Eine andere Rente ist möglich Urbanes Gärtnern Bei der Alterssicherung verfolgt die Große Koalition den falschen Kurs, meint die Linkspartei. Seite 6 In Berlin gibt es immer mehr Nachbarschaftsgärten, die für sozialen Zusammenhalt sorgen und das Klima verbessern. Seite 11 Foto: 23rf/bowie15 Fotos: 123rf/Ivan, David Smith, fotolia/redpepper82 * STANDPUNKT Im Werteghetto Uwe Kalbe über de Maizières Integrationsmissverständnis Die Bundesregierung sagt der Ghettobildung den Kampf an. Entsprechende Überlegungen widmet Bundesinnenminister de Maizière den Flüchtlingen in Deutschland, was nicht überraschend ist, weil Ghettos generell nur dann als problematisch gelten, wenn Migranten sie bilden – während sie im Falle geschlossener, gesicherter Wohnviertel für Gutbetuchte, von Armenvierteln mit deutschstämmiger Einwohnerschaft oder gar von Vierteln, die Nazis als »national befreit« deklarieren, noch keinen Minister zu Gesetzesvorstößen veranlasst haben. Integration wäre in all diesen Fällen hilfreich, um Polarisierung und sozialen Verwerfungen entgegenzuwirken. Parallelgesellschaften kann man durchaus integrationshemmend nennen, auch wenn sie zuweilen Vorteile weit über den Kreis der Einwanderer hinaus haben, wovon Chinatown in New York ebenso zeugt wie das Holländische Viertel in Potsdam. Doch wenn der Bundesinnenminister ein »erfolgreiches Absolvieren« von Integration gesetzlich abverlangen will, liegt ein Missverständnis zugrunde. Denn Integration ist nicht Maßeinheit für Unterwerfung, auch nicht für Unterwerfung unter de Maizières Sicht auf Integration selbst, der Niederlassung als Lohn für gute Deutschnoten in Aussicht stellt. Die Bewilligung von Asyl ist kein Lohn für Wohlverhalten, sondern eine Pflicht, die aus der Anerkennung einer Verfolgungssituation des Betroffenen resultiert. Und so lange die Zahl der Deutschkurse nicht den erwiesenen Bedarf deckt, ist es der Staat selbst, der Integrationsdefizite aufweist. UNTEN LINKS Im Rostocker Zoo ist derzeit eine Schlange mit zwei Köpfen zu sehen. Laune der Natur oder Hinterlassenschaft von Medusa, die entgegen der griechischen Sage noch lebt und einen Friseur ihres Vertrauens an der Ostsee besuchte? Wie auch immer, der Zoo verfügt damit über eine Attraktion; bestrebt, wilde Tiere in ihrer natürlichen Umgebung zu zeigen, präsentiert er nun auch unnatürliche Tiere in natürlicher Umgebung. Was natürlich noch faszinierender ist. Der Besucher riskiert nichts, denn Schlangen mit zwei Köpfen sind kaum gefährlicher als Schlangen mit einem Kopf. Von Osterhasen aus Schokolade kann man das nicht sagen. Zwar wurde noch kein Osterhase mit zwei Köpfen gesehen, aber in fast jedem zweiten Hasen fanden sich Spuren von Mineralöl. Solche Hasen sind gefährlich und mit jedem zusätzlichen Kopf wären sie natürlich umso gefährlicher. Die Hasenindustrie wiegelt ab. Selbst was die gespaltene Zunge angeht, stellt sie damit jede Schlange in den Schatten. uka ISSN 0323-4940 An der Belastungsgrenze In Griechenland sitzen Zehntausende Flüchtlinge fest – weil die EU sich abschottet Bundesregierung will Integration erzwingen Aufenthaltstitel soll abhängig von Sprachkursen und Arbeit werden Berlin. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will Flüchtlingen einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland verwehren, wenn sie Deutschkurse verweigern und Arbeitsangebote ausschlagen. Spätestens im Mai werde er ein Integrationsgesetz vorlegen, kündigte der Politiker in der ARD an. Darin soll auch eine Wohnsitzauflage enthalten sein. Sie solle regeln, dass auch anerkannte Flüchtlinge sich an dem Ort aufhalten, »wo wir das als Staat für richtig halten«. Das solle solange gelten, bis die Flüchtlinge ihren Unterhalt mit Arbeit selbst sicherstellen können. Hält sich ein Betroffener nicht an die Auflage, soll er de Maizière zufolge