Inhalt - Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Inhalt
Wichtige Entwicklungen
beim Diskriminierungsschutz
im Jahr 2015
Ein Jahresrückblick
Inhalt
Einführung ____________________________________________________________1 1. Rechtsprechung _____________________________________________________2 1.1. Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) _______________ 2 1.2. Entscheidungen deutscher Gerichte ______________________________________________ 3 1.2.1. Ethnische Herkunft___________________________________________________________ 3 1.2.2. Geschlecht ___________________________________________________________________ 5 1.2.3. Behinderung _________________________________________________________________ 9 1.2.4. Alter________________________________________________________________________ 11 1.2.5. Sexuelle Identität ___________________________________________________________ 18 1.2.6. Religion ____________________________________________________________________ 18 2. Gesetzgebung _____________________________________________________ 20 3. Parlamentarische/Politische Aktivitäten ___________________________ 21 4. Entwicklungen und Aktivitäten auf Europäischer Ebene ___________ 22 Einführung
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Einführung
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) gibt im Folgenden wieder einen Rückblick auf wichtige
Entwicklungen beim Diskriminierungsschutz im vergangenen Jahr. Näher vorgestellt werden
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), deutscher Gerichte sowie wichtige Aktivitäten
aus dem parlamentarisch/politischen Bereich.
Die ADS möchte damit nicht nur über aktuelle Entwicklungen aus der Rechtsprechung und
Gesetzgebung informieren, sondern insbesondere mit den vorgestellten gerichtlichen Entscheidungen
auch eine praxisrelevante Handreichung für die Rechtsdurchsetzung beim Schutz vor Diskriminierung
geben. Diskriminierungsschutz realisiert und konkretisiert sich auch durch Rechtsprechung.
Die vorgestellten Urteile behandeln eine große Bandbreite, zum Teil auch neuer und grundsätzlicher
Fragestellungen aus verschiedenen Bereichen.
So war beispielsweise der EuGH mit der übergreifenden Frage befasst, ob das Unionsrecht einen sog.
Strafschadensersatz im Fall einer Geschlechterdiskriminierung als Sanktion fordert. Ebenso befasst war
das Gericht mit der Zulässigkeit des pauschalen Ausschlusses homosexueller Männer von der
Blutspende.
In der Rechtsprechung deutscher Gerichte standen weiterhin Entscheidungen der Arbeitsgerichte im
Vordergrund, während es nur eine relativ geringe Anzahl von Urteilen anderer Gerichte gab. Immerhin
erging im vergangenen Jahr aber die vielbeachtete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum
Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen.
Bei den arbeitsgerichtlichen Entscheidungen waren die Gerichte vor allem mit Diskriminierungsfällen
wegen des Alters, insbesondere im öffentlichen Dienst, befasst. Fälle von Geschlechterdiskriminierung
bzw. Diskriminierung wegen einer Behinderung oder der ethnischen Herkunft spielten dagegen eine
geringere Rolle. Hier ging es u. a. um Diskriminierungen wegen einer Schwangerschaft, das Verbot der
Mitnahme von sog. Elektromobilen in Bussen bzw. deutsche Spracherfordernisse als
Einstellungsvoraussetzung.
Neben der Rechtsprechung sind auch einige wichtige Entwicklungen im Bereich der Gesetzgebung im
vergangenen Jahr erwähnenswert. Dazu gehören beispielsweise Änderungen der Gaststättengesetze in
zwei Bundesländern, die vorsehen, dass bestimmte Diskriminierungen künftig als Ordnungswidrigkeiten
mit einem Bußgeld geahndet werden können. Dazu gehört auch der von der Bundesregierung
beschlossene Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsgesetzes, der 2015
auf den Weg gebracht, und im Januar 2016 vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Schließlich hat
auch die EU-Kommission Ende des vergangenen Jahres einen neuen Richtlinienentwurf zur
Zugänglichkeit von Produkten und Dienstleistungen für Menschen mit Behinderung vorgelegt.
Allen Interessierten wünschen wir eine anregende Lektüre unseres Jahresrückblicks.
1. Rechtsprechung
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1. Rechtsprechung
1.1. Entscheidungen des Gerichtshofs der
Europäischen Union (EuGH)
Das Jahr 2015 brachte eine weitere Festigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Union. In die von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erstellte Zusammenfassung ausgewählter
Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Antidiskriminierungsrecht wurden sechs
Entscheidungen aufgenommen:
Je eine Entscheidung zu den Diskriminierungsgründen ethnische Herkunft, sexuelle Identität,
Geschlecht sowie zwei Entscheidungen zum Diskriminierungsgrund Alter. Außerdem eine Entscheidung
zu einer übergreifenden Fragestellung.
In der Rechtsache Unland (C-20/13) hat sich der EuGH erneut mit dem Thema Vergütung nach Alter in
einem Besoldungssystem des öffentlichen Dienstes auseinandergesetzt. Das
Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin betraf Fragen zur Berliner
Richterbesoldung. Der EuGH hatte gleichgelagerte Fragen in der Rechtssache Specht u.a. (C-501/12 u.a.)
bereits für die allgemeine Beamtenbesoldung des Bundes und des Landes Berlins beantwortet und ist
bei seiner bisherigen Einschätzung geblieben, dass die Überleitung in ein neues Besoldungssystem, das
nicht mehr auf dem Lebensalter, sondern auf Berufserfahrung aufbaut, nicht altersdiskriminierend ist.
Das zweite Urteil in der Rechtssache Starjakob (C-417/13) betraf eine bereits bekannte Fragestellung zur
Zulässigkeit des Ausschlusses der vor dem 18. Lebensjahr erworbenen Berufserfahrung bei Festlegung
des Gehalts. Eine Regelung der österreichischen Bundesbahn sah vor, bei der Gehaltstufe der
Bahnbeschäftigten berufliche Tätigkeiten zwar zu berücksichtigen, die vor dem 18. Lebensjahr verrichtet
wurden, jedoch den Vorrückungszeitraum in eine höhere Gehaltsstufe in gleicher Weise zu verlängern.
Der EuGH sah darin einen Verstoß gegen das Unionsrecht.
Einen Fall zur mittelbaren Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft hat der EuGH in der
Rechtssache CEZ Razpredelenie Bulgaria (C-83/14) entschieden. Im Fall ging es um die Praxis des
Stromversorgungsunternehmens CEZ RB in einem überwiegend von Roma bewohnten Teil der Stadt
Dupnitsa (Bulgarien), die Stromzähler an Betonmasten in sechs bis sieben Metern Höhe zu montieren. In
anderen Stadtvierteln, in denen weniger Roma wohnten, ließ das Unternehmen die Zähler hingegen in
einer Höhe von 1,70 m meist direkt in den Wohnungen der Kunden, an Fassaden oder Zäunen errichten.
Frau Nikolova, als Betreiberin eines Lebensmittelgeschäfts in besagtem Stadtteil, fühlte sich durch diese
Montagepraxis ebenfalls diskriminiert, obwohl sie selbst nicht zur Gruppe der Roma gehört. Der EuGH
sah darin eine unverhältnismäßige mittelbare Benachteiligung. Denn der Gleichbehandlungsgrundsatz
der Richtlinie 2000/43 ist nicht nur auf Personen mit einer bestimmten ethnischen Herkunft anwendbar,
sondern auch auf Personen, die zwar selbst nicht die betreffende Herkunft aufweisen, aber durch eine
diskriminierende Maßnahme zusammen mit den Personen, die diese Herkunft aufweisen, weniger
günstig behandelt oder in besonderer Weise benachteiligt werden.
Ein großes und durchweg positives Medienecho fand die EuGH-Entscheidung in der Rechtsache Léger
(C-528/13), in der es um den pauschalen Ausschluss homosexueller Männer von der Blutspende ging.
Gegenstand des Verfahrens war die Vereinbarkeit einer französischen Verordnung zur Blutspende, die
Männer, die mit Männern Sex haben (MSM) von der Blutspende ausschloss. Der EuGH entschied, dass
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die in der Verordnung geregelte dauerhafte Kontraindikation bei Blutspenden mit den Grundrechten der
Union und insbesondere mit dem Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung nicht
vereinbar ist. Der pauschale Ausschluss von MSM ist unverhältnismäßig, wenn durch HIV-Test oder
mangels Tests durch andere Maßnahmen (z.B. Wartezeit zwischen sexuellem Kontakt und Spende) als
einen Ausschluss, die Sicherheit des Blutspende-Empfängers ebenso sichergestellt werden könnte.
Die ADS hat diese auf Frankreich bezogene Rechtsprechung zum Anlass genommen, die
gleichgelagerten deutschen Regelungen beim Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zu hinterfragen.
Das BMG wird nun eine europarechtskonforme Regelung schaffen.
Das Urteil des EuGH in der Rechtsache Maïstrellis (C-222/14) ist zu einer Frage des Elternurlaubs in
Bezug auf die Richtlinie über den Elternurlaub (RL 96/34/EG) ergangen, betraf jedoch auch Fragen der
Gleichbehandlung. Gegenstand des Verfahrens waren griechische Bestimmungen, nach denen Beamten,
deren Ehefrauen nicht arbeiten, kein Anspruch auf bezahlten Elternurlaub zusteht, es sei denn, die
Ehegattin kann wegen einer schweren Erkrankung oder Verletzung den Erfordernissen der
Kinderbetreuung nicht nachkommen. Der EuGH sah einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot
durch eine Regelung, wonach verheiratete Mütter, die Beamtinnen sind, unabhängig von der beruflichen
Stellung ihres Ehegatten stets Anspruchs auf Elternurlaub haben. Beamte, die unter die Regelung fallen,
werden daher unmittelbar aufgrund des Geschlechts diskriminiert.
