A M WO C H E N E N D E WWW.SÜDDEUTSCHE.DE HF1 MÜNCHEN, SAMSTAG/SONNTAG, 2./3. APRIL 2016 72. JAHRGANG / 13. WOCHE / NR. 76 / 2,90 EURO Hans-Dietrich Genscher 1927 – 2016 ILLUSTRATION: DIRK SCHMIDT; FOTO: PETER CLAY/ALL4PRICES Er diente Deutschland 18 Jahre lang als Außenminister. Ohne ihn hätte es die deutsche Einheit nicht gegeben. Nun ist der große Liberale im Alter von 89 Jahren gestorben Thema der Woche, Die Seite Drei, Seite 4 Medien, TV-/Radioprogramm Forum & Leserbriefe München · Bayern Rätsel & Schach Traueranzeigen 42-44 14 41 59 20-21 61013 4 190655 802909 Im Land der neuen Mehrheiten: Demokratie ist kein Durchhauen, sondern beharrliches Zupfen und Ziehen. Ein Hoch auf den Kompromiss Gesellschaft, Seite 45 Merkels neuer Kalender Teslas Auto für den Massenmarkt Noch nie war die politische Landkarte so bunt – für die Kanzlerin wird das Regieren bis zur Bundestagswahl 2017 anstrengender. Erst recht, wenn Joachim Gauck bald aufhören sollte. Und dann wäre da noch die Flüchtlingskrise US-Hersteller präsentiert neues Modell – Vorbestellungen weltweit Wie Italien doch riecht. In seinen Küchen, auf seinen Feldern, von Ligurien bis Sizilien. Lebt die Sehnsucht nach dem Süden nicht auch und vielleicht sogar vor allem von den aromatischen Schwaden, die wie Stürme die Sinne umwirbeln, wenn man nur an sie denkt, sie aus den Urlaubserinnerungen holt, sie von allen unliebsamen Gerüchen trennt, die es auch noch gibt? Beispiel Basilikum, natürlich der ligurische, gepflückt und gezupft und auf die Insalata Caprese drapiert oder im Mörser mit Pinienkernen, Knoblauch, Parmesan und Olivenöl zum Pesto gemahlen – ach, diese Lebensfrische! Oder man denke an den Oregano, den sizilianischen, gewachsen auf den Hügeln der Insel, gereift unter gnadenloser Sonne, getrocknet in kleinen Sträußen, über Fisch, Fleisch, Pizza und Gemüse gestäubt – blumig und herb, scharfe Kontraste, Süden eben. Nun, Italien erlebt gerade einen kleinen Kräuterkampf, einen kulturkulinarischen und gar nicht so romantischen. Von einem „Kräuterkrieg“ schreiben die Zei- DIZdigital: Alle Alle Rechte Rechte vorbehalten vorbehalten –- Süddeutsche Süddeutsche Zeitung Zeitung GmbH, GmbH, München München DIZdigital: Jegliche Veröffentlichung Veröffentlichungund undnicht-private nicht-privateNutzung Nutzungexklusiv exklusivüber überwww.sz-content.de www.sz-content.de Jegliche Wer hält zu wem CDU CSU FDP SPD Grüne Linke SSW 1 Im Bundesrat wird die Mehrheit der großen Koalition immer kleiner erl 3 Sa arla in nd hsen 4 Sac 6 Bayern 1 insgesamt 69 Stimmen Südschleswigscher Wählerverband n3 Ham burg 3 de rsa chs en 6 4B 6 en fal t s We 4 ine ein h olst rdr H o g i N lesw gen 4 Sch Thürin Nie 20 sichere Stimmen 4 Mehrheit bei 35 Stimmen Wahrscheinliche Koalitionen Breme Eine Woche wie diese hat es in der deutschen Nachkriegspolitik noch nicht gegeben. In den vergangenen Tagen schüttelten sich gleich in drei Bundesländern neue Koalitionen zurecht. Bereits die Namen der Bündnisse zeigen, wie ungewöhnlich sie sind. In Baden-Württemberg wollen Grüne und CDU Deutschlands erste Kiwi-Koalition bilden, in Sachsen-Anhalt sprechen CDU, SPD und Grüne über das erste Kenia-Bündnis. Und in RheinlandPfalz verhandeln SPD, FDP und Grüne über die Bildung der ersten Ampel seit zwanzig Jahren. Die politische Landkarte war noch nie so bunt. Aber welche Folgen hat das für die Kanzlerin? Wird das Regieren für Angela Merkel nun schwerer? Auf Bundesebene haben die neuen Bündnisse zunächst Auswirkungen auf den Bundesrat. Dort war Merkels große Koalition schon vor den Landtagswahlen weit von einer Mehrheit entfernt. Allerdings hatten die Umfragen monatelang Ergebnisse vorhergesagt, die in allen drei Ländern große Koalitionen zur Folge gehabt hätten. Der Anteil der Länder, auf