Dobrindt lässt einen fahren

Peru: Wie der Vater, so die Tochter?
Papa Alberto sitzt im Knast, nun will Keiko Fujimori Präsidentin werden ▶ Seite 2, 11
AUSGABE BERLIN | NR. 10987 | 14. WOCHE | 38. JAHRGANG
H EUTE I N DER TAZ
DONNERSTAG, 7. APRIL 2016 | WWW.TAZ.DE
€ 2,10 AUSLAND | € 1,60 DEUTSCHLAND
Dobrindt lässt einen fahren
GESTANK Abgasbetrug deutscher Autofirmen: Obwohl jetzt sogar Bundestagsjuristen Gesetzesbrüche feststellen,
tut der Verkehrsminister nichts dagegen. Grüner fordert Verbot neuer Benzin- und Dieselautos ab 2025 ▶ SEITE 2
RELIGION Wie die
Anhänger des Spaghettimonsters um Gleichstellung kämpfen ▶ SEITE 3
ROMA UND SINTI His-
toriker Wolfgang Benz
über die „am wenigsten
geachtete Minderheit
Europas“ ▶ SEITE 4
ASYL Reformvorschläge
aus Brüssel ▶ SEITE 10, 12
BERLIN Der Mann vor
der Botschaft ▶ SEITE 23
Fotos oben: ap;dpa
VERBOTEN
Guten Tag,
meine Damen und Herren!
Bei Redaktionsschluss dieses verboten stand noch nicht
fest, ob es bei dem Referendum in den Niederlanden nun
eine Mehrheit gegen das EUAbkommen mit der U
­ kraine
gegeben hat oder nicht. Aber
für den Fall, dass diese Holländer schon wieder renitent als einziges Land von der
einzig selig machenden EU-­
Linie a
­ bweichen sollten, hat
­verboten bereits eine Lösung
parat, um diese frechen, lästig
frechen Nörglerlande endlich
loszuwerden: den
Klimawandel.
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Und wenn‘s noch so stinkt, einfach weitermachen, als sei nichts geschehen: bewährte Methode, derzeit angewandt von Verkehrsminister Alexander Dobrindt Foto: Owen Richards/getty images
KOMMENTAR VON MALTE KREUTZFELDT ZUR STAATLICHEN NICHT-REAKTION AUF DEN ABGASSKANDAL
Kriminelle Untätigkeit
A
llmählich fehlen einem als Beobachter des Diesel-Abgasskandals
die Worte angesichts der Dreistigkeit, mit der CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt das Thema aussitzt.
Mehr als ein halbes Jahr ist es her, dass
Volkswagen eingeräumt hat, eine illegale
Abschalteinrichtung zu nutzen, die dafür sorgt, dass Grenzwerte nur im Labor
eingehalten werden. Seit mehreren Monaten ist bekannt, dass auch andere Hersteller die Abgasreinigung auf der Straße
stark drosseln – mit abenteuerlichen Begründungen.
Passiert ist seitdem praktisch nichts.
Die Autos, die ein Vielfaches des erlaubten Stickoxid-Wertes ausstoßen, sind
nach wie vor auf den deutschen Straßen
unterwegs und vergiften Tag für Tag die
Menschen. Das Verkehrsministerium hat
zwar umfangreiche Abgastests durchführen lassen. Doch deren Ergebnisse hält
Dobrindt seit Monaten geheim – offenbar in der irren Hoffnung, dass sich das
öffentliche Interesse am Skandal irgendwann legt. Längst bekannt sind hingegen
die Ergebnisse von Abgastests, die Umweltverbände und Medien auf eigene
Kosten durchgeführt haben. Reaktion
der zuständigen Behörden: Fehlanzeige.
Selbst als der Autokonzern Daimler nach einem dieser Tests einräumen
musste, dass die Abgasreinigung bei Mercedes-Modellen bei niedrigen Tempera-
turen gedrosselt wird, um den Motor
zu schonen, ist nichts passiert. Das zuständige Kraftfahrtbundesamt, das Dobrindt untersteht, wollte zunächst prüfen, ob Daimler sich hier möglicherweise
zu Recht auf eine Ausnahmeregelung beruft. Ergebnis: keins.
