DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Oskar und Günter auf der Parkbank. Herrn Grass’ letzte Besuche in Gdańsk von Malgorzata Zerwe. Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar – Sendung: Freitag, 11. März 2016, 20.10 - 21.00 Uhr 1 1 O-Ton: Grass kommt an auf dem Plac Wybickiego. Fotos, Stimmen, man redet von der Bank, ohne dass wir verstehen, worum es geht. Grass: "Freut mich sehr. Das ist gut, ja. Das ist so geheimnisvoller. Die fiktiven Gestalten sind immer stärker als die realen." ANSAGE. (über Trommeln) Oskar und Günter auf der Parkbank. Herrn Grass’ letzte Besuche in Gdańsk Ein Feature von Malgorzata Zerwe. O-Ton: Atmo Plac Wybickiego 1. Erzählerin 1: Langfuhr – heute: Wrzeszcz. Hier, auf dem Labesweg, heute: Lelewela, im Haus Nummer 13, ganz in der Nähe meiner Wohnung, wurde der spätere Nobelpreisträger geboren. O-Ton: Grass in Wrzeszcz. Grass: " Ich bin ja in dem Haus aufgewachsen, und dort hatten immer 3 Mietparteien in der Zwischenetage eine Toilette. Und das ist eigentlich ein schrecklicher Zustand. Wenn man das ändern würde, dann könnte man von mir aus die Toiletten nach mir benennen." Günter Grass liest aus "Kleckerburg" Geboren wann? Nun sag schon, wo? Das liegt nordöstlich, westlich von. Und nährt noch immer Fotographen. Das hieß mal so, heut heißt es so. Dort wohnten bis, von dann an wohnten. Ich buchstabiere: Wrzeszcz hieß früher… O-Ton: Atmo Plac Wybickiego 1. O-Ton (Iwona Bigos): In Wrzeszcz, auf der Welle von seiner großen Mode in Polen, entstand eine Bank, auf der nur der Oskar Mazerath als Person sitzt, als Skulptur. Das ist in Langfuhr, in der Gegend, wo Günter Grass gelebt hat. Wo er seine Kindheit verbrachte, und das ist auch die Gegend, die er in seiner Danziger Trilogie beschreibt, in der „Blechtrommel“ passiert sehr viel da, und bei den „Hundejahren“, wie auch bei „Katz und Maus.“ Erzählerin 2: Diese Grass-Kennerin heißt Iwona Bigos. O-Ton (Iwona Bigos Fortsetzung): Es ist dieser Stadtteil, was er zu der Mitte der Welt erklärt. Und deswegen dort, auf dem Plac Wybickiego, auf der Bank, sitzt der kleine Oskar mit seiner Trommel. 2 2 Erzählerin 3: Plac Wybickiego, einst "Neumarkt". Von meinem Badezimmer aus, das ich übrigens - ganz im Gegensatz zur Familie Grass in den Vorkriegsjahren nicht mit den Nachbarn teilen muss, kann ich Oskar auf der Parkbank gut beobachten. Nur … O-Ton (Iwona Bigos): ... dass die Bank erstmals als eine Bank, auf der nicht nur der Oskar, aber auch Günter Grass neben dem Oskar sitzt. O-Ton: Grass in Wrzeszcz. Grass: " "Ich bin jetzt 75. Die sollen Geduld haben. Eines Tages bin ich nicht mehr da, und dann können sie die Bronze aufstellen. Ich kann nur sagen, wir haben alle, ob in Deutschland oder Polen, mit Denkmälern, die zu Lebzeiten gesetzt wurden, schlechte Erfahrungen gemacht.“ O-Ton: Oberbürgermeister Adamowicz. Erzählerin 4: Pawel Adamowicz, der Oberbürgermeister - in Polen der „Stadtpräsident“versichert, dass ein Wort des Ehrenbürgers der Stadt für die Gdansker heilig ist. O-Ton: Grass in Wrzeszcz. Grass: Kein Denkmal, sondern ein Treffpunkt. Wir treffen uns bei Oskar. Und außerdem, was den Oskar betrifft, ist es ein guter Treffpunkt für Protestveranstaltungen gegen den Stadtpräsidenten. O-Ton: Eröffnung /Trommeln. Titel poln. Feature: "Gdansk Wrzeszcz 2002- Bank ohne Grass". Atmo unter Erzählerin weiter. Erzählerin 5: Die Einweihung - sowohl der Bank mit dem kleinen Oskar als auch des Springbrunnens mit der Tänzerin, direkt gegenüber der Bank - fand im Jahr 2002 statt. Hartnäckig hält sich die Legende, wonach die „Tänzerin“ Tulla Pokriefke sei, Hauptfigur im „Krebsgang“ - oder wenigstens Jenny Brunies aus den „Hundejahren”, aber der Bildhauer, Slawoj Ostrowski, bestätigt das nicht. Er wollte nur eine Verbindung zur nahegelegenen Ballettschule herstellen... Ostrowski ist enttäuscht - vom Fehlen einer Grass-Figur. Er sagt, der Nobelpreisträger habe zunächst der Verewigung zugestimmt und erst später dann dagegen protestiert. Die lokalen „Senioren“, unterwegs zum Bierholen, erhoffen sich eine Begegnung mit Herr Grass - aber leider nimmt der Nobelpreisträger nicht an der Einweihungsfeier teil. (Atmo hoch und weg) 3 3 Günter Grass liest aus "Kleckerburg" Geboren wann und wo, warum? nach Antwort schnappte, beichtete mein Stift: Das war zur Zeit der Rentenmark. Hier, nah der Mottlau, die ein Nebenfluß, wo Forster brüllte und Hirsch Fajngold schwieg, hier, wo ich meine ersten Schuhe zerlief, und als ich sprechen konnte, das Stottern lernte: Sand, klatschnaß, zum Kleckern, bis