7. DIE BROWNSCHE BEWEGUNG 117 5 50 100 150 200 250 -5 -10 -15 -20 Abbildung 7.1: Pfad einer Brownschen Bewegung 7. Die Brownsche Bewegung Definition 7.1. Ein cadlag stochastischer Prozess {Wt } mit W0 = 0, unabhängigen Zuwächsen und Wt hat eine N (0, t) Verteilung, heisst standard Brownsche Bewegung. Ist {Wt } eine standard Brownsche Bewegung, so heisst Xt = mt+σWt , mit m ∈ IR und σ > 0 eine (m, σ 2 )-Brownsche Bewegung. Die Brownsche Bewegung hat ihren Namen vom schottischen Botaniker Robert Brown, der die Bewegung von kleinen Teilchen unter dem Mikroskop beschrieb. Wir wollen nun die Verteilung von Wt+s − Wt für s, t > 0 bestimmen. Wegen den unabhängigen Zuwächsen erhalten wir die momentenerzeugende Funktion, siehe Beispiel 2.10, e(t+s)r 2 /2 = IIE[erWt+s ] = IIE[er(Wt+s −Wt ) erWt ] = MWt+s −Wt (r) etr 2 /2 . 2 Also gilt MWt+s −Wt (r) = esr /2 . Da die momentenerzeugende Funktion die Verteilung eindeutig bestimmt (siehe auch Proposition 9.3), ist Wt+s − Wt normalverteilt mit Mittelwert 0 und Varianz s. Somit hat eine Brownsche Bewegung auch stationäre Zuwächse. Aus der Theorie der Markovprozesse folgt, dass die Brownsche Bewegung exi√ stiert. Man sieht leicht, dass { aWt/a } auch eine standard Brownsche Bewegung ist. Wir wollen nun zeigen, dass eine Brownsche Bewegung stetige Pfade hat. Proposition 7.2. Eine Brownsche Bewegung {Wt } hat stetige Pfade. 118 Beweis. s, ε > 0 7. DIE BROWNSCHE BEWEGUNG Bezeichnen wir mit Φ(x) die Standard-Normalverteilung. Wir haben für √ lim t−1 IIP[|Ws+t − Ws | > ε] = lim t−1 2(1 − Φ(ε/ t)) t↓0 t↓0 ε 2 = lim √ e−ε /(2t) = 0 , t↓0 2t3 π wobei wir die Hôpital’sche Regel verwendet haben. Für jedes δ > 0 gibt es somit ein t(δ) ≤ δ, so dass IIP[|Ws+t(δ) − Ws | > ε] < δt(δ) . Definieren wir nun τk = kt(δ) und Nδ (n) = n−1 X 1I{|W (τk+1 )−W (τk )|>ε} . k=0 Wir bemerken, dass Mδ (n) = Nδ (n) − n−1 X IIP[|Wτk+1 − Wτk | > ε] k=0 ein Martingal ist. Sei T > 0. Wir definieren die beschränkte Stoppzeit γδ = min{n : Nδ (n) = 1 oder τn > T } . Aus dem Stoppsatz folgern wir δ −1 δ −1 hγX i hγX i IIE[Nδ (γδ )] = IIE IIP[|Wτk+1 − Wτk | > ε] ≤ IIE δt(δ) = δIIE[τγδ ] ≤ δ(T + δ) . k=0 k=0 Auf der Menge, auf der W einen Sprung grösser als 2ε vor dem Zeitpunkt T hat, haben wir limδ→0 Nδ (γδ ) = 1. Somit hat diese Menge Wahrscheinlichkeit 0. Da ε und T beliebig waren, folgt das Resultat. Analog zu Hilfssatz 4.7 haben wir die folgenden Martingale. Hilfssatz 7.3. Sei r ∈ IR. Folgende Prozesse sind Martingale i) {Wt } , ii) {Wt2 − t} , iii) {erWt −r 2 t/2 }. Beweis. Dies folgt leicht aus den unabhängigen und stationären Zuwächsen des Prozesses. 