Am Ende des Jahres hat der EuGH in der Rechtsache Arjona Camacho (C-407/14) ein Urteil zu einer über
einzelne Diskriminierungsgründe hinausgehenden Fragestellung nach einem Strafschadensersatz
gesprochen, selbst wenn dieser einer nationalen Rechtstradition fremd ist. Das Konzept des
Strafschadensersatzes entstammt dem angloamerikanischen Recht und sieht vor, bei
Rechtsverletzungen neben dem Ersatz für materielle und immaterielle Schäden auch einen
„Schadensersatz mit Strafcharakter“ (punitive damages) geltend zu machen zu können. Im Anschluss an
eine aufgrund des Geschlechts diskriminierende Entlassung sollte ein entsprechendes Exempel als
Sanktionsmaßnahme statuiert werden. Der EuGH betont, dass eine finanzielle Wiedergutmachung
angemessen sein muss. Das heißt, die durch die diskriminierende Entlassung tatsächlich entstandenen
Schäden sind gemäß den anwendbaren staatlichen Regeln in vollem Umfang auszugleichen. Das
bedeutet aber nicht, einer Person Strafschadensersatz zuerkennen zu müssen, der über den
vollständigen Ausgleich des ihr tatsächlich entstandenen Schadens hinausgeht und eine
Sanktionsmaßnahme darstellt. Die Mitgliedstaaten haben zwar die Möglichkeit zur Schaffung eines
Strafschadensersatzes, sind hierzu aber nicht verpflichtet. Der nationale Richter jedoch kann einen
solchen Strafschadensersatz nicht schaffen.
1.2. Entscheidungen deutscher Gerichte
1.2.1. Ethnische Herkunft
LAG Frankfurt, Urteil vom 15.06.2015 – 16 Sa 1619/14
Bewerbungsanforderung "Deutsch als Muttersprache" ist diskriminierend
Es stellt eine unmittelbare Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft dar, wenn der Arbeitgeber
als Anforderung für eine Stelle "Deutsch als Muttersprache" verlangt. Denn dadurch werden
Bewerberinnen und Bewerber, die Deutsch nicht als Muttersprache erlernt haben aber als Fremdsprache
fließend sprechen, ohne sachlichen Grund vom Bewerbungsverfahren ausgeschlossen. Daher ist dann
eine Benachteiligung zu vermuten.
1. Rechtsprechung
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Der aus Russland stammende Kläger hatte sich hier um eine befristete Stelle als Bürohilfe beworben und
verfügte über sehr gute Deutschkenntnisse. Er erhielt auf seine Bewerbung keine Ablehnung und erfuhr
erst später, dass andere Bewerber eingestellt wurden. Daher begann die Frist zur Geltendmachung der
Entschädigung nach Ansicht des Gerichts trotz des zwischenzeitlichen Ablaufs des befristeten
Arbeitsverhältnisses frühestens mit dem Zugang der Ablehnung. Denn das bloße Schweigen des
Arbeitgebers auf eine Bewerbung stellt keine Ablehnung dar. Der Fall ist aktuell beim
Bundesarbeitsgericht anhängig (Az.: 8 AZR 402/15).
LAG Frankfurt, Urteil vom 12.06.2015 – 14 Sa 1075/14
Die Formulierungen in einem Stellenprofil „hohe Kommunikationsfähigkeit in deutscher Sprache und
gerne auch Berufseinsteiger “ sind keine Indizien für eine Diskriminierung ausländischer Bewerber
bzw. wegen des Alters
Der Kläger, nicht deutscher Herkunft, hatte sich auf Stellenanzeigen, für die Besetzung eines IT-Service
Desk, an dem telefonische Anfragen von EDV-Nutzern zu bearbeiten sind, beworben und empfand die
genannten Anforderungen als diskriminierend.
Die Klage wurde abgewiesen, weil sich daraus keine mittelbare Diskriminierung wegen der Herkunft
oder der Alters ergibt.
Die Stellenausschreibung lasse erkennen, dass das Erfordernis eines hohen Grads an
Kommunikationsfähigkeit in deutscher Sprache keine perfekten oder muttersprachlichen
Sprachkenntnisse voraussetzt und sachlich gerechtfertigt ist.
Die Bezugnahme auf Berufseinsteiger in der vorliegenden Stellenanzeige sei nicht gleichbedeutend mit
einer Bevorzugung jüngerer Personen, sondern erweitert im Gegenteil den Bewerberkreis, weil damit
zum Ausdruck gebracht wird, dass die Anforderung praktischer Erfahrungen im beschriebenen
Aufgabenbereich auch bei Berufsanfängern vorliegen kann.
VG Stuttgart, Urteil vom 22. 10.2015 – 1 K 5060/13
Verdachtsunabhängige Identitätsfeststellung durch die Bundespolizei rechtswidrig
Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger afghanischer Abstammung und war im November 2013 in
der 1. Klasse eines ICE von drei Bundespolizisten als einzige Person im Waggon kontrolliert worden.
Außerdem wurde eine Abfrage seiner Personalien vorgenommen.
Der Betroffene fühlte sich deswegen diskriminiert und klagte auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit
des polizeilichen Vorgehens.
Das Verwaltungsgericht Stuttgart stellte daraufhin fest, dass die Bundespolizei grundsätzlich nicht
berechtigt ist, im Grenzgebiet zu einem anderen Schengen-Staat auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 Nr. 3
Bundespolizeigesetz (illegale Einreise im Bereich der 30 km-Zone entlang der Grenze)
verdachtsunabhängige Identitätskontrollen vorzunehmen. Sowohl die Identitätsfeststellung als auch der
erfolgte Datenabgleich waren rechtswidrig und verstoßen gegen europäisches Recht (VO (EG) Nr.
562/2006 - Schengener Grenzkodex). Denn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der
Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 22.06.2010 - C-188/10, C-189/10) darf die Ausübung nationaler
Kontrollbefugnisse nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen entfalten, da im SchengenRaum grundsätzlich keine Grenzkontrollen mehr vorgesehen sind. Die gesetzliche
Ermächtigungsgrundlage im Bundespolizeigesetz erfüllt die vom Europäischen Gerichtshof geforderten
normativen Einschränkungen nach Einschätzung des Gerichtes nicht und war daher im vorliegenden Fall
unanwendbar. Verdachtsunabhängige Personenkontrollen sind somit nur dann zulässig, wenn
Deutschland im Einklang mit den unionsrechtlichen Vorgaben vorübergehend wieder Grenzkontrollen
an der betreffenden Binnengrenze einführt.
1. Rechtsprechung
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Der Kläger wurde in dem gerichtlichen Verfahren, neben der Vertretung durch einen Anwalt, auch durch
einen Antidiskriminierungsverband (Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V.) als Rechtsbeistand
unterstützt.
Amtsgericht Hannover, Urteil vom 25.11.2015 – 549 C 12993/14
Diskriminierung an der Diskotür
Das Amtsgericht Hannover hat eine Diskothek dazu verurteilt, 1.000,- Euro Entschädigung wegen
Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu zahlen und es künftig zu
unterlassen, dem Kläger aufgrund seiner ethnischen Herkunft den Zutritt zu verwehren. Dabei verwies
das Gericht ausdrücklich auch auf die Abschreckungswirkung des Urteils.
Der Kläger, ein Deutscher, dessen Mutter aus Sri Lanka stammt, wurde am späten Abend des 13. Juli
2014, nach dem Finalsieg der deutschen Fußballnationalmannschaft, wegen seiner dunklen Hautfarbe
nicht in eine Diskothek im Steintorviertel eingelassen.
Das Gericht hielt es nach der Beweiserhebung für erwiesen, dass "in Ermangelung anderer Gründe die
Dunkelhäutigkeit des Klägers der Grund für den verweigerten Eintritt war". Nach der Vernehmung von
sieben Zeugen stellte das Gericht fest, dass der Kläger mit einem Trikot der deutschen
Fußballnationalmannschaft durchaus dem Anlass entsprechend gekleidet und nicht alkoholisiert war
und auch kein genereller Einlassstopp als Grund in Betracht kam, da die hellhäutigen Begleiter des
Klägers problemlos Zutritt zu der Diskothek erhielten
1.2.2. Geschlecht
Körperlänge bei der Bundespolizei
Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Urteil vom 26. März 2015 – 12 A 120/14
Die Klägerin bewarb sich als Volljuristin mit beiden juristischen Staatsexamina bei der
Bundespolizeiakademie um Einstellung in den Vorbereitungsdienst des höheren Polizeivollzugsdienstes
der Bundespolizei. Die Bewerbung der Klägerin wurde abgelehnt, weil sie mit einer Körperlänge von
1,58 m die Mindestanforderungen der Einstellungsvoraussetzung Körperlänge nicht erfülle. Die
Mindestkörperlänge betrug für Bewerberinnen 1,63 m und für Bewerber 1,65 m. Bei besonders
geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern konnte diese Grenze um bis zu 2 cm unterschritten werden
(Richtlinien für die Auswahl und Einstellung von Bewerberinnen und Bewerbern für den mittleren und
gehobenen Polizeivollzugsdienst in der Bundespolizei).
Zwischen den Beteiligten war unstreitig, dass die Körperlängenanforderungen eine mittelbare
Benachteiligung von Frauen gem. § 3 Abs. 2 AGG wegen des Geschlechts bewirken.
Die Beklagte berief sich hinsichtlich der Festsetzung von Mindestkörperlängen bei
Polizeivollzugsbeamten auf die störungsfreie Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben.
Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht bestätigte, dass die störungsfreie Wahrnehmung
polizeilicher Aufgaben ein angemessenes Ziel sein kann, zu dessen Realisierung eine mittelbare
Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein kann. Allerdings lehnte das Gericht die analoge Übertragung der
Anforderungen für den mittleren und gehobenen Dienst auf den höheren Dienst ab und sah den
1. Rechtsprechung
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Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Zielerreichung durch die pauschale Festsetzung von
Mindestkörpergrößen nicht gewahrt.
Sexuelle Belästigung
Arbeitsgericht Solingen, Urteil vom 24.02.2015 – 3 Ca 1356/13
Der Kläger und sein Vorgesetzter unternahmen gemeinsam eine Dienstreise. Die weiteren Einzelheiten
sind streitig, insbesondere ist streitig, ob der Vorgesetzte des Klägers diesen während der Dienstreise
sexuell missbraucht hat. Der Kläger war danach mehrere Monate arbeitsunfähig. Der beschuldigte
Vorgesetzte des Klägers kehrte, nachdem er zuerst freigestellt wurde und danach einen
Aufhebungsvertrag abgelehnt hatte, an seinen früheren Arbeitsplatz zurück. Der Kläger verlangte zuerst
außergerichtlich von dem Beklagten das Arbeitsverhältnis mit seinem ehemaligen Vorgesetzten zu
beenden oder ihn zumindest so zu versetzen, dass der Kläger seinem früheren Vorgesetzten nicht mehr
begegnen muss. Die Beklagte hatte dem Kläger darauf hin angeboten, entweder in einem anderen
Bereich zu arbeiten oder in seinem früheren Bereich zurück zu kehren. Seitdem arbeiteten der Kläger
und sein ehemaliger Vorgesetzter in verschiedenen Hallen. Der Kläger hatte Strafanzeige gestellt,
wodurch der Vorgesetzte wegen sexuellen Missbrauchs zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Das
Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Das Gericht hat den Antrag des Klägers, auf Entlassung bzw. Versetzung des früheren Vorgesetzten
zurückgewiesen. Die Behauptung des Klägers, er habe keinen einvernehmlichen Sex mit seinem früheren
Vorgesetzten gehabt, konnte nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts glaubhaft gemacht werden, d.h.
dass sämtliche vernünftige Zweifel des Gerichts hätten nicht ausgeschlossen werden können. Diese
Sicht mag angesichts der Tatsache überraschen, dass der frühere Vorgesetzte bereits erstinstanzlich
strafrechtlich, wenn auch nicht rechtskräftig, wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt worden war. Sie
entspricht aber der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach die Arbeitsgerichte Sachverhalte
ohne Bindung an ein Strafurteil selbst aufzuklären und zu bewerten haben (BAG, Urteil v. 18.11.1999-2
AZR 852/98).
Das Verfahren befindet sich in Berufung beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf unter dem Az.: 4 Sa
388/15.
OVG Münster, Urteil vom 23.10.2015 – 4 B 348/15
Dem Antragsteller wurde durch die zuständige Behörde das Einstellen und Ausbilden untersagt, weil er
beschuldigt wurde, mehrere Praktikantinnen sexuell belästigt zu haben. Der Antragsteller hatte im Wege
des einstweiligen Rechtsschutzes die Aufhebung der Unterlassungsverfügung beantragt. Das
Oberverwaltungsgericht NRW hat die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags zurückgewiesen,
weil die Entscheidung nicht durchgreifend in Zweifel gezogen werden konnte.
Ein Ausbilder sei für die Einstellung und Ausbildung von Auszubildenden persönlich ungeeignet, wenn er
unter gezieltem Einsatz seiner wirtschaftlichen Überlegenheit und seines Direktionsrechts als
Arbeitgeber seine Auszubildenden sexuell belästigt. Ein solches Verhalten lässt die Bereitschaft zum
Missbrauch des Ausbildungsverhältnisses zu eigenen Zwecken erkennen. Dementsprechend beschränkt
sich die Unfähigkeit zur Ausbildung nicht nur auf die Ausbildung weiblicher Auszubildende. Vielmehr
könne er gegenüber männlichen Auszubildenden seiner Vorbildfunktion nicht mehr gerecht werden.
1. Rechtsprechung
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Schwangerschaft
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.03.2015 – 2 AZR 237/14
Die Klägerin erklärte dem Beklagten, ihrem Arbeitgeber, in einem persönlichen Gespräch, dass sie ihren
Kinderwunsch demnächst durch eine künstliche Befruchtung erfüllen wolle. Zwei Wochen später
kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis und stellte die Klägerin von der Arbeit frei. Eine Woche nach
der Kündigung wurde eine Schwangerschaft bei der Klägerin festgestellt. Der Tag des
Embryonentransfers lag eine Woche vor der Kündigung. Die Klägerin wandte sich gegen die Kündigung,
weil sie zum Zeitpunkt der Kündigung schon schwanger war, so dass der Kündigungsschutz nach dem
Mutterschutzgesetz schon gegeben war. Außerdem sei sie durch die Kündigung wegen des Geschlechts
diskriminiert worden, weil der Beklagte sie wegen ihrer Ankündigung einer künstlichen Befruchtung
gekündigt habe. Das Kündigungsschutzgesetz konnte keine Anwendung finden, weil der Beklagte zu
wenig Angestellte hat. Die Klägerin hat aufgrund des Embryonentransfers ein Kind entbunden.
Das Bundesarbeitsgericht hat die Kündigung für unzulässig erklärt, weil die Klägerin bei Zugang der
Kündigung schwanger gewesen sei. Das Gericht stellte fest, dass im Fall einer Schwangerschaft aufgrund
einer Befruchtung außerhalb des Körpers (In-vitro-Fertilisation) der besondere Kündigungsschutz mit
der Einsetzung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter (Embryonentransfer) und nicht erst mit der
Einnistung (Nidation) beginnt. Eine Schwangerschaft bei Durchführung einer In-vitro-Fertilisation könne
aus Gründen der Rechtssicherheit frühestens im Zeitpunkt des Embryonentransfers und nicht bereits mit
Befruchtung der Eizelle außerhalb des Körpers beginnen. Da das „Einfrieren“ befruchteter Eizellen zum
Schutz von Embryonen zeitlich nicht begrenzt ist, könne sich eine Arbeitnehmerin sonst unter
Umständen mehrere Jahre auf den besonderen Kündigungsschutz gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG
berufen. Das Zurückrechnen auf die letzte Periode würde andererseits dazu führen, dass die Tage vor
dem Embryonentransfer in den besonderen Kündigungsschutz einbezogen würden, ohne dass es dafür
einen notwendigen Grund gäbe. Ein Zeitpunkt der nach dem Embryonentransfer liege, wäre nicht
sinnvoll, weil der Mutterschutz dem Zweck diene, die im Arbeitsverhältnis stehende Mutter vor
arbeitsplatzbedingten Gefahren, Überforderungen und Gesundheitsschädigungen zu schützen. Deshalb
müsse vom frühestens möglichen Zeitpunkt der Schwangerschaft, also dem Zeitpunkt des
Embryonentransfers, ausgegangen werden.
Weiterhin hat das Bundesarbeitsgericht bestätigt, dass die Kündigung einer Frau wegen der
Schwangerschaft eine unmittelbare Benachteiligung des Geschlechts darstellt, die auch, wenn das
Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar ist, d.h. bei Kleinstbetrieben und in der Probezeit, gem. § 134
BGB i.V. mit § 7 Abs. 1 AGG unwirksam ist.
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.09.2015 – 23 Sa 1045/15
Der Beklagte hatte der bei ihm beschäftigten Klägerin bereits während der Probezeit gekündigt. Diese
Kündigung hatte das Arbeitsgericht Berlin in einem vorangegangenen Kündigungsschutzverfahren nach
§ 9 Mutterschutzgesetz – MuSchG – für unwirksam erklärt, weil die Klägerin ihrem Arbeitgeber gleich
nach der Kündigung unter Vorlage des Mutterpasses mitgeteilt hatte, dass sie schwanger sei und der
Arbeitgeber keine Zustimmung der Arbeitsschutzbehörde zur Kündigung eingeholt hatte. Einige Monate
später kündigte der Beklagte ein weiteres Mal ohne Zustimmung der Arbeitsschutzbehörde und berief
sich darauf, dass er nicht wusste, ob die Klägerin zu Beginn des Mutterschutzes noch schwanger war,
weil er von ihr keine Mitteilung darüber erhalten habe.
Das Gericht stellte fest, dass eine Kündigung gegenüber einer schwangeren Arbeitnehmerin unter
Verstoß gegen das Kündigungsverbot des § 9 Abs. 1 MuSchG regelmäßig die Voraussetzungen des
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Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot gemäß § 7 AGG erfüllt. Der Kausalzusammenhang
zwischen benachteiligender Behandlung und dem Merkmal Geschlecht sei bereits dann gegeben, wenn
die Benachteiligung an die Schwangerschaft anknüpft oder durch diese motiviert ist. Dabei sei es nicht
erforderlich, dass der betreffende Grund das ausschließliche Motiv für das Handeln ist. Auf ein
schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht komme es nicht an.
Der Einwand des Beklagten, er habe angenommen, die Schwangerschaft sei bereits beendet, hat das
Gericht für unberechtigt gehalten. Es hätten keine Anhaltspunkte für ein Ende der Schwangerschaft
vorgelegen. Auch sei die Klägerin nicht verpflichtet gewesen, den Arbeitgeber stets von dem
Fortbestand der Schwangerschaft in Kenntnis zu setzen.