mein Kinder-Gral sich gotisch türmte und zerfiel. O-Ton: Eröffnung /Trommeln Titel ehemaliger Feature: Gdansk Wrzeszcz 2000„Toalety Pana Grassa“, Atmo mit Erzählerin gemischt. Erzählerin 6: Mein Verhältnis zu Günter Grass festigte ich nicht bloß durch Blicke aus meinem Badezimmerfenster. O-Ton: Treppe. + Atmo. Mit „Toalety Pana Grassa“ gemischt. Erzählerin: Als Radiojournalistin begleitete ich ihn seit dem Jahr 2000 mit dem Mikrofon, seit seinem ersten offiziellen Besuch in seiner Heimatstadt nach der Nobelpreisverleihung. O-Ton: Toalety Pana Grassa“ . Zeremonie vor dem Geburtshaus. Erzählerin: Vor dem Geburtshaus, empfangen Nachbarn und Vertreter der Stadt Oskar Mazeraths „Vater“. (Beifall) O-Ton: Frau, unter Erzählerin. Erzählerin: Aber seit jeher rief die Gestalt des Schriftstellers gemischte Gefühle hervor. Man war mächtig stolz auf den berühmten Danziger, es gab aber auch Neid und Abneigung gegenüber „dem Deutschen“! Meint eine korpulente Teilnehmerin an der Zeremonie. Für sie sind die Deutschen die, die 1939 in Polen einmarschierten, und der Nobelpreisträger gehört irgendwie dazu. O-Ton: Treppenhaus/Toiletten, unter Erzählerin. 4 4 Erzählerin: Ich besichtige das berühmte „Örtchen“, das der junge Grass einst benutzte. Damals sagte Grass: „Wenn mich die Stadt unbedingt mit einem Denkmal ehren will, soll sie lieber in mein Geburtshaus Toiletten einbauen, die können ja dann meinen Namen tragen...“ Aber eine Toilette ist natürlich nicht so spektakulär wie eine Bronzebank, obwohl man auf beiden bequem sitzen kann. Hier hat sich wirklich nicht viel verändert. Selbst die Klobrille erinnert noch sehr an die 1930er Jahre. Edek hat wieder mal nicht die Strippe gezogen. Etliche Familien teilen sich diese Toilette, und sie schimpfen auf die Behörden. Sie sprechen von Dreck und Provisorien. Und dass der Pole dem Polen so etwas nicht antun solle. Es kommt sogar die Idee auf, mit dem Geld des Nobelpreisträgers das Treppenhaus zu renovieren. O-Ton: Wohnung Frau Jurczukowa, unter Erzählerin. Erzählerin: Frau Jurczukowa, die im Parterre wohnt, in der alten Wohnung der Familie Grass, bittet den Laureaten zum Tee. Der Direktor des Baltisches Kulturzentrums, der diesen feierlichen Akt organisierte, hält ein polnisches Exemplar der „Blechtrommel” bereit. Denn angeblich hat Herr Grass der Frau Jurczukowa dieses Buch schon vor 40 Jahren versprochen. O-Ton: Musik. Trommeln. Mix. Percussion, unter Erzählerin. An dem - zumindest bis zur ersten Etage - frisch gestrichenen Wohnhaus Lelewela 13 wird bei der Gelegenheit eine Erinnerungstafel angebracht. Atmo Erzählerin 7: Es ist Samstag, der 11. Juni 2005. Wir sind im Keller des Altstädter Rathauses, in dem Restaurant, das zu Grass` Ehren „Turbot“ - also „Zum Butt” - heißt..... Der Inhaber ist Präsident der Günter-Grass-Gesellschaft von Gdansk. O-Ton: Grass liest „Oskar und das Gepäck“ vor Ort. Grass: „Oskar und das Gepäck — wir durften pro Person fünfzig Pfund mitnehmen — wurden in dem zweirädrigen Anhänger, der auf Gummireifen lief, 5 5 verladen. Herr Fajngold schob das Rad. Maria hielt Kurtchens Hand und drehte sich Ecke Eisenstraße, als wir links einbogen, noch einmal um.“ O-Ton: Musik. Trommeln. Mix. Percussion Erzählerin 8: Der Schriftsteller hält sich gerade mit einer Schar von „Blechtrommel”Übersetzern aus der ganzen Welt in Gdansk auf und ist zu einem Essen im „Turbot“ eingeladen. Atmo Restaurant. Erzählerin: Überraschend erscheinen Freunde aus der Danziger Kindheit. O-Ton: Grass begrüßt alte Freunde aus Gdansk. Grass: Ja. Hans Pullin? Mann: Alex. Grass: Alex Pullin. Ah ja. Aus dem Labesweg. Mann: Genau. Grass: Und wo leben Sie jetzt? Mann: In Düsseldorf. Grass: In Düsseldorf. Sehr schön, dass wir uns nach so lange Zeit wiedersehen. Mann: Mein Name ist Achim Laurens. Ich lebte in der 27. Grass: Ja, gegenüber! Wir hatten das gemeinsame Klo (Lachen). Günter Grass liest aus "Kleckerburg" ...und Namen, die nur Namen sind: Elfriede Broschke, Siemoneit, Guschnerus, Lusch und Heinz Stanowski; auch Chodowiecki, Schopenhauer sind dort geboren. Wann? Warum? (verlängert) Ja, in Geschichte war ich immer gut, fragt ich nach Pest und Teuerung, ich bete läufig Friedensschlüsse wie Ordensmeister, Schwedennot und kenne alle Jagiellonen und alle Kirchen, von Johann bis Trinitatis, backsteinrot. O-Ton: Grass im „Turbot“. Grass: Mona ... komm auf meinen Schoß... Helmut...na, wunderbar…. Essen und Trinken und Literatur kommen zusammen. Literatur ist keine bloße Drucksache, ist kein trockener Stoff. Literatur hängt mit dem Leben zusammen