7. DIE BROWNSCHE BEWEGUNG 2 4 119 6 8 10 -1 -2 -3 Abbildung 7.2: Pfad des Prozesses Wt /t Der Prozess {Wn : n ∈ IIN} ist eine Irrfahrt mit Mittelwert 0. Somit wissen wir, dass {Wt } oszilliert, das heisst limt Wt = − limt Wt = ∞. Setzen wir für x > 0, T x = inf{t : Wt > x}, so ist T x < ∞. Analog setzen wir für T−x = inf{t : Wt < −x}, was auch eine endliche Stoppzeit ist. Sei nun Tab = Ta ∧T b für a < 0 < b. Wir erhalten dann aus dem Stoppsatz, dass {WTab ∧t } ein beschränktes Martingal ist. Aus dem Konvergenzsatz folgt, dass der Grenzwert WTab = limt→∞ WTab ∧t existiert. Wegen der Beschränktheit folgt 0 = lim IIE[WTab ∧t ] = IIE[WTab ] = aIIP[WTab = a] + bIIP[WTab = b] . t→∞ Somit haben wir b . b−a Aus dem starken Gesetz der grossen Zahl folgt, dass Wn /n → 0 für n → ∞. Wir zeigen nun Wt /t → 0 für t → ∞. IIP[WTab = a] = Hilfssatz 7.4. Es gilt limt→∞ Wt /t = 0. Beweis. Sei n ∈ IIN. Dann gilt für a > 0 IIP[ sup |Ws − Wn | ≥ a] = IIP[ sup |Ws | ≥ a] . s∈(n,n+1] s∈(0,1] Der Prozess {Wt2 } ist ein Submartingal. Es folgt dann also aus Hilfssatz 6.2 IIP[ sup |Ws | ≥ a] = IIP[ sup Ws2 ≥ a2 ] ≤ s∈(0,1] s∈(0,1] IIE[W12 ] = a−2 . a2 120 7. DIE BROWNSCHE BEWEGUNG Somit haben wir ∞ X IIP[ sup n=1 |Ws − Wn | ≥ nε] ≤ s∈(n,n+1] ∞ X ε−2 n−2 < ∞ . n=1 Also gilt nach dem Lemma von Borel–Cantelli, dass das Ereignis {sups∈(n,n+1] |Ws − Wn | ≥ nε} nur endlich oft eintritt. Damit ist Wbtc + |Wt − Wbtc | Wt ≤ lim ≤ ε. t→∞ t t→∞ t lim Da ε beliebig ist, folgt limt Wt /t ≤ 0. Analog folgt limt Wt /t ≥ 0. ft = tW1/t für t > 0, und W f0 = 0. Dann ist {W ft } eine Hilfssatz 7.5. Sei W standard Brownsche Bewegung. ft } stetig in 0 ist. Beweis. Lassen wir t ↓ 0, so folgt aus Hilfssatz 7.4, dass {W ft } stetige Pfade. Da {Wt } unabhängige Zuwächse hat, hängt für s > t Somit hat {W fs − W ft von der Vorgeschichte nur von W ft ab. Wenn wir also zeigen, der Zuwachs W fs − W ft bedingt auf W1/t eine N (0, t − s) Verteilung hat, dann hat {W ft } dass W unabhängige Zuwächse. Die gemeinsame Dichte von (W1/t , W1/s ) ist f (x, y) = n y2 1 (x − y)2 o p exp − 21 + . 1/s 1/t − 1/s 2π 1/s(1/t − 1/s) Somit wird die bedingte Dichte von W1/s gegeben W1/t = x s n s2 s2 xt 2 o exp − y− . 2π(s − t) 2(s − t) s Das heisst, die bedingte Verteilung von W1/s ist eine Normalverteilung mit Mittelwert tW1/t /s und Varianz (s−t)/s2 . Für die momentenerzeugende Funktion erhalten wir nun IIE[exp{r(sW1/s − tW1/t )} | W1/t ] = exp{rstW1/t /s + 12 r2 s2 (s − t)/s2 − rtW1/t } = er 2 (s−t)/2 ft } die geforderte Verteilung. Somit hat {W . 7. DIE BROWNSCHE BEWEGUNG 121 Wollen wir die Ableitung von Wt in t berechnen, erhalten wir lim(Wt+s − Wt )/s = lim s(Wt+1/s − Wt ) = ∞ , s→∞ s↓0 wobei wir verwendet haben, dass {Wt } unabhängige und stationäre Zuwächse hat. Analog folgt lims↓0 (Wt+s − Wt )/t = −∞. Also ist {Wt } in t nicht differenzierbar. Es lässt sich sogar zeigen, dass {Wt } fast sicher in keinem Punkt Hölder-stetig der Ordnung γ für jedes γ > 21 ist, siehe [4]. Daher folgt, dass die Brownsche Bewegung fast sicher nirgends differenzierbar ist. Korollar 7.6. Die (m, σ 2 )-Brownsche Bewegung schneidet die t-Achse in jedem Intervall [0, ε) unendlich oft. Beweis. Aus Korollar 5.2 folgt, dass die Brownsche Bewegung {σt(W1/t + µ/σ)} die t-Achse in jedem Intervall (ε−1 , ∞) unendlich oft schneidet. Dies ist äquivalent zur Aussage. Wir sehen also, dass T0 = T 0 = 0. Sei nun {Xt } eine (m, σ 2 )-Brownsche Bewegung. Wir nehmen zuerst m < 0 an. 2 Dann konvergiert Xt nach −∞ und {e−2mXt /σ } ist ein Martingal. Sei x > 0. Wir erhalten 2 2 2 1 = IIE[e−2mXT x ∧t /σ ] = e−2mx/σ IIP[T x ≤ t] + IIE[e−2mXt /σ ; T x > t] . 