Was bedeuten die Positionen der KandidatInnen für

Greenpeace-Analyse:
Die Positionen der PräsidentschaftskandidatInnen zu demokratiepolitischen und verfassungsrechtlichen Fragen bei TTIP und CETA
… und was sie für Wirtschaftsminister Mitterlehner bzw. die Bundesregierung bedeuten
Die folgende Analyse basiert auf den Antworten der KandidatInnen zur Bundespräsidentschaftswahl
2016 (Irmgard Griss, Norbert Hofer, Rudolf Hundstorfer, Andreas Khol und Alexander Van der Bellen)
auf die elf Fragen, die Greenpeace ihnen zu demokratiepolitischen und verfassungsrechtlichen Bedenken bei Handelsabkommen wie TTIP und CETA gestellt hatte. Sie bietet eine Zusammenfassung
der Positionen der KandidatInnen und macht deutlich, was diese für den Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner bzw. für die Bundesregierung bedeuten. Handelsabkommen wie TTIP und CETA
fallen nämlich in die Zuständigkeit des Wirtschaftsministers – er wird es sein, der im EU-Ministerrat
über die Abkommen abstimmen wird. Doch auch Bundeskanzler Faymann trägt politische Verantwortung, seinen Koalitionspartner Mitterlehner bei Handelsabkommen auf eine Regierungslinie festzulegen, die keine Einschränkung demokratischer Handlungsspielräume zulässt.
„Vetorecht“ des Bundespräsidenten
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Fazit: Manche KandidatInnen erwägen explizit die Nutzung des „Vetorechts“ des Bundespräsidenten.
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Details: Van der Bellen und Hofer machen unmissverständlich deutlich, dass sie die Ratifizierung der Abkommen durch Österreich nicht automatisch mit ihrer Unterschrift genehmigen
würden. Van der Bellen gibt an, er würde seine Zustimmung von einer Prüfung abhängig machen, ob verfassungsrechtliche Bedenken oder sonstige Gründe gegen einen Abschluss der
Verträge sprechen. Hofer sagt, er würde TTIP nur unterzeichnen, wenn sich in einer Volksabstimmung die Mehrheit für das Abkommen ausspricht.
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Bedeutung für Wirtschaftsminister Mitterlehner bzw. die Bundesregierung: Für Wirtschaftsminister Mitterlehner und die Bundesregierung bedeutet das, dass sie die Bedenken gegen
TTIP und CETA ernstnehmen müssen. Andernfalls riskieren sie ein „Nein“ des zukünftigen
Staatsoberhaupts.
Sicherstellen des verfassungskonformen Zustandekommens der Abkommen
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Fazit: Mehrere KandidatInnen betonen die Aufgabe des Bundespräsidenten, das verfassungskonforme Zustandekommen von Staatsverträgen sicherzustellen – was zur Folge haben könnte, dass eine Zustimmung Österreichs zu TTIP/CETA nur nach einer Verfassungsänderung möglich wäre.
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Details: Griss und Khol weisen explizit auf die Aufgabe des Bundespräsidenten hin, das verfassungskonforme Zustandekommen von Staatsverträgen wie TTIP und CETA sicherzustellen.
Auch Van der Bellen gibt an, er würde als Bundespräsident die Abkommen auf verfassungs-
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rechtliche Bedenken hin überprüfen. Teil der Verantwortung, das verfassungskonforme Zustandekommen zu sichern, ist es, dass der Bundespräsident die Staatsverträge auch inhaltlich
auf ihre Vereinbarkeit mit der österreichischen Verfassung überprüfen muss. Denn wenn ein
Staatsvertrag verfassungswidrig ist, darf ihn der Bundespräsident nicht ratifizieren – oder nur
dann, wenn davor die Verfassung so geändert wurde, dass sie kompatibel mit dem Staatsvertrag gemacht wurde. Eine solche Verfassungsänderung erfordert eine Zweidrittelmehrheit im
Nationalrat. Ohne eine solche Zweidrittelmehrheit käme keine Ratifizierung von TTIP bzw.
CETA durch Österreich zustande – was wiederum das Inkrafttreten der Abkommen verhindern
würde.
Dass für den Abschluss von TTIP und CETA aufgrund von Verfassungswidrigkeiten eine Verfassungsänderung nötig wäre, ist keineswegs ein abwegiges Szenario: Der Verfassungsjurist Prof.
Heinz Mayer etwa hält die Möglichkeit, dass im Zuge der „regulatorischen Kooperation“ Teile
des Vertragstextes nach Vertragsabschluss ohne Zustimmung der Mitgliedstaaten geändert
werden können (ein Szenario, das laut einem Rechtsgutachten der Universität Göttingen bei
CETA möglich sein könnte1), für verfassungswidrig. Auch eine „vorläufige Anwendung“ der Abkommen noch vor der Zustimmung durch die nationalen Parlamente, wie sie bei TTIP und
CETA eingesetzt werden könnte, widerspräche aus Sicht von Prof. Mayer der Verfassung.