keine soziale Unterstützung erhalten. Wer sich weigere, Deutsch zu lernen oder Arbeitsangebote ablehne, könne nicht nach drei Jahren eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erhalten. Kritik am Vorstoß kam am Wochenende vom DGB und Teilen der SPD. Agenturen/nd Seite 5 Ostermärsche an rund 80 Orten Wieder Zulauf für Friedensbewegung »Öffnet die Grenzen«: Transparent von Geflüchteten in Idomeni in Griechenland Berlin. Was der Deal mit dem türkischen Regime bringt und was nicht, konnte man zu Ostern beobachten: Nach Griechenland kommen nun zwar weniger Asylsuchende, in Idomeni an der Grenze zu Mazedonien sind aber weiter Tausende Menschen gestrandet, weil die Grenzen geschlossen bleiben – nach Angaben aus Skopje mindestens bis Ende 2016. Die Situation in dem Ort schwankte zwischen Verzweiflung und Unruhe. Als am Osterwochenende das Gerücht die Runde machte, die Passage Richtung Westen könne sich vielleicht doch öffnen, zog es Hunderte Migranten Richtung Grenze. Polizei marschierte Foto: AFP/Andrej Isakovic auf, die Lage beruhigte sich nur langsam. Die Deutsche Presse-Agentur spekulierte gar über eine Verbindung zu Äußerungen von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linkspartei, der erklärt hatte, sein Bundesland könne Flüchtlinge aufnehmen – während anderswo in Deutschland immer nur von »Belastungsgrenzen« die Rede ist. Vielerorts stehen Unterkünfte aber leer, es ist also eine Frage des politischen Willens, ob man die Geflüchteten in Griechenland dem Schicksal überlässt. Wenn jemand an einer Belastungsgrenze ist, dann sind es die Menschen dort. Mit Unterstützung von Aktivisten demonstrierten in Ido- meni und anderen griechischen Städten Geflüchtete für offene Grenzen. In Athen wurden mehrere Gebäude besetzt und an Flüchtlinge »zur Selbstorganisierung« übergeben. Ähnliche Versuche waren in Deutschland von der Polizei stets unterbunden worden. Umso mehr wird hierzulande über die mangelnde Solidarität der anderen Staaten geredet und zugleich die Abschottung der EU-Außengrenzen verteidigt. Dass in Griechenland »eine humanitäre Notlage entstanden« ist, dafür sieht Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Schuld bei den EU-Staaten, die ihre Grenzen geschlossen haben. tos Seite 3 Anti-Terror-Razzien überall in Europa Verdächtige in Belgien, Niederlande und Deutschland verhaftet / Rechte Hooligans greifen Gedenkfeier an Mit neuen Anti-Terror-Razzien reagieren nicht nur in Belgien die Sicherheitskräfte auf die Anschläge von Brüssel. Rechte Hooligans störten dort eine friedliche Gedenkfeier mit Gewalt. Von Martin Ling Die belgischen Sicherheitskräfte bemühen sich, den Vorwurf der Untätigkeit zu entkräften. Nach neuen Anti-Terror-Razzien haben die Behörden drei Verdächtige wegen Terrorverdachts beschuldigt. Die Staatsanwaltschaft stellte am Montag drei Haftbefehle wegen der »Beteiligung an Handlungen einer Terrorgruppe« aus. Yassine A., Mohamed B. und Aboubaker O. waren am Sonntag nach Hausdurchsuchungen in Brüssel und den Städten Mechelen und Duffel nördlich der Hauptstadt festgenommen worden. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft gibt es bei den drei Beschuldigten »keine direkte Ver- bindung« zu den Anschlägen in Brüssel. Insgesamt hatte es bei 13 Razzien am Sonntag neun Festnahmen gegeben. Fünf Verdächtige wurden noch am Sonntag wieder freigelassen. Ein weiterer Verdächtiger kam am Montag frei. Der Mann, der am Brüsseler Flughafen seinen Sprengsatz nicht gezündet hat, ist offenbar immer noch auf freiem Fuß. Nach dem dritten Flughafen-Attentäter war seit Dienstag mit einem Überwachungsfoto gefahndet worden, auf dem er mit einer weißen Jacke und einem Hut zu sehen ist. Am Donnerstag wurde Fayçal C. festgenommen. Am Montag wurde er mangels Tatverdacht wieder freigelassen. Am Dienstag vergangener Woche hatten sich