und das manifestiert sich in diesem Lokal. Also nochmals vielen Dank. Dziękuję." O-Ton: Musik. Percussion. Straße. O-Ton: Plac Wybickiego, unter Erzählerin 6 6 Erzählerin 9: Die Jahre vergehen. Der kleine Oskar hockt immer noch einsam auf der Bank. An Grass` Stelle würde ich auch nicht gerne neben ihm sitzen. Der Bildhauer hat Oskars Gesicht nicht unbedingt mit Intelligenz gesegnet, auch die Schuhe sind ihm zu groß und es fehlen die Schnürsenkel. O-Ton: Rentner Plac Wybickiego. Erzählerin: Aber drei Rentner, die zu jeder Jahreszeit bei Oskar auf der Bank sitzen und täglich die Welt verbessern, scheint das nicht zu stören. O-Ton: Atmo Platz/ Betrunkener an der Bank / Trommeln. Erzählerin: Ich stehe wieder mal am Badezimmerfenster. – An den Abenden trinken die jungen Einheimischen bei Oskar ihr Bierchen, obwohl der Konsum von Alkohol auf öffentlichen Plätzen in Polen verboten ist. O-Ton: Günter Grass Galerie. Grass signiert Bücher. Besucher: „Hello, Mister Grass“. Erzählerin 10: 2009 wurde in Gdansk die Günter-Grass-Galerie eröffnet. Damals rief die Direktorin, Iwona Bigos, das Festival „Grassomania” ins Leben; es findet alljährlich im Oktober, zu Grass` Geburtstag, statt. O-Ton: Iwona Bigos: "Die Stadt Danzig wollte auf dieser Art und Weise den Ehrenbürger der Stadt Günter Grass ehren. Und diese Galerie ist vor allem seinen plastischen Werken gewidmet, also ihn als bildenden Künstler stellt die Galerie Vordergrund, statt so, wie es normalerweise getan wird als Literaten. O-Ton: Ein Danziger zu Grass: "Sie müssen öfter hier kommen. Das ist für uns eine Ehre, dass Sie hier wieder sind. Ich muss ehrlich sagen, als Danziger könnte man nicht immer stolz sagen: "Ich bin Danziger". Das ist eine traurige Zeit gewesen. ... Ich freue mich, dass ich einen Landsmann wieder sehen kann. Das ist wirklich für mich eine Ehre." Grass: Alles Gute Ihnen. Danziger: Danke. Alles Gute. O-Ton: Eine Frau zu Grass: For my best friend. Grass: What is his name? First name. Frau: Rudol…. Grass: Wie? Frau: Rudolf. Grass: Rudolf? Frau: Thank you very much. 7 7 MZ zu GG: "It’s extremely interesting to record pen writing." Erzählerin : Zur ersten „Grassomania” kommt der Schriftsteller mit Sohn Franz, dem besten Grass-Kenner... O-Ton: Franz Grass: „Als ich mit meinem Vater nach Carcassonne gefahren bin.und wir standen auf einem Platz, er mit seiner Mütze mit der Pfeife und plötzlich kommen zwei deutsche Touristen und sagen: "Monsieur...vous“ –ich kann nicht gut Französisch –„vous simulez ...Sie sehen aus wie ein deutsche Schriftsteller" auf Französisch. "Könnten wir bitte ein Foto von Ihnen machen?" Aber alles auf Französisch. Und mein Vater sagt: "Oui, oui, pas de problème." Sie haben ein Foto gemacht, und nachher hat mein Vater gesagt: "OK. Vielen Dank und ich wünsche Ihnen noch schöne Ferien." Auf Deutsch. Und noch ein schönes Erlebnis. Mein Vater und ich, in Ostdeutschland vor 5 Jahren war das, sind wir in eine Gaststätte gegangen und haben gegessen. Und dann kam eine Frau mit einem Zettel und sagte: "Herr Biermann, könnte ich bitte eine Unterschrift von Ihnen haben?" auf Atmo Straße/Regen Erzählerin 11: In Gdansk 2009 hat Günter Grass viele Verpflichtungen aus Anlass des 50jährigen Jubiläums der „Blechtrommel” und des 30jährigen der polnischen Ausgabe. Trotz sintflutartigen Regens erscheint er auf dem Bahnhof von Wrzeszcz. O-Ton: Man läuft im Regen bis zur "Grassomania". MZ: "Not the best weather". GG: "Das Wetter ist wie das Wetter ist". IB: „Ja. Dann gehen wir. Kommen Sie mit.“ GG: „Das geht schon. Ein bisschen Tropfen. Das macht nichts.“ IB: „Nicht, dass Sie noch wachsen.“ GG: „Hier hat sich nichts verändert.“ O-Ton: Bahnhof: deutsche Poesie aus dem Bahnhofslautsprecher. Grass: „Lauter junge Leute“. Grass: Ein schönes Eichendorff-Gedicht: „Dunkle Giebel, hohe Fenster, Türme wie aus Nebel sehn. Bleiche Statuen wie Gespenster Lautlos an den Türen steh `n.“ O-Ton: Iwona Bigos: „Und so inspiriert, haben sie dann die Idee gehabt, hier auf diesem Bahnhof und auf den anderen Bahnhöfen, die zu 8 8 deklamieren, deklamieren, dass die Leute einfach mal was anderes erfahren, wenn sie hier die Literatur und die Poesie den ersten Platz...“ Grass: (unterbricht) "Also, für mich die Poesie dieses Bahnhofes ist, wenn meine Großtante Anna aus der Kaschubei kam auf dem Markt hier was zu verkaufen, und mit der Bahn hier ankam. Dann hat sie ihre Landschuhe ausgezogen und hier auf dem Bahnsteig die Stadtschuhe angezogen." Iwona Bigos: „Wahnsinn!“ O-Ton: Günter Grass: „Ich habe ein langes Danzig Gedicht„Kleckerburg.