Peru: Wie der Vater, so die Tochter? Papa Alberto sitzt im Knast, nun will Keiko Fujimori Präsidentin werden ▶ Seite 2, 11 AUSGABE BERLIN | NR. 10987 | 14. WOCHE | 38. JAHRGANG H EUTE I N DER TAZ DONNERSTAG, 7. APRIL 2016 | WWW.TAZ.DE € 2,10 AUSLAND | € 1,60 DEUTSCHLAND Dobrindt lässt einen fahren GESTANK Abgasbetrug deutscher Autofirmen: Obwohl jetzt sogar Bundestagsjuristen Gesetzesbrüche feststellen, tut der Verkehrsminister nichts dagegen. Grüner fordert Verbot neuer Benzin- und Dieselautos ab 2025 ▶ SEITE 2 RELIGION Wie die Anhänger des Spaghettimonsters um Gleichstellung kämpfen ▶ SEITE 3 ROMA UND SINTI His- toriker Wolfgang Benz über die „am wenigsten geachtete Minderheit Europas“ ▶ SEITE 4 ASYL Reformvorschläge aus Brüssel ▶ SEITE 10, 12 BERLIN Der Mann vor der Botschaft ▶ SEITE 23 Fotos oben: ap;dpa VERBOTEN Guten Tag, meine Damen und Herren! Bei Redaktionsschluss dieses verboten stand noch nicht fest, ob es bei dem Referendum in den Niederlanden nun eine Mehrheit gegen das EUAbkommen mit der U kraine gegeben hat oder nicht. Aber für den Fall, dass diese Holländer schon wieder renitent als einziges Land von der einzig selig machenden EU- Linie a bweichen sollten, hat verboten bereits eine Lösung parat, um diese frechen, lästig frechen Nörglerlande endlich loszuwerden: den Klimawandel. TAZ MUSS SEI N Die tageszeitung wird ermöglicht durch 15.725 GenossInnen, die in die Pressevielfalt investieren. 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Mehr als ein halbes Jahr ist es her, dass Volkswagen eingeräumt hat, eine illegale Abschalteinrichtung zu nutzen, die dafür sorgt, dass Grenzwerte nur im Labor eingehalten werden. Seit mehreren Monaten ist bekannt, dass auch andere Hersteller die Abgasreinigung auf der Straße stark drosseln – mit abenteuerlichen Begründungen. Passiert ist seitdem praktisch nichts. Die Autos, die ein Vielfaches des erlaubten Stickoxid-Wertes ausstoßen, sind nach wie vor auf den deutschen Straßen unterwegs und vergiften Tag für Tag die Menschen. Das Verkehrsministerium hat zwar umfangreiche Abgastests durchführen lassen. Doch deren Ergebnisse hält Dobrindt seit Monaten geheim – offenbar in der irren Hoffnung, dass sich das öffentliche Interesse am Skandal irgendwann legt. Längst bekannt sind hingegen die Ergebnisse von Abgastests, die Umweltverbände und Medien auf eigene Kosten durchgeführt haben. Reaktion der zuständigen Behörden: Fehlanzeige. Selbst als der Autokonzern Daimler nach einem dieser Tests einräumen musste, dass die Abgasreinigung bei Mercedes-Modellen bei niedrigen Tempera- turen gedrosselt wird, um den Motor zu schonen, ist nichts passiert. Das zuständige Kraftfahrtbundesamt, das Dobrindt untersteht, wollte zunächst prüfen, ob Daimler sich hier möglicherweise zu Recht auf eine Ausnahmeregelung beruft. Ergebnis: keins. Inzwischen liegt zu dieser Frage trotzdem eine klare Aussage aus neutraler Quelle vor: Der Wissenschaftli- Dobrindt schont die Industrie und nimmt dafür Gesundheitsschäden in Kauf Haft für Freier und Zuhälter STRAFRECHT Bundesregierung beschließt Gesetz gegen Zwangsprostitution BERLIN afp | Die Bundesregie- rung hat das Gesetz zur strafrechtlichen Verfolgung von Zwangsprostitution auf den Weg gebracht. Es sieht Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren für Freier vor, die die Situation von Zwangsprostituierten ausnutzen. Bis zu zehn Jahre Haft drohen Zuhältern und Menschen- händlern, die jemanden unter Ausnutzung einer Zwangslage oder Hilflosigkeit beziehungsweise durch Gewalt zur Prostitution veranlassen. