Neueste tagesaktuelle Berichte ... Interviews ... Kommentare ... Meinungen .... Textbeiträge ... Dokumente ... MA-Verlag Elektronische Zeitung Schattenblick Freitag, 15. April 2016 Das Anti-TTIP-Bündnis - Abwicklungsdruck ... BÜRGER / REPORT Sand ins Getriebe der CETARatifizierung! TTIP Strategie und Aktionskonferenz in Kassel - Das geplante europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) gilt nicht zuletzt als Blaupause und möglicher Türöffner für das US-amerikanisch-europäische Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP), dem es inhaltlich in wesentlichen Zügen gleicht. Gibt CETA schon für sich genommen allen Anlaß, es im Interesse der Bevölkerungsmehrheit beiderseits des Atlantiks zu Fall zu bringen, so gilt das um so mehr angesichts seiner aktuellen Schlüsselfunktion im Kontext der gesamten Freihandelspolitik. Daß Kanada lediglich 35 Millionen Einwohner hat und als Markt für europäische Exporte von eher nachrangiger Bedeutung ist [1], darf nicht zu der Fehleinschätzung verleiten, beim Kampf gegen CETA handle es sich lediglich um ein Scharmützel vor der eigentlichen Schlacht um TTIP. Da der Widerstand in vielen europäischen Ländern wächst und sich zunehmend Gehör verschafft, werden die maßgeblichen Protagonisten des Freihandelsabkommens alles daransetzen, eine Ratifizierung durch die nationalen Parlamente der Mitgliedsstaaten vor Inkrafttreten aus dem Feld zu schlagen. Die parlamentarische Zustimmung in allen EU-Mitgliedsstaaten wäre nicht nur zeitaufwendig, sondern böte insbesondere Gelegenheit, das gesamte Vorhaben an irgendeiner Stelle dieser Kette (SB) Das Anti-TTIP-Bündnis Ein großes Spektrum ... (1) ... an Bündnissen und Aktionsformen TTIP Strategie und Aktionskonfe renz in Kassel (SB) Da das aktivistische Element quasi das Wasser darstellt, in dem sich die gegen Freihandelsabkommen protestierenden Menschen wie Fische bewegen, sollte seine Präsentation in Kassel nicht zu kurz kommen. Nach einem Tag der Diskussionen auf dem zentralen Podium und in den Workshops fand ein Aktionsaustausch statt ... (Seite 6) UMWELT / REPORT Profit aus Zerstörungskraft Augenwischerei ... Mycle Schneider im Gespräch 5 Jahre Leben mit Fukushima 30 Jahre Leben mit Tschernobyl Internationaler IPPNWKongreß vom 26. bis 28. Februar 2016 in der Urania, Berlin (SB) Mycle Schneider unter ande- rem über das als Dekontaminierung verklärte Hin- und Herbewegen von Radioaktivität, die Korrosionsanfälligkeit des Akw Fukushima Daiichi und die vielfachen Hotspots in der Stadt Koriyama .. . (Seite 15) auszuhebeln. CETA gilt daher nicht allein in inhaltlicher Hinsicht, sondern auch mit Blick auf das Verfahren seiner Durchsetzung als ein Muster, dessen Verhinderung von größter Tragweite für künftige Auseinandersetzungen ist. Um Parlamenten und Öffentlichkeit die Wahrnehmung der brisanten Inhalte vorzuenthalten, verhandelte die EU-Kommission seit 2009 mit Kanada unter strenger Geheimhaltung über CETA. Hingegen gewährte man Lobbyisten der Wirtschaft erheblichen Einfluß auf den Vertragstext, der erst 2014 nach Verhandlungsabschluß veröffentlicht wurde. Da infolge des Abkommens ein massiver Abbau demokratischer Standards, öffentlicher Daseinsvorsorge und des Umweltschutzes droht, lief die Strategie der Protagonisten stets darauf hinaus, vollendete Tatsachen zu schaffen. Bezeichnenderweise waren es durchweg geleakte Informationen, die Einzelheiten über bestimmte Aspekte des Projekts vorab zugänglich machten. Soweit schließlich der Text auch offiziell publiziert wurde, geschah dies offensichtlich nicht im Selbstverständnis erwünschter demokratischer Partizipation, sondern war vielmehr dem Versuch geschuldet, wachsendes Mißtrauen und zunehmende Empörung in der Öffentlichkeit zu befrieden. Insofern könnte man den Versuch, CETA ohne öffentliche Mitsprache und parlamen- Elektronische Zeitung Schattenblick tarische Kontrolle durchzusetzen, durchaus als einen Vorgriff auf wesentliche Ziele dieses Abkommens ausweisen. Da die zu befürchtenden negativen Folgen des Freihandelsabkommens für die meisten Sphären der Gesellschaft Legion sind, seien hier nur die gravierendsten genannt. So ist CETA der erste Handelsvertrag der EU, der private Schiedsgerichte vorsieht. Demnach können Unternehmen die Vertragsstaaten vor Tribunalen verklagen, wenn sie ihre künftigen Profiterwartungen durch Gesetzgebungen eingeschränkt sehen. Dadurch kommen Klagen in Milliardenhöhe auf die Staaten zu, deren Spielraum für eine Gesetzgebung zugunsten des Gemeinwohls zudem erheblich eingeschränkt wird. Und da zahlreiche große US-Firmen in Kanada Niederlassungen unterhalten, könnten sie über CETA die EU-Staaten selbst dann verklagen, sollte das TTIP-Abkommen scheitern. Zudem würde CETA völkerrechtlich bindend sein und sich kaum mehr zurücknehmen lassen. Für den unwahrscheinlichen Fall einer Auflösung des Abkommens sieht eine Klausel sogar vor, daß die Klagerechte für Seite 2 Investoren noch weitere 20 Jahre erhalten bleiben. Darüber hinaus ist CETA als ein "lebendes Abkommen" konzipiert, das nicht zurückgenommen, wohl aber restriktiv weiterentwickelt werden kann. Demnach soll ein nicht gewählter Regulierungsrat Gesetzesvorhaben daraufhin prüfen, ob sie Handelsinteressen beeinträchtigen könnten. Auf diesem Wege könnten dann unerwünschte Gesetzesentwürfe, noch bevor Parlamente und Öffentlichkeit davon erfahren, aus dem Verkehr gezogen werden. Selbst eine nachträgliche Veränderung oder Erweiterung des Vertrages ohne demokratische Kontrolle wäre möglich. Anders als die meisten bisherigen Handelsverträge listet CETA nicht die zu liberalisierenden Bereiche auf, sondern in einer Negativliste nur die Ausnahmen. Folglich können alle Bereiche der Privatisierung und Deregulierung unterworfen werden, die nicht explizit davon ausgenommen sind. Damit trifft man Vereinbarungen, deren Tragweite zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch gar nicht abzuschätzen sind, zumal deregulierte Komplexe später nicht wieder zurückgenommen werden dürfen. CETA sieht keine grundsätzliche Aus- www.schattenblick.de nahme von öffentlichen Dienstleistungen von der Liberalisierung vor und stellt zudem ökologische und soziale Vergabekriterien in der öffentlichen Beschaffung in Frage, wodurch ein zentrales Element der kommunalen Selbstverwaltung beschnitten wird. Durch CETA sind auch die Sozialund Arbeitsstandards von Aushöhlung bedroht, die öffentliche Förderung von Kultureinrichtungen ist gefährdet, bestehende Umweltstandards werden untergraben. So wurde das Importverbot der EU für das extrem klimaschädliche Rohöl aus kanadischen Teersanden bereits im Laufe der Verhandlungen aufgeweicht, und künftig könnten Unternehmen auch gegen ein mögliches Fracking-Verbot klagen. Grundsätzlich ersetzt CETA das in der EU geltende Vorsorgeprinzip durch das angeblich wissenschaftsbasierte Prinzip, potentiell gefährliche Produkte und Technologien erst dann aus dem Verkehr zu ziehen, wenn ihre Schädlichkeit zweifelsfrei nachgewiesen ist. Auf diese Weise käme beispielsweise Gentechnik durch die Hintertür in die EU. [2] Foto: © 2016 by Schattenblick Fr, 15. April 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick Schiedsgericht bleibt Schiedsgericht Tausende bestehende Investitionsabkommen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern beinhalten einen Streitschlichtungsmechanismus, der es ausländischen Investoren ermöglicht, Regierungen vor privaten, nicht-öffentlichen Schiedsgerichten (ISDS) auf Schadensersatz zu verklagen. Als USA und EU-Kommission diesen Mechanismus zu Beginn der Verhandlungen 2013 auch in TTIP etablieren wollten, löste das massive Proteste in Deutschland und anderen EU-Ländern aus. Daraufhin sah sich die EU-Kommission gezwungen, einen überarbeiteten Vorschlag einzubringen, der parallel dazu seinen Niederschlag in CETA fand. Dort sieht das neu formulierte Kapitel jetzt vor, einen Investitionsgerichtshof (IDS) einzurichten, der in Streitfällen zwischen Investoren und Staaten entscheidet. Der Gerichtshof soll mit einer vorab bestimmten Gruppe von Personen besetzt sein, die international akkreditiert und zum öffentlichen Richteramt zugelassen sind. Ihre Auswahl soll nach dem Zufallsprinzip erfolgen und nicht wie bisher durch die Streitparteien. Die Verfahren sollen öffentlich sein und es ist geplant, eine Revisionsinstanz zu etablieren. Wenngleich CETA den Bereich Kultur im Unterschied zu TTIP weitgehend ausspart, warnt der Deutsche Kulturrat angesichts drohender Investorenklagen vor Gefahren auch in diesem Bereich. Was den Schutz geistigen Eigentums betrifft, hatte ein Leak im Dezember 2009 Überschneidungen zwischen CETA und ACTA offengelegt. In Reaktion auf heftige Kritik erklärte die EU-Kommission im Oktober 2013, daß die Ablehnung des ACTA-Abkommens durch das EU-Parlament im Juli 2012 berücksichtigt werde. So seien insbesondere das Three-StrikesPrinzip und ein Auskunftsanspruch auf Ermittlung von IP-Adressen von Rechtsverletzern von den CETAVerhandlungen ausgenommen worden. Nach einem Gutachten im Auftrag der Grünen enthält die ausverhandelte Version des Abkommens tatsächlich keine Regelungen mehr, die spezifisch ACTA entnommen sind. