Der Tagesspiegel

Auf Wundersuche: der Heiligmacher von Berlin – Mehr Berlin, Seiten 20 + 21
„Ich stehe jetzt voll im Saft“:
Torhüter Manuel Neuer über
das Spiel gegen England – Seiten 12, 13 + 15
BERLIN, SONNABEND, 26. MÄRZ 2016 / 72. JAHRGANG / NR. 22 710
Fliegt ja wie gedruckt:
Der erste Airbus aus
dem 3-D-Printer – Seite 8
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USA töten
ranghohe
IS-Mitglieder
Heute: Mit Mobil,
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Deutschland-England
Mit Goethe in Italien
Ein Fest
der Freiheit
Bis heute ist sie der Inbegriff der deutschen Sehnsucht nach dem Süden:
Vor 200 Jahren erschien die „Italienische Reise“ – Seite 23
Syrische Truppen
kämpfen um Palmyra
Foto: Akg-Images
A
Jagd auf die Terroristen von Brüssel
Festnahmen in Belgien und Deutschland / Frau aus Aachen unter den Opfern der Bombenanschläge
Von Frank Jansen
Berlin - Nach den verheerenden Anschlägen in Brüssel gehen die Sicherheitsbehörden in Belgien und Deutschland massiv gegen Terrorverdächtige vor. Im Brüsseler Stadtteil Schaerbeek nahm die Polizei am Karfreitag mehrere Männer fest,
zwei seien dabei verletzt worden. Die
Identität der Festgenommenen blieb zunächst unklar. Laut belgischen Medien
ging es auch um einen in Frankreich vereitelten Anschlag. Vermutet wurde außerdem, ein schon länger gesuchter mutmaßlicher Komplize der Attentäter vom
Dienstag, Mohamed Abrini, könnte einer
der Verletzten sein. Der Belgier ist ein Jugendfreund des in Brüssel festgenommenen Franzosen Salah Abdeslam. Dieser
hatte als Logistiker die Bande unterstützt, die im Auftrag der Terrormiliz IS
am 13. November 2015 in Paris ein Blutbad anrichtete.
Bei dem Polizeieinsatz in Schaerbeek
sollen zwei Explosionen zu hören gewesen sein, hieß es in belgischen Rundfunksendern. In dem Viertel hatten Beamte
am Dienstag bei einer Razzia eine Nagelbombe und Material für weitere Sprengsätze in einer Wohnung entdeckt. Ebenfalls in Schaerbeek sowie im Stadtteil
Jette nahm die Polizei am Donnerstag
sechs Personen fest. Die Behörden suchen vor allem nach einem Mann, den am
Dienstag eine Überwachungskamera am
Brüsseler Flughafen zusammen mit den
Selbstmordattentätern Ibrahim Elkraoui
und Nijam Laachraoui aufgenommen
hatte. Der dritte Mann trug eine helle Jacke und ein schwarzes Hütchen.
Am Donnerstag hatte die Polizei in der
Umgebung von Düsseldorf einen den Be-
hörden bereits bekannten Salafisten festgenommen, der möglicherweise mit einem der Selbstmordattentäter von Brüssel in Verbindung gestanden hatte. Die
türkischen Behörden hatten Samir al A.
im Sommer 2015 als mutmaßlichen ausländischen Kämpfer nahe der syrischen
Grenze aufgegriffen und abgeschoben.
Im selben Flugzeug saß der ebenfalls ausgewiesene Ibrahim al Bakraoui, der sich
am Dienstag im Brüsseler Flughafen in
die Luft sprengte. Gegen Samir al A. lag
bereits in einer anderen Sache ein Haftbefehl vor. Und laut sueddeutsche.de war al
Bakraoui vorzeitig aus dem Gefängnis
entlassen worden. In Gießen hatte die Polizei zudem am Mittwoch einen Mann aufgegriffen, der Kontakt zu den Tätern von
Brüssel und Paris unterhalten haben
könnte. Der 28-jährige Marokkaner sei
bei einer Routinekontrolle auf dem Bahn-
Microsofts Künstliche Intelligenz im Netz
mehr ihr mit ihr sprecht, desto klüger
wird sie“, versprachen die Entwickler
aus Microsofts Forschungsabteilung für
Künstliche Intelligenz (KI). Tay sollte
sich dafür zum Beispiel das Lieblingsessen, das Geschlecht und den Wohnort
ihrer Gesprächspartner merken können, um die Illusion einer individuellen
Konversation zu erzeugen.
