfilmer
Leonel Dietsche begleitete das Projekt über
die gesamte Laufzeit
und stellte eine filmische
Dokumentation
des Prozesses her, die
diesem Buch beiliegt
(siehe Klappe vorne).
Filmdokumentation
Martin Köhler
16 Jahre
16 Jahre
Jonathan
Theaterpädagogik
Musik
Sebastian
Gadow
DominikDerner
17 Jahre
17 Jahre
Niclas Rehbein
18 Jahre
Regie-Assistentin
Marlene Kolatschny,
Studentin der Kulturwissenschaft
und
Deutschen
Literatur
an der Humboldt-Universität,
hielt
die
Probenereignisse fest und
bereitete die Folgeproben
vor.
Musik
Bühnenkampf
nd
Das Team im Hintergru
Die
Max
Burschewski
Bühne und Kostüme
Reno Meisel
16 Jahre
Max
Die Bühnen- und Kostümbildnerin Claudia Bartel
entwickelte einen Bühnenraum voller Kuben und
Spielflächen und kleidete
das Ensemble komplett ein.
Peter Heinßen,
Familien für Kinder gGmbH
Oxana Osman,
Familien für Kinder gGmbH
Hans Thelen,
Familien für Kinder gGmbH
Regie Assistenz
Gesamtleitung und
Projektverantwortung
Projektverwaltung
Öffentlichkeitsarbeit
17
S T E C K B R I E F
Titel Projekt
Titel Theaterstück
Zeitraum
Anzahl Teilnehmer
Projektteam
Zwischenreich
23 Pflegekinder rauben Dir den Schlaf!
ber
Das Ensemble steht dem Titel kritisch gegenü
5
Projektlaufzeit Januar bis September 201
zwei 6-stündige Workshops (Januar 2015)
5-tägige Theaterreise (Februar 2015)
)
Probenprozess (22. Februar bis 19. Mai 2015
Premiere (19. Mai 2015)
9 Aufführungen (Mai-Oktober 2015)
25 im Alter von 8 bis 18 Jahren (11 w/14 m)
Koslowski
Künstlerische Leitung und Inszenierung: Jan
alu-Troya
Theaterpädagogische Leitung: Vanessa Unz
Bühne und Kostüme: Claudia Bartel
Musik: Jonathan Hamann
Musik: Max Grosse Majench
Theaterpädagogik: Maura Meyer
Filmdokumentation: Leonel Dietsche
rens
Projektleitung und Dramaturgie: Katrin Beh
elbach
Projektidee und Dramaturgie: Diana Esch
Technik: Leander Hagen
Assistenz Regie: Marlene Kolatschny
Assistenz Bühne: Katharina Grosch
Assistenz Kostüme: Isabelle Fouquett
Hospitanz: Paula Knüpling
Peter Heinßen
Projektleitung Familien für Kinder gGmbH:
bH: Angelike Nitzsche,
Fachliche Begleitung Familien für Kinder gGm
Susanne Stieler
Premiere
Aufführungen
Anzahl Zuschauer
Presse
Dokumentation
Projektträger
Förderung
KAPITEL 2 – ZUBEREITUNG
19. Mai 2015
7 Aufführungen Mai-Juli 2015
hrungen Oktober 2015
wegen großer Nachfrage: 2 zusätzliche Auffü
rund 600
ojekt an der Volksbühne gibt
„Experten in Sachen Familie – Ein Theaterpr
Gehör verschaffen“
Pflegekindern die Hauptrolle. Sie wollen sich
enpost
von Annette Kuhn / 18.05.2015 / Berliner Morg
Magazin, Filmdokumentation
Familien für Kinder gGmbH in Kooperation
atz Berlin
mit der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Pl
Aktion Mensch
Zwischenschritte
Meilensteine
Das fer tige Stück
ild –
B
in
e
d
ir
w
ln
e
ix
P
n
e
ln
Aus einze
mble
aus Individuen ein Ense
JANUAR 2015
„Stellt Euch mal alle in einen Kreis und lasst uns ein Warm-Up zusammen machen!“. Von wegen! Drei bleiben
am Boden sitzen, zwei gehen schnurstracks zu ihrem Rucksack und nehmen sich was zu essen, drei weitere
spielen kreischend Fangen auf Höchstgeschwindigkeitsniveau, einer bleibt zurückgezogen im Flur stehen
und noch drei sind verschwunden. Wo sind sie nur? Ach, da hört man schon die Türen der Nebenräume
klappern, die sie eigentlich nicht betreten sollen … Das ist doch kein Kreis!
Ensemblespiel
Der Fischschwarm
Alle Spieler stellen sich dicht gedrängt zusammen, so dass jeder die Schultern der beiden neben ihm
Stehenden spürt. Eine*r ist das Auge des Fischschwarms und darf vorgeben, in welche Richtung, wie schnell
oder langsam, ob hoch aufgereckt oder ganz dicht am Boden sich der Schwarm bewegt.
Aus lauter heterogenen Einzelpersonen entsteht ein homogener Fischschwarm –
von oben ein schönes (Ge) Bild (e) und für jeden Mitspieler ein spannendes Gruppenexperiment.
23 Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 18 Jahren sind dem Aufruf zum Theaterprojekt gefolgt.
Unter ihnen kannten sich nur zwei drei ein bisschen. Die anderen haben bisher mit ihren Familien für
sich hin gelebt, manche ohne weitere Kenntnis darüber, ob und dass es überhaupt so viele andere
Pflegekinder in Berlin gibt.
Stolpersteine · Meilensteine · Edelsteine
23 Individuen treten in den Kreis und gestalten ihn mit.
Stolperstein: Als wir in einer Szene gezeigt
haben, wo der Hammer hängt, und so rausgelaufen sind, sind wir wirklich gestolpert.
MAI 2015
Nach fünf Monaten gemeinsamer Theatererfahrung und Theatertraining wird aus einzelnen Individuen ein
Ensemble ebenso hochsensibler wie selbstbewusster Darsteller, und aus einzelnen Pixeln ihrer Persönlichkeiten, ihrer Geschichten, ihrer Erlebnisse miteinander wird ein Bild.
Meilenstein: Die erste Aufführung, wo Mama
und Abby vorne gesessen haben und zugeschaut haben.
Edelstein: Als ich mit allen auf der
Theaterreise Geburtstag gefeiert habe. Das
war schön, weil ich zwei Torten bekommen
habe. Voll super. Die Reise war voll toll! Und
dass ich im Projekt zwei Freundinnen hatte,
Samantha und Shiva.
Persönlichkeitsspiel
Wer
denkst
Du bin
ich?
Alle Spieler laufen locker durch den Raum, sie alle haben Post-its
und Stifte dabei. Wenn man jemandem begegnet, fragt man ihn
beispielsweise:
•
Was denkst Du, wie alt ich bin?
•
Was glaubst Du, ist mein Lieblingsfach in der Schule?
•
Was meinst Du, ist mein Lieblingsessen?
•
Wohin würde ich Deiner Meinung nach gerne in Urlaub fahren?
•
Was denkst Du, wie viele Geschwister ich wohl habe?
•
Wovor, glaubst Du, habe ich Angst?
Der andere beantwortet die Fragen – alle Antworten werden
unkommentiert angenommen und, auf Post-its aufgeschrieben,
dem Körper angeheftet. Es entstehen neue Persönlichkeiten.
Auflösungsrunde: Jeder stellt der Reihe nach die vermeintliche
Person, die er ist, vor, sowie wer er wirklich ist: Ihr denkt vielleicht
ich sei 18 Jahre alt, liebte Mathematik, esse gerne Nudeln mit
Tomatensauce, würde gerne nach England in Urlaub fahren, habe
drei Geschwister und Angst vor Schlangen! In Wirklichkeit bin ich
aber 16 Jahre alt, hasse Mathematik, esse lieber Pizza, würde total
gerne mal nach Amerika fahren und habe 12 Geschwister und habe
tatsächlich Angst vor Schlangen!
20
Daria, 9 Jahre
Familienbande – die Band – die Bande
Im Stückentwicklungsverlauf ging es viel um die Frage, welche anderen gesellschaftlichen Gruppen einem
Familie ergänzen oder ersetzen können … Ein Theaterensemble ist nicht die schlechteste Erfahrung, aber auch
eine Bande …
AUS DEM STÜCK
Hey Leute!
Wenn man sich den heutigen Musikmarkt mal anguckt, dann gibt es kaum noch so richtige Bands, also Bands, die nicht zusammen gecastet wurden. Bands aus Freunden,
die in ihren Garagen angefangen haben, Musik zu machen, weil sie zusammen Musik
machen wollten. Erfolgreich sind heutzutage hochgepushte Einzelkämpfer. Menschen,
die alleine auf der Bühne stehen. Mit riesigen Teams in ihrem Rücken.
Die Idee der Band, der Kombo, des Trios, des Quartetts, des Ensembles, des Chors –
ist der Familie nicht ganz unähnlich.
21
Was ist denn
Familie?
ndersetzung
Künstlerische Auseina
lie
mi
Fa
a
mit dem Them
Dominik … Konstellationen, in denen Kinder groß
…
AUS DEM STÜCK
Louise Die Familie ist die
kleinste denkbare Einheit
in der Gesellschaft.
Sie ist genauso wie die
gesamte Gesellschaft,
eine Gemeinschaft, die auf
Werten basiert, Werte, wie
beispielsweise Vertrauen.
Alle Vertrauen!
Martin Im Optimalfall besteht die,
ich nenne sie mal enge …
Alle Enge!
Martin … Familie aus mindestens
drei Personen, nämlich aus
zwei Erwachsenen, oft Vater
und Mutter, die sich nach
Möglichkeit lieben …
Alle Lieben!
Martin … sollten, und einem Kind,
welches von den beiden
Erwachsenen liebevoll …
Alle Liebevoll!
Martin … umsorgt wird.
Diandra Wenn man den Kreis und
damit die Begrifflichkeit
der Familie ein bisschen
weiter zieht, stößt …
Alle Stößt!
Diandra … man beispielsweise auf
Großeltern, Onkel, Tanten,
Cousins und Cousinen.
Alle Cousinen!
Dominik Doch gibt es aber abweichend von dem beschriebenen
Idealbild auch noch andere
…
Alle Andere!
22
Alle Groß!
Dominik … werden können.
Alle Beispielsweise …
Sonja Beispielsweise wären da die alleinerziehenden Mütter oder auch Väter zu
nennen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass das Kind, beziehungsweise
die Kinder bei Menschen aufwachsen
können, die nicht die biologischen
Eltern sind.
Reno Auch dann besteht die Gemeinschaft
optimaler Weise auf Vertrauen und …
Alle Und!
Reno … Liebe.
Shiva Liebe! Upsala …
Reno Aber eine wichtige Komponente ist
ebenfalls gleich: In jeder Familienkonstellation ist ein Kind vorhanden. Eine
Familie wird nämlich …
Alle Nämlich!
Reno … nur in der Situation, in der ein Kind
in ihr lebt, zur Familie. Eine Familie
ist also immer da, wo Kinder sind.
Alle Wo Kinder sind!
(…)
Sebastian Die Familie ist wie eine stabile Leitplanke auf der Autobahn des Lebens.
Alle Die Autobahn des Lebens!
Sebastian Der Fahrer kann auf ihr fahren und
seinen Weg allein bestreiten, aber
wenn er an Baustellen, Verengungen oder
sonstigen Hindernissen vorbeikommt und
droht, aus der Spur zu kommen, ist die
Leitplanke da, um den Fahrer wieder auf
die richtige Spur zu bringen, aber auch
Halt zu bieten.