2 Der erste Term ist wachsend in t, der zweite Term ist durch e−2mx/σ beschränkt. Somit können wir Grenzwert und Erwartungswert vertauschen, und erhalten für t→∞ 2 IIP[T x < ∞] = e2mx/σ . Wir wollen nun die Ruinwahrscheinlichkeit in endlicher Zeit betrachten. Sei m ∈ IR und x > 0. Dann erhalten wir IIP[T x ≤ t] = IIP[ sup σsW1/s + ms > x] = IIP[ sup σWs /s + m/s > x] 0≤s≤t s≥1/t = IIP[ sup σWs − xs > −m] s≥1/t = IIE[IIP[ sup σ(Ws − W1/t ) − x(s − 1/t) > −m − (σW1/t − x/t) | W1/t ]] s≥1/t √ x − tm Z (x−tm)/(σ t) √ 1 2 2 √ + e2x(m+(σy/ t−x/t))/σ √ e−y /2 dy =1−Φ σ t 2π −∞ Z (x−tm)/(σ√t) tm − x √ 1 2 2 √ √ e−(y−2x/(σ t)) /2 dy =Φ + e2mx/σ σ t 2π −∞ tm + x tm − x 2 √ =Φ + e2mx/σ Φ − √ . σ t σ t 122 7. DIE BROWNSCHE BEWEGUNG Setzen wir m = 0 und σ = 1, so erhalten wir √ IIP[ sup Ws > x] = 2Φ(−x/ t) = 2IIP[Wt > x] . 0≤s≤t Diese Formel ist allgemein bekannt unter dem Namen Reflektionsprinzip. In der Tat kann man wegen der Symmetrie den Pfad ab der Stelle wo x erreicht wird spiegeln. Dann gehört zu jedem Pfad, der x erreicht und zum Zeitpunkt t in x − y endet ein Pfad, der in x + y endet, da jeder dieser Pfade ja x zuerst erreicht. Damit erhält man obige Formel. Als nächstes beweisen wir die folgenden Abschätzungen der Standardnormalverteilung für x > 0 1 √ e−x −1 (x + x ) 2π 2 /2 1 2 < IIP[W1 > x] < √ e−x /2 . x 2π (7.1) Mittels partieller Integration erhalten wir Z ∞ Z ∞ 1 1 −y2 /2 1 1 −y2 /2 1 −x2 /2 IIP[W1 > x] = √ −√ ye dy = √ e e dy . 2π x y x 2π 2π x y 2 Die eine Richtung folgt, da der Integrand positiv ist. Die andere Richtung folgt aus Z ∞ Z ∞ 1 IIP[W1 > x] 1 −y2 /2 1 2 √ e dy < √ e−y /2 dy = . 2 2 x2 2π x y x 2π x Wir können nun das Gesetz vom iterierten Logarithmus beweisen. Satz 7.7. Für eine standard Brownsche Bewegung gilt Wt lim √ =1. t→∞ 2t log log t Bemerkung. Wegen der Symmetrie folgt automatisch lim √ t→∞ Wt = −1 . 2t log log t Sei α > 1 und tn = αn . Wir setzen f (t) = 2α2 log log t. Dann haben wir h i h i p p IIP sup Ws > tn f (tn ) ≤ IIP sup Ws > tn+1 f (tn )/α tn <s≤tn+1 0<s≤tn+1 p p p = 2IIP[Wtn+1 > tn+1 f (tn )/α] = 2IIP[Wtn+1 / tn+1 > f (tn )/α] s r 2 α 2α ≤√ e−f (tn )/(2α) = n−α (log α)−α . f (t ) πf (t ) 2π n n Beweis. 7. DIE BROWNSCHE BEWEGUNG 123 30 20 10 50 100 150 200 250 -10 -20 -30 Abbildung 7.3: Gesetz vom iterierten Logarithmus P n−α < ∞ gilt, haben Für n gross genug ist dies beschränkt durch n−α . Da ∞ n=1p wir aus dem Borel–Cantelli-Lemma, dass {suptn <s≤tn+1 Ws > tn f (tn )} nur endlich p p oft eintritt. Somit gilt Wt > tf (t) ≥ tn f (tn ) nur auf endlich vielen Intervallen (tn , tn+1 ]. Also haben wir Wt lim √ ≤α. t→∞ 2t log log t Da α > 1 beliebig war, folgt die obere Grenze. Setze β = (α−1)/α und g(t) = 