LÄNDERBERICHT Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. REGIONALPROGRAMM PARTEIENFÖRDERUNG UND DEMOKRATIE IN LATEINAMERIKA DR. KRISTIN WESEMANN Abschied vom Schwarz-WeißFernsehen April 2016 www.kas.de/parteien-lateinamerika DER MULTISTAATLICHE SENDER TELESUR VERLIERT EINEN WICHTIGEN VERBÜN- www.kas.de DETEN UND BEFÜRCHTET – MAL WIEDER – EINE VERSCHWÖRUNG DES WESTENS Von einem CNN für das linke La- Es sind auch schwere Zeiten für teinamerika hatten sie geträumt, Nicolás Maduro. Venezuelas auto- von einer lauten Stimme der Re- kratischer Präsident, Nachfolger gierenden gegen die privaten Medien. Doch der einst von Fidel Castro und Hugo Chávez erfundene multistaatliche Nachrichtensender Telesur hat sich überlebt – vor allem, weil sich der Kontinent wandeln wollte. Nun verlässt Argentinien den Senderverbund. des mal bewunderten, mal gefürchteten Sozialisten Hugo Chávez, hat neuerdings einen mächtigen Gegner auf dem Kontinent. Es ist Argentiniens Staatsoberhaupt Mauricio Macri, und verscherzt hat er es sich mit dem Kollegen aus Caracas schon vor längerer Zeit. Bereits im Für Telesur ist die aktuelle Lage Wahlkampf Ende vorigen Jahres klar: „Die Rechte“ in Brasilien, Bo- hatte sich Macri wieder und wieder livien, Ecuador und Venezuela ver- für die politischen Gefangenen in suche, „die Errungenschaften der der Bolivarischen Republik einge- dortigen Regierung zu verfäl- setzt. Am Abend seines Triumphes schen“; sie wolle wieder die Ober- tanzte er dann sogar mit der Frau hand gewinnen. Dabei taumelt der von Maduros Erzfeind Leopoldo multistaatliche Fernsehsender ge- López, Harvard-Absolvent und rade selbst gewaltig. Argentinien einstiger Bürgermeister von hat seinen Austritt aus dem Chacao, der im September 2015 1 „chavistischen Kanal“ angekün- wegen Anstachelung zur Gewalt digt, und auch Gründungsmitglied und Verschwörung zu 13 Jahren, Uruguay betont, dass es weder neun Monaten und sieben Tagen Korrespondenten beschäftige noch Haft verurteilt worden war. Macri in die Kasse des Senders einzahle. schloss sich den Forderungen von 2 Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human 1 “Resultado del referendo no impide que sigan avances en Bolivia“, Telesur vom 24.2.2016, http://www.telesurtv.net/news/Resultado-delreferendo-no-impide-que-avances-sigan-enBolivia-20160224-0012.html , [01.04.2016]. 2 “La propaganda chavista extiende sus tentáculos hasta España”, ABC vom 11.11.2014, http://www.abc.es/internacional/20141110/abcicultura-venezuela-madrid-201411071732.html, [01.04.2016]. Rights Watch an, den Oppositionspolitiker freizulassen. Im Staatenbündnis Mercosur, das den freien Handel zwischen Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uru- 2 guay und seit 2013 auch Venezuela lerdings älter. Geboren wurde sie verbessern soll, jedoch in den ver- schon im November 2000, als sich REGIONALPROGRAMM gangenen Jahren zum großen in Havanna mehr als 400 Medien- PARTEIENFÖRDERUNG UND linkspopulistischen Klassentreffen leute trafen und vom Gastgeber Fi- DEMOKRATIE IN LATEINAMERIKA verkommen war, mahnte der neue del Castro gefragt wurden, warum starke Mann vom Río de la Plata ihnen noch nicht in den Sinn ge- mehr Demokratie und Menschen- kommen sei, eine Art „lateinameri- rechte an. Néstor und Cristina kanisches CNN“ zu gründen. 