Die Heilige Woche des Heiligen Jahres 2000

P. Jeremias Müller OSB
Die Heilige Woche – Zwischen Tod und Leben
Dramaturgie vom Leiden und Sterben und der Auferstehung Jesu
Hans Urs von Balthasar, einer der großen Theologen des letzten Jahrhunderts, hat in den
70er Jahren ein Buch mit dem Titel "Theologie der drei Tage" veröffentlicht, das in anschaulicher Weise, wenn auch nicht immer einfach zu lesen, aber doch sprachlich formvollendet,
eine Art Dramaturgie der drei Tage vom Leiden und Sterben Jesu ins Wort bringt. Der "Gang
zum Kreuz" (Karfreitag), der "Gang zu den Toten" (Karsamstag) und der "Gang zum Vater"
(Ostern) beschreibt das Geheimnis der Karwoche, die in der offiziellen Kirchensprache als
"Heilige Woche" bezeichnet wird.
Aber liturgisch betrachtet beginnt die Heilige Woche bereits mit dem Palmsonntag, dem Einzug in Jerusalem und zu ihm gehört der "Hohe Donnerstag" (Gründonnerstag), womit wir
näherhin fünf einzelne "Wege" zu beschreiben haben, wenn wir die Tage vom Leiden, Sterben und der Auferstehung Jesu bedenken wollen.
Der erste Weg
Der Einzug in Jerusalem
(Palmsonntag)
Der erste Weg, den Jesus zu gehen hat, ist der Weg nach Jerusalem, der ihn in die bewusste
Auseinandersetzung mit den Hohepriestern, den Pharisäern und Schriftgelehrten bringen
wird. Für den Evangelisten Markus, der das älteste Evangelium verfasst hat, steht der Einzug
Jesu (Markus 11,1-11) in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zur sogenannten "Tempelreinigung" (Markus 11,15-19), welche die Vollmacht Jesu zum Ausdruck bringen wird.
Die Menschen, die den Weg Jesu vom Stadttor Jerusalems an säumen, rufen ihm "Hosianna"
zu, das heißt: "Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn", "ein Hoch dem König
David!" Jesus wird als "neuer" König der Juden empfangen, aber anders als die Herrscher seiner Zeit reitet er nicht auf dem herrschaftlichen Reittier, dem Pferd, er lässt sich auch nicht
tragen auf einem Tragestuhl, hoch erhoben über den Köpfen, sondern auf dem Fohlen einer
Eselin, um das Schriftwort bei Sacharja im 9. Kapitel erfüllt zu sehen, wie Johannes es überliefert: "Siehe, dein König kommt, er sitzt auf dem Fohlen einer Eselin". Ob dieser Empfang
inmitten der Tausenden von Pilgern tatsächlich so spektakulär verlief, wie es uns berichtet
wird, müssen wir offen lassen. Vermutlich war es eher eine kleine Randerscheinung an einem der Tore Jerusalems, doch es mag sich schnell herumgesprochen haben: Der Prophet
aus Nazareth ist als Messias eingezogen!
Doch was dann folgt, überrascht die Juden, nicht aber den Leser: Der Gang Jesu zum Tempel
dient nicht dem frommen Gebet, sondern einer öffentlichen Demonstration. Die Austreibung
der Händler aus dem Tempel hat daher auch nicht nur "Reinigungswirkung", sondern Verkündigungscharakter: Indem Jesus die Zerstörung des Tempels vorauskündigt (welche dann
70 n.Chr. eintraf) und sich selbst als den neuen Tempel bezeichnet, macht er sich - in jüdi1
schen Augen - der Gotteslästerung schuldig. Es ist daher spannend, die Kapitel 11 - 13 bei
Markus einmal im Zusammenhang zu lesen und zu erspüren, wie sich die Dramaturgie zum
offenen Konflikt sozusagen von Tag zu Tag, ja, von Minute zu Minute steigert. Der Königsthron, der Jesus am Palmsonntag - also innerhalb der Pilgerbewegung der nach Jerusalem
zum Pessachfest strömenden Pilger - bereitet wird, bleibt leer. Sein „Reich ist nicht von dieser Welt“. Kein anderer wird enttäuschter gewesen sein, als Judas Iskariot.
Der zweite Weg
Der Gang zum Ölberg
(Hoher Donnerstag)
Das Wort "Gründonnerstag" hängt mit dem althochdeutschen Wort "greinen" zusammen und
meint "weinen, trauern, seufzen". Für die Kirche und die Liturgie hat der "Hohe Donnerstag"
eine doppelte Bedeutung. Das zentrale Geschehen spielt sich im Abendmahlssaal ab, das
Pesachmahl Jesu mit seinen Freunden findet dort statt.