die sich Union und SPD im Bundesrat verlassen können, wäre damit von 24 auf 34 Stimmen gestiegen. Merkel hätte also nur noch ein Land – etwa das schwarz-grün regierte Hessen – auf ihre Seite ziehen müssen. Doch wegen der Kiwi-, Kenia- und Ampel-Bündnisse sinkt der Anteil der großkoalitionären Länder jetzt sogar. Die Verhandlungen, zum Beispiel über die Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten, dürften deshalb noch komplizierter werden. Auch auf die Zusammensetzung der Bundesversammlung schlagen die Landtagswahlen direkt durch. Am 12. Februar 2017 soll sie den Bundespräsidenten wählen. Bisher gab es in der Versammlung alt. Wenn er deshalb auf eine Wiederwahl verzichten sollte, hätte Merkel ein Problem. Angesichts der dominanten Rolle der Union in der Bundesversammlung wäre es ihrer Partei nicht zu vermitteln, einen „andersfarbigen“ Kandidaten wie FrankWalter Steinmeier zu unterstützen. Um einen eigenen Kandidaten durchzusetzen, bedarf Merkel jedoch der Hilfe von SPD oder Grünen. Gleichzeitig muss sie aber vermeiden, dass von der Präsidentenwahl ein Richtungssignal für die Bundestagswahl ausgeht. Das würde wiederum für einen möglichst überparteilichen und nicht allzu CDU-haften Kandidaten sprechen. Gut für die Kanzlerin ist, dass es jetzt in der Bundesversammlung nicht einmal mehr rechnerisch die Möglichkeit einer auch eine rechnerische rot-rot-grüne Mehrheit. Die ist wegen des Erfolges der AfD vor drei Wochen aber dahin. Daran dürfte sich auch nichts mehr ändern. Auf eine ausreichende Mehrheit kommen nur noch Union und SPD oder Schwarz-Grün, für einen „Ampel-Kandidaten“ würde es schon länger nicht mehr reichen. Merkel möchte, dass Joachim Gauck noch einmal antritt. In diesem Fall wären alle Rechenspiele obsolet, dem Bundespräsidenten wäre eine Mehrheit sicher. Aber Gauck hat noch nicht zu erkennen gegeben, was er will. „Seine Eitelkeit steht im Widerstreit mit der unangenehmen Aussicht, als alter Mann in Bellevue zu sitzen“, heißt es im Regierungslager. Gauck wäre am Ende einer zweiten Amtszeit 82 Jahre Rheinland-Pfal z von robert roßmann 4 Sachsen-Anhalt g mber ürtte en-W 6 Bad rp. -Vo en urg ess 5H nb kle ec 3M (SZ) Was übrigens sehr interessant ist: Die meisten Schauspieler haben überhaupt kein Problem mit dem Alter. Man selbst dagegen hat, obwohl kein Schauspieler und vornehmlich in der einen Rolle unterwegs, schon gelegentlich Probleme mit dem Alter, genauer: mit dem Älterwerden, denn die Erfahrung lehrt ja, dass mit den Jahren die eine oder andere körperliche Unbequemlichkeit die eine oder andere seelische Malaise an die Hand nimmt. Und dann spazieren diese bösen Schwestern mit uns gemeinsam in Richtung Finale. Für Schauspieler ist dieser Weg offenbar weniger beschwerlich, bei Julianne Moore scheint er sogar in einer Art Jetset aufzugehen, denn es war das Lufthansa-Magazin, dem Frau Moore diktierte, sie habe keine Angst vorm Älterwerden und nehme Geburtstage einfach zum Anlass, schön zu feiern. Dass Mario Adorf keine Probleme mit dem Alter hat, ist erstens deshalb schlüssig, weil Adorf mit seinen 85 Jahren sehr gut aussieht und er, zweitens, seine Altersbeschwichtigung mit dem schönen Zusatz streckt, er könne gut auf die verbreitete Seniorenheiterkeit verzichten. Ja, nicht wahr, all die Greise, die sagen, wie herrlich das sei, angekommen zu sein, nicht mehr alles so ernst zu nehmen, Gelassenheit, Weisheit – der ganze olle Schrott eben. Die Liste der Schauspieler, die mit dem Älterwerden kein Problem haben, ist länger als die Leben von Bob Hope und Olivia de Havilland zusammen: Ben Stiller (fühlt sich wieder wie ein Kind), Martina Gedeck (fühlt sich bereichert) und Cate Blanchett (fühlte sich schon mit 26 alt) geben alles, um nicht in den Verdacht zu geraten, es sei irgend