“ Das ist ein langes Gedicht von mir.“ Günter Grass liest aus "Kleckerburg" Wir wollen wissen, wo und wann. Nicht auf Strohdeich und Bürgerwiesen, nicht in der Pfefferstadt – ach, war ich doch geboren zwischen Speichern auf dem Holm! – in Strießbachnähe, nah dem Heeresanger ist es passiert, heut heißt die Straße auf polnisch Lelewela – nur die Nummer links von der Haustür blieb und blieb. Und Sand, klatschnaß, zum Kleckern: Gral... In Kleckerburg gebürtig, westlich von. Atmo Bahnhof Grass: „Von hier aus sind wir nach Kartuzy gefahren. Das war auf Besuch zu den kaschubischen Verwandten. Da sind wir von hier aus gefahren. Aber sonst sind wir in die Stadt mit der Straßenbahn gefahren. Mit der Linie 5. In Lelewela, wo der Platz war –der hieß früher Max Halbe Platz— Max Halbe war ein Schriftsteller …. Grass weiter unter Erzählerin Erzählerin 12: Der Bahnhof erinnert Grass nicht nur an die Geschichte seiner Großtante und an die Besuche bei der kaschubischen Verwandtschaft, sondern auch an das Schicksal des Familienalbums. O-Ton: Grass: Das Fotoalbum. Dies Kapitel steht ja relativ am Anfang und ist so eine Möglichkeit einer epischen Ausweitung. Also alle Figuren die später vorkommen sind dort auf Fotos drauf und werden analysiert aus Oskars Blickwinkel. Da kommt noch etwas dazu, bei all den Flüchtlingsfamilien oder Vertriebenfamilien, sie sind ja oft auf dem Transport nach dem Westen unterwegs ausgeraubt worden, manchmal haben sie nur das Fotoalbum gerettet. Da hat man am meisten aufgepasst, dass wenigsten s die Fotos gerettet wurden. Auch 9 9 meine Familie, als ich meine Eltern wiederfand, die hatten nichts mitgenommen von hier, war alles weg, aber das Fotoalbum hatten sie gerettet. Ist eine Art Säkularisierung. In früheren Zeiten haben die Leute die Familien-Bibel mitgenommen, jetzt war es das Fotoalbum. Atmo Bahnhof Erzählerin 13: Ja, genau wie Oskar Mazerath seinen Schatz rettete. Während der Fahrt im Güterwagen heim ins Reich drückt er ihn gegen die Brust, und wenn er schläft, schläft Oskar auf dem Fotoalbum. Was, fragt er, was auf dieser Welt, welcher Roman, hätte die epische Breite eines Fotoalbums? O-Ton: MZ fragt (auf Polnisch) was Grass gerettet hätte. Übersetzt. Antwort Grass: „Meine Zeichnungen, die ich als Kind gemacht habe. Und mein ersten Romanentwurf. Das ist alles verloren." Erzählerin 14: Aber nicht die Kindheitserinnerungen. Die kommen hoch in der „Danziger Trilogie“. O-Ton: Grass über die Danziger Trilogie. Grass: „Das war für mich eine Schreibperiode, die sieben Jahre gedauert hat. Das habe ich nacheinander, in Paris angefangen und dann in Berlin fortgesetzt, die „Blechtrommel“, „Katz und Maus“ und „Hundejahre“ geschrieben. Die gehören zusammen. Und für mich ist eigentlich "Hundejahre" die Steigerung der „Blechtrommel“. Aber die „Blechtrommel“ ist berühmter geworden. Aber wer hört schon auf den Autor? Für mich als Autor ist „Hundejahre“ wichtiger als die „Blechtrommel". O-Ton: Ein Dichter von "Grassomania" begrüßt Grass. Iwona Bigos: Herr Grass! Das ist der Dichter… Übersetzer: „Das ist der Dichter.“ Dichter: „Schöne Zeit.“ Grass: „Danke schön“. Dichter fragt: heute soll der literarische Nobelpreis verliehen werden und Sie als Nobelpreisträger – was halten Sie von der Meinung eines anderen Nobelpreisträgers, der gesagt hat, dass der Nobelpreis für die erste Periode eine Art schöpferischer Lähmung bedeutet... Grass: In meinem Fall war das nicht so. Ich war alt genug, um das Ganze ironisch nehmen. Ich hatte vorher nur zwei Berufe, Schriftsteller und Grafiker, und jetzt habe ich einen dritten Beruf, ich bin Nobelpreisträger. (Wird übersetzt. Lachen). Aber wenn ich den Preis bekommen hätte im Alter von 45 Jahren, dann hätte es vielleicht lähmend gewirkt. O-Ton: Sie laufen in Wrzeszcz. Iwona: Wir gehen jetzt weiter. MZ sagt "changes". 10 10 Erzählerin 15: Herr Grass zeigt seinem Begleittross sehr gerne „sein“ Wrzeszcz – Langfuhr: heute sind das Iwona Bigos, Sohn Franz und ich. Er weist auf das Haus seines Großvaters, wo er als Kind viel Zeit verbrachte. Dann... Grass zu Sohn: „Das war hier ein Vergnügungspark, Klein Hammerpark hieß das. Sohn: Ein Rummelplatz? Grass: Nein, eine Gaststätte. In „Hundejahre“ ist das beschrieben. Klein Hammerpark." O-Ton: Sie laufen in Wrzeszcz. Erzählerin 16: Dann gehen wir zu dem Haus, in dem seine Eltern ihren Laden hatten, das Kolonialwarengeschäft aus der „Blechtrommel“. Grass ist es wichtig, dass man seine persönliche Geschichte mit den Schauplätzen seiner Bücher verbinden kann. Und ... Franz Grass: "Wo bist du eigentlich getauft worden?" Grass: „In der Kirche am Bahnhof. Da war eine Kirche.