3 Zwar www.kas.de/parteien-lateinamerika/ Kirchner, seine Amtsvorgänger in sendete CNN bereits auf Spanisch, www.kas.de der Casa Rosada, hatten immer allerdings von Atlanta aus, aus ei- wieder auf Venezuela verwiesen nem Land also, das linken Revolu- und das vermeintliche Brudervolk tionären nicht sonderlich sympa- als Vorbild gepriesen. Auch Macri thisch ist, wobei die Abneigung auf zeigt mit dem Finger dorthin – er Gegenseitigkeit beruht. Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. DR. KRISTIN WESEMANN April 2016 aber meint das Gegenteil: So nicht! Es war schließlich Hugo Chávez, Wir machen es anders! der venezolanische Präsident und Mit Petrodollar gegen die Erfinder des sogenannten „Sozia- privaten Kanäle lismus des 21. Jahrhunderts“, der die Idee Castros aufgriff und um- Macri verspricht, seinen Landsleu- setzte. Er bezahlte – damals ver- ten nach zwölfeinhalb Jahren fügte das Land noch über ausrei- Kirchnerismus und ebenso langer chend Petrodollar – und brachte Gängelung regierungskritischer Verbündete zusammen: In Buenos Medien zu Meinungsfreiheit und gu- Aires regierte Néstor Kirchner, in ter Regierungsführung zu verhel- Montevideo war mit Tabaré Vázqu- fen. Das eigene Land hat die Ände- ez erstmals ein Linker in den Präsi- rungen vom Tag der Amtsüber- dentenpalast eingezogen, und Fidel nahme an erlebt, nun weht der fri- Castro dachte noch lange nicht an sche Wind auch hinüber ins Aus- die Erbfolge in Havanna. land: Argentinien steigt aus der Neuen Television des Südens, kurz Telesur sollte als eine staatliche Telesur, aus. Stimme den privaten Nachrichtenkanälen entgegensenden. Oder wie Der multistaatliche Nachrichten- es Maduro heute ausdrückt: Der sender war 2005 von Venezuela, Sender „verteidigt die wahre Mei- Argentinien, Bolivien, Kuba und nungsfreiheit gegen die Angriffe Uruguay gegründet worden, auf den Tag genau 222 Jahre nach der Geburt des südamerikanischen Unabhängigkeitshelden Simón Bolívar; später stießen Nicaragua und Ecuador hinzu. Die Idee ist al- www.kas.de/parteien-lateinamerika/ 3 Luzzi, Leandro: “Uruguay se queda en Telesur,” El Observador vom 29.03.2016, http://www.elobservador.com.uy/uruguay-sequeda-telesur-n888421, [01.04.2016]. /fkamontevideo @kasmontevideo 3 der aufgeblasenen Ultrarechten“. 4 fentlich, im Fernsehen und im Ra- Als Paten, Berater und anfangs dio. Lombardi soll sparen, politi- REGIONALPROGRAMM auch Programmmacher fungierten schen Pluralismus sowie Meinungs- PARTEIENFÖRDERUNG UND Argentiniens Friedensnobelpreis- und Pressefreiheit garantieren und DEMOKRATIE IN LATEINAMERIKA träger Adolfo Pérez Esquivel, der die Behörde davor bewahren, als spanische Chefredakteur der Le Sprachrohr der Regierung aufzutre- Monde Diplomatique, Ignacio ten. Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. DR. KRISTIN WESEMANN April 2016 Ramonet, oder auch der uruguayi- www.kas.de/parteien-lateinamerika/ sche Schriftsteller Eduardo Galea- Bilanz nach zehn Jahren: www.kas.de no. Auf dem Sendeplan stand „la- ein Nischensender teinamerikanische Integration“, Als Telesur am 24. Juli des vergan- kommerzielle Werbung war ausge- genen Jahres sein zehnjähriges Be- schlossen. Wie viel der Sendebe- stehen feierte, war die Berichter- trieb kostet und woher das Geld stattung in den tonangebenden pri- genau kommt, ist bis heute ein gut vaten Medien des Kontinents äu- gehütetes Geheimnis. ßerst spärlich. Auch sonst findet Bis zur Wahl Macris hatte Argenti- der Sender wenig Beachtung. Offi- nien Telesur auch mit Inhalten be- zielle Zahlen gab und gibt es zwar liefert – wobei die Nachrichtenlage nicht, allerdings gehen Schätzun- stets recht eindeutig war: Linke Po- gen von 500.000 Zuschauern in La- litik ist sehr gut, und linke Politiker