Inspirationsquellen – Womit sich die Theatergruppe beschäftigt hat:
Alles Familie!: Vom Kind der neuen Freundin vom Bruder von Papas früherer Frau und
anderen Verwandten Kinderbuch von Alexandra Maxeiner (2010)
La belle verte (Der grüne Planet) Film von Coline Serreau (1996)
Sleeper (Der Schläfer) Film von Woody Allen (1973)
Lord of the Flies (Herr der Fliegen) Film von William Golding (1954)
Nora oder Ein Puppenheim Schauspiel in drei Akten von Henrik Ibsen (1879)
Sonnenallee Film von Leander Haußmann (1999)
Emil und die Detektive Roman von Erich Kästner (1929)
Bei uns zu Hause aus der Reihe Sehen und Hören, Schwager & Steinlein GmbH (1986)
Familien im Brennpunkt Pseudo-Doku-Soap des privaten Fernsehsenders RTL
… und dann noch – STÄNDIG – mit den eigenen Gefühlen und Gedanken!
Leitfaden für ein Interview zum Thema Familie
Zwischenreich ist eine Stückentwicklung mit forschendem Ansatz. Die Spieler*innen sind über die Projektlaufzeit hinweg immer wieder auf andere Menschen zugegangen und haben sie zu bestimmten Familien-Fragen
interviewt: Passanten, Verwandte, sich gegenseitig. Die Ergebnisse sind indirekt und direkt in das Stück eingeflossen.
Ziel: Erfahren, was andere über Familie denken / Diversität / andere Familienmodelle entdecken
Empfehlungen: Einen guten Ort für das Interview finden* keine persönlichen Fragen am Anfang* mit dem
Interviewpartner in ein Gespräch kommen* Persönlich werden* selber auch persönlich werden*
4 Stationen und mögliche Fragen,
die durch so ein Gespräch führen könnten:
1. Das Ideal
Was ist Familie für Sie? Welche Familienglieder
gehören dazu? Wer gehört dazu? Kennen Sie alle?
Was sollte die Familie erfüllen?
2. Abgleich mit der Realität
Wie zufrieden sind Sie mit ihrer Familie? Was hätten
sie gerne anders? Was nervt in der Familie? Was
besprechen sie mit der Familie? Und was nicht?
3. Ersatzfamilie
Mit wem besprechen Sie die Sachen, die Sie mit der
Familie nicht besprechen? Ist das dann auch eine Art
Familie?
4. Andere Familienmodelle/Utopien
Kennen Sie aus eigener Erfahrung Familienmodelle/
Ideale aus anderen Kulturkreisen? Könnten Sie sich
vorstellen, das für Sie zu übernehmen? Oder Teile
daraus? Was wären andere Familienmodelle?
Frage
Antwort
Frage
Antwort
In welchen Momenten ist Familie schön?
An Weihnachten.
Wann nervt Sie Familie?
An Weihnachten.
Mehrfachantwort aus Interviews der Spieler*innen mit
Passant*innen, 17. Januar 2015
Alle Bieten!
23
Ein fundiertes Experten-Fachgespräch zum Thema Familie
AUS DEM STÜCK
Dominik Ich möchte jetzt noch mal
ein fundiertes Experten-Fachgespräch zum Thema
Familie führen!
Anna Aber das tun wir doch die
ganze Zeit!
Diandra Ja, aber es muss noch
fundierter gehen, wir
müssen noch weiter zum Kern
der Sache!
Martin Schlagwörter! Wir brauchen
mehr Schlagwörter!
Erric Mitleid!
Louise Probleme!
Shiva Angst!
(…)
Sunny Gibt es nichts auf der
Pro-Seite der Liste,
irgendwas Positives?
Jerôme Liebe!
Martin Mann, Liebe! Diese alte
Tante kannst du doch nicht
immer wieder aus dem Keller
hoch holen!
Celina Wieso war sie denn schon
wieder im Keller?
Reno Das war eine Metapher. Das
wissen wir doch mittlerweile, was eine Metapher
ist.
Anna So wie Familie!
Sebastian Nein, eben nicht. Die
Familie ist in vielen
Fällen, wenn nicht
sogar allen, etwas sehr
Konkretes. Sie wird oft,
sehr oft, romantisiert, sie
ist die konkrete Lebensrealität von vielen Kindern.
Martin Familie steht für etwas
Altes, Traditionelles, man
sehnt sich oft nach diesen
alten vertrauten Strukturen.
24
Diandra Dabei ist sie doch auch so problembehaftet. Viele Probleme von Erwachsenen
sucht man später im Schoß der Familie!
Reno Im Schoß?
Celina Das ist eine Metapher!
Sonja Ach so.
Louise Die Familie ist ein zweiseitiges Schwert.
Ein Tisch mit drei Stühlen (Endstation Sehnsucht)
Vati, Mutti, Kindi … Die Forscher auf dem Planeten Seritox, auf dem
es – anders als auf der Erde im Jahre 2016 – noch traditionelle Familienformen gibt, entdecken immer wieder das Phänomen: Ein Tisch
mit drei Stühlen! Was aber, wenn eine Familie viel mehr Kinder
hat und die Stühle (und anderes, das Geld beispielsweise) nicht
reichen?
Welche Probleme in späteren Störungen fußen in Situationen, die
ursprünglich am Tisch mit drei Stühlen erlebt und erlitten wurden?
Von beiden Seiten geschliffen. Problembehaftet, sentimental, geprägt von Sehnsucht
und der Suche nach Zugehörigkeit!
Shiva Dem Geborgenen, das Kuschelige, das
wohlig Warme.
Louise Und dann, der Streit, der Konflikt! Das
Nichtfunktionieren. Das Kaputte.
Erric Familie sind alle, die durch Blut und
biologisch nachweisbare Ähnlichkeit mit
dir verbunden sind.
Jerôme Und dann noch alle anderen.
Shiva Ja! Alle anderen auch. Also sind alle
Familie.
Dominik Alle, die dir ein Zuhause geben. Die dich
lieben, für dich sorgen und dich pflegen.
Celina Alle, die um dich herum eine Schutzhülle bauen und auf die du in jeder
Situation vertraust.
Martin Alle, die mit Weisheit und klugen
Worten erziehungstechnisch für den Rest
deines Lebens vorsorgen.
AUS DEM STÜCK
Anna So ein Schlamassel!
Erric So ein Schlamassel! Was werden bloß die Nachbarn sagen?
Michelle Nein! Nein! Bitte nicht! Nicht die Nachbarn! Bitte, bitte nicht!
Michelle (steht auf und schützt sich mit den Händen vor dem Licht) Nein, nein!
Bitte lassen Sie das Licht aus! Schalten Sie das Licht nicht ein, bitte!
Oh, bitte nicht! Behalten Sie Platz! Lassen Sie mich bloß mal hier durch!
(…)
Shiva Oh nein, er spielt Blanche DuBois. Das ist ja furchtbar!
Reno (vorne zum Publikum) Das ist ein kurioses Phänomen aus dem Jahre 2015.
Wenn die Menschen im Jahr 2015 ihre Familientraumatase nicht bewältigen
konnten, haben sie Rollen aus „Endstation Sehnsucht“ gespielt.
(…)
Diandra (währenddessen, ins Publikum) Irgendwann haben nicht nur die Betroffenen,
sondern auch die Therapeuten und die Leute vom Amt und die Lehrer und
sogar am Ende alle, alle haben „Endstation Sehnsucht“ gespielt.
Diandra Die Menschen, die selbst in schweren
Zeiten nicht von deiner Seite weichen.
Sebastian Familie sind Menschen, die es wagen,
mit dir – von welchem Standpunkt auch
immer – von Vorne zu starten.
Louise Alle, die keine Angst haben, sich mit
dir zu beschäftigen, die aufhören zu
schlafen und anfangen deine Hand zu
nehmen und durchzustarten.
Sonja Familie sind die Menschen, die du zu
deiner Familie machst und mit denen du
gemeinsam alles schaffst.
Louise Das sind alles nur Möglichkeiten, das ist mein
Standpunkt zum Thema Familie.
25
Was ist denn
Familie?
„Es gibt keine
»Ersatzfamilien«– Familie ist
immer das, was Du hast.“
Bei uns zu Hause
AUS DEM STÜCK
Quelle: Bei uns zu Hause
aus der Reihe Sehen und
Hören, Schwager & Steinlein GmbH (1986)
Die Schlussszene im Stück wird über dieses Buch eingeleitet. Die Spieler schlagen vor,
zu überprüfen, ob bei jedem von uns zu Hause „geräuschemäßig alles in Ordnung
ist“? Klingt es bei Ihnen auch so? Oder ganz anders? Da kann man schon in Verwirrung
geraten … woraus dann auf der Bühne eine herrliche Bühnenkampfszene zwischen den
Widersachern entsteht: Nein, bei mir macht es eben nicht schnurr schnurr, sondern
wuff wuff!
Stolpersteine · Meilensteine · Edelsteine
Stolperstein: Es gab etwas, was im Theater nicht so
gut funktioniert hat. Erstmal, dass Personen kurz vor
der Premiere ausgestiegen sind. Da mussten wir den
kompletten Text einer anderen neuen Person geben,
die es am Anfang ziemlich schwer hatte.
Meilenstein: Ich finde es toll, in der Volksbühne
Theater spielen zu dürfen. Das ist für mich ein großer
Erfolg und ein riesiges Erlebnis.
Edelstein: Am besten fand ich die Fahrt in Grünheide.
Genauso wie die Szenen: Familie im Brennpunkt,
Interview mit Nora und der grüne Planet.
Reno, 16 Jahre
Stolpersteine · Meilensteine · Edelsteine
Stolperstein: Ich habe mich nie getraut zu reden, wenn das
Kamerateam in der Nähe war. Und ich habe nie gelernt zu Hause
– immer nur hier auf der Probe.
Meilenstein: Bei der Generalprobe: Wir können fast alles!
Edelstein: Die Reise: Wie wir nicht geschlafen haben. Wie ich
mit Michelle abends am See über traurige Sachen geredet habe
(über tote Tiere).
Anna, 12 Jahre
26
Timmy Es gibt dieses merkwürdige Vokabular von Ersatzfamilien, und es
gibt so etwas wie richtig und falsch, und es gibt normal und
anscheinend so etwas, was nicht normal ist oder was ein Ersatz
sein soll. Wenn man sich an etwas orientiert, was nicht die
Familie ist, an einer Jugendbewegung zum Beispiel, an Freunden,
an Formaten, die nichts damit zu tun haben, wer dich biologisch
gezeugt hat und dich aufziehen sollte... Man nennt es Ersatz,
weil es ein Ersatz sein soll, aber es geht immer um das Ganze,
es ist nie nur ein Ersatz. Es ist immer das richtige Leben, das
man führt, es ist nie falsch, es ist nie nicht richtig oder nicht
normal. Wenn jemand etwas da findet, wo er es suchen sollte. Wenn
jemand das bekommt, was er bekommen sollte.
Das fertige Stück …
… stellt in 12 Kapiteln die Ergebnisse dieser 5-monatigen Auseinandersetzung mit dem Thema Familie vor.
Die Darsteller spielen Theater im Theater und schaffen
sich damit einen ersten Ironierahmen für ihre Aussagen.
Schnelle Dialoge bieten eine Sammlung markanter Familienbeobachtungen und Aussagen zu Wunschtraum,
Realität und Status mancherseits beobachteter Familienverhältnisse.
Henrik Ibsens „Nora oder Ein Puppenheim“ dient als
Vorlage für eine lange Szene, in der eine alleinerziehende
Mutter über die Mühen der Aufzucht ihrer 23 Kinder klagt
und ein verzerrtes Abziehbild der traditionellen Familie
bietet. Auf einem anderen Planeten gewinnen Weltraumforscher überraschende Einblicke in traditionelle
Vati-Mutti-Kindi-Familien und fragen sich, was hieran
wohl der evolutionäre Vorteil sein soll. Ein selbstgedrehter
Reality-Soap „Familien im Brennpunkt“ schließlich nimmt
prekäre Verhältnisse unter die Lupe. Im Kongress der Pflegekinder schließlich wird nochmal ordentlich auf den Tisch
gehauen!