Ungeachtet der Unwirksamkeit einer diskriminierenden Kündigung sperre § 2 Abs. 4 AGG
weitergehende Ansprüche auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht.
Vom Vorliegen eines immateriellen Schadens im Sinne des § 15 Abs. 2 AGG sei auszugehen, wenn ein
Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot feststeht. Die im diskriminierenden Verhalten liegende
Persönlichkeitsverletzung solle als solche unabhängig von der Frage sanktioniert werden, ob nach einer
unwirksamen Kündigung das Arbeitsverhältnis fortbesteht und fortgesetzt wird.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 11. Juni 2015 – 11 Sa 194/15
Die Klägerin, die verheiratet ist und ein Kind hat, hatte sich als Buchhalterin bei der Beklagten, die einen
Kleinstbetrieb führt, beworben. Die Beklagte lehnte die Bewerbung ab und sandte die
Bewerbungsunterlagen zurück. Auf dem zurückgesandten Lebenslauf befand sich neben der Zeile über
der Textzeile „Verheiratet, ein Kind“ der Vermerk „7 Jahre alt!“.
Die Klägerin hat deshalb eine Entschädigung in Höhe von 3.000,00 Euro aufgrund einer unzulässigen
Benachteiligung wegen des Geschlechts geltend gemacht. Die Klage wurde in der ersten Instanz mit der
Begründung abgewiesen, dass die Ungleichbehandlung nicht wegen des Geschlechts erfolgte, sondern
wegen der Elternschaft, so dass sowohl Mütter als auch Väter betroffen sein könnten. In der
Berufungsinstanz wurde die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung von 3.000,00 Euro nebst Zinsen
wegen einer mittelbaren Diskriminierung der Klägerin. Die Revision wurde zugelassen. Das
Bundesarbeitsgericht hat das Urteil teilweise aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung
an das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Das Bundesarbeitsgericht begründete seine Entscheidung
damit, dass das Landesarbeitsgericht das Vorliegen einer unmittelbaren Benachteiligung aufgrund des
Vermerks im Lebenslauf nicht geprüft habe. Eine unmittelbare Benachteiligung sei aber immer vorrangig
gegenüber einer mittelbaren Benachteiligung zu prüfen.
Die Parteien setzten sich in ihren Begründungen vor dem Landesarbeitsgericht mit den
unterschiedlichen Rollenverständnissen von Männern und Frauen im Rahmen der Familienarbeit
auseinander. In der abschließenden Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes Hamm kam das Gericht zu
dem Ergebnis, dass ein Kausalzusammenhang zwischen der Bewerbungsablehnung und dem Merkmal
„Geschlecht“ aufgrund des Vermerks auf dem Lebenslauf indiziert ist. Der Vermerk begründe die
Vermutung, dass die Regelung der Kinderbetreuung für die Ablehnung der Klägerin bedeutsam war. Die
Beklagte habe nicht dargelegt, dass diese Frage für sie, sowohl bei Männern als auch bei Frauen,
gleichermaßen eine Rolle spiele. Die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Berufstätigkeit sei nur für
Frauen als Einstellungshindernis in den Blick genommen worden.
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Anrechnung von Schadensersatz und Entschädigung auf Grundsicherung
Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 17. August 2015 – L 9 AS 618/14
Die Klägerin, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach SGB II von der Beklagten bezog,
hatte vor dem Arbeitsgericht eine Zahlung aufgrund eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs gem. § 15 AGG
erhalten. Nach Eingang der Vergleichssumme auf dem Konto des Klägers hob die Beklagte den
Bewilligungsbescheid auf, weil die Zahlung als Einkommen anzurechnen sei. Das Sozialgericht hat die
Entscheidung der Beklagten als rechtmäßig anerkannt, da aus dem Vergleich vor dem Arbeitsgericht
nicht zu erkennen sei, dass es sich bei der Zahlung um eine Schadensersatz gem. § 11 a Abs. 2 SGB II
handelt, der eine Anrechnung als Einkommen unmöglich machen würde. Das Hessische
Landessozialgericht hat dies in seiner abschließenden Entscheidung bestätigt. In seiner
Entscheidungsbegründung ging das Landessozialgericht grundsätzlich erst einmal davon aus, dass
Entschädigungszahlungen gem. § 15 Abs. 2 AGG als privilegiertes Einkommen gem. § 11 a Abs. 2 SGB II
nicht als Einkommen anzurechnen seien. Das gelte jedoch nicht für Schadensersatzzahlungen auf der
Grundlage des § 15 Abs. 1 AGG, da diese verschuldensabhängig seien und dem Ausgleich eines
materiellen Schadens dienten. Der Entschädigungsanspruch gem. § 15 Abs. 2 AGG sei dagegen
verschuldensunabhängig und ersetze einen immateriellen Schaden.
Die Unterscheidung könne jedoch nur dann zur Geltung kommen, wenn sich der
Entschädigungscharakter aus dem arbeitsgerichtlichen Vergleich selbst ergibt und der Vergleich nicht
nur zur Beseitigung einer Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens geschlossen wurde.
1.2.3. Behinderung
Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25.03.2015- 1 BvR 1803/11
Keine Diskriminierung durch den Ausschluss der schwerbehinderten Beschäftigten von einer
Sozialplanabfindung, die eine Erwerbsminderungsrente beziehen können
Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde eines schwerbehinderten, ehemals als
Schichtelektriker beschäftigten Mannes nicht zur Entscheidung angenommen. Er hatte bis vor das
Bundesarbeitsgericht dagegen geklagt, aufgrund des Bezugs einer Erwerbsminderungsrente von einer
Abfindung ausgenommen worden zu sein, die aufgrund der Betriebsschließung im Sozialplan vereinbart
worden war. Das Bundesverfassungsgericht bestätigt mit der Nichtannahme im Ergebnis die
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 07.06.2011, Aktenzeichen: 1 AZR 34/10). Dieses
hatte in der im Sozialplan vereinbarten Ausnahme zulasten der Bezieher einer Erwerbsminderungsrente
keine Diskriminierung wegen einer Behinderung gesehen. Jedoch korrigiert es inhaltlich die vom
Bundesarbeitsgericht abgegebene Begründung für das Urteil, insbesondere dessen Erläuterungen zum
Diskriminierungsbegriff.
Entgegen dem Bundesarbeitsgericht stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass sich die vom
Sozialplan ausgeschlossenen und die davon begünstigten Beschäftigten in einer vergleichbaren Situation
befinden. Die Vergleichbarkeit ist eine wesentliche Bedingung für die Annahme einer Diskriminierung.
Diskriminierend sind grundsätzlich nur Benachteiligungen im Vergleich zu anderen Personen (vgl. § 3
Abs. 1 und 2 AGG: „(…) eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer
vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde (…) gegenüber anderen Personen in
besonderer Weise benachteiligen(…)“). Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts seien die Bezieher von
Erwerbsminderungsrente bei der Vereinbarung des Sozialplans nicht mit den aktiv Beschäftigten
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vergleichbar. Denn nur letztere würden durch die Betriebsstilllegung ihre Verdienstmöglichkeiten
verlieren. Dem widerspricht das Bundesverfassungsgericht. In beiden Fällen trete ein Arbeitsplatzverlust
ein, so dass eine vergleichbare Situation vorliege.
Das Bundesverfassungsgericht verdeutlicht, dass eine verbotene Benachteiligung nicht nur bei
Maßnahmen vorliege: „(…)die die Situation von Behinderten wegen der Behinderung verschlechtern.
Eine Benachteiligung kann auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten
gegeben sein, wenn dieser Ausschluss nicht durch eine auf die Behinderung bezogene
Förderungsmaßnahme hinlänglich kompensiert wird.“ Insofern sei der Ausschluss der Bezieher einer
Erwerbsminderungsrente zwar gegenüber den vom Sozialplan begünstigten Beschäftigten
benachteiligend, jedoch hinlänglich kompensiert.
Mit dem E-Scooter in den Linienbus?
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.6.2015-13 B 159/15; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom
20.11.2015-1 U 64/15
Sogenannte Elektromobile (auch E-Scooter) sichern die Mobilität gehbehinderter Menschen. Mit diesen
kleinen, elektrisch betriebenen Fahrzeugen für nur eine Person (genaue Beschreibung in: Ministerium für
Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, „Untersuchung der
Mitnahmemöglichkeiten von Elektromobilen (E-Scootern) in Linienbussen“, Schlussbericht, Oktober
2015, S. 15, http://www.mbwsv.nrw.de/verkehr/_pdf_container/Gutachten_4252-MitnahmeElektromobile-SB-v1_00-2015-10-09.pdf) können sie ohne fremde Hilfe größere Distanzen überwinden
und Geschäfte des täglichen Lebens erledigen. Die Bedeutung der Fahrzeuge für die Selbstständigkeit
und den Bewegungsradius von behinderten Menschen mag erklären, warum über die Mitnahme von EScootern in Bussen des öffentlichen Nahverkehrs mehrfach vor Gericht gestritten worden ist.
Das jüngste Urteil zu dieser Fragestellung des Schleswig-Holsteinischen Landesgerichtes vom
20.11.2015 (Aktenzeichen 1 U 64/15) stärkt die rechtlichen Interessen der behinderten Nutzerinnen und
Nutzer. Jedenfalls ein pauschales Verbot der Mitnahme von Elektromobilen in Bussen, so das Gericht,
verstößt gegen das Benachteiligungsverbot gemäß § 19 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.
Anlass für das Verfahren war die Pressemitteilung eines städtischen Verkehrsunternehmens, in der ein
generelles Verbot für den Transport von E-Scootern in Bussen erklärt worden war.