“ Franz Grass: "Katholische Kirche?" Grass: „Herz Jesu Kirche.“ Franz Grass: "Und wer war hier überhaupt katholisch? Von den Deutschen?" Grass: „Meine Mutter“. Franz Grass: „Ja, gut. Aber, gab so viele Katholiken in Danzig?“. Grass: „Dreißig Prozent“. Franz Grass: „Dreißig Prozent? … Grass: „Dieser Teich hier. Den gab es früher nicht. Der ist erst während des Krieges angelegt worden, als Feuerlöschteich." (Passanten begrüßen Grass) Grass: „Das ist die Pestalozzi Schule. Das war meine erste Volksschule.“ Franz Grass: „Da wo mit dieser Krawatte passiert?“ Grass: „Nein, das war später. Da war ich vom 6. bis zum 10. Lebensjahr. Da hatte ich keine Krawatte.“ Erzählerin 17: Dieselbe Pestalozzischule, in der Oskar Mazerath seinen ersten Schultag verbringt. Als die Lehrerin versucht, ihm seine Blechtrommel aus der Hand zu reißen, schreit er so schrill, dass die Fensterscheiben zu Bruch gehen und dann auch noch die Gläser ihrer Brille zerspringen. Er wird die Pestalozzischule nie wieder betreten. O-Ton: Sohn: „Wir gehen jetzt zum Labesweg. Er wird jetzt gefahren.“ 11 11 Günter Grass liest aus "Kleckerburg" Getauft, geimpft, gefirmt, geschult. Gespielt hab ich mit Bombensplittern. Und aufgewachsen bin ich zwischen dem Heiligen Geist und Hitlers Bild. Im Ohr verblieben Schiffssirenen gekappte Sätze, Schreie gegen Wind, paar heile Glocken, Mündungsfeuer und etwas Ostsee: Blubb, pfff, pschsch... O-Ton: Trommeln +Schreien von Oskar + dann Hitler: Hitler: "Danzig war und ist eine deutsche Stadt. Der Korridor war und ist deutsch. Alle diese Gebiete verdanken ihre kulturelle Erschließung ausschließlich dem deutschen Volk. Ohne das deutsche Volk würde in all diese östlichen Gebieten, tiefste Barbarei herrschen." Atmo Glocken/Stadt unter Erzählerin Erzählerin 18: Man fragt sich, wie das sein kann, dass Grass 3 Jahre nach Enthüllung einer peinlichen Kriegsepisode, seinem Bekenntnis einer kurzen Mitgliedschaft bei der Waffen-SS, in Gdansk offiziell wieder so populär und geachtet ist. Der internationale Skandal brach 2006 aus, als „Beim Häuten der Zwiebel” erschien. O-Ton: Bürgermeister Adamowicz unter Erzählerin. Erzählerin 19: Oberbürgermeister Adamowicz hörte im Radio von dem Skandal und wusste sofort, dass Leute auftauchen würden, die Grass` Kopf fordern... Sehr emotional reagierte der legendäre Solidarnosc-Chef Lech Wałęsa, Expräsident Polens und ebenfalls Ehrenbürger von Gdansk: „Weg mit der Ehrenbürgerschaft für Grass!” ... O-Ton: Atmo Plac Wybickiego Erzählerin 20: Die Nachricht ist schlecht für Oskar. Vielleicht wird der Autor nie mit ihm auf der Bank sitzen dürfen. Man malt Oskar SS-Runen auf die Schultern und ein Hitlerbärtchen unter die Nase... Und er kann nicht mehr trommeln – immer wieder klaut man ihm die Stöcke. O-Ton Adamowicz unter Erzählerin Und so diktierte Adamowicz einen Brief an Grass, mit der Bitte, die Sache zu erklären, als Danziger den Danzigern. 12 12 O-Ton: Adamowicz liest aus seinem Brief auf Polnisch. Erzählerin 21: Beinahe unverzüglich kam eine Reaktion von Grass. O-Ton: Adamowicz liest Grass' Brief auf Polnisch. Unter Erzählerin weg. Erzählerin 22: Sehr geehrter Herr Adamowicz, ich danke Ihnen für Ihren Brief und für das Vertrauen, das Sie mir gegenüber auch in der gegenwärtigen Situation beweisen. Ich bedaure es, Ihnen und den Bürgern der Stadt Gdansk, mit der ich als gebürtiger Danziger zutiefst verbunden bin, eine Entscheidung aufgebürdet zu haben, die gewiß leichter und auch gerechter zu fällen wäre, wenn mein Buch bereits in polnischer Übersetzung vorläge. Als ich zu einem frühen Zeitpunkt, zu Beginn der 50er Jahre, begreifen mußte, daß aus deutscher Schuld der Verlust meiner Heimatstadt Danzig als endgültig zu erleiden war, habe ich dieses, zugegeben, schmerzhafte Verständnis auch öffentlich vertreten. Seitdem ist dieser Verlust durch die Nachkriegsgeschichte der Stadt Gdansk mehr als erleichtert worden, denn von Ihrer und meiner Stadt gingen politisch wegweisende Impulse aus - in Gestalt einer wiederholt Freiheit erkämpfenden Arbeiterbewegung, die schließlich unter dem Namen “Solidarnosc” in die Geschichte eingegangen ist. Ich sah viele Gründe, auf meine ehemalige Heimatstadt stolz zu sein. Das machte mir Mut, das immer wieder stockende Gespräch zwischen Polen und Deutschen, Deutschen und Polen fortzusetzen, auf daß wir alle aus der Geschichte, so schmerzhaft sie war, eine Lehre ziehen, die wechselseitiges Verständnis erlaubt. Freundliche Grüße O-Ton: Adamowicz liest Grass Brief und spricht weiter unter Erzählerin. Erzählerin 23: Mit diesem Brief lief Adamowicz zu allererst zu Wałęsa und erwirkte Verständnis für den Nobelpreisträger. Wałęsa zog seine Forderung zurück. O-Ton: Adamowicz/Stadt. Erzählerin 24: Grass' Erklärung wurde veröffentlicht - ihm wurde polenweit vergeben. O -Ton: Adamowicz/Schlöndorff Anekdote. 