Rückblick des Querdenkerkongresses

Nadelstreifen - bunt gemustert
Führungskräfte nutzen den diesjährigen ifsm-Kongress zum kreativen
Querdenken
[Teaser: Querdenken - Das war das Motto des ifsm-Kongresses 2015. 9 verschiedene
Referenten präsentieren das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln und laden zum mitdenken und diskutieren ein. Die Autorin hat sich unter die Führungskräfte und
Vertriebsmitarbeiter gemischt, die auf dem Klostergut Besselich zu Gast waren. Sie berichtet
von ihren Eindrücken, ihren Gedanken und zieht Bilanz.]
27. März 2015, 09:00 Uhr. „Querdenken“, geht es mir auf meinem Weg zum ifsmKongress durch den Kopf, „wie gerne möchte ich diese Kunst beherrschen. Wie gerne
möchte ich dem Kreise derjenigen angehören, die vor Kreativität sprühen und für die
eingefahrene Wege Langeweile bedeuten. Gelten sie doch gemeinhin als interessant und
avantgardistisch.“
Meine Bilanz der letzten Monate wirft mich unsanft auf den Boden der Tatsachen zurück:
Keine bahnbrechenden Ideen, keine mutigen Innovationen, keine abenteuerlichen Streifzüge
jenseits altbewährter Pfade.
Aus unternehmerischer Sicht erscheint mir das Thema „Querdenken“ ambivalent. Ganz klar:
Neue Ideen können ein Unternehmen voran bringen. Andererseits: Querdenker würden nicht
als Querdenker gelten, wenn sie nicht quer zur herrschenden Meinung oder der etablierten
organisationalen Ordnung denken, sprechen und handeln würden. Das kann gehörig auf
Widerstände stoßen.
09:15 - 10:15 Uhr. Ich komme im Klostergut Besselich in Urbar an und mische ich mich
unter die Kongressteilnehmer. Mache mich mit einigen Führungskräfte aus unterschiedlichen
Branchen, Vertriebsmitarbeiter und Trainer bekannt. Schließlich finde ich mich dann im
malerischen Festsaal ein. Die beiden Geschäftsführer, Uwe Reusche und Klaus Kissel,
begrüßen die Gäste des Kongresses und laden ein, das Thema Querdenken freudvoll zu
erforschen. Ich bin gespannt.
10:15 - 11:30 Uhr. Anja Förster, die uns als Bestseller-Autorin und „BusinessQuerdenkerin“ vorgestellt wird, fackelt nicht lange und gewinnt mit ihrer mitreißenden
Bühnen-Präsenz meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Und sie nimmt kein Blatt vor den Mund:
„Warum müssen wir überhaupt querdenken?“, fragt sie, Geradeausdenken falle schließlich
schwer genug. BAM. Es reiche nicht, ein bisschen anders als die Mitbewerber zu sein. Wir
müssten für Kunden Dinge möglich machen, von denen wir heute denken, sie seien
unmöglich. BAM, BAM. Mitarbeiter, die Intelligenz, Fleiß, Sorgfalt und Zuverlässigkeit bieten,
müssten damit rechnen, früher oder später ausgetauscht zu werden. BAM, BAM, BAAAM.
