Statements der Betroffenen

Stimmen der Betroffenen
MGEPA, 14.04.2016
Zwei Prostituierte äußern sich aktuell zum geplanten
Prostituiertenschutzgesetz des Bundes. Beide waren feste
Mitglieder am „Runden Tisch Prostitution NRW“ und haben den
gesamten Prozess mit begleitet.
Auszüge
Melanie (40), seit zehn Jahren in der Sexarbeit tätig:
„Mit dem neuen Gesetz würden uns Sexarbeiterinnen unüberwindbare
Hürden auferlegt werden, anstatt uns die Hilfen anzubieten, die wir
immer wieder eingefordert haben. Wir haben eine Umfrage unter
Kolleginnen im Dezember 2015 gemacht, und da wurde deutlich, was
sich Menschen in der Sexarbeit wirklich wünschen und was sie
brauchen: Einen effektiven Schutz vor Diskriminierung; Schutz vor
Kündigungen im Hauptjob wegen eines Nebenjobs in der Sexarbeit; Hilfe
gegen Wuchermieten; mehr Beratungsstellen, und zwar solche, die nicht
nur Ausstiegs- sondern auch Einstiegshilfen anbieten; und einen
besseren Schutz der Anonymität, gerade auch beim Umgang mit
Behörden. Das alles bietet das ProstSchG nicht, im Gegenteil, es
erschwert unsere Situation, schmälert unsere Optionen und greift massiv
in unsere Rechte ein.“
Ulrike Rothe (50), 20 Jahre in der Sexarbeit tätig:
„Das Prostituiertenkontrollgesetz - ich weigere mich, so etwas als Schutz
zu bezeichnen - trifft mich sehr! Ich habe vier Jahre am Runden Tisch
mitgearbeitet, und dort wie auch in anderen Expertenrunden habe ich
erlebt, dass über Sexarbeit in einer Weise gesprochen wurde, die für
mich in Ordnung war. Und jetzt wird ein Gesetz gemacht, das dem in fast
allem widerspricht?!“
Kompletter Wortlaut der Statements auf den folgenden Seiten
Melanie (40), seit 10 Jahren in der Sexarbeit tätig:
„Ich bin alleinerziehende Mutter von 2 Kindern, mittlerweile 40 Jahre alt, und war die letzten
zehn Jahre in der Sexarbeit tätig (Haus- und Hotelbesuche). Ausschließlich leben konnte ich
davon nie, aber es war immer ein einfacher Zuverdienst, um die Ausgaben für die Familie zu
decken und meinen Kindern ein „normales“ Leben ohne soziale Ausgrenzung zu
ermöglichen. Staatliche Leistungen wie aufstockendes Hartz4 oder Wohngeld habe ich nie
gewollt. Mir ging es gut damit, auch meinen Kindern, ich habe immer sehr darauf geachtet,
dass meine Tätigkeit nach außen, vor allem im familiären Umfeld, nicht bekannt wird. Und
nun drohen Gängelei und Diskriminierung durch Zwangsberatung und Anmeldung - die
möchte ich nicht über mich ergehen lassen. Und ich habe auch Angst davor, dass damit
meine Sexarbeit bekannt wird. Das bringt mich in ein großes Dilemma.
Während meiner Teilnahme am „Runden Tisch Prostitution NRW“ habe ich das erste Mal
erlebt, dass mit mir geredet wurde. Sonst wird immer nur über mich geredet, selbst wenn ich
anwesend bin. Es ist also sehr wohl möglich, sich mit den wahren Experten, nämlich uns, an
einen Tisch zu setzen und Lösungen zu finden. Tut man das nicht, erhält man genau das,
was das Prostituiertenschutzgesetz nun ist. Ein praxisfernes und diskriminierendes
Sondergesetz, das uns von der gleichberechtigten Teilnahme aus dem Wirtschaftsleben
ausschließt und uns ein ganzes Stück weit gesellschaftlich noch angreifbarer macht.
Denn eines der Hauptprobleme ist nach wie vor das Stigma, mit dem Sexarbeit verbunden
ist. Dem Gesetzesentwurf fehlt durchweg das Prinzip der Vorurteilsfreiheit. Die Wortwahl des
Gesetzes und die Behauptungen in der Begründung verschärfen die existierenden Vorurteile
und Klischees, denn wenn Sexarbeit in einem Atemzug mit Kriminalität und sexueller
Ausbeutung genannt wird, verfestigt sich dieses Bild in den Köpfen der Menschen.
Mit dem neuen Gesetz würden uns Sexarbeiterinnen unüberwindbare Hürden auferlegt
werden, anstatt uns die Hilfen anzubieten, die wir immer wieder eingefordert haben. Wir
haben eine Umfrage unter Kolleginnen im Dezember 2015 gemacht
(http://www.voice4sexworkers.com/umfrage-prostitution-in-deutschland/), und da wurde
deutlich, was sich Menschen in der Sexarbeit wirklich wünschen und was sie brauchen:
einen effektiven Schutz vor Diskriminierung; Schutz vor Kündigungen im Hauptjob wegen
eines Nebenjobs in der Sexarbeit; Hilfe gegen Wuchermieten; mehr Beratungsstellen, und
zwar solche, die nicht nur Ausstiegs- sondern auch Einstiegshilfen anbieten; und einen
besseren Schutz der Anonymität, gerade auch beim Umgang mit Behörden. Das alles bietet
das Prostituiertenschutzgesetz nicht, im Gegenteil, es erschwert unsere Situation, schmälert
unsere Optionen und greift massiv in unsere Rechte ein.