Das Schleswig-Holsteinische Landesgericht hebt in seinem Urteil hervor, dass gehbehinderte Menschen
auch deshalb auf eine möglichst uneingeschränkte Nutzung der Elektromobile angewiesen seien, weil
diese von Krankenkassen häufiger als elektrische Rollstühle bezahlt würden, weil sie billiger seien.
Insofern könnten auch die vom Verkehrsunternehmen vorgebrachten Sicherheitsbedenken das
pauschale Mitnahmeverbot nicht rechtfertigen. Das Unternehmen hatte sich auf eine Empfehlung des
Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. gestützt, wonach beim Transport der E-Scooter Risiken
des Kippens und des Rutschens bestünden. Aus Sicht des Landesgerichts war damit jedoch nicht
ausreichend begründet worden, dass die angeführten Unfallrisiken gleichermaßen auf jedes der 400 zum
Teil baulich unterschiedlichen Modelle von E-Scootern auf dem Markt zuträfen.
Anders hatte noch das Nordrhein-Westfälische Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom
15.06.2015 entschieden (Aktenzeichen 13 B 159/15). Aufgrund von Unfallrisiken sollten
Verkehrsunternehmen aus Sicht des Oberverwaltungsgerichts nicht zur Beförderung eines Elektromobils
verpflichtet werden. Es gebe keine praktikablen und technisch realisierbaren Möglichkeiten, um die
Elektromobile währen der Fahrt an einem Platz zu sichern.
1. Rechtsprechung
11
Allerdings erging dieser Beschluss noch vor der Veröffentlichung eines aktuellen vom Ministerium für
Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegebenen
Untersuchungsberichts im Oktober 2015. Der Bericht zeigt auf, dass zumindest bei vierrädrigen EScootern eine kippsichere Aufstellung eines Elektromobils an den vorgesehenen Rollstuhlplätzen
möglich erscheint (Schlussbericht, Oktober 2015, S. 8).
Mit Blick auf diese Einschätzung und in Linie mit dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Landesgerichtes sind die Verkehrsunternehmen also aufgefordert, bei eventuellen Mitnahmeverboten
von Elektromobilen genau nach den Fahrzeugtypen zu differenzieren. Und noch in einem weiteren
Punkt zeigt das Urteil aus Schleswig-Holstein eine begrüßenswerte Entwicklung im
Antidiskriminierungsrecht auf. Es ist von einem Verein von Menschen mit körperlichen Behinderungen
erwirkt worden, der von einem Verbandsklagerecht Gebrauch gemacht hat. Die Möglichkeit zur
Verbandklage ist in Diskriminierungsfällen bislang selten genutzt worden, obwohl sie ein sehr effektives
Mittel zur Beseitigung einer Diskriminierung für gleich eine ganze Gruppe von Betroffenen ist (vgl. Sie
die Informationen des Deutschen Instituts für Menschenrechte zu „Rechte und
Beteiligungsmöglichkeiten für Verbände in Gerichts- und Beschwerdeverfahren zum
Diskriminierungsschutz“, http://www.aktiv-gegen-diskriminierung.de/rolle-von-verbaenden).
1.2.4. Alter______
VG Neustadt, Urteil vom 08.01.2015-4 K 561/14 NW
„Altersgrenze von 67 Jahren bei Schornsteinfegern“
Leitsätze:
Die Altersgrenze von 67 Jahren in § 12 Abs. 1 Nr. 3 SchfHwG verstößt ebenso wie die bis 31.
Dezember 2012 geltende Altersgrenze von 65 Jahren (§ 9 SchfG) nicht gegen die Vorgaben des AGG
bzw. der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines
allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf.
Ein Bezirksschornsteinfegermeister, der unter der Geltung des § 9 SchfG die Altersgrenze zur
Ausübung seines Berufs erreicht hat, kann nicht auf der Grundlage des am 1. Januar 2013 in Kraft
getretenen § 10 SchfHwG als bevollmächtigter Bezirksschornsteinfeger bestellt werden.
BAG, Urteil vom 13.01.2015 – 3 AZR 897/12
„Auslegung einer Versorgungsordnung“
Leitsätze:
Ein im Wege der Gesamtzusage erteiltes Versorgungsversprechen ist regelmäßig dynamisch.
Verspricht der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Gesamtversorgung, ist regelmäßig davon
auszugehen, dass die Betriebsrente erst beansprucht werden kann, wenn gleichzeitig eine Rente
aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen wird.
Vorinstanz LAG Düsseldorf, Urteil vom 29.06.2012 – 6 Sa 333/12
1. Rechtsprechung
12
BVerwG, Urteil vom 21.01.2015 – 10 CN 1/14
„Höchstaltersgrenze - Prüfsachverständige für technische Anlagen und Einrichtungen in Gebäuden“
Leitsatz:
Die Gewährleistung der Bausicherheit dient im Sinne von Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG
dem Erfordernis der öffentlichen Sicherheit. Sie ist ein legitimes Ziel, das für Prüfsachverständige
für technische Anlagen und Einrichtungen in Gebäuden eine Ungleichbehandlung wegen des Alters
durch Festsetzung einer generellen Höchstaltersgrenze von 70 Jahren rechtfertigen kann.
Vorinstanz VGH Hessen, Urteil vom 07.08.2013 – 7 C 897/13
OVG des Saarlandes, Urteil vom 04.02.2015 – 1 A 11/14
„Höchstaltersgrenze für Prüfsachverständige mit bauaufsichtlichen Tätigkeiten“
Leitsatz:
„Die im Saarland für die Anerkennung und das Tätigwerden als Prüfsachverständiger nach der
"Verordnung über die Prüfberechtigten und Prüfsachverständigen nach der Landesbauordnung"
geltende Altersgrenze von 68 Jahren dient nach den Vorstellungen und dem Willen des
Landesgesetzgebers im Sinn des Art. 2 Abs.5 Richtlinie 2000/78/EG der Gewährleistung der
öffentlichen Sicherheit, insbesondere dem Schutz der Gesundheit und der Rechte und Freiheiten all
der Personen, die sich in oder in der Nähe baulicher Anlagen aufhalten bzw. technische Anlagen
und Einrichtungen benutzen.“
Vorinstanz VG Saarland, Urteil vom 12.12.2013 – 1 K 758/12
BAG, Urteil vom 11.02.2015 – 7 AZR 17/13
„Befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Erreichung des Rentenalters“
Leitsatz:
„Eine bei oder nach Erreichen des Renteneintrittsalters getroffene Vereinbarung über die befristete
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, die nicht in den Anwendungsbereich des § 41 Satz 3 SGB VI
fällt, kann nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 TzBfG sachlich gerechtfertigt sein. Dies setzt voraus, dass
der Arbeitnehmer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beanspruchen kann und
dass die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses einer konkreten, im Zeitpunkt der
Vereinbarung der Befristung bestehenden Personalplanung des Arbeitgebers dient. Durch eine
derartige Befristung wird der Arbeitnehmer nicht in unzulässiger Weise wegen des Alters
diskriminiert.“
Der am 21. Januar 1945 geborene Kläger, der seit Vollendung seines 65. Lebensjahres am 21. Januar 2010
gesetzliche Altersrente bezieht, war bei der Beklagten langjährig beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag sah
keine Regelung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen des gesetzlichen
Renteneintrittsalters vor. Am 22. Januar 2010 vereinbarten die Parteien, dass das Arbeitsverhältnis am
31. Dezember 2010 ende. Dieser Vertrag wurde zweimal verlängert. Nachdem der Kläger um eine
Weiterbeschäftigung gebeten hatte, vereinbarten die Parteien zuletzt am 29. Juli 2011, dass der
Arbeitsvertrag ab 1. August 2011 mit veränderten Konditionen weitergeführt werde und am 31.
Dezember 2011 ende. Der Vertrag enthält die Abrede, dass der Kläger eine noch einzustellende
Ersatzkraft einarbeitet. Der Kläger hat die Feststellung begehrt, dass sein Arbeitsverhältnis nicht durch
die Befristung am 31. Dezember 2011 geendet hat.
1. Rechtsprechung
13
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor dem Siebten Senat des
Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die Sache wurde zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das
Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Der Bezug von gesetzlicher Altersrente allein rechtfertigt die
Befristung des Arbeitsverhältnisses aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen (§ 14 Abs. 1
Satz 2 Nr. 6 TzBfG) nicht. Erforderlich ist in diesem Fall vielmehr zusätzlich, dass die Befristung einer
konkreten Nachwuchsplanung der Beklagten diente. Hierzu hat das Landesarbeitsgericht bislang keine
tatsächlichen Feststellungen getroffen.