Unser Plakat im Design der
Volksbühne Berlin
27
Probenprozesse
Meilensteine
Der künstlerische
Ansatz
Ein Gespräch zwischen dem Regisseur Jan
Koslowski, der Theaterpädagogin Vanessa
Unzalu-Troya,
der
Assistentin
Marlene
Kolatschny und der Projektleiterin Katrin
Behrens
Katrin Behrens: Jan, Vanessa, Marlene – Ihr
seid das künstlerische Herz des Theaterstücks
„23 Pflegekinder rauben Dir den Schlaf. Das Ensemble steht dem Titel kritisch gegenüber“. Welche Erfahrung
habt Ihr bisher in der Arbeit mit Jugendlichen?
Marlene Kolatschny: Ich ganz wenig. Wenn, dann nur aus meiner eigenen Jugendzeit. Aber das ist natürlich
eine ganz andere Erfahrung.
Jan Koslowski: Ich habe selbst mitgemacht bei P14. Insofern unterscheide ich die Produktionen, die ich da als
Teil der Gruppe mitgemacht habe, mit denen bin ich mitgewachsen. Dann später kam ich von außen dazu,
eben als Regisseur.
Vanessa Unzalu-Troya: Ich arbeite kontinuierlich mit Jugendlichen seit 2006. Erst im Jugendclub im Hebbel
am Ufer (HAU) und dann andere Sachen im freien Kontext, immer mit Theater und Spielen. Seit 2008 bin ich
die Leiterin von P14.
Katrin Behrens: Was waren Eure ersten Gedanken, als Ihr wusstet, dass wir ein Stück über Familie machen
werden?
Vanessa Unzalu-Troya: Ich wollte schonmal was zu Familie machen, 2006 im HAU. Wir dachten an so ein
Mehrgenerationenstück, also Mutter Tochter oder Vater Tochter oder auch Mutter Sohn und Oma oder so.
Das wurde aber abgeschmettert damals, weil die gesagt haben, ein Stück über Familie, naja! (lacht)
Jan Koslowski: Das erste woran ich gedacht habe war, dass wir ja schon mal eine Auseinandersetzung zum
Thema Familie hatten, als wir die „Orestie“ zusammen gemacht haben, Vanessa und ich. Da ging es viel
um Familienbilder und Familienstrukturen und Geschlechterrollen. Da habe ich sozusagen einen Gedanken
wieder aufgenommen.
Marlene Kolatschny: Mein erster Gedanke war vor allem, weil wir ja vorher ein Stück über Freundschaft
gemacht hatten, dass das jetzt logisch weiter gedacht ist: Jetzt ist Familie dran.
Jan Koslowski: Ich mag Themen, die am Anfang so ungriffig sind. Vor den großen Begriffen und Themen hat
man immer so eine Scheu. Das finde ich aber eine attraktive Herausforderung, das bearbeiten zu können.
Vanessa Unzalu-Troya: Wir haben gesagt, dass wir da da erst mal mit dem abstrakten Begriff reingehen, ohne
Wertung. Und wir wollten dann auch schon gleich das Thema Bande mit reinnehmen. Was gibt es denn
noch? Was kann auch wie Familie sein? Eben nicht nur die biologische Herkunftsfamilie.
Katrin Behrens: Was war für Euch die größte Überraschung auf diesem Weg?
Jan Koslowski: Bei mir gab es Momente, wo ich Angst
hatte, dass eine bestimmte Theatersprache vielleicht
nicht hinzukriegen ist. Dass ein bestimmter Umgang
mit Dingen, die vielleicht weh tun, in der Altersspanne nicht umsetzbar ist. Das war zwei-, dreimal
haarscharf… aber dann haben wir uns – das fand ich
28
UNSER
BÜHNENKAMPF
überraschend – ziemlich schnell so eingepegelt als Gruppe. Und dann sah ich keinen großen Unterschied zu
einer Arbeit mit Profis – vielleicht von der Konzentration her, das Abwarten, bis man dran ist und so – aber
vom Verständnis her, wie man sich so den Ball zuwirft auf der Probe, nicht.
Vanessa Unzalu-Troya: Wichtig fand ich dabei, dass wir die längeren Probenwochen hatten. Da knackt viel
auf, wir haben eine gemeinsame Sprache gefunden und hatten Zeit zu diskutieren und wussten, wir sehen
uns ja morgen wieder. Beim Titel zum Beispiel, da hatten wir so eine richtig lange Runde und jeder hat was
gesagt. Und erst war es so, der Titel ist doof, und dann nach der Runde fand das nur noch die Hälfte doof. Vati
Mutti Kindi, der ursprüngliche Titel war ja schon abgeschmettert. Aber hier hat sich jetzt jeder geäußert und
nicht nur so bei dem eingereiht, was der Vorgänger gesagt hat. Eine viel differenziertere Meinung, von allen.
Marlene Kolatschny: Ich war ja zwischendurch ein paar Wochen nicht da und der Kontrast war ziemlich stark.
Ob es an meiner Abwesenheit lag, weiß ich nicht (lacht) … Die haben sich viel mehr getraut und waren viel
begeisterter und haben viel aktiver danach gesucht, sich einbringen zu können und auch Texte selbst zu übernehmen. Hatten auch eine starke Meinung darüber, was funktioniert und was nicht.
Katrin Behrens: Nicht alle Proben haben ja mit der gesamten Gruppe zusammen stattgefunden. Eine Gruppe
hat sich mit den beiden Musikern Jonathan Hamann und Max Grosse Majench und der Theaterpädagogin
Maura Meyer auf einen eigenen Weg rund um das Thema Familie begeben. Zum Schluss ist auch noch eine
Arbeitsphase mit dem Bühnenkampfexperten Anton K. Krause dazu gekommen, der die Gruppe trainiert und
die Abschlussszene choreographiert hat. Was hat das für Eure künstlerische Arbeit bedeutet, diese Umstellung
im Plan?
Stolpersteine · Meilensteine · Edelsteine
Stolperstein: Meine Stolpersteine waren wirklich
das Lampenfieber und die Aufregung vor den
Aufführungen, dass ich meinen Text vergesse
oder irgendwas falsch mache. Ich weiß, es ist
nicht schlimm, aber ich bin ein sehr perfektionistischer Mensch. Und dieser Perfektionismus war
und ist mir immer noch ein Stolperstein.
Meilenstein: Meine Meilensteine waren der
Fortschritt, den ich in puncto Sicherheit auf
der Bühne gemacht habe. Die Aufregung vor
den Aufführungen ist weniger geworden und
ich fühle mich mittlerweile richtig wohl auf der
Bühne.
UNSERE
BAND
Edelstein:
Meine
durchs
Theater
neugewonnenen Freunde sind auf jeden Fall die
größten Edelsteine, die ich hätte finden können.
Sie sind einfach wunderbare Menschen und ich
bin echt froh, dass ich die Chance genutzt habe,
bei so etwas einmaligem mitzumachen. Nach
Beendigung des Theaterprojekts hört das Theaterspielen für mich nicht auf: Das Theater selbst
habe ich für mich entdeckt und ist somit auch
ein Edelstein für mich.
Diandra, 12 Jahre
29
Probenprozesse
Meilensteine
Stolpersteine · Meilensteine · Edelsteine
Der künstlerische
Ansatz
Vanessa Unzalu-Troya: Ich fand das super – die Gruppe war zu groß, der Raum zu klein, eine Überforderung
für alle!
Jan Koslowski: Was ich an der Idee so gut fand, war, ganz grundsätzliche Theatermittel auch einzeln zu bearbeiten. Und das sieht man jetzt ja auch am Stück: Es gibt eine ganz klare Spielebene, eine Textebene, die
selber erarbeitet ist, auch eine klare Spielerhaltung, es gibt eigenproduzierte Musik, es gibt Bühnenkampf und
choreographische Elemente.
Vanessa Unzalu-Troya: Eine große Überraschung war dann eigentlich die Endprobenphase, dass es so einfach
war, das alles wieder zusammenzuführen.
Marlene Kolatschny: Ich fand sehr wichtig, dass am Ende alle auf der Bühne standen, dass nicht ein Teil nur
Technik macht oder so.
Jan Koslowski: Da war ich von vorneherein sicher, dass das so kommen würde. Obwohl ja mindestens 6 oder
7 gesagt haben, dass sie niemals auf die Bühne gehen würden.
Katrin Behrens: Jan, gab es für Dich einen Moment, ab dem für Dich klar wurde, wie am Ende der Stückentwicklungsphase das Stück dann aussehen könnte?
Jan Koslowski: Ich habe eigentlich immer von Anfang an wenigstens ein Bild im Kopf und dann habe ich auch
ein Gefühl für das Stück. Und das hat sich auch hier schnell eingestellt, eigentlich schon auf der Theaterreise
nach Grünheide. Zwischendurch habe ich daran auch nochmal gezweifelt, wie sich das spieltechnisch tragen
würde, aber dadurch, dass die Jugendlichen dann so selbstsicher die Texte generiert haben und damit umgegangen sind, stand das nicht mehr zur Debatte.
Ich bin ja bisher auch bekannt dafür, eher in Collagen zu arbeiten. Und für uns war es erleichternd, das Stück
sehr früh in Kapitel aufzuteilen, auch im Gespräch mit den Spielern. So hatten wir eine Struktur gefunden.
Und für mich stand nie an, eine Storyline von A nach Z zu haben.
Total erstaunlich, dass viele Mitspieler, nachdem sie anfangs ganz fixe Vorstellungen hatten, wie Theater zu
sein hat, sich am Ende völlig frei gemacht hatten von tradierten Formen und Vorstellungen. Dazu hat sicher
auch viel beigetragen, dass wir ja mehrmals zusammen ins Theater gegangen sind und darüber diskutiert
haben: Was habt ihr gesehen, was hat für Euch funktioniert, was nicht?
Stolperstein: Mein Kongress-Text. Und die Szene 11
Seiten Text. Da habe ich mich immer wieder verredet
bei der Probe. ...bäääh, war das doof.
Katrin Behrens: Wie ging der Wechsel zwischen
Ideen, Szenen und Texten, die während der Probe
entstanden sind, der Weiterverarbeitung und
anschließend dem Weiterproben damit?
Meilenstein: Das war auch bei den Texten: da habe
ich mich auf einmal so gut gefühlt, als ich es geschafft
habe.
Jan Koslowski: Es gibt vielleicht so vier Momente auf
einer Probe. Da ist einmal die thematische Diskussion. Aus der Diskussion sind Textaufträge verteilt
worden an die Teilnehmer, manchmal mit ein bisschen Hilfe, wie so ein Dialog gestaltet sein könnte.
Edelstein: Nachts auf der Theaterreise. Da haben wir
nicht geschlafen und immer noch gespielt. Und am
Anfang im Stück, dass wir da so mit tanzen müssen.
Shiva, 9 Jahre
Beim Schreiben entwickelt man dann ja auch wieder
weitere Ideen … und einen Humor. Dann gibt es so ein grundsätzliches Verständnis von diesen Texten, worum
es da jetzt eigentlich geht. Und dann muss man sich die Frage stellen, wie man das jetzt auf die Bühne bringt.
Und das fand ich dann total genial, denn da gab es dann schon einen schönen Schlagabtausch zwischen den
Spielern und der Regie, was Formen und Inhalte angeht.
Katrin Behrens: Für mich war das in Grünheide auch sehr stark: Wie sehr alle Spieler diese erste Kongress-Szene
da ernst genommen haben; mit welchem Spaß sie die Erwachsenen kopiert haben, die über die jugendlichen
Pflegekinder, also sie selbst, sprechen.
Jan Koslowski: Das ist natürlich auch viel Arbeit. Man lässt erst mal alles zu und muss am Ende wieder sehen,
wie man da Stringenz reinbekommt. Aber eben auch zu merken, dass diese Art von Entwickeln und Schreiben
was ganz anderes ist als man es vielleicht von der Schule kennt. Das kann Spaß machen!