13 13 Erzählerin 25: Als Volker Schlöndorff in Gdansk war, zur Premiere seines Films „Streik. Die Heldin von Danzig”, traf er sich zum Essen mit Adamowicz und sagte: „Du hast Günter den Arsch gerettet.” Günter Grass liest aus "Kleckerburg": Da schrien alle schlagt ihn tot, er hat auf Menschrecht und Renten, auf Lastenausgleich, Vaterstadt verzichtet, hört den Zungenschlag, das ist die Ostsee nicht, das ist Verrat. Befragt ihn peinlich, holt den Stock drum her, streckt, redet, brennt, brecht und glüht, passt dem Gedächtnis Schrauben an, wir wollen wissen, wo und wann… O-Ton: Atmo Plac Wybickiego. Spaziergang. Mit Erzählerin gemischt. Erzählerin 26: Herr Grass durfte eine „Danziger Marke“ bleiben. Gut für den Tourismus. Ja... und so konnten die Stadtoberen also in aller Ruhe eine neue Tafel an der Grass-Gedenkpiste aufstellen lassen, und die Bezirksbibliothek erhielt den Namen „Katz` und Maus”. Im Internet tauchte sogar die Idee auf, den „Plac Wybickiego“, den WybickiPlatz, in „Plac Günter Grass“ umzubenennen. Obwohl Wybicki doch der Komponist der Nationalhymne ist. O-Ton: Atmo Plac Wybickiego. Reinigung. Erzählerin: Der kleine Oskar wird reingewaschen. Seine gestohlenen Trommelstöcke werden durch neue ersetzt. Und die drei Rentner sitzen immer noch bei ihm auf der Bank. O-Ton: Rentner. Ein paar deutsche Worte: "freiwillig" , "SS", mit Erzählerin gemischt. Erzählerin 27: Unser Rentner kennt die Beschreibungen aus „Beim Häuten der Zwiebel” genau und erteilt dem Nobelpreisträger Ablass für die Kriegsepisode; die politische Affäre mit der Aberkennung der Ehrenbürgerschaft ist ihm nur noch peinlich. Er sagt, Grass sei ein Danziger, aber eben ein „deutscher Danziger“. O-Ton: Atmo Plac Wybickiego 14 14 Günter Grass liest aus "Kleckerburg" Wer fragt wo? Mein Zungenschlag ist baltisch, tückisch, stubenwarm. Wie macht die Ostsee? – Blubb, pfff, pschsch ... Auf Deutsch, auf Polnisch: Blubb, pfff, pschsch... Doch als ich auf den Volksfest, müde von Sonderbussen, Bundesbahn, gespeist mit Flüchtlingstreffen die Funktionäre fragte, hatten sie vergessen, wie die Ostsee macht und ließen den Atlantik röhren. Ich blieb beharrlich blubb. … pfff, pschsch ... Erzählerin 28: Grass nimmt die Besuche der Heimatstadt wieder auf. Immer mit Ehefrau Ute, manchmal mit Sohn Franz. O-Ton: Grass/Stadt Grass: „Ja, das ist für mich immer jedes Mal eine große Überraschung wenn ich hierher komme, und auf der Straße begrüßt werde, und Leute sich freuen, dass ich wieder hier bin. Und hinzu kommt, dass, wenn ich hierher komme, und natürlich auch ein Teil meiner Verwandtschaft, der kaschubische Teil der Verwandtschaft, hier nicht nur lebt sondern immer grösser wird.“ O-Ton: Strassenatmo. O-Ton: Grass geht ins Café mit Iwona Bigos. Aufzug. Grass: „Oh. Sehr hoch!“ Iwona Bigos: „16. Etage“ MZ spricht über Musik im Aufzug (Polnisch dann übersetzt „Musik wird komponiert speziell für die Aufzüge.“). Grass: "Ein schöne Blick. In meiner Jugendzeit gab es nicht so viel Verkehr. O-Ton: Iwona Bigos zeigt GG die Stadt vom Cafefenster. Grass: „Ah, da ist die Synagoge“. Er zeigt sie seiner Frau. Grass: "Geplündert in meiner Jugendzeit, aber nicht im Brand gesteckt. In Danzig, da wurden sie in Brand gesteckt." Geht weiter, murmelt. Franz Grass: „Wir sind immer noch hier in Langfuhr, oder?“ Grass: In Langfuhr, ja. Franz Grass: „Und wo geht die Strasse jetzt nach ...“ 15 15 Grass: „Das geht ja nach Oliva runter. Und hier ist der Jeschkenthaler Wald. Der geht dann über in den Olivawald.“ Erzählerin 29 ab hier über O-Ton. Franz Grass: „Genau. Hier geht’s nach Oliwa. Und dann hinter Oliva kommt ...“ Grass: „Sopoterwald.“ Franz Grass: Sopoterwald, und Goldkrug ist auch dahinter“? Erzählerin 29: Vom Panorama-Fenster des Cafés „Olymp“ in der obersten Etage eines 16stöckigen Hochhauses hat man einen weiteren Blick als aus meinem Badezimmerfenster im 2. Stock am Plac Wybickiego. O-Ton: Essen und Reden. Grass: „Eine hübsche Idee, hierherzukommen. Ruhig angenehm. Keine Fotographen... Iwona Bigos: „Nur eine Journalistin.