RAUCHER Viele sind lungenkrank – auch ohne Beschwerden Die klinische Diagnose einer COPD sollte bei allen Patienten in Betracht gezogen werden, die Risikofaktoren ausgesetzt sind und Symptome wie Atemnot, chronischen Husten oder Auswurf zeigen. irca 30 Prozent aller Erwachsenen rauchen täglich oder gelegentlich – davon sind circa 8,3 Prozent starke Raucher, die 20 oder mehr Zigaretten am Tag konsumieren. Weitere 20 bis 30 Prozent haben früher geraucht (8). Viele aktive oder ehemalige Raucher glauben, dass sie gesund sind. Gesund, weil sie außer gelegentlichem Husten keine akuten Symptome von Atemwegserkrankungen zeigen. Auch ist ein Lungenfunktionstest oft unauffällig. Bei genauerem Hinsehen haben viele von ihnen jedoch schon pathologische Veränderungen an den Atemwegen. Viele fühlen sich auch in ihrer Lebensqualität oder in ihrer körperlichen Fitness beeinträchtigt. Mit fortschreitendem Alter entwickeln viele aktive oder ehemalige Raucher die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) oder Lungenkrebs. COPD-Frühstadien sind jedoch mit der Spirometrie in vielen Fällen nicht nachweisbar, obwohl bei einer erheblichen Anzahl der asymptomatischen Raucher schon pathologische Veränderungen der Atemwege bestehen. Ergebnisse einer vor kurzem veröffentlichten internationalen Studie bestätigen diese Annahme. Dabei untersuchten die Forscher aktive und ehemalige Raucher im Alter von 45 bis 80 Jahren, die für mindestens zehn Jahre mindestens eine Packung Zigaretten pro Tag („10 Packungsjahre“) geraucht hatten (1). Die Teilnehmer wiesen entweder unauffällige Spirometrie-Werte (GOLD* 0) oder eine leichte Atemwegsobstruktion (GOLD I) auf (2). C Foto: SPL Agentur Focus Befunde im Stadium GOLD 0 20 Bei den CT-Untersuchungen wurde bei 42,3 Prozent der Untersuchten der GOLD-0-Gruppe bereits ein Lungenemphysem und/oder eine Atemwegswandverdickung befundet. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer klagten über Dyspnoe, chronische Bronchitis und – verglichen mit Nichtrauchern – eine deutlich schlechtere Lebensqualität (reduzierte körperliche Funktionen, mehr Atemwegs-Exazerbationen). Die Personen in GOLD-I-Stadium gaben dieselben Beeinträchtigungen jedoch in größerem Ausmaß an. *GOLD steht für Global Initiative for Chronic Obstruktive Lung Disease und ist eine Einteilung für den Schweregrad der COPD Perspektiven der Pneumologie und Allergologie 1/2016 | Deutsches Ärzteblatt Die Ergebnisse dieser Studie sind nicht wirklich überraschend, aber dennoch besorgniserregend. Natürlich ist es naiv zu glauben, dass trotz extensiven und langjährigen Rauchens auf Dauer ein guter Gesundheitszustand erhalten bleiben könnte. Fortschreitendes Alter in Kombination mit hohem Zigarettenkonsum führen zu irreversiblen Lungenschäden. Aber COPD als weit verbreitete Lungenerkrankung bleibt zu lange unerkannt. Grund ist, dass die betroffenen Personen die ersten Anzeichen und die Bedeutung frühzeitiger Symptome nicht erkennen und einschätzen können. Zigarettenkonsum ist weiterhin der Hauptrisikofaktor für die Entstehung von COPD (3). Der eingeatmete Zigarettenrauch löst eine Reihe von Entzündungsreaktionen in der Lunge aus, die zur Zerstörung des Gewebes und der normalen Abwehr- und Reparaturmechanismen führt (4, 5). Diese pathologischen Veränderungen führen letztendlich zu den charakteristischen Symptomen der COPD. Raucherentwöhnung ist ein wichtiger Schritt zur Prävention und Kontrolle der COPD; sie verringert die respiratorischen Symptome und verlangsamt die weitere Verschlechterung der Lungenfunktion. Zu beachten ist aber, dass das erhöhte Risiko einer progressiven Lungenerkrankung trotz Nikotinverzicht bestehen bleibt (1, 6, 7). Da auch Nichtraucher an COPD erkranken können, spielen andere Risikofaktoren (genetische Veranlagung, Umweltfaktoren) eine ätiologische Rolle. Das am besten untersuchte Beispiel ist das Fehlen des Alpha-1-Antitrypsin-Proteins. Dieser Gendefekt ist bei jungen Erwachsenen für die Entstehung von Emphysemen verantwortlich (9). Die klinische Diagnose einer COPD sollte daher bei allen Patienten in Betracht gezogen