Jetzt klingeln all meine Alarmglocken. Habe ich mich bisher voller Stolz als sorgfältig,
zuverlässig und mit einer hinreichenden Portion Intelligenz beschenkt beschrieben, versuche
ich jetzt möglichst gelassen drein zu blicken, in der Hoffnung, man möge mir meine
Unzulänglichkeiten nicht an der Nasenspitze ablesen. Dem Impuls, meine Arme zu
verschränken und das Kinn beleidigt, aber gesichtswahrend, zu heben, gebe ich dann aber
doch nicht nach, sondern entschließe mich weiter zuzuhören. So erfahre ich, dass die oben
genannten Eigenschaften nicht völlig wertlos seien, sondern die Basis für weitere unverzichtbare - Eigenschaften: Initiative, Kreativität und Leidenschaft. Unverzichtbar
deshalb, weil Unternehmen einem starken Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind. Will und kann
man als Unternehmen diesem Druck nicht mit dem Preis begegnen und Leistungen und
Produkte immer billiger und billiger anbieten, dann muss es gelingen, in der Wahrnehmung
der Kunden außergewöhnlich zu sein und immer wieder neue, wertschöpfende Angebote zu
bieten. Letztere fallen allerdings nicht vom Himmel. Zudem lassen sich Kreativität und
Leidenschaft weder befehlen noch mit einfachen Belohnungs- oder Bestrafungssystemen
hervorkitzeln. Försters Antworten auf dieses Dilemma sind vielfältig. Statt Geld oder anderen
Belohnungen bräuchten Mitarbeiter Freiraum für Selbstbestimmung. Zudem bräuchten
Mitarbeiter tägliches Feedback zu ihrem Können und ihren Talenten. Führungskräfte müssten
ebenso offen für Feedback sein und fähig, ihre Überzeugungen zu hinterfragen. Sie sollten
nicht nur offen für Experimente sein, sondern sie forcieren. Selbstverständlich im Rahmen
einer fehlertoleranten Kultur! Warum nicht einen Preis für Innovationen ausschreiben, die
nicht funktioniert haben? - Gute Idee, denke ich. Warum komme ich eigentlich nicht auf
solche Einfälle? Brauche ich auch mehr Freiraum? Doch was wenn ich trotz Freiraum nicht zu
kreativen und leidenschaftsbeflügelten Ergebnissen komme? Wie Frau Förster sagt, die
Aufforderung „Sei kreativ“ ist unsinnig. Aber dennoch, das subtile Gefühl, einem
Erwartungsdruck ausgesetzt zu sein, begleitet mich nach diesem Vortrag. Und dieser
Erwartungsdruck passt so gar nicht zu meinem Bild des leichtfüßigen Querdenkers, der über
allen Ansprüchen erhaben ist, ja sie zur Not durchkreuzt.
11:30 - 12:30 Uhr. Dieter Eberle Mathias Wollweber werden ihre Methode XBM (Crossbusiness-marketing) vorstellen. Eine Methode, wie sie selbst sagen, zum strategischen
Querdenken. Ich bin skeptisch. Alles methodisch Strukturierte harmonisiert so gar nicht mit
meiner Assoziation von „Querdenken“. Weit gefehlt. Dass Strategie und Fantasie, Struktur
und Originalität sich nicht ausschließen wird mir sehr schnell klar. Ihre Methode hilft
Menschen wie mir (die eben nicht ständig mit einem Feuerwerk an originellen Neuerungen
aufwarten)blitzschnell lineare Denkmuster aufzubrechen und um die Ecke zu denken. Und,
was soll ich sagen: Es macht Spaß! Das Prinzip ist einfach. Du bekommst beispielsweise
einen Auftrag aus einer bestimmten Branche. „Geradeausdenker“ wie ich befassen sich nun
mit genau dieser Branche, sind vielleicht sogar besonders empathisch und können die
Aufgabe wunderbar aus den Augen dieser Branche bearbeiten. Die Wahrscheinlichkeit ist
groß, dass hieraus auch ein branchentypisches Ergebnis resultiert. Eben keine Überraschung,
nichts wirklich Neues. Was machen Eberle und Wollweber? Sie lenken unseren Blick auf
völlig andere Branchen. Sie lassen uns auch in verschiedene Trends und Lebensstile
eintauchen und sammeln nicht nur eine Vielzahl unserer Assoziationen, sondern bauen
schlussendlich eine Brücke zur ursprünglichen Aufgabenstellung. Mit überraschendem
Ausgang. Am Ende steht nicht ein Ergebnis sondern eine Fülle an Ideen. Ideen, die nun
natürlich auf ihr Innovationspotenzial geprüft und mit der tatsächlichen Zielgruppe
abgeglichen werden müssen.
