Komplette Rede

SZ Finance Day
Frankfurt am Main, Keynote-Referat
Group Chief Executive Officer Sergio P. Ermotti, 2. März 2016
Es gilt das gesprochene Wort.
Ich freue mich, bei Ihnen zu sein.
Die Veranstalter dieser Tagung haben vor ein paar Monaten das Thema 'Tiefzins-Umfeld' gewählt. Es ist
aktueller denn je. Die Zinssätze in vielen Industrieländern sind seit einiger Zeit auf Rekordtief. Ein solches
Umfeld hat signifikante Auswirkungen – auch für das Finanzsystem.
Inzwischen sind die Märkte extrem volatil und Bank-Aktien besonders unter Druck. Die Situation verdeutlicht,
wie wichtig es ist, dass gehandelt wird. Ich werde darüber sprechen, was Banken tun können, um in Zukunft
nachhaltig erfolgreich zu sein.
Eine Bemerkung gleich am Anfang: Ich habe kein Verständnis, wenn ich im heutigen Umfeld Leute höre, die
über eine anhaltende Finanz-Krise sprechen. Das Gegenteil ist richtig: Das Banken-System ist solider geworden –
das erkennen sogar die meisten Regulatoren an. Die Realität von heute ist eine andere: Banken können nicht
erfolgreich und nachhaltig operieren, wenn die Wirtschaft nicht wächst. Kein Wunder also, wenn sich die
Börse momentan die Frage stellt, wie Banken in Zukunft ihre Kapitalkosten verdienen können. Und klar, tiefe
Zinsen spielen eine Rolle. Sie sind aber nicht der einzige Grund.
Schauen wir uns die Situation der Banken genauer an. Viele sind in einer schwierigen Lage. Dafür gibt es
verschiedene Gründe. Ich werde mich auf die, nach meiner Meinung, wichtigsten fünf konzentrieren:
Erstens: Fehlendes Wachstum.
Seit Herbst 2011 hat der IWF bei jeder neuen Wachstums-Prognose für die Weltwirtschaft die Erwartungen
nach unten korrigiert. In der Eurozone erwarten wir für 2016 ein Wachstum von etwa 1,4 Prozent – einiges
hinter der Weltwirtschaft. Und wir wissen alle, dass dieser Durchschnitt das wahre, schwächere Bild in der
Mehrheit der Länder nicht widerspiegelt.
Zu viele Politiker und Beobachter – besonders hier in Europa – verlangen aber immer noch nach mehr Medizin
der Notenbanken, statt ihren Job zu machen und Reformen anzupacken. Klar, unpopuläre Massnahmen
kosten Wählerstimmen, aber Geldpolitik kann keine Wachstums-Kräfte freisetzen – sie kauft nur Zeit und der
Preis dafür ist unbekannt.
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Auch die Staatsschulden-Problematik ist längst nicht gelöst. Ganz im Gegenteil. Das alles drückt auf das
Wirtschafts-Wachstum. Somit leidet die Profitabilität der Banken.
Zweitens: Das Tiefzins-Umfeld.
In der Schweiz haben wir am meisten Erfahrung mit extrem tiefen oder sogar negativen Zinsen. Aber wir sind
nicht mehr die einzigen. Heute haben wir Negativzinsen in Ländern, die fast 25 Prozent zum globalen BIP
beitragen. In Japan, in der Euro-Zone. Selbst aus den USA sendet die Fed-Chefin Signale, dass Leitzinsen bis in
den negativen Bereich nicht auszuschliessen sind – obwohl dies eher unwahrscheinlich ist.
Zusammen mit der Alterung der Gesellschaft sind Negativzinsen eine riesige Belastung der Vorsorge-Systeme.
Meiner Meinung nach sind die heutigen Versprechen an künftige Pensionäre unrealistisch. Über das Thema
wird leider zu wenig gesprochen. Es wird uns in Zukunft stark beschäftigen. Und die bereits eingegangenen
Pensionsverpflichtungen von Unternehmen können mittel- und langfristig auch die Kreditbücher von Banken
negativ beeinflussen. Dazu kommt die Gefahr von Asset-Blasen, verstärkt durch eine sehr aggressive Politik
einiger Banken bei der Vergabe von Hypotheken. Auch das führt zu Problemen in der Zukunft.
