Der kleine 31 — Donnerstag, 3. März 2016 Berner Woche Mehr Angaben unter: www.agenda.derbund.ch Das kritische Ausgehmagazin für Bern. Veranstaltungen von 3. bis 9. März 2016 Verlangsamte Parallel-Zeit: Die palästinensischen Gefangenen im Theaterstück «Parallele Zeit» vom Al-Midan-Theater wollen nur eines: Menschen sein. Foto: Habib Simaan Bühne «Parallele Zeit» «Ich benötige kein Geld, um zu sprechen» Weder Held noch Terrorist: Das palästinensische Gefangenen-Theaterstück von Bashar Murkus schaut nach vorne. Maximilian Pahl Die Anreise aus der nordisraelischen Stadt Haifa war sichtlich ermüdend. Während der palästinensische JungRegisseur Bashar Murkus über sein Stück «Parallele Zeit» spricht, weicht aber die Mattheit zunehmend einem scharfen Blick. Denn er hat viel zu erzählen – und viel erwirkt. Sein Stück «Parallele Zeit» spielt sich innerhalb von israelischen Gefängnismauern ab, wo ein palästinensischer Gefangener für sein Recht auf Fortpflanzung kämpft. In seiner Zelle laufen die Inhaftierten zwar im Uhrzeigersinn, hinken aber der äusseren Zeit hinterher. Murkus betont die menschlichen Aspekte eines Lebens, das weder richtig begonnen noch geendet hat. «Es geht nicht um einen Kriminellen oder seine Taten. Ich folge weder dem israelischen Narrativ, das die Gefangenen als Terroristen behandelt, noch dem palästinensischen, Bashar Murkus. das sie heroisiert», so Murkus. Denn beide Seiten würden darüber den Menschen dahinter vergessen. Im Stück kämpft der Insasse dafür, ein Mensch zu werden: Er will ein Kind bekommen. Plötzlich war der Hahn zu Die Geschichte ist von Walid Daka inspiriert, einem bekannten palästinensischen Ex-Soldaten, den die israelische Regierung des Mordes und des Terrorismus beschuldigt und seit 30 Jahren gefangen hält. Daka durfte zwar inzwischen heiraten, möchte nun aber ein Kind zeugen. Dies ist laut Verfassung untersagt, gilt doch insbesondere bei palästinensischen Gefangenen jeder Nachkomme als potenzieller Terrorist. Auszüge aus Dakas Briefen an Angehörige und an seinen ungeborenen Sohn arbeitete Murkus ins Stück ein. Er wollte Daka den fertigen Text schicken, welcher allerdings nie im Gefängnisinneren ankam. Die Art, wie Murkus palästinensische Häftlinge in ihrer Menschlichkeit darstellte, rief das israelische Kulturministerium auf den Plan. Als das arabischsprachige Stück mit hebräischen Übertiteln lief, reagierten israelische Rechtskonservative und Faschisten. Ohne eine triftige Begründung wurden der Produktionsstätte, dem Al-Midan-Theater in Haifa, die Subventionen gestrichen. Die Kulturministerin Mir Regev, die einst als Chefzensorin der Armee agierte, erntete für die Streichung der Gelder von der Tageszeitung «Haaretz» den Vorwurf einer «administrativen Zensur, die speziell die Araber zum Ziel hat und Forderungen von Politikern nach einer Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit bei kontroversen Themen einschliesst». Bevor das Al-Midan-Theater wieder Geld er- halte, forderte das Ministerium nämlich die Absetzung des Stückes und drohte mit einer staatlichen Beobachtung der zukünftigen Arbeiten. Wenig überraschend «Was sollen wir als Künstler in einem Land», fragt der Produktionsleiter Yazid Sadi, «in welchem keine Meinungsfreiheit herrscht?» Wie auch Regisseur Murkus betont er, dass das palästinensische Theater in Israel ein lange Tradition habe und ähnliche Themen auf die Bühnen bringe wie Häuser in Berlin, Paris oder London. Schon die Bezeichnung der palästinensischen Bevölkerungsgruppe als Minderheit kritisieren die Künstler scharf, gehe es dabei der israelischen Regierung doch um einen Kleinschlag der palästinensischen Identität – in den die globale Berichterstattung bedauerlich oft einsteige. Die Vorfälle am Al-Midan-Theater fanden nun ihrerseits internationale Beachtung. Zahlreiche einflussreiche Zeitungen berichteten über die Gruppe um Murkus, und auch das SchlachthausTheater bekundet mit der Einladung des Al-Midan-Theaters seine Solidarität. Die Reaktion des Ministeriums habe ihn nicht sonderlich überrascht, meint Murkus, weil sie als Theaterschaffende eine Macht hätten, welche die Regierung fürchtet. «Wichtig ist, dass die Vorfälle uns erneut vor Augen führen, dass wir uns in einem Zustand der Besatzung befinden. Unsere Identität und unser kulturelles Gedächtnis sind gefährdet.» Das Al-Midan-Theater muss nun einen neuen Weg finden, wenn es nicht auf Geld vom Staat warten will. Für Murkus selbst ist die Finanzierung zweitrangig. «Ich benötige kein Geld, um zu sprechen. Ich werde es einfach tun.» Mittlerweile hat er erfolgreich andere Wege zur Finanzierung gefunden als staatliche Subventionen. «Auch jüdische Araber werden in Israel zensiert. Aber mir geht es nicht um die Vergangenheit oder die Narrative und auch nicht nur um die Kunst. Es geht um meine Zukunft und um mein Leben.» Schlachthaus-Theater 3. 