„Hallooooo Welt!“, twitterte Tay zuerst auf Englisch. Und: „Menschen sind
super cool!“ Aber Menschen können
eben auch super bösartig sein. Innerhalb von nur 24 Stunden hatte das Programm aus Zehntausenden von Gesprächen mit Internetnutzern gelernt oder
deren Sätze wiederholt. „Juden sind für
den 11. September verantwortlich, vergast sie“, postete Tay, „Hitler hätte einen besseren Job gemacht als der Affe,
der uns jetzt regiert“, oder: „Frauen
sind minderwertig.“
Stellte man Tay etwa anfangs eine
Frage zum Stichwort „Feminismus“, ant-
— Seite 2 und Meinungsseite
Beratervertrag:
Berlins CDU
greift Müller an
In der Nacht
zum Sonntag wird
die Uhr von 2 auf 3 Uhr
vorgestellt.
Vom Teenie zum Nazi in einem Tag
Sie war wie viele andere
Mädchen in ihrem Alter.
Sie heißt Tay und mag 18
Jahre alt sein oder Anfang
20. Viel von der Welt gesehen oder verstanden hatte sie noch
nicht. Sie interessierte sich für PromiKlatsch und Horoskope. Dann kam:
das Internet – und es dauerte nicht
mehr lange, bis Tay auf Twitter den
Holocaust leugnete und ihren Hass
auf Feministinnen in die Welt hinauszwitscherte.
Es ist die wahre Geschichte eines dramatisch missglückten Experiments. Am
23. März veröffentlichte Microsoft einen Chatbot, also ein Programm, das
menschliche Konversation in Social Media imitieren und erlernen sollte. Sie
nannten das Programm Tay und verpassten ihm das Profilbild einer jungen
Frau, die nun selbstständig mit Nutzern
beispielsweise beim MicrobloggingDienst Twitter interagieren sollte. „Je
hof der hessischen Stadt aufgefallen, berichtete der Südwestrundfunk (SWR).
Im Handy des Mannes habe die Polizei
eine SMS mit dem Namen eines der Attentäter von Brüssel festgestellt. In einer
weiteren SMS, die auf dem Mobiltelefon
nur wenige Minuten vor der letzten Explosion eintraf, soll das französische
Wort „fin“ gestanden haben. Es bedeutet
auf Deutsch „Ende“ oder auch „erledigt“.
Bei den Terroranschlägen von Brüssel
ist auch eine Deutsche getötet worden:
Eine bisher als vermisst geltende Aachenerin sei als Todesopfer des Anschlags
am Flughafen identifiziert worden, teilte
die Aachener Polizei unter Berufung auf
belgische Behörden mit. Der Ehemann
der jungen Frau liege mit schweren Verletzungen in einem Krankenhaus. mit dpa
C SOMMERZEIT D
wortete das Programm „Ich liebe Feminismus jetzt“. Einige Stunden später
passte das Programm seine Einschätzung zu „Feminismus“ der mehrheitlichen Meinung der Menschen an, die
mit Tay gesprochen hatten und ließ ihre
Follower wissen, Feminismus sei wie
ein Kult oder Krebs. Aussagen, die sicher nicht zu Tays ursprünglicher Programmierung gehörten.
Microsoft reagierte und beendete das
Experiment. Wer Tay jetzt anschreibt,
bekommt zur Antwort: „Bin gerade
weg, besuche meine Ingenieure für
meine jährliche Untersuchung.“ Einige
der schlimmsten Postings hat Microsoft
außerdem mittlerweile gelöscht.