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß von einer substantiellen Entschärfung CETAs ebensowenig die Rede sein kann wie von maßgeblichen Unterschieden zu TTIP in dessen bislang bekannter Form. Das Abkommen zwischen der EU und Kanada ist mithin auch in dieser Hinsicht ein absolut ernstzunehmender Angriff auf die Lebens- und Arbeitsverhältnisse in den betroffenen LänKritiker sehen in dieser Modifikati- dern. on zu Recht eine lediglich kosmetische Kaschierung, zumal die eigentlichen Schutzstandards, auf die sich Werden die nationalen ParlamenInvestoren im Streitfall berufen te kaltgestellt? können, unverändert bestehen bleiben. Der Anspruch auf "faire und Am 26. September 2014 unterzeichbillige Behandlung" und Schutz vor neten der kanadische Premierminiindirekter Enteignung ist nicht nä- ster Stephen Harper, der damalige her definiert, eröffnet aber gerade EU-Kommissionspräsident José Madeshalb internationalen Unterneh- nuel Barroso und der EU-Ratspräsimen die Möglichkeit, Klage gegen dent Herman Van Rompuy während Staaten zu erheben. Die unbestimm- eines EU-Kanada-Gipfels in Ottawa ten Rechtsbegriffe tragen maßgeb- eine Erklärung zum Abschluß der lich dazu bei, daß internationale fünfjährigen Verhandlungen über das Schiedsgerichte einflußreichen Freihandelsabkommen. Nachdem Wirtschaftsinteressen zur Durchset- die EU-Kommission und Kanada die zung verhelfen. Rechtsförmigkeitsprüfung abgeFr, 15. April 2016 www.schattenblick.de schlossen und die genannten Punkte nachgebessert hatten, veröffentlichte die Kommission am 29. Februar 2016 die offizielle Endfassung des CETA-Vertragstextes. Sobald dieser in die Sprachen aller Mitgliedsländer übersetzt ist, soll er vom EU-Rat ratifiziert und anschließend vom EUParlament abgesegnet werden, was noch in diesem Jahr geschehen könnte. Zudem muß er auch vom kanadischen Parlament ratifiziert werden. Umstritten ist jedoch, ob die Zustimmung der nationalen Parlamente der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten notwendig ist. Nach Auffassung der EUKommission handelt es sich um ein allein in den Kompetenzbereich der EU fallendes Abkommen, das nicht von den Mitgliedsstaaten ratifiziert werden muß. Dem widersprechen unter anderem der wissenschaftliche Dienst des Bundestages wie auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mit der Begründung, Teile des Abkommens fielen in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedsstaaten, weshalb es sich um ein sogenanntes gemischtes Abkommen handle, dessen Vertragspartner neben der EU auch die Mitgliedsländer werden müßten. Wie sehr sich die Geister an dieser für die Durchsetzung des Abkommens so zentralen Frage scheiden, unterstreicht ein Riß, der mitten durch die Reihen der Sozialdemokraten verläuft. So ist der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange der Auffassung, daß angesichts einer vergemeinschafteten Handelspolitik das Europäische Parlament Kontrollorgan sei. Bei einem gemischten Abkommen wie CETA könnten zwar die nationalen Parlamente mitentscheiden, jedoch erst nach Inkraftsetzung. Und selbst das sei schon ein Zugeständnis, da es hauptsächlich um Angelegenheiten in EU-Zuständigkeit gehe. Sobald das EU-Parlament CETA ratifiziert habe, könne die Kommission ein vorläufiges Inkrafttreten beantragen. Theoretisch Seite 3 Elektronische Zeitung Schattenblick könnte man sogar Teile der Verträge, die nationale Kompetenzen nicht berühren, sofort endgültig in Kraft setzen. [3] Matthias Machnig, SPD-Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und ebenfalls ein entschiedener Befürworter von Freihandelsabkommen, bestätigt zwar, daß CETA tatsächlich vorläufig in Kraft gesetzt werden soll. Das gelte für jene Teile, die komplett im Zuständigkeitsbereich der EU liegen. Er ist jedoch im Unterschied zu Lange der Auffassung, daß der höchst umstrittene Investitionsschutz ausdrücklich nicht dazu gehört. Parteilinke wie Ralf Stegner oder Marco Bülow fordern sogar, daß kein Teil des Abkommens in Kraft treten dürfe, bevor der Bundestag darüber abgestimmt hat, da dieser andernfalls entmachtet würde. Klären will die SPD ihre Haltung auf einem Parteikonvent, der laut Machnig im Juni oder September und damit vor dem Votum des Europäischen Rats über die vorläufige Anwendung von CETA stattfinden werde. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel befürwortet CETA, hat aber angedeutet, daß die nationalen Parlamente mitbestimmen, bevor Abkommen wie CETA und TTIP in Kraft treten. Andererseits ist inzwischen bekannt, daß die Bundesregierung den strategischen Winkelzug eines vorläufigen Inkrafttretens favorisiert. Offensichtlich bleibt die deutsche Sozialdemokratie also auch in dieser Frage ihrer traditionellen Rolle treu, sich um die Akzeptanz höchst unverträglicher Maßnahmen verdient zu machen. Strategische Pläne für alle Eventualitäten Die Einschätzung, welche Schritte die geplante Durchsetzung von CETA mutmaßlich durchlaufen wird und welche Konsequenzen für die Bewegung gegen die Freihandelsabkommen daraus zu ziehen sind, war Seite 4 Sie legte in ihrem einführenden Vortrag die Schrittfolge der Ratifizierung dar und erörterte mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Workshops mögliche Gegenmaßnahmen auf jeder dieser Etappen. So könnte beispielsweise der Konsens unter den Mitgliedsstaaten aufgebrochen werden, zumal die rechte polnische Regierung ihre bilateralen Investorenverträge aus Kostengründen kündigen will und die Opposition gegen CETA in Deutschland und Österreich besonders stark ist. In den Niederlanden bestünde die Möglichkeit, mit Volksentscheiden in den Ratifizierungsprozeß einzugreifen. Maritta Strasser Foto: © 2016 by Schattenblick denn auch eines der zentralen Diskussionsthemen im Workshop "CETA-Ratifizierung stoppen!", der von der Campact-Kampagnenleiterin Maritta Strasser auf der Kasseler Konferenz angeboten wurde. Wie sich rasch abzeichnete, ist die Rechtslage umstritten, zumal sich Befürworter und Gegner auf konträre Gutachten berufen. Beispielsweise ist bei einem gemischten Abkommen laut den EU-Verträgen im Rat eigentlich Einstimmigkeit bei der Ratifizierung erforderlich, doch gehen andere Auffassungen insbesondere bei einer vorläufigen Anwendung von einer qualifizierten Mehrheit aus. Das ist jedoch nur eine unter mehreren Unwägbarkeiten des Ratifizierungsprozesses, dessen Verlauf und Zeitrahmen von verschiedenen Faktoren abhängen. Wenngleich für unstrittig erachtet wurde, daß die CETA-Befürworter die nationalen Parlamente am liebsten kaltstellen würden, hielt man es doch für ungewiß, ob sie sich das tatsächlich leisten können und wollen. Die Bewegung gegen die Abkommen muß folglich verschiedene Szenarien in Betracht ziehen, also gewissermaßen auch einen Plan B haben, sollte Plan A nicht greifen, so die Referentin. www.schattenblick.de Eine ganz wesentliche Hürde ist insbesondere das EU-Parlament. Legt man die Abstimmung über die TTIPResolution vom Juli 2015 zugrunde, müßten 75 Abgeordnete das Lager wechseln, damit eine Mehrheit gegen CETA zustande kommt. Von den deutschen Abgeordneten haben damals 24 für die Resolution gestimmt und nur vier dagegen. Wie man insbesondere auf die sozialdemokratischen Abgeordneten einwirken könne, war Gegenstand einer ausgiebigen Diskussion, in die wie auch zu anderen Punkten zahlreiche Vorschläge wie Netzwerke, Postkartenaktionen, persönliche Ansprache und manches mehr debattiert wurden, da der Workshop insbesondere den zu ergreifenden praktischen Maßnahmen gewidmet war. Lokale Kampagnen an verschiedenen Orten brachten ihre Erfahrungen ein, die im Austausch mit anderen als sehr hilfreich und produktiv wahrgenommen wurden. Eine Bürgerklage vor dem Bundesverfassungsgericht ist möglich, aber nicht einfach, da der Nachweis geführt werden muß, warum man unmittelbar in den Grundrechten betroffen ist. Das Risiko des Scheiterns ist hoch, was wiederum ungünstig für die Argumentation der Bewegung und deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit wäre. Zur Klage Marianne Grimmensteins, die im ersten AnFr, 15. April 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick lauf gescheitert war und es nun mit Prof. Dr. Andreas Fisahn als Beistand noch einmal versucht, merkte die Referentin an, daß die dafür benutzte Plattform Change.org keine NGO, sondern ein Unternehmen sei, das man nicht unterstützen sollte. Was eine Abstimmung im deutschen Bundestag betrifft, könnte die Große Koalition CETA problemlos durchwinken, da die zusammen 20 Prozent der Opposition noch nicht einmal für eine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht ausreichen. Auch hat das Ausbleiben eines grundsätzlichen Protests gegen die Leseräume unter den Abgeordneten gezeigt, in welchem Ausmaß die Bundesregierung das Parlament unter Kontrolle hat. Im Bundesrat wären die Mehrheitsverhältnisse derzeit günstiger, würden die Grünen ihre Schlüsselposition in den Ländern gegen CETA einsetzen. Denkt man an den Freihandelsbefürworter Kretschmann in Baden-Württemberg und die schwarz-grünen Perspektiven, ist allerdings Skepsis geboten. Sollte CETA nicht bis Frühjahr 2017 durchgesetzt sein, wird dieser Prozeß voraussichtlich bis nach der Bundestagswahl im Herbst verschoben werden, um dieses brisante Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten, so die allgemeine Einschätzung. zen, das europäische Netzwerk von 400 Organisationen aus allen EULändern auszubauen, sich auf lokaler Ebene auf Schwerpunkte zu konzentrieren, die für bestimmte Zielgruppen relevant sind, und zugleich den Protest massenhaft auf die Straße zu bringen. Wurde die Oktoberdemonstration der 250.000 Menschen in Berlin von den Medien noch in einen Mantel des Schweigens gehüllt, so hat die Bewegung daraus gelernt. Der Aufruf zur Kundgebung des Widerstands am 23. April in Hannover vor dem Messebesuch von Barack Obama und Angela Merkel wurde erfolgreich in den Leitmedien plaziert, die nicht umhin konnten, zentrale Argumente zu zitieren. So steht zu erwarten, daß diese Demonstration weithin wahrgenommen wird und sich eines Zuspruchs zahlreicher Menschen erfreut, die sich bei dieser Gelegenheit der