Kultur s treiflichter und z wieBelfische Über Zeitungs- und Onlinekolumnen Comic: Matthias Neuser W arten Sie jeden Morgen auf „Post von Franz Josef Wagner“ in der „Bild“? Auf das manchmal schräge „Guten Morgen“ in der „Rundschau“ von Herrn Adam. Oder auf das „Streiflicht“ in der „Süddeutschen“? Jede Woche auf die Kolumne von Meike Winnemuth im „Stern“, den abgehobenen Beitrag von Axel Hacke im Magazin der „Süddeutschen“, den von Harald Martenstein im Magazin der „Zeit“. Oder war seit 2003 die Online - „Spiegel“ Kolumne „Zwiebelfisch“ von Bastian Sick ihr Favorit? Dann sind Sie ein Zeitungsleser – analog oder digital –, wie ihn sich Verleger wünschen. Denn Kolumnen gelten bis heute als Motiv zur Kundenbindung. Ob in der Boulevard-Presse oder in der Zeitung, hinter der ein kluger Kopf stecken soll, überall gibt es Kolumnen. Yes! Man kann süchtig werden. Bastian Sick wurde zum Sprachkritiker und Lehrer der Nation. Bekannt wurde der Akademiker erst 1999 als Mitarbeiter bei „Spiegel-Online“. Seine Kolumne nannte er „Zwiebelfisch“ nach dem falsch zurück sortierten Buchstaben, der später dann ebenso falsch vom Schriftsetzer für die nächste Kolumne – also Zeitungsspalte – wieder in den Kasten gesetzt wurde – falsche Schriftart, falscher Buchstabe, alte Technik. Bleisatz. Nur auch in digitalen Texten wütet der Fehlerteufel. Nach seinem erfolgreichen Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ versuchte sich der Federfuchser Sick sogar mit TV- und Bühnenshows. So ein Buchtitel wie „Schantalle tu mal die Oma winken“ wäre einer ganz nach seinem Geschmack. Doch Frauen und Männer des geschriebenen Wortes haben nicht automatisch ein Gottschalk-Gen, um 52 damit im Rampenlicht zu brillieren. Für manche ist Bastian Sick nur nervig und eben typisch Oberlehrer. Auch Sick hat seine Meister gefunden. Andere sprachliche Erbsenzähler machten sich wiederum ein Fest daraus, Bastian Sick Fehler und Unstimmigkeiten nachzuweisen. Schon als Schülerin haben mich in „Brigitte“ die Kolumnen von Heilwig von der Mehden amüsiert. Später gab es was zu lachen über Frauenthemen von Amelie Fried oder Ildiko von Kürthy. Meist über Beobachtungen aus dem Alltag von Ehefrauen, Müttern, Emanzen, Geliebten. Witzig und frech wurde und wird alles kommentiert von Anti-Aging bis Zickenkrieg. Meine Tante Thea hingegen liebte Willy Haas Kolumnen (unter dem Pseudonym „Caliban“) in der „Welt“. Ein Literaturkritiker, der scharfzüngig, geistreich und profund seine Kritik – etwa über die Verleihung des Literatur-Nobelpreises, Klassiker oder Bestseller seiner Zeit eben – kurz in einer Spalte auf den Punkt brachte. Wie später sein Kollege (auch aus Prag) – lange der Feuilletonchef- und Literaturpapst der „Frankfurter Allgemeine“– Marcel Reich Ranicki im Medium Fernsehen. Nur dauerte das „Literarische Quartett“ eine Stunde und länger. Und Ranicki, ein Hochbegabter in Sachen Streitkultur, brauchte immer ein Gegenüber, an dem er sich reiben und verausgaben konnte. Seit Herbst 2015 gibt es übrigens eine moderne Fassung des „Literarischen Quartetts“ mit Volker Weidemann im ZDF. Meike Winnemuth überrascht seit einigen Jahren jede Woche im „Stern“ mit einem Thema, das in der Luft zu liegen scheint. Mir gefiel besonders gut der Beitrag „ Aufräumen auf Japanisch“. Winnemuth erzählt von einer Japadurchblick 1/2016 Kultur nerin – Marie Kondo –, die ihre Unterwäschekommode aufräumt. Mit Erinnerungen und Dankbarkeit nimmt sie von jedem aussortierten Teil Abschied. „Vor dem Wegwerfen solle man unbedingt den Dingen für die schönen Stunden danken, die man mit ihnen verbracht hat.“ Ähnliches dürfte auch für das heikle Thema „Darf man Bücher wegwerfen?