Katrin Behrens: Noch kurz vor der Premiere haben wir unheimlich viele Textlücken erlebt, Unsicherheit in den
Abläufen, noch schwache Stimmen und wenig Abstimmung unter den einzelnen Spielern. Da stellt man sich
schon manchmal die Frage, soll man den Rahmen an die Möglichkeiten anpassen – oder aber werden sich
die Möglichkeiten noch in den Rahmen hineinentwickeln. Vanessa, Du hast zu 100 % daran geglaubt, dass
das dennoch nicht nur „was wird“, sondern gut wird. Was passiert da, nach Deiner Erfahrung, genau in den
letzten Probentagen zwischen den Spielern und ihrem Stück?
Vanessa Unzalu-Troya: Ich kann nur sagen, dass diese Quantensprünge immer stattfinden. Für mich war ganz
klar, dass man, wenn man in dieser Phase an Texten kürzt, dass man dann eine Verunsicherung produziert.
Und dass es viel besser ist zu sagen, das klappt, das schafft Ihr, bleibt dran!
Jan Koslowski: Ja, und wenn wir angeboten haben, dass man gegebenenfalls auch noch was rausnehmen
kann, dann wollte das auch keiner mehr, keiner wollte was vom Text aufgeben. Also waren sie eben auch voll
dran.
UNSERE
BÜHNE
Katrin Behrens: Und ich habe immer den Eindruck, dass erst in dieser letzten Phase plötzlich der letzte Schritt
dieser „Aufmerksamkeitsschulung“ geschieht, dass man nämlich plötzlich wirklich auf den anderen achtet,
dass man lauter spricht, um gehört zu werden, dass man die Szene verfolgt und passiv mitspielt, wenn
ein anderer gerade aktiv spielt. Also all das, was in Grünheide ja überhaupt noch nicht da war. Jetzt, in der
Endprobenphase, hat es auf einmal Klick gemacht, nach und nach bei jedem. Und plötzlich sind die Stimmen
lauter, die Textanschlüsse stimmen …
Vanessa Unzalu-Troya: ... ja, und dann wurden noch Szenen gelernt, in nur zwei Tagen, von
Leuten, die gesagt haben, ich gehe niemals auf die Bühne.
Marlene Kolatschny: Es stützt natürlich auch ungemein, wenn man dann auf der Bühne
30
31
Probenprozesse
Meilensteine
Der künstlerische
Ansatz
probt, im Bühnenbild, in der gestalteten Umgebung, und dazu der Druck, sich klar zu machen, da kommen
in ein paar Tagen Leute, um sich das anzusehen. Der Druck macht die Möglichkeiten da nochmal größer.
Jan Koslowski: Wir sagen ja auch immer zu den Spielern: „Wir, Jan, Vanessa und Marlene, werden nachher
nicht auf der Bühne stehen, sondern ihr!“ Das schockiert immer erst dann, wenn es konkret wird, und wenn
klar ist, dass dann auch niemand mehr aus dem Zuschauerraum Hinweise gibt oder dazwischen geht oder
weiterhilft. In dem Moment wird den Spielern, glaube ich, klar, dass es ihr Ding ist, dass sie das jetzt alleine
hinkriegen müssen.
Katrin Behrens: Ist das nach Eurer Erfahrung das gleiche mit Profispielern – oder was ist da der Unterschied.
Jan Koslowski: Ich glaube, bestimmte Sachen laufen mit Profis einfach routinierter ab. Hier ist der größte
Unterschied, dass es für viele ja das allererste Mal gewesen ist, und bestimmte Dinge brauchen einfach Zeit,
um sich als Erfahrung zu setzen. Da hätte ich mir manchmal schon gewünscht, sogar noch etwas mehr Zeit
zu haben.
Marlene Kolatschny: Der Vorteil, wenn man mit unerfahrenen Menschen Theater macht, ist, dass man durch
deren Umgang mit dem Theater und durch deren Perspektive auch nochmal neu hinterfragt, wie festgefahren
das eigene Bild von dem, was man macht, eigentlich schon ist. Dass man selber auch wieder weiter aufmacht.
Jan Koslowski: Da fand ich ganz schön einen Moment, in dem wir eine Szene am Tisch geprobt haben, und
ich habe gesagt, Anna, dreh doch mal Deinen Stuhl um, das Publikum kann dich doch so gar nicht sehen, und
Anna hat geantwortet: warum, das würde ich in dieser Szene doch nie machen! Daraus ist in gewisser Weise
resultiert, dass die Spieler am Anfang des Stückes ziemlich lange für sich selber spielen, wodurch ja auch die
Frage mit im Raum steht, macht man das für´s Publikum, und wenn ja, warum? Und so entwickelt sich das
Stück dann ja dann weiter und geht ganz offensiv auf sein Publikum zu.
So was habe ich mich davor schon länger nicht mehr gefragt.
Jan Koslowski: … aber andererseits ist doch schon klar, dass man nicht einfach mit einer zynisch-ironischen
Theaterhaltung über bestimmte Dinge hinweg gehen kann, wie man es bei Profispielern vielleicht machen
würde. Sondern man hat doch tatsächliche Experten auf der Bühne, keine Schauspieler, sondern Leute, die
über ihre Leben erzählen. Da muss man ja Respekt haben!
Katrin Behrens: Eine letzte Frage: Steht Ihr dem Titel kritisch gegenüber?
Marlene Kolatschny: Ich mag den Titel jetzt eigentlich sehr gerne, so mit dem Untertitel zusammen.
Vanessa Unzalu-Troya: Ich mochte den ja von Anfang an. Ich hatte nur einmal Zweifel daran, als ich hörte,
dass jemand sagte, wenn ich dann in der U-Bahn sitze und habe das Textbuch, dann decke ich den Titel zu …
da dachte ich dann schon, ach Mist, vielleicht war das doch nicht richtig …
Jan Koslowski: Aber ich habe wiederum das Gefühl, dass genau die darum gerankte Diskussion genau das
war, was wir alle gebraucht haben, um uns der Thematik nochmal bewusster zu werden. Das war natürlich
ein ziemlicher Brocken, aber dann mussten wir diesen Drops halt lutschen (lacht) und dann ging es auch
weiter.
Katrin Behrens: Für mich ist da ein schönes Spannungsverhältnis in dem Titel, was abbildet, wie die Arbeit
war, dass es da selbstbewusste Gegenüberstellungen gab. Und das ist es, was den
Titel, auch wenn er sperrig ist, so interessant zu lutschen macht …
Jan Koslowski: Ich finde auch die Vorstellung herrlich, dass jemand, der sich
dafür eine Karte kaufen will, das dann aussprechen muss: Ich hätte gerne
eine Karte für „23 Pflegekinder rauben Dir den Schlaf! Das Ensemble steht
dem Titel kritisch gegenüber“...
UNSERE
PREMIERE
Katrin Behrens: Hat für Euch die Tatsache eine Rolle gespielt, dass die Beteiligten alle Pflegekinder
sind?
Vanessa Unzalu-Troya: Vielleicht am Anfang, am Ende habe ich das eigentlich nicht mehr präsent
gehabt.
Jan Koslowski: Uns war wichtig, dass wir da nicht in so eine kitschige Sentimentalität verfallen dürfen.
Marlene Kolatschny: … aber andererseits haben wir doch die Erfahrung gemacht, da gar nicht so
sensibel sein zu müssen …
Stolpersteine · Meilensteine · Edelsteine
Stolperstein: Der eine Text, dass der so lang war!
Stolpersteine · Meilensteine · Edelsteine
Edelstein: Ich fand toll, als Max, der
Musiker, für uns gesungen hat.
Max, 16 Jahre
Meilenstein: Als ich den Text dann geschafft habe
nach fast zwei Wochen.
Edelstein: Dass wir das alles geschafft haben. Und als
alle angefangen haben zu klatschen, da waren wir so
erleichtert!
Timmy, 12 Jahre
32
33
Bühne & Kostüme
Von der Skizze …
Claudia, Du hast die Bühne und Kostüme für „23“ gestaltet. Was
war die Grundidee und wann hat sich diese für Dich herauskristallisiert?
Als ich das zweite Mal in der P14 Bühne stand und dazu auch
noch wusste, wie viele Jugendliche auf der Bühne Platz finden
müssen, skribbelte ich in der VB-Kantine sofort ein großes Eck-Podest aus verschieden großen Würfeln … ein bisschen wie eine
Pyramide aus verschiedenen Mini-Bühnen, auf denen man sitzen
oder stehen kann.
Nach dem ersten Entwurfs-Gespräch mit Jan war dann klar, dass
sich die Würfel im Raum verteilen müssen, damit man den Raum
mehr bespielen kann und das ganze am Ende mehr wie eine Art
Landschaft wirkt. Und dann war auch schon schnell der „Techno-Club“ mit dem riesigen Smiley geboren…
Claudia Bartel hat als
Bühnen- und Kostümbildassistentin erste Erfahrungen
mit dem Expertentheater
von „Rimini Protokoll“
gemacht. „Zwischenreich“
ist die erste Produktion mit
Jugendlichen – und gleich
so vielen! – die sie ausgestattet hat.
… auf die Bühne
Was für Bilder haben Dich dann zur ganz konkreten Gestaltung des Bühnenbilds geführt?
Ich bin ja ein Kind der 90er und hatte auch ordentlich Spaß mit Atari, Gameboy und Nintendo …
Das Puzzlespiel wie bei Tetris kann man metaphorisch auch mit dem Leben oder eben dem Erwachsen-Werden vergleichen. Man versucht alles zueinander zu führen und wenn es nicht passt, dann
dreht man es solange, bis es geht oder fängt von vorne an.
Was bietet der Spielraum, den Du für die jugendlichen Akteure geschaffen hast – und wie haben sie
ihn in ihrer Inszenierung angenommen?
Bei Computerspielen simuliert man auch das „Level-Bestreiten“ und kämpft sich durch verschiedene
Hindernisse auf seinem Weg voran. Ich fühl mich manchmal selber so und hätte gerne Superkräfte,
um weit springen zu können oder manchmal unsichtbar zu werden. Am Ende stehen diese Würfel
auf der Bühne mit verschiedenen Bedeutungen. Sie sind Versteck, Hindernis, Bühne, ein Spielplatz
für alle Emotionen des Kindseins und Erwachsenwerdens.
»
34
35
Bühne & Kostüme
Du hast zwischendurch auch mehrere Workshops mit den Jugendlichen
durchgeführt. Was habt Ihr da gemacht?
Ganz am Anfang haben wir uns mit Behausungen beschäftigt und eine
ganze Reihe ungewöhnlicher Häuser – Baumhäuser, Bootshäuser … –
angeschaut und daraus versucht, Entwürfe für das Haus unseres Lebens
zu machen. Später, als die Ästhetik des Bühnenbilds klarer war, haben
wir einerseits mit der Pixel-Technik herumgespielt und Bilder und Flächen
entworfen. Andererseits haben wir eine Serie Kostüme für die Bewohner
des Planeten Seritox geschaffen.
Ich habe versucht, die Jugendlichen daran Teil haben zu lassen, wie ein
Bühnenbild und Kostümbild entsteht. Das zu Beginn immer alles möglich
ist, und dass man Mut zur Freiheit der Gedanken haben soll, um sie in
Ideen umzuwandeln und diese dann am Ende auch zu präsentieren.
Die ersten Entwürfe für die Kostüme waren viel bunter – nachher seid Ihr
auf eine schwarze Ästhetik mit 90er Jahre Diskoglitter gegangen. Wie kam
es dazu?
Ja das stimmt. Ganz zum Anfang stand ja auch noch die Idee mit dem
Planeten Seritox und spacigen Future-Design. Wir wollten aber dann
doch mehr einen realeren Charakter der Kostüme, nicht zu künstlich.