zwei Attentäter am Flughafen Brüssel-Zaventem in die Luft gesprengt. Rund eine Stunde später verübte ein weiterer Angreifer einen Selbstmordanschlag in einer U-Bahn-Station. Es gab 35 Todesopfer und 340 Verletzte. Am Sonntag hatten etwa 400 teils rechtsradikale Hooligans auf dem Brüsseler Börsenplatz eine friedliche Gedenkveranstaltung für die Opfer der Terroranschläge Die Staatsanwaltschaft stellte drei Haftbefehle wegen der »Beteiligung an Handlungen einer Terrorgruppe« aus. gestört. Bürgermeister Yvan Mayeur erhob im Sender RTL Vorwürfe. Die Sicherheitsbehörden hätten ihn am Vortag vor »400 Verrückten« gewarnt, die nach Brüssel kommen wollten. Er beschwerte sich, dass die Polizei des Ortes Vilvoorde nördlich von Brüssel die Hooligans nicht aufgehalten habe. Nach den Anschlägen geraten europaweit immer mehr Ver- dächtige ins Visier der Ermittler. Am Sonntag nahm eine niederländische Anti-Terror-Einheit in Rotterdam einen 32-jährigen Franzosen fest. Er wird von der französischen Justiz verdächtigt, an der Vorbereitung eines Anschlags in Frankreich beteiligt zu sein, wie die Staatsanwaltschaft Rotterdam mitteilte. Bei der Razzia wurden auch drei weitere Personen festgenommen. Der Terrorverdacht gegen zwei in Gießen und Düsseldorf festgenommene Männer hat sich nicht erhärtet. Die Bundesanwaltschaft gibt vorerst Entwarnung. Unterdessen erinnerte auch Papst Franziskus bei seiner Ostermesse an die jüngsten Anschläge. Terrorismus sei eine »blinde und brutale Form der Gewalt«, die in allen Teilen der Welt Blut vergieße. Davon getroffen worden seien neben Belgien auch Länder wie die Türkei und Irak sowie Nigeria, Tschad oder Kamerun. Frankfurt am Main. An den traditionellen Ostermärschen beteiligten sich in diesem Jahr nach Schätzung der Organisatoren bundesweit rund 20 000 Menschen. Allein am Montag seien etwa 10 000 Menschen in mehreren Städten auf der Straße gewesen, sagte der Sprecher des Ostermarschbüros in Frankfurt am Main, Willi van Ooyen. Die Gesamtzahl sei trotz teils regnerischen Wetters größer gewesen als im Vorjahr. Aktionen gab es am Ostermontag unter anderem in Hanau, Marburg und Kassel sowie in Hamburg, München, Nürnberg und im Ruhrgebiet. Eine Kundgebung fand auch in Büchel in der Eifel vor dem Haupttor des Fliegerhorstes statt, wo die letzten in Deutschland stationierten Atomwaffen der USA vermutet werden. Die Teilnehmer der Ostermärsche an rund 80 Orten wandten sich gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr und forderten ein Verbot von Kampfdrohnen sowie den Abzug aller Atomwaffen aus Europa. Die deutsche Politik sei für die Flucht Hunderttausender Menschen nach Europa mitverantwortlich, hieß es in den Aufrufen. epd/nd Seite 5 Über 70 Tote bei Anschlag in Lahore Bombenexplosion inmitten feiernder christlicher Familien in Pakistan Lahore. Nach dem Selbstmordanschlag auf feiernde Familien in Pakistan sind die Behörden mit Razzien und Festnahmen gegen Verdächtige vorgegangen. Eine Reihe von »mutmaßlichen Terroristen und Unterstützern« sei festgesetzt worden, erklärte die Armee am Montag. Ein Taliban-Kämpfer hatte sich am Sonntag nahe eines Spielplatzes in Lahore in die Luft gesprengt, mehr als 70 Menschen wurden getötet. Der Anschlag richtete sich nach Angaben der Taliban gegen Christen. In einem Park der nordpakistanischen Großstadt hielten sich am Osterabend rund 8000 Menschen auf, als der Attentäter inmitten von feiernden Familien seinen Sprengsatz zündete. Nach Angaben der Behörden wurden mindestens 72 Menschen getötet, darunter 29 Kinder. Etwa 280 Menschen wurden verletzt, viele von ihnen mussten wegen des Andrangs in den Kliniken auf dem Boden und in Fluren versorgt werden. Die Regierung rief eine dreitägige Trauer für die Provinz Punjab aus, in der Lahore liegt. AFP/nd
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