- Ich gehe beschwingt in die Mittagspause. Querdenken, so habe ich gelernt, ist durchaus
breitensport-tauglich. Und ich habe Lust mitzuspielen!
13:30 - 14:30 Uhr: Das köstliche Mittagessen, in meinem Bauch tröstet mich ein wenig
darüber hinweg, dass ich mich nun für einen, der drei parallel laufenden Workshops
entscheiden muss. Gern hätte ich mit Josef Mikus über Innovative Ideen vorangegangener
Denker philosophiert oder Klaus Kissels Idee, klassische Beurteilungssysteme abzuschaffen,
diskutiert. Letztlich hat mich das Thema Positive Psychologie gereizt, mit dem Uwe Reusche
aufwartet. Psychologie, wie ich sie in meinen Studienzeiten kennenlernen durfte, fokussiert
eher auf Probleme (Was macht Menschen krank? Was können Menschen ertragen? Wie
gehen Sie mit Problemen um? Usw.). Die Kombination „Positiv“ und „Psychologie“ macht
mich also neugierig. Mir wird schnell klar: Postitive Psychologie gibt die gute alte
Defizitorientierung auf. Übertragen auf den Unternehmenskontext stellt sie Fragen, wie: Was
stärkt Mitarbeiter? Was macht Arbeit lebenswert? usw. Uwe Reusche legt seinen Fokus auf
das Thema „sinnorientiertes Führen“. Hierin sieht er die Basis für Leidenschaft, Kreativität
und innere Kraft. Wie funktioniert aber sinnorientiertes Führen. Sicher nicht, so Reusche,
indem Führungskräfte als Sinn-Geber auftreten. Vielmehr begleiten sie ihre Mitarbeiter darin,
Sinn zu finden. Mich spricht in diesem Kontext vor allem sein Bild der drei Gefäße an: Das
Gefäß der „Autonomie“ füllt sich dann, wenn die Führungskraft Raum gibt, zum Beispiel um
eigene Entscheidungen zu treffen. Das Gefäß der Selbstwirksamkeit füllt sich, wenn ich
Wertschätzung und Feedback zu meinem Können erhalte und ich das Gefühl habe, dass
mein Handeln Wirkung zeigt. Das dritte Gefäß ist das Gefäß der Beziehung. Es füllt oder leert
sich je nach der Qualität der gemeinsamen Begegnung. Wenn ich mir vorstelle, drei solche
Gefäße - reich gefüllt versteht sich - vor mir zu haben, dann kann ich tatsächlich die „innere
Kraft“ spüren, die ich leidenschaftlich einbringen kann.
15:00 - 16:00 Uhr: Mit dieser Vorstellung starte ich in die zweite Workshop-Reihe. Doch
auch hier muss ich mich entscheiden. Zu gerne hätte ich gewusst, was es mit dem „Guten
Hirten 2.0“ auf sich hat, den Martin Rugart in seinem Workshop vorstellt. Und dass Birgit
Huber-Metz und Mario Becker gemeinsam einen Workshop anbieten, ist zwar ein Debüt, aber
dass das alles andere als langweilig wird, kann ich dennoch voraussagen. Denn ich habe
beide bereits einzeln erleben dürfen. Aber eine Entscheidung muss nun mal getroffen
werden und so besuche ich den Workshop „Coporate Grassroots, das unternehmerische
Fanmanagement“ von Michaela Mojzis-Böhm.