Inzwischen liegt zu dieser Frage
trotzdem eine klare Aussage aus neutraler Quelle vor: Der Wissenschaftli-
Dobrindt schont die Industrie und nimmt dafür Gesundheitsschäden in Kauf
Haft für Freier und Zuhälter
STRAFRECHT
Bundesregierung beschließt Gesetz gegen Zwangsprostitution
BERLIN afp | Die Bundesregie-
rung hat das Gesetz zur strafrechtlichen Verfolgung von
Zwangsprostitution auf den Weg
gebracht. Es sieht Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren für
Freier vor, die die Situation von
Zwangsprostituierten ausnutzen. Bis zu zehn Jahre Haft drohen Zuhältern und Menschen-
händlern, die jemanden unter
Ausnutzung einer Zwangslage
oder Hilflosigkeit beziehungsweise durch Gewalt zur Prostitution veranlassen.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) wies darauf hin, dass
den Freiern im Einzelfall nur
schwer nachzuweisen sein
werde, dass sie über die Um-
stände der Zwangsprostitution
Bescheid wussten. Die Frauenexpertin der Linken, Cornelia
Möhring, sagte, sie habe Zweifel, dass die Bestrafung der Kunden ein adäquates Mittel sei. Die
Opfer bräuchten vor allem Beratungsangebote.
▶ Inland SEITE 6
▶ Meinung + Diskussion SEITE 12
che Dienst des Bundestags hält das Vor­
gehen von Daimler für eindeutig rechtswidrig. Und was tun Dobrindt und seine
Behörde? Wieder nichts.
Diese Untätigkeit ist inzwischen nicht
mehr nur ein politischer Skandal, sondern sie nimmt allmählich kriminelle
Züge an. Der Verkehrsminister nimmt
massive Gesundheitsschäden durch giftige Abgase in Kauf, um die Autoindust­
rie zu schonen. Auf Einsicht ist bei Do­
brindt nach den bisherigen Erfahrungen
leider nicht mehr zu hoffen, und die mitregierende SPD lässt ihn gewähren. Stoppen können die staatliche Arbeitsverweigerung darum wohl nur die Gerichte –
oder die Wähler.
Eigenanbau erlaubt
CANNABIS
Bundesgericht gibt MS-Patienten recht
LEIPZIG epd/dpa | Das Bundes-
verwaltungsgericht hat schwer
erkrankten Patienten erstmals
die Möglichkeit zum eigenhändigen Anbau von Cannabis eröffnet. Das Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte müsse einem an Multipler Sklerose erkrankten Mann
eine Ausnahmegenehmigung
für die Kultivierung der Pflanzen erteilen, entschied das Gericht am Mittwoch in Leipzig
in einem wegweisenden Urteil.
Bislang war in solchen Fällen
noch nie eine Erlaubnis erteilt
worden. Nun hatte die Klage des
52-Jährigen in dritter und letzter
Instanz Erfolg.
▶ Inland SEITE 6
02
TAZ.DI E TAGESZEITU NG
PORTRAIT
NACH RICHTEN
EU-GRÜN E UN D DAS GLYPHOSAT
DATENSCHUTZABKOMMEN
Pinkeln für die Umwelt
Nachbesserungen
gefordert
BRÜSSEL | Mehrere Grünen-Poli-
Keiko Fujimori, peruanische
Präsidentschaftskandidatin Foto: ap
Die Tochter
des Autokraten
P
erus nächstes Staatsoberhaupt könnte eine Frau
sein. Keiko Fujimori führt
die Umfragen vor der Wahl am
Sonntag mit gutem Vorsprung
an. Doch schon einmal ist die
Tochter des autokratischen Expräsidenten Alberto Fujimori
(1990–2000) auf der Zielgeraden gescheitert. Zwar ist die
40-Jährige politisch aus dem
Schatten des Vaters herausgetreten – aber sie wird ihn nicht
los. Gerade erst waren Zehntausende landesweit auf der Straße,
riefen „Nie wieder Fujimori“
und meinten Vater und Tochter.
