Interview mit Prof. Martin Exner_3-2016 Seite 30f.

Health&Care Management, Ausgabe 3/2016
Langfassung des Interviews mit Prof. Dr. med. Martin Exner,
Direktor des Institutes für Hygiene und Öffentliche Gesundheit der
Universität Bonn.
„Gramnegative Erreger halten sich nicht nur im Darm“
Prof. Dr. med. Martin Exner, Direktor des Institutes für Hygiene und Öffentliche Gesundheit der Universität Bonn antwortet auf die
Fragen des Magazins Health&Care Management anlässlich der Messe Altenpflege.
HCM: In Deutschland herrscht seit der Erkenntnis, dass multiresistente Keime für
Risikogruppen wie Kranke oder Hochbetagte ein hohes Risiko darstellen, eine besondere
Sensibilität für Hygiene in Gesundheitseinrichtungen. Aber auch andere
Gemeinschaftseinrichtungen wie Seniorenheime und Schulen sind angehalten, die Hygiene
hochzuhalten. Wie schätzen Sie den Hygienestandard Deutschlands heute ein?
Prof. Exner: Auf der einen Seite beobachten wir die Zunahme von antibiotikaresistenten
Keimen mit Sorge. Dieses Thema wird uns in den nächsten Jahren intensiv begleiten und
nimmt mittlerweile im politischen Bereich einen ganz hohen Stellenwert ein. Sogar der G7Gipfel auf Schloss Elmau hat sich 2015 mit der Thematik auseinandergesetzt. Auf der
anderen Seite können wir auf eine gute sanitärhygienische Grundsituation in Deutschland
blicken. Wir haben eine hohe Sicherheit bei der Wasserversorgung und
Abwasserentsorgung. In öffentlichen Einrichtungen ist jeder in der Lage, eine Toilette bzw.
ein Handwaschbecken und Seife zu benutzen. Auch in Altenpflegeheimen ist ein hoher
Standard umgesetzt. Zugleich ist zu vermitteln, dass in Schulen die Hygienebildung eine
zentrale Rolle spielt und nicht als Nebensache behandelt werden darf.
HCM: Wie stehen wir im Vergleich zu anderen Ländern da?
Prof. Exner: Weltweit ist eine ganz andere Infektionshäufigkeit zu erkennen – nicht nur bei
antibiotikaresistenten Keimen. In anderen Ländern wirken oft noch Erreger, die in
Deutschland keine Rolle mehr spielen. Deutschland hat bereits Ende des 19. Jahrhunderts
begonnen, eine Hygieneinfrastruktur aufzubauen, die bis heute mehr und mehr verbessert
wurde und wird. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Früher kam es z.B. bei großen
Flüchtlingsbewegungen zu einem Eintrag von Seuchen, das ist derzeit nicht erkennbar. Der
hohe allgemeine Hygienestandard in Deutschland ist ein ganz wichtiger Schutz vor
Infektionskrankheiten. Das lässt sich gar nicht genug betonen.
HCM: Und wie ist die Situation in Pflegeheimen?
Prof. Exner: In den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren haben die Pflegeheime einen
richtigen Sprung gemacht. Das ist auch auf die Leitlinien für Pflegeheime zurückzuführen
(https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Krankenhaushygiene/Kommission/Downloads/Heim
p_Rili.pdf?__blob=publicationFileca). Sie wurden vor rund sieben Jahren von der
Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention, das beim Robert KochInstitut (RKI) angesiedelt ist, herausgegeben. Das zeigt, wie wichtig es ist, Leitlinien zu
entwickeln – sie sind natürliche auch umzusetzen!
HCM: Ist Deutschland schon weitergekommen bei der Eindämmung der Hauptursachen für
resistente Keime, z.B. aufgrund von Massentiermast oder dem „Hype“ bei der Verschreibung
von Antibiotika?
Prof. Exner: Deutschland hat eine sehr strenge Verschreibungspraxis für Antibiotika. Im
Vergleich zu anderen Ländern liegen wir bei der Häufigkeit der Verschreibungen im unteren
Drittel. Nichtsdestotrotz werden immer noch zu häufig Antibiotika verschrieben – zum Teil
auch, weil die Patienten es erwarten. Bei respiratorischen Infektionen sind jedoch
Antibiotika nicht das Mittel der Wahl, weil ein Großteil der Erkrankungen durch Viren
verursacht wird. Dabei sollte auch den Patienten klar sein, dass sie nicht leichtfertig
Antibiotika einnehmen, sondern nur in begründeten Fällen. Denn mit jeder Antibiotika-Gabe
werden auch „gute“ Bakterien im Darm vernichtet. Und wenn ein Antibiotikum angewendet
wird, muss es streng nach Anweisung des Arztes erfolgen.
HCM: Wie ist der Stand in der Tiermast?
Prof. Exner: In der Tiermast liegt die Antibiotikagabe im Vergleich zur Humanmedizin – mit
jährlich rund 400 Tonnen – auf einem deutlich höheren Level. In der Tiermast ist der Einsatz
dreimal so hoch: 1.200 Tonnen. Auch wenn der Wert rückläufig ist, beunruhigt uns diese
Abgabemenge. Vor allem wenn in der Tiermast immer noch Reserve-Antibiotika verwendet
werden, die eigentlich für den Menschen reserviert sein müssen. Eine unserer aktuellen
Untersuchungen zeigt, dass man durch gute Hygienemaßnahmen den Antibiotikaverbrauch
in der Tiermast deutlich reduzieren könnte.
HCM: Richten wir den Fokus auf Seniorenheime und Pflegeeinrichtungen: Was wird dort
gegen die Entstehung von Kreuzkontamination getan? Gibt es noch Optimierungsbedarf?