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) wies darauf hin, dass den Freiern im Einzelfall nur schwer nachzuweisen sein werde, dass sie über die Um- stände der Zwangsprostitution Bescheid wussten. Die Frauenexpertin der Linken, Cornelia Möhring, sagte, sie habe Zweifel, dass die Bestrafung der Kunden ein adäquates Mittel sei. Die Opfer bräuchten vor allem Beratungsangebote. ▶ Inland SEITE 6 ▶ Meinung + Diskussion SEITE 12 che Dienst des Bundestags hält das Vor gehen von Daimler für eindeutig rechtswidrig. Und was tun Dobrindt und seine Behörde? Wieder nichts. Diese Untätigkeit ist inzwischen nicht mehr nur ein politischer Skandal, sondern sie nimmt allmählich kriminelle Züge an. Der Verkehrsminister nimmt massive Gesundheitsschäden durch giftige Abgase in Kauf, um die Autoindust rie zu schonen. Auf Einsicht ist bei Do brindt nach den bisherigen Erfahrungen leider nicht mehr zu hoffen, und die mitregierende SPD lässt ihn gewähren. Stoppen können die staatliche Arbeitsverweigerung darum wohl nur die Gerichte – oder die Wähler. Eigenanbau erlaubt CANNABIS Bundesgericht gibt MS-Patienten recht LEIPZIG epd/dpa | Das Bundes- verwaltungsgericht hat schwer erkrankten Patienten erstmals die Möglichkeit zum eigenhändigen Anbau von Cannabis eröffnet. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte müsse einem an Multipler Sklerose erkrankten Mann eine Ausnahmegenehmigung für die Kultivierung der Pflanzen erteilen, entschied das Gericht am Mittwoch in Leipzig in einem wegweisenden Urteil. Bislang war in solchen Fällen noch nie eine Erlaubnis erteilt worden. Nun hatte die Klage des 52-Jährigen in dritter und letzter Instanz Erfolg. ▶ Inland SEITE 6 02 TAZ.DI E TAGESZEITU NG PORTRAIT NACH RICHTEN EU-GRÜN E UN D DAS GLYPHOSAT DATENSCHUTZABKOMMEN Pinkeln für die Umwelt Nachbesserungen gefordert BRÜSSEL | Mehrere Grünen-Poli- Keiko Fujimori, peruanische Präsidentschaftskandidatin Foto: ap Die Tochter des Autokraten P erus nächstes Staatsoberhaupt könnte eine Frau sein. Keiko Fujimori führt die Umfragen vor der Wahl am Sonntag mit gutem Vorsprung an. Doch schon einmal ist die Tochter des autokratischen Expräsidenten Alberto Fujimori (1990–2000) auf der Zielgeraden gescheitert. Zwar ist die 40-Jährige politisch aus dem Schatten des Vaters herausgetreten – aber sie wird ihn nicht los. Gerade erst waren Zehntausende landesweit auf der Straße, riefen „Nie wieder Fujimori“ und meinten Vater und Tochter. Keiko Sofía Fujimori Higuchi wurde 1975 in Lima als Tochter des bis dahin unbekannten Hochschulprofessors Alberto Fujimori und seiner Frau geboren, beide mit japanischen Wurzeln. Damals ahnte niemand den kometenhaften politischen Aufstieg der Familie, der den Vater 1990 ins Präsidentenamt brachte. Als sich Alberto 1994 von seiner Frau trennte, hielt die damals 19-jährige Keiko zu ihm und übernahm die Rolle der First Lady. Auch als ihr Vater im Jahr 2000 aus dem Amt und nach Japan floh, hielt sie ihm die Treue. Bei der Kongresswahl 2006 wurde die Betriebswirtin ins Parlament gewählt. 