Neudefinition einer globalen Rezession

Spezial
Makro Research
Volkswirtschaft Spezial
Ausgabe 2/2016 – Freitag, 11. März 2016
Volkswirtschaft Spezial
Neudefinition einer globalen Rezession
‡ Bislang haben wir uns an der üblichen und ursprünglich vom IWF stammenden 2,5 %-Regel zur Bestimmung einer
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globalen Rezession orientiert. Ähnlich dem IWF passen wir nun ebenfalls unsere Definition an.
Freitag,
11. Märznach
2016
‡Ausgabe
Eine globale2/2016
Rezession –
liegt
unserer Einschätzung
vor, wenn das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts pro
Kopf mindestens zwei Quartale in Folge schrumpft. Dies war zuletzt im Zeitraum zwischen dem dritten Quartal
2008 und dem ersten Quartal 2009 der Fall. Seither befindet sich die Weltwirtschaft in einem Aufschwung.
‡ Nach unserer Definition sind globale Rezessionen ein sehr seltenes Ereignis. Das Risiko einer zeitnahen Rezession in
diesem Jahr ist danach gering.
Die 2,5 %-Wachstumsschwelle hat ausgedient
In den vergangenen Jahren stand die Weltwirtschaft gefühlt mehrfach und gerade an der Schwelle zu einer Rezession. Insbesondere zu Beginn des Jahres nahmen die
Konjunktursorgen an den Kapitalmärkten wieder zu und
auch der IWF äußerte jüngst wieder Sorgen einer Entgleisung der Weltwirtschaft.
Tatsächlich aber befindet sich die Weltwirtschaft seit
dem zweiten Quartal 2009 ununterbrochen im Aufschwung, der sich aber kaum richtig durchzugsstark anfühlt und es auch nicht ist: Die Dynamik der Weltwirtschaft ist deutlich geringer als in den Jahren vor der Finanzkrise 2008. Diese Wachstumsabflachung hat im
Wesentlichen zwei Ursachen: Die zusätzlichen Wachstumsimpulse durch die Globalisierung haben deutlich
abgenommen. Hinzu kommt, dass sich das Bevölkerungswachstum seit Ende der Achtzigerjahre verlangsamt hat.
Wir haben in der Vergangenheit globale Konjunkturzyklen in Aufschwungs- und Rezessionsphasen unterteilt
und eine Rezessionsschwelle von 2,5 % angenommen.
Solange das globale Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) mindestens 2,5 % betrug, befand sich die
Weltwirtschaft in einem Aufschwung. Diese 2,5 %Regel stammt ursprünglich vom IWF und bezog sich auf
Jahresdaten. Wir verwendeten Quartalsdaten und rechneten deren Quartalsveränderungsraten auf das Gesamtjahr hoch. Für das Vorliegen einer globalen Rezession musste die Rezessionsschwellen mindestens in zwei
aufeinanderfolgenden Quartalen unterschritten werden.
Die aus unserer Sicht grundsätzlich dauerhaft geringere
globale Wachstumsdynamik erfordert eine Neujustierung der bisherigen Definition einer globalen Rezession.
Angesichts dieser geringen Wachstumsdynamik würde
die alte Rezessionsschwelle viel zu schnell erreicht – wie
dies etwa in diesem Jahr der Fall sein könnte. Es besteht
die Gefahr, dass mit dem Begriff weltweite Rezession
viel zu sorglos hantiert würde, d.h. eine Weltrezession
ausgerufen, wo angesichts der geringen Grundge-
schwindigkeit der Weltwirtschaft gar keine ausreichende Abweichung nach unten vorliegen würde. Im Folgenden geben wir daher eine Richtschnur, ab wann
man unter den neuen Bedingungen von einer WeltRezession sprechen sollte.