Die erste Bedeutung erlangt dieser Abend durch eine Zeichenhandlung. Eigentlich ein Sklavendienst für eingeladene Gäste, wäscht Jesus seinen Jüngern die Füße. „Wer vom Bad
kommt, ist schon rein!“ entgegnet er dem sich wehrenden Petrus. Das Bad der Füße geschieht am Boden, er bückt sich, beugt sich nieder, macht sich klein. Dieser Dienst wird zum
Zeichen und Auftrag: Tut ihr es mir nach! – Damit stiftet Jesus quasi den diakonischen
Dienst am Menschen. In früheren Zeiten war die Fußwaschung sogar von sakramentalem
Charakter. Ein Zeichen der liebenden Hingabe. „Wie ich euch die Füße gewaschen habe, so
müsst auch ihr einander die Füße waschen!“ – Der Dienstauftrag geht vom Meister an die
Schüler über. Der Evangelist Johannes ist der einzige Berichterstatter, der diese Zeichenhandlung erwähnt und deutet. Man spürt in jedem seiner Worte, dass er die Person Jesu und
sein Selbstverständnis reflektiert und in die christliche Zukunft hinein bereits übersetzt hat.
Die zweite Handlung ist die Mahlfeier selbst. Jesus deutet das Brechen des Brotes und den
dritten Segensbecher und verbindet das eine wie das andere mit seinem Leben: "Dies ist
MEIN Leib. Dies ist MEIN Blut. Tut dies zu meinem Gedächtnis." (vgl. Markus 14,17-25 /1
Korinther 11). Damit ist "eingesetzt", also initiiert, was wir Abendmahl bzw. Eucharistie nennen. An drei kleinen Wörtern macht die Liturgie der Kirche deutlich, welch hoher Stellenwert diese Nacht für sie hat. Im Hochgebet heißt es: "Am Abend, als Jesus mit seinen Jüngern versammelt war - DAS IST HEUTE - nahm er das Brot... nahm er den Wein ..." Gänzlich
in das JETZT hineingenommen wird die Einsetzung von Brot und Wein zu Leib und Blut Jesu.
DAS IST HEUTE.
Damit sind wir mitten in der Dramaturgie dessen, was seine Fortsetzung im Verrat des Judas,
dem Gang zum Ölberg, der Verhaftung und der Verhandlung findet. Jesus verlässt den
Abendmahlsaal und geht mit seinen Jüngern zum Ölberg, Getsamene. Dort lässt er sich zum
Gebet nieder. Zweimal muss er die Jünger wecken, weil sie vor Erschöpfung eingeschlafen
sind. „Wacht und betet mit mir!“ lautet seine Bitte in dieser Nacht. Doch die Müdigkeit
übermannt seine Freunde. So ist Jesus in dieser Nacht allein. Er wird es wohl auch in den
frühen Morgenstunden des kommenden Tages sein, nach der Verhandlung, die außerge2
wöhnlicher Weise in der Nacht stattfindet. Diese Einsamkeit findet Raum und Gestalt in seinen Gebeten. Er fühlt sich von Gott verlassen, bittet darum, dass dieser Kelch an ihm vorübergehen möge. Doch zugleich weiß er, dass nicht sein Wille geschieht, sondern dass Regie
in den Händen Gottes ist. „Rette mich aus dieser Stunde!“ lautet seine flehentliche Bitte.
Doch sie bleibt ungehört. Der göttliche Plan, der ihn zum Kreuz führen wird, hat erst begonnen. Um Jesus herum wird es dunkel, seine Stunde ist gekommen. Der Verräter naht.
Für die liturgische Gestaltung der Kirche hat dies Auswirkungen: Während sonst in der gesamten Österlichen Bußzeit kein Gloria gesungen wird, ertönt an diesem Abend noch einmal
das feierliche Gloria und das letzte Glockenläuten, bevor beides schweigen wird bis zur Osternacht. Der Altarraum wird gänzlich kahl und nackt abgeräumt, Gottverlassenheit soll zum
Ausdruck kommen. Soweit möglich, sollen alle konsekrierten Hostien aus dem Tabernakel
verzehrt sein und nur eine einzige Hostie zur Anbetung in einem Zeigegerät, der Monstranz,
an einem geeigneten Ort aufbewahrt werden. Der Tabernakel bleibt offen, die weit geöffneten Türen verkünden die Abwesenheit des Herrn, die Nacht der Kirche.