2011 gründete sie mit der Fuerza 2011 ihre eigene Partei. Letztlich nicht mehr als ein Wahlkampfverein für Präsidentschaftswahlen, benannte sie diese nach der Schlappe von 2011 in Fuerza Popular um. Geblieben ist das Wappen: ein großes K auf orange Grund. Losgesagt hat sich Keiko Fujimori von ihrem Vater nie. Trotzdem versucht sie, sich als eigenständige und unabhängige Politikerin zu präsentieren. Was die rechtspopulistische Keiko wirklich umtreibt, ist schwer zu sagen. Politisch leistet sie den Spagat zwischen der autoritär-konservativen Anhängerschaft ihres Vaters in Mittel- und Oberschicht und einer Stammwählerschaft in den armen unteren Schichten. Auch wenn für viele der Name Fujimori für neoliberale Schocktherapie, Korruption, Menschenrechtsverbrechen und Diktatur steht, lebt noch immer der Mythos vom Präsidenten, der sich um sie kümmert. Aus diesen beiden Bereichen kommen denn auch die knapp 40 Prozent der Wahlberechtigten, die am Sonntag wohl für Keiko stimmen werden. JÜRGEN VOGT Ausland SEITE 11 Der Tag DON N ERSTAG, 7. APRI L 2016 tiker im EU-Parlament wenden sich mit einem ungewöhnlichen Vorschlag an ihre Kollegen: Sie sollen ihren Urin auf Spuren des umstrittenen Pflanzenschutzmittels Glyphosat testen lassen. So solle gezeigt werden, „wie weit das Herbizid tatsächlich bei uns allen verbreitet ist“, erklärte der Grünen-Agrarexperte Martin Häusling gestern. Häusling initiierte die Aktion mit seinen Kollegen Bart Staes aus Belgien und Michèle Rivasi aus Frankreich. Sie forderten auch EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schriftlich zur Teilnahme auf. Dies geschehe „in der Hoffnung, dass der Versuch am eigenen Körper sie dazu bewegen kann, ihre Haltung zur Wiederzulassung von Glyphosat zu überdenken“. Die Zulassung des Pestizids läuft in der EU im Juni aus. Kritiker wollen Glyphosat wegen Gesundheits- und Umweltbedenken verbieten. Die Kommission dagegen sieht aufgrund von Empfehlungen der EU-Lebensmittelsicherheitsbehörde Efsa keinen Grund, Glyphosat in der EU vom Markt zu nehmen. (afp) BERLIN | Verbraucherschützer sehen das geplante neue Datenschutzabkommen zwischen der EU und den USA sehr kritisch. Das „Privacy Shield“ dürfe so nicht verabschiedet werden, erklärte der Verbraucherzentrale Bundesverband gestern. Es entspreche nicht EU-Recht und müsse nachgebessert werden. Die Verband fordert, dass das Abkommen sich an die „Grundregeln des EU-Datenschutzes“ hält. Es seien „wirksame Überwachungs- und Kontrollmechanismen“ nötig, um Verstöße zu ermitteln und zu ahnden. (afp) GROSSES KI NO Große Kinostreifen, kleine Perlen, Flops und Oscar-Kandidaten sowie Interviews mit Regisseuren und Schauspielern: Alles nachzulesen auf taz.de/film Rezensionen Filmtipps Interviews www.taz.de SERBEN FÜH RER ŠEŠSELJ Anklage will Freispruch anfechten | Die Anklage im UN-Kriegsverbrecherprozess gegen den serbischen Nationalistenführer Vojislav Šešelj will dessen Freispruch anfechten. Das Haager Kriegsverbrechertribunal habe zahlreiche Beweise gegen Šešelj nicht berücksichtigt, sagte UN-Ankläger Serge Brammertz gestern. Das UN-Tribunal für Exjugoslawien hatte den Serbenführer letzte Woche überraschend freigesprochen. Dem 61-Jährigen waren Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Kriegsverbrechen vorgeworfen worden. (rtr) AMSTERDAM Verboten – na und? ABGASSKANDAL Daimler handelt illegal, findet