^
Mit ihr erlebe ich eine waschechte Querdenkerin. Ihre Idee ist einfach und genial. Sie
unterstützt Firmen dabei, das Potenzial der eigenen Fans zu nutzen. Ein Zitat, was sie
anbringt, klingt fast schon wie ihr Motto „Man muss auch mit dem Schönen rechnen“. Und
Unternehmen können mit Schönem rechnen, wenn sie ihre Fans auch zu Unterstützern zu
machen. Wie erfreulich: Fans müssen nicht überzeugt werden. Sie sind es schon. Wir haben
es also mit Menschen zu tun, die bereits leidenschaftlich für das Unternehmen brennen (Die
Frage des Tages, wie ich so etwas, wie Leidenschaft ermögliche, stellt sich hier also gar
nicht). Jetzt gilt es ihnen auch Möglichkeiten zur (ebenso heute schon häufig thematisierte)
Initiative zu bieten. Doch Achtung. Es gibt auch eine Kehrseite. Denn wir können uns unsere
Fans nicht aussuchen. Vielleicht haben wir jemand anderen erwartet? Vielleicht handeln sie
quer zu dem was wir selbst tun würden. Querdenken, so geht es mir nach dem Workshop
durch den Kopf, ist auch eine ZuMutung. Denn es gilt auch das „auszuhalten“ was andere
erdenken und erschaffen. Für mich erfordert Querdenken deshalb noch eine weitere
Eigenschaft - egal ob bei Führungkräften, Mitarbeitern oder Fan-Managern - Mut.
16:15 - 16:45 Uhr: Puh, mein Kopf qualmt vom vielen Quer- und Mitdenken. Nun findet
der Abschlussimpuls von Alexander Lang statt. Thema: Barrierefreie Kommunikation für
mehr Motivation im Unternehmen.
Und anstatt mich müde und angestrengt auch noch auf den letzten Referenten einzulassen,
wische ich mir die Augen vor Lachen und bin gleichzeitig sehr bewegt. Er konfrontiert uns
Zuhörer so liebenswert-(selbst-)-ironisch mit all den kleinen und großen (Kommunikations)Barrieren, die wir gekonnt zwischen uns und unser Gegenüber stellen, dass wir herzhaft
lachen können. Und zwar vor allem über uns selbst.
Ich könnte Alexander Lang zitieren, z.B. so: „Die Kunst des Jammerns ist, am Ende des
Lichts immer ein Stück Tunnel zu erkennen“. Ich könnte schreiben, dass er Ziele statt
SMART, lieber BUUZ definiert: beliebig, utopisch, ungenau und zeitlich unbegrenzt. Ich
könnte versuchen wiederzugeben, welche eigenen Erfahrungen er mit Vorurteilen und
barriere-reicher Kommunikation gemacht hat. Aber alles, was ich schreibe, wäre nur ein
müder Abklatsch, in etwa so, als ob ich einen ungeheuer gelungenen Witz, der gerade zur
richtigen Zeit am richtigen Ort gemacht wurde, nachträglich erkläre - und keiner lacht. (Und
es tröstet mich ungemein, dass er 2012 Sieger des District 95 Redewettbewerbs wurde, da
kapituliere ich gerne).
16:45 Uhr - heute (3 Tage später): Klaus Kissel und Uwe Reusche schließen den
Kongress mit einem herzlichen Dank an die Gäste, die Helfer und die Referenten. Ich selbst
bin auch dankbar und erschöpft ob der vielen (Quer-)Denkanstöße. Auf dem Weg nach
Hause habe ich das Vergnügen mit zwei weiteren Kongressgästen über die Inhalte zu
diskutieren - bis uns der Zug, der noch zu erwischen war, ausbremste. Heute, drei Tage
später, ziehe ich Bilanz: Unternehmen brauchen kreative, leidenschaftliche Querdenker.
Querdenken kann man auch strukturiert. Querdenken kann man nicht befehlen, allerdings
kann man eine Unternehmenskultur stiften, die ein Nährboden für kreative Lösungen ist.
Querdenken im Unternehmen erfordert Freiraum, Wertschätzung, (Fehler-)Toleranz und Mut.
Querdenker können quer zur „herrschenden Meinung“ denken. Querdenker hinterfragen
tradierte Einstellungen und Überzeugungen. Querdenken kann erfrischend leicht, aber auch
„zumutend“ sein. Das muss ich aushalten können. Querdenker überwinden Barrieren, im
Denken, im Handeln und in der Kommunikation untereinander. Querdenken können wir alle.
Lasst uns experimentieren.
Christine Will
Was ist Ihr Fazit zum Kongress? Wir freuen uns über Ihre Rückmeldung an [email protected]