Es ist nicht richtig, die AfD zu verteufeln

Ausland
Sonntag, 20. März 2016 / Nr. 12 Zentralschweiz am Sonntag
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«Es ist nicht richtig, die AfD zu verteufeln»
DEUTSCHLAND Er hat die AfD gegründet,
den internen Machtkampf aber verloren:
Bernd Lucke über den Deal mit der Türkei,
den Rechtsrutsch in der AfD und wie die Partei
Deutschland verändern wird.
hatte das eine Sogwirkung auf jene, die
sich freuten, dass es im Land nun endlich
eine vermeintlich rechte Partei gibt. Das
hat leider zur politischen Verschiebung
und zum Rechtsrutsch geführt.
Sie wollen mit Ihrer neu gegründeten
Partei Alfa liberal-konservative Wähler abholen. Nach der Verschiebung
der Union in die Mitte wäre doch
Potenzial vorhanden. Doch bei den
drei Landtagswahlen holten Sie mit
Alfa nicht einmal 1 Prozent der Stimmen. Was machen Sie falsch?
Lucke: Richtig, die Union ist weit nach
links gerutscht, die FDP hat mit vielen
gebrochenen Versprechungen ihre Glaubwürdigkeit verloren, und die AfD ist nach
rechts abgedriftet. Es gibt also viel Raum
für eine politische Erneuerung im bürgerlichen Teil des Wählerspektrums ...
INTERVIEW CHRISTOPH REICHMUTH, BERLIN
[email protected]
Bernd Lucke, zwischen der EU und
der Türkei bahnt sich ein teurer Deal
an, um die illegale Einwanderung
nach Europa zu unterbinden – ist es
aus Ihrer Sicht auch ein guter Deal?
Bernd Lucke: Ich halte es nicht für gut,
dass wir die Türkei bezahlen, damit diese uns die Flüchtlinge vom Leib hält. Wir
sollten das Geld lieber dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen
(UNHCR) zur Verfügung stellen. Das
UNHCR sollte in der Türkei, aber auch
in anderen Anrainerstaaten von Bürgerkriegsgebieten die Flüchtlingslager so
betreiben können, dass die Menschen
dort auch eine Lebensperspektive haben
und in den Lagern nicht einfach nur aufbewahrt werden. Die Menschen brauchen
feste Wohnsitze, Arbeitsplätze, für die
Kinder braucht es Schulen.
Macht sich die EU erpressbar von
einem Mann von zweifelhaftem Ruf,
dem türkischen Präsidenten Erdogan?
Lucke: Ich würde nicht von Erpressung
durch die Türkei sprechen, weil das die
Türkei in einer unfairen Art und Weise
diskreditiert. Aber natürlich machen wir
uns abhängig von der Türkei. Ich glaube
aber, dass man sich nicht ohne Not in
eine Abhängigkeit begeben sollte. Würde
man meinem Vorschlag folgen und die
Gelder dem UNHCR statt der Türkei bezahlen, wäre der Türkei ja auch geholfen.
Die Gelder fliessen via UNHCR indirekt
in die türkische Wirtschaft – in den Wohnungsbau, die Nahrungsmittelindustrie,
in Konsumgüter. Die Türkei würde also
von den Geldern profitieren, Europa wäre
aber nicht abhängig von der türkischen
Regierung.
Zu Deutschland. Vor einer Woche hat
die einst von Ihnen gegründete Alternative für Deutschland (AfD) für ein
politisches Erdbeben gesorgt. Wie erklären Sie sich den Erfolg der Partei,
von der Sie sich im Streit getrennt
haben?
Lucke: Das war meines Erachtens ein
Protestvotum gegen die Flüchtlingspolitik
von CDU und SPD. Es war ein Misstrauensvotum gegen die Regierung – keineswegs ein Vertrauensvotum für die AfD.
In Deutschland muss man sich also
auf die Etablierung einer nationalkonservativen Kraft einstellen?
Lucke: Ich bin kein Prophet. Ich halte es
für möglich, dass die AfD sich etabliert,
aber es ist auch möglich, dass sie an Zuspruch verliert, wenn die Flüchtlingskrise
einigermassen überwunden werden kann.
Ihre Charakterisierung der AfD als nationalkonservativ halte ich allerdings für
höchstens teilweise zutreffend.
Wo würden Sie die AfD verordnen?
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Das erklärt aber nicht das schlechte
Abschneiden Ihrer Partei – im Gegenteil.
Lucke: Nein, der Grund dafür ist die Tatsache, dass Alfa einem grossen Teil der
Wählerschaft noch unbekannt ist. Es ist
schwer, sich als Partei bekannt zu machen.
Der Bekanntheitsgrad der Alfa liegt zwischen 10 und 20 Prozent. Ein Prozent
Zustimmung auf Landesebene ist angesichts dessen gar kein so schlechter Wert.
Sie haben die AfD ja auch im Nu so
bekannt gemacht, dass sie ein halbes
Jahr nach ihrer Gründung beinahe in
Der Erfolg bei den Wahlen ist für Bernd Lucke weniger ein Vertrauensden Bundestag eingezogen wäre. Mit
votum für die AfD denn ein Misstrauensvotum gegen die Regierung.
Alfa gelingt Ihnen das nicht.
Getty/Ulrich Baumgarten
Lucke: Damals war es so, dass die Eurokrise in jedermanns Bewusstsein als grosLucke: Ich würde sie eher als rechtsna- segment nach Zuspruch suchen. Damit se Krise war. Heute ist das nicht mehr
tionalistisch bezeichnen, als Partei des ist sie deutlich weiter rechts als nur na- der Fall. Die AfD hat das Image der
übersteigerten und bornierten Nationalis- tionalkonservativ.