Keiko Sofía Fujimori Higuchi wurde 1975 in Lima als Tochter des bis dahin unbekannten
Hochschulprofessors Alberto
Fujimori und seiner Frau geboren, beide mit japanischen Wurzeln. Damals ahnte niemand
den kometenhaften politischen
Aufstieg der Familie, der den
Vater 1990 ins Präsidentenamt
brachte. Als sich Alberto 1994
von seiner Frau trennte, hielt
die damals 19-jährige Keiko zu
ihm und übernahm die Rolle
der First Lady. Auch als ihr Vater im Jahr 2000 aus dem Amt
und nach Japan floh, hielt sie
ihm die Treue.
Bei der Kongresswahl 2006
wurde die Betriebswirtin ins
Parlament gewählt. 2011 gründete sie mit der Fuerza 2011
ihre eigene Partei. Letztlich
nicht mehr als ein Wahlkampfverein für Präsidentschaftswahlen, benannte sie diese nach der
Schlappe von 2011 in Fuerza Popular um. Geblieben ist das Wappen: ein großes K auf orange
Grund. Losgesagt hat sich Keiko
Fujimori von ihrem Vater nie.
Trotzdem versucht sie, sich als
eigenständige und unabhängige Politikerin zu präsentieren.
Was die rechtspopulistische
Keiko wirklich umtreibt, ist
schwer zu sagen. Politisch leistet sie den Spagat zwischen der
autoritär-konservativen Anhängerschaft ihres Vaters in Mittel- und Oberschicht und einer
Stammwählerschaft in den armen unteren Schichten. Auch
wenn für viele der Name Fujimori für neoliberale Schocktherapie, Korruption, Menschenrechtsverbrechen und Diktatur steht, lebt noch immer der
Mythos vom Präsidenten, der
sich um sie kümmert. Aus diesen beiden Bereichen kommen
denn auch die knapp 40 Prozent der Wahlberechtigten, die
am Sonntag wohl für Keiko stimmen werden. JÜRGEN VOGT
Ausland SEITE 11
Der Tag
DON N ERSTAG, 7. APRI L 2016
tiker im EU-Parlament wenden
sich mit einem ungewöhnlichen
Vorschlag an ihre Kollegen: Sie
sollen ihren Urin auf Spuren des
umstrittenen Pflanzenschutzmittels Glyphosat testen lassen. So solle gezeigt werden, „wie
weit das Herbizid tatsächlich bei
uns allen verbreitet ist“, erklärte
der Grünen-Agrarexperte Martin Häusling gestern.
Häusling initiierte die Aktion mit seinen Kollegen Bart
Staes aus Belgien und Michèle
Rivasi aus Frankreich. Sie forderten auch EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis
und EU-Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker schriftlich
zur Teilnahme auf. Dies geschehe „in der Hoffnung, dass
der Versuch am eigenen Körper
sie dazu bewegen kann, ihre Haltung zur Wiederzulassung von
Glyphosat zu überdenken“.
Die Zulassung des Pestizids
läuft in der EU im Juni aus. Kritiker wollen Glyphosat wegen Gesundheits- und Umweltbedenken verbieten. Die Kommission
dagegen sieht aufgrund von
Empfehlungen der EU-Lebensmittelsicherheitsbehörde Efsa
keinen Grund, Glyphosat in der
EU vom Markt zu nehmen. (afp)
BERLIN | Verbraucherschützer
sehen das geplante neue Datenschutzabkommen zwischen
der EU und den USA sehr kritisch. Das „Privacy Shield“ dürfe
so nicht verabschiedet werden,
erklärte der Verbraucherzentrale Bundesverband gestern. Es
entspreche nicht EU-Recht und
müsse nachgebessert werden.
Die Verband fordert, dass das
Abkommen sich an die „Grundregeln des EU-Datenschutzes“
hält. Es seien „wirksame Überwachungs- und Kontrollmechanismen“ nötig, um Verstöße zu
ermitteln und zu ahnden. (afp)
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SERBEN FÜH RER ŠEŠSELJ
Anklage will
Freispruch anfechten
| Die Anklage
im UN-Kriegsverbrecherprozess
gegen den serbischen Nationalistenführer Vojislav Šešelj will
dessen Freispruch anfechten.