Bewegung anschließen und sie künftig auf noch breitere Füße stellen. Anmerkungen: [1] Laut EU-Kommission war Kanada 2012 mit einem Anteil von 1,8 % am gesamten EU-Außenhandel der zwölftwichtigste Handelspartner der EU. Auf der Grundlage der Zahlen Handstreich oder von 2011 entfielen auf die EU 10,4 Verzögerungstaktik? % des gesamten kanadischen Außenhandels, was sie zum zweitwichtigDas europäisch-kanadische Freihan- sten Handelspartner Kanadas nach delsabkommen CETA könnte in den USA machte. Brüssel im Handstreich vorläufig in Kraft gesetzt und wenig später ange- [2] http://www.attac.de/ceta wendet werden. Es könnte aber auch in Erwartung, der Widerstand werde [3] http://www.taz.de/!5288286/ sich totlaufen, auf die lange Bank geschoben werden. Die damit verbundene Ungewißheit stellt enorme stra- TTIP Strategie und Aktionskonfe tegische Anforderungen an die Be- renz in Kassel im Schattenblick wegung gegen CETA, TTIP und Ti- www.schattenblick.de → INFO SA, entlang der gesamten Kette ver- POOL → BUERGER → REPORT: suchter Durchsetzung jeweils da anzugreifen, wo sich der Prozeß gera- BERICHT/068: Das Anti-TTIPde befindet. Inhaltlich gilt es, die Bündnis - Widerstand und Komprovolle Breite der Argumente zu nut- miß ... (SB) Fr, 15. April 2016 www.schattenblick.de BERICHT/069: Das Anti-TTIPBündnis - Lackmustest Verschärfung ... (SB) BERICHT/070: Das Anti-TTIPBündnis - die Hoffnung auf Mehrheiten ... (1) (SB) BERICHT/071: Das Anti-TTIPBündnis - die Hoffnung auf Mehrheiten ... (2) (SB) BERICHT/072: Das Anti-TTIPBündnis - Erhalt marktregulierter Vorherrschaft ... (SB) BERICHT/075: Das Anti-TTIPBündnis - beim Thema bleiben ... (SB) BERICHT/076: Das Anti-TTIPBündnis - Freiheit säen, utopisch ernten ... (SB) INTERVIEW/097: Das Anti-TTIPBündnis - die Säge am Überlebensast ... Pia Eberhardt im Gespräch (SB) INTERVIEW/098: Das Anti-TTIPBündnis - Kulturelle Errungenschaften im Ausverkauf ... Olaf Zimmermann im Gespräch (SB) INTERVIEW/099: Das Anti-TTIPBündnis - Konsens ... Nelly Grotefendt im Gespräch (SB) INTERVIEW/100: Das Anti-TTIPBündnis - Rechtsprechung statt Verträge ... Petra Pinzler im Gespräch (SB) INTERVIEW/101: Das Anti-TTIPBündnis - Korrumption im Zangengriff der Basis ... John Hilary im Gespräch (SB) INTERVIEW/102: Das Anti-TTIPBündnis - Kontroll- und Verwertungsmotive ... Uta Wagenmann im Gespräch (SB) INTERVIEW/103: Das Anti-TTIPBündnis - der Kriegsführung entlehnt ... Uwe Hiksch im Gespräch (SB) INTERVIEW/104: Das Anti-TTIPBündnis - Großer Spieler Eurozone ... Francisco Mari im Gespräch (SB) INTERVIEW/105: Das Anti-TTIPBündnis - Betrogene Mehrheitsinteressen ... Melinda St. Louis im Gespräch (SB) INTERVIEW/106: Das Anti-TTIPBündnis - eine globale Antwort ... Alexis Passadakis im Gespräch (SB) http://www.schattenblick.de/ infopool/buerger/report/ brrb0077.html Seite 5 Elektronische Zeitung Schattenblick BÜRGER UND GESELLSCHAFT / REPORT / BERICHT Das Anti-TTIP-Bündnis - Ein großes Spektrum ... (1) ... an Bündnissen und Aktionsformen TTIP Strategie und Aktionskonferenz in Kassel (SB) Da das aktivistische Element quasi das Wasser darstellt, in dem sich die gegen Freihandelsabkommen protestierenden Menschen wie Fische bewegen, sollte seine Präsentation in Kassel nicht zu kurz kommen. Nach einem Tag der Diskussionen auf dem zentralen Podium und in den Workshops fand ein Aktionsaustausch statt, der wie eine Führung durch eine improvisierte Ausstellung organisiert war. Auf zwei Etagen des Veranstaltungsortes in der Universität Kassel hatten die Aktivistinnen und Aktivisten diverser lokaler und regionaler Initiativen Stände aufgebaut, an denen sie über ihre Arbeit berichteten und dies auch in Bild und Ton dokumentierten. Da die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Rundgangs zumeist selbst in verschiedene Aktionsbündnisse eingebunden sind, entspann sich dabei ein reger Austausch über die Erfahrungen, die mit den jeweiligen Aktionsformen, ihrer Resonanz in der Öffentlichkeit und den Medien gemacht wurden. Foto: © 2016 by Schattenblick ne Tanzparade gegen TTIP. Mit einem Bürgerantrag hat es erreicht, daß der Kölner Stadtrat im März 2015 mit großer Mehrheit eine Resolution gegen CETA, TTIP und TISA verabschiedete. Köln ist mithin die erste Millionenstadt der Bundesrepublik, die sich offiziell zur TTIPWie ein Ohrwurm gräbt sich die Me- freien Zone erklärt hat. lodie des bekannten Schlagers ins Gehör, der mit dem Refrain "Eiskalt pfeifen sie aufdie Demokratie" einen zeitgemäßen Inhalt erhalten hat. Wen wundert es, daß sich das Kölner Bündnis gegen TTIP [1] karnevalistisch gibt, könnten doch öffentliche Aufzüge dieser Art nicht besser geeignet sein, auch das Anliegen politischen Protestes zu transportieren. Doch das breite, mehrheitlich linke Organisationen und Parteien umfassende Bündnis der Domstadt wartet nicht nur mit köllschem Humor auf oder verwandelt den traditionellen Tanz in den Mai am 30. April in eiSeite 6 www.schattenblick.de Das Trojanische Pferd, antiker Inbegriff einer mit Trug und List arbeitenden Kriegslist, hat die Attac-Regionalgruppe Hunsrück-Nahe [2] zum Symbol ihres Kampfes gegen Freihandelsabkommen auserkoren. Die Aktivistinnen und Aktivisten haben das Holzpferd, das auch in Kassel auf dem Vorplatz der Universität vor einer verdeckten Invasion transFoto: © 2016 by Schattenblick Fr, 15. April 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick atlantischer Kapitalinteressen warnte, gemeinsam entworfen und erbaut. Während der Arbeit entwickelte sich ein Gruppenprozeß, der den Zusammenhalt der rund 20 Aktivistinnen und Aktivisten festigte. Das Trojanische Pferd gastiert nun auf lokalen und regionalen Märkten, auf Konzerten und anderen öffentlichen Ereignissen, wo es einen guten Anlaß bietet, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Sogar die Kölner Karnevalisten fragten an, um es auf dem traditionellen "Zoch vor dem Zoch" zu präsentieren, wo Globalisierungs- und Kapitalismuskritiker deutlichere Worte für die soziale und gesellschaftliche Misere finden als auf dem Rosenmontagszug im allgemeinen üblich. Fotos: 2016 by Schattenblick Auch die Stadt Leipzig hat sich gegen TTIP positioniert, und die große Resonanz aufdie Aktionen des Netzwerkes Vorsicht Freihandel! [3] belegt, daß die Kritik an derartigen Abkommen keine Fr, 15. April 2016 Minderheitenmeinung ist. Als Beispiel für gelungene Performances im öffentlichen Raum wird eine TTIP-Mauer aus Kartons gezeigt, gegen die die Menschen anrennen, um sie schließlich umzustürzen. In einem anderen straßentheaterartigen Szenario wanken Freihandel-Zombies, schon an ihren Augenbinden, aufdenen die Großbuchstaben der Freihandelsverträge prangen, zu erkennen, hinter ihren ausgestreckten Armen her durch Demonstrationszüge. Dabei murmeln sie sattsam bekannte Freihandelsparolen und zeigen so, daß die Beendigung untoter Ausbeutungspraktiken überfällig ist. Millionäre für TTIP protzen in Abendkleid und Smoking, das Champagnerglas in der Hand und arrogante Sprüche aufden Lippen, so aufdringlich mit ihrem Reichtum, daß sich einige Menschen tatsächlich herausgefordert sehen und grob werden. Auf die Frage, wie es in Leipzig um Legida stehe, erklärt eine Aktivistin, daß die AfD ihnen eine Zusammenarbeit vorgeschlagen habe. Dies hätte das Netzwerk allerdings rigoros abgelehnt, weil es ganz andere Gründe für den Widerstand gegen Freihandelsabkommen habe. Marburger Aktivist erklärt Kriti schen Stadtspaziergang und Demonstration Foto: © 2016 by Schattenblick Es sei nicht nur auf die hessische Universitätsstadt zugeschnitten, sondern könne in jedem Ort durchgeführt werden, erklärt der Aktivist. Bei diesem Rundgang, an dem durchaus um die 400 Menschen teilnehmen, gehe es vor allem darum, die Probleme, die TTIP erzeugt, an praktischen, die jeweilige Kommune betreffenden Beispielen deutlich zu machen, um die Freihandelspolitik von ihrer abstrakten Abgehobenheit auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. So werden Referate an bestimmten Stationen gehalten, die spezifische Folgen etwa der Privatisierung, des Abbaus von Sozialleistungen und Kultursubventionen oder der Entdemokratisierung anschaulich machen. Dazu werden eigens entworfene Flyer verteilt, was in Marburg zur Folge hatte, daß die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Rundgängen am Schluß stets um einiges höher war als am Anfang. Präsentation der Fotoaktion Foto: © 2016 by Schattenblick Am Stand des Marburger Bündnisses gegen TTIP [4] wird das Konzept "Kritischer Stadtspaziergang und Demonstration" vorgestellt. www.schattenblick.de Seite 7 Elektronische Zeitung Schattenblick Blick in eine andere Welt Foto: © 2016 by Schattenblick Fotos: 2016 by Schattenblick Eine Aktivistin aus Aachen hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, warum so viele Menschen politisch resignieren, anstatt sich zu wehren. Um das Problem, das ihrer Ansicht nach durch eine zu geringe Präsenz des Themas TTIP in den Massenmedien und seinen zu hohen Abstraktionsgrad verursacht ist, zu beheben, hat sie eine Fotoaktion ins Leben gerufen. Mit ihr soll dem Widerstand ein Gesicht gegeben werden, so daß die Menschen sich mit ihrem Anliegen nicht alleingelassen fühlen. Kurze Statements, die die Opposition zu Freihandelsabkommen begründen, werden zusammen mit dem Bild der jeweiligen Person präsentiert, um zu den Menschen, die die Fotos betrachten, einen emotionalen Bezug herzustellen. Am Stand der Organisation Powershift berichtet eine Aktivistin über eine Protestaktion, die anläßlich einer Seite 8 Veranstaltung des marktliberalen Jacques Delors Institutes im Allianz Kulturforum in Berlin am 28. September 2015 stattfand. Das mit