A M WO C H E N E N D E WWW.SÜDDEUTSCHE.DE HF1 MÜNCHEN, SAMSTAG/SONNTAG, 9./10. APRIL 2016 72. JAHRGANG / 14. WOCHE / NR. 82 / 3,20 EURO Von Paris nach Panama FOTOS: PETER M. HOFFMANN, THOMAS RABSCH, IMAGO, DDP Dazu: Ein Ortsbesuch in Panama City – und die weltweiten Reaktionen Thema der Woche, Seite Drei, Buch Zwei Medien, TV-/Radioprogramm Forum & Leserbriefe München · Bayern Rätsel & Schach Traueranzeigen 42-44 14 36 59 19-21 61014 4 190655 803203 JAN BÖSERMANN Wie ein junger Komiker das klassische Kabarett alt aussehen lässt Wissen, Seite 34 Gesellschaft, Seite 45 MIT VOLLGAS IN DEN UNTERGANG Spurensuche: Wie ein Gemälde, das 1944 von den Nazis gestohlen wurde, bis heute mithilfe eines OffshoreKontos versteckt wird. In der Krise macht Volkswagen immer neue Fehler. Ist der Konzern noch zu retten? Wirtschaft, Seite 25 Der Papst, die Liebe und der Sex Deutlich weniger neue Flüchtlinge Franziskus beharrt in seinem Schreiben „Freude der Liebe“ auf den Regeln der Kirche zu Ehe und Familie. Aber er will mehr Verständnis für die Menschen, die in Moralfragen von der reinen Lehre abweichen Doch die Zahl der Asylanträge bleibt weiterhin hoch von matthias drobinski München – Es geht um Amor, die Liebe. Der Papst singt ihr hohes Lied. Zärtlichkeit, eine „gesunde Erotik“ und Sexualität gehören zu einer guten Ehe, sagt Franziskus und empfiehlt allen Katholiken: „Es ist gut, den Morgen immer mit einem Kuss zu beginnen.“ Er betont den Wert des Gewissens in Liebesdingen und Ehefragen. Seine Priester und Bischöfe ermahnt er, sie dürften Geschiedene oder Paare ohne Trauschein nicht ausschließen. Es reiche nicht, „nur moralische Gesetze anzuwenden, als seien es Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft“. So gesehen kann das nun veröffentlichte Papst-Schreiben „Amoris Laetitia“ über die „Freude der Liebe“ tatsächlich eine Wende im schwierigen und manchmal auch verklemmten Verhältnis der katholischen Kirche zur Sexualität sein, wie der Wiener Theologe Paul Zulehner euphorisch sagt. Auf jeden Fall aber öffnet Franziskus mit dem fast 200 Seiten langen Text die Türen in seiner Kirche, zumindest einen Spalt breit. Wie weit, das müssen nun auch die Bischöfe entscheiden. „Nicht alle Diskussionen“, schreibt der Papst, müssten „durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden“; in jedem Land und jeder Region könnten Lösungen gefunden werden, „welche die örtlichen Traditionen und Herausforderungen berücksichtigen“. Anlass des Schreibens ist ein konfliktreicher Prozess: Nach seiner Wahl hatte Franziskus die Bischöfe der Welt eingeladen, auf zwei Synoden über Ehe, Familie und Sexualität zu diskutieren. Er hatte die Gläubigen aufgefordert, sich an einer Umfrage zum Thema zu beteiligen – die hatte gezeigt, wie tief mittlerweile der Graben zwischen der Lehre der katholischen Kir- Im nun endlich nahendend Frühjahr lauern mannigfache Gefahren. Kaum drängt der Mensch mit Macht in die sich aufwärmende Natur, drohen Heuschnupfen und Zeckenstich. Steigen die Temperaturen und es durftet nach Anzünder und Marinade, ist weiteres Ungemach nicht fern: Ärzte der Universität Missouri warnen im amerikanischen Fachmagazin für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde vor unerwünschten Nebenwirkungen des Grillens: Die zum Säubern des Rosts benutzten Drahtbürsten könnten üble Verletzungen hervorrufen. Tiffany Baugh und ihre Kollegen haben in den USA 1700 Unfälle in den vergangenen zehn Jahren dokumentiert. Die Dunkelziffer liegt wohl weitaus höher. Allein in Amerika müssen jährlich bis zu 500 Menschen in der Notaufnahme behandelt werden, weil sie sich beim Grillen verletzen, vermuten die Forscher. Nicht Brandwunden seien der Grund dafür, sondern Stiche in