der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags. Minister Dobrindt interessiert das nicht, die Aktionäre werden trotzdem nervös. Jurist hält Untätigkeit der Behörden für strafbar VON MALTE KREUTZFELDT BERLIN taz | Bisher fühlte sich der Autokonzern Daimler sicher: Zwar arbeitet die Abgasreinigung bei vielen Mercedes-Modellen auf der Straße nicht korrekt. Doch anders als bei Volkswagen, wo eine illegale Abschalteinrichtung dafür sorgte, dass die Abgase nur bei Labortests gereinigt wurden, hielt Daimler das eigene Vorgehen für legal: Man reduziere die Abgasreinigung bei niedrigen Temperaturen lediglich, „um den Motorschutz zu gewährleisten“, hatte das Unternehmen erklärt. Und das sei durch eine Ausnahmeregelung in der entsprechenden EU-Verordnung gedeckt. Dem widerspricht nun der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags. In einem Gutachten für die Grünen-Fraktion, über das zuerst das ZDFMagazin „Frontal 21“ berichtet hatte, zerlegen die unabhängigen Juristen die Argumentation von Daimler. Der Schutz des Motors dürfe „grundsätzlich keine taugliche Rechtsgrundlage dafür sein“, um eine Abschalteinrichtung auch bei Bedingungen greifen zu lassen, die bei normalem, bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Personenkraftwagens typischerweise eintreten“. Die Temperaturen von 7 bis 10 Grad, bei denen weit überhöhte Abgaswerte gemessen wurden, rechtfertigten keinesfalls eine Ausnahme. Als Konsequenz aus dem Gutachten forderte Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer Verkehrsminister Alexander Dob- rindt (CSU) auf, „sofort für die Beendigung dieser skandalösen Praxis zu sorgen“. Doch Dobrindt sieht keinen Handlungsbedarf, sagte sein Sprecher Ingo Strater auf Anfrage. Auch einen inhaltliche Einschätzung zum Gutachten lehnte er ab. Rechtliche Fragen wie diese würden erst im Bericht erörtert, den das Ministerium veröffentlichen will, wenn die selbst vorgenommenen Abgastests ausgewertet sind. Einen Termin gibt es dafür weiterhin nicht. Das Kraftfahrtbundesamt lehnte einen Kommentar zum wendigen Antragsbefugnis“. Dagegen hat die DUH Widerspruch eingelegt, um eine Klärung zu erzwingen. DUH-Anwalt Remo Klinger hat keinen Zweifel, dass die zuständigen Behörden die Zulassung für die betroffenen Fahrzeuge nicht nur widerrufen können, sondern sogar müssen. Anderenfalls bestehe „der begründete Verdacht, dass sie an gegebenenfalls erfüllten Straftatbeständen bei Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen Beihilfe leisten“, schreibt er in einem Gutachten, das der taz vorliegt. Daimler selbst bleibt hingegen bei der Einschätzung, nicht illegal zu handeln. „Diese Zumindest in Vorwürfe weisen wir entschieden zurück“, sagte Vorstandsden USA droht chef Dieter Zetsche am Mitteine juristische woch bei der HauptversammAuseinandersetzung lung in Berlin. Doch obwohl sich die Aktionäre über eine deutlich gestiegene Dividende freuen dürfen, werden sie teilweise nervös – was sich auch am Aktienkurs zeigt, der in den letzten Monaten trotz guter Unternehmenszahlen kräftig gesunken ist. Fondsmanager Ingo Speich von Union Investment sprach bei der Hauptversammlung von „enormen Klage- und Reputa tionsrisiken“. Auch andere Aktionäre forderten eine verstärkte Aufklärung. Denn zumindest in den USA droht dem Konzern eine juristische