teinamerika pro Tag aus, was an- sind es natürlich auch. Nun will das gesichts von 635 Millionen Einwoh- Land seinen Anteil von 16 Prozent nern nicht unbedingt üppig ist. Von an der Aktiengesellschaft abstoßen. den 40 Millionen Argentiniern sollen 100.000 ab und an bei Telesur Verkündet hat den Ausstieg Medi- reingeschaut haben, sagt einer, der enminister Hernán Lombardi. Des- sich in der neuen Regierung damit sen Aufgabe gehört zu den schwie- beschäftigt hat, bevor die Aus- rigsten, die das Macri-Kabinett zu trittsentscheidung getroffen wurde. vergeben hat. Der Kirchnerismus hatte über die Jahre den staatli- Dabei erreicht der Sender derzeit chen Kommunikationsapparat mit sogar die Haushalte in 123 Ländern immensen Summen zu einer Art und strahlt auch auf Englisch aus. 5 privater Werbeagentur umgebaut, Auf Facebook geben immerhin eine die nebenbei politische Widersacher Million Nutzer an, Telesur zu mö- desavouierte, und zwar ganz öf- 4 “Fuerte impacto internacional de la decisión de Mauricio Macri de salir de Telesur, la cadena chavista de noticias,” infobae vom 29.3.2015, http://www.infobae.com/2016/03/29/1800299fuerte-impacto-internacional-la-decision-mauriciomacri-salir-telesur-la-cadena-chavista-noticias, [30.03.2016]. www.kas.de/parteien-lateinamerika/ 5 Buscaglia, Christian: “Cadena Telesur, la alternativa latinoamericana a CNN, cumple diez años de transmisiones”, el mostrador vom 24.07.2015, http://www.elmostrador.cl/cultura/2015/07/24/ cadena-telesur-la-alternativa-latinoamericanaa-cnn-cumple-diez-anos-de-transmisiones/, [01.04.2016]. /fkamontevideo @kasmontevideo 4 gen. Programm ist schon das Titel- in einen Regierungskanal verwan- bild des Senders: Es grüßen die delt, wäre an den Ursprungsideen REGIONALPROGRAMM vertrauten Helden der Linken, Wla- festgehalten worden. PARTEIENFÖRDERUNG UND dimir Putin, Hugo Chávez, Evo Mo- DEMOKRATIE IN LATEINAMERIKA rales und Fidel Castro, nur Papst Telesur, das war immer auch Franziskus passt nicht ganz in die Schwarz-Weiß-Fernsehen im 21. Galerie. Jahrhundert, politischer Gesin- Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. DR. KRISTIN WESEMANN April 2016 nungsjournalismus statt unabhän- www.kas.de/parteien-lateinamerika/ www.kas.de Mediale Dekolonisierung und eine giger und überparteilicher Bericht- echte Revolution erstattung. Heute wirkt er fast wie ein Relikt, ein buchstäblich über- Der erste Sender-Chef, der Uru- holter Sender. Denn Lateinamerika guayer Aram Aharonian, sagt heu- erlebt eine erstaunliche demokrati- te, Telesur sei entstanden, um „der sche Wiedergeburt. Seine Bürger hegemonischen Botschaft des Nor- verlangen, dass der Staat endlich dens über einen mehrstaatlichen funktioniert, und Politiker, die sich lateinamerikanischen Kanal entge- diesem Willen in den Weg stellen, genzuwirken“. Man habe den jahre- bekommen ernsthafte Probleme. langen Traum von Reportern und Auch die Bereitschaft, Korruption Kulturschaffenden der Region ver- gewissermaßen als Erbkrankheit wirklichen wollen: „das eigene Bild des Kontinents zu akzeptieren, ist und die Stimme Lateinamerika in gesunken. Zudem verfängt das der ganzen Welt bekannt zu ma- Freund-Feind-Denken kaum noch, chen und gleichzeitig die Welt aus weil man gelernt hat, selbst zu der eigenen Perspektive zu be- denken. obachten“. Es ging demnach um „audiovisuelle Befreiung und me- Wer sich über Telesur informiert, diale Dekolonisierung“, keineswegs der bekommt Helden ohne Kratzer habe man ein lateinamerikanisches geliefert: Die linken Präsidenten oder linkes CNN erfinden wollen. Boliviens und Venezuelas, Morales Eine Revolution wollte man indes und Maduro, verteidigen mal wie- schon, und zwar die des Fernse- der Großes, nämlich nicht weniger hens insgesamt: guter Journalis- als die Demokratie. Und Amtskolle- mus, gute Inhalte, hohe Qualität gin Dilma Rousseff tut es ihnen und, ja, auch die Bildung. 