Mund und Rachen. Den fatalen Verlauf von der gemütlichen Grill- DIZdigital: Alle Alle Rechte Rechte vorbehalten vorbehalten –- Süddeutsche Süddeutsche Zeitung Zeitung GmbH, GmbH, München München DIZdigital: Jegliche Veröffentlichung Veröffentlichungund undnicht-private nicht-privateNutzung Nutzungexklusiv exklusivüber überwww.sz-content.de www.sz-content.de Jegliche che und der Praxis ihrer Gläubigen ist. Die Bischöfe aber hatten sich bei ihren Treffen 2014 und 2015 nicht auf konkrete Reformen einigen können. Eine konservative Sperrminorität sorgte dafür, dass die Abschlusserklärung im Oktober 2015 ein Kompromisspapier blieb. Der Papst wirft nun nicht die Lehre der Kirche über den Haufen, im Gegenteil. Auch für ihn ist die Ehe unauflöslich, besteht aus Mann und Frau und ist offen für Kinder; nur hier ist der richtige Ort der Sexualität. Aufgabe der Kirche sei es, diese Ehe besser zu begleiten, zu verteidigen und zu festigen. Und wer gehofft hat, dass Franziskus irgendetwas an dieser Lehre oder konkret am Kirchenrecht ändert, der dürfte enttäuscht sein. Franziskus sieht sich an die strengen Lehraussagen seiner Vorgänger gebunden. So bleiben Geschiedene, die wieder geheiratet haben, in der Wer sich traut Regel von den Sakramenten ausgeschlossen. Sie sollen sich „nicht exkommuniziert fühlen“, betont der Papst. Allerdings dürfe man nun keine neue „gesetzliche Regelung“ erwarten. Franziskus verweist stattdessen auf die Erleichterung der EheAnnullierungsverfahren, die er in die Wege geleitet hat. Scharf erteilt der Papst zudem der Anerkennung homosexueller Lebenspartnerschaften eine Absage. Zwar solle „jeder Mensch, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung, in seiner Würde geachtet und mit Respekt aufgenommen werden“ – doch gebe es „keinerlei Fundament dafür, zwischen den homosexuellen Lebensgemeinschaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familie Analogien herzustellen, auch nicht in einem weiteren Sinn“. Insgesamt stellt Franziskus aber deutlich stärker als die Bischofssynode den Eheschließungen in Deutschland insgesamt 454 291 385 952 400000 SZ-Grafik; Quelle: Deutsche Bischofskonferenz (SZ) Unsere Gesellschaft ist so ungerecht. Empörend, dass die herrschenden Verhältnisse Frauen zwangen, ein Kind zur Welt zu bringen, sagen etwa die „regretting motherhood“-Mütter. Wie raumgreifend hätte sich ihr Ego entfalten können ohne dieses plärrende und fordernde Wesen. Übrigens bereuen wesentlich mehr Männer als Frauen die Existenz eigener Kinder; sie tun dies, anders als die Frauen, jedoch nicht erst im Rückblick vieler Jahre, sondern meist bereits von dem Moment an, da sie die Nachricht vom Vaterwerden ereilt. Empirischen Studien zufolge trifft diese Nachricht nämlich immer zur Unzeit ein. Das nur am Rande. Viele Menschen sind heute dank dauerhafter Beschäftigung mit sich selbst der festen Überzeugung, jedwedes eigene Missbehagen sei von größter Relevanz für alle Welt. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie hätten öfter ein Nickerchen gemacht statt Bekenntnisse abzulegen, die aus wohl erwogenen Gründen noch nie jemand hatte hören wollen. So ein Schläfchen, zumal nach dem Mahle, erfrischt Körper und Geist, weshalb Winston Churchill sich nicht mal von Hitler und den „bloody Nazis“ vom Power-Nap abhalten ließ. Wie viel besser wäre unsere Welt doch, gönnte sie den Menschen eine friedliche Siesta. All den Bloggern, die uns täglich über die große Wahnsinnsweltverschwörung unterrichten, wäre doch geholfen mit, wie Shakespeare sagt, ein wenig nur von jenem „Schlaf, der des Grams verworr’n Gespinst entwirrt“. Der Chef, der die Mittagskonferenz anraunzt, da komme er aus dem Restaurant zurück und treffe auf dem Hof all die