Auseinandersetzung. Eine Anwaltskanzlei hat bereits eine Sammelklage eingereicht; die Umweltbehörde EPA prüft die überhöhten Abgaswerte ebenfalls. Und auch in Deutschland wird das Thema so schnell nicht verschwinden: Die Umwelthilfe reichte am Mittwoch eine Klage wegen irreführener Werbung gegen Daimler ein, und die Grünen im Bundestag denken laut über einen Untersuchungsausschuss zum Wenig Durchblick bei Daimler: Frau unterwegs in virtueller Realität Foto: Hannibal Hanschke/reuters Abgasskandal nach. THEMA DES TAGES Bundestags-Gutachten ebenfalls ab. Nach Informationen der taz hat die Behörde, die Dobrindt untersteht, auch einen Antrag der Deutschen Umwelthilfe (DUH) noch nicht beantwortet: Der Umweltverband hatte Anfang Februar beantragt, einem Mercedes C220, der in einem Test weit überhöhte Abgaswerte gezeigt hatte, die Typgenehmigung wieder zu entziehen. In einem ähnlichen Fall, in dem es um einen Opel ging, hatte das Kraftfahrtbundesamt den Antrag mit der Begründung abgelehnt, es mangele „an der not- „Meine Vorgabe: emissionsfrei“ ELEKTROAUTOS Ab 2025 soll es keine neu zugelassenen Diesel und Benziner mehr geben, fordert der Grünen-Politiker Dieter Janecek taz: Herr Janecek, Sie wollen ab dem Jahr 2025 neue Diesel und Benziner verbieten. Glauben Sie selbst an den Erfolg Ihrer Forderung? Dieter Janecek: Technologisch und ökonomisch ist das möglich, für den Klimaschutz zwingend. Das ölreiche Norwegen hat sich vorgenommen, ab 2025 nur noch emissionsfreie Pkws und Lieferwagen zuzulassen. Die Niederlande diskutieren es intensiv. Und Indien denkt in dieselbe Richtung. Elektroautos sind auch nur emissionsfrei, wenn sie mit Ökostrom fahren. Wie wollen Sie die Neuwagen 2025 alle mit erneuerbaren Energien versorgen? 2025 können erneuerbare Energien bereits mehr als 60 Prozent des deutschen Strommixes ausmachen, Tendenz steigend. Im Übrigen heißt meine Vorgabe nur: emissionsfrei, ohne Schadstoffe und Treibhausgase. Die Autos könnten auch mit einer Brennstoffzelle, also mit Wasserstoff, unterwegs sein. Wasserstoff wird schon lange erfolglos erprobt. Bleibt noch ein Problem: Für die Batterien der Elektroautos könnten Rohstoffe knapp werden. Tatsächlich hat der kalifornische Elektroautobauer Tesla am Rande der Wüste Nevadas jetzt die weltweit größte Batteriefabrik gebaut. Sie braucht jährlich 24.000 Tonnen Lithiumhydroxid, das ist knapp die Hälfte von dem, was derzeit verfügbar ist. Aber die Entwicklung wird nicht an Knappheit scheitern. Unternehmen werden neue Lagerstätten erschließen und an innovativen Lösungen arbeiten. Nur – wer wird sich ein Elektroauto leisten können? Weit vor 2025 muss es endlich auch einen Volks-E-Wagen geben. Die Autobauer wissen, dass sie nur Erfolg haben, wenn sie den Massenmarkt bedienen. Das erste Modell von Tesla hat um die 100.000 Dollar gekostet, das für 2017 angekündigte Model 3 soll bei 35.000 Dollar liegen. Der Trend stimmt also. Der Weltmarktführer Nissan bietet bereits günstigere Fahrzeuge an. Die deutsche Autoindustrie ist aber noch nicht so weit, zumal sich ihre spritfressenden SUVs prima verkaufen. BMW baut den i3, auch den Sportwagen i8. Auch wenn sie sich nicht so gut in Deutschland verkaufen, zeigen die Modelle: Die deutsche Industrie kann Autos ohne Verbrennungsmotor. Wie reagiert Ihr Parteikollege Winfried Kretschmann, Ministerpräsident