6. bis 5. 6. um jeweils 20.30 Uhr, 6. 6. um 16 Uhr. Fünf Fragen an Simon Enzler Der Appenzeller Simon Enzler gehört zur Crème de la Crème der Schweizer KabarettSzene: Er ist Inhaber des Swiss Comedy Awards, des Salzburger Stiers, Prix Walos und im Jahr 2012 hat er den Cornichon verliehen bekommen. Nachdem er jahrelang mit dem Bassisten Daniel Ziegler aufgetreten ist, steht er nun mit seinem neuen Programm «Primatsphäre» alleine auf der Bühne. Am 4., 5., 16. und 17. März ist er im Theater am Käfigturm zu sehen. Jeweils ab 19.40 Uhr. Wenn Sie nach Ihrem Beruf gefragt werden und Sie wahrheitsgetreu mit «Kabarettist» antworten, wollen die Leute dann, dass Sie lustig sind und einen Witz erzählen? Ja, das ist der Klassiker einer Reaktion. Ich versuche dann immer, mich elegant aus der Affäre zu stehlen. Ich habe auch schon mit der Gegenfrage gekontert, indem ich etwa einen Schreiner darum bat, mir doch bitte rasch einen Tisch zu zimmern. Mich stören solche Zwischenfälle aber nur, wenn ich offensichtlich privat unterwegs bin, also etwa mit meiner Frau auswärts esse und mir dann ein Wildfremder auf die Schulter klopft und sagt: «Chumm, Enzler, bring no en Spruch!» Sie kommen aus dem Appenzell, der kernige Dialekt ist Ihr Marken zeichen. Was macht den Appenzeller Humor eigentlich aus? Der Appenzeller Humor ist eine Waffe. Vieles, was als lustig wahrgenommen wird, ist im Grunde genommen bitterer Ernst. Das sogenannte «Zöslen» (Zün- deln) ist in der Tat ein verbales Spiel mit dem Feuer. Die Appenzeller, klein und immer in der Minderzahl, sind es gewohnt, sich wehren zu müssen. Sie haben bereits Programme zu Themen wie Paartherapie, der perfekten Beziehung und Lotto millionären auf die Bühne gebracht. Ihr neuster Streich heisst «Primat sphäre». Was wollen Sie uns mit diesem Wortspiel sagen? Mich interessiert, woher Meinungen kommen und wie sie entstehen. In meiner Bühnenshow gibt es zwei Räume: den privaten Hobbyraum mit fahlem GlühbirnenLicht, Kompressor und Fliegenvernichter. Da braut sich etwas zusammen, das dann irgendwo anders – sei es am Stammtisch oder in Onlinekommentaren – an die Öffentlichkeit quillt. Diese Öffentlichkeit ist dann der andere und heller beleuchtete Raum auf der Bühne. Bei uns im Appenzell gibt es den stehenden Begriff «Wer behopted, het recht». Persönlich bin ich der Überzeugung, dass wenn man eine Meinung äussert, die nicht der Wahrheit entsprechen muss. Aber genau diese Selbstüberschätzung birgt enormes Humorpotenzial. Die Primatspähre ist die wortwörtlich gute Stube, das Beisammensein mit Gleichgesinnten, wo etwas laut Dahergesagtes nicht als Argument, sondern als Wahrheit gilt. Sie treten nach 15 Jahren das erste Mal solo auf, also ohne den Bassisten Daniel Ziegler. Wie kam es dazu? Es war eine Frage der Zeit, bis ich mich trauen würde. Aber diese Entscheidung hat weniger mit Daniel Ziegler zu tun, als mit mir selbst. Ich schätze ihn als grossen Komiker und langjährigen Freund und bin begeistert von seinem ersten Solo- «Der Appenzeller Humor ist eine Waffe.» programm «Der Bassimist», welches Ende April in Herisau Premiere feiern wird. So ein Abend allein auf der Bühne ist ein intensives Erlebnis. Aber obwohl ich mehr gefordert bin und viel mehr Text habe als früher, verfliegen die zwei Stunden im Nu. Sind Sie gerne Teil der Schweizer KleinkunstSzene? Ich bin überhaupt nicht der SzeneMensch. Aber sagen wir es so: Es gibt in unserem kleinen Land in jedem Bereich so wenige, dass man eigentlich alle kennt, in der Kleinkunst vor allem von Plakaten her. So sehe ich Bilder von Künstlern wie Joachim Rittmeyer, Manuel Stahlberger oder Rolf Schmid regelmässig an Garderobenwänden hängen, aber real zusammentreffen tun wir selten. Ich bin Teil einer relativ einsamen Szene, die sich einmal pro Jahr in Thun und ein anderes Mal in Arosa trifft, wenn man nicht grad in verschiedenen Garderoben hockt. Interview: Milena Krstic
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