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Bedeutung für Wirtschaftsminister Mitterlehner bzw. die Bundesregierung: Ein Bundespräsident, der seine Verantwortung für das verfassungsgemäße Zustandekommen von Staatsverträgen ernst nimmt, wird die Abkommen auch inhaltlich auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen
und bei Verfassungswidrigkeiten seine Zustimmung verweigern, solange keine Verfassungsänderung vorgenommen wird. Doch angesichts der überwiegenden Ablehnung der österreichischen BürgerInnen gegenüber TTIP wäre es wohl höchst unwahrscheinlich, eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat für eine solche Verfassungsänderung zu bekommen, durch die die
Verfassung „TTIP- bzw. CETA-kompatibel“ gemacht werden soll. Mitterlehner muss sich also
dessen bewusst sein, dass ein Abkommen mit potentiell verfassungswidrigen Elementen an
einem Bundespräsidenten, der seine Verantwortung für das verfassungsgemäße Zustandekommen von Staatsverträgen ernst nimmt, scheitern könnte.
Aktive Teilnahme an der gesellschaftspolitischen Debatte und am politischen Prozess
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Fazit: Die KandidatInnen wollen sich im Fall ihrer Wahl aktiv in die Debatte um TTIP und
CETA einbringen.
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Details: Sämtliche KandidatInnen geben an, sie würden sich als Bundespräsident bzw. Bundespräsidentin aktiv in die Debatte um TTIP und CETA einbringen. Griss will gegenüber der
Bundesregierung „selbstverständlich“ demokratiepolitische und verfassungsrechtliche Aspekte der Abkommen ansprechen und auf die Mitglieder der Regierung einwirken, „sobald
eine demokratische Fehlentwicklung droht“. Van der Bellen will sich „aktiv in der Öffentlichkeit und gegenüber Entscheidungsträgern“ zu Wort melden und zu einem „Runden Tisch“ mit
allen Interessengruppen einladen. Hofer kündigt an, er werde sich wenn möglich in die TTIPVerhandlungen einbringen; Hundstorfer gibt an, er werde „den Dialog sowohl nach innen als
auch nach außen“ suchen, wenn er es für nötig halte; und Khol will „als Brückenbauer den gesellschaftspolitischen Diskurs aktiv mitgestalten“, im Verhandlungsprozess „die erforderliche
Einbindung der Bürgergesellschaft“ einfordern und auf europäischer und internationaler
http://media.arbeiterkammer.at/wien/PDF/studien/Regulierungszusammenarbeit_ttip_ceta.pdf, S. 9f
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Ebene „auf die bestmögliche Wahrnehmung der Interessen der österreichischen Bürgerinnen
und Bürger“ hinwirken.
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Bedeutung für Wirtschaftsminister Mitterlehner bzw. die Bundesregierung: Wirtschaftsminister Mitterlehner muss sich auf ein Staatsoberhaupt gefasst machen, das der Regierung bei
TTIP und CETA genau auf die Finger schauen wird, das sich aktiv in die gesellschaftspolitischen
Debatte einbringen wird und das in heiklen Fragen den Widerspruch zur Regierung nicht
scheuen wird.
Sonderklagerechte für ausländische Investoren
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Fazit: Die Mehrzahl der KandidatInnen hat starke Vorbehalte gegenüber Sonderklagerechten für ausländische Investoren.
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Details: Drei der fünf KandidatInnen äußern starke Vorbehalte gegenüber Sonderklagerechten für ausländische Investoren. Hundstorfer hält es für „gefährlich, wenn Investoren privilegierte Rechte erhalten, um Staaten aufgrund von Gewinneinbußen verklaren zu können“; er
verweist auf die ordentlichen Gerichte und auf den Entschließungsantrag des Nationalrates, in
dem dieser die Sondergerichte ablehnt. Hofer argumentiert, dass „unsere Rechtsprechung
keine Schattenjustiz braucht“, und auch Van der Bellen findet, dass „die österreichischen und
europäischen Rechtsnormen ausreichend sind“.
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Bedeutung für Wirtschaftsminister Mitterlehner bzw. die Bundesregierung: Wirtschaftsminister Mitterlehner, der die Aufnahme von Investitionsschutzklauseln in TTIP und CETA befürwortet, kann sich in dieser Frage ebenfalls auf Gegenwind vonseiten des zukünftigen Staatsoberhaupts gefasst machen.
Regulatorische Kooperation
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Fazit: Die Mehrzahl der KandidatInnen steht der „regulatorischen Kooperation“ höchst
skeptisch gegenüber.