Prof. Exner: In vielen Häusern existiert ein hoher Hygienestandard. Das muss nicht für alle
Einrichtungen gelten, aber es weist darauf hin, dass durch die KRINKO-Richtlinien ein hoher
Standard erreicht wurde. Bei der Verschreibung von Antibiotika sehen wir allerdings noch
Handlungs- bzw. Reduzierungsbedarf.
HCM: Auf welche Maßnahmen sollten sich Pflegeheime konzentrieren?
Prof. Exner: Natürlich auf die Pflege der Patienten und eine ausreichende
Personalausstattung, damit dem geschulten Personal auch die Zeit bleibt, die
Hygienemaßnahmen umzusetzen. Das gilt nicht nur bei der Stuhlentsorgung, auch bei der
übrigen Pflege muss die Händedesinfektion möglich sein, muss genügend Wechselwäsche
zur Verfügung stehen und Schmutzwäsche entsprechend entsorgt werden können. Wenn
man sich an die Regeln hält, lässt sich auf jeden Fall ein hohes Maß an Sicherheit erzeugen.
HCM: Gibt es neue Vorschriften bzw. Trends, die helfen, das Risiko der Verbreitung
multiresistenter Keime oder Kreuzkontamination einzudämmen?
Prof. Exner: Ja, sie sind im Wesentlichen in den KRINKO-Empfehlungen ausgeführt, die
kontinuierlich weiterentwickelt werden, speziell auch auf dem Feld der hochresistenten
Erreger. Inzwischen wissen wir z.B., dass sich gramnegative Erreger nicht nur im Darm von
Patienten halten, sondern auch im Abwassersystem über lange Zeit verbleiben können.
Daher ist sicherzustellen, dass es auch in diesen Bereichen zu keiner Rückkontamination
kommt. Es geht dabei um Wasserabläufe, Duschwasser, Waschbecken, Toiletten. Zum
Beispiel kann durch eine entsprechende Konstruktion von Waschbecken und Toiletten eine
Re-Kontamination verhindert werden.
HCM: Jedes fünfte Senioren- bzw. Pflegeheim wäscht die gesamte Wäsche selbst, die
anderen geben die Wäsche an Wäschedienstleister. Sehen Sie unter Hygieneaspekten
Vorteile für die Inhouse-Wäsche oder für das Outsourcing?
Prof. Exner: Entscheidend ist, wie gut der Waschprozess durchgeführt wird. Voraussetzung
ist, dass die Aufgabe von qualifizierten Wäsche-Dienstleistungsbetrieben geleistet wird, die
professionell und nach anerkannten Leitlinien arbeiten. Letztendlich ist dies eine Frage der
Qualitätssicherung. Und man sollte dabei nicht vergessen: Auch im Eigenbetrieb brauchen
Sie eine qualifizierte Logistik. Aber es gibt ja auch Modelle, bei denen sich mehrere
Altenheime zusammenschließen und gemeinsam eine Wäscherei betreiben. Dadurch lassen
sich die Vorteile der Inhouse-Wäsche mit denen des Outsourcings kombinieren.
HCM: Dass Waschmaschinen über das HACCP-Zertifikat verfügen und dadurch auch in
lebensmittelverarbeitenden Betrieben eingesetzt werden können, ist derzeit noch ein Novum.
Wie wichtig ist die Qualitätssicherung im Waschprozess für Sie als Hygieneexperte?
Prof. Exner: Für die Hygiene ist es ganz wichtig, dass qualifiziert gewaschen wird! Das heißt,
man muss darauf achten, dass Waschmaschinen, auf deren Wirkung man sich verlässt, auch
wirklich professionell arbeiten. Dabei kommt es auf die Kombination von Temperatur und
Waschmittel an, die Einhaltung der Temperatur, auf das Nachspülen usw. Gerade das
Nachspülen birgt das Risiko der Re-Kontamination. Deshalb ist die Verfahrensfrage so
wichtig. Viele Waschmaschinen erreichen jedoch die Temperaturen gar nicht, die sie
vorgeben zu erreichen. Professionelle Waschmaschinen müssen im Vergleich zu privaten
Haushaltswaschmaschinen ganz andere Leistungen erbringen.
HCM: Wo sehen Sie noch besonderen Handlungsbedarf in Bezug auf Hygiene?
Prof. Exner: Wichtig ist eine breite Ausbildung zur Hygiene, die schon im Kindergarten
beginnen sollte. Es müssen die Grundtechniken der Hygiene gelernt und das Grundvertrauen
zur Hygiene geschaffen werden. Wenn Hygiene mit Allergien assoziiert wird, ist das fatal. In
der Ausbildung von Medizinern und Pflegenden muss Hygiene zum selbstverständlichen
Bestandteil werden. Es geht um die Verbesserung der Lehre der Hygiene in der
medizinischen Ausbildung und in allen Berufen in der direkten und indirekten
Patientenversorgung – bis hin zum technischen Personal. Von hoher Bedeutung ist
außerdem, dass ausreichend Personal zur Verfügung steht, damit Hygiene nicht in der Hektik
des Arbeitsalltags untergeht. Aber auch die Informierung und Schulung der Heimbewohner
bei ihrer persönlichen Hygiene kann helfen, multiresistente Erreger zu vermeiden. Ein Blick
auf die Forderungen der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) macht die
Bandbreite der Themen, die angegangen werden müssen, deutlich
(http://www.krankenhaushygiene.de/pdfdata/hm/2015_HM_0102_Aktuelle_Forderungen_der_DGKH.pdf).
Das Interview führte Gabi Visintin.