im Kernland der deutschen Autoindustrie, auf Ihre Idee? Wir haben noch nicht darüber gesprochen. Aber erst auf dem Klimagipfel in Paris hat die Welt beschlossen, dass die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts CO2neutral werden muss. Kretschmann weiß, dass die Zukunft im emissionsfreien Fahren liegt. Und er ist wie ich technikbegeistert. INTERVIEW HANNA GERSMANN Dieter Janecek ■■Dieter Janecek, 39, ist wirt- schaftspolitischer Sprecher der GrünenFraktion im Deutschen Bundestag. Foto: H.-J. Staudt Schwerpunkt Religionskritik DON N ERSTAG, 7. APRI L 2016 TAZ.DI E TAGESZEITU NG 03 Die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters will wie andere Kirchen auch mit Schildern auf ihre Messe hinweisen. Deshalb klagt sie Die Spaghettischlacht KIRCHE Das Land Brandenburg streitet sich mit den Anhängern des Spaghettimonsters um Schilder – und um religiöse Gleichstellung AUS FRANKFURT (ODER) PASCAL BEUCKER Sabine Selbig unternimmt einen letzten Versuch. „Gibt es die Möglichkeit einer gütlichen Einigung?“, fragt die Richterin. Die beiden ProzessvertreterInnen des Landes Brandenburg schütteln den Kopf. Nach einer knappen halben Stunde ist die Verhandlung vor der 1. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) beendet. Selbig kündigt ihre Urteilsverkündung für den 13. April an. Ob er enttäuscht sei? „Ich habe mit nichts anderem gerechnet“, sagt Bruder Spaghettus beim Verlassen des Saals. Bruder Spaghettus ist eine imposante Erscheinung. Der 65-Jährige ist Vorsitzender der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland, heißt mit bürgerlichem Namen Rüdiger Weida und lebt im uckermärkischen Templin. Die Landgerichtsverhandlung am Mittwoch ist nicht ganz so gut für ihn gelaufen. Richterin Selbig hat deutlich anklingen lassen, dass sie zugunsten des Landes entscheiden wird. Dann gehe es halt in die nächste Instanz, kündigt der gebürtige Sachsen-Anhalter an. „Dieser Rechtsstreit wird noch Jahre dauern.“ Es geht um vier Hinweisschilder, mit denen Weida und seine MitstreiterInnen an den Ortseingängen Templins auf ihre freitägliche Nudelmesse hinweisen wollen – und zwar am liebsten genauso, wie die evangelische und die katholische Kirche für ihre Gottesdienste werben. Schließlich verstehen sie sich als Weltanschauungsgemeinschaft mit den gleichen Rechten wie eine Religionsgemeinschaft. Doch der brandenburger Landesbetrieb Straßenwesen und die Landesregierung sehen das anders. Falls es das Fliegende Spaghettimonster wirklich gibt, dürfte es mit einer guten Portion Humor ausgestattet sein. Und nicht eitel sein. Zumindest, wenn es wirklich so aussieht, wie es der Prophet Bobby Henderson als Erster gezeichnet hat: ein verknäultes Wesen mit Stielaugen und Tentakeln. Oder auch einfach wie ein großer Haufen Pasta mit Fleischklößen. Es soll die Welt erschaffen haben, zumindest laut der 2005 in den USA gegründeten Church of the Flying Spaghetti Monster. Der deutsche Ableger feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum. Nach Angaben des Vorsitzenden Weida Rüdiger Weida kämpft für die konsequente Trennung von Kirche und Staat ... Foto: Markus Wächter/Caro hat der eingetragene Verein, der vom Finanzamt als gemeinnützige Körperschaft anerkannt ist, etwas mehr als 200 Mitglieder. „Die meisten in Bayern, da ist der