Schlafmützen, die ihm sein Vorgänger leider hinterlassen habe, schon wieder bei der Kaffeepause – er hätte besser sein Haupt gebettet und sich am späteren Nachmittag gefreut über all die begabten Mitarbeiter, die ihm die Arbeit abnehmen. Spaniens Regierung dagegen möchte ihre Landeskinder bewegen, die Arbeit zeitiger wieder aufzunehmen. Zu diesem Zweck plant sie offenbar, die Siesta abzuschaffen, jene kurze Pause zwischen dem zweiten Frühstück und dem Einbruch der Nacht. In dieser Pause erholen sich Iberiens Völker von den Strapazen des Tages und sammeln neue Kraft. Eine der letzten Bastionen des freien Mittagsschlafs steht vor dem Fall. Doch Vorsicht, schon Napoleon, der nur vier Stunden am Tag schlief und bekanntlich aus Neid seine Kürassiere nach Spanien schickte, um die Siesta auszulöschen, holte sich dort eine blutige Nase. Die nimmermüde deutsche Kanzlerin ist von solchen Fragen nicht betroffen. Man sagt aber, sie verfalle augenblicklich und infolge einer natürlichen Schutzreaktion des Gehirns in Tagträume, sobald der Seehofer zu lamentieren beginne. Solche Fragen können hier nicht beurteilt werden. Sicher ist nur: Wer die ganze Nacht schläft, hat doch bei Tage Anspruch auf ein wenig Ruhe. WILD WERDEN An der Oder wird der Natur wieder ihr Lauf gelassen 300000 200000 106 739 100000 0 44 119 davon katholische Trauungen ’91 ’92 ’93 ’94 ’95 ’96 ’97 ’98 ’99 ’00 ’01 ’02 ’03 ’04 ’05 ’06 ’07 ’08 ’09 ’10 ’11 ’12 ’13 ’14 Borsten im Burger Wie Vegetarier einmal mehr den Freunden des Grillens den Spaß verderben wollen runde bis in die Notaufnahme muss man sich wie folgt vorstellen: Mit Drahtbürsten wird der Grill gereinigt, dabei lösen sich kleine metallische Borsten und bleiben am fettverkrusteten Rost hängen. Beim nächsten Mal bohren sich die spitzen Nadeln dann in Würstchen, Steak und Burger und werden unbemerkt verzehrt. „Das Thema wird völlig unterschätzt“, sagt der HNO-Arzt David Chang, der ebenfalls an der Studie beteiligt war. „Weil die Verletzung mit Drahtborsten im Burger so ungewöhnlich ist, denken weder Laien noch Ärzte an diese Gefahr. Auch in der Notaufnahme ist es wichtig, dass Patien- ten entsprechend sorgfältig untersucht werden.“ Am häufigsten beobachten Ärzte Verletzungen in Mundhöhle und Rachen, aber auch Mandeln, Speiseröhre und Hals waren in einigen Fällen betroffen. Bis in Magen und Darm gelangten die Drahtborsten nur selten. Die jahrtausendealte Kulturtechnik der Fleischzubereitung am offenen Feuer wird den Menschen zunehmend madig gemacht. Der stolze Jäger und Griller verkommt zur Witzfigur, die sich und andere in Gefahr bringt. Vegetarier vermiesen den Carnivoren ihre Lust am blutigen Steak. Vergangenes Jahr wurde Fleisch – Einzelfall ins Zentrum seiner Betrachtungen, über den man nicht in „kalter Schreibtischmoral“ urteilen solle, sondern in „barmherziger Liebe“ – manchmal liest sich der Text wie ein Beziehungs- und Seelsorge-Ratgeber. Und immer wieder finden sich überraschende Stellen. So heißt es über Geschiedene, die wieder geheiratet haben, ein „Gespräch mit dem Priester im forum internum“ könne „helfen, Wege zu finden“ zu einer „volleren Teilnahme am Leben der Kirche“ – das eröffnet viele Möglichkeiten. „Niemand darf auf ewig verurteilt werden“, betont der Papst. Das gelte auch für Paare, die ohne kirchliche Heirat zusammenleben. Aufhorchen lässt auch, dass „Amoris Laetitia“ zwar katholischen Paaren natürliche Verhütungsmethoden empfiehlt, wie 1968 die Enzyklika Humanae Vitae, nicht aber das dort ausgesprochene Verbot von künstlichen Mitteln wie Pille oder Kondom wiederholt. Aufhorchen lässt, dass Franziskus explizit den Feminismus verteidigt. Und dass er beklagt, wie wenig Ahnung oft Priester von Ehe und Familie hätten