6 nach. Für Telesur sind die Millionen, die in brasilianischen Mega- Aharonian sieht das Erreichte ziem- städten gegen Korruption und lich kritisch. Telesur hätte sich nie Machtmissbrauch auf die Straße gehen, vom Parlament und der Rechten geschickt worden. Die Prä- 6 Aharonian, Aram: “Telesur: Así se parió la revolución”, Alainet vom 27.07.2015, http://www.alainet.org/es/articulo/171353#sthas h.lYdjVG68.dpuf [01.04.2016]. www.kas.de/parteien-lateinamerika/ /fkamontevideo sidentin und ihre Regierung sollen diffamiert werde, “die Errungenschaften für das Wohl des Volkes” @kasmontevideo 5 mithilfe von Korruptionsvorwürfen Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. 7 ben nicht mitbekommen, wie sich kleingeredet werden. Als die Bol- der Kontinent, den sie verändern REGIONALPROGRAMM vianer Ende Februar in einem Refe- wollten, selber wandelt. Lateiname- PARTEIENFÖRDERUNG UND rendum dagegen stimmten, dass rikaner haben kaum noch Identi- DEMOKRATIE IN LATEINAMERIKA sich der in zahlreiche Skandale tätskonflikte, sie wissen, wer sie verwickelte Präsident Morales ein sind und woher sie kommen. Sie viertes Mal zur Wahl stellen kann, kennen ihre Rechte, und dazu ge- erklärte Telesur: „Bolivien ist das hört eben auch, sich Meinungen www.kas.de/parteien-lateinamerika/ Ziel eines von der internationalen selbst zu bilden. Damit machen sie www.kas.de Rechten geschmiedeten Planes, jedoch dem Populismus das Leben dass Mandat von Morales zu be- schwer, denn der verfängt nur, grenzen und so den Traum eines wenn man die Leute kleinhält. Te- vereinten Lateinamerikas progres- lesur hat sich als Feindbildgenera- DR. KRISTIN WESEMANN April 2016 siver Länder (…) zu verhindern.“ 8 tor für schwächelnde Protagonisten des lateinamerikanischen Befrei- Die Wahl des Argentiniers Macri ungsprojektes überlebt. zum Nachfolger der linkspopulistischen Cristina Kirchner gehört laut Telesur ebenfalls zum Komplott des „Imperiums“ 9 und der „internationalen Rechten“, die danach streben, die Völker Lateinamerikas zu unterdrücken und den „Neokolonialismus“ zu etablieren. 10 Der Niedergang von Telesur offenbart eben auch den Bedeutungsverlust derer, die ihn einst erfunden haben: Die Linkspopulisten ha- 7 “El pueblo brasileño sale a las calles en defensa de la democracia”, Telesur vom 31.03.2016, http://www.telesurtv.net/news/Miles-debrasilenos-marchan-a-favor-de-la-democracia20160331-0073.html., [01.04.2016]. 8 “Resultado del referendo no impide que sigan avances en Bolivia”, Telesur vom 24.02.2016, http://www.telesurtv.net/news/Resultado-delreferendo-no-impide-que-avances-sigan-enBolivia-20160224-0012.html, [01.04.2016]. 9 Borón, Atilio: “El imperio necesita que gane Macri”, Telesur vom 22.11.2015, http://www.telesurtv.net/bloggers/El-imperionecesita-que-gane-Macri-20151112-0003.html, [01.04.2016]. 10 “El impacto de un posible triunfo de la derecha en Argentina”, Telesur vom 22.11.2015, http://www.telesurtv.net/news/El-impacto-de-unposible-triunfo-de-la-derecha-en-Argentina20151121-0031.html, [01.04.2016]. www.kas.de/parteien-lateinamerika/ /fkamontevideo @kasmontevideo
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