Neu-Definition des IWF
Auch der IWF hat sich in vergangenen Jahren mit der
Definition einer globalen Rezession beschäftigt. So findet sich im Economic Outlook vom Frühjahr 2009 der
Hinweis, dass der IWF von der 2,5 %-Regel abrückt1. In
einem späteren Research-Bericht des IWF aus dem Jahr
2012 wird deutlich, dass der IWF zwei Ansätze verfolgt2: Der erste richtet sich ausschließlich an der
Wachstumsdynamik des globalen BIP pro Kopf. Sinkt
das BIP pro Kopf im Vergleich zum Vorjahr, liegt ein Rezessionsjahr vor. Der zweite alternative Ansatz berücksichtigt neben dem BIP pro Kopf fünf weitere makroökonomische Zeitreihen, mit deren Hilfe dann fallweise
entschieden wird, ob eine globale Rezession vorlag oder
nicht3. Die weiteren fünf Zeitreihen sind die Industrieproduktion, das Handelsvolumen, Kapitalflüsse, Ölkonsum und Arbeitslosigkeit. Teilweise sind die Zeitreihen Eigenproduktionen des IWF und werden nicht turnusmäßig veröffentlicht.
1
Siehe hierzu: World Economic Outlook April 2009;
http://www.imf.org/external/pubs/ft/weo/2009/01/#ch1
box
2
Siehe hierzu:
http://www.imf.org/external/pubs/ft/irb/2012/04/index.p
df
3
Dieser Ansatz folgt der Methodik des National Bureau
of Economic Research (NBER) für die US-Wirtschaft. Das
NBER verwendet ebenfalls ein Indikatorsample und legt
den Entscheidungsprozess nicht explizit offen. Im Unterschied zum IWF verwendet das NBER allerdings Monatsdaten.
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Abb. 1 Reales Bruttoinlandsprodukt der Weltwirtschaft pro Kopf*
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51 53 55 57 59 61 63 65 67 69 71 73 75 77 79 81 83 85 87 89 91 93 95 97 99 01 03 05 07 09 11 13 15
Bruttoinlandsprodukt pro Kopf
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5
4
3
2
1
0
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51 53 55 57 59 61 63 65 67 69 71 73 75 77 79 81 83 85 87 89 91 93 95 97 99 01 03 05 07 09 11 13 15
Bruttoinlandsprodukt
Bevölkerung
*Jahresveränderungsrate in Prozent, grau schattierte Flächen entsprechen Rezessionszeiträumen
Quellen: Weltbank, IWF, World Economics, DekaBank
In der Festlegung der Rezessionszeiträume seit den
Fünfzigerjahren des vorherigen Jahrhunderts unterscheiden sich die beiden IWF-Ansätze nicht voneinander. Die vom IWF identifizierten Rezessionsjahre sind
1975, 1982, 1991 und 2009 (siehe Abb. 1). Die Zeiträume 1997/98 bzw. 2001 werden nun nicht mehr als
globale Rezessionszeiträume definiert. Demnach sind
die beiden neueren IWF-Ansätze restriktiver. Zu Recht,
denn für das Zustandekommen einer globalen Rezession
müssen sich hinreichend viele Länder zeitgleich in einer
Rezession befinden. Diese Synchronität ist aber eher selten.
DekaBank-Definition einer globalen Rezession
Die Verwendung von Jahreszahlen bei der Bestimmung
von Rezessionszeiträumen schützt den IWF vor späteren
Revisionen. Denn Quartalsdaten werden mitunter starken Änderungen unterzogen. In der praktischen Umset-
zung sind Jahreszahlen allerdings für zeitnahe Konjunktureinschätzung zu träge und für den Finanzmarktausblick nicht praktikabel. Daher werden wir uns in Zukunft
an der Quartalsveränderungsrate des globalen Bruttoinlandsprodukts pro Kopf orientieren. Folgen hier mindestens zwei Schrumpfungsraten aufeinander, liegt nach
unserem Verständnis eine globale Rezession vor.