und die „bequeme Einsamkeit“ kritisiert, in die sie sich oft flüchteten. „Es ist ein wirkliches Reformschreiben“, sagt der Theologe Wolfgang Beinert; Franziskus höhle „den legalistischen, kasuistischen Geist des Kirchenrechts von innen her aus“, wie man „ein Haus innen entkernt und neu baut“. Selbst die Reformbewegung „Wir sind Kirche“ spricht von einer Wende – nun müssten die Bischöfe sie mutig umsetzen. Und die deutschen Bischöfe? Man sei für das Schreiben „überaus dankbar“, erklärt der Bischofskonferenzvorsitzende und Münchner Kardinal Reinhard Marx. Und werde sich „bemühen, die Anregungen und Impulse umzusetzen“. Sie hat begonnen in der katholischen Kirche, die Debatte über die Liebe. unabhängig von der Art der Zubereitung – mit dem Segen der WHO zur neuen Gesundheitsgefahr auserkoren. Seit Jahren warnen Gesundheits-Dogmatiker vor „schwarzen Stellen“ an Rostbratwurst und Rindersteak. Weil im verbrannten Fleisch heterozyklische Amine und andere krebserregende Substanzen lauern, müssen verkohlte Areale herausgeschnitten werden, so die verbreitete Annahme. Allerdings gaben kanadische Forscher kürzlich Entwarnung: Die Brandspuren seien gar nicht gefährlich, sondern dienten vielmehr als eine Art Aktivkohle dazu, krebsauslösende Substanzen zu binden und so unschädlich zu machen. Man kann das Thema Grillen drehen und wenden, wie man will, es eignet sich bestens dazu, sich die Finger zu verbrennen. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warnte seine Mitbürger 2009 vor den Gefahren des Grillens und erlebte anschließend, wie es ist, wochenlang in der Glut öffentlicher Anfeindungen zu stehen. werner bartens Berlin – Die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland ist in den vergangenen Monaten drastisch gesunken. Im Durchschnitt kämen jeden Tag weit unter 200 Schutzsuchende an. Das sei „ganz wesentlich zurückzuführen auf das Schließen der Balkan-Route“, sagte Thomas de Maizière am gestrigen Freitag. Nach Angaben des Bundesinnenministers kamen in den ersten drei Monaten 2016 gut 170 000 Flüchtlinge nach Deutschland. In den letzten drei Monaten des Vorjahres waren es mehr als 500 000 gewesen. Deutlich zugenommen hätten hingegen die Asylanträge. Nach Angaben von Frank-Jürgen Weise, Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, sei das kein Widerspruch zu den sinkenden Flüchtlingszahlen. Es zeige vielmehr, dass es dem Bamf nun gelinge, auch Anträge von Flüchtlingen zu bearbeiten, die bereits länger im Land sind, aber keinen Antrag stellen konnten. sz Seiten 4, 6 Nato-Russland-Rat tagt erstmals wieder Brüssel – Die Nato und Russland haben sich trotz des anhaltenden Ukraine-Konflikts auf eine Wiederbelebung ihres wichtigsten Gesprächsforums geeinigt. Wie das Militärbündnis in Brüssel mitteilte, wird es in innerhalb der nächsten zwei Wochen ein neues Treffen des sogenannten Nato-Russland-Rats auf Botschafterebene geben. Es wäre das Erste seit 2014. Themen des Treffens werden der Ukraine-Konflikt, Afghanistan und der AntiTerror-Kampf sein. sz Seite 7 MIT STELLENMARKT Dax ▲ Dow ▲ Euro ▶ Xetra 16.30 h 9644 Punkte N.Y. 16.30 h 17667 Punkte 16.30 h 1,1394 US-$ + 1,21% + 0,71% + 0,0008 DAS WETTER ▲ TAGS 16°/ 1° ▼ NACHTS Sonne und Wolken wechseln sich ab. Im Westen und Norden geringe Schauer. Im Süden überwiegen dichte Wolkenfelder. Südlich der Donau fällt Regen. Höchsttemperaturen zwischen acht und 16 Grad. Seite 14 Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Straße 8, 81677 München; Telefon 089/2183-0, Telefax -9777; [email protected] Anzeigen: Telefon 089/2183-1010 (Immobilien- und Mietmarkt), 089/2183-1020 (Motormarkt), 089/2183-1030 (Stellenmarkt, weitere Märkte). 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