NZZ am Sonntag, 6.12.2015

Mensch& Medizin
HULTON ARCHIVE / GETTY
63
Schock nach
der Geburt
Diagnose
Andrea Six
D
Der Schauspieler Robin Williams – im Bild: in der Tragikomödie «Jack» von 1996 – litt gemäss Autopsiebericht an der Lewy-Körper-Demenz.
ImSchattenvon
Alzheimer
Die Lewy-Körper-Demenz ist eine häufige Form der Demenz, doch kaum jemand
kennt sie. Ein typisches Symptom sind Halluzinationen. Von Theres Lüthi
A
ls der amerikanische Schauspieler Robin Williams sich
vor einem Jahr mit 63
das Leben nahm, waren die
Gründe schnell gefunden.
Williams, so liessen seine
Pressevertreter ausrichten, habe in letzter
Zeit mit schweren Depressionen gekämpft.
Vor wenigen Wochen aber trat seine Witwe
Susan Schneider Williams an die Medien und
stellte klar: «Es waren nicht Depressionen,
die Robin umbrachten. Es war die LewyKörper-Demenz.»
Den wenigsten Menschen dürfte diese
Krankheit ein Begriff sein, dabei stellt sie
nach Alzheimer die zweithäufigste Form
einer Demenz dar. Von jener unterscheidet
sie sich aber klar. «Die Alzheimerdemenz
beginnt typischerweise mit einer Gedächtnisstörung», sagt Urs Mosimann, Direktor
der Privatklinik Wyss in Münchenbuchsee.
Bei der Lewy-Körper-Demenz dagegen ist
das Gedächtnis zu Beginn der Erkrankung
relativ gut erhalten. Die Probleme äussern
Eiweissablagerungen im Gehirn
An der Lewy-Körper-Demenz erkranken
etwas mehr Männer als Frauen. Sicher
bestätigt wird die Diagnose erst mit der
Autopsie. Charakteristisch sind mikroskopisch kleine Eiweissablagerungen in den
Nervenzellen, nach dem Entdecker Friedrich Lewy (1885–1950) auch Lewy-Körperchen genannt. Je nach Lokalisation verursachen die Ablagerungen Parkinsonsymptome oder Halluzinationen, kognitive
Fluktuationen und Schläfrigkeit. (tlu.)
Lewy-Körper finden sich in den Nervenzellen des Hirnstamms und der Hirnrinde.
sich auf andere Art. Vor allem drei Symptomkomplexe stehen im Vordergrund: parkinsonähnliche Störungen der Motorik, starke
Schwankungen der geistigen Leistungsfähigkeit und visuelle Halluzinationen. «Je nachdem, welches Symptom zuerst auftritt,
werden die Patienten unterschiedlichen Spezialisten zugewiesen», sagt Mosimann. «Die
Leute mit Parkinsonbeschwerden werden von
einem Neurologen untersucht, jene mit Halluzinationen zum Beispiel vom Psychiater.»
Wie bei anderen neurodegenerativen
Erkrankungen ist das Alter ein erheblicher
Risikofaktor. Meist beginnt die Krankheit ab
einem Alter von etwa 60, danach steigt das
Risiko exponentiell an. Genau wie das Erstsymptom kann auch die Verlaufsgeschwindigkeit unterschiedlich sein. Treten Parkinsonsymptome auf, führt dies generell zu
einer schnelleren Beeinträchtigung im
Alltag. Typisch sind aber auch grosse
Schwankungen der geistigen Schärfe. So
können Patienten an manchen Tagen klar
sein, in anderen Momenten aber sind sie
verwirrt, können keiner Konversation folgen
und geben inkohärente Gedanken von sich.
Hinzu kommt eine Änderung der Schlafgewohnheiten mit ausgeprägter Tagesschläfrigkeit. «Die Patienten wirken zuweilen apathisch, und das kann schnell mit einer
Depression verwechselt werden», schreibt
Ian McKeith von der Newcastle University,
ein weltweiter Experte auf dem Gebiet.
Das vielleicht eindrücklichste Symptom
der Krankheit sind jedoch die visuellen Halluzinationen. Treten sie früh in der Erkrankung auf, ist das meist ein untrügliches Zeichen einer Lewy-Körper-Demenz. «Wiederkehrende Halluzinationen im Alter kommen
eigentlich nur bei zwei Erkrankungen vor»,
sagt Mosimann, «bei Personen mit einer
altersbedingten Sehbeeinträchtigung und
eben bei der Lewy-Körper-Demenz.»
Die Kranken berichten wenig über ihre
Halluzinationen. «Viele behalten sie für sich,
weil sie Angst haben, an einer psychischen
Krankheit zu leiden», sagt Mosimann. «Erst
wenn man sie danach fragt, erzählen sie
davon.» Halluzinationen treten zu allen
Tageszeiten auf, sie tauchen vor allem in
Räumen auf, in denen sich der Betroffene
Formen der
Demenz
1.
Die Alzheimerkrankheit ist die
häufigste Form
einer Demenz.
Dazu zählen etwa
50 Prozent aller
Fälle.
2.
Die Lewy-KörperDemenz macht
15 bis 20 Prozent
aller Fälle aus.
3.