politischer, diplomatischer und journalistischer Prominenz hochkarätig besetzte Podium wurde von zehn Aktivistinnen und Aktivisten mitten in der Veranstaltung durch einen ungewöhnlichen Meinungsbeitrag aufgeschreckt. Zu diesem Zweck hatte die Gruppe, die fünf Stunden vor dem Gebäude in der Nähe des Brandenburger Tores ausharren mußte, um Einlaß zu erhalten, einen französischen Protestsong umgetextet, der nun unter anderem von Sängerinnen des politischen Protestorchesters Lebenslaute lautstark vorgetragen wurde. Wer im Publikum den Text, in dem die "die Wut der Basis" bekundet und "Schluß mit euren TTIP-Lügen" gefordert wurde, nicht verstand, wußte zumindest anhand der hochwww.schattenblick.de Am Stand von Powershift Foto: © 2016 by Schattenblick gehaltenen Plakate, daß es sich bei den Protestlern um keine Freunde des Freihandelsabkommens handelte. Ein Politprofi wie Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der weiß, wie man unvorhergesehene Interventionen an sich abperlen läßt, war dadurch zwar nicht ohne weiteres aus der Ruhe zu bringen. Er forderte die Störer auf, mit ihm zu diskutieren, und es kam auch zu einer Stellungnahme einer Aktivistin, doch in einer derart auf Podium und Publikum ausgerichteten Situation kann ein Gespräch aufAugenhöhe und mit fairer Beteiligung aller Interessenten kaum zustandekommen. Entscheidend war, daß ein Zeichen gesetzt wurde, das nicht ohne weiteres ignoriert werden konnte, so daß Fr, 15. April 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick es auch in dem offiziellen Zusammenschnitt der Veranstaltung [5] seinen Platz fand, der ansonsten auf prototypische Weise jenen Duktus und Habitus zelebriert, der auf den Kommandohöhen in Staat und Wirtschaft gang und gäbe ist. nem Schiff begleitet, das ebenfalls mit einem Transparent versehen war. Die Aktion [6] habe gute mediale Resonanz erzeugt, denn in der bundesweiten Tagesschau wie in der Hessenschau wurde über sie berichtet, zudem habe man mit der Kundgebung viele Leute erreicht, die sich ansonsten nicht an Demonstrationen beteiligen. Am 5. September 2015 fand auf dem Tempelhofer Feld, dem zu einer Freifläche für allgemeinen Nutzen umgewidmeten alten Berliner Flughafen, ein Protestpicknick unter Beteiligung von 1500 Menschen statt. Es handelte sich um eine von StopptTTIP-Berlin [7] angemeldete Demonstration, bei der große Buchstaben auf einer ehemaligen Landebahn plaziert wurden, auf denen sich die Demonstranten mit ihren Picknickkörben niederlassen konnten. Aufeiner Strecke von 400 Metern waren die Lettern "STOPP TTIP CETA TISA" ausgelegt. 30 Personen hatten drei Stunden lang die Buchstaben ausgemessen und in eine lesbare Form gebracht, wobei sie sich mit Megafonen verständigten. Man holte eine Genehmigung für einen Drohnenflug ein, um das Ganze aus der Luft zu fotografieren, zudem gab es eine Hebebühne für die Presse, damit diese ihre eigenen Bilder machen konnte. GreenpeaceAktivistin und Aktivisten aus Frankfurt und Berlin Foto: © 2016 by Schattenblick "Wenn TTIP kommt, geht die Demokratie baden" - das Frankfurter Bündnis gegen TTIP, CETA & TISA nahm am 18. April 2015, dem weltweiten Protesttag gegen TTIP, ein Bad im Main unter einer vielbegangenen Brücke, um seine Opposition gegen das Freihandelsabkommen zu kommunizieren. Das im Wasser treibende und von Aktivistinnen und Aktivisten in roten Taucheranzügen flankierte Banner mit der Aufschrift "Save Democracy - Stopp TTIP" wurde von ei- Drohnenperspektive der Aktion auf Tempelhofer Feld Foto: by stopptttipberlin.de, freigegeben als CC BYSA 4.0 [http://creativecommons.org/ licenses/bysa/4.0/legalcode] (wird fortgesetzt) Anmerkungen: [1] http://no-ttip-koeln.de/ [2] http://www.attac-netzwerk.de/hunsrueck-nahe/ Protestpicknick auf Tempelhofer Feld Foto: by stopptttipberlin.de, freigegeben als CC BYSA 4.0 [http://creativecommons.org/licenses/bysa/4.0/legalcode] Fr, 15. April 2016 www.schattenblick.de [3] http://vorsichtfreihandel.blogsport.de/ Seite 9 Elektronische Zeitung Schattenblick [4] https://marburggegenttip.wordpress.com/ [5] http://www.delorsinstitut.de/allgemein/ttip-event/ Siehe Min 10.10 und Min 12.20 [6] http://greenpeace-frankfurt.de/index.php/ttip-freihandelsabkommen?start=5 [7] http://www.stoppt-ttip-berlin.de/ TTIP Strategie und Aktionskonfe renz in Kassel im Schattenblick www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUERGER → REPORT: BERICHT/068: Das Anti-TTIPBündnis - Widerstand und Kompromiß ... (SB) BERICHT/069: Das Anti-TTIP-Bündnis - Lackmustest Verschärfung ... (SB) BERICHT/070: Das Anti-TTIPBündnis - die Hoffnung auf Mehrheiten ... (1) (SB) BERICHT/071: Das Anti-TTIPBündnis - die Hoffnung auf Mehrheiten ... (2) (SB) BERICHT/072: Das Anti-TTIPBündnis - Erhalt marktregulierter Vorherrschaft ... (SB) BERICHT/074: Das Anti-TTIPBündnis - beim Thema bleiben ... (SB) BERICHT/075: Das Anti-TTIPBündnis - beim Thema bleiben ... (SB) BERICHT/076: Das Anti-TTIPBündnis - Freiheit säen, utopisch ernten ... (SB) INTERVIEW/097: Das Anti-TTIPBündnis - die Säge am Überlebensast ... Pia Eberhardt im Gespräch (SB) INTERVIEW/098: Das Anti-TTIPBündnis - Kulturelle Errungenschaften im Ausverkauf ... Olaf Zimmermann im Gespräch (SB) INTERVIEW/099: Das Anti-TTIPBündnis - Konsens ... Nelly Grotefendt im Gespräch (SB) INTERVIEW/100: Das Anti-TTIPBündnis - Rechtsprechung statt Verträge ... Petra Pinzler im Gespräch (SB) INTERVIEW/101: Das Anti-TTIPBündnis - Korrumption im Zangengriff der Basis ... John Hilary im Gespräch (SB) INTERVIEW/102: Das Anti-TTIPBündnis - Kontroll- und Verwertungsmotive ... Uta Wagenmann im Gespräch (SB) INTERVIEW/103: Das Anti-TTIPBündnis - der Kriegsführung entlehnt ... Uwe Hiksch im Gespräch (SB) INTERVIEW/104: Das Anti-TTIPBündnis - Großer Spieler Eurozone ... Francisco Mari im Gespräch (SB) INTERVIEW/105: Das Anti-TTIPBündnis - Betrogene Mehrheitsinteressen ... Melinda St. Louis im Gespräch (SB) INTERVIEW/106: Das Anti-TTIPBündnis - eine globale Antwort ... Alexis Passadakis im Gespräch (SB) http://www.schattenblick.de/ infopool/buerger/report/ brrb0078.html SCHACH UND SPIELE / SCHACH / SCHACH-SPHINX Gratwanderer zwischen Opfermut und Kalkül Von Efim Bogoljubow sind viele kleine nette Anekdoten bekannt. Sie aufzuzählen, reichen 365 Abende nicht. Eine jedoch glänzte durch ihre Pointenschärfe und soll nun erzählt werden. 1932 war es zu einem Zweikampf zwischen Bogoljubow und dem Wiener Meister Rudolf Spielmann gekommen. Spielmann, auch der letzte Ritter des Königsgambits genannt, pflegte seine Partien oft mit scharfen Opferkombinationen zu würzen. Er war dennoch kein blinder Hasardeur, sondern eher ein Gratwanderer zwischen unsinnigen Opfern und vielversprechenden Gambits. Auf dem Semmering fand also dieses Kräfteringen statt. Bogol(SB) Seite 10 jubow galt seinerzeit als einer der stärksten Spieler der Welt, während Spielmann seinen Zenit wohl schon überschritten hatte. So verwunderte es nicht, daß der Wahldeutsche, ehemalige Russe nach drei Partien mit 2,5:0,5 führte. Ein wenig übermütig mag Bogoljubow wohl zumute gewesen sein, denn zur vierten Partien erschien er erst arg verspätet, und auch dann stürzte er sich nicht ans Brett, sondern setzte sich an einem Nebentisch und ließ sich ein üppiges Frühstück bringen. Während der gewaltige Esser mit der einen Hand die Figuren führte, langte er mit der anderen ordentlich zu. Doch nach dem 16. Zug schien ihm das Brötchen im www.schattenblick.de Halse steckengeblieben zu sein. Sein horrender Appetit hatte ihm doch tatsächlich den Verstand vernebelt. Ein Blick auf die Stellung überzeugte ihn davon, daß er die Partie verloren hatte. Bis zum Ende des Wettkampfes saß Bogoljubow artig am Brett, hatte auch keine derartigen Flausen mehr im Kopf. Allein, für Reue war es längst zu spät. Spielmann, einmal in Wut gebracht, gewann den Zweikampf schließlich mit 5:4. Das heutige Rätsel der Sphinx ist aus der fünften Wettkampfpartie entlehnt, in der Spielmann mit den weißen Steinen auf unverwechselbare Weise gewann. Bist auch du, Wanderer, von solch opferfreudigem Sinn erfüllt? Fr, 15. April 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick EUROPOOL / BÜRGER / MELDUNG "Die Nacht, in der wir aufstehen" eine Bewegung mobilisiert 100.000 in Frankreich Internationale Presseagentur Pressenza Büro Berlin Nachricht aus der Redaktion London vom 14. April 2016 von Lauren McCauley, Redakteur von Common Dreams [1] Spielmann - Bogoljubow Semmering 1932 Paris, Frankreich / Pressenza Lon don 14.04.2016. Ein Polizeieinsatz wird Frankreichs aufkeimende Nuit Debout (oder "Die Nacht, in der wir aufstehen") Bewegung nicht verhinAuflösung des letzten dern, die in den letzten Wochen das SphinxRätsels: Land überschwemmt hat, so wie der Ob sich Meister Schwarz im Grabe vereinte Ruf nach Veränderung die umgedreht hatte, als nach 50 Jahren Proteste in über 50 Städten dieses herauskam, daß die von ihm aufge- Wochenende anfachte. gebene Stellung über eine zum Sieg führende Pointe verfügte? Jedenfalls Einsatzkräfte der Polizei räumten hätte Meister Schwarz auf 1.Sc6- früh am Montag das Camp auf dem e7+ mit 1...Kd5-e4 2.Se7xc8 f4-f3+ Platz der Republik in Paris nach 11 3.Ke2-f2 Lg5-h4+ 4.Kf2-g1 f3-f2+ Nächten des Protestes, aber die De5.Kg1-h2 f2-f1D bequem gewinnen monstranten schworen, ihre nächtliche Mahnwache beizubehalten. können. Letztes Wochenende wurden in 60 http://www.schattenblick.de/ Städten und Kleinstädten überall in infopool/schach/schach/ Frankreich Demonstrationen abgesph05806.html halten, auch in Belgien, Deutschland und Spanien. Nach Berichten protestierten ungefähr 120.000 Menschen gegen Sparpolitik, Globalisierung, wachsende Ungleichheit, Privatisierungen