Die Bühne hatte ja von Anfang eine lichtreflektierende Ästhetik, und die
Bemalung sollte auch die Pixel-Ästhetik wie beim Smiley-Prospekt wieder
aufnehmen.
Moodboards
36
Die Idee mit dem Techno-Club hat dann schnell die 90er mit rein gebracht,
die wundervolle graphische Elemente hatten. Ich hab dann mit meinem
tollen Team einfach ein paar Elemente adaptiert und versucht, eine gute
Balance zwischen den Bühnenmustern und den Kostümmustern zu
finden. Zusammen mit Jan wurde dann schnell klar, dass die Kostüme
eine andere Ästhetik als die Bühne haben müssen, sonst hätte es mehr
nach Zirkus ausgesehen und nicht nach
selbstbewussten, coolen Kids, die einen
Club zu ihrem Zuhause machen. Die Silbernieten und Glitzerdrucke auf dem schwarzen
Untergrund sind eine gute Mischung aus
Hardcore, Rock und Disco! Perfekt für eine
Smiley-Revolution!
Stolpersteine · Meilensteine · Edelsteine
Wie haben die Kids auf Deine Entwürfe und
Vorschläge reagiert?
Stolperstein: Das ist für mich auf jeden Fall die Zeit!
Innerhalb von 2 Monaten musste ein ganzes Konzept
für die Inszenierung und Entwürfe geschaffen
werden, dazu noch die knappen Probenzeiten, bei 23
Spielern auch logistisch ein Wahnsinn, aber am Ende:
Alles Super!! Dank Teamwork & Optimismus!
Mit der Bühne hatten alle auf jeden Fall Spaß
und sie wurde vom ersten Moment an akzeptiert. Bei den Kostümen waren auch fast alle
zufrieden, mit 2-3 skeptischen Einwänden,
die wir dann aber immer ins Gute wandeln
konnten, so dass sich am Ende alle wohl
in ihren Sachen gefühlt haben und sie am
liebsten gleich mit nach Hause genommen
hätten. Jeder einzelne für mich hatte in
seinem Kostüm auf der Bühne eine ganz
neue Kraft und das war mein wichtigstes
Ziel!
( * und der Lagerraum bei P14 … Hallo Tetris! ;)
Meilenstein: Theaterluft tut gut! Das konnte ich bei
mir selbst beobachten und die 23 waren der beste
Beweis dafür!
Edelstein: 1. Der erste große Applaus für die Spieler
nach der Premiere!
2. Der erste große Applaus für die Spieler nach der
Premiere!
Was hat Dich auf diesem Weg am meisten
überrascht?
3. Und als die Spieler am Abend der Derniere vor der
Volksbühne gesungen haben … da habe ich Gänsehaut bekommen und hatte ne kleene Träne im Auge!
Claudia Bartel, Bühnen- und Kostümbildnerin
Die Flexibilität der Jugendlichen und
ihre wahnsinnige Kraft, sobald die Spots
angehen!
t
n gemalt und gekleb
n den Jugendliche
Seritox-Bewohner vo
37
Filmdokumentation
ht vorbei –
Ein Theaterprojekt ge
bleibt
die Filmdokumentation
Katrin Behrens hat den Dokumentarfilmer Leonel Dietsche nach
Ablauf des Projekts zum Interview eingeladen.
Leonel, was hat dich speziell an dem Pflegekinder-Projekt interessiert?
Am Anfang war ich relativ unwissend, was überhaupt Pflegekinder sind, und es hat mich total interessiert, mal mit Kindern
und Jugendlichen zu arbeiten. Und ich wollte mal Jan Koslowskis Arbeit genauer unter die Lupe nehmen, dessen Arbeit ich
sehr schätze. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie er diese
Gruppe bändigen würde (lacht) … Und es hat sich dann peu à
peu gezeigt, was alles dahinter steckt. Das wurde immer inter-
zu transportieren, und das finde ich ganz toll. Ich finde es schlimm,
Leonel Dietsche hat an der
Filmakademie Baden-Württemberg studiert und
arbeitet als freischaffender
Film- und Fernsehregisseur.
Er realisierte Filme für den
WDR, 3Sat und Arte. Er
hat das Projekt „Zwischenreich“ durchgängig filmisch
begleitet und auch die Filmprojektionen innerhalb des
Theaterstücks erstellt.
essanter.
Wie nah kommt man an die Protagonisten ran als Filmer, der ja immer auffällt und alle auch ein wenig
irritiert, wenn er so mit der Kamera auf einen zuhält?
Ja, das ist natürlich ambivalent. Einerseits haben die Kids häufig direkt in die Kamera geguckt und auch
gewunken … also was man sich als Dokumentarfilmer ja überhaupt nicht wünscht, weil man ja gerne
unsichtbar wäre. Aber andererseits habe ich schon am zweiten Tag Sachen mithören dürfen, die mich sehr
berührt haben, da war ein Bewusstsein, dass ich da bin, aber gleichzeitig eine sehr große Offenheit.
Gab es irgendwo Grenzen, für dich selber oder für die anderen?
Nee, eigentlich gar nicht. Es gab natürlich schon so Momente, in denen ich dachte, ob die das wohl jetzt
mögen – oder überhaupt auf dem Schirm haben – dass ich das später veröffentlichen werde. Ich habe aber
das Gefühl, dass das, worüber gesprochen wurde, privat ist, aber eben auch universell interessant. Ich möchte
diese Dinge insofern auch auf jeden Fall mit in die Doku mit reinmachen, würde aber im Einzelnen schon
nochmal prüfen und besprechen, ob das ok ist. Auch wenn – rein theoretisch – mit der Dreherlaubnis die
Rechte ja geklärt sind und ich alles verwenden darf. Aber ich bin schon jemand, der das immer in Absprache
mit den Protagonisten machen mag.
Was hat Dich besonders überrascht?
Besonders überrascht hat mich wirklich die Entwicklung von einzelnen Jugendlichen, wie sich manche innerhalb des Stücks, aber auch von der Persönlichkeit her um 180 Grad drehen, aufgehen und ein völlig neues
Selbstwertgefühl bekommen. Und dass alle so dabei geblieben sind, das hat mich echt beeindruckt.
wenn solche Projekte den Jugendlichen von Erwachsenen aufgedrückt
werden, so nach dem Motto, das ist gut für Euch. Aber hier hatte ich
wirklich den Eindruck, dass es aus den Jugendlichen selbst kam.
Hast Du das Gefühl, Du bist mehr dem Thema Familie begegnet oder
mehr dem Thema „Theater-Bande“?
Auf der persönlichen Seite hat mich das Familienthema mehr berührt
und beschäftigt. Ich habe natürlich auch eigene familiäre Erfahrungen (lacht), ich bin total behütet aufgewachsen, Eltern zusammen,
Geschwister, alles gut. Mir war vorher gar nicht bewusst, dass die Situation von Pflegekindern nochmal anders ist als von Adoptivkindern, dass
sie eben auch rum-transferiert werden. Ich habe gemerkt, wie schwer
das für einen Menschen ist.
Das Kernthema „Was ist Familie“ hat auch mich total zum Nachdenken
angeregt. Ich habe erkannt, dass Familie nicht immer bedeuten muss,
dass man blutsverwandt sein muss, sondern dass auch andere Familie
für einen sein und werden können. Da hat sich mein Horizont nochmal
ganz schön geweitet.
Ich war in der letzten Zeit viel im Ausland und habe darüber gemerkt,
wie schlecht das Thema Familie hierzulande gehandelt wird. Man ist in
der westlichen Welt so auf sich fixiert. In armen Ländern ist der familiäre Zusammenhalt das wichtigste. Da gibt es nicht so was wie „die
Eltern nerven“ oder so … Ich kenne das auch: Da wird die Oma alt und
dement und wird dann ins Altersheim gebracht, schrecklich. In anderen
Ländern leben die Familien halt noch unter einem Dach. Das finde ich
total toll.
Der Moment der Premiere und danach hat mich auch sehr berührt. Wie
alle so gemerkt haben, dass sie das geschafft haben, wie sie gewachsen
sind an diesem Projekt! Wenn man das mal so spürt, dann begreift
man, was man im Leben überhaupt alles machen kann. Es gibt so
viele Menschen, die so tolle Fähigkeiten haben, die vielleicht nie zum
Vorschein kommen. Oder welche, die die Chance nie bekommen oder
Für mich ist wirklich bewundernswert, wie Ihr als Team das geschafft habt, mit der Gruppe ein solches Stück
die Herausforderung nicht annehmen. Aber ich wünsche im Grunde
auf die Beine zu stellen. Ihr habt es geschafft, Themen, die für die Kids selbst wichtig sind, in das Stück
jedem, so eine Erfahrung mal machen zu können …
Die Filmdokumentation ist ein 30-minütiger Film und liegt als DVD dieser Broschüre bei.
Sie können die Doku auch online sehen: www.familien-fuer-kinder.de/23
Regie und Kamera: Ton: Schnitt: Produktionsleitung: Leonel Dietsche
Dominik Leube, Oscar Stiebitz, Tom Schön
Jan Bihl
Marlene Kolatschny
16:9 | Farbe | 30 Minuten | August 2015
38
39
KAPITEL 3 – ZUKUNFT
Auswirkungen
Feedbacks
Perspektiven
40
Auswirkungen
Feedbacks
Diese Intensität, die hat mich sehr angerührt.
Perspektiven
Tosender Applaus, begeistertes Publikum, ausverkauftes Haus …
… lobende Anerkennung von allen Seiten – ihre Premiere als Schauspieler an der berühmten Volksbühne im
Sommer 2015 werden die 23 beteiligten Pflegekinder aus Berlin wahrscheinlich ihr Leben lang nicht vergessen.
Das gemeinsame, erfolgreiche Theaterprojekt stärkte ihr Selbstbewusstsein enorm und wirkte für sie identitätsstiftend. Bei den Proben und auf der Bühne konnten sie erfahren, dass es noch viele andere Kinder gibt,
die unter vergleichbaren Umständen leben und auch in einer Pflegefamilie aufwachsen.
Ermöglicht hat ihnen dieses einzigartige Erlebnis die Familien für Kinder gGmbH. Die gemeinnützige
Gesellschaft fungierte als Projektträger dieses Theaterexperiments, in Kooperation mit der Volksbühne am
Rosa-Luxemburg-Platz. Der vielschichtige Erfolg dieses Projekts sollte Ansporn sein, in Zukunft vielen weiteren
Pflegekindern solche prägenden Erfahrungen durch gemeinsames Theaterspiel zu ermöglichen.
Pflegekinderhilfe im öffentlichen Fokus
Doch nicht ausschließlich für die Pflegekinder persönlich, auch für die Pflegekinderhilfe insgesamt hat dieses
Theaterprojekt einen großen Wert. Durch seinen Erfolg erreichte das Thema Pflegekinder eine deutlich größere
Außenwahrnehmung und öffentliche Aufmerksamkeit als normalerweise üblich. Nicht nur, weil sämtliche
sieben Vorstellungen ausverkauft waren und sogar zwei Zusatzvorstellungen anberaumt wurden. Auch die
Presse berichtete über dieses außergewöhnliche Theaterprojekt und rückte dadurch das Thema Pflegekinder
in den öffentlichen Fokus.
Nachahmer werden gerne unterstützt
Die Familien für Kinder gGmbH legt großen Wert auf eine nachhaltige Wirkung ihrer Arbeit. Darum hat sie
dieses Theaterprojekt nicht nur intensiv unterstützt und beworben, sondern es auch in einem Film und einer
Broschüre ausführlich dokumentiert. Diese Broschüre wird bundesweit in Fachkreisen verteilt, um diese dazu
anzuregen, möglicherweise vergleichbare Projekte zu initiieren. Und dadurch wiederum Menschen zu motivieren, eventuell selbst bedürftige Kinder aufzunehmen und Pflegefamilie zu werden.
Sie haben Interesse, ein ähnliches Projekt
ins Leben zu rufen?