Das Haager Kriegsverbrechertribunal habe zahlreiche Beweise
gegen Šešelj nicht berücksichtigt, sagte UN-Ankläger Serge
Brammertz gestern. Das UN-Tribunal für Exjugoslawien hatte
den Serbenführer letzte Woche
überraschend freigesprochen.
Dem 61-Jährigen waren Verbrechen gegen die Menschlichkeit
sowie Kriegsverbrechen vorgeworfen worden. (rtr)
AMSTERDAM
Verboten – na und?
ABGASSKANDAL Daimler handelt illegal, findet der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags. Minister Dobrindt
interessiert das nicht, die Aktionäre werden trotzdem nervös. Jurist hält Untätigkeit der Behörden für strafbar
VON MALTE KREUTZFELDT
BERLIN taz | Bisher fühlte sich
der Autokonzern Daimler sicher: Zwar arbeitet die Abgasreinigung bei vielen Mercedes-Modellen auf der Straße
nicht korrekt. Doch anders als
bei Volkswagen, wo eine illegale Abschalteinrichtung dafür sorgte, dass die Abgase nur
bei Labortests gereinigt wurden, hielt Daimler das eigene
Vorgehen für legal: Man reduziere die Abgasreinigung bei
niedrigen Temperaturen lediglich, „um den Motorschutz zu
gewährleisten“, hatte das Unternehmen erklärt. Und das sei
durch eine Ausnahmeregelung
in der entsprechenden EU-Verordnung gedeckt.
Dem widerspricht nun der
Wissenschaftliche Dienst des
Deutschen Bundestags. In einem
Gutachten für die Grünen-Fraktion, über das zuerst das ZDFMagazin „Frontal 21“ berichtet
hatte, zerlegen die unabhängigen Juristen die Argumentation
von Daimler. Der Schutz des Motors dürfe „grundsätzlich keine
taugliche Rechtsgrundlage dafür sein“, um eine Abschalteinrichtung auch bei Bedingungen
greifen zu lassen, die bei normalem, bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Personenkraftwagens typischerweise eintreten“.
Die Temperaturen von 7 bis 10
Grad, bei denen weit überhöhte
Abgaswerte gemessen wurden,
rechtfertigten keinesfalls eine
Ausnahme.
Als Konsequenz aus dem Gutachten forderte Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer Verkehrsminister Alexander Dob-
rindt (CSU) auf, „sofort für die
Beendigung dieser skandalösen Praxis zu sorgen“. Doch Dobrindt sieht keinen Handlungsbedarf, sagte sein Sprecher Ingo
Strater auf Anfrage. Auch einen
inhaltliche Einschätzung zum
Gutachten lehnte er ab. Rechtliche Fragen wie diese würden
erst im Bericht erörtert, den
das Ministerium veröffentlichen will, wenn die selbst vorgenommenen Abgastests ausgewertet sind. Einen Termin gibt
es dafür weiterhin nicht.
Das Kraftfahrtbundesamt
lehnte einen Kommentar zum
wendigen Antragsbefugnis“. Dagegen hat die DUH Widerspruch
eingelegt, um eine Klärung zu
erzwingen.
DUH-Anwalt Remo Klinger
hat keinen Zweifel, dass die zuständigen Behörden die Zulassung für die betroffenen Fahrzeuge nicht nur widerrufen
können, sondern sogar müssen. Anderenfalls bestehe „der
begründete Verdacht, dass sie
an gegebenenfalls erfüllten
Straftatbeständen bei Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen Beihilfe
leisten“, schreibt er in einem
Gutachten, das der taz vorliegt.
Daimler selbst bleibt hingegen bei der Einschätzung,
nicht illegal zu handeln. „Diese
Zumindest in
Vorwürfe weisen wir entschieden zurück“, sagte Vorstandsden USA droht
chef Dieter Zetsche am Mitteine juristische
woch bei der HauptversammAuseinandersetzung lung in Berlin. Doch obwohl
sich die Aktionäre über eine
deutlich gestiegene Dividende
freuen dürfen, werden sie teilweise nervös – was sich auch am
Aktienkurs zeigt, der in den letzten Monaten trotz guter Unternehmenszahlen kräftig gesunken ist. Fondsmanager Ingo
Speich von Union Investment
sprach bei der Hauptversammlung von „enormen Klage- und
Reputa­
tionsrisiken“. Auch andere Aktionäre forderten eine
verstärkte Aufklärung.