Leidensdruck am größten“, so Weida. Allerdings gebe es weit mehr SympathisantInnen, zwischen 15.000 und 20.000. Die „Pastafari“ sind keine esoterische Sekte. Auch wenn sie ihr Bekenntnis vom Nudelholz ablesen Reine Glaubenssache Was auf den ersten Blick etwas absonderlich erscheinen mag, hat einen durchaus rationalen Kern. Die „Pastafari“, wie sich die Gläubigen des Teigwarenkultes nennen, sind keine esoterische Sekte. Auch wenn sie ihr Bekenntnis von einem Nudelholz ablesen und – je nach Auslegung ihres Evangeliums – ein Piratentuch oder ein Nudelsieb auf dem Kopf tragen. Vielmehr wollen sie demonstrieren: Der Pastafarianismus ist nicht weniger plausibel als jede andere Religion. Obwohl ein Preisgeld von einer Million Dollar winkt, ist es jedenfalls noch keinem gelungen, den empirisch schlüssigen Beweis zu führen, dass Jesus Christus nicht der Sohn des Fliegenden Spaghettimonsters ist. Am Anfang war das Wort. Und zwar in Form eines offenen Briefes, den der Religions- ... und für vier Hinweisschilder vor Gericht Foto: Pastafari/dpa stifter Bobby Henderson im Mai 2005 an die Schulbehörde des US-Bundesstaates Kansas schrieb. Die hatte kurz zuvor beschlossen, im Biologieunterricht neben Darwins Evolutionslehre gleichberechtigt das „Intelligent Design“ christlichfundamentalistischer Kreationisten als vermeintlich alternative Erklärung für den Ursprung des Lebens lehren zu lassen. Der damals 25-jährige Henderson forderte eine Lehrplanerweiterung: Er glaube „fest daran, dass das Universum von einem Fliegenden Spaghettimonster erschaffen wurde“. Hendersons satirischer Protest gegen den Kreationismus fand begeisterte Resonanz bei Atheisten und Laizisten weltweit. Sie erkannten in der Nudelreligion eine einmalige Gelegenheit, um mit parodistischen Mitteln wirkungsvoll für die konsequente Trennung von Kirche und Staat zu streiten. So fordert die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland „die absolute Gleichberechtigung aller Religionen, aber nicht auf dem Niveau der Großkirchen, sondern auf unserem“. Heißt: „Alle Kirchen sollen dem Vereinsrecht unterstellt, alle religiösen Sonderrechte abgeschafft und entsprechende Zahlungen eingestellt werden.“ Zu den Sonderrechten gehören die Gottesdienst-Tafeln an den Ortseingängen, geregelt in einer Richtlinie des Bundesverkehrsministeriums. Um dieses Privileg lächerlich zu machen, hatte Weida im Herbst 2014 erstmalig seine Nudelmesse-Hinweisschilder in Templin aufgehängt – und zwar an jenen Masten, an denen auch die Schilder der „Konkurrenz“ befestigt waren. Das führte zu heftigen Reaktionen der christlichen Kirchen. „Das Schild muss weg“, empörte sich der evangelische Pfarrer Ralf-Günther Schein. „Das wäre ja so, als ob der ZiegenzüchterVerein sein Schild unter unserem anbringt.“ Eine Religionsparodie Was folgte, war ein munteres Hin und Her: Das Straßenbauamt hängte die NudelmesseSchilder ab, dann wieder auf. Unbekannte beschmierten sie und hängten sie um. Schließlich bemühte sich Bürgermeister Detlef Tabbert (Linkspartei) um eine Befriedung. Die Stadtverwaltung bot den Pastafari an, ihre Schilder übergangsweise an vier Städtepartnerschaftsmasten zu befestigen. Dort hängen sie bis heute – und zumindest bis zum Ende des Rechtsstreits soll das auch so bleiben. Der Fall beschäftigte sogar den brandenburgischen Landtag. Auf