Vorinstanz LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.11.2012 – 12 Sa 1303/12
LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 19.02.2015 – 5 Sa 168/14
„Urlaubsdauer in Abhängigkeit vom Alter“
Leitsatz:
„Gewährt ein Haustarifvertrag einer Klinik Arbeitnehmern ab Vollendung des 50. Lebensjahres 2
Tage mehr Urlaub, kann dies nach § 10 Abs. 1 AGG zulässig sein.“
Vorinstanz ArbG Schwerin, Urteil vom 21.05.2014 – 55 Ca 2172/13
VG Ansbach, Urteil vom 24.03.2015 - AN 1 K 13.00476
„Altersabhängige Anerkennung von Beschäftigungszeiten“
Leitsatz:
„Die ermessensleitende Regelung in Ziff 31.2.8 Buchst d BayVwVBes ist insoweit mit dem AGG
nicht vereinbar, als die ersten beiden Beschäftigungsjahre nur anerkannt werden, wenn sie nach
Vollendung des 29. Lebensjahrs liegen.“
BVerfG, Beschluss vom 21.04.2015 - 2 BvR 1322/12, 2 BvR 1989/12
„Höchstaltersgrenzen für die Verbeamtung in NRW sind verfassungswidrig“
Leitsatz:
„Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Einführung von
Einstellungshöchstaltersgrenzen im Öffentlichen Dienst.“
Geklagt hatten zwei angestellte Lehrkräfte, die die Verbeamtung auf Probe verlangten, obwohl sie die
nach der maßgeblichen Laufbahnverordnung geltende Höchstaltersgrenze von 40 Jahren bereits
überschritten haben. Das BVerfG hat beiden Verfassungsbeschwerden stattgegeben. Es stellte fest, dass
das Nordrhein-Westfälische Landesbeamtengesetz „keine hinreichend bestimmte
Verordnungsermächtigung zur Festsetzung von Einstellungshöchstaltersgrenzen“ enthalte. Die in der
Laufbahnverordnung vorgesehenen Regelungen zu den Höchstaltersgrenzen seien daher mit Art. 33 GG
nicht vereinbar. Das Gericht stellte aber klar, dass der Gesetzgeber unter bestimmten Voraussetzungen
Höchstaltersgrenzen festlegen darf.
Beide Verfahren wurden zur erneuten Entscheidung an das Bundesverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Vorinstanz BVerwG, Urteil vom 23.02.2012 – 2 C 79/10
1. Rechtsprechung
14
VG Freiburg, Beschluss vom 27.04.2015 – 3 K 862/15
„Höchstaltersgrenze für den Laufbahnaufstieg im Polizeivollzugsdienst“
Leitsatz:
„Die Höchstaltersgrenze von 36 Jahren für die Zulassung zum Aufstieg in den gehobenen
Polizeivollzugsdienst ist voraussichtlich nicht mit Verfassungsrecht, dem Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz und Europarecht vereinbar.“
Dies entschied das Verwaltungsgericht Freiburg und gab damit dem Eilantrag eines Polizeibeamten
statt, der die Teilnahme am Auswahlverfahren erreichen wollte. Seine Bewerbung um Zulassung zum
gehobenen Polizeivollzugsdienst hatte sein Dienstherr, das Land Baden-Württemberg, allein mit der
Begründung abgelehnt, er sei 38 Jahre alt und habe daher die in der Polizei-Laufbahn-Verordnung
normierte Höchstaltersgrenze von 36 Jahren bereits überschritten.
Das Verwaltungsgericht führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Die Regelung über die
Höchstaltersgrenze von 36 Jahren verstoße voraussichtlich gegen das im Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz und in der EU-Richtlinie 2000/78/EG normierte Verbot der
Altersdiskriminierung und gegen Verfassungsrecht. Die Höchstaltersgrenze schränke in
unverhältnismäßiger Weise die Freiheit der Berufswahl und den Leistungsgrundsatz gemäß Art. 33
Abs. 2 des Grundgesetzes ein, wonach jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen
Leistung gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern hat. Zwar erhöhten sich die Versorgungsansprüche
des Beamten infolge des Aufstiegs. Auch müsse der Dienstherr für die Ausbildung eines
Aufstiegsbeamten erhebliche Aufwendungen leisten, da der Beamte in dieser Zeit vom sonstigen Dienst
unter Fortzahlung seines Gehalts freigestellt werde. Diese versorgungs- und haushaltsrechtlichen
Aufwendungen seien aber in Relation zu der Dauer der nach erfolgreicher Ausbildung verbleibenden
Dienstzeit im gehobenen Polizeivollzugsdienst zu setzen. Der Aufstiegsbeamte stehe dem Dienstherrn
im gehobenen Polizeivollzugsdienst grundsätzlich bis zum Eintritt in den Ruhestand - nach Vollendung
des 62. Lebensjahres - zur Verfügung. Bei der Höchstaltersgrenze von 36 Jahren verbleibe nach
Beendigung der 30-monatigen Ausbildung eine regelmäßige Dienstzeit im gehobenen
Polizeivollzugsdienst von mindestens 23,5 Jahren. Zur Vermeidung eines Missverhältnisses von
Dienstzeit im gehobenen Polizeivollzugsdienst einerseits und Versorgungslast bzw. Investitionen in die
Ausbildung andererseits dürfte eine derart lange Dienstzeit nicht erforderlich sein.
Die von anderen Gerichten noch anerkannte verbleibende Dienstzeit von 20 Jahren in der höheren
Laufbahn werde deutlich überschritten. Zudem sei an der Höchstaltersgrenze von 36 Jahren, die sich
bundesweit ohnehin am untersten Rand bewege, festgehalten worden, obwohl seit 2011 die aktive
Dienstzeit von Polizeibeamten durch Heraufsetzung des Pensionsalters von 60 auf 62 Jahre verlängert
worden sei.
OVG des Landes NRW, Beschluss vom 05.06.2015 – 6 A 455/15
„Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand ist mit Gleichbehandlungsrichtlinie vereinbar“
Leitsätze:
Erfolgloser Antrag eines Ministerialrats auf Zulassung der Berufung, der die Weiterbeschäftigung
über die in § 31 Abs. 2 LBG NRW festgelegte Altersgrenze hinaus begehrt.
In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die Bestimmungen der §§ 31, 32 LBG NRW auch in der zum
1. Juni 2013 in Kraft getretenen Fassung des § 32 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW mit der Richtlinie
2000/78/EG und § 10 Abs. 1 Satz 1 AGG vereinbar sind.
Vorinstanz VG Düsseldorf, Beschluss vom 30.01.2015 – 13 K 3574/14
1. Rechtsprechung
15
BAG, Entscheidung vom 18.06.2015 – 8 AZR 848/13
„Vorentscheidungsersuchen –Diskriminierungsschutz auch bei Scheinbewerbung ?“
Dem EuGH wurde im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens u. a. folgende Frage vorgelegt:
„Ist das Unionsrecht dahingehend auszulegen, dass auch derjenige "Zugang zur Beschäftigung oder zur
abhängigen Erwerbstätigkeit" sucht, aus dessen Bewerbung hervorgeht, dass nicht eine Einstellung und
Beschäftigung, sondern nur der Status als Bewerber erreicht werden soll, um Entschädigungsansprüche
geltend machen zu können?“
Der Kläger hat 2001 die Ausbildung zum Volljuristen abgeschlossen und ist seither überwiegend als
selbständiger Rechtsanwalt tätig. Die Beklagte, die zu einem großen Versicherungskonzern gehört,
schrieb ein „Trainee-Programm 2009“ aus. Dabei stellte sie als Anforderung einen nicht länger als ein
Jahr zurückliegenden oder demnächst erfolgenden sehr guten Hochschulabschluss und qualifizierte
berufsorientierte Praxiserfahrung durch Ausbildung, Praktika oder Werkstudententätigkeit. Bei der
Fachrichtung Jura wurden zusätzlich eine arbeitsrechtliche Ausrichtung oder medizinische Kenntnisse
erwünscht. Der Kläger bewarb sich hierfür. Er betonte im Bewerbungsschreiben, dass er als früherer
leitender Angestellter einer Rechtsschutzversicherung über Führungserfahrung verfüge. Derzeit besuche
er einen Fachanwaltskurs für Arbeitsrecht. Weiter führte er aus, wegen des Todes seines Vaters ein
umfangreiches medizinrechtliches Mandat zu betreuen und daher im Medizinrecht über einen
erweiterten Erfahrungshorizont zu verfügen. Als ehemaliger leitender Angestellter und Rechtsanwalt sei
er es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen und selbständig zu arbeiten. Nach der Ablehnung seiner
Bewerbung verlangte der Kläger eine Entschädigung iHv. 14.000,00 Euro. Die nachfolgende Einladung
zum Gespräch mit dem Personalleiter der Beklagten lehnte er ab und schlug vor, nach Erfüllung seines
Entschädigungsanspruchs sehr rasch über seine Zukunft bei der Beklagten zu sprechen. Aufgrund der
Bewerbungsformulierung und des weiteren Verhaltens geht der Senat davon aus, dass sich der Kläger
nicht mit dem Ziel einer Einstellung beworben hat.
Das Bewerbungsschreiben steht einer Einstellung als „Trainee“ entgegen. Die Einladung zu einem
Personalgespräch hat er ausgeschlagen. Damit ist der Kläger nach nationalem Recht nicht „Bewerber“
und „Beschäftigter“ iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG.
Das Unionsrecht nennt jedoch in den einschlägigen Richtlinien nicht den „Bewerber“, sondern schützt
den „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger und selbständiger Erwerbstätigkeit“. Nicht geklärt
ist, ob das Unionsrecht ebenfalls voraussetzt, dass wirklich der Zugang zur Beschäftigung gesucht und
eine Einstellung bei dem Arbeitgeber tatsächlich gewollt ist. Ob für das Eingreifen des unionsrechtlichen
Schutzes das Vorliegen einer formalen Bewerbung genügt, ist eine allein dem Gerichtshof
überantwortete Auslegungsfrage.
Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 18. März 2013 - 7 Sa 1257/12
BAG, Urteil vom 4. August 2015 - 3 AZR 137/13
Leitsatz:
„Eine Spätehenklausel, die einem Arbeitnehmer Hinterbliebenenversorgung für seinen Ehegatten
nur für den Fall zusagt, dass die Ehe vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Arbeitnehmers
geschlossen ist, benachteiligt den Arbeitnehmer unzulässig wegen des Alters.“
Die Klägerin ist die Witwe eines im April 1947 geborenen und im Dezember 2010 verstorbenen
ehemaligen Mitarbeiters der Beklagten. Diesem waren Leistungen der betrieblichen Altersversorgung
1. Rechtsprechung
16
einschließlich einer Witwenversorgung zugesagt worden. Die maßgebliche Pensionsregelung enthält
eine „Spätehenklausel“, nach der zusätzliche Voraussetzung für die Zahlung der Witwen-/Witwerrente
ist, dass der versorgungsberechtigte Mitarbeiter die Ehe vor der Vollendung seines 60. Lebensjahres
geschlossen hat. Diese Voraussetzung erfüllte der verstorbene Ehemann der Klägerin nicht; die Ehe war
erst am 8. August 2008 geschlossen worden. Die Beklagte weigerte sich aus diesem Grund, an die
Klägerin eine Witwenrente zu zahlen.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Dritten Senat des
Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die „Spätehenklausel“ ist gemäß § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Der
verstorbene Ehemann der Klägerin wurde durch die „Spätehenklausel“ unmittelbar wegen des Alters
benachteiligt. Die Benachteiligung kann weder in direkter noch in entsprechender Anwendung von § 10
Satz 3 Nr. 4 AGG gerechtfertigt werden. Diese Bestimmung lässt bei den betrieblichen Systemen der
sozialen Sicherheit Unterscheidungen nach dem Alter unter erleichterten Voraussetzungen zu. Sie
erfasst, soweit es um Altersgrenzen als Voraussetzung für den Bezug von Leistungen der betrieblichen
Altersversorgung geht, nur die Alters- und Invaliditätsversorgung und nicht die
Hinterbliebenenversorgung und damit auch nicht die Witwen-/Witwerversorgung. Die Voraussetzungen
für eine Rechtfertigung der unmittelbaren Benachteiligung wegen des Alters nach § 10 Sätze 1 und 2
AGG liegen nicht vor. Die „Spätehenklausel“ führt zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen
Interessen der versorgungsberechtigten Arbeitnehmer.
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 15. Januar 2013 - 7 Sa 573/12
BAG, Urteil vom 23. Juli 2015 - 6 AZR 457/14
Leitsatz:
„Eine altersdiskriminierende Kündigung ist im Kleinbetrieb nach § 134 BGB i. V. m. § 7 Abs. 1, §§ 1,
3 AGG unwirksam.“
Die am 20. Januar 1950 geborene Klägerin war bei der beklagten Gemeinschaftspraxis seit dem 16.
Dezember 1991 als Arzthelferin beschäftigt. In der Praxis waren im Jahr 2013 noch vier jüngere
Arbeitnehmerinnen tätig. Die Klägerin war zuletzt überwiegend im Labor eingesetzt. Die Gesellschafter
der Beklagten kündigten ihr Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 24. Mai 2013 zum 31. Dezember 2013
wegen Veränderungen im Laborbereich, welche eine Umstrukturierung der Praxis erforderten. Dabei
führten sie an, die Klägerin sei „inzwischen pensionsberechtigt“. Den anderen Beschäftigten wurde nicht
gekündigt.
Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit der Kündigung und verlangt eine
Entschädigung wegen Altersdiskriminierung. Das Kündigungsschreiben lasse eine Benachteiligung
wegen ihres Alters vermuten. Nach Darstellung der Beklagten sollte die Kündigung lediglich freundlich
und verbindlich formuliert werden. Die Kündigung sei wegen eines zu erwartenden Entfalls von 70 bis
80 % der abrechenbaren Laborleistungen erfolgt. Die Klägerin sei mit den übrigen Arzthelferinnen nicht
vergleichbar, weil sie schlechter qualifiziert sei. Deshalb sei ihr gekündigt worden. Die Vorinstanzen
haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Sechsten Senat des
Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die Kündigung verstößt gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1
AGG und ist deshalb unwirksam. Die Beklagte hat keinen ausreichenden Beweis dafür angeboten, dass
die wegen der Erwähnung der „Pensionsberechtigung“ zu vermutende Altersdiskriminierung nicht
vorliegt. Ob und ggf. in welcher Höhe der Klägerin der geltend gemachte Entschädigungsanspruch
zusteht, kann noch nicht festgestellt werden. Die Sache wurde insoweit zur neuen Verhandlung und
Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Die Entscheidung zeigt, dass die
Bestimmung des „legitimen Ziels“ i.S.d. § 10 AGG noch nicht vollständig klar ist. Eindeutiger wäre es,
1. Rechtsprechung
17
wenn der Gesetzgeber die Anforderungen des Art. 52 EuGrdRCh in § 10 AGG aufnehmen würde. Für den
Arbeitgeber bedeutet dies, dass er (auch im Kleinbetrieb) sorgfältig prüfen muss, ob Maßnahmen gegen
das Antidiskriminierungsrecht verstoßen.
Die Folge der Unwirksamkeit ergibt sich erst über § 134 BGB i.V.m. den §§ 7 Abs. 1, 1, 3 AGG.
Vorinstanz: Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 9. Mai 2014 - 3 Sa 695/13
VG Bremen, Urteil vom 25.08.2015 - 6 K 83/15
Das bis Ende 2013 geltendes Besoldungsrecht verstößt gegen europarechtliches Verbot der
Benachteiligung wegen des Alters
Das Verwaltungsgericht Bremen hat in sechs Musterverfahren über Schadensersatzansprüche wegen
alters-diskriminierender Besoldung entschieden. Nach dem bis Dezember 2013 geltenden Bremischen
Besoldungsrecht erhöhte sich das Gehalt der Beamten und Richter mit steigendem Alter. Das
Verwaltungsgericht Bremen hat dies als Verstoß gegen das europarechtliche Verbot bewertet, jüngere
Beamte und Richter wegen ihres Alters zu benachteiligen. Damit folgt das Gericht der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts.
Das Verwaltungsgericht verwies darauf, dass die Höhe des Schadensersatzes für alle Beamten und
Richter gleich ist. Er beträgt bis Dezember 2011 monatlich 100 Euro, von Januar bis Dezember 2012
monatlich 200 Euro und von Januar bis Dezember 2013 monatlich 300 Euro. Grund für die steigende
Höhe ist, dass das Land Bremen erst zum Januar 2014 das Besoldungssystem verändert hat, obwohl seit
September 2011 aufgrund einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs der Verstoß des
Bremischen Besoldungsrechts gegen das Europarecht erkennbar gewesen ist.
Den Beamten und Richtern steht aufgrund der altersdiskriminierenden Besoldung ein
Schadensersatzanspruch sowohl nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) als auch nach
dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch zu. In diesem Zusammenhang musste das Verwaltungsgericht
Bremen mehrere vom Bundesverwaltungsgericht bislang nicht entschiedene Fragen beantworten: Die
für Ansprüche nach dem AGG geltende zweimonatige Ausschlussfrist ist nicht anwendbar auf den
unionsrechtlichen Haftungsanspruch. Für die nach dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch erst ab
September 2011 bestehenden Ansprüche gelten die normalen Verjährungsfristen, d. h. der Anspruch ist
innerhalb von drei Jahren geltend zu machen. Für die Geltendmachung ist es nicht ausreichend, eine
nicht amtsangemessene Besoldung zu rügen. Der Beamte oder Richter muss erklären, dass er die
Staffelung des Gehalts nach dem Lebensalter beanstandet.
Seit Januar 2014 erhöht sich das Gehalt der Beamten und Richter nicht mehr nach dem Lebensalter,
sondern mit steigenden Erfahrungszeiten. Eine solche Besoldung nach Erfahrungszeiten ist
europarechtlich zulässig. Gleiches gilt für die Überleitung der Beamten und Richter in das neue
Besoldungssystem. Ab Januar 2014 besteht deshalb kein Anspruch auf Schadensersatz mehr.
BVerfG, Beschlüsse vom 7. Oktober 2015 (2 BvR 413/15, 2 BvR 459/15, 2 BvR 460/15, 2 BvR 461/15, 2
BvR 462/15, 2 BvR 463/15, 2 BvR 464/15, 2 BvR 465/15, 2 BvR 568/15, 2 BvR 1028/15)
Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat insgesamt 11
Verfassungsbeschwerden gegen Vorschriften des Sächsischen Besoldungsgesetzes sowie gegen hierzu
ergangene verwaltungsgerichtliche Urteile nicht zur Entscheidung angenommen. Nach dem neuen
Sächsischen Besoldungsrecht wird das Grundgehalt der A-Besoldung anhand der tatsächlich geleisteten
Dienstzeiten und der erbrachten Leistung bemessen; jedoch bleibt eine bestehende Stufenzuordnung
1. Rechtsprechung
18
aufgrund des bislang maßgeblichen Besoldungsdienstalters erhalten. Die rückwirkende Neuregelung des
Besoldungsrechts und die in der Überleitungsvorschrift vorgesehene Besitzstandswahrung sind
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch durch die Revisionsentscheidungen des
Bundesverwaltungsgerichts werden Grundrechte der Beschwerdeführer nicht verletzt.
Der Beschwerdeführer des Verfahrens 2 BvR 413/15 machte im Dezember 2009 einen Anspruch auf
Gewährung des Grundgehaltes aus der Endstufe seiner Besoldungsgruppe ab dem 1. Januar 2006
geltend, da die besoldungsrechtliche Ersteinstufung nach dem Lebensalter und der Stufenaufstieg nach
dem Dienstalter eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters und damit einen Verstoß gegen das
Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz darstellten. Während des Revisionsverfahrens erließ der
Landesgesetzgeber das Sächsische Dienstrechtsneuordnungsgesetz vom 18. Dezember 2013 mit
Rückwirkung zum 1. September 2006. Das Bundesverwaltungsgericht sprach dem Beschwerdeführer mit
Urteil vom 30. Oktober 2014 eine Zahlung von 50 € nebst Zinsen zu und wies seine Klage im Übrigen ab.