“ O-Ton: MZ auf Polnisch zu GG. Erzählerin 30: Herr Grass kennt mich inzwischen, er weiß schon, dass ich nicht nur an dem Platz mit der Bank wohne, sondern auch eine Radioserie über das Danzig seiner Kindheit gemacht habe. Grass: „ Gibt es dann nun von mir einen Bronzeguss in ganzer Figur, was ich nicht erlaubt habe? Habt ihr den irgendwo stehen? Es war ein langes Gespräch. Ihr wartet ja auf meinen Tod, ja. Dann könnt ihr machen was ihr wollt. Ich hab ja gesagt, sie sollen nicht das Denkmal aufstellen, sie sollen in der Lelewela Nummer 13 Toiletten reinbauen in die Wohnung.... Bis heute nicht.“ Grass: „Es wäre für mich schrecklich gewesen hierher zu kommen und mich in Lebensgröße in Bronze zu sehen. Es war eine sehr nette Idee, aber eine Idee, die man nicht realisieren muss.“ Erzählerin 31: Die Geschichte der Toiletten und der Bronzebank kenne ich schon auswendig. Aber die Beziehung zu Ratzinger ist mir völlig neu. Franz Grass: „Hast du eigentlich von dem Papst mal was gehört wegen dem Gefangenenlager? Feige irgendwie, nicht? (Zu Iwona Bigos): Genau. Du kennst diese Geschichte? Mein Vater war doch mit dem Papst zusammen in dem Gefangenenlager.“ Iwona: Das ist in dem Buch „Beim Häuten der Zwiebel“ beschrieben Grass: "Mein Kumpel Josef. Er hat sich nicht viel verändert. Er war schon damals so fanatisch." Klatsch, dann: „Ich hatte Würfel, und da haben wir immer gewürfelt. Er wollte in der Kirche aufsteigen, und ich wollte großer Künstler werden. Wenn ich gewonnen hätte, wäre ich Papst geworden.“ 16 16 Übersetzer: „Und er Schriftsteller.“ Grass: „Er schreibt ja gerne.“ O-Ton: Straße MZ: "Thank you very much that you didn’t mind that I was here. And "goodbye till next time." Grass: „Next time, ja.“ MZ: „Bye.“ O-Ton: Mix Strassenatmo mit Gdansk. Glocken, Straße. Erzählerin 32: Das „ nächste Mal” ereignete sich im Jahre 2014. Grass kommt, um in der Günter-Grass-Galerie seine Skulptur „ Der gefangene Butt” zu enthüllen. O-Ton: Turbot Zeremonie. Grass: "Meine Damen und Herren, von mir ein ganz kurzer Beitrag. Für mich geht heute in gewissem Sinne ein Traum in Erfüllung. Meine Bücher werden hier in polnischer Sprache in Gdansk veröffentlicht, meine Zeichnungen, und Radierungen und Lithographien sind in diesen Räumen ausgestellt. Und nun noch meine dritte Tätigkeit, die des Bildhauers, dokumentiert sich in einer Skulptur, die hier vor der Galerie steht. Das ist in der Tat für mich ein Traum. Viele wissen das nicht. Ich habe als junger Student in Düsseldorf nach dem Krieg, als Bildhauer angefangen. Zuerst in einem Steinmetz-Geschäft gearbeitet, Grabsteine gemeißelt. Grabsteine haben, wie wir wissen, immer Konjunktur ...“ O-Ton: Applaus/ Grassomania 2014 / Videospiel Game. Grass: „Ah, das ist das Spiel“. Iwona Bigos: „Der Turbot muss dann zwischen diese Netzen springen. Und wenn nicht, dann ist „game over“. Erzählerin 33: Es gibt beim "Grassomania"-Festival ein Videospiel: „Grassowka“, basierend auf Motiven aus Grass' Werken. O-Ton: Grassomania 2014 / Grassowka Video Game. Kind spielt und spricht. Iwona Bigos: „Es gibt dann drei Helden: die Blechtrommel, der Turbot und Alexander und Alexandra zusammen.“ Erzählerin 34: Dieser Besuch bietet mir Gelegenheit, den Künstler zu fragen, ob er sich jetzt von der „Falle der Herkunft“, von der er in seiner Autobiographie schreibt, befreit fühle - oder ob eine solche Befreiung gar nicht nötig gewesen sei..... 17 17 Grass: „Es ist natürlich schon –was meine Biographie betrifft so ist es vielen damals gegangen. Ich bin in der Lelewela, dem früheren Labesweg, in einer zwei Zimmer Wohnung aufgewachsen. Ich hatte kein eigenes Zimmer, aber eine drei Jahre jüngere Schwester, die es schwer ertrug, wenn ihr Bruder gelesen hat. Ich hatte also keine Möglichkeit, mich zu konzentrieren, alleine zu sein. Und ich muss sagen, ich habe durch diesen Zwang gelernt, mich zu konzentrieren. Mit den Fingern in den Ohren habe ich gelesen, und so ist das zwar eine Falle gewesen, also ???... aber gleichzeitig auch hat mir das eine gewisse Disziplin abgefordert. Und hat mich geprägt. Ich kann das nicht auf meine Kindheit und auf beschränkte Wohnverhältnisse, die damals normal waren. Was natürlich nicht nur mir allein, sondern vielen Schriftstellern in Deutschland so geschehen ist, uns wurde das Thema vorgegeben. Bei Kriegsende war ich 17, 18 Jahre alt, und war auf einmal mit den deutschen Verbrechen, einem Übermaß von Verbrechen konfrontiert. Und ich merkte, so sehr ich mich artistisch austoben wollte, mir waren die Themen vorgeschrieben. Ich musste darüber schreiben, und das hat bis heute angehalten. Das ist gewissermaßen auch eine Art Zwang, dem man folgen muss. Das kann zur Last werden, wenn es einem nicht gelingt, mit Hilfe der Fantasie und allen Möglichkeiten, diesen sehr engen Rahmen zu sprengen. Und so ist mein ganzes Schreiben und Tun immer in dem Bewusstsein geschehen, dass ich gegen das Vergessen anschreiben muss. Und das ist, glaube ich, in einer Zeit, in der wir durch diese Medien mit Informationen überschüttert werden, ist die Gefahr sehr groß, dass wir diese Vergangenheitsperioden verdrängen, vergessen und gar nicht mehr begreifen, wie es zu Konflikten kommt, die uns heutzutage überraschen. Die alle ihre Ursachen weit zurück liegend auf dem 20 Jahrhundert, 19 Jahrhundert haben.