Denn zumindest in den USA
droht dem Konzern eine juristische Auseinandersetzung. Eine
Anwaltskanzlei hat bereits eine
Sammelklage eingereicht; die
Umweltbehörde EPA prüft die
überhöhten Abgaswerte ebenfalls. Und auch in Deutschland
wird das Thema so schnell nicht
verschwinden: Die Umwelthilfe reichte am Mittwoch eine
Klage wegen irreführener Werbung gegen Daimler ein, und
die Grünen im Bundestag denken laut über einen Untersuchungsausschuss zum
Wenig Durchblick bei Daimler: Frau unterwegs in virtueller Realität Foto: Hannibal Hanschke/reuters
Abgasskandal nach.
THEMA
DES
TAGES
Bundestags-Gutachten ebenfalls ab. Nach Informationen
der taz hat die Behörde, die Dobrindt untersteht, auch einen Antrag der Deutschen Umwelthilfe
(DUH) noch nicht beantwortet:
Der Umweltverband hatte Anfang Februar beantragt, einem
Mercedes C220, der in einem
Test weit überhöhte Abgaswerte
gezeigt hatte, die Typgenehmigung wieder zu entziehen. In einem ähnlichen Fall, in dem es
um einen Opel ging, hatte das
Kraftfahrtbundesamt den Antrag mit der Begründung abgelehnt, es mangele „an der not-
„Meine Vorgabe: emissionsfrei“
ELEKTROAUTOS
Ab 2025 soll es keine neu zugelassenen Diesel und Benziner mehr geben, fordert der Grünen-Politiker Dieter Janecek
taz: Herr Janecek, Sie wollen
ab dem Jahr 2025 neue Diesel
und Benziner verbieten. Glauben Sie selbst an den Erfolg Ihrer Forderung?
Dieter Janecek: Technologisch
und ökonomisch ist das möglich, für den Klimaschutz zwingend. Das ölreiche Norwegen
hat sich vorgenommen, ab 2025
nur noch emissionsfreie Pkws
und Lieferwagen zuzulassen.
Die Niederlande diskutieren es
intensiv. Und Indien denkt in
dieselbe Richtung. Elektro­autos
sind auch nur emissionsfrei,
wenn sie mit Ökostrom fahren.
Wie wollen Sie die Neuwagen
2025 alle mit erneuerbaren
Energien versorgen?
2025 können erneuerbare Energien bereits mehr als 60 Prozent
des deutschen Strommixes ausmachen, Tendenz steigend. Im
Übrigen heißt meine Vorgabe
nur: emissionsfrei, ohne Schadstoffe und Treibhausgase. Die
Autos könnten auch mit einer
Brennstoffzelle, also mit Wasserstoff, unterwegs sein.
Wasserstoff wird schon lange
erfolglos erprobt. Bleibt noch
ein Problem: Für die Batterien
der Elektroautos könnten Rohstoffe knapp werden.
Tatsächlich hat der kalifornische Elektroautobauer Tesla am
Rande der Wüste Nevadas jetzt
die weltweit größte Batteriefabrik gebaut. Sie braucht jährlich
24.000 Tonnen Lithiumhydroxid, das ist knapp die Hälfte von
dem, was derzeit verfügbar ist.
Aber die Entwicklung wird nicht
an Knappheit scheitern. Unternehmen werden neue Lagerstätten erschließen und an innovativen Lösungen arbeiten.
Nur – wer wird sich ein Elektroauto leisten können?
Weit vor 2025 muss es endlich
auch einen Volks-E-Wagen geben. Die Autobauer wissen, dass
sie nur Erfolg haben, wenn sie
den Massenmarkt bedienen.
Das erste Modell von Tesla hat
um die 100.000 Dollar gekostet,
das für 2017 angekündigte Model 3 soll bei 35.000 Dollar liegen. Der Trend stimmt also. Der
Weltmarktführer Nissan bietet
bereits günstigere Fahrzeuge an.