2β 2 log log t. Wir können annehmen, dass g(tn ) ≥ β. Wir haben tn − tn−1 = βtn . Es gilt dann g(tn )/β + β/g(tn ) ≤ 2g(tn )/β, und somit p p tn g(tn )] = IIP[(tn − tn−1 )−1/2 (Wtn − Wtn−1 ) > β −1 g(tn )] s p 1 β −g(tn )/(2β) = IIP[W1 > β −1 g(tn )] ≥ √ e 2 2π g(tn ) s β (log α)−β n−β . = 8πg(tn ) IIP[Wtn − Wtn−1 > Da die rechte Seite nicht summierbar ist, und die Ereignisse unabhängig sind, tritt das Ereignis nach dem Borel–Cantelli-Lemma unendlich oft ein. Es gilt lim tn log log tn =α. log log tn−1 n→∞ tn−1 √ Wegen dem bereits gezeigten, gilt Wtn−1 > −(1 + ε)α−1/2 2tn log log tn für fast alle n und alle ε > 0. Also schliessen wir dass für unendlich viele n Wtn > −α−1/2 p p p 2tn log log tn + tn g(tn ) = (β − α−1/2 ) 2tn log log tn . 124 7. DIE BROWNSCHE BEWEGUNG Also gilt Wtn 1 α−1 lim √ −√ . ≥ n→∞ α α 2tn log log tn Lassen wir α → ∞, folgt die Aussage. Für einen Prozess {Zt } definieren wir den Variationsprozess n nX o Vt = sup |Zti − Zti−1 | , i=1 wobei wir das Supremum über alle 0 = t0 < t1 < · · · < tn = t und alle n nehmen. Wir sagen, {Zt } hat endliche Variation, falls Vt < ∞ für alle t. Wir schreiben nun n nX o Z t = sup (Zti − Zti−1 )+ i=1 und n nX o (Zti − Zti−1 )− . Z t = Z t − (Zt − Z0 ) = sup i=1 Die Prozesse {Z t } und {Z t } sind dann wachsend, Zt = Z0 + Z t − Z t und Vt = Z t + Z t . Sind {At } und {Bt } zwei wachsende Prozesse mit A0 = B0 = 0, so dass Zt = Z0 + At − Bt , so gilt At ≥ Z t und daher auch Bt ≥ Z t . Dies folgt aus Zti − Zti−1 = Ati − Ati−1 − (Bti − Bti−1 ) ≤ Ati − Ati−1 . Betrachten wir nun die Brownsche Bewegung. Wir haben IIE 2n hX i (Wi2−n t − W(i−1)2−n t )2 = t i=1 und 2n hnX o2 i 2 IIE (Wi2−n t − W(i−1)2−n t ) i=1 2n n o X = IIE[(Wi2−n t − W(i−1)2−n t )4 ] − IIE[(Wi2−n t − W(i−1)2−n t )2 ]2 i=1 n + n n 2 X 2 X IIE[(Wi2−n t − W(i−1)2−n t )2 ]IIE[(Wj2−n t − W(j−1)2−n t )2 ] i=1 j=1 −n 2 = 2 {3 − 1}(2 t) + (2n 2−n t)2 = t2 (1 + 2−n+1 ) . 7. DIE BROWNSCHE BEWEGUNG 125 Wir schliessen daraus, dass IIE 2n hnX o2 i (Wi2−n t − W(i−1)2−n t )2 − t = 2−n+1 t2 i=1 und damit aus der Chebychev-Ungleichung 2n hX i t2 IIP (Wi2−n t − W(i−1)2−n t )2 − t > ε ≤ 2−n+1 2 ; . ε i=1 Da letzterer Ausdruck summierbar ist, folgt aus dem Borel–Cantelli-Lemma, dass 2n X 2 (Wi2−n t − W(i−1)2−n t ) − t > ε i=1 nur für endlich viele n gilt. Also konvergiert folgt nun P2n i=1 (Wi2−n t n 2 X i=1 − W(i−1)2−n t )2 nach t. Es n −1 |Wi2−n t − W(i−1)2−n t | ≥ (sup |Wi2−n t − W(i−1)2−n t |) i 2 X (Wi2−n t − W(i−1)2−n t )2 . i=1 Da die Pfade stetig sind, folgt dass supi |Wi2−n t − W(i−1)2−n t | gegen Null konvergiert. Das heisst, die Brownsche Bewegung hat unendliche Variation. P Aus der Stetigkeit der Pfade folgt, dass der Grenzwert von ni=1 (Wti − Wti−1 )2 nicht von der Wahl von {tk } abhängt, solange supk (tk − tk−1 ) → 0. Somit haben wir Qt = lim n n X (Wti − Wti−1 )2 = t . i=1 Der Prozess {Qt } heisst quadratische Variation. 126 7. DIE BROWNSCHE BEWEGUNG
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