Anhand dieser Definition gab es seit Mitte der Neunzigerjahre (frühere Berechnungen auf Quartalsbasis liegen
für die Weltwirtschaft nicht vor) nur einen Rezessionszeitraum. Dieser erstreckte sich vom dritten Quartal
2008 bis einschließlich dem ersten Quartal 2009 (siehe
Abb. 2). Auffallend sind zu dem das erste Quartal 1998
und das dritte Quartal 2001. In beiden Fällen lagen
Schrumpfungsraten vor. Allerdings folgten auf diese
unmittelbar wieder Anstiege, sodass der Schrumpfungszeitraum zu kurz für eine Rezession war. Ein Ergebnis,
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Abb. 2 Globales Bruttoinlandsprodukt pro Kopf
– quartalsweise*
Abb. 3 Bevölkerungswachstum als neue Rezessionsschwelle
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51 56 61 66 71 76 81 86 91 96 01 06 11 16
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*annualisierte Quartalsveränderungsraten in Prozent, grau schattierte
Fläche entspricht Rezessionszeitraum
Quelle: DekaBank
zudem auch die IWF-Methoden mit den Jahresdaten
kommen.
Bevölkerungswachstum als Rezessionsschwelle
Die Verwendung des BIP-Wachstums pro Kopf bedeutet, dass aus der bisherigen starren 2,5 %Wachstumsschwelle eine flexible Wachstumsschwelle
wird, die sich an der Höhe des Bevölkerungswachstums
ausrichtet. Derzeit nimmt die Weltbevölkerung pro Jahr
um knapp 1 ¼ % zu (siehe Abb. 3). Das gesamtwirtschaftliche Wachstum muss also wenigstens diese Dynamik aufweisen, ansonsten liegt nach zwei Quartalen
eine Rezession vor.
Fazit: Die Pro-Kopf-Betrachtung macht nicht
„reich“
Der Blick auf die Quartalsentwicklung des globalen BIP
pro Kopf zeigt, dass der aktuelle Abstand zur globalen
Rezessionsschwelle deutlich größer ist als vorher. Dieser
beträgt in der Pro-Kopf-Betrachtung ca. zwei Prozentpunkte und nach der alten Definition nur
0,5 Prozentpunkte. Der Vorteil der neuen von uns gewählten Definition ist, dass das Ereignis einer globalen
Rezession weiterhin eine Seltenheit darstellen soll und
Quellen: UN, DekaBank
nur im Falle von größeren wirtschaftlichen Verwerfungen auftritt. Grundsätzlich sollte gelten, dass auf disaggregierter Ebene (bspw. auf Länderebene) Rezessionen
wahrscheinlicher sind als auf aggregierter Ebene. So befinden sich einzelne US-Bundesstaaten oder Länder der
Europäischen Währungsunion häufiger in einer Rezession als die US-Wirtschaft bzw. Euroland als Ganzes. Das
Festhalten an der bisherigen 2,5 %-Wachstumsschwelle
könnte hingegen bedeuten, dass sich die Verhältnisse
auf globaler Ebene umdrehen. Im Extremfall könnte in
allen Volkswirtschaften das Bruttoinlandsprodukt ansteigen (und damit die übliche Länder-Definition einer
Rezession nicht erfüllen) und sich gleichzeitig die Weltwirtschaft in einer Rezession befinden.
Der aktuelle Konjunkturaufschwung mag in der ProKopf-Betrachtung kräftiger aussehen. Allerdings richten
sich beispielsweise die Aktienmärkte nicht an der Wirtschaftsentwicklung pro Kopf sondern an der Wirtschaftsdynamik insgesamt aus. Die Neu-Definition einer
globalen Rezession macht also nicht „reicher“. Allerdings ist das aktuelle Risiko einer erneuten globalen Rezession nun deutlich geringer.
.
Autor:
Rudolf Besch
Tel.: (069) 7147-5468
[email protected]
Impressum: https://deka.de/deka-gruppe/impressum
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Freitag,gedacht,
11. März
2016sie eine (Rechts- und / oder Steuer) Beratung; auch die Übersendung dieser stellt keine derartige beschriebene Beratung dar. Die hier abgegebenen Einschätzungen wurden nach bestem
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