Nur Mut – Wir beraten und unterstützen Sie gerne:
Peter Heinßen
Geschäftsführer Familien für Kinder gGmbH
Telefon: 030 / 21 00 21 0
Familien für Kinder gGmbH
Stresemannstraße 78, 10963 Berlin
www.familien-fuer-kinder.de
Fragen an die jungen Schauspielerinnen
und Schauspieler:
Was hättest du nie gedacht?
Ein Zuschauer
Echt eine super Sache,
die wiederholt werden sollte!
Da wurde ein tolles Theaterprojekt geplant und umgesetzt.
Das war mal ein Thema, was nicht alltäglich war. Ich finde,
dass es für diese Kinder bzw. Jugendlichen eine besondere
Herausforderung war, mal im Mittelpunkt zu stehen, wo sie
doch sonst schon egal wie alt einen holprigen und schwierigen Weg in ihrem Leben gehen mussten. Ich glaube, dass
dieses Theaterstück für diese jungen Menschen ein wichtiges und prägendes Ereignis gewesen ist und sie auch für
die Zukunft prägt. Echt eine super Sache, die wiederholt
werden sollte!
Ein Zuschauer
„Das Theaterprojekt hat die Kinder zum Nachdenken über ihr Leben angeregt …
… und „es hat vielen auch neues Selbstvertrauen gegeben“, hat
Angelika Nitzsche beobachtet. Und das ist auch die Botschaft,
die sie von vielen Pflegeeltern und Therapeuten bekommt, die
mit den Kindern zusammenarbeiten. Insofern hofft sie, dass
dieses Theaterprojekt Nachahmer findet und mehr Menschen
für die Problematik öffnet, sie vielleicht sogar motiviert, selbst
Pflegeeltern zu werden. Denn der Bedarf ist groß in Berlin. (...)
Ich hätte nie gedacht, dass ich mich auf eine
Bühne trauen würde, dass ich mich so etwas
traue. Michelle, 16 Jahre
Nach Angaben der Senatsverwaltung waren Ende 2014 insgesamt 2832 Kinder und Jugendliche in Vollzeitpflege betreut, 7
Prozent mehr als noch vor zwei Jahren. Darüber hinaus besteht
laut Senat ein Bedarf von etwa 500 weiteren Plätzen. (...)
Ich hätte nie gedacht, dass wir das alles in so
weniger Zeit schaffen. Timmy, 12 Jahre
Annette Kuhn, Berliner Morgenpost, 18.5.2015
Würdest du so was wieder machen
(wollen)?
Oh ja, jeder Zeit gerne, aber nur mit Klavier!
Michael, 16 Jahre
42
Am Anfang hat es mich irritiert, dass immer alle durcheinander riefen, aber irgendwann war ich in der Geschichte
drin und gespannt wie es weitergeht, und am Ende hatte
ich die Kids alle richtig ins Herz geschlossen. Ich hatte das
Gefühl, sie legen ihre ganze Lebendigkeit und alle ihre
Gefühle in dieses Stück, sie spielen so richtig „mit Leib und
Seele“. Diese Intensität, die hat mich sehr angerührt. Am
Ende des Stückes habe ich etwas besser verstanden, wie
diese Kinder denken, was sie freut und was sie nervt – und
dass sich die Tante vom Jugendamt manchmal einfach zu
viel rausnimmt.
Fragen an die jungen Schauspielerinnen
und Schauspieler:
Was hat das Theater
mit dir gemacht?
Ich habe gemerkt, dass das Theater mich
ein bisschen verändert hat. Ich traue mich
mehr, als zuvor. Ich habe außerdem mehr
Interesse am Theater gefunden und habe
Spaß dabei. Ich werde das komplette
Theater nicht vergessen. Reno, 16 Jahre
Dass man ruhiger geworden ist, das habe
ich schon gemerkt. Die Texte zu lernen,
war so schwer. Die Hälfte kann ich immer
noch nicht. Aber da hilft Tamara immer ein
bisschen. Max, 16 Jahre
Ich habe viel gelernt, hat mich verändert.
Ich reagiere nicht mehr so aggressiv und
kann viel ruhiger mit Situationen umgehen,
das ist auch meinem Sportlehrer aufgefallen. Michelle, 16 Jahre
Ich bin viel besser im Lesen geworden. Da
hat selbst die Lehrerin gestaunt. Auch beim
Auswendiglernen bin ich besser geworden.
Vor allem in der Schule merke ich das.
Shiva, 9 Jahre
Es ist so, dass ich mich besser konzentriere,
und dass ich mehr erreichen kann.
Timmy, 12 Jahre
Ich habe viele Sachen gelernt. Ich habe neue
Erfahrungen gemacht. Das Theaterprojekt
hat mich inspiriert und verändert.
Michael, 16 Jahre
Ich bin viel offener geworden mit Reden.
Früher hab ich meinen Eltern gar nichts
gesagt. Früher mussten sie alles rausquetschen aus mir. Ich bin nach Hause
gegangen und in mein Zimmer und hab
Fernsehen geschaut. Und jetzt nicht mehr.
Jetzt sitzen wir auch noch manchmal in der
Küche und reden. Basti, 17 Jahre
Erstaunlich, wie professionell diese Jugendlichen vor der Kamera aufgetreten sind und
wie frei sie gesprochen haben!
RBB-Reporter anlässlich einer Spendenaktion, bei der drei der Theaterjugendlichen Fahrräder gewonnen haben und vor der Fernsehkamera aufgetreten sind, im Juni 2015
43
Auswirkungen
Feedbacks
Perspektiven
Eine riesige Chance, Pflegekindern die Möglichkeit zu geben, sich offensiv und kreativ mit ihrer besonderen Lebenssituation auseinanderzusetzen
Von der Idee, ein Theaterprojekt mit Pflegekindern zu starten, bei dem es um sie selbst und ihre
Themen gehen sollte, hörte ich im April 2013 zum
ersten Mal. Diana Eschelbach berichtete von den
ersten Gedanken und fragte, ob ich Zeit und Lust
für ein Gespräch hätte. Es war die Anfangsphase
des Projektes und es ging zunächst ums Mitdenken,
Ideen sammeln und erste Kontakte zu Pflegekindern.
fällt. Sie sollen selbstbewusst sagen können „ich bin
Ich fand die Idee großartig und freute mich darauf,
mehr darüber zu hören und mitdenken zu dürfen.
Denn von Anfang an sah ich eine riesige Chance,
dass ein solches Projekt Pflegekindern die Möglichkeit geben kann, sich offensiv und kreativ mit ihrer
besonderen Lebenssituation auseinanderzusetzen.
zunächst einmal Kinder und Jugendliche. Aber wir
In meiner langjährigen Arbeit in der Pflegekinderhilfe
war es mir immer ein Anliegen, darauf hinzuarbeiten, dass Pflegekinder bei der Bewältigung ihrer
pflegekinderspezifischen Aufgaben unterstützt
werden und dass das Thema nicht aus einem gutgemeinten Wunsch nach Normalität unter den Tisch
ein Pflegekind“, wenn sie es möchten und sie sollen
Kinder wie alle anderen Kinder sein können, wenn
dieser Wunsch im Vordergrund steht. Diese Integration ihrer ungewöhnlichen Familiensituation ist ein
Motor zur Entwicklung eines positiven Selbstbildes.
Projektes, einem ungewöhnlichen Theaterabend,
der für mich die Botschaft vermittelte: Wir sind
sind auch Pflegekinder, die sich mit ganz speziellen
Themen und Herausforderungen beschäftigen. Die
wollen wir euch jetzt mal aus unserem Blickwinkel
heraus nahebringen und bei dieser Gelegenheit
zeigen wir auch mal, was wir alles so können.
Es war ein Abend, der zum Nachdenken angeregt
hat, aber vor allen Dingen war es ein sehr unterhaltsamer Abend.
Heidrun Sauer, Fortbildnerin in der Pflegekinderhilfe,
Gründungsmitglied Kompetenz-Zentrum Pflegekinder e.V.
In meiner Erinnerung ist der Beginn dieses Projektes
Am 19. Mai 2015 durfte ich mit in die Premiere des
der 26. April 2013. Da traf ich mich mit Diana Eschel-
Theaterstückes „23 PFLEGEKINDER RAUBEN DIR
bach. Sie erzählte von ihrer Idee.
DEN SCHLAF“. Ungewohnt, schrill und mega-genau
einer Theaterbühne, Fragen des eigenen Lebens zu
Aus seiner Sicht wichtig war, dass er viel Spaß bei der gemeinsamen Arbeit hatte und dass er das Gefühl hatte,
unter seinesgleichen zu sein (in Bezug auf Kinder, die nicht perfekt waren, auf Kinder, die ähnliche Probleme
wie er haben, und auf Leute mit viel Spaß und Neugier auf das Leben).
Pflegeeltern eines Schauspielers
haben sie den Zuschauern das Phänomen „Familie“
vor Augen geführt. Mit ihren unterschiedlichen
Ich war sofort gefangen.
Über das Theater-Projekt von Familien für Kinder gemeinsam mit der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
habe ich mich sehr gefreut. Ich war sehr gespannt auf die Kinder und Jugendlichen. Einige von ihnen kenne
ich persönlich und durfte sie ein Stück im Leben begleiten.
Dass Pflegekinder ihren Familien, Pflegeeltern und Begleitern gelegentlich den Schlaf rauben, war keine neue
Erkenntnis, dennoch, wie das Thema auf der Bühne umgesetzt wurde, hat mich überrascht.
Das Stück war schnell, laut und ging mit Musik und Interaktion los. Ich war sofort gefangen. Beeindruckt
haben mich die Kinder und Jugendlichen, wie selbstverständlich und sicher sie die Bühne beherrschten. Ihr
Teamgeist und das gute Miteinander der Gruppe wurden spürbar. Die Spielfreude war ihnen anzusehen. Wie
mutig sie waren und wie diese Kinder und Jugendlichen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen das Stück
gestalteten! Ihr freies Sprechen und Agieren hat mich an verschiedenen Stellen emotional sehr berührt. Und
ich musste richtig meinen Kopf anstrengen, um alle Bilder und Aktionen, die auf der Bühne um das Thema,
Lebensweisen, Lebenssituationen von Pflegekindern präsentiert wurden, zu verstehen.
Das Stück, die Kinder und Jugendlichen haben mich die gesamte Zeit über gefesselt, und es
wäre wunderbar, Pflegekinder öfter auf der Bühne zu sehen.
Einen Dank an alle Unterstützer und Begleiter des Projektes!
Jeannette Preiss, Fachkraft Pflegekinderhilfe
Ich bin stolz auf die Teilnehmer.
es schon mal mit Fleiß und Schweiß geschafft hat,
Es ging schon unter die Haut und macht seinem
Ich finde toll, wie sie mit der großen
Verantwortung umgehen, die ihnen zugeteilt wird. Wenn man sie überfordert und
Vertrauen schenkt, wollen sie nicht enttäuschen und wachsen über sich hinaus.
auf der Bühne zu stehen, kennt diese positive, Kraft
Titel „23 PFLEGEKINDER RAUBEN DIR DEN SCHLAF“
gebende Wirkung. Andere reden von „Anstren-
alle Ehre, vor allem, wenn man bereit ist, diese
Ein Künstler
gungsverweigerung“, und so ein Projekt schafft
vielen Botschaften ernst- und anzunehmen. Allen
Anstrengungsmotivation.
Fachkräften (und auch Pflegeeltern) kann ich nur
gestalten, künstlerische Freiheit nutzen zu können,
um auch das zu sagen, was sonst schlecht geht. Und
einen Nebennutzen hat so ein Projekt ja auch. Wer
Gemeinsam überlegten wir, wie aus einer Vision
44
… er hat einen großen Ehrgeiz und Ernsthaftigkeit an den Tag gelegt, was wir so nicht von ihm kannten.