etwas Unerfreuliches am Altwerden. Cameron Diaz legt noch ein paar Unzen drauf: Sie habe die meiste Lebenserfahrung durch Schicksalsschläge gewonnen. Gibt es eigentlich niemanden mehr, der sagt, dass Altwerden ein gigantischer Betrug am Jungbleiben ist? Will niemand mehr die Waffe ziehen? Möchte keiner so kühn und komisch sein zu sagen: Ich kann es mir nicht leisten, Falten zu bekommen, weil ich sonst nur noch Inge-Meysel-Rollen abkriege. Also knalle ich mir so lange Botox ins Gesicht, bis ich aussehe wie eine Rettungsinsel, das ist immer noch besser, als vor laufender Kamera zu verblühen. Wo käme ich denn sonst hin? Diese Frage ist hübsch universell, warum wird sie nicht viel öfter gestellt? Muss sich da erst der große Schauspieler Manfred Krug mit der Zeitschrift Im Blick treffen und sagen, er habe als Kind schon wissen wollen, ob er nach seinem Tod eher in die Hölle oder doch in den Himmel kommt? Kommen Schauspieler, die was „an sich machen lassen“, eher in die Hölle und Schauspieler, die supergerne altern, in den Himmel? Wird im Himmel ZDF geguckt und hat man in der Hölle ein SkyAbo? Ach ja, und könnten Schauspieler bitte wieder mehr schauspielern und weniger reden? Danke. Gordischer Knoten Brandenburg 4 SZ-Grafik; Quelle: Bundesrat Basilikum versus Oregano Kräuter sind aus Italiens Küche nicht wegzudenken. Trotzdem streitet das Land jetzt über seine Gewürze tungen, die gern übertreiben: Basilico versus Origano, die Fraktion des „Pesto alla Genovese“ gegen jene der „Carne alla Pizzaiola“, Norden gegen Süden. Ausgelöst hat den Streit die linke Senatorin Venera Padua aus Scicli bei Ragusa, Sizilien. Sie brachte eine alte Geschichte wieder auf, den Fall einer mysteriösen Ungerechtigkeit. Vor zehn Jahren beschloss das italienische Finanzamt, ein fiskalisches Sonder-Regime für die Kräuter einzuführen; nämlich eine geringere Mehrwertsteuer von nur vier Prozent. Das sollte den Bauern und Herstellern helfen, den Saucenfabrikanten und letztlich auch den Kunden. Tabelle A von Dekret Nr. 633 führte unter anderem auf: Basilikum, Salbei, Rosmarin. Der Oregano aber fehlte. Haben sie ihn etwa einfach vergessen beim Erstellen der Liste? Oder war es eher eine Verschwörung, gestrickt in Rom, wie man in Sizilien vermutet? Seither wird der Oregano jedenfalls mit 22 Prozent besteuert, mehr als fünf Mal stärker als die Schwesterkräuter. Venera Padua mahnte also an, dass die Steuersätze angeglichen würden, damit die Diskriminierung jener ungefähr fünfzig sizilianischen Bauern endlich ein Ende nehme, die Oregano gewinnen, wilden Richtungsentscheidung gegen ihre CDU gibt. Weil weder ein Ampel-, noch ein rotrot-grüner Kandidat eine Mehrheit hätte, fehlt der SPD jeder Spielraum für Lösungen jenseits der Union. Neben diesen arithmetischen Auswirkungen der Landtagswahlen gibt es auch atmosphärische. Die Verhandlungen der Mainzer FDP über eine Ampel zeigen Merkel, dass es vorbei ist mit der Nibelungentreue der Liberalen zur Union. Auf der anderen Seite dürfte der Erfolg von Winfried Kretschmann dazu führen, dass seine Bundespartei schwarz-grüner wird. BadenWürttemberg und Hessen sind jetzt ein wichtige Achse innerhalb der Grünen. Sollte es 2017 wieder zu Sondierungsgesprächen kommen zwischen Merkels Union und den Grünen, werden sich die Grünen wohl nicht mehr verweigern. Das erhöht die Optionen Merkels. Die SPD wiederum hat aus ihren vernichtenden Wahlergebnissen die Lehre gezogen, erst einmal konstruktiv weiter regieren zu wollen. Es gibt, zumindest bisher, keine Anzeichen für einen Aufstand gegen den Vorsitzenden Sigmar Gabriel oder einen Aufruf, den Bundestagswahlkampf gegen die Union schon jetzt zu eröffnen. Beides erleichtert der Kanzlerin das Regieren. Doch all das ist unwichtig im Vergleich zu Merkels eigentlichem Problem: der Flüchtlingspolitik. Sollte ihr Kurs im Lauf des Jahres Wirkung zeigen, wird sie ziemlich unangefochten bis zur Bundestagswahl regieren können. Sollte die Kanzlerin damit aber scheitern, und die AfD auch deshalb weiter reüssieren, steht Merkel vor gefährlichen Zeiten. Im September wird in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Sollte die Union dann wieder so abgestraft werden wie vor drei Wochen, droht der CDU-Chefin Ungemach bereits auf dem Wahlparteitag Anfang Dezember. und angepflanzten. 