IM BLICKPUNKT Wer hat Angst vor Querdenkern? Warum Unruhe gut für Unternehmen ist GRAFIK: SHUTTERSTOCK/CHRISTOPHE BOISSON Querdenker sind anstrengend. Sie fordern Vorgesetzte und Kollegen und bringen Unruhe ins Unternehmen. Doch letztlich sind sie auch diejenigen, die die Dinge vorantreiben und andere Perspektiven ins Spiel bringen. VON ANDREA PRZYKLENK O bwohl der Querdenker laut Duden-Definition jemand ist, der eigenständig und originell denkt, wird er oft mit dem Quertreiber in einen Topf geworfen. Den Quertreiber definiert der Duden als jemand, der die Pläne und Vorhaben anderer ständig zu hintertreiben sucht, auch als Querulant, Nörgler, Mäkler und Kritikaster bekannt. Während der Querdenker häufig ungewöhnliche Lösungen findet, kreativ ist und über den Tellerrand hinausdenkt, findet der Quertreiber zwar ständig ein Haar in der Suppe, macht aber keinen Finger krumm, um es herauszufischen; er kann sogar ziemlich destruktiv sein. Quertreiber in einem Unternehmen bringen es nicht vorwärts, Querdenker schon – wenn man sie denn lässt. Und auch die Quertreiber sollten nicht vernachlässigt werden. Manchmal sind sie frustrierte Querdenker, die immer nur als Quertreiber behandelt wurden. Der Umgang mit Mitarbeitern, die aus dem Rahmen fallen, ist nicht immer wertschätzend. Statt nach den Gründen für ewige Nörgelei zu forschen oder ein Mitarbeitergespräch mit dem ständig Zu-spät-Kommenden zu führen, werden Abmahnungen geschrieben. Doch eine Abmahnung hat noch keinem Mitarbeiter zu mehr Motivation verholfen. Jemandem, der nörgelt, weil er Angst hat, an seinem neuen Arbeitsplatz nicht zurechtzukommen, hilft es nichts, wenn ihm der Vorgesetzte sagt: „Herr Maier, Sie stören die Arbeit des ganzen Teams.“ Mit solchen Vorgehensweisen berauben sich Führungskräfte der Möglichkeit, das ganze Potenzial ihrer Mitarbeiter zu nutzen. Motivierte Mitarbeiter fallen nicht vom Himmel Jedes Jahr erstellt Gallup den Engagement Index für Deutschland. Die Studie gibt Auskunft darüber, wie hoch der Grad der emotionalen Bindung von Mitarbeitern und damit das Engagement und die Motivation bei der Arbeit ist. Danach zählen 70 Prozent der Beschäftigten zu den gering gebundenen Mitarbeitern, die Dienst nach Vorschrift schieben. Das bedeutet für die Unternehmen nicht nur Milliardenverluste, sondern stellt möglicherweise auch ihre Innovations- und Zukunftsfähigkeit in Frage, auf jeden Fall die Fähigkeiten ihrer Führungskräfte. In Deutschland wird man meistens Führungskraft aufgrund hoher Sachkompetenz und Erfahrung. Genau das sieht Marco Nink, Senior Practice Consultant bei Gallup als problematisch: „Verschiedene Gallup-Studien haben ergeben, dass nur ein geringer Teil der Menschen für eine Führungsposition geeignet ist. Erfahrungen und fachliche Kompetenzen sind zwar von Vorteil für eine Position als Führungskraft, dennoch ersetzen sie nicht das nötige Talent.“ Andere würden vielleicht von der nötigen Führungskompetenz sprechen. Nink nennt als 006_DIE NEWS 03/2016 Kennzeichen für eine gute Führung Zugänglichkeit, Zuständigkeit und Zielorientierung, andere nennen es Vertrauen, Verantwortung, Verbindlichkeit. Es geht immer darum, dass Führungskräfte weder Antreiber noch Kontrolleur ihrer Mitarbeiter sein sollten, sondern eher ein Coach, der mit ihnen gemeinsam ihre Stärken entwickelt und ihre Schwächen versucht auszugleichen. Grundlegende Voraussetzungen für motivierte Mitarbeiter: Respektvoller und wertschätzender Umgang zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern. Mitarbeiter werden weder dauerhaft über- noch unterfordert. Jeder wird dort eingesetzt, wo er seine Stärken und Talente nutzen kann. Die Leistungen der Mitarbeiter werden mit Lob und Anerkennung bedacht. Mitarbeiter werden so weit wie möglich in Entscheidungsprozesse eingebunden, vor allem werden sie durch eine offene Kommunikation informiert. Mitarbeiter können sich weiterentwickeln und werden mit Problemen nicht allein gelassen. Mitarbeiter erhalten konkrete Zielvorgaben. Alle erhalten ein faires Gehalt. Was Querdenker ausmacht Egal wie anstrengend sie sind – machen wir uns nichts vor: Jedes Unternehmen braucht Querdenker und Visionäre. Die meisten Unternehmer sind das. Heute, angesichts von Digitalisierung und permanenter Veränderung, sind Querdenker nötiger denn je. Mit der Verbesserung einer Schraube ist heute kein Blumentopf mehr zu gewinnen. In den Unternehmen muss größer und freier gedacht werden. Dafür sind Querdenker ideal. Man sollte sie zwar nicht völlig von der Leine lassen, aber sie brauchen eine ziemlich lange. Ob Querdenker gerne in einem Unternehmen arbeiten und bleiben, hängt von der Führungs- und Unternehmenskultur ab. In Unternehmen, in denen die oben aufgelisteten Grundvoraussetzungen stimmen, dürften sich auch Querdenker wohlfühlen, vor allem wenn die Unternehmenskultur Fehler und Kritik sowie Vielfalt und Andersartigkeit erlaubt oder sogar fördert. Möglichkeiten, außerhalb des Büros zu arbeiten, sich mit anderen auszutauschen und neue Erfahrungen zu sammeln, helfen dabei, kreative Menschen zu halten. Das alles heißt nicht, dass Querdenker bunt schillernde Charaktere sind, die immer im Mittelpunkt stehen wollen. Es gibt sehr Stille, die dennoch ungewöhnlich denken, assoziieren oder beobachten. Wer ihre Vorschläge nur als „schräg“ abbügelt und nicht ernst nimmt, wird sie vergraulen oder zu Quertreibern machen. So erkennt man Querdenker: Sie schauen sich Fragen, Ideen und Probleme aus anderen Bereichen an und ziehen daraus Erkenntnisse für das eigene Problem. Sie zweifeln scheinbar allgemeingültige Verfahren, Prozesse und Erfahrungen an. Sie beobachten sehr genau, zum Beispiel Kunden, Lieferanten oder Wettbewerber, um neue Ansätze zu entdecken. Sie experimentieren und provozieren gern, frei nach dem Motto: Mal schauen, was dabei herauskommt. Sie sind gute Netzwerker und suchen gezielt den Austausch mit Menschen, die unterschiedliche Ideen und Denkweisen mitbringen. Für die Innovationskraft eines Unternehmens sind nach neuesten Erkenntnissen übrigens nicht durchdachte Innovationsprozesse, hohe Ausgaben in Forschung und Entwicklung oder viele Verbesserungsvorschläge allein verantwortlich. Für die Innovationskraft eines Unternehmens ist entscheidend, dass in der Chefetage Querdenker sitzen. Querdenkende Chefs sorgen nicht nur für gute Arbeitsbedingungen und unterstützen eine partnerschaftliche Unternehmenskultur, sondern mischen selbst kräftig mit. DIE NEWS 03/2016_007
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