Der dritte Weg
Die via dolorosa
(Kreuzweg - Todesstunde)
Der Leidensweg, der Kreuzweg des Herrn, die via dolorosa verwandelt sich Jahr für Jahr in
der Karwoche in Jerusalem zum Kreuzweg. Entsprechend der Überlieferung der Kirche ist sie
der Weg, an dem Jesus sein Kreuz, d.h. den Querbalken getragen hat und mehrmals physisch
zusammengebrochen ist. Die Jünger im Hintergrund, die Frauen am Weg, ein Simon von
Zyrene, der das Kreuz teilweise trägt – stille Wegbegleiter Jesu. Wo reihen wir uns ein an
diesem Geschehen des Karfreitag? Der Karfreitag ist geprägt von Verhandlung und Verspottung, von Kreuzweg und von Kreuzigung, vom Tod und vom absolutem "Systemzusammenbruch" für die Jesus nahestehenden Menschen. Alle Hoffnung wird mit einem Schlag zunichte gemacht. Tragisches Ende des so sehnlichst erwarteten Messias. Politischer oder religiöser
Mord? Fehlschlag seiner Botschaft? Für die Jünger, vor allem aber auch für Judas muss das
Leben in der Nacht von Donnerstag auf Freitag zur Hölle geworden sein. Judas selbst zieht
Konsequenzen und erhängt sich (Matthäus 27,3-10 - Matthäus ist der einzige, der vom
Selbstmord des Judas berichtet). Die übrigen halten sich bedeckt und verborgen. Manche
fliehen, geben auf.
Der Weg Jesu am Karfreitag ist der Weg eines Gescheiterten, Gefolterten und Verurteilten.
Es ist der Weg eines Menschen, der seine Todesstrafe klar vor Augen hat. Wie die vielen, die
in den Kriegen der Welt hingerichtet wurden, zum Platz ihrer Hinrichtung langsamen Schritten gezwungen wurden oder auch immer wieder bedrängt, gestoßen, gezerrt. Es ist der Weg
der Solidarität Gottes mit uns Menschen im Leiden. Wir fragen nach dem Warum? Schreien
gleischsam mit Jesus am Kreuz das WARUM, WARUM HAST DU MICH VERLASSEN? Doch
wir erhalten keine Antwort auf die Worte und Fragen des Psalmes 22. Das „Eli, eli lama
sabachtani“ ist auch anders zu übersetzen: Wozu hast du mich verlassen? Das WARUM fragt
nach dem Grund, bohrt in der Vergangenheit, sucht nach einer Lösung im Geschehenen und
in der Geschichte. Das Wozu hingegen will den Sinn ergründen, blickt nach vorn und weiß
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sich einer höheren Macht unterlegen. Der Mensch hat nicht alles im Griff und er kann den
Sinn des Lebens nicht machen. Er kann Häuser bauen, doch die Natur bringt sie zum Einsturz. Er kann medizinische Fortschritte machen, doch der Tod hat das letzte Wort in unserem irdischen Dasein. Wir sind keine Götter, wir sind Menschen! Und den Weg des Menschen zu gehen, heißt auch das Leid nicht auszusparen, sondern es anzunehmen.
Die Kirche gedenkt des Leidens und Sterbens Jesu in einer feierlichen Liturgie am Nachmittag um die neunte Stunde (15 Uhr) des Karfreitag. Nach dem Einzug in Stille (die liturgische
Farbe ist rot) knien alle nieder und der Priester legt sich in hingebender Geste im Altarraum
auf den Boden. Die Stille der Trauer um den Tod Jesu soll nachempfunden werden. Kerngeschehen der Karfreitagsliturgie ist das Vortragen der Passionsgeschichte nach Johannes in
drei verteilten Rollen, die großen Fürbitten vor dem Kreuz, die Kreuzverehrung und letztlich
die Grablegung. Von außen betrachtet wirkt die gesamte Liturgie wie ein Drama und in der
Tat: es ist heiliges Spiel. Der Tod Jesu bezeichnet ein Ende. Am Kreuz erhöht ruft er zu Gott
aus der Tiefe seiner Existenz. Ein Widerspruch? Im Lateinischen meint das Wort „altus“ sowohl „tief“ als auch „hoch“ – Das Ende seiner „Karriere“, ganz oben angenommen am Kreuz,
ist der tiefste Punkt seines Lebens. Nicht aber der tiefste seiner Gottessohnschaft.