Der Versuch Künstliche Intelligenz zu
schaffen, die selbstständig und kritisch
denkt, ist gescheitert. Das
Experiment, menschliches
Verhalten im Netz zu erlernen, war aber leider ein
Erfolg.
Sidney Gennies
C
WETTER
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Der Samstag startet wolkig.
Nachmittags setzt sich
die Sonne zunehmend durch.
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ISSN 1865-2263
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Foto: imago/Horstmüller
Berlin - Im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) gibt es offenbar einige
Erfolge. Zum einen haben amerikanische
Streitkräfte nach Angaben von US-Verteidigungsminister Ashton Carter einige
ranghohe Mitglieder der Dschihadistenmiliz getötet. Unter ihnen könnte Abdel
Rahman al Kaduli sein. Er gilt als IS-Finanzminister und „Nummer zwei“ der
Terrororganisation. Zum anderen steht
die syrische Regierungsarmee womöglich vor der Rückeroberung Palmyras.
Die Soldaten sollen bereits die Zitadelle der historischen Oasenstadt eingenommen haben, berichtete am Freitag
die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Die Festung liegt am Rande
der einzigartigen archäologischen Stätten Palmyras. Russische Luftangriffe hätten die Armee unterstützt. Palmyra im
Zentrum Syriens gehört zum Unesco
Welterbe. Der „Islamische Staat“ hatte
die Stadt im Mai 2015 erobert und danach
eine Reihe antiker Bauwerke gesprengt.
Auch im Irak gerät der IS in Bedrängnis. Regierungstruppen und verbündete
Milizen haben mit einer Offensive zur
Rückeroberung von Mossul begonnen.
Während der „ersten Phase“ des Einsatzes in der Provinz Niniwe konnten die
Soldaten nach Angaben der Armee vier
Dörfer unter ihre Kontrolle bringen. Die
Einnahme der früheren Millionen-Stadt
wäre ein wichtiger Erfolg für das irakische Militär im Kampf gegen den IS. Die
Stadt befindet sich seit Juni 2014 in den
Händen der Extremisten. Damals war die
irakische Armee Hals über Kopf vor den
Angreifern geflohen. In Mossul hatte ISChef Abu Bakr al Bagdadi ein „Kalifat“
ausgerufen. Ende 2015 versprach Iraks
Premier Haidar al Abadi, dem „Islamischen Staat“ werde 2016 ein „tödlicher
Stoß“ versetzt. Trotz vieler Luftangriffe
beherrschen die Dschihadisten aber nach
wie vor große Teile des Landes. Und immer wieder gibt es Anschläge. Am Freitag sprengte sich ein Attentäter bei der
Siegerehrung nach einem Fußballspiel in
die Luft und tötete südlich von Bagdad
mindestens 30 Menschen.
Ch.B.
Von Christian Tretbar
Berlin - Im koalitionsinternen Streit um
Beraterverträge der Berliner Senatskanzlei hat die CDU den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) massiv angegriffen. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, Stefan Evers, sagte
dem Tagesspiegel: „Dieser Vertrag ist unglaublich peinlich für den Regierenden
und unterstreicht Star-Allüren, die in dieser Form nicht einmal Klaus Wowereit
hatte. Der brauchte ja offenbar noch keinen Presserechtsexperten per ExklusivVertrag.“ Evers bezieht sich auf einen Vertrag der Senatskanzlei mit Rechtsanwalt
Christian Schertz, der die Senatskanzlei
vor allem in medienrechtlichen Fragen
vertritt. Streit gibt es auch wegen der Zusammenarbeit der Senatskanzlei mit der
Beratungsfirma McKinsey zur Ausarbeitung eines Integrations-Plans.
fmb
— Seite 14
ls ob das alles nicht schon aufgeladen genug ist: Deutschland gegen
England, in Berlin, im Olympiastadion. Das ist Insel gegen Kontinent,
Kein-Wembley-Tor gegen Wembley-Tor,
Chris Waddle gegen den Turiner Nachthimmel 1990 und Lampard gegen Neuer
2010 und, und, und. Deutschland gegen
England ist ein Klassiker, der von gepflegten Klischees und viel Fußball-Historie
lebt. Diesmal ist das alles aber nur nettes
Beiwerk.