und die harte Anti-Migrationspolitik des Kontinents. Liste der neuesten und tagesaktuellen Nachrichten ... Kommentare ... Interviews ... Reportagen ... Textbeiträge ... Dokumente ... Tips und Veranstaltungen ... http://www.schattenblick.de/ infopool/infopool.html Fr, 15. April 2016 Was als Kritik an der Anti-Arbeitnehmerpolitik des Staates begann, ist zu einer landesweiten Pro-Demokratie Bewegung angewachsen, welche mit den Indignados in Spanien oder der Occupy Bewegung in den USA vergleichbar ist. die Demonstrationen von Studenten und Gewerkschaften folgte, die Präsident François Hollandes vorgeschlagene Veränderungen der Arbeitsgesetze kritisierten. Aber die Bewegung und ihre radikale nächtliche Aktion waren bereits seit Monaten erträumt worden bei einem Treffen von linken Aktivist_innen." "Es waren ungefähr 300 oder 400 Leute bei einem öffentlichen Treffen im Februar und wir fragten uns, wie können wir der Regierung wirklich Angst machen? Wir hatten eine Idee: beim nächsten großen Straßenprotest würden wir einfach nicht nach Hause gehen", erzählt Michel, 60 Jahre alt und ein ehemaliger Lieferfahrer. "Die Protestler debattieren über Themen wie die nationale Sicherheit, Wohnungssituation und die vorgeschlagenen Veränderungen der französischen Arbeitsgesetze." "Am 31. März, zur Zeit der Arbeitsgesetz-Proteste, ist es dann passiert. Es gab sintflutartigen Regen, aber trotzdem kamen alle zum Platz. Dann, um 21 Uhr, hörte der Regen auf und wir blieben. Wir kamen am nächsten Tag zurück und da wir jede weitere Nacht zurückkommen, beginnt es der Regierung Angst zu machen, denn es ist für sie unmöglich, dieses Phänomen in den Griff zu bekommen." Über die Anfänge dieser Bewegung schreibt Angelique Chrisafis vom "Es passiert etwas hier, was ich nie zuvor in Frankreich wahrgenommen Guardian aus Paris: habe - all diese Leute kommen hier "Es begann am 31. März mit einem jede Nacht zusammen, auf eigene nächtlichen Sit-in in Paris, der auf Veranlassung und diskutieren über www.schattenblick.de Seite 11 Elektronische Zeitung Schattenblick Ideen - vom Wohnen bis zu Grundeinkommen, Flüchtlinge, jedes Thema, das ihnen gefällt. Niemand hat ihnen das gesagt, keine Gewerkschaften drängen sie dazu - sie kommen aus eigenem Antrieb." "In einem Versuch, die meist jungen Demonstranten zu beruhigen, kündigte die französische Regierung am Montag an, 400 bis 500 Millionen Euro in eine neue Studienhilfe zu stecken, in Form von Fördermitteln für junge Absolventen, die nach einem Job suchen, und andere Hilfen für Auszubildende und Studenten", berichtet Reuters. lassungen, mehr Prekariat, wachsende Ungleichheit und die Profilierung von privaten Interessen. Wir weigern uns, dieser Schock-Strategie unterworfen zu werden, bemerkenswerter Weise aufgezwungen während eines autoritären Ausnahmezustandes. ... Diese Bewegung wurde nicht in Paris geboren und wird hier auch nicht sterben. Vom Arabischen Frühling zur Bewegung 15M, vom Tahrir Platz bis zum Gezi Park, zum Platz der Republik und den vielen anderen Plätzen, die heute Nacht besetzt sind, äußern die Menschen dieselbe Wut, dieselben Hoffnungen und dieselben Überzeugungen: die Notwendigkeit Aber das schien nicht zu reichen, da einer neuen Gesellschaft, in der Deein weiterer Protest am Montag mokratie, Würde und Freiheit keine hohlen Worte sind." Abend angekündigt wurde. Seit Monaten waren die ideologischen Spannungen überall in Frankreich und Europa nahe am Explodieren, besonders wegen der unpopulären Sparpolitik der EU und, erst kürzlich, der Anti-Migrationspolitik, die sich festgesetzt hat inmitten des größeren Angriffes auf Menschenrechte nach den Bombenattacken in Brüssel und Paris. Inzwischen setzen Beobachter den Aufschwung von Frankreichs Linken mit ähnlichen Pro-Demokratischen Bewegungen in Verbindung, die sich in Europa und den USA etabliert haben. Tatsächlich liest sich eine Erklärung, die von der Nuit Debout Bewegung herausgegeben wurde teilweise so: "Unsere Mobilisation zielte anfangs darauf ab, gegen die französischen Arbeitsgesetze zu protestieren. Diese Reform ist nicht ein isolierter Fall, da es als ein neues Stück der Sparmassnahmen kommt, welche bereits unsere Europäischen Nachbarn in Mitleidenschaft gezogen haben und welche denselben Effekt haben werden wie die Italienischen Arbeitsgesetze oder die Arbeitsreform in Spanien. Das bedeutet konkret: mehr EntSeite 12 POLITIK / AUSLAND Milagro Sala muss sich als freie Bürgerin verteidigen können Internationale Presseagentur Pressenza Büro Berlin von Olivier Turquet, 14. April 2016 Die Abgeordnete Giovanna Martelli war eine der ersten, die sich in Italien für Milagro Sala, Anführerin von Tupac Amaru und seit Januar in Jujuy (Argentinien) unter vorgeschobenen Anschuldigungen inhaftiert, engagiert hat. Ein Fall, "Diese Bewegung ist auch Eure", en- den Pressenza seit Beginn verfolgt. det der Solidaritätsaufruf. "Sie hat kein Ende, keine Begrenzung und sie gehört allen, die Teil davon sein wol- Giovanna, woher rührt Dein Enga len. Wir sind Tausende und wir kön- gement für Milagro Sala? nen Millionen sein." Als ich von der Verhaftung Milagros Übersetzung aus dem Englischen Jo- erfuhr, war mein erster Gedanke, dass sie befreit werden muss. Was hanna Heuveling auch immer sie getan hat, es ist ihr Recht als Bürgerin, als Frau, als soAnmerkung: ziale Aktivistin und als Abgeordnete [1] http://www.commondredes ParlaSur, sich in Freiheit und im ams.org/news/2016/04/11/all-night- Besitz all ihrer ihr zustehenden protests-sweep-france-100000-join- Möglichkeiten zu verteidigen. Mir pro-democracy-movement wurde zudem bewusst, dass der Wahlsieg einer gewissen politischen Der Text steht unter der Lizenz Crea- Richtung gewisse Personen glauben tive Commons 4.0 lässt, es sei wieder möglich Dinge zu http://creativecommons.org/licen- tun, die man schon lange nicht mehr ses/by/4.0/ gesehen hat. So habe ich dann umgehend einen Appell für ihre Befreiung * lanciert. Quelle: Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin Johanna Heuveling E-Mail: [email protected] Internet: www.pressenza.com/de http://www.schattenblick.de/ infopool/europool/buerger/ ebme0052.html www.schattenblick.de Kannst Du uns die Begebenheit und den aktuellen Stand der Dinge zu sammenfassen? Milagro wurde von einer Seite ausschließlich "politischer" Vergehen und von einer anderen Seite eher "administrativer" Verbrechen beschuldigt. Aber weder die eine (AnFr, 15. April 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick stiftung zur Revolte), noch die andere Anschuldigung (Veruntreuung von Geldern) sieht in einem Rechtsstaat vor, den oder die Beschuldigte in Haft zu behalten. Die aktuelle Situation scheint von Tag zu Tag mehr einer Suspension des Rechtsstaates und Genugtuung politischer Natur zu gleichen. Das sage nicht nur ich, sondern auch eine ganze Reihe anderer Gruppen, von Amnesty International bis hin zum argentinischen Klerus. Das ist nicht akzeptabel und es ist auch gefährlich. Was beunruhigt Dich momentan am meisten? Die Rolle Argentiniens im lateinamerikanischen Kontext beunruhigt mich. Argentinien ist ein großes Land und muss eine feste Rolle in diesem Lateinamerika haben, das vor großen Veränderungen steht, wie zum Beispiel dem Friedensprozess in Kolumbien, der durch den Dialog von Havanna initiiert wurde, und der Krise der brasilianischen Regierung, die sich auf rechtlichem Weg nicht lösen lässt. Argentinien hat vor nicht allzu langer Zeit eine blutige Diktatur durchlebt und wir wollen nicht, dass die Schatten der Vergangenheit zurückkehren. Präsident Macri, der ja die Wahlen gewonnen hat, muss natürlich gemäß den Ideen und Aktionen regieren, die er für richtig hält. Aber Wahlen gewinnen bedeutet nicht, das Recht zu haben, alles machen zu können, was man will, und schon gar nicht, politische Oppositionelle ins Gefängnis zu stecken. Man hat das Gefühl, dass unsere Ak tionen, selbst wenn sie bedacht und korrekt sind, gegen eine Mauer der Gleichgültigkeit und Arroganz lau fen: was können wir noch tun? Mauern erschrecken uns nicht. Sie enthüllen im Gegenteil eine tiefgehende Schwäche derer, die sie aufgebaut haben. Ich möchte die große Ruhe und Gefasstheit der Aktivisten Fr, 15. April 2016 von Tupac Amaru betonen, die sie mit all denen zusammen gezeigt haben, die auf den Straßen von ganz Argentinien gegen Inhaftierungen, Entlassungen und finanzielle Kürzungen protestieren, die die Regierung zur Zeit durchführt. Gewaltfreiheit ist meine Antwort, ist unsere Antwort. Wir haben hier in Italien einen informellen Ausschuss gegründet, um die Causa Milagro zu unterstützen. Es handelt sich dabei um einen Ausschuss, der aus verschiedensten Leuten besteht, die aber alle im Kampf für Gerechtigkeit und Wahrheit vereint sind. Konkret versuche ich, mit all meinen Möglichkeiten die Initiativen des Ausschusses zu unterstützen, und im Moment ganz besonders, den Dokumentarfilm "Algo está cambiando" ("Etwas verändert sich"), den Magalí Buj und Federico Palumbo über die Realität von Tupac Amaru gedreht haben, so bald wie möglich an einem offiziellen Ort zeigen zu können. Auch weil ich glaube, dass es angebracht ist, der großen Missinformation mit Berichterstattung und Information entgegenzutreten. Die Wahrheit siegt immer über die Lüge. Übersetzung aus dem Italienischen von Evelyn Rottengatter Über den Autor Olivier Turquet schreibt seit 40 Jahren, um die Realität zu erzählen. Er hat mit Printmedien, Radio und elektronischen Medien zusammengearbeitet, darunter Frigidaire, Radio Montebeni, L'Umanista, Contrasti, PeaceLink, Barricate, Oask!, Radio Blue, Azione Nonviolenta, Mamma!. Er gründete die humanistische elektronische Nachrichtenagentur Buone Nuove sowie die Lokalzeitung Le Bagnese Times und war Pressesprecher verschiedener Veranstaltungen wie The International Humanist, Firenze Gioca und des Weltweiten Marsches für Frieden und Gewaltwww.schattenblick.de freiheit. Zur Zeit koordiniert er die italienische Redaktion von Pressenza. Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0 http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ * Quelle: Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin Johanna Heuveling E-Mail: [email protected] Internet: www.pressenza.com/de http://www.schattenblick.de/ infopool/politik/ausland/ pafr0030.html POLITIK / AUSLAND Mexiko Bruch zwischen CIDHExpert*innenkommission und mexikanischer Regierung poonal Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen von Gerd Goertz (MexikoStadt, 11. April 2016, npl) Die Form wird noch halbwegs ge- wahrt. Doch knapp zwei Wochen, bevor die fünfköpfige Interdisziplinäre Gruppe Unabhängiger Expert*innen (GIEI) der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) am 24. April ihren mit Spannung erwarteten zweiten Bericht über die 43 verschwundenen Lehramtsstudenten von der Landuniversität Ayotzinapa im Bundesstaat Guerrero vorstellen Seite 13 Elektronische Zeitung Schattenblick wird, ist ihr Verhältnis zur mexikanischen Regierung am Tiefpunkt angekommen. Mehrere Regierungsvertreter*innen haben trotz gegenteiliger Forderungen von Familienangehörigen der Opfer, Menschenrechtsorganisationen sowie Abgeordneter und Senator*innen betont, eine weitere Mandatsverlängerung für die GIEI komme nicht in Frage. Die aktuelle zweite Mandatsperiode endet am 30. April. Eine lückenlose Aufklärung der Attacken von lokaler Polizei und Mitgliedern des organisierten Verbrechens gegen die Studenten in der Nacht vom 26. auf den 27. September 2014 in der Stadt Iguala scheint damit unwahrscheinlicher denn je. Zu deutlich war in den vergangenen Monaten das Bemühen der Autoritäten, den Ermittlungen keine neuen Impulse zu geben und stattdessen mit ihrem Vorgehen für weitere Verwirrung zu sorgen. Der noch amtierende CIDH-Direktor Emilio Álvarez Icaza, selbst Mexikaner und wie die GIEI Zielscheibe von Diffamierungen, hinter denen böswillig Denkende Regierungshardliner vermuten, warnte am vergangenen Wochenende vor einer Rückkehr zum "autoritären Mexiko". Vor wenigen Wochen war es bereits zu heftigen Meinungsverschiedenheiten über einen Kommissionsbericht zur allgemeinen Menschenrechtslage in Mexiko gekommen. Die Regierung hatte den kritischen CIDH-Bericht vehement zurückgewiesen. Rückfall in ein autoritäres Mexiko? Erst am vergangenen Freitag wurde ein neues Zwischengutachten der internationalen Forensiker*innen der Universität Innsbruck bekannt. Die Gutachter*innen hatten unter anderem Knochenreste auf der Müllhalde von Cocula mit Haarproben aus den Seite 14 Bussen verglichen, mit denen die verschwundenen Studenten vor den Attacken gefahren waren. Die Proben erbrachten jedoch wegen nicht erstellbarer genetischer Profile keine Belege für die Regierungsversion, dass die Studenten alle noch in der Tatnacht auf der Müllhalde verbrannt wurden. Diese von dem ehemaligen Generalbundesstaatsanwalt Jesús Murillo Karam der Öffentlichkeit als "historische Wahrheit" präsentierte Version wird letztendlich auch von seiner Amtsnachfolgerin Aracely Gómez nicht aufgegeben, obwohl die GIEI in ihrem ersten Mandatsbericht zahlreiche wissenschaftliche Argumente dagegen aufführte. Anfang April hatte die Generalbundesstaatsanwalt (PGR) unilateral und ohne Absprache mit der GIEI ein Gutachten von Brandexperten veröffentlicht. PGR und GIEI hatte sich Monate zuvor nach langwierigen Verhandlungen auf sechs Brandexperten und neue Untersuchungen in Cocula geeinigt. Doch das die PGR bei der Bekanntgabe begleitende Mitglied der Gruppe war weder von der GIEI noch seinen Kollegen für die Sprecherrolle autorisiert. Offenbar wollte die Behörde mit ihrem Vorpreschen in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, die Studenten könnten doch in Cocula verbrannt worden sein. In der äußerst knappen Zusammenfassung des Gutachtens steht, auf der Müllhalde seien die Überreste von 17 Leichen gefunden worden. Zudem habe es dort einen großen kontrollierten Brand gegeben. Da Brände auf der Halde zum einen häufig waren und zum anderem dort und in der näheren Umgebung zahlreiche Opfer von Gewalttaten verscharrt und teilweise verbrannt wurden, sind dies jedoch ohne genauere Angaben wenig hilfreiche Informationen. "Etwas bleibt schon in der Öffentlichkeit hängen", scheint die Devise der PGR zu sein. www.schattenblick.de Rolle von Armee und Bundespolizei bleibt unklar Gleichzeitig gelang es der PGR in den sechs Monaten des zweiten GIEI-Mandates erfolgreich, die von den unabhängigen Expert*innen geäußerte Forderung von einer direkten Befragung der in Iguala in unmittelbarer Nähe des Tatortes stationierten Militärs unerfüllt zu lassen. Die Rolle von Soldaten und Bundespolizei während der Entführung und des Verschwindenlassens der Studenten ist immer noch unklar. Mexikos Präsident hat mehrfach durchblicken lassen, die "bedauernswerten Vorkommnisse" von Iguala müssten "überwunden", der Blick "in die Zukunft" gerichtet werden. Nicht nur die Eltern der verschwundenen Studenten werfen der Regierung vor, auf das Vergessen zu setzen. Ende März pflanzten sie am kleinen Denkmal für die Studenten an der Avenida Reforma in Zentrum von Mexiko-Stadt Vergissmeinnicht. URL des Artikels: https://www.npla.de/poonal/bruchzwischen-cidh-expertinnenkommission-und-mexikanischer-regierung/ * Quelle: poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen Herausgeber: Nachrichtenpool Lateinamerika e.V. Köpenicker Straße 187/188, 10997 Berlin Telefon: 030/789 913 61 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.npla.de http://www.schattenblick.de/ infopool/politik/ausland/ pala1557.html Fr, 15. April 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick UMWELT / REPORT / INTERVIEW Profit aus Zerstörungskraft - Augenwischerei ... Mycle Schneider im Gespräch 5 Jahre Leben mit Fukushima 30 Jahre Leben mit Tschernobyl Internationaler IPPNWKongreß vom 26. bis 28. Februar 2016 in der Urania, Berlin Mycle Schneider unter anderem über das als Dekontaminierung verklärte Hin- und Herbewegen von Radioaktivität, die Korrosionsanfälligkeit des Akw Fukushima Daiichi und die vielfachen Hotspots in der Stadt Koriyama Wenn jemand als "Berater" bezeichnet wird, trifft die Vermutung häufig ins Schwarze, daß dies mal wieder eine jener Jobbeschreibungen beispielsweise für ehemalige Politiker ist, die von der Industrie angeheuert werden, weil man dort an ihren guten Verbindungen in die Administration interessiert ist, nicht aber weil sie sich auf irgendeinem Sachgebiet besonders gut auskennen würden. Das gilt jedoch nicht für Mycle Schneider. Er ist ein weltweit gefragter Energie- und Atompolitikberater, dessen Fachwissen von Politik, Industrie und Zivilgesellschaft gleichermaßen in Anspruch genommen wird. Er lebt seit mehreren Jahrzehnten in Paris und gibt jährlich den World Nuclear Industry Status Report [1] heraus, für den er auch als Autor zeichnet. Dieser Bericht gilt als Standardwerk und bietet einen umfassenden Einblick in den gegenwärtigen Stand der Atomindustrie in der ganzen Welt. Was ist zu tun?" teil. Am Rande des Kongresses stellte sich Mycle Schneider dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung. (SB) Er hat die EU-Kommission, die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) und die Bundesregierung beraten. Als Mitglied des International Panel on Fissile Materials (IPFM) der Princeton University in den USA befaßt sich Schneider mit praktischen und machbaren politiFr, 15. April 2016 "Ich halte es nach wie vor für einen großen Fehler, daß die Evakuierungszone von Fukushima nicht erweitert wurde." (Mycle Schneider, 27. Februar 2016, Berlin) Foto: © 2016 by Schattenblick schen Initiativen, um die Bestände an hoch angereichertem Uran und Plutonium zu sichern und zu verringern. Als Koordinator des Seoul International Energy Advisory Council (SIEAC) arbeitet er an einer umfassenden Transformation der südkoreanischen Hauptstadt weg von fossilen und atomaren Energieträgern hin zu den Erneuerbaren sowie an Möglichkeiten der Energieeinsparung. Auf dem internationalen IPPNWKongreß "5 Jahre Leben mit Fukushima - 30 Jahre Leben mit Tschernobyl", der vom 26. bis 28. Februar 2016 in Berlin stattfand, hielt Schneider einen Vortrag zum Thema "Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland und Europa" und nahm an einer Podiumsdiskussion zum Thema "Weltweiter Atomausstieg: www.schattenblick.de Schattenblick (SB): Einwohner der Präfektur Fukushima fordern die Regierung auf, die Dekontaminierung der radioaktiv verstrahlten Wälder nicht nur auf 20 Meter rund um ihre Siedlungen und Infrastruktureinrichtungen wie die Verkehrswege zu begrenzen. Abgesehen von dem berechtigten Anliegen der Einwohner lassen sich Wälder überhaupt dekontaminieren? Mycle Schneider (MS): Die japanische Regierung setzt den Begriff "Dekontaminierung" als eine Art Zauberwort ein. Nach dem Motto: Damit regeln wir das Problem Fukushima. Dabei konnte ich selber beobachten, daß Dekontaminierung darin besteht, Radioaktivität von einer Ecke in die andere zu spritzen, zu schaufeln oder auf andere Weise zu bewegen. Aber es handelt sich in keinem Fall darum, zu einem dekontaminierten Zustand im Sinne von nicht-vorhandener Radioaktivität zu gelangen. Die Wälder sind natürlich ein besonderes Problem. Japan besteht zu 80 Prozent aus Bergen. Wir wissen aus der Erfahrung von Tschernobyl, daß