Der Vierte Weg
Der Gang in die Sche'ol
(Das Reich der Toten)
Obgleich das geschäftige Treiben des Karsamstags (Ostereinkauf und hektische Herrichtung
der Wohnung, Speisesegnungen und Planungen der Besuche bei Verwandten) wenig von der
Grabesstille erahnen lassen, so soll - wie bereits am Karfreitagmorgen - in den Trauermetten,
etwas von der Gottverlassenheit und dem Abstieg in das Reich des Todes, der Sche'ol zum
Ausdruck kommen. Für die meisten Menschen ist das Hinabsenken des Sarges in das Grab,
jenes schwarze unausweichliche Loch, kein schöner Anblick. Viele wünschen sich, dass bei
ihrer Beisetzung der Sarg oben bleibt und erst nachdem alle Angehörigen und Gäste verschwunden sind, das Absenken still und leise stattfindet. Doch die Beerdigung eines Menschen, sein Hinabsteigen in das Dunkel des Todes, den Abgrund des Sche’ol gehört zum Leben dazu! Es ist ein deutliches Zeichen unserer Endlichkeit. Die Gewissheit, dass das Wesentliche des Menschen der Verwesen ausgesetzt ist, wirft uns zuweilen aus der Bahn. Wir
wollen den Tod nicht, wir wollen das Sterben nicht, schon gar nicht als junge Menschen. Wir
begreifen diesen Einschnitt in das Leben nicht, wehren uns mit Händen und Füßen dagegen.
Doch was ist der Tod anderes, als Endpunkt und Ausgangspunkt im ewigen Kreislauf des Lebens? Macht es uns die Natur nicht vor? Werden – Sein – Vergehen. Das sind die Eckpfeiler
allen Lebens. Und Gott selbst ist das Leben im Universum, im „ewigen Nun“, wie es die
Mystiker beschreiben. Gott tanzt das Leben und jeder Mensch ist ein Schritt in diesem ewigen Tanz des Lebens. Auf jeden Schritt kommt es an, keiner ist unnütz, keiner ungewollt.
Auf meinen und deinen Schritt kommt es an, damit sich der Tanz des Lebens erfüllen kann.
Eine großartige und vielleicht seltsame Vorstellung. Aber wären wir ansonsten nicht verloren
und nur ein Staubkorn ohne Namen? Der Tanz des Lebens beginnt und endet – das ist der
Kreislauf, das „ewige Nun“ im Sein Gottes.
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Der Karsamstag ist liturgiefrei und würde man es genau nehmen, dürfte auch in der Nacht
noch keine Osterfeier stattfinden, sondern in der Tat erst in den Morgenstunden des Sonntages um 5.00 Uhr oder 6.00 Uhr in der Frühe. „Hinabgestiegen in das Reich des Todes…“ Der Abstieg in die Sche'ol (hebräisch: Unterwelt) symbolisiert das, was wir im Glaubensbekenntnis beten: Das Gefühl der absoluten Gottverlassenheit und in allem uns gleich, auch im
Tod. Gott ging den Weg bis zum Äußersten. Bis zum Ende. Bis zum Tod. Bis zum Tod am
Kreuz. Der Karsamstag ist Trauertag. Die Silbe "kar" meint in der Tat "trauern", "beweinen"
und will zum Ausdruck bringen, wie hoffnungslos die Lage ist. Es ist der Moment des Nichts,
des Zustandes zwischen Ungewissheit und Hoffnung.
Der fünfte Weg
Auferstehung - Gang zum Vater
(Ostern)
"Am ersten Tag der Woche kamen die Frauen in aller Frühe zum Grab, als eben die Sonne aufging" – so beschreibt Markus im 16. Kapitel das Ereignis der Auferstehung. Das Bild der aufgehenden Sonne ist mit der stärkste Ausdruck, den wir für die Auferstehung haben. Kein
Wunder, dass die frühe Kirche diese Symbolik so ernst nahm, dass seit den ersten Jahrhunderten die Kirchen architektonisch geostet sind, der aufgehenden Sonne nach ausgerichtet.
Während die erwachsenen Taufbewerber gen Westen hin dem Satan, dem
„Durcheinanderwerfer“, abschworen, wurden sie gen Osten hin getauft. Kein Mensch weiß,
was wirklich an Ostern geschah. Keiner war Zeuge. Ob wir in Bildern oder in poetischen
Worten von der Auferstehung sprechen, wir kommen immer wieder an die Grenze dessen,
was wir "erklären" können. Es ist besser, von diesem Geheimnis zu schweigen, ist man geneigt zu sagen. Für Hans Urs von Balthasar ist Auferstehung und Himmelfahrt substantiell
eins. Für den Verfasser des Petrusbriefes drückt sich das Bekenntnis so aus: "Dem Fleische
nach ist er gestorben, dem Geiste nach auferstanden." (vgl. 1 Petrusbrief 3,18) Der Geist Jesu
lebt fort und Jesus selbst erscheint den Jüngerinnen und Jüngern in verklärter Gestalt. Es
erfordert die Gemeinschaft der Herausgerufenen (ecclesia = Kirche), um IHN als den Kyrios,
den Herrn zu erkennen. Vielleicht ist von der Auferstehung eher verständlich zu sprechen,
wenn wir sagen, dass Christus zum Vater gegangen ist. Auferstehung also als
"Verendgültigung" des Lebens Jesu beim Vater. Nichts anderes erwartet uns als sterbliche
Menschen: Von Gott am Ende unseres Lebens den Siegel der letzten Gewissheit eingedrückt
bekommen: LEBEN IN FÜLLE.