Aber wie Sie wissen, ist das Tiefzins-Umfeld schon heute schlecht für Banken. In der Vergangenheit war die
Netto-Zinsmarge einer der wesentlichen Treiber für Erträge im klassischen Bankgeschäft. Sie war hoch genug,
um viele Dienstleistungen für Kunden gratis anbieten zu können – eine klassische Quersubventionierung.
Heute plötzlich Geld dafür zu verlangen, ist leichter gesagt als getan. Negativ-Zinsen auf Retail-Kunden
abzuwälzen, ist in einem deflationären Umfeld und mit einer 1000-Franken-Note im Umlauf nicht möglich.
Kunden würden ihr Geld abziehen. Nicht weil sie Angst hätten um die Stabilität der Banken. Sondern aus rein
ökonomischen Gründen.
Um die Erosion der Zinsmargen, aber auch die Kosten zusätzlicher Kapitalvorschriften zu begrenzen, haben
wir die Zinssätze für Hypotheken erhöht. Nach der Entscheidung der Schweizerischen Nationalbank erfolgte
dieser Schritt praktisch über Nacht. UBS hat in der Schweiz auch graduell Kosten für bestimmte Dienstleistungen eingeführt. Und bleibt das Umfeld so bestehen, ist auch eine Erhöhung der Zinsen auf Unternehmenskredite möglich, mit weiteren direkten Konsequenzen für die Wirtschaft. Unsere Kunden verstehen all die
zusätzlichen Kosten, aber positiv für die Beziehung sind sie sicher nicht.
Drittens: Regulierung.
Zu schwachem Wachstum und tiefen Zinsen kommen schärfere regulatorische Auflagen.
Ich sage ganz deutlich: Mehr Eigenkapital für Banken war nötig nach der Krise. Doch auf dieses zusätzliche
Kapital muss eine vernünftige Rendite erwirtschaftet werden, die mindestens die Kapitalkosten deckt.
Ausserdem dauert die Unsicherheit über das künftig geltende regulatorische Kapital-Framework jetzt schon
viel zu lange an. Seit sieben Jahren können Sie praktisch jeden Tag in irgend einer Zeitung etwas über die
Reform der Anforderungen lesen. Und über die Reform der Reform. Der ganze Prozess ist nicht gerade
hilfreich, um das Vertrauen in die Regulatoren oder das Banken-System zu verbessern.
Einige besonnene Aufseher realisieren dies mittlerweile. So erteilte Mark Carney letzte Woche Basel IV eine
Absage und sagte, ich zitiere: «Aufsichtsbehörden müssen Banken ein Maximum an regulatorischer Klarheit
geben und damit den Übergang zu nachhaltigeren Geschäftsmodellen unterstützen», Zitat Ende. Wir können
nur hoffen, dass seine Kollegen sich diesem Gedanken anschliessen.
Die schiere Anzahl der neuer Regeln ist ein weiteres Thema. Thomson Reuters hat gezählt, dass wir in der
Finanz-Branche jährlich 40 000 neue Regulierungs-Ankündigungen erhalten. Das sind mehr als 100
Weisungen pro Tag. Die Umsetzung der vielen neuen Regeln, wie etwa MiFID II oder die strukturelle
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Separierung von Einheiten, führt zu immensen zusätzlichen operativen Kosten. Kein Wunder, dass
Komplexität und Aufwand für uns Banken enorm gestiegen sind.
Gemäss der ZEB European Banking Study 2015 wird die Rendite von Banken auf Eigenkapital nach Steuern in
den nächsten Jahren dramatisch weiter schrumpfen. Von 6,1 Prozent Ende 2014 auf nur noch 0,8 Prozent im
Jahr 2019. Wohlgemerkt: 6,1 Prozent decken schon heute nicht die Kapitalkosten von 9 bis 10 Prozent. Für
viele Banken wird die Luft in den nächsten Jahren also sehr dünn.
Übrigens: Über-Regulierung oder zu viel Bürokratie ist ein Phänomen, das nicht nur die Finanz-Branche
betrifft. Sondern die ganze Wirtschaft. Wir alle zahlen den Preis dafür. In der Schweiz gehen Schätzungen
davon aus, dass Regulierung insgesamt 10 Prozent des BIP kostet. Oder 60 Milliarden Franken pro Jahr. In
Deutschland und den meisten anderen Ländern Europas ist die Situation ähnlich.