Dieses Gesetz gibt vor, uns vor Fremdbestimmung schützen zu wollen, wird jedoch das
genaue Gegenteil zur Folge haben: es wird den meisten von uns die Möglichkeit nehmen,
selbstbestimmt und unabhängig arbeiten zu können. Man stärkt darüber hinaus Betreiber
durch ein Gesetz, das es SexarbeiterInnen unmöglich macht, allein oder mit Kolleginnen
organisiert in Apartments zu arbeiten, und treibt sie somit in die Hände von genau den
Betreibern, die doch so vielen kommunalen Politikern ein Dorn im Auge sind.
Anstatt nun wie geplant 76,2 Millionen Euro einmalig und anschließend 85 Millionen Euro
jährlich einem Bürokratiemonster in den Rachen zu werfen, könnten mit dem Geld sinnvolle
Projekte finanziert werden, wie z.B. Beratungsstellen, Selbsthilfeorganisationen,
Transferleistungen und Hilfen für Qualifizierungen für eine berufliche Umorientierung.
Ebenso wäre eine Sozialkasse für Sexarbeiter ein Segen für viele, denn allein den
Mindestbeitrag für Krankenversicherungen kann sich ein nicht unerheblich großer Teil
schlichtweg nicht leisten.
Und wer die wenigen Sexarbeiterinnen, die sich trauen, für unsere Rechte einzutreten, als
„privilegiert“ abstempelt, sollte sich seiner Mitschuld an der Stigmatisierung der Sexarbeit
bewusst werden. Betroffen werden davon ohnehin besonders die sein, die es schon jetzt
besonders schwer haben, z.B. Migrantinnen oder Transsexuelle, die sind täglich ohnehin
schon einer Mehrfach-Diskriminierung ausgesetzt.“
Ulrike Rothe (50), 20 Jahre in der Sexarbeit tätig:
„Ich habe fast zwanzig Jahre als Sexarbeiterin gearbeitet, in unterschiedlichen Bereichen,
und ich habe diese Arbeit gern gemacht. Das Bild, das überall von Prostitution gezeichnet
wird, entspricht nicht meinen Erfahrungen. Dabei will ich Prostitution nicht schönreden, es
gibt auch schlechte Bedingungen und Ausbeutung, und sicher auch Menschenhandel. Aber
die Idee, dass kein Mensch freiwillig Sexarbeit macht, geht an der Realität vorbei. Ich habe
mich nach Jahren im Bordell bewusst für die Selbständigkeit entschieden, da konnte ich
autonom entscheiden, wie ich meine Arbeit gestalte, und mein Verdienst gehörte auch mir
allein. Inzwischen mache ich etwas anderes, ich arbeite als Sexarbeiterin nur noch ab und
zu, aber ich stehe zu meiner früheren Tätigkeit. Ich habe viel Kontakt zu meinen
(ehemaligen) Kolleginnen, engagiere mich politisch für die Rechte der Sexarbeiterinnen, bin
auch schon auf einigen Veranstaltungen aufgetreten.
Das Prostituiertenkontrollgesetz - ich weigere mich, so etwas als Schutz zu bezeichnen - trifft
mich sehr! Ich habe vier Jahre am Runden Tisch mitgearbeitet, und dort wie auch in anderen
Expertenrunden habe ich erlebt, dass über Sexarbeit in einer Weise gesprochen wurde, die
für mich in Ordnung war. Und jetzt wird ein Gesetz gemacht, das dem in fast allem
widerspricht?!
Die erste Stigmatisierung ist bereits die, dass für unsere Arbeit nicht das Ministerium für
Arbeit und Soziales, sondern das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
genommen wird.
Im Gesetzestext und dessen Erläuterung wird ein Sprachstil gewählt, der Sexarbeit
überwiegend abwertet und verunglimpft. Wieso geht man davon aus, dass Betreiber im
Sexarbeitsbereich öfter vorbestraft sind als in anderen Bereichen? Gibt es dafür einen
Beleg?
Natürlich werden immer gern Studien zitiert, auch im Gesetzentwurf. Dabei wird aber
übersehen, dass diese Studien nie repräsentativ sind. Solche Studien sollten nicht
Grundlage für ein so weitreichendes Gesetz sein, das für alle gilt.
Wie soll ich mich schützen, wenn ich mich anmelde? Ich verstehe den Mechanismus
dahinter nicht. Ich möchte mich eigentlich nicht anmelden, allerdings drohen ja auch
Bußgelder. Ich gehe davon aus, dass sich viele nicht anmelden werden, und mit Sicherheit
werden Umgehungswege gesucht werden. Ich frage mich, wie das alles kontrolliert werden
soll, das wird ja schon bei den Bordellen schwierig werden.
Auch die Kondompflicht ist ein Witz. Traurig finde ich, dass so gar nicht die
Expertenmeinungen gehört werden. Es sind sich doch alle einig, dass nur Aufklärung und
professionelle Beratung wichtig sind und Erfolg versprechen. Das Gesetz behauptet, meine
Interessen zu schützen, das ist eine Anmaßung, die für andere Berufsgruppen undenkbar
ist.“