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Details: Hundstorfer spricht sich dagegen aus, dass „Entscheidungen über Gesetze und Gesetzesänderungen von transnationalen Gremien getroffen werden, die nicht demokratisch legitimiert sind“; Hofer sieht durch die regulatorische Kooperation die politische Eigenständigkeit
eingeschränkt und Interessen der BürgerInnen gegenüber jenen der Großkonzerne benachteiligt; und auch Van der Bellen teilt „die Argumente gegen […] die regulatorische Kooperation“.
Griss sagt, die regulatorische Kooperation dürfe zu keiner einseitigen Information oder gar
Entmachtung der nationalen Parlamente führen und müsse transparente Prozesse aufweisen.
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Bedeutung für Wirtschaftsminister Mitterlehner bzw. die Bundesregierung: Auch in der
Frage der regulatorischen Kooperation müssen Mitterlehner und die Bundesregierung mit kritischen Tönen aus der Hofburg rechnen.
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„Vorläufige Anwendung“ der Abkommen
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Fazit: Fast alle KandidatInnen sprechen sich gegen eine „vorläufige Anwendung“ der Abkommen vor deren Ratifizierung durch die Parlamente aus.
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Details: Bis auf Khol sprechen sich alle KandidatInnen gegen eine „vorläufige Anwendung“ der
Abkommen aus – also dagegen, dass Teile der Abkommen angewendet werden, noch bevor
die nationalen Parlamente über das Abkommen abgestimmt haben.
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Bedeutung für Wirtschaftsminister Mitterlehner bzw. die Bundesregierung: Hier könnte sich
ein klarer Konflikt zwischen der Position von Wirtschaftsminister Mitterlehner und jener des
zukünftigen Präsidenten bzw. der zukünftigen Präsidentin ergeben: Vizekanzler Mitterlehner
hatte sich im vergangenen Dezember in seiner Antwort auf eine parlamentarische Anfrage2
nämlich grundsätzlich für eine vorläufige Anwendung ausgesprochen.
Notwendigkeit der Ratifizierung auch durch die nationalen Parlamente
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Fazit: Die Mehrzahl der KandidatInnen spricht sich eindeutig dafür aus, dass die Abkommen
auch durch die nationalen Parlamente ratifiziert werden müssen.
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Details: Griss, Hofer und Hundstorfer sprechen sich klar dafür aus, dass TTIP und CETA nicht
nur vom EU-Ministerrat und dem EU-Parlament, sondern auch von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden müssen, um in Kraft treten zu können. Khol betont die Wichtigkeit der
„Einbindung nationaler Parlamente“, und Van der Bellen weist darauf hin, dass es sich bei
TTIP und CETA laut Verfassungsexperten um gemischte Abkommen handelt, die auch der Zustimmung der nationalen Parlamente bedürfen.
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Bedeutung für Wirtschaftsminister Mitterlehner bzw. die Bundesregierung: Die Position der
KandidatInnen entspricht in diesem Fall auch der Linie von Mitterlehner bzw. der österreichischen Bundesregierung: Die Einstufung als gemischtes Abkommen ist laut Mitterlehner Voraussetzung für eine Zustimmung Österreichs im EU-Rat3. Die Positionierung der PräsidentschaftskandidatInnen erhöht daher den Druck auf Mitterlehner, in dieser Frage standhaft zu
bleiben, falls die EU-Kommission vorschlagen sollte, die nationalen Parlamente nicht in den
Ratifizierungsprozess miteinzubeziehen. Denn Mitterlehner wird gemeinsam mit den anderen
zuständigen Ministern im EU-Ministerrat über diese Frage abstimmen müssen.
Transparenz
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Fazit: Fast alle KandidatInnen sprechen sich für höhere Transparenz im TTIP-Verhandlungsprozess aus.
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_06587/imfname_495202.pdf
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_02194/imfname_368683.pdf, S. 4
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Details: Hofer, Hundstorfer und Van der Bellen kritisieren die Geheimhaltung der „konsolidierten Verhandlungstexte“ (aus denen der aktuelle Stand der Verhandlungen hervorgeht)
vor der Öffentlichkeit. Auch Griss kritisiert, dass die Vorschriften zur Nutzung des TTIP-Leseraums, in dem Regierungsvertreter und Nationalratsabgeordnete die Verhandlungstexte unter strengen Sicherheits- und Geheimhaltungsvorschriften einsehen können, zu restriktiv sind.
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Bedeutung für Wirtschaftsminister Mitterlehner bzw. die Bundesregierung: Die Positionen
der PräsidentschaftskandidatInnen sind ein Signal für Wirtschaftsminister Mitterlehner, seinen Einsatz für verstärkte Transparenz4 fortzusetzen bzw. noch weiter zu verstärken.
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http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20160219_OTS0057/ttip-bures-und-mitterlehner-wollen-einsichtsbedingungen-fuer-abgeordnete-verbessern
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