Viertens: Überkapazitäten.
Die mangelnde Profitabilität der Branche ist aber auch ein Spiegelbild von zu wenig Preismacht. Heute wird
noch klarer, was ich in der Vergangenheit schon gesagt habe: Das Thema ist nicht «Too big to fail». Sondern
eher «Too small to survive». Der europäische Bankensektor ist belastet durch Überkapazität. Die lässt sich
aber nicht schnell genug abbauen. Das hat auch zu tun mit dem politischen, regulatorischen und WettbewerbsKorsett, in dem wir uns befinden. Statt über die eigenen Landesgrenzen hinaus in Richtung EU-Binnenmarkt zu
schauen, wird noch immer ein Gärtchen-Denken gepflegt.
Immerhin: Es gibt auch Hoffnung. Die geplante Kapitalmarkt-Union und die Etablierung der European
Banking Union sind Schritte in die richtige Richtung.
In diesem Zusammenhang ist Konsolidierung nicht die einzige aber, meiner Meinung nach, eine fast
zwingende Konsequenz. Ich komme später noch darauf zu sprechen.
Und Fünftens:
Viele Banken sind immer noch damit beschäftigt, Fehler der Vergangenheit aufzuarbeiten. Die Rückstellungen
für Rechtsfälle sind gross, die bereits bezahlten Strafen riesig. Nicht nur einzelne Bereiche sind betroffen,
sondern das gesamte Bankgeschäft. Natürlich ist dieser Prozess teilweise verständlich. Doch meiner Meinung
nach ist die Koordination zwischen den Behörden stark verbesserungsfähig und die Willkür, mit der Summen
festgelegt werden, problematisch. Auf jeden Fall belastet der Aufarbeitungsprozess die Profitabilität, bindet
Ressourcen und schränkt die Fähigkeit ein, nach vorne zu schauen.
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Meine Damen und Herren
Hier stehen wir also heute. Wie geht es weiter? Ist die Zukunft für Banken hart?
Ja und nein. Ja, weil wir viele der erwähnten Faktoren nicht steuern können und einige – wie das TiefzinsUmfeld, die strengere Regulierung und die Überkapazitäten – uns noch eine Weile begleiten werden. Und
nein, weil es auch eine Reihe von Chancen gibt, die wir nutzen können. Ich sehe deren drei:
Erstens: Fokussierung.
Damit meine ich, dass jede Bank herausfinden muss, wo sie am stärksten ist. Was ihre DNA ist. Fokussierung
heisst aber nicht, sich auf ein einziges Standbein zu verlassen. Die Vorstellung, zum Beispiel, nur auf das
Investmentbanking oder nur auf das Retailgeschäft zu setzen, ist nicht realistisch und ohne kritische Masse
sehr schwierig.
Es braucht zwei, drei starke Standbeine. Ob in verschiedenen Kunden-Segmenten oder geografisch. Gefragt
sind ausserdem ein ausgewogener Ertrags-Mix und ein Fokus auf Ertrags-Qualität. Denn Investoren gewichten
heute stabile, moderate Gewinne stärker als grössere, aber volatile Gewinne. Diese Stabilität ist auch gut für
das Bankensystem. Dafür ist permanente Bilanz- und Ertrags-Optimierung wichtig. Banken müssen, zum
Beispiel, damit anfangen, die tatsächlichen Kosten, also auch die regulatorischen, an Kunden weiterzugeben.
Und sie müssen entscheiden, ob es sich lohnt, allen Kunden alles anzubieten. Die Antwort ist mit Sicherheit
«Nein», denn bestimmte Produkte und Kundensegmente sind heute nicht mehr für alle Banken profitabel.
Kritische Masse ist in diesem Zusammenhang wie gesagt ein Muss. Fokussierte Grösse ist gut – sie ist nicht
per se ein Problem und sollte nicht dämonisiert werden. Das setzt jedoch Rahmen-Bedingungen voraus, die es
erlauben, eine gewisse Grösse zu erreichen. Konsolidierung wird eine Rolle spielen, um die notwendige
kritische Masse in der Branche zu generieren.
Zweitens: Optimierung.