Die deutsche Autoindustrie ist
aber noch nicht so weit, zumal
sich ihre spritfressenden SUVs
prima verkaufen.
BMW baut den i3, auch den
Sportwagen i8. Auch wenn sie
sich nicht so gut in Deutschland
verkaufen, zeigen die Modelle:
Die deutsche Industrie kann Autos ohne Verbrennungsmotor.
Wie reagiert Ihr Parteikollege
Winfried Kretschmann, Ministerpräsident im Kernland der
deutschen Autoindustrie, auf
Ihre Idee?
Wir haben noch nicht darüber
gesprochen. Aber erst auf dem
Klimagipfel in Paris hat die Welt
beschlossen, dass die zweite
Hälfte dieses Jahrhunderts CO2neutral werden muss. Kretschmann weiß, dass die Zukunft im
emissionsfreien Fahren liegt.
Und er ist wie ich technikbegeistert. INTERVIEW HANNA GERSMANN
Dieter Janecek
■■Dieter Janecek, 39, ist wirt-
schaftspolitischer Sprecher der
GrünenFraktion im
Deutschen
Bundestag.
Foto: H.-J. Staudt
Schwerpunkt
Religionskritik
DON N ERSTAG, 7. APRI L 2016
TAZ.DI E TAGESZEITU NG
03
Die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters will wie andere Kirchen
auch mit Schildern auf ihre Messe hinweisen. Deshalb klagt sie
Die Spaghettischlacht
KIRCHE Das Land Brandenburg streitet sich mit den Anhängern des Spaghettimonsters um Schilder – und um religiöse Gleichstellung
AUS FRANKFURT (ODER)
PASCAL BEUCKER
Sabine Selbig unternimmt einen letzten Versuch. „Gibt es die
Möglichkeit einer gütlichen Einigung?“, fragt die Richterin.
Die beiden ProzessvertreterInnen des Landes Brandenburg
schütteln den Kopf. Nach einer
knappen halben Stunde ist die
Verhandlung vor der 1. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt
(Oder) beendet. Selbig kündigt
ihre Urteilsverkündung für den
13. April an. Ob er enttäuscht sei?
„Ich habe mit nichts anderem
gerechnet“, sagt Bruder Spaghettus beim Verlassen des Saals.
Bruder Spaghettus ist eine
imposante Erscheinung. Der
65-Jährige ist Vorsitzender der
Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland, heißt
mit bürgerlichem Namen Rüdiger Weida und lebt im uckermärkischen Templin. Die Landgerichtsverhandlung am Mittwoch ist nicht ganz so gut für
ihn gelaufen. Richterin Selbig
hat deutlich anklingen lassen,
dass sie zugunsten des Landes
entscheiden wird. Dann gehe es
halt in die nächste Instanz, kündigt der gebürtige Sachsen-Anhalter an. „Dieser Rechtsstreit
wird noch Jahre dauern.“
Es geht um vier Hinweisschilder, mit denen Weida und seine
MitstreiterInnen an den Ortseingängen Templins auf ihre
freitägliche Nudelmesse hinweisen wollen – und zwar am
liebsten genauso, wie die evangelische und die katholische Kirche für ihre Gottesdienste werben. Schließlich verstehen sie
sich als Weltanschauungsgemeinschaft mit den gleichen
Rechten wie eine Religionsgemeinschaft. Doch der brandenburger Landesbetrieb Straßenwesen und die Landesregierung
sehen das anders.
Falls es das Fliegende Spaghettimonster wirklich gibt,
dürfte es mit einer guten Portion Humor ausgestattet sein.
Und nicht eitel sein. Zumindest, wenn es wirklich so aussieht, wie es der Prophet Bobby
Henderson als Erster gezeichnet hat: ein verknäultes Wesen
mit Stielaugen und Tentakeln.
Oder auch einfach wie ein großer Haufen Pasta mit Fleischklößen. Es soll die Welt erschaffen haben, zumindest laut der
2005 in den USA gegründeten
Church of the Flying Spaghetti
Monster. Der deutsche Ableger
feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum. Nach Angaben des Vorsitzenden Weida
Rüdiger Weida kämpft für die konsequente Trennung von Kirche und Staat ... Foto: Markus Wächter/Caro
hat der eingetragene Verein, der
vom Finanzamt als gemeinnützige Körperschaft anerkannt ist,
etwas mehr als 200 Mitglieder.
