Manuskript Beitrag: Unsoziale AfDDie Partei und ihr Programmentwurf Sendung vom 22. März 2016 von Anne Herzlieb, Sonja Jürschik, Fabian Köhler und Hilke Petersen Anmoderation: Die AfD will die Partei der kleinen Leute sein. Sagt jedenfalls Vizechef Alexander Gauland immer wieder gern. Der erste Programmentwurf der AfD sagte allerdings etwas ganz anderes: Arbeitslosengeld streichen. Alleinerziehende nicht mehr unterstützen. Kleine-Leute-Partei, das sah plötzlich nach einer Mogelpackung aus. Prompt hat die AfD ein paar Rückzieher gemacht: Arbeitslosengeld doch nicht streichen, Alleinerziehende doch weiter unterstützen. Ja, was will denn nun die AfD? Hilke Petersen hat Verwirrung festgestellt. Text: Der Wahlkampf hat alles gefordert: den ganzen AfD-Kandidaten, seine ganze Zeit. Für Rüdiger Klos hat sich das gelohnt: 24 Prozent. Der SPD hat er den angestammten Wahlkreis Mannheim I abgejagt. O-Ton: Rüdiger Klos, AfD, Direktkandidat Mannheim „Ja!“ Vor allem die Angst vor den Flüchtlingen machte das möglich. Und weil es die Leute satt hatten, von der Politik übergangen zu werden, sagt Klos. Hier in Mannheim-Vogelstang will er jetzt die kleinen Leute unterstützen. Die haben im Wahlkampf nie nach der Sozialpolitik der AfD gefragt. Und er hätte dazu auch gar nichts sagen können. Denn mit den Entwürfen für das Parteiprogramm kennt sich Klos nicht aus. O-Ton: Rüdiger Klos, AfD, Direktkandidat Mannheim „Sie kommen jetzt permanent mit Entwürfen, von denen ich noch nicht einmal weiß: Wie weit sind die gediehen gewesen? Das macht eigentlich wenig Sinn. Also Politiker haben zwar so an sich, dass sie permanent antworten, auch wenn sie keine Ahnung von der Materie haben. Aber das wollen wir doch in der AfD mal schön bleiben lassen.“ Was jetzt durchsickerte, könnte in gut fünf Wochen auf dem Parteitag beschlossen werden. AfD klingt da nach: Sozialstaat – nein danke. Etwa: Zitat: „Die Alternative für Deutschland will die Erbschaftsteuer ersatzlos abschaffen.“ O-Ton: Rüdiger Klos, AfD, Direktkandidat Mannheim „Der Staat kontrolliert zu viel. Er kann seine Steuern abgreifen – ist in Ordnung. Er soll auch die Erträge versteuern. Aber wenn er mir jetzt vorschreiben will, ob ich es an meine Kinder weitergeben darf oder nicht, dann ist mir das einfach zu viel Staat.“ In Mannheims Arbeiterviertel macht solche Begünstigung der Reichen kaum nervös. Schließlich haben sie hier die AfD so groß gemacht. Sie sind das Volk. O-Ton: Susanne Loh, AfD-Wählerin „Ich würde die wieder wählen. Weil das, was hier steht, ob die das jetzt vorhaben oder nicht: Alleine kommen die da sowieso nicht durch. Das wird abgestimmt. Und das glaube ich auch nicht, dass das so ist.“ Für Besserverdienende da sein? Oder sozial Benachteiligte? Keiner scheint das gerade so ganz genau zu wissen. O-Ton: Tatjana Degjarenko, AfD-Wählerin „Das finde ich bescheuert. Weil, wenn man wählt, man muss alles wissen. Für was und was wir wählen.“ Schön wär´s. Doch zwei Entwürfe aus der ProgrammKommission bilden ganz unterschiedliche politische Kurse ab. AfD im Dilemma. O-Ton: Gideon Botsch, Politikwissenschaftler, Universität Potsdam „Populistische Parteien haben eigentlich, bauen ihren Erfolg darauf auf, dass sie wenige und weich programmatische Aussagen mit einer lautstarken skandalisierenden Mobilisierung von Wutthemen kombinieren. Andererseits steht die Partei natürlich nach diesem Wahlerfolg vor der Herausforderung, dass sie gefragt wird: Was wollt ihr eigentlich? Und dann liefern muss. Und das ist für sie tatsächlich ein Spagat.“ Seit die Programmentwürfe öffentlich wurden: Fragen an die Spitze der Partei. Für Alexander Gauland ist die AfD die „Partei der kleinen Leute“. Doch das passt längst nicht zu allem, was jetzt in Programm-Entwürfen geschrieben steht. O-Ton: Alexander Gauland, AfD, stellvertretender Parteivorsitzender, am 17.3.2016 „Ich weiß nicht, was in diesem Programm, was sie da vor sich haben, drinsteht. Und da kann ich nur im Moment die Hoffnung ausdrücken, dass die Politik, die wir machen wollen, nämlich Politik für den kleinen Mann, darin zum Ausdruck kommt.