Antiflüchtlingspartei, deshalb hat sie im
mus. Ich sehe die AfD im Bereich von
Rahmen der Flüchtlingskrise so stark
Parteien wie dem Front National, die im
Dann sehen Sie es so wie AfD-Mit- profitiert. Die meisten Wähler, die nicht
fremden- und islamfeindlichen Wählergründer Hans-Olaf Henkel, der sagte: einverstanden sind mit dem Kurs der
«Mit der AfD haben wir ein Monster Bundesregierung, haben wohl AfD gewählt. Mit der Absicht,
erschaffen»?
Lucke: Nein, dem wider Bundesregierung
derspreche ich ausdurch eine Art Tabu«Bei einer Beruhigung bruch den maximalen
drücklich, weil ich es
nicht für richtig halte,
Schmerz zuzufügen.
der Flüchtlingskrise
die AfD zu verteufeln.
wird die AfD zwar
Wird sich DeutschMonster ist eine Beschrumpfen, aber sie
land durch die AfD
schimpfung. Mit der
wird nicht
verändern?
AfD muss man sich
sachlich auseinanderLucke: Der Einzug der
verschwinden.»
setzen, man muss saAfD in die LandesB E R N D LU C K E Ü B E R DAS
gen, warum man die
parlamente
wird
P OT E N Z I A L D E R A F D , D I E E R
Meinungen der Partei
Deutschland
kein
2 0 1 3 M I T G E G R Ü N D E T H AT
neues Gesicht geben.
nicht teilt. Ich persönlich teile die Haltung
Die Frage ist mehr, wie
Christian Angst
der AfD deshalb nicht,
sich das Parteienspekweil ich der Meinung bin, dass Deutsch- trum in Zukunft weiter verändern wird.
Filiale Zugerland
land ein weltoffenes, tolerantes und frei- Meine These ist, dass bei einer Beruhigung
Steinhausen
heitliches Land sein soll. Dass man im der Flüchtlingskrise die AfD zwar
Bereich der Flüchtlingspolitik auch Gren- schrumpfen wird, aber sie wird nicht
zen aufzeigen muss, ist klar. Aber den verschwinden.
grundsätzlichen Charakter Deutschlands
dürfen wir nicht antasten. Wir wollen nicht
Weshalb?
zu einer Politik, die abschottend, engstir- Lucke: Das Integrationsproblem für die
nig und nationalistisch ist.
mehr als 1 Million Menschen, die 2015
nach Deutschland gekommen sind, ist nach
Tragen Sie dafür nicht auch eine Mit- wie vor da, und deshalb hat die AfD mit
verantwortung? Sie haben die AfD Antiflüchtlings- und Antiislamparolen nach
rasch wachsen laswie vor ein Wählerpotenzial. Insgesamt
sen und dabei in
Kauf genommen,
wird die Integrationsdass sich auch
problematik die politi«Ich halte es nicht
Rechte in den Parsche Debatte künftig
für gut, dass wir die
teireihen tummeln
stark prägen. Wie könTürkei bezahlen,
konnten.
nen wir aus diesen
damit sie uns die
Menschen Mitbürger
Lucke: Nein, ich habe
das nicht in Kauf gemachen, die unsere
Flüchtlinge vom Leib
nommen, sondern
Gesellschaft, unsere
hält.»
immer auf eine strikKultur, unseren RechtsB E R N D LU C K E Ü B E R
te Abgrenzung nach
staat und unsere DeDAS F LÜ C H T L I N G S A B KO M M E N
rechts Wert gelegt.
mokratie verstehen
ZWISCHEN DER EU
und natürlich wirtNatürlich denkt man
UND DER TÜRKEI
darüber nach, ob man
schaftlich Fuss fassen?
Dinge anders hätte
Solche wirtschaftsmachen können. Ich
und sozialpolitischen
sehe das Hauptproblem darin, dass wir Themen zählen zu den Kernkompetenzen
die vielen AfD-Kreisverbände nicht kon- von Alfa, während die AfD darauf keine
trollieren konnten. Die hatten die Kom- Antworten hat. Es kommen grosse Problepetenz zur Mitgliedsaufnahme und ha- me auf uns zu und hohe Kosten, die es zu
ben offenbar immer mehr Mitglieder schultern gilt. Da sind Antworten und
aufgenommen, die ganz andere politi- keine Parolen gefragt.
sche Anliegen hatten als die ursprünglichen politischen Vorstellungen der AfDGründungszeit.
Hat die Dämonisierung der Partei
überhaupt erst zu ihrem starken
Wachstum geführt?
Lucke: Sie ist dadurch nicht grösser geworden, aber ich glaube, dieser Umgang
hat den Rechtsrutsch der AfD mitbewirkt.
Denn dadurch, dass die AfD von Anfang
an in die rechte Ecke geschoben worden
ist, sind normale, liberal-konservative
Bürgerliche in einem immer geringeren
Masse der AfD beigetreten. Stattdessen
HINWEIS
Bernd Lucke (53) ist ehemaliges Mitglied der CDU.
2013 war er Mitgründer der Alternative für
Deutschland (AfD), die den Sprung in den
Bundestag im Herbst 2013 nur knapp verpasste.
Wegen Streitigkeiten über die Ausrichtung der
Partei mit dem rechten Flügel rund um Frauke
Petry verliess Lucke die AfD im Sommer 2015 und
gründete kurz darauf die Allianz für Fortschritt
und Aufbruch (Alfa). Lucke ist seit 2014
Abgeordneter im Europaparlament. Der Professor
für Makroökonomie an der Universität Hamburg
liess sich für seine politische Tätigkeit bis 2019 von
seiner Lehrtätigkeit beurlauben.