„Die meisten in Bayern, da ist
der Leidensdruck am größten“,
so Weida. Allerdings gebe es weit
mehr SympathisantInnen, zwischen 15.000 und 20.000.
Die „Pastafari“ sind
keine esoterische
Sekte. Auch wenn sie
ihr Bekenntnis vom
Nudelholz ablesen
Reine Glaubenssache
Was auf den ersten Blick etwas
absonderlich erscheinen mag,
hat einen durchaus rationalen
Kern. Die „Pastafari“, wie sich
die Gläubigen des Teigwarenkultes nennen, sind keine esoterische Sekte. Auch wenn sie ihr
Bekenntnis von einem Nudelholz ablesen und – je nach Auslegung ihres Evangeliums – ein
Piratentuch oder ein Nudelsieb
auf dem Kopf tragen. Vielmehr
wollen sie demonstrieren: Der
Pastafarianismus ist nicht weniger plausibel als jede andere
Religion. Obwohl ein Preisgeld
von einer Million Dollar winkt,
ist es jedenfalls noch keinem gelungen, den empirisch schlüssigen Beweis zu führen, dass Jesus
Christus nicht der Sohn des Fliegenden Spaghettimonsters ist.
Am Anfang war das Wort.
Und zwar in Form eines offenen Briefes, den der Religions-
... und für vier Hinweisschilder vor
Gericht Foto: Pastafari/dpa
stifter Bobby Henderson im
Mai 2005 an die Schulbehörde
des US-Bundesstaates Kansas
schrieb. Die hatte kurz zuvor
beschlossen, im Biologieunterricht neben Darwins Evolutionslehre gleichberechtigt das
„Intelligent Design“ christlichfundamentalistischer Kreationisten als vermeintlich alternative Erklärung für den Ursprung
des Lebens lehren zu lassen. Der
damals 25-jährige Henderson
forderte eine Lehrplanerweiterung: Er glaube „fest daran, dass
das Universum von einem Fliegenden Spaghettimonster erschaffen wurde“.
Hendersons satirischer Protest gegen den Kreationismus
fand begeisterte Resonanz bei
Atheisten und Laizisten weltweit. Sie erkannten in der Nudelreligion eine einmalige Gelegenheit, um mit parodistischen Mitteln wirkungsvoll
für die konsequente Trennung
von Kirche und Staat zu streiten. So fordert die Kirche des
Fliegenden
Spaghettimonsters Deutschland „die absolute
Gleichberechtigung aller Religionen, aber nicht auf dem Niveau der Großkirchen, sondern
auf unserem“. Heißt: „Alle Kirchen sollen dem Vereinsrecht
unterstellt, alle religiösen Sonderrechte abgeschafft und entsprechende Zahlungen eingestellt werden.“
Zu den Sonderrechten gehören die Gottesdienst-Tafeln an
den Ortseingängen, geregelt in
einer Richtlinie des Bundesverkehrsministeriums. Um dieses
Privileg lächerlich zu machen,
hatte Weida im Herbst 2014 erstmalig seine Nudelmesse-Hinweisschilder in Templin aufgehängt – und zwar an jenen Masten, an denen auch die Schilder
der „Konkurrenz“ befestigt waren. Das führte zu heftigen Reaktionen der christlichen Kirchen.
„Das Schild muss weg“, empörte
sich der evangelische Pfarrer
Ralf-Günther Schein. „Das wäre
ja so, als ob der ZiegenzüchterVerein sein Schild unter unserem anbringt.“
Eine Religionsparodie
Was folgte, war ein munteres
Hin und Her: Das Straßenbauamt hängte die NudelmesseSchilder ab, dann wieder auf.
Unbekannte beschmierten sie
und hängten sie um. Schließlich bemühte sich Bürgermeister Detlef Tabbert (Linkspartei)
um eine Befriedung. Die Stadtverwaltung bot den Pastafari an,
ihre Schilder übergangsweise an
vier Städtepartnerschaftsmasten zu befestigen. Dort hängen
sie bis heute – und zumindest
bis zum Ende des Rechtsstreits
soll das auch so bleiben.