sich die Radioaktivität mit Regen, Schnee und Wind immer mehr ausbreitet. Insofern handelt es sich um einen dynamischen Prozeß und nicht um einen Zustand, der einmal verändert in einen anderen Zustand gebracht wird. Seite 15 Elektronische Zeitung Schattenblick Die Radioaktivität wandert vor allen Dingen über Oberflächenwasser, das von den Bergen kommt, in die Täler und rekontaminiert dort die Oberflächen. Insofern halte ich den gesamten Ansatz für unglaublich irreführend. Daß es Dekontaminierung geben muß, darüber gibt es überhaupt keinen Zweifel. Es stellt sich nur die Frage, was man darunter versteht. Wer noch Tschernobyl miterlebt hat, wird sich erinnern, daß nach dem Fallout auch in Deutschland beispielsweise der Sand aus den Spielplätzen ausgewechselt wurde. Das war sicherlich sinnvoll. Zweifelsohne sollte man so etwas auch in Japan machen. Nur sollte das immer ins Verhältnis zu dem gesetzt werden, was auf diese Art und Weise überhaupt machbar ist, und man sollte nicht der Illusion verfallen, daß sich damit das Problem der Kontaminierung lösen läßt. Dekontaminierung: Strahlenmateri al von einer Ecke in die andere schaufeln ... Sanierungsmodellpro jekt in der japanischen Stadt Date, Besuch einer IAEADelegation am 10. Oktober 2011 Foto: Giovanni Verlini / IAEA, freigegeben als CC BYSA 2.0 [https://creativecommons.org/licen ses/bysa/2.0/] via Flickr SB: Was halten Sie von der Dekontaminationsanlage ALPS, die angeblich große Mengen an Radionukliden aus dem kontaminierten Wasser vom Akw Fukushima herausfiltern kann? SB: Weiß man inzwischen vom Akw Fukushima Daiichi, wo sich die geMS: Es gibt nicht nur diese eine An- schmolzenen Brennstäbe der Reaklage, sondern mehrere, die parallel toren 1 bis 3 befinden? und teilweise auch in Konkurrenz zueinander in Betrieb sind. Da sind MS: Nein, das weiß man nicht. Bisverschiedene kommerzielle Unter- her gibt es nur sehr vage Berechnunnehmen involviert, die diese Anlagen gen, aber noch keine visuelle Inspekverkaufen. Diesen Aspekt darf man tion. Die ist nicht möglich. nicht unterschätzen. SB: Wie tiefkann sich das Corium in Keine dieser Anlagen ist bislang ohne den Boden einschmelzen? Probleme gelaufen. Die Vorstellung, daß diese Dekontaminierungsanlagen MS: Das ist reine Theorie, man weiß aus dem radioaktiven Wasser sozusa- es letzten Endes nicht, weil es so gen Trinkwasser machen, wäre falsch. einen Fall noch nicht gegeben hat. Erstens muß das Wasser entsalzt wer- Aus der Tatsache, daß der Berstden, zweitens gibt es radioaktive Stof- schutz in allen drei Reaktoren zerfe, die sich über diese Anlagen über- stört ist, geht hervor, daß man auch haupt nicht herausziehen lassen. Da- heute noch tagtäglich 300 bis 400 zu zählt in erster Linie Tritium, also Kubikmeter Wasser in die Reaktoren radioaktiver Wasserstoff. Der ist ex- einspeisen muß, um sie zu kühlen. trem schwierig zu handhaben, weil er Übrigens muß man nicht nur Wasser, durch viele Materialien diffundiert. sondern auch inertes Gas einfüllen, Man kann nicht mal eben irgendwo um zu vermeiden, daß es zu Wassergrößere Mengen Tritium langfristig stoffexplosionen kommt. Das ist eilagern. Das ist sehr kompliziert. ner der Gründe, warum die gesamte Seite 16 www.schattenblick.de Anlage einem Kartenhaus gleicht. Sie ist sehr zerbrechlich und unberechenbar, weil diese Strukturen durch Erdbeben, Tsunami, etc. stark mitgenommen sind und nun weiter verfallen. Dazu gesellt sich noch das Problem der salzigen Luft aufgrund der Nähe zum Meer. Der hohe Salzgehalt führt zu einer beschleunigten Korrosion. Wenn über Löcher und Risse, die ja vorhanden sind, salzhaltige Luft oder salzhaltiges Wasser an das Metall gerät und das zu korrodieren beginnt, nimmt das Volumen zu und der Beton wird von innen her aufgesprengt. Das ist nach wie vor eine extrem beunruhigende Situation. SB: Ist das in die Reaktoren eingespeiste inerte Gas gesundheits- oder umweltrelevant? MS: Ich glaube, es handelt sich bei dem Gas um Argon. Die Umweltoder Gesundheitsrelevanz anderer Stoffe, mit denen dort umgegangen wird, ist so unglaublich viel höher, da ist das Argon mit Sicherheit nicht das Problem. SB: Wie bewerten Sie die Versuche der Akw-Betreibergesellschaft Tepco, den Grundwasserstrom zu reduzieren, um die Menge an abgepumpten radioaktiven Wasser zu reduzieren? Fr, 15. April 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick MC: Es gibt mehrere Projekte, die parallel gefahren werden. Man muß sich die Ausgangssituation vergegenwärtigen. Am 10. März 2011 gab es noch eine technische Barriere, durch die ein unterirdischer Fluß man muß wirklich Fluß sagen, denn der Durchfluß liegt bei einer Größenordnung von rund 1000 Kubikmetern pro Tag - umgeleitet wurde. Das Wasser wäre ansonsten direkt unter dem Akw-Standort hindurchgeflossen. Durch das Erdbeben wurde diese Infrastruktur vollständig zerstört. Also brechen jeden Tag 300 bis 400 Kubikmeter Grundwasser in die Kellerräume des Akw ein. Das hat man inzwischen mittels Fotos bestätigt. Man steht also vor dem Problem, wie man mit diesem einbrechenden Wasser umgeht. Ein Versuch besteht darin, einen Teil dieser Umleitungsstrukturen wieder herzustellen, damit das Wasser gar nicht erst in die Anlage eindringt und sich dort nicht mit dem hochradioaktiven Wasser vermischt. Das einströmende Wasser ist zwar ebenfalls kontaminiert, aber nur sehr schwach. Die zweite Frage lautet, wie geht man längerfristig mit dem restlichen einbrechenden Wasser um. Dazu wurde dieses ziemlich kuriose Projekt der Eiswand begonnen. Man will das Erdreich durch Vereisung komplett verfestigen, um auf diese Weise zu vermeiden, daß weiterhin so viel Wasser in die Kellerräume der Reaktoren eindringt. Hier waren die ersten Versuche fehlgeschlagen, weil die Frosttemperaturen nicht tief genug gingen. Die Ergebnisses dieses noch laufenden Projekts sind nicht sehr aufschlußreich. neuer Tank aufgebaut werden muß. Man hat die Kapazität schon auf die unglaubliche Menge von 700.000 Tonnen ausgeweitet. erdbebenfest ausgelegt. Es war nie geplant, dort ein paar hunderttausend Kubikmeter Wasser zu lagern. Wenn nun in einem Erdbebenfall ein Behälter kaputt geht - wer wollte seine Es handelt sich keineswegs um Be- Hand dafür ins Feuer legen, daß die hälter, die für diesen Zweck konzi- umliegenden Behälter das aushalten? piert worden sind. Die Tanks haben relativ geringe Wandstärken, und SB: Dann hat man wohl bisher Glück viele von ihnen sind gar nicht ver- gehabt, denn es war ja schon zu schweißt, sondern werden nur mit leichteren Beben gekommen. Bolzen zusammengehalten, was sich als problematisch erwies. Es gibt MS: Es traten sogar schon erhebliche viele solcher mangelhaften techni- Beben auf. Nach dem 11. März 2011 schen Kleinigkeiten, die aber logisch hatten sie teilweise eine Stärke von sind, wenn man drüber nachdenkt: über 6,0 auf der Richterskala. Ich haDie Bolzeneingänge führen dazu, be selber einmal in Koriyama ein daß sich dort Wasser staut, und Salz- Erdbeben von einer Stärke über 5 erwasser, das sich dort staut, beschleu- lebt. Da wackelt die Erde schon ganz nigt die Korrosion enorm. Das ist ei- kräftig! Erdbeben treten in Fukushiner der Gründe, warum ständig ir- ma immer wieder auf, was die Anlagendwelche Lecks auftreten. ge noch zerbrechlicher macht. Das ist für meine Begriffe nach wie vor Wenn man jetzt aber weiß, daß auf einer der Problempunkte. der einen Seite die Korrosion sehr schnell voranschreiten kann, sich Tanks, dicht an dicht, 18. Dezember demnach die eigentliche Infrastruk- 2012. Besuch einer IAEADelegati tur der Behälter täglich verschlechon beim Akw Fukushima Daiichi. tert, und auf der anderen Seite immer Damals betrug die Füllkapazität der wieder Erdbeben auftreten, kann Tanks 240.000 Kubikmeter, man natürlich die Befürchtung he- heute ist man schon bei über 700.000 gen, daß bei einem solchen UnterKubikmetern. grund ein größeres Erdbeben eine Foto: Gill Tudor / IAEA, freigegeben Art Kettenreaktion zwischen den eng als CC BYSA 2.0 [https://creative beieinander stehenden Tanks auslö- commons.org/licenses/bysa/2.0/] sen kann. Der Untergrund ist ja nicht via Flickr Entscheidend ist die Frage, wie man vermeiden kann, daß die Menge an zu lagerndem Wasser weiter zunimmt. Denn die Größenordnung liegt nach wie vor bei 300 bis 400 Kubikmetern pro Tag. Die Tanks fassen etwa 1000 Kubikmeter, was bedeutet, daß alle zwei bis drei Tage ein Fr, 15. April 2016 www.schattenblick.de Seite 17 Elektronische Zeitung Schattenblick SB: Die japanische Regierung läßt prüfen, ob nicht radioaktives Material aus der Fukushima-Katastrophe 15 Kilometer von der Küste entfernt unter dem Meeresboden endgelagert werden kann. Was halten Sie von der Idee? MS: Absurd, aber es wurden im Laufe der Geschichte der Atomenergienutzung schon alle möglichen Ideen vorgebracht, wo man radioaktives Material verpressen oder verbuddeln kann. Eines ist dabei wichtig: Jede Form der Lagerung sollte so gemacht werden, daß sie auf jeden Fall rückholbar ist. Und im Meeresboden verbuddeltes Material klingt vom eigentlichen Konzept her nicht nach Rückholbarkeit. Ich halte zum Beispiel die bloße Offenhaltung eines geologischen Lagers für kein Konzept der Rückholbarkeit, denn wie man aus Erfahrung weiß - siehe beispielsweise die Asse -, können Situationen entstehen, die diese Rückholbarkeit einfach ad absurdum führen. SB: Wie bewerten Sie das vor kurzem gemeldete Unterfangen der US-Behörden, in North-Dakota zu Testzwecken ein fünf Kilometer tiefes Loch zu bohren und zu prüfen, ob sich darin Atommüll versenken läßt? Ist das ähnlich einzuschätzen wie die Endlagerung unter dem Meeresboden? MS: Ja, aber mit einer Ausnahme. Es handelt