“ gelten. Ein Thema, das gerade viele Senioren bewegt. Man darf! Wenn es einen nicht glücklich macht und wahrscheinlich nie (wieder) gelesen wird. „Zum Angeben ist der Platz im Regal zu kostbar“, so Meike Winnemuth. Die Veteranin unter den deutschen Kolumnen ist natürlich das „Streiflicht“, das seit 1946 täglich oben links in der „Süddeutschen“ erscheint. Die Autoren sind ein streng gehütetes Geheimnis der Redaktion. Nur absolute Insider können erraten, welcher Journalist sich hinter den manchmal skurrilen und um die Ecke gedachten Zeilen verbirgt. Vor Kurzem gab es eine köstliche Glosse zum Thema Marcel Proust und seiner „Suche nach der verlorenen Zeit“, zwischen 1908 und 1922 geschrieben und in deutscher Übersetzung 1979 bei Suhrkamp in 10 Bänden erschienen. Ich habe nur die Hälfte geschafft. Angeblich wurde der Held durch den Genuss von Madelaines, von exquisitem französischen Teegebäck, zu seinen detaillieren tausendseitenlangen Lebenserinnerungen angeregt. Der Autor der Süddeutschen bezweifelt dies und vermutet respektlos eher andere Substanzen, die ihm auf die Sprünge geholfen hätten. Die Zeitung ist bei mir im Papierkorb gelandet. Aber jetzt erinnere ich mich an diesen skurrilen kleinen Artikel. So typisch für das „Streiflicht“, das angeblich auch Studienräte glücklich macht. Also nacherzählen ist schwierig, man sollte es schon selbst lesen. Auch zu tagespolitischen Themen, die auf den Nägeln brennen, wird im „Streiflicht“ Stellung bezogen. Etwa zu „Charlie Hebdo“ oder zum „schwarzen Freitag“ in Paris. Aber meist ist das Politische den Kommentaren vorbehalten. Der Kolumne von Jakob Augstein im S.P.O.N. – Spiegel Online – dem Tagebuch des Herausgebers Helmut Markwort im „Focus“, dem Zwischenruf aus Berlin von Hans-Ulrich Jörges im „Stern“ oder dem Kommentar der „Siegener Zeitung“ von ewi und anderen auf Seite 1 rechts. Die Königsklasse der Kolumnen schreibt „free style“ – also völlig ohne Regeln – seit etlichen Jahren Axel Hacke im Magazin der „Süddeutschen“. Unglaublich wie belesen, geschliffen, brillant, witzig und aktuell Hacke Themen, die in der Luft oder in der Wissenschaft liegen, skurril verarbeitet. Ein Beispiel: Einmalig wie er sich am Thema der Faulheit der Ameisen – von amerikanischen Wissenschaftlern erforscht – abarbeitet. Und anscheinend gibt es Hinweise, dass es sich in Bienenvölkern, Wespennestern und Termitenhügeln nicht viel anders verhält: Überall rackern ein paar, die es nie kapieren werden, während der Rest die Flügel über dem Bauch faltet und die Gaumensegel in den Atemwind hängt. Also, die einen chillen, faulenzen und hängen ab. Der Rest macht die Arbeit. So ist es bei den Insekten, so ist es auch beim Menschen. 1/2016 durchblick Den Kolumnist Harald Martenstein habe ich erst während einer Autofahrt in einem Radiointerview kennengelernt. Im Talk mit Thees im SWR 3. Martenstein ist Kolumnist für die „Zeit“ und hatte schon einige heiße Eisen verbal angepackt. So ist er 2013 etwa in dem Artikel „Schlecht, schlechter, Geschlecht“ mit der Genderforschung kritisch Schlitten gefahren und somit bei vielen Feministinnen ins Fettnäpfchen getreten. Er bezweifelt hier die inzwischen häufige Meinung, dass die Unterschiede zwischen Mann und Frau kulturell konstruiert seien. Aber erst seine Kolumne „Die oder wir. Das ist kein Streichelzoo da draußen“ hat einen Shitstorm ausgelöst. Beiläufig erzählt er, dass er morgens während die Kaffeemaschine blubbert, mit Zahnstochern den Nacktschnecken in seinem Garten in den sicheren Tod schickt. Also ein absolutes No Go für Bio-ÖkoHobbygärtner in den Metropolen. Aber die Trickkiste der Schrebergärtner hat noch ganz andere Methoden auf Lager, wie man der Schneckenplage Herr werden kann. Vielleicht habe ich Ihre Lieblingskolumne, etwa die Klatsch- oder Gesellschaftsspalten in den bunten Blättern, vergessen. Ob Playboy, Gartenmagazin oder Kirchenblatt: Alle haben ihre spezielle Kolumne. Ob schnoddrig oder geschliffen, Hauptsache gut geschrieben, können sie süchtig machen, auf Papier oder online – egal. Kaum gelesen, warten die Leserinnen und Leser schon gespannt auf den nächsten Aufreger. Tessie Reeh 53
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