1,6 Millionen Euro setzen sie insgesamt um im Jahr. Das ist nicht viel, zumal wenn dann auch noch 352 000 Euro weggehen. Doch wie hoch soll die neue Mehrwertsteuer sein: vier, fünf, sechs Prozent? Oder müsste sie nicht vielmehr bei zehn Prozent liegen, wie es die Europäische Union unter Androhung von Disziplinarstrafen fordert? Der Vorstoß der Senatorin aus Sizilien führte dazu, dass man in Brüssel wieder hellhörig wurde, er weckte gewissermaßen einen schlafenden Hund. In Ligurien ist man erzürnt ob der politischen Unbedarftheit und fürchtet um das gute, globale Geschäft mit dem Pesto in Gläsern – ein bisschen wenigstens, wegen einiger Prozentpunkte profaner Steuererhöhung. Und um die Sehnsucht zu zerstören, braucht es ohnehin etwas mehr. Diese Nostalgie im Norden nach dem Süden: Sie bleibt lieblich aromatisiert und gewürzt mit Basilikum, Rosmarin, Thymian, Salbei, Oregano. Wie sie das immer schon war, zu allen Zeiten. oliver meiler Los Angeles/Hamburg – Der Elektroauto-Hersteller Tesla forciert den Einstieg in den Massenmarkt. Firmenchef Elon Musk präsentierte in der Nacht auf Freitag in den USA das neue „Model 3“ des Autoherstellers, das in der Basisversion für einen Verkaufspreis von 35 000 US-Dollar angeboten werden soll. Das Auto beschleunigt auf 100 Kilometer pro Stunde in weniger als sechs Sekunden und soll bei aufgeladener Batterie eine Reichweite von etwa 350 Kilometern haben. Mit dem neuen Modell will Tesla, das bislang nur hochpreisige Sportwagen im Angebot hatte, seinem Dasein als Nischenanbieter ein Ende setzen und zum Konkurrenten der Traditionskonzerne werden. Während sich Branchenbeobachter abwartend zeigten, kam die Idee bei vielen Käufern offenbar gut an: Weltweit bildeten sich Schlangen vor den Läden von Tesla, weil Menschen sich ein Model 3 reservieren wollten. sz Seite 4, Wirtschaft Erste Syrer aus der Türkei kommen an Berlin – Am kommenden Montag werden in Deutschland die ersten Syrer erwartet, die durch den Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei ins Land kommen. Das sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Dabei handele es sich vor allem um Familien mit Kindern. „Sie kommen voraussichtlich zunächst in Friedland an“, sagte der Sprecher. Es gehe um eine Anzahl von Menschen in einer „niedrigen bis mittleren zweistelligen Größenordnung“. dpa MIT STELLENMARKT Dax ▼ Dow ▶ Euro ▼ Xetra 16.30 h 9795 Punkte N.Y. 16.30 h 17695 Punkte 16.30 h 1,1352 US-$ - 1,70% + 0,05% - 0,0026 DAS WETTER ▲ TAGS 24°/ 4° ▼ NACHTS Im Süden und Westen setzt sich erst nach örtlichem Hochnebel die Sonne durch. Im Tagesverlauf ziehen über den Nordwesten und Norden größere Wolkenfelder hinweg. Temperaturen von zehn bis 24 Grad. Seite 14 Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Straße 8, 81677 München; Telefon 089/2183-0, Telefax -9777; [email protected] Anzeigen: Telefon 089/2183-1010 (Immobilien- und Mietmarkt), 089/2183-1020 (Motormarkt), 089/2183-1030 (Stellenmarkt, weitere Märkte). Abo-Service: Telefon 089/21 83-80 80, www.sz.de/abo A, B, F, GR, I, L, NL, SLO, SK: € 3,80; dkr. 30; £ 3,50; kn 34; SFr. 5,00; czk 112; Ft 1020 Die SZ gibt es als App für Tablet und Smartphone: sz.de/plus
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