Anfrage der SPD-Fraktion verkündete im Dezember 2014 die damalige SPD-Kultusministerin Sabine Kunst, deren Schwester Mitglied des Rats der EKD ist, es fehle die Grundlage für die Genehmigung des Nudelmesse-Schildes. Es handele sich bei der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters „um eine Religionsparodie ohne ernsthafte religiöse Substanz“. Das wollen die Pastafari nicht auf sich sitzen lassen. Dass sich ihre Kirche „satirischer Mittel bedient, ist Teil der Ausgestaltung, wie sie ihren Glauben ausüben und verbreiten will“, heißt es in ihrer Anklageschrift. Kommentarlos verließen die ProzessvertreterInnen Brandenburgs am Mittwoch das Frankfurter Gerichtsgebäude. Bruder Spaghettus kündigte hingegen an, „notfalls durch alle Instanzen“ für die Schilder-Gleichberechtigung seiner Kirche zu kämpfen. „Die großen Kirchen sind nicht die Einzigen, die Gutes tun“ Die Humanistische Union setzt sich für das Recht auf freie Entfaltung ein – und wehrt sich gegen die Einschränkung der Kirche. Geschäftsführer Sven Lüders über Privilegierung und bürgerlichen Protest ZIVIL taz: Herr Lüders, die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters darf in Templin keine Hinweisschilder für ihre „Nudelmesse“ aufhängen. Andere Kirchen dagegen dürfen für ihre Gottesdienste werben. Weshalb werden die großen bevorzugt? Sven Lüders: Das ist auf viele Jahrhunderte der gegenseitigen Einflussnahme zwischen Staat und Kirche zurückzuführen. Warum erkennt der Staat die Gemeinschaft um das Spaghettimonster nicht als Religionsgemeinschaft an? Eigentlich hält sich der Staat in der Bewertung der religiösen Praxis zurück. Die einzigen Kriterien sind Dauer und Konsequenz. Aber diese Kriterien sind hier ja eigentlich erfüllt. Im Grundgesetz sind doch alle Religionen gleich. In der Tat gibt es durch das Grundgesetz eine formale Gleichbehandlung aller Religionsgruppen. In der Praxis sieht das aber dann ganz anders aus. Inwiefern? Die Amtskirchen genießen gewisse Vorteile. Beispielsweise sind sie in öffentlich-rechtlichen Gremien wie den Rundfunkräten vertreten oder erhalten einseitige staatliche Zuwendungen, zum Teil ohne entsprechende Gegenleistung. Die Kirchen tun auch viel Gutes. Ohne finanzielle Unterstützung könnten sie manche soziale Leistungen nicht erbringen. Das mag zwar sein, aber die großen Kirchen sind doch nicht die einzigen, die Gutes tun. Auch andere religiöse Gruppen sind ge- sellschaftlich engagiert und verdienen Unterstützung. Wie jetzt? Wollen Sie die staatlichen Leistungen an Kirchen abschaffen oder ausbauen? Wir treten dafür ein, die Privilegierung der Kirchen aufzuheben und staatliche Zuwendungen an Kirchen und beispielsweise Sport- und Kulturvereine nach dem gleichen Maßstab zu verteilen. Solange das System aber aufrechterhalten wird, wollen wir die kleineren Kirchen unterstützen und streiten für deren Gleichbehandlung. Wird sich in absehbarer Zeit etwas ändern? Jedenfalls nicht von alleine. Das muss erst von einer breiten gesellschaftlichen Front erstritten werden. INTERVIEW PHILIPP SAUL Sven Lüders ■■43, ist seit 2005 Bundesgeschäftsführer der Humanistischen Union in Berlin. Die Bürgerrechtsorganisation stellt sich gegen Diskriminierung und setzt sich für mehr Laizismus in der Gesellschaft ein.
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