sich dabei um immobilisiertes Plutonium. Ich habe mir dazu noch keine abschließende Meinung gebildet und halte es für zu früh, um sich dazu zu äußern. Aber wir haben ein riesiges Problem, denn es haben sich große Mengen an abgetrenntem Plutonium angesammelt. Ich halte es für viel problematischer, dieses Plutonium, wie beispielsweise in den Reaktoren im japanischen Akw Takahama, die wieder angefahren sind, einzusetzen. Man kann das Plutonium in Keramik, Glas oder in irgendeiner anderen inerten Matrix immobilisieren. Wenn man dann sagt, man bohrt ein fünf Kilometer tiefes Loch und verpreßt das in den Untergrund, Seite 18 halte ich das zumindest im Moment noch nicht für komplett auszuschließen. Ich bin Mitglied einer Arbeitsgruppe, die an der Princeton University sitzt und sich auch mit dieser Möglichkeit der Lagerung befaßt. SB: Haben Sie die Präfektur Fukushima schon mal nach der Katastrophe besucht? Wert gemessen. Das darf man nicht vergessen. Es gibt sehr viele Stellen, an denen die Meßwerte über die aus der Evakuierungszone von Tschernobyl hinausgehen. Ich finde es interessant, daß das Verhalten der sowjetischen Behörden damals im Grunde genommen sehr viel radikaler war als das, was in Japan gemacht worden ist. Denn die Anzahl der Personen, die im ersten und zweiten Schritt evakuiert wurden, ist ungefähr gleich, also etwa 130.000 Einwohner. Aber in Tschernobyl hat man noch darüber hinaus, über einen längeren Zeitraum hinweg, Leute evakuiert. Denn man hatte immer wieder Hotspots oder Gegenden gefunden, die hochbelastet sind. MS: Ich habe den ehemaligen Gouverneur von Fukushima schon zehn Jahre vor der Katastrophe beraten und somit eine eigene Beziehung zu dieser Region. Ich war schon mehrfach dort. Nach dem 11. März 2011 habe ich die Region zweimal besucht, wobei ich bis an die Evakuierungszone herangefahren bin. Allgemein habe ich viel in Japan gearbeitet und war dort zwischen 25- und 30mal. Einige Personen wurden mehrfach evakuiert, weil man, nachdem man SB: Der Fallout hat sich nicht gleich- sie neu angesiedelt hatte, feststellte, mäßig über die Präfektur Fukushima daß es dort doch heißer war, als man verteilt. Zeigt dann das Dosimeter dachte. Wenn ich es richtig erinnere, ständig wechselnde Werte an? dann liegt die akkumulierte Zahl der Evakuierten von Tschernobyl bei MS: Genauso ist es. Wir waren damals 400.000 und ist damit viel höher als mit einem Bus unterwegs und ich ha- im Fall von Fukushima. Dort hat be je ein Dosimeter außen, das man man die 20-Kilometer-Zone eingevon innen lesen konnte, und eines in- richtet und so getan, als ob das genünen anbringen lassen. So hatten wir ge. Eine Ausnahme war Iitate, wo permanent einen Innen-außen-Ver- man dann nochmals einen Fleck zur gleich. Es war schon sehr schockie- Evakuierung ausgewiesen hat, weil rend zu sehen, daß sich die Werte alle die Einwohner empört gesagt haben, paar hundert Meter um den Faktor jetzt reicht es uns aber. zehn änderten. Das ist also völlig unkalkulierbar. Genau nach dem Prinzip Ich halte es nach wie vor für einen eines Leopardenfells von Kontamina- großen Fehler, daß die Evakuietionsflecken mit zum Teil wirklich be- rungszone von Fukushima nicht erachtlichen Werten, die weit über das, weitert wurde. Ich bin vor kurzem was in der Evakuierungszone gemes- von einem japanischen Diplomatensen wird, hinausgingen. berater gefragt worden, ob ich heute aufgrund des Eingeständnisses von Die Stadt Koriyama, die 60 Kilome- Tepco, daß sie damals die Kernter vom Akw Fukushima Daiichi ent- schmelze verheimlicht haben, das fernt liegt, ist nicht etwa ein einziger rückwirkend betrachtet anders geseHotspot, sondern es werden dort hen, andere Empfehlungen gegeben multiple Hotspots gemessen. Des- oder eine andere Analyse gemacht halb muß man sich die Frage stellen, hätte. Daraufhin habe ich mir nochwas eigentlich die durchschnittliche mal meinen eigenen Kommentar, Dosisleistung, die die Leute abbe- den ich zwölf Tage nach der Katakommen, sein soll. Man hat ja auch strophe geschrieben hatte, durchgenicht unbedingt immer den höchsten lesen und kann sagen, ich hätte kein www.schattenblick.de Fr, 15. April 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick Komma daran geändert. Ich hatte nämlich schon damals geschrieben, daß sich die Reaktoren im fortgeschrittenen Kernschmelzstadium befinden. Denn jeder, der sich ein bißchen mit dem Thema Atomenergie beschäftigt, wußte, daß eine Kernschmelze stattfindet, sobald man Spaltprodukte messen kann. So kompliziert ist das dann auch nicht. BERICHT/113: Profit aus Zerstörungskraft - kein Frieden mit der Atomkraft ... (SB) http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0113.html INTERVIEW/203: Profit aus Zerstörungskraft - nach unten unbegrenzt ... Dr. Alexander Rosen im Gespräch (SB) http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0203.html INTERVIEW/204: Profit aus Zerstörungskraft - Spielball der Atommächte ... Dr. Helen Caldicott im Gespräch (SB) http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0204.html SB: Vielen Dank, Herr Schneider, für INTERVIEW/205: Profit aus Zerstörungskraft - systemische Verschleierung ... Tomoyuki Takada im Gespräch (SB) das Gespräch. http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0205.html INTERVIEW/206: Profit aus Zerstörungskraft auf verlorenem Posten ... Ian Thomas Ash und Rei Horikoshi im Gespräch (SB) http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0206.html INTERVIEW/207: Profit aus Zerstörungskraft eine ungehörte Stimme ... Prof. Dr. Toshihide Tsuda im Gespräch (SB) http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0207.html INTERVIEW/208: Profit aus Zerstörungskraft Empathie und Trauma ... Tatjana Semenchuk im Gespräch (SB) http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0208.html INTERVIEW/209: Profit aus Zerstörungskraft - so was wie Diabetes ... Liudmila Marushkevich im Gespräch (SB) http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0209.html INTERVIEW/210: Profit aus Zerstörungskraft - Schlußfolgerungen verfrüht ... Dr. Alfred Körblein im Gespräch, Teil 1 (SB) http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0210.html INTERVIEW/211: Profit aus Zerstörungskraft - Schlußfolgerungen verfrüht ... Dr. Alfred Körblein im Gespräch, Teil 2 (SB) http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0211.html Anmerkung: [1] www.WorldNuclearReport.org INTERVIEW/212: Profit aus Zerstörungskraft - Schlußfolgerungen verfrüht ... Dr. Alfred Körblein im Gespräch, Teil 3 (SB) http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0212.html Die Berichterstattung des Schatten blick zum IPPNWKongreß finden INTERVIEW/213: Profit aus Zerstörungskraft - die Faust des Bösen ... Sie unter INFOPOOL → UMWELT Jonathan Frerichs im Gespräch (SB) http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0213.html → REPORT: Profit aus Zerstörungskraft - den Finger in der Wunde ... BERICHT/112: Profit aus Zerstö- INTERVIEW/214: Dr. Ian Fairlie im Gespräch (SB) rungskraft - Herrschaftsstrategie http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0214.html Atomwirtschaft ... (SB) http://www.schattenblick.de/infohttp://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0215.html pool/umwelt/report/umrb0112.html Auch wenn die Reaktorgebäude des Akw Fukushima Daiichi inzwischen von außen her den Eindruck er wecken, sie seien gesichert, stellen Erdbeben nach wie vor eine Gefahr dar. Besuch einer IAEADelegation am 11. Oktober 2011. Foto: Giovanni Verlini / IAEA, frei gegeben als CC BYSA 2.0 [htt ps://creativecommons.org/licen ses/bysa/2.0/] via Flickr Fr, 15. April 2016 www.schattenblick.de Seite 19 Elektronische Zeitung Schattenblick ______I n h a l t_____________________________________Ausgabe 1795 / Freitag, den 15. April 2016____ BÜRGER - REPORT BÜRGER - REPORT SCHACH-SPHINX EUROPOOL - BÜRGER POLITIK - AUSLAND POLITIK - AUSLAND UMWELT - REPORT DIENSTE - WETTER Das Anti-TTIP-Bündnis - Abwicklungsdruck ... Das Anti-TTIP-Bündnis - Ein großes Spektrum ... (1) Gratwanderer zwischen Opfermut und Kalkül "Die Nacht, in der wir aufstehen" - eine Bewegung mobilisiert ... (Pressenza) Milagro Sala muss sich als freie Bürgerin verteidigen können (Pressenza) Mexiko - Bruch zwischen CIDH-Expert*innenkommission und Regierung (poonal) Profit aus Zerstörungskraft - Augenwischerei ... Mycle Schneider im Gespräch Und morgen, den 15. April 2016 Seite Seite Seite Seite Seite Seite Seite Seite 1 6 10 11 12 13 15 20 DIENSTE / WETTER / AUSSICHTEN Und morgen, den 15. April 2016 +++ Vorhersage für den 15.04.2016 bis zum 16.04.2016 +++ © 2016 by Schattenblick IMPRESSUM Jean fühlt sich heut' fitter, was treibt ihn wohl an? Gießkannengewitter schlägt in seinen Bann! Elektronische Zeitung Schattenblick Diensteanbieter: MA-Verlag Helmut Barthel, e.K. Verantwortlicher Ansprechpartner: Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth Elektronische Postadresse: [email protected] Telefonnummer: 04837/90 26 98 Registergericht: Amtsgericht Pinneberg / HRA 1221 ME Journalistisch-redaktionelle Verantwortung (V.i.S.d.P.): Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth Inhaltlich Verantwortlicher gemäß § 10 Absatz 3 MDStV: Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth ISSN 2190-6963 Urheberschutz und Nutzung: Der Urheber räumt Ihnen ganz konkret das Nutzungsrecht ein, sich eine private Kopie für persönliche Zwecke anzufertigen. Nicht berechtigt sind Sie dagegen, die Materialien zu verändern und / oder weiter zu geben oder gar selbst zu veröffentlichen. Nachdruck und Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. 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