Der Fall beschäftigte sogar
den brandenburgischen Landtag. Auf Anfrage der SPD-Fraktion verkündete im Dezember
2014 die damalige SPD-Kultusministerin Sabine Kunst, deren
Schwester Mitglied des Rats der
EKD ist, es fehle die Grundlage
für die Genehmigung des Nudelmesse-Schildes. Es handele
sich bei der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters „um
eine Religionsparodie ohne
ernsthafte religiöse Substanz“.
Das wollen die Pastafari nicht
auf sich sitzen lassen. Dass sich
ihre Kirche „satirischer Mittel
bedient, ist Teil der Ausgestaltung, wie sie ihren Glauben ausüben und verbreiten will“, heißt
es in ihrer Anklageschrift.
Kommentarlos verließen die
ProzessvertreterInnen Brandenburgs am Mittwoch das Frankfurter Gerichtsgebäude. Bruder
Spaghettus kündigte hingegen
an, „notfalls durch alle Instanzen“ für die Schilder-Gleichberechtigung seiner Kirche zu
kämpfen.
„Die großen Kirchen sind nicht die Einzigen, die Gutes tun“
Die Humanistische
Union setzt sich
für das Recht auf freie
Entfaltung ein – und
wehrt sich gegen die
Einschränkung der
Kirche. Geschäftsführer
Sven Lüders über
Privilegierung und
bürgerlichen Protest
ZIVIL
taz: Herr Lüders, die Kirche des
Fliegenden Spaghettimonsters
darf in Templin keine Hinweisschilder für ihre „Nudelmesse“
aufhängen. Andere Kirchen dagegen dürfen für ihre Gottesdienste werben. Weshalb werden die großen bevorzugt?
Sven Lüders: Das ist auf viele
Jahrhunderte der gegenseitigen
Einflussnahme zwischen Staat
und Kirche zurückzuführen.
Warum erkennt der Staat die
Gemeinschaft um das Spaghettimonster nicht als Religionsgemeinschaft an?
Eigentlich hält sich der Staat
in der Bewertung der religiösen Praxis zurück. Die einzigen Kriterien sind Dauer und
Konsequenz. Aber diese Kriterien sind hier ja eigentlich erfüllt.
Im Grundgesetz sind doch alle
Religionen gleich.
In der Tat gibt es durch das
Grundgesetz eine formale
Gleichbehandlung aller Religionsgruppen. In der Praxis sieht
das aber dann ganz anders
aus.
Inwiefern?
Die Amtskirchen genießen gewisse Vorteile. Beispielsweise
sind sie in öffentlich-rechtlichen Gremien wie den Rundfunkräten vertreten oder erhalten einseitige staatliche Zuwendungen, zum Teil ohne
entsprechende Gegenleistung.
Die Kirchen tun auch viel Gutes. Ohne finanzielle Unterstützung könnten sie manche soziale Leistungen nicht erbringen.
Das mag zwar sein, aber die großen Kirchen sind doch nicht die
einzigen, die Gutes tun. Auch andere religiöse Gruppen sind ge-
sellschaftlich engagiert und verdienen Unterstützung.
Wie jetzt? Wollen Sie die staatlichen Leistungen an Kirchen abschaffen oder ausbauen?
Wir treten dafür ein, die Privilegierung der Kirchen aufzuheben und staatliche Zuwendungen an Kirchen und beispielsweise Sport- und Kulturvereine
nach dem gleichen Maßstab zu
verteilen. Solange das System
aber aufrechterhalten wird, wollen wir die kleineren Kirchen
unterstützen und streiten für
deren Gleichbehandlung.
Wird sich in absehbarer Zeit etwas ändern?
Jedenfalls nicht von alleine. Das
muss erst von einer breiten gesellschaftlichen Front erstritten
werden. INTERVIEW PHILIPP SAUL
Sven Lüders
■■43, ist seit 2005 Bundesgeschäftsführer der Humanistischen
Union in Berlin. Die Bürgerrechtsorganisation stellt sich gegen
Diskriminierung und setzt sich für
mehr Laizismus in der Gesellschaft ein.