“ Die Hoffnung teilen sie eigentlich auch hier - Staßfurt in SachsenAnhalt. Die AfD triumphiert bei der Wahl: Über 30 Prozent. Für knapp die Hälfte eine Denkzettel-Wahl. Alle anderen unterstützen die politischen Forderungen der Partei – sofern sie ihnen bekannt waren. Ursprünglich hieß es: Die Lebensarbeitszeit wollen wir parallel zum Anstieg der Lebenserwartung verlängern. O-Ton: Sabine Schöne „Wir sollen ja jetzt schon bis 67 arbeiten! Was soll denn das? Dann haben die ja gar nichts mehr von der Rente. Dann gehen die nur noch arbeiten, arbeiten. Machen sich kaputt. Und wenn sie dann ihre Rente kriegen, beißen sie ins Gras, auf Deutsch gesagt. Das muss ich jetzt mal sagen.“ O-Ton Frontal21: Ist eine Forderung der AfD, also! O-Ton: Sabine Schöne „Ja, aber das ist zum Beispiel jetzt nicht richtig.“ Richtig Ärger macht auch diese erste Fassung: Wir wollen das Arbeitslosengeld I privatisieren. Sprich: abschaffen. O-Ton: Helge Donath, AfD-Wähler „Also, wenn sie so dumm sind und diese Forderungen nach vorne bringen, glaube ich nicht, dass sie bei der nächsten Wahl genauso erfolgreich sind. Das muss ich auch mal so ehrlich sagen, ja.“ Seit Wähler hellhörig werden, geht offenbar ein Ruck durch die Partei: Plötzlich verschwinden soziale Grausamkeiten wieder. Arbeitslosenversicherung privatisieren, länger arbeiten: Alles raus. Eine Kehrtwende. O-Ton: Albrecht von Lucke, Publizist und Politikwissenschaftler „Die AfD hat ein ganz bemerkenswertes Phänomen erlebt: Sie ist im Zuge der Flucht von einer harten neoliberalen Partei zu einer Partei der Kümmerer geworden. Die Leute sind zu ihr regelrecht geflüchtet und sie hat gemerkt, dass ihr Wählerschichten zulaufen, mit denen sie am Anfang gar nicht gerechnet hat. Das heißt, es sind vor allem im Osten Deutschlands die Arbeitslosen, die Arbeiter, die kleinen Leute, die jetzt AfD wählen.“ Nicht zu den Ahnungslosen in der Partei zählt, wer in der Programm-Kommission sitzt: Bundesvorstandsmitglied Beatrix von Storch. O-Ton: Frontal21 „Herzlieb von Frontal 21. Wir würden so gern über den Programm-Entwurf mit Ihnen sprechen.“ Doch keine Antworten von der AfD-Politikerin. Auch nicht auf unsere schriftlichen Anfragen. Beatrix von Storch ist auch die Ikone der konservativen AfD-Familienpolitik. Die klingt sehnsuchtsvoll nach guter alter Zeit. Zitat: „In der Familie sorgen Mutter und Vater in dauerhafter gemeinsamer Verantwortung für ihre Kinder. Diese natürliche Gemeinschaft bildet das Fundament unserer Gesellschaft.“ O-Ton: Gideon Botsch, Politikwissenschaftler, Universität Potsdam „Das Leitbild der Familie, das die AfD propagiert, das soll verbindlich sein für die Gesellschaft. Dadurch soll die Familie an die Stelle von staatlichen Sozialleistungen treten, weil man eben den Sozialstaat zurückdrängen will. Der Staat soll zurückgeworfen werden, auf die Funktion, sozusagen, Sicherheit und Ordnung zu garantieren.“ Daraus machte die junge Partei auch in Pforzheim-Haidach einen Wahlsieg. Viele Russland-Deutsche leben hier. Und sorgen sich um ihre alte Ordnung – und dass die verloren gehen könnte. Vom Flüchtlingszuzug fühlen sie sich bedroht. Der Rest des AfDProgramms ist ihnen eigentlich egal. O-Ton: Alexander Schnell, Anwohner Pforzheim-Haidach „Das ist zu viel Flüchtlinge. In Deutschland wohnen so viele Rentner, wir bekommen kleine Renten und das ist nicht genug für Leben. Ja, und Frau Merkel sieht das nicht.“ Die kleinen Leute haben die AfD jetzt groß gemacht. Und die anderen haben sie auch gewählt. Doch Volkspartei – das geht nicht so einfach. O-Ton: Albrecht von Lucke, Publizist und Politikwissenschaftler „Die große Frage ist für mein Verständnis, ob der AfD es gelingen kann, diese enormen Widersprüche dauerhaft zu überbrücken. Gegenwärtig wird mit dem besagten Anspruch, wir sind nicht links, wir sind nicht rechts, sondern wir sind vorne, wir sind jenseits von links und rechts, der Anspruch vertreten, die Lager zu überwinden. Aber das ist natürlich für die zukünftige Auseinandersetzung, mit Blick auf die Bundeswahl, völlig unzureichend.“ „Dafür steht die AfD“ – die Broschüre hatte Parteichefin Petry schon im Wahlkampf parat. Beim späteren Wahlsieger Rüdiger Klos – in Mannheim. Dass er und seine Wähler nicht alles wussten, stand seinem Erfolg nicht im Weg. Bis jetzt. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. 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