Bei der vaskulären
Demenz kommt
es infolge von
Durchblutungsstörungen des
Gehirns zu einem
Absterben von
Nervenzellen.
Dazu zählen etwa
15 Prozent aller
Fälle.
lange aufhält und wenn nur wenig äussere
Stimulation vorhanden ist. Halluziniert wird
von Kindern, Menschen und Gegenständen,
die Episoden dauern einige Sekunden bis
Minuten. «Kinder sind ein Thema, das häufiger bei Frauen vorkommt. Männer halluzinieren eher von Personen, die sie nicht
kennen», sagt Mosimann. Ein Teil der Patienten erlebt die Halluzinationen als belustigend und unterhaltend, ein anderer Teil
erlebt sie als bedrohlich. Vor allem für die
Angehörigen können solche Episoden jedoch
besorgniserregend sein, insbesondere wenn
sie nachts auftreten und ein Patient um 2 Uhr
morgens aus dem Haus will, um die halluzinierten Kinder zu holen.
Zur Behandlung der Halluzinationen
müssen Antipsychotika sehr zurückhaltend
eingesetzt werden, weil viele Erkrankte mit
Lewy-Körper-Demenz Nebenwirkungen
entwickeln. Gute Erfahrungen hat man dagegen mit Cholinesterase-Hemmern gemacht,
die man gewöhnlich bei Alzheimer verwendet. Gegen die motorischen Störungen wiederum helfen manchmal Parkinsonmedikamente. Doch ein klares Behandlungsschema gibt es nicht. Das liegt auch daran,
dass die Krankheit selbst vielen Ärzten noch
zu wenig bekannt ist und die Abgrenzung zur
Parkinsonkrankheit nicht immer klar ist.
Denn auch bei Parkinsonpatienten können
im Laufe der Zeit Halluzinationen und kognitive Fluktuationen auftreten. «Parkinson
und die Lewy-Körper-Demenz sind wahrscheinlich zwei verschiedene Verlaufsformen ein und derselben neurodegenerativen
Erkrankung, doch dazu sind die Bücher noch
nicht geschlossen», sagt Mosimann.
In diesen Tagen findet in Florida die vierte
Konsensus-Konferenz statt, an der Experten
aus aller Welt ihre Erfahrungen mit dieser
schwer fassbaren Krankheit austauschen.
Dabei soll die Symptomliste überarbeitet und
ein einfacheres Diagnoseraster entwickelt
werden. Vor allem aber geht es darum, den
Bekanntheitsgrad der Krankheit zu erhöhen.
«Die Lewy-Körper-Demenz ist eingeklemmt
zwischen der Parkinsonkrankheit und der
Alzheimerdemenz», schreibt McKeith. «Es ist
höchste Zeit, dass die Krankheit ins Rampenlicht kommt.»
as Kind ist da. Ein überwältigender Moment. Die junge
Mutter ist überglücklich.
Schon jetzt stellt sich die
27-Jährige vor, dass diesem
ersten Kind viele weitere
folgen sollen. Doch nur allzu bald wird sie
von den Ärzten auf der Geburtsstation
aus ihren Träumen gerissen. Denn die
Geburt ist noch nicht beendet.
Eigentlich sollte, kurz nachdem das
Baby zur Welt gekommen ist, die Plazenta
geboren werden. Der Mutterkuchen
besteht aus Gewebe der Mutter und des
Kindes und dient während der Schwangerschaft dazu, das Baby zu versorgen.
Erst wenn die Plazenta ausgestossen ist,
kann sich die Gebärmutter wieder auf ihre
ursprüngliche Grösse zurückbilden.
Doch auch Stunden nach der Geburt
will die Nachgeburtsphase bei der 27-Jährigen nicht einsetzen. Die Mediziner sind
besorgt. Das überschüssige Gewebe
könnte sich mit lebensgefährlichen
Krankheitserregern infizieren. Vorsichtig
versuchen sie, die Plazenta mit den
Händen zu lösen, doch der Mutterkuchen
sitzt fest. Offensichtlich ist das Gewebe
mit der Gebärmutter verwachsen.
Diese Störung der Plazenta-Haftung
kann in schweren Fällen eine Operation
nötig machen. Die Gebärmutter müsste
dann komplett entfernt werden. Und
dabei wollte die junge Mutter doch noch
weitere Kinder haben. Verzweifelt fragt
sie die Ärzte nach einer Alternative zur
Operation.
Schliesslich entscheiden sich die Mediziner, nachdem sie eine Woche abgewartet haben, es mit einem Medikament zu
versuchen. Das Mittel, das sie einsetzen,
wirkt entzündungshemmend und bremst
das Immunsystem aus. Ursprünglich zur
Krebstherapie entwickelt, könnte es auch
bei der Plazenta-Störung helfen.
Zwar leidet die 27-Jährige schliesslich
doch an einer Infektion, diese lässt sich
jedoch mit Antibiotika gut behandeln.
Doch weiterhin ist Geduld gefragt. Erst
117 Tage nach der Geburt setzen bei der
Frau auf einmal wehenartige Krämpfe
ein. Und endlich wird die restliche Plazenta ausgestossen. Zwei Jahre später
schenkt die glückliche Mutter ihrem zweiten Kind das Leben.
Quelle: «Journal of Medical Case Reports»,
2015, Bd. 9, online.
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