Der Gang Jesu zum Vater ist eine Heimkehr. Oft hören wir Menschen bei Pilgerfahrten sagen, dass der Weg das Ziel sei. Aber das stimmt so nicht. Für einen spirituellen Menschen ist
nicht der Weg selbst das Ziel, sondern Gott ist das Ziel des Weges. Der Weg ist die Brücke,
die wir überschreiten müssen. Unser ganzes Leben ist ein Weg über diese Brücke. Primär ist
es an uns, das Hier und Jetzt gut und sinnerfüllt zu gestalten. An uns ist es, unsere Talente,
Begabungen, Stärken und Fähigkeiten so einzusetzen, dass wir als Menschen einen Mehrwert für uns selbst erkennen und für andere. Es gilt, unser Leben nicht zu vertun, sondern
liebend anzunehmen, achtsam mit uns selbst und anderen zu gestalten, was an Potentialen in
uns steckt. Wenn wir Sportler anfeuern mit dem Ruf: „Hol das Letzte aus dir raus!“, dann ist
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dies zwar oft ein auf Leistung hin getrimmter Ansporn, aber übertragen auf das geistliche
Leben heißt es, dass wir in die Tiefe gehen und unser Selbst entdecken, frei schaufeln von
den ICH-Rollen, die wir Tag für Tag spielen (müssen). Leben ist mehr als Funktionieren,
mehr als nur Lebendigsein. Leben ist das Auskosten jedes Ein- und Ausatmens vor Gott. Auferstehung geschieht daher jeden Tag im Kleinen. Das Leben ist ein Vorgeschmack auf das
Künftige, aber es ist nicht einfach nur eine billige Variante, die es so schnell als möglich zu
absolvieren gilt. Das Leben hier und jetzt ist ein Geschenk. Ein Geschenk Gottes an jede und
jeden Einzelnen. Geschenke sind achtsam und liebevoll zu behandeln, zu entfalten und in
den Alltag umzusetzen. Ostern ist das Fest des Lebens. Hier wird uns gesagt, wie wertvoll es
ist, atmen zu dürfen, gehen und sehen, schmecken und riechen, fassen und hören zu können. Die Kostbarkeit des Lebens ist im Geschmack der Liebe zu spüren.
Die Kirche feiert daher dieses Fest mit vielen Zeichen und Symbolen. Vom Osterfeuer ausgehend wird die neu entzündete Osterkerze in die dunkle Kirche hineingetragen und während dem gesungenen Exsultet (Osterlob) an die Gläubigen verteilt. Es folgt die Erinnerung
an die Heilsgeschichte Gottes mit dem Menschen in Form verschiedener zentraler Lesungen
aus dem Alten Testament. Mit der Kreuzerhebung vom Grab wird der Alte Bund abgeschlossen und das Gloria angestimmt. Es folgt die Epistel aus dem Römerbrief, welche die Verheißung in Jesus Christus als Erfüllung beschreibt. Das Osterevangelium verkündet die Hoffnung der Auferstehung zum neuen Leben in Christus. Die Taufwasserweihe und die Taufe
von Kindern oder Erwachsenen macht deutlich: Elementarer und ursprünglichster Tauftermin der Christen war die Osternacht, war Ostern selbst als das Fest des Lebens. Die ganze
Gemeinde wird schließlich an die eigene Taufe erinnert, bevor in der ersten Eucharistiefeier
seit Gründonnerstag das Leben Jesu und seine Geistsendung an uns, sowie sein Auftrag, das
Herrenmahl als Gedächtnisfeier an sein Leiden und seine Auferstehung begangen werden.
Der "risus pascalis", das "Osterlachen", ist der humorvolle Anhang an die Osterfeier. Mit einem Witz oder Scherz musste im Mittelalter der Priester die Gläubigen zum Lachen bringen... Osterfreude ist eben immer ganzheitlich und bringt im Lächeln die Freude der Erlösung auf unsere Lippen!
© Admont 2011
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