“ MZ: „Thanks a lot and have a nice evening and happy birthday, as usual in October. Erzählerin 35: Ein letztes Mal gratuliere ich Herrn Grass zum Geburtstag. O-Ton: Atmo Plac Wybickiego/Arbeiter bereiten Bank vor. Mit Erzählerin gemischt. Erzählerin 36: Endlich ist es soweit. Günter setzt sich zu Oskar auf die Bank. Die Bronzefigur ist sperrig und schwer... Grass wiegt fast 200 Kilo. Es braucht 4 Männer, um ihn hochzuhieven… Er wird auf die Bank geschweißt. Günter sitzt jetzt ein wenig auf Distanz zu seinem Oskar, am anderen Ende der Bank. Auf den Knien hält er ein Buch, über das eine Schnecke kriecht. In der Hand die unvermeidliche Pfeife. ... Oskar bekommt neue Trommelstöckchen, denn die alten sind wieder einmal spurlos verschwunden. 18 18 O-Ton: Zeremonie. Mit Erzählerin gemischt. Erzählerin 37: 16. Oktober 2015. Grass` Geburtstag ohne das Geburtstagskind. Es kommen Franz Grass mit Sohn und Freunden aus Lübeck. O-Ton: Zeremonie/Beifall. Iwona: Ich habe gerade die Skulptur und die kaschubische Familie fotografiert Franz Grass: „Sehr gut. Und ich finde das mit der Schnecke sehr schön. Iwona Bigos: „Und meinst du nicht, dass er hat so einen Bismarck-Touch, diese Skulptur? Franz Grass: „Nein, was ist, er war ein bisschen dicker. Aber ich ziehe auch den Bauch ein, wenn ich fotographiert werde. Ich finde es auch gut, dass er nicht neben Oskar sitzt, sondern so ein bisschen skeptisch zu seiner Figur rüberguckt ... sehr schön." Erzählerin 38: Alle noch greifbaren kaschubischen Verwandten wohnen der Platzierung des Nobelpreisträgers bei. Außer Günters Kusine Irmgard, die ich danach mit Franz besuche. O-Ton: Irmgard Krause: " Oh je je je! Schade, dass Waltraut nicht kam. Franz: Ja, das ist Schade. Ich guck mal ob ich Waltraut erreichen kann. ... Du weißt wer Waltraut ist? Günters Schwester. Moment Mal, wir rufen nochmals Waltraut an. Irmgard: Waltraut? Schade, dass du nicht gekommen bist, mit den Kindern! Mein Gott, ich kann nicht auf die Füße, meine Knien sind kaputt!" ... Mein Gott, was ist das? 88 Jahre, wir können sich nicht auf die Füße.... Alle gestorben, alle Tanten sind gestorben, sind wir alleine jetzt. Ohne Günter. Mit Günter war Spaß. Immer Besuch und Wein. (Franz unterbricht). Mein Gott, Waltraud, die Zeit geht schnell vorüber, nicht? Oh je! Mit Günter haben wir in Danzig gespielt. Auf die Trommel. Und ich dachte nicht auf Polnisch sprechen. Alles voll mit Leuten Deutschen. Ich hab gesagt, leck dem Pollak solange im …. (geflüstert), bis er Deutsch wird. Ich heiße Irmgard Krause. Ich habe einen deutschen Namen und einen deutschen Nachbarn." Franz: Irmgard, auf dich, auf deine Gesundheit. Irmgard: „Dankeschön. Gleichfalls.“ Franz: „Und auf Günters Gesundheit da oben, der kann's auch gebrauchen.“ O-Ton: Atmo Plac Wybickiego/ Rentner. Erzählerin 39: Ich bin wieder bei Günter „hier unten“, dem Günter aus Bronze. Unsere drei Rentner, die zu jeder Jahreszeit vor meinem Badezimmerfenster auf der Bank sitzen und täglich die Welt verbessern, müssen ab heute auf die Nachbarbank ausweichen – denn zu dritt passen sie leider nicht zwischen Oskar und Günter. 19 19 O-Ton: Atmo Platz. Der Rentner sagt: "Jetzt zu wenig Platz". Günter Grass liest aus "Kleckerburg" Im Ohr verblieben Schiffssirenen gekappte Sätze, Schreie gegen Wind, paar heile Glocken, Mündungsfeuer und etwas Ostsee: Blubb, pfff, pschsch... Erzählerin 40: „Im Ohr verblieben Schiffssirenen gekappte Sätze, Schreie gegen Wind, paar heile Glocken, Mündungsfeuer und etwas Ostsee: Blubb, pfff, pschsch...“ O-Ton: Mix. Trommeln. ABSAGE. Oskar und Günter auf der Parkbank. Herrn Grass’ letzte Besuche in Gdańsk Sie hörten ein Feature von Malgorzata Zerwe Es sprach: Angela Winkler Ton: Martin Eichberg Regie: Malgorzata Zerwe und David Zane Mairowitz Redaktion: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2016 20 20
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