werden, die ● Risikofaktoren ausgesetzt sind und ● Symptome wie Atemnot, chronischen Husten oder Auswurf zeigen. Lungenspezialisten sind sich inzwischen einig, dass die Spirometrie allein nicht ausreicht, um COPD im Frühstadium zu diagnostizieren. Befragungen mit Hilfe von speziell entwickelten Fragebögen können eine praktikable Vorgehensweise bei Patienten mit leichten bis mittelschweren Erkrankungen sein (10, 11). Die strukturellen Veränderungen wie Emphysem, Atemwegsentzündung oder Atemwegsremodeling können mit modernen Bildgebungstechniken wie CT oder MRT in frühen Stadien zuverlässig detektiert und quantifiziert werden (12–15). Mit Hilfe einer speziellen Software für die Auswertung von CT-Aufnahmen ist es möglich, das Ausmaß des Emphysems und der Atemwegsveränderungen zu visualisieren (Abbildung) (13, 14, 16). Foto: Oliver Weinheimer Trotz Nikotinverzicht gefährdet Visualisierung der Emphysemverteilung bei COPD 1a: Koronares MDCT eines Patienten mit Stadium Gold 0, 1b: mittels Software gelb markierte Emphysembereiche (Emphysem-Index = 7%). 2a: MDCT eines Patienten mit Stadium Gold 1 2b: markierte Emphysembereiche (Emphysem-Index = 22%). (Software YACTA, Version 2.6.3.7, Entwickler: Oliver Weinheimer). Gesundheitspolitische Bedeutung ● Es wird geschätzt, ● ● dass die COPD bis zum Jahr 2030 die vierthäufigste Todesursache weltweit werden wird (17). Wegen der älter werdenden Bevölkerung und der kontinuierlichen Exposition gegenüber Risikofaktoren wird die Prävalenz für COPD in den kommenden Jahrzehnten weiter steigen. Da die COPD häufig mit Begleiterkrankungen (wie Herzkreislauf, Bewegungsapparat, metabolisches Syndrom, Osteoporose, Depression und Lungenkrebs) einhergeht, stellt sie schon heute – und in der Zukunft vermehrt – eine große gesund▄ heitspolitische Herausforderung dar (18). DOI: 10.3238/PersPneumo.2016.02.26.05 Prof. Dr. med. Hans-Ulrich Kauczor Dr. rer. nat. Oyunbileg von Stackelberg Diagnostische und Interventionelle Radiologe, Universitätsklinikum Heidelberg Translationales Lungen Forschungszentrum Heidelberg (TLRC), Mitglied des Deutschen Zentrums für Lungenforschung (DZL) Interessenkonflikt: Der Autor Kauczor erhält Vortragshonorare von den Firmen Siemens, Bayer, Novartis, GSK. Boehringer Ingelheim und Almirall. Die Autorin von Stackelberg hat keine Interessenkonflikte. @ Literatur im Internet: www.aerzteblatt.de/0816 Perspektiven der Pneumologie und Allergologie 1/2016 | Deutsches Ärzteblatt 21 RAUCHER Viele sind lungenkrank – auch ohne Beschwerden Die klinische Diagnose einer COPD sollte bei allen Patienten in Betracht gezogen werden, die Risikofaktoren ausgesetzt sind und Symptome wie Atemnot, chronischen Husten oder Auswurf zeigen. LITERATUR 1. Regan EA, Lynch DA, Curran-Everett D, Curtis JL, Austin JH, Grenier PA, et al.: Clinical and radiologic disease in smokers with normal spirometry. JAMA internal medicine 2015; 175: 1539–49. 2. Rabe KF, Hurd S, Anzueto A, Barnes PJ, Buist SA, Calverley P, et al.: Global strategy for the diagnosis, management, and prevention of chronic obstructive pulmonary disease: GOLD executive summary. American journal of respiratory and critical care medicine 2007; 176: 532–55. 3. Kohansal R, Martinez-Camblor P, Agusti A, Buist AS, Mannino DM, Soriano JB: The natural history of chronic airflow obstruction revisited: an analysis of the Framingham offspring cohort. American journal of respiratory and critical care medicine 2009; 180: 3–10. 4. Hogg JC. Pathophysiology of airflow limitation in chronic obstructive pulmonary disease. Lancet 2004; 364: 709–21. 5. Hogg JC, Chu F, Utokaparch S, Woods R, Elliott WM, Buzatu L, et al.: The nature of small-airway obstruction in chronic obstructive pulmonary disease. N Engl J Med 2004; 350: 2645–53. 6. Maltais F, Dennis N, Chan CK: Rationale for earlier treatment in COPD: a systematic review of published literature in mild-tomoderate COPD. Copd 2013; 10: 79–103. 7. Fletcher C, Peto R: The natural history of chronic airflow obstruction. British medical journal 1977; 1: 1645–8. 8. 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