Bis zum Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) am 18. August 2006 stehe
dem Beschwerdeführer mangels Anspruchsgrundlage kein Zahlungsanspruch zu. Hingegen habe er für
den Zeitraum vom 18. bis zum 31. August 2006 einen verschuldensunabhängigen
Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 50 €. Ab dem 1. September 2006 sei das
verfassungs- und unionsrechtskonforme Besoldungsrecht in der Fassung des Sächsischen
Dienstrechtsneuordnungsgesetzes vom 18. Dezember 2013 maßgeblich.
Sieben weitere begründete Nichtannahmebeschlüsse betreffen Parallelverfahren (2 BvR 459/15 bis
465/15). Zu drei weiteren Verfassungsbeschwerden, in denen auch eine Verletzung von Art. 125a Abs. 1
Satz 2 GG gerügt wurde, sind ein unbegründeter Nichtannahmebeschluss (2 BvR 3067/14) und zwei
begründete Nichtannahmebeschlüsse (2 BvR 568/15 und 2 BvR 1028/15) ergangen.
1.2.5. Sexuelle Identität
LG Köln, Urteil vom 13.11.2015-10 S 137/14
In dem vom Landgericht Köln entschiedenen Fall ging es um die Nichtvermietung von Räumlichkeiten
für eine Hochzeitsfeier an ein gleichgeschlechtliches Paar. Der Vermieter, der für das Paar bereits einen
Termin in der Räumlichkeit reserviert hatte, zog sein Angebot zurück, als er erfuhr, dass es sich um ein
homosexuelles Paar handelt. Seine Mutter, der die Räumlichkeit gehört, habe eine veraltete Einstellung.
Das Gericht sah diese Benachteiligung wegen der sexuellen Identität als nicht gerechtfertigt an und
sprach den Klägern eine Entschädigung von jeweils 850 € zu.
1.2.6. Religion
BVerfG, Beschluss vom 27. 01.2015 - 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10
Bundesverfassungsgericht hebt pauschales Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen auf
Für große öffentliche Aufmerksamkeit sorgte die Entscheidung des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichtes, der ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen abgelehnt.
Ein solches landesweites Verbot, das in § 57 Abs. 4 Satz 1 und 2 des Nordrhein-Westfälischen
Schulgesetzes geregelt ist, verstoße gegen die Religionsfreiheit muslimischer Lehrerinnen und ist daher
nichtig.
1. Rechtsprechung
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Damit entsprach das Gericht der Klage zweier Pädagoginnen aus Nordrhein-Westfalen, die im
Unterricht aus Glaubensgründen ein muslimisches Kopftuch bzw. als Ersatz für das Kopftuch eine Mütze
tragen wollten.
Ein Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen ist nach Ansicht des BVerfG nur dann gerechtfertigt, wenn
durch das Tragen des Kopftuchs eine hinreichend konkrete Gefahr der Beeinträchtigung des
Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität ausgeht. Ein nur abstrakter Verweis auf eine Gefährdung
des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität reiche nicht aus, um einen Eingriff in die
Religionsfreiheit der betroffenen Lehrerinnen zu rechtfertigen. Das BVerfG hat mit dem o. g. Beschluss
die Entscheidungen der Arbeitsgerichte aufgehoben und die Verfahren an die Landesarbeitsgerichte
zurückverwiesen.
2. Gesetzgebung
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2. Gesetzgebung
Zwei Bundesländer gehen gewerberechtlich gegen Diskriminierung durch Gaststätten und
Diskotheken vor
Bremen und Niedersachsen haben im Herbst 2015 ihre Gaststättengesetze geändert, so dass dort
bestimmte Benachteiligungen künftig eine Ordnungswidrigkeit darstellen und mit Bußgeldern
öffentlich-rechtlich sanktioniert werden können.
In Bremen betrifft die Neuregelung Fälle, wenn ein Club oder eine Bar einem Gast wegen der ethnischen
Herkunft, einer Behinderung, der sexuellen oder geschlechtlichen Identität oder der Religion oder
Weltanschauung den Einlass verwehrt oder wenn eine Person aus diesen Gründen während des
Aufenthalts in einem Gaststättengewerbe benachteiligt wird.
Bei Verstößen gegen die Regelung droht Gasstätten- und Clubbetreibern nun ein Bußgeld in Höhe von
bis zu 5.000 Euro.
In Niedersachsen können die Ordnungsämter nun Bußgelder verhängen, wenn eine für das Betreiben
eines Gaststättengewerbes verantwortliche Person bei der Kontrolle des Einlasses in eine Diskothek
oder beim Aufenthalt in einer Diskothek eine Person wegen der ethnischen Herkunft oder der Religion
benachteiligt. Den Betreibern von Diskotheken drohen demnach Geldbußen bis zu 10.000 Euro.
In beiden Bundesländern kann bei mehrfachen Verstößen in letzter Konsequenz sogar die
Gewerbeerlaubnis entzogen werden.
Bislang konnten Menschen, die aufgrund von Diskriminierungen nicht in eine Discothek durften, nur
privatrechtlich nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) dagegen vorgehen und auf
Schadensersatz und Unterlassung klagen.
3. Parlamentarische/Politische Aktivitäten
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3. Parlamentarische/Politische
Aktivitäten
Bundesregierung beschließt Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des
Behindertengleichstellungsgesetzes
Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf dazu im Januar 2016 beschlossen. Die Beratung und
Beschlussfassung im Bundestag ist in der ersten Jahreshälfte 2016 vorgesehen.
Das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) verpflichtet die Träger öffentlicher Gewalt, insbesondere
Bundesbehörden, zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen und zur Barrierefreiheit. Es
enthält unter anderem Regelungen zur Herstellung von Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und
Verkehr, zum Recht auf Verwendung von Gebärdensprache und anderen Kommunikationshilfen, zur
Gestaltung von Bescheiden und Vordrucken, zur barrierefreien Informationstechnik, zum
Verbandsklagerecht und zur beauftragten Person der Bundesregierung für die Belange behinderter
Menschen.
Zu den Schwerpunkten der Neufassung des BGG zählen unter anderem: Die Anpassung des
Behinderungsbegriffs des BGG an die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) sowie
Verbesserungen beim Benachteiligungsverbot bezüglich der Versagung angemessener Vorkehrungen für
Menschen mit Behinderungen. Angemessene Vorkehrungen sind gemäß der UN-BRK Maßnahmen, die
im Einzelfall geeignet und erforderlich sind, um zu gewährleisten, dass ein Mensch mit Behinderung
gleichberechtigt mit anderen alle Rechte genießen und ausüben kann, und die zuständigen Stellen nicht
unverhältnismäßig oder unbillig belasten. Darunter versteht man beispielweise die Übersetzung in
Gebärdensprache, die Bereitstellung von barrierefreien PDF-Dateien oder auch technische und bauliche
Anpassungen. Zudem wird eine Schlichtungsstelle bei der Beauftragten der Bundesregierung für die
Belange behinderter Menschen eingerichtet und ein Schlichtungsverfahrens zur außergerichtlichen
Beilegung von Streitigkeiten nach dem BGG eingeführt. Wer der Ansicht ist durch eine Bundesbehörde,
in einem Recht nach dem BGG verletzt zu werden, kann sich an die Schlichtungsstelle wenden.
Außerdem enthalten die Neuregelungen an zwei Stellen Verweise auf das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Demzufolge sollen nunmehr Menschen mit Behinderungen, die unter
mindestens eine weitere Benachteiligungsschutzkategorie des AGG fallen, besonders geschützt werden.
Ebenso wird der Begriff der Belästigung im Sinne des AGG nun in den Schutzbereich des BGG
aufgenommen und greift damit auch im Verhältnis von Bürgerinnen und Bürgern gegenüber den
Trägern öffentlicher Gewalt
4. Entwicklungen und Aktivitäten auf Europäischer Ebene
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4. Entwicklungen und
Aktivitäten auf Europäischer
Ebene
Europäische Kommission legt Richtlinienentwurf zur Zugänglichkeit von Produkten und
Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen vor
Die Europäische Kommission hat Ende 2015 einen Entwurf für einen „European Accessibility
Act“ vorgelegt. Damit sollen einheitliche Standards für die Barrierefreiheit bestimmter
Schlüsselprodukte und Dienstleistungen festgelegt werden, um Menschen mit Behinderungen in der EU
bessere gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten zu bieten.
Die davon umfassten Produkte und Dienstleistungen wurden in Abstimmung mit Betroffenen und
Organisationen der Zivilgesellschaft sowie Unternehmen ausgewählt. Dazu gehören Geldautomaten und
Bankdienstleistungen, Computer, Telefone und Fernsehgeräte, telefonische und audiovisuellen
Dienstleistungen, Transport- und Verkehrsangebote, elektronische Bücher und E-Commerce.
Der Vorschlag zielt darauf ab, durch die Vereinheitlichung der technischen Anforderungen den Handel
mit Produkten und Dienstleistungen im Binnenmarkt für Hersteller, Händler und Anbieter zu
vereinfachen. Infolgedessen sollen Menschen mit Behinderungen zu wettbewerbsfähigeren Preisen von
einem größeren Angebot an barrierefreien Produkte und Dienstleistungen profitieren können.
Diese Publikation ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes;
sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt.
Herausgeberin:
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Stand: März 2016