Wichtig waren für ihn die Kontakte außerhalb des gewohnten Umfeldes, er ist da immer recht neugierig. Das
positive Feedback von den Schauspielern und Regisseuren hat ihm ungeheures Selbstvertrauen gegeben, was
ihn deutlich motiviert hat, an der gemeinsamen Sache dran zu bleiben und mitzuarbeiten. Dann hat er in für
ihn kurzer Zeit seinen Text gelernt, hat eine für seine Begriffe große Textpassage frei aufgesagt, was vorher mit
seiner Sprach- und Sprechstörung undenkbar war.
Deshalb war ich sehr berührt vom Ergebnis des
Ungewohnt, schrill und mega-genau haben sie den Zuschauern
das Phänomen „Familie“ vor Augen geführt
Ich fand diese Projektidee toll. Auf der Bühne,
Unser Kind hat sich von Anfang an für das Projekt begeistert …
Erfahrungen gefüttert, haben sie uns ihre Wünsche
und Sehnsüchte mitgeteilt, und eben auch, was sie
nicht möchten.
empfehlen, sich auf diese Erfahrung einzulassen.
Wirklichkeit werden kann. Wer, was, wo, wie …
Dr. Carmen Thiele, Fachreferentin, PFAD Bundesver-
eben all die Fragen, die eine Rolle spielen.
band der Pflege- und Adoptivfamilien e.V.
45
Ein Projekt mit viel Potenzial für Anregungen und Weiterentwicklungen –
Zur Nachahmung empfohlen!
Ich kann mich noch gut daran erinnern, als wir beim ersten Treffen alle schüchtern
und alleine herumsaßen …
Als die Premiere dieses Theaterstücks von und mit
Pflegekindern bei der Volksbühne in Berlin vorbei
war, war ich begeistert und übervoll von Eindrücken und Assoziationen. So schnell wie die Impulse
von der quicklebendigen Truppe gesetzt wurden,
konnte ich sie gar nicht verarbeiten. Thematisch
im Mittelpunkt standen viele – ganz widersprüchliche – Facetten des Themas Familie, da wurde nichts
einfach glatt geschliffen und in wohlfeile Formen
gepackt, sondern die Eindrücke sprudelten lebendig
in verschiedensten Formen, Bildern, Sprecharten
auf die Bühne und ins staunende Publikum hinein.
Da waren Koproduktionen erlebbar, die mich in
Erstaunen setzten, was so alles möglich ist, wenn
kreative Fachleute und kreative junge Menschen
Zeit finden, Erfahrungen von Pflegekindern in Bilder
zu setzen. Meinen Glückwunsch!
an Erfahrung und Selbstbewusstsein war – den
… bis wir ins Gespräch gekommen sind. Alle
zu dreißigst essen und hatten wirklich super viel
Eindruck machten die Akteure jedenfalls beim
waren total nett, sympathisch und aufgeschlossen,
Spaß. Wir sind zu einer richtigen Familie geworden
gelösten Zusammensein nach der Aufführung.
weshalb ich mich mit allen gut verstanden habe.
und werden es auch immer bleiben.
Mithilfe eines solchen Projekts gelingt es offensicht-
Dann kam die Fahrt.
Die Premiere war natürlich das absolute Highlight.
lich, die Pflegekinder – egal welchen Alters – als
Nach nur zwei gemeinsamen Treffen fuhren wir mit
Wir waren alle aufgeregt bis zum geht nicht mehr,
mündige Gesprächspartner in einen auch für sie
wildfremden Menschen auf eine einwöchige Thea-
weil wir nun zum ersten Mal unser selbst erarbei-
wertvollen Austausch über Familienfragen einzu-
terfahrt, auf der wir uns alle besser kennengelernt
tetes Stück vorführen würden. Es hat super viel
laden, der keine absichtsvolle Befragung ist, sondern
haben. Diese Fahrt und die Leute werde ich niemals
Spaß gemacht; genauso wie die anderen Auftritte.
ein offener Dialog.
vergessen, obwohl die Fahrt für mich nicht sehr gut
Ich nehme an, dass der Produktionsprozess des
Stückes für alle Beteiligten ein großer Zugewinn
Norbert Struck, Jugendhilfereferent beim Paritätischen
waren ziemlich anstrengend, dennoch hat es
Gesamtverband
sehr viel Spaß gemacht. Dann gab es ja noch die
Der hier vorliegende Bericht sowie eventuell die
Planung einer kleinen Selbstevaluation sind für
die Darstellung in der Fachwelt sicher hilfreich. Ein
Projekt mit viel Potenzial für Anregungen und Weiterentwicklungen – Zur Nachahmung empfohlen!
endete – ich bin krank geworden.
jedes Mal ein neues Erlebnis.
Ich kann mich auch noch sehr gut an die wöchent-
Wenn ich jetzt an die Theaterzeit zurückdenke,
lichen Proben erinnern. Wenn wir uns nach einer
anstrengenden Schulwoche am Freitag um 16
Uhr getroffen haben, um an unserem tollen Theaterstück zu arbeiten. Diese freitäglichen Proben
Probenwoche, in der wir anderthalb Wochen das
Theaterstück probten. Es war für uns alle sicher die
könnte ich einfach nur darauf losheulen. Wir haben
in den sechs Monaten gemeinsam so viele verschiedene wunderbare Sachen erlebt und es ist traurig,
dass diese Zeit bald zu Ende sein wird. Aber es soll
nicht enden! Ich werde immer mit diesen wunderbaren und super tollen Leuten in Kontakt bleiben,
denn wir haben einfach Unvergessliches erlebt, was
uns auch niemand nehmen kann.
Ich hab mal wieder gemerkt, dass es keinen Unterschied macht, mit welchen Jugendlichen
man Theater macht. Sondern dass man mit ihnen Theater macht.
anstrengendste, aber auch die schönste Woche. So
Die komplette Theatergruppe ist ein wichtiger Teil
gut wie jeden Tag haben wir ungefähr fünf Stunden
meines Lebens geworden und ich werde sie alle
Ein Künstler
miteinander verbracht und uns gegenseitig Tipps
immer im Herzen behalten. Es war eine einmalige
gegeben, wodurch wir zu einer richtigen Familie
Dieses Theaterstück erzielte beim Publikum und der Presse gleichermaßen Lob und
Aufmerksamkeit. Warum fragt man sich?
zusammengewachsen sind. Wir haben allerdings
Wenn man das Stück live verfolgt, dann gerät man
Liebe, Unterstützung und Glauben an sich selbst.
eine eigene „Familien im Brennpunkt“-Szene, unter-
ohne dass man sich dagegen wehren kann an seine
Am Ende des Stückes wird einem klar, dass diese
nahmen gemeinsam Ausflüge, waren gemeinsam
eigene Geschichte, an die eigenen Erfahrungen
mit Kindheit, Jugend und Familie. Schnell kommt
man an den Punkt, wie wichtig die Erfahrungen in
haben zusammen gelacht und geweint, drehten
dass wenn ich mich gegen das Theaterprojekt
entschieden hätte, wäre ich niemals all den wunderbaren Leuten begegnet und ich hätte nicht das
Theater für mich entdeckt.
Diandra, inzwischen 13 Jahre
zusammengewachsen sind. Sie sprühen vor Energie,
Stolz und Selbstbewusstsein. Das letztere ist vielleicht das wichtigste Ergebnis für die Darsteller, denn
lebenslang beeinflussen.
vielen Pflegekindern mangelt es an der Bestätigung,
Verfolgt man die Entstehung dieses Theaterstückes,
dass sie so, wie sie sind, gut sind! Aus diesem Grund
eigene Erfahrungen mit anderen im geschützten
nicht nur zusammen Theater gespielt, nein, wir
Chance, die ich nutzen durfte, wenn man bedenkt,
Kinder durch das gemeinsame Arbeiten und Spielen
jungen Jahren sind und wie bestimmend diese uns
dann zeigt sich schnell, wie wichtig es für Kinder ist,
46
Es war zwar immer dasselbe Stück, jedoch war es
ist es mehr als wünschenswert, dass Pflegekinder
bundesweit eine eigene Bühne bekommen.
Rahmen austauschen zu dürfen. Hier durften
Ich danke allen Akteuren dieses Theaterprojektes für
KINDER in andere Rollen schlüpfen, sie konnten
ihr Engagement, die Liebe zum Spielen und Experi-
diese nach ihren Vorstellungen mit Leben füllen
mentieren. Dieses Stück lässt hoffen, dass es vielen
und ausprobieren. Sie entwickelten eigene Ideen
anderen Pflegekindern Mut macht, eigene Stücke zu
zum Leben mit zwei oder mehr Familien. Auf ihrer
produzieren.
Suche nach der Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens
Petra Schrödel – Vorsitzende Arbeitskreis zur Förderung
zeigten sie beeindruckende Szenen von verlassen
von Pflegekindern e.V. und Präsidentin der Stiftung zur
sein, verlassen müssen, Neuanfängen, Rückfällen,
Förderung von Pflegekindern Berlin
Die kindliche Leichtigkeit geht dabei
nie verloren
Abgesehen von den beeindruckenden schauspielerischen Leistungen der Kinder und Jugendlichen haben sie es geschafft,
den Zuschauern einen ganz neuen Blick auf ihr Verständnis
von Familie zu geben – tiefgründig und zugleich intim, weil
sie einen in ihre ganz eigene für Erwachsene normalerweise
nicht umfänglich zugängliche Welt mitnehmen. Die kindliche
Leichtigkeit geht dabei nie verloren – beweisen sie doch viel
Humor und strahlende Kreativität bei Bühnenbild, Medien und
Kostümen. Alles in Allem eine große bunte Überraschung mit
Tiefgang!
Ein Zuschauer
Fragen an die jungen Schauspielerinnen
und Schauspieler:
Was war die größte Überraschung
für dich?
Dass ich Frau Keine-Panik, Claudia, den
Regisseur und Jona und Max kennengelernt
habe. Und dass das Projekt mich beruhigt
hat. Ich fühle mich hier sehr sicher und das
hat viel mit euch zu tun. Michelle, 16 Jahre
Das Publikum – dass es so richtig voll war,
bei allen Vorstellungen! Timmy, 12 Jahre
Das wir es geschafft haben, was auf die
Beine zu stellen, ein richtiges Stück über
Familie. Michael, 16 Jahre
47
Das Projekt Volksbühne-„Familien für Kinder“ für mich als Pflegemutter.
Ein Rückblick.
Wir wurden durch Familien für Kinder bei einem
Ermutigt von der Freundlichkeit und in der Hoff-
ihrer Hausbesuche auf dieses Projekt aufmerksam
nung, dass man hier mit professionellen Leuten
gemacht. Im Gespräch darüber entstanden sofort
zu tun hat, verließ ich an jenem Tag den Raum
widerstreitende Gedanken.
und überließ voller Vertrauen weitere Aufklärungs-
Die Pro-Gedanken lauteten für uns, als Pflegeeltern eines 15-jährigen Kindes, dass auf jeden Fall
Leuten.
der Horizont erweitert werden würde. Kontakt zu
Auf meine Frage: „Wie geht es weiter?“, konnte
anderen Pflegekindern vermied unser Pflegekind
unser Kind meistens nur spärlich antworten.
bis dahin. Überhaupt sollte niemand erfahren, dass
Die nächsten Wochen verliefen manchmal unbefrie-
es ein Pflegekind sei. Das Theaterspielen schien das
digend, da die Termine immer mehr wurden und
richtige Medium zu sein, denn es macht immer
die Zeit immer später in die Abendstunden hinein
Spaß, Rollen zu spielen, und an Bühnenpräsenz hat
wuchs. Des Weiteren nahm das Stück zunächst keine
es unserem Kind auch nie gemangelt. Doch was
Gestalt an und die täglichen Anforderungen stiegen
war mit den Zeiten, wie viele Tage oder gar Wochen
ebenso. Die Findung des Titels und die endgültige
sollte es in Anspruch nehmen? Denn wir wollten
Festlegung desgleichen wirkten apokalyptisch auf
nicht vergessen, dass wir für das kommende Schul-
das gesamte Vorhaben. Unser Pflegekind war völlig
jahr eindeutig weniger Freizeitaktivitäten einplanen
aufgelöst. „23 Pflegekinder rauben Dir den Schlaf! –
wollten, damit das Kind sich in Ruhe auf die aufre-
Das Ensemble steht dem Titel kritisch gegenüber“
gende MSA-Prüfung und zugleich weitere wichtige
„Wie kann man ein Stück so nennen?“, fragte sie.