Deutschland gegen England ist ein
Spiel in einer Gegenwart, die vielen
Angst bereitet. Das letzte Spiel der Nationalmannschaft mündete in eine Nacht
des Terrors in Paris. Die gesamte Mannschaft musste im Stadion ausharren, die
Zuschauer trauten sich nicht aus dem Stadion. Ein paar Tage später wurde die Partie Deutschland gegen die Niederlande
kurz vor dem Anpfiff abgesagt – wegen
(mutmaßlich) akuter Terrorgefahr. Und
jetzt steht Deutschland wieder unter dem
Eindruck des Terrors, wieder vor einem
Länderspiel. Der Fußball wehrt sich häufig gegen kulturelle und politische Überhöhung. Aber gerade die letzten Monate
zeigen: Der Sport steht inmitten des
Streits zwischen Sicherheit und Freiheit.
Ist der Besuch im Olympiastadion sicher? Niemand kann diese Frage hundertprozentig mit Ja beantworten. Sicherheit
ist nicht nur eine Frage an die Behörden,
sondern auch eine an sich selbst. Welches Risiko gehe ich ein und welches
nicht. Diese individuelle Abwägung
muss jeder treffen – und jede persönliche
Entscheidung ist dabei zu respektieren.
Dass das Spiel aber – nach jetzigem Stand
– stattfindet, ist ein gutes Zeichen.
Das Spiel kann ein Fest der Freiheit
werden. Berlin kann erneut zeigen, dass
es keine Stadt ist, die der Angst nachgibt,
auch keinem diffusen Unbehagen. Und
das Olympiastadion, für die Engländer
ohnehin immer noch vor allem ein Monument der Nazis, könnte ein Symbol der
Normalität in Zeiten des Terrors werden.
In Paris standen sich in den Stunden
der Anschläge mit Frankreich und
Deutschland zwei Länder auf dem Spielfeld gegenüber, deren Völkerfreundschaft den Kern der europäischen Idee
ausmacht – auch wenn Themen wie Griechenland oder die Flüchtlingskrise sie
ziemlich ausgehöhlt haben. Dass jetzt die
Engländer nach Berlin kommen, ist Zufall, aber es ist ein schöner Zufall. Die englische Mannschaft steht auch für Großbritannien insgesamt. Ein Land, das mit dem
Gedanken spielt, die EU lieber zu verlassen, als sie zu stärken. Die gemeinsame
Bedrohung durch den Terror führt den
Briten vor Augen, dass sie Teil der EU
sind. Das sollten sie auch bleiben, denn
die Wertebasis ist die gleiche.
In Frankreich wird dieser gemeinsame
Wertekanon im Sommer noch stärker
zum Tragen kommen. Dort findet dann
dieFußball-EM statt– ebenfalls überschattet von der Bedrohung durch den Terror.
Wie selten zuvor dürfte der Fußball selbst
erst mal in den Hintergrund einer Fußballveranstaltung rücken. Es wird für alle Beteiligte eine enorme, vor allem psychische
Herausforderung werden. Vielleicht drohen sogar Geisterspiele. Wenngleich da
der Grundsatz gelten sollte: ganz oder gar
nicht. Wenn es eine konkrete Terrorgefahr gibt, ist das auch eine Gefahr für Spieler, Funktionäre und Betreuer. Dann sollte
ein Spiel eben abgesagt werden. Wenn
aber gespielt wird, sollte die Betonung bei
der EM eine andere sein: weniger Meisterschaft, mehr Europa. Das Spiel am heutigen Samstag kann ein Anfang dafür sein.
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