Darunter verstehe ich alles, was einer Bank hilft, Erträge zu verbessern oder Kosten zu sparen. Oder beides
gleichzeitig. Das heisst: Banken müssen ihre Wertschöpfungs-Kette in Einzelteile zerlegen und entscheiden,
was sie selber am besten können und was sie rausgeben oder mit anderen zusammen machen sollten.
Dafür braucht es Offenheit für neue Kooperations-Möglichkeiten mit anderen Banken oder Dienstleistern –
zum Beispiel aus der Technologiebranche.
Digitalisierung und Automatisierung sind dabei Chance und Bedrohung zugleich. Sie ermöglichen bessere
Prozesse und bringen uns näher an die Kunden. Unsere Kunden werden aber vielleicht auch von neuen
Anbietern angelockt, die bankähnliche Services anbieten, aber nicht unter denselben strengen Regeln
arbeiten müssen. Ich erwarte hier eine Angleichung der Regeln, zum Beispiel bei Datenschutz und
Privatsphäre.
Grundsätzlich sehe ich aber mehr Möglichkeiten zur Zusammenarbeit als Konkurrenz: Denn in vielen
Geschäftsfeldern wie der Vermögensverwaltung und der Beratung sind die Eintrittshürden hoch. Vertrauen,
persönliche Beziehungen und institutionelles Wissen lassen sich nicht so einfach «kopieren».
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Drittens: Wachstum.
Damit komme ich zurück auf das, was ich am Anfang gesagt habe: Eine prosperierende Wirtschaft ist das
beste Mittel, um die Banken in Schwung zu halten. Kurz gesagt: Nur eine profitable Bank ist eine stabile
Bank. Die ersten zwei Punkte, von denen ich vorhin gesprochen habe – Fokussierung und Optimierung –
können wir mehr oder weniger beeinflussen. Das Wachstum der Wirtschaft nicht alleine. Hier muss die Politik
handeln und die notwendigen Reformen anstossen und umsetzen. Die Wirtschaft und die Bevölkerung tragen
auch Verantwortung und sollten bei diesem Kurs mitmachen, denn er ist in ihrem Interesse. Deutschland ist
ein gutes Beispiel. Es profitiert heute noch von der Agenda 2010, doch diese Reform ist jetzt ziemlich genau
13 Jahre her und braucht auch neue Impulse.
Langfristig bin ich optimistisch. Weil: Treiber des Wachstums ist der technische Fortschritt. Und der lässt sich
nicht aufhalten. Ich gehe davon aus, dass die heutigen Industrie-Nationen – also auch die EU – stärker von der
vierten industriellen Revolution profitieren als die Schwellen-Länder.
Und natürlich kann eine globale Bank ihr eigenes Wachstum, durch strategische Investitionen, organisch und
anorganisch beeinflussen.
Meine Damen und Herren
Bei UBS haben wir den Anpassungsprozess an die neue Realität vor etwas mehr als vier Jahren begonnen. Wir
haben uns auf die globale Vermögensverwaltung und die Universalbank in der Schweiz fokussiert. In beiden
Bereichen sind wir die klare Nummer eins. Unsere Investment Bank und unser Asset Management sind
integraler Bestandteil unseres Modells und sehr kompetitiv. Aber sie konzentrieren sich nur auf die Bereiche,
in denen wir wirklich gut sind und wo wir mit Kundenfokus und effizientem Kapitaleinsatz solide und
nachhaltige Erträge erwirtschaften können. Ich bin zufrieden mit dem, was wir in den letzten vier Jahren
erreicht haben. Aber auch für uns ist Wandel die einzige Konstante. Wir müssen Veränderungen weiter aktiv
vorantreiben.
Andere Banken werden ihre Modelle finden, davon bin ich überzeugt, aber die Herausforderungen für die
Branche bleiben mittelfristig bestehen. Für uns alle heisst das: Wir werden uns laufend anpassen und
weiterentwickeln müssen. Es wird neue Kooperationen geben, neue Märkte und neue digitale Geschäftsmöglichkeiten. Gefragt sind Mut und Tatkraft, nicht Stehenbleiben in alten Strukturen. Das ist notwendig,
damit Neues entstehen kann. Denn eine starke Wirtschaft braucht ein starkes, diversifiziertes und profitables
Bankensystem.
Danke.
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