Wendepunkte seiner Schulzeit vorbereiten konnte.
„Das ist weder cool noch verständlich“, sagte sie.
Zuhause ging es also hin und her mit der Frage:
Teilnehmen – ja oder nein? Unser Pflegekind war
innerlich sehr aufgeregt und unruhig, obwohl der
Reiz auf einer so bekannten Bühne zu stehen und
eventuell interessante Erfahrung zu machen, die ihre
ganz persönliche Lebensweise als Pflegekind betraf,
sie einerseits überzeugten und neugierig machten,
war die Konfrontation mit der Thematik in einem so
Sie hörte vor allem das berühmte und zumindest
von uns gehasste Teenilaut: „Häää…???“. Ich kann
Hier ist vielleicht noch kurz zu bemerken, dass das
gesamte Team echte Artisten waren (gemeint sind
alle Mitwirkenden von Volksbühne und Familien
für Kinder). Wer hätte sonst mit so vielen Bällen
jonglieren können. Das Team selbst, die Kids, die
echt unterschiedlicher nicht sein könnten, die Pflegeeltern, die zwar einiges gewöhnt sind, dennoch
Pflegemutter einer Schauspielerin
Ich glaube, alle Teilnehmer sind sehr dankbar für
das, was stattgefunden hat, und am Ende bleibt
eine unvergessliche Zeit und eine Erfahrung, die
niemand den Kindern wegnehmen kann.
Danke!
sich als sinnvoller, loszulassen und zu vertrauen.
Derweil passierte etwas Wichtiges: Ich merkte auf,
das unser Kind offener über das Thema sprach.
dem Kind bewusst, dass es mit allen anderen einen
akzeptiert und geschützt.
Ich glaube, dass unser Kind sich angenommen
fühlte, „auch wenn es ein Pflegekind ist“. Ich
glaube, dass das Team von der Volksbühne sehr viel
aus der Zeit mit den Kindern gewonnen und im sehr
positiven Sinne, einen sehr interessanten Aspekt der
Publizität errungen hat. Ich glaube, dass „Familien
für Kinder“ sich ihrer Rolle als vermittelnde Position
für Pflegekinder bewusster geworden ist und die
Verantwortung ihrer Entscheidungen, die sie täglich
treffen, für andere sichtbarer wurde.
Unruhen bei uns sich legten. Auch hierin erwies es
Was ist, wenn Menschen von seinem Status
wir haben es immer auch als einen privaten Bereich
Ich habe gerne das Stück angeschaut, für mich
wurde der Schmerz, den diese Kinder, ihre Pflegeeltern und eventuell auch die leiblichen Eltern
aushalten müssen, noch einmal sichtbar. Es war
weniger die Fähigkeit zu schauspielern, die mich
berührte. Das ist etwas, was Pflegekinder gut
können, da sie sich oft „selbstschützend“ verstellen
können. Das was mich berührte, war der Mut in den
Kindern, mobilisiert durch das Team von der Volksbühne und allen anderen Mitwirkenden, sich selbst
zu sehen, zu spüren und mitzuteilen. Das Stück mit
seinen wirren und aufgewühlten Inhalten, bot den
Kindern die Möglichkeit, all diesen mannigfaltigen
Energien, verursacht durch ihre bedingten Emotionen, einen Raum zu gewähren, um sich so gut wie
es ging den Zuschauern anzuvertrauen.
Gespräche diesbezüglich führen musste, bis die
Es konnte feststellen, wie viele unterschiedliche
wir bis dahin diesbezüglich aufklärend gewirkt, aber
nicht immer leicht verdaulich und kritisch am Rande
stehen. Wahnsinn! Davor ziehe ich meinen Hut!
mich erinnern, dass ich E-Mails und persönliche
öffentlichen Rahmen noch risikoreich.
erfahren, was es gar nicht möchte. Natürlich hatten
48
arbeiten und Einbeziehungen den zuständigen
war
austauschten. Dieser neue Freundeskreis
herausfordernd und stärkend zugleich.
Formen des Pflegekind-Daseins existieren. Es wurde
gemeinsamen Schmerz hat, wenn sich dieser auch
auf vielfältige Weise äußert. Die Fragen wurden
innerhalb der Gruppe immer konkreter artikuliert:
Wieso bin ich Pflegekind, was heißt Familie, wer ist
Als unser Pflegekind alles abgewogen und sich von
Jugendamt und wozu, wieso habe ich kein privates
uns ausreichend ermutigt sah, entschied es, mitzu-
Leben, und vor allem, bin ich richtig da, wo ich bin?
machen, was uns zu jenem erwartungsvollen ersten
In unserem Fall war das Projekt ein Katalysator für
Treffen in der Stresemannstraße führte.
die Therapie, die unser Kind bereits seit über einem
Dort stellten wir fest, dass das Team selbst auch
Jahr besuchte.
noch vor offenen Fragen stand und ebenso wenig
Nichtsdestotrotz sprengte der Umfang des Projektes
über Umfang und Erfolg oder Misserfolg aussagen
im Grunde fast den Rahmen. Doch es war auch
konnte, denn es war ein Pionierprojekt in dieser
immer wieder rührend zu beobachten, wie die
Form.
Kids sich kontaktierten oder über ihre Probleme
49
Wir danken
ganz herzlich:
……der Aktion Mensch für die Förderung dieses besonderen und einmaligen Projekts
……den Pflegeeltern und leiblichen Eltern der beteiligten Jugendlichen für ihre Bereitschaft, die Teilnahme ihrer Kinder am Projekt auf bestmögliche Weise zu ermöglichen und zu unterstützen, für
ihre Flexibilität und kontinuierliche Kooperationsbereitschaft bei allen Projekterfordernissen
……dem künstlerischen Team der Volksbühne
……Sandra Scheeres, Berliner Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft
Nachahmer dieses Theaterprojektes werden gerne unterstützt
Die Familien für Kinder gGmbH legt großen Wert auf eine nachhaltige Wirkung ihrer Arbeit. Darum
hat sie dieses Theaterprojekt nicht nur intensiv unterstützt und beworben, sondern es auch in einem
Film und einer Broschüre ausführlich dokumentiert. Diese Broschüre wird bundesweit in Fachkreisen
verteilt, um diese dazu anzuregen, möglicherweise vergleichbare Projekte zu initiieren. Und dadurch
wiederum Menschen zu motivieren, eventuell selbst bedürftige Kinder aufzunehmen und Pflegefamilie zu werden.
Sie haben Interesse, ein ähnliches Projekt ins Leben zu rufen?
Nur Mut – Wir beraten und unterstützen Sie gerne:
Peter Heinßen, Geschäftsführer Familien für Kinder gGmbH
Telefon: 030 / 21 00 21 0
Familien für Kinder gGmbH, Stresemannstraße 78, 10963 Berlin
……Inka-Maria Ihmels, Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft in Berlin
www.familien-fuer-kinder.de
……Norbert Struck, Fachreferent für Jugendhilfe, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband -
Die Familien für Kinder gGmbH ist ein etablierter Träger der Berliner Jugendhilfe und eine Tochtergesellschaft des Arbeitskreises zur Förderung von Pflegekindern e.V., der sich seit 1974 für die
Qualifizierung und Weiterentwicklung der Pflegekinderhilfe engagiert.
Gesamtverband e.V.
……Andreas Schulz, Fachreferent für Jugendhilfe, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Landesverband Berlin e. V.
……Petra Schrödel, Vorsitzende Arbeitskreis zur Förderung von Pflegekindern e.V. und Präsidentin
der Stiftung zur Förderung von Pflegekindern Berlin
……Dr. Carmen Thiele, Fachreferentin, PFAD Bundesverband der Pflege- und Adoptivfamilien e.V.
……Heidrun Sauer, Fortbildnerin in der Pflegekinderhilfe, Gründungsmitglied KompetenzZentrum-Pflegekinder e.V.
……Diana Eschelbach, Juristin, Idee und Begleitung
……Katrin Behrens, Projektleitung
……Leonel Dietsche, Filmregisseur
……Jan Krauße, Werte&Issues
……last but not least: Dank den insgesamt 25 aktiv beteiligten Berliner Pflegekindern, die mit unermüdlichem Einsatz, stets wachsender Aufgeschlossenheit und großem Mut das Thema Familie
angepackt und für uns alle in ein berauschendes Theaterstück gefasst haben!
IMPRESSUM
Dokumentation Theaterprojekt
„23 Pflegekinder rauben Dir den Schlaf! Das Ensemble steht dem Titel kritisch gegenüber“
Herausgeber und ViSdPR
Familien für Kinder gGmbH
Geschäftsführer Peter Heinßen
Stresemannstr. 78 · 10963 Berlin
(030) 21 00 21 0
www.familien-fuer-kinder.de
Im September 2015
50
Kooperationspartner
Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
Intendant Frank Castorf
Rosa-Luxemburg-Platz · 10178 Berlin
(030) 240 65 5
www.volksbuehne-berlin.de
Redaktion: Katrin Behrens,
Angelika Nitzsche
Mitarbeit: Diana Eschelbach
Fotos: André Simonow,
S. 14 – Claudia Bartel,
S. 13 – Birgit Karn
Polaroids: Team
Grafische Gestaltung:
Werte&Issues Berlin
51
und mit
Ein Theaterprojekt von
Berliner Pflegekindern
23 Pflegekinder
f!
la
h
c
S
n
e
d
ir
D
n
e
b
u
ra
Titel
m
e
d
t
h
e
st
le
b
m
se
n
E
s
Da
kritisch gegenüber.
MITWIRKENDE
Spieler*innen: Erric Berger, Timmy Burkard, Max Burschewski,
Michael Burschewski, Michelle Burschewski, Louise Constein, Dominik Derner,
Sebastian Gadow, Martin Köhler, Samantha Kuhlow, Jerôme Meisel,
Reno Meisel, Anna Napolski, Daria Perl, Niclas Rehbein, Shiva Rogaci,
Celina Sahin, Diandra Sobotta, Sonja Vaziri, Tamara Wiese
Im Geiste bis zum Schluss dabei: Sebastian Bauer, Lukas Bauer, Lukas Blum,
Celine Göbel, Maurice Tonn
LEITUNGSTEAM
Claudia Bartel (Bühne und Kostüme), Katrin Behrens (Projektleitung und
Dramaturgie), Leonel Dietsche (Filmdokumentation), Diana Eschelbach
(Projektidee und Dramaturgie), Isabelle Fouquett (Assistenz Kostüme),
Katharina Grosch (Assistenz Bühne), Peter Heinßen (Projektleitung Familien
für Kinder gGmbH), Max Grosse Majench (Musik), Leander Hagen (Technik),
Jonathan Hamann (Musik), Paula Knüpling (Hospitanz), Marlene Kolatschny
(Assistenz Regie), Jan Koslowski (Künstlerische Leitung und Inszenierung),
Maura Meyer (Theaterpädagogik), Angelika Nitzsche (Projektleitung Familien
für Kinder gGmbH), Susanne Stieler (Projektleitung Familien für Kinder
gGmbH), Vanessa Unzalu-Troya (Theaterpädagogische Leitung)
PR: Hans Thelen (Familien für Kinder gGmbH),
Nicole Konstantinou (Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz)
Ein Theaterprojekt von
in Kooperation mit
Volksbühne am
Rosa-Luxemburg-Platz