Besser fahren, Borgward fahren · 1959

B E S S E R FA H R E N , B O R G WA R D FA H R E N
Peter Kurze
Die Borgward-Chronik
Besser fahren,
Borgward fahren · 1959
Ein Rückblick auf Autos, Mitarbeiter und Werksalltag
bei Borgward, Goliath und Lloyd
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I N H A LT S V E R Z E I C H N I S
B O R G WA R D - G R U P P E
Die Internationale Automobilausstellung Frankfurt a.M., 17. bis 27. September 1959 ..........4
Die wirtschaftliche Lage der deutschen Automobilindustrie................................................79
Die wirtschaftliche Lage der Borgward-Gruppe...................................................................82
Rallye Monte Carlo..............................................................................................................86
Caltex Economy Test...........................................................................................................87
Das geschah 1959................................................................................................................ 90
C A R L F.W. B O R G WA R D G M B H
Das Borgward-PKW-Verkaufsprogramm 1959.......................................................................9
Das Borgward-LKW Verkaufsprogramm 1959....................................................................11
Der GROSSE BORGWARD kommt..................................................................................20
Die neue Lkw-Generation aus Bremen: Lastkraftwagen in Frontlenker-Bauweise................30
Das neue Gebäude: Lohnbüro und Krankenkasse................................................................68
Gestatten: Kurt Ochmann...................................................................................................71
Markenweltmeisterschaft für Cooper-Borgward...................................................................89
B O R G WA R D S O N D E R KO N S T R U K T I O N E N
Focke-Hubschrauber-Prototyp 2: erster Freiflug...................................................................60
30-Tonnen-Panzer für die Bundeswehr................................................................................63
Schwimmwagen Typ 509.....................................................................................................65
G O L I AT H – W E R K G M B H
Das Goliath-Verkaufs­programm 1959..................................................................................14
LLOY D MOTO R E N W E R K E G M BH
Das Lloyd-Verkaufsprogramm 1959.....................................................................................17
Der Lloyd NT......................................................................................................................38
Die Serienproduktion der Arabella.......................................................................................55
Neu: Lloyd Arabella Coupé..................................................................................................57
Die neue Lloyd-Halle der Versuchsabteilung (Halle 7).........................................................68
Der Handel mit Zitronen.....................................................................................................83
12 Stunden von Hockenheim...............................................................................................88
Dank, Bildquellen, Autor.....................................................................................................95
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N E U : D E R G R O S S E B O R G WA R D P 10 0
Verbrauch einen Mehrverbrauch von 1 Liter/100 km hatte.
Da steckte irgendwo ein Fehler drin, weil der Hansa 2400
Pullman II mit dem gleichen Motor schon 155 bis 160 km/h
schaffte. Die Ursache konnte nur in der Windschlüpfrigkeit
der Karosserie liegen. Ob nun daraufhin ein detailliertes Holzmodell im Maßstab 1:10 (ca. 50 cm lang) in der BorgwardModelltischlerei gefertigt wurde, oder ob es das Modell aus
Holz schon gab, ist unerheblich. Dieses Modell, das die vorgezogene Dachkante aufwies, verfrachtete man in das Institut
für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren der Technischen
Hochschule Stuttgart. Dort stellte man im Windkanal schnell
fest, dass die Dachkante vermutlich die Ursache bildete.
Da sich Modelle im Maßstab 1:10 nur bedingt für genauere aerodynamische Untersuchungen eignen, musste das Ergebnis am Prototypen überprüft werden. Anscheinend hatte
man bisherige Versuchsfahrten nachts durchgeführt und auch
den Wagen in der Dunkelheit oder im geschlossenen LKW
an diejenigen fotogenen Orte gebracht, wo der Lichtbildner
Walter Richleske (*1913 †1969) ihn haben wollte. Nun erhielt
der bisher rot lackierte Wagen einen grauen Tarnanstrich, unter dem auch die silberfarbenen Zierleisten verschwanden. So
sollte das Fahrzeug im Verkehr möglichst nicht als Erlkönig
Lenkrad des Prototyp Nr. 1.
linke Seite und unten:
P 100-Prototyp Nr. 1 mit Küh­
ler­
figur, grobem Netz im Kühlergrill,
ohne
Parkleuchten,
geriffeltem
Schwel­lerzierblech,
vorgezogener
Dachkante, Isabella-Türschlössern und
-Radkappen.
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N E U : D E R G R O S S E B O R G WA R D P 10 0
erkannt werden, denn erst auf der IAA im September wollte man die Oberklasse-Limousine erstmals präsentieren. Der
Tarnanstrich war notwendig geworden, weil man Bereiche um
die Scheiben herum mit Wollfäden beklebt hatte und diese bei
Tageslicht beobachten musste. Diese Fäden zeigen an, wo sich
ungünstige Turbulenzen durch den Fahrtwind bilden. Bleibt
der mit einem Ende an der Karosserie angeklebte Wollfaden
vibrierend anliegend, so ist an diesem Punkt die aerodynamische Ausgestaltung in Ordnung. Beginnt der Wollfaden stark
zu rotieren, so befinden sich an dieser Stelle kraftstoff- und
leistungsfressende Wirbel.
Anscheinend haben die durchgeführten Fahrversuche mit
den Wollfäden das Ergebnis der Stuttgarter Untersuchung bestätigt.
Prototyp 2 (Fahrgestellnr. vermutlich 123.0002)
Ein weiterer Wagen (Farbe weiß/elfenbein) besaß keine prägnante Dachkante mehr, aber noch Isabella-Türgriffe ohne
Griffmulde. Dazu kamen Parkleuchten, ein feineres Netz im
Kühlergrill und glatte Zierbleche an den Schwellern. Eine
Kühlerfigur fehlte. Da dieser P 100 seriennäher als der Prototyp Nr. 1, aber serienferner als andere Wagen war, wird
Aerodynamische Probleme gab es
mit der vorgezogene Dachkante beim
ersten Prototypen (Foto oben).Ab
Wagen 2 (Foto darunter) fiel diese
„Schute“ weg.
Der fast komplett grau lackierte Prototyp
1 ist für aerodynamische Versuche mit
einseitig angeklebten Wollfäden versehen. Rotieren diese während der Fahrt,
sind Verwirbelungen vorhanden. Die
Karosserie muss an den Stellen aerodynamisch verbessert werden.
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N E U : B O R G WA R D B 62 2 / B 6 5 5
um 240 kg höhere Nutzmasse. Der Hauber kostete 7.480 DM,
der Frontlenker 9.180 DM (Pritschenausführung mit 60 PS
Isabella-Motor).3 Trotz des Preisunterschiedes verkaufte sich
der B 611 recht gut, so dass Borgward den Leicht-Lkw B 522
und den mittelschweren Lkw B 555 ebenfalls als Frontlenker
herausbringen wollte.
Die Prototypen des B 2500 F (Bezeichnung B 622, 2,8 t
Nutzmasse) und B 4500 F (B 655, 5½ t Nutzmasse) zeigte man
auf dem Genfer Automobilsalon im März 1959.4 Äußerlich
unterschieden sich die beiden Lkws kaum voneinander, da sie
über ein fast gleiches Fahrerhaus verfügten, das sich bis auf
Dach und Frontpartie aus B 611-Teilen zusammensetzte.5
Die Kabine bestand im Gegensatz zu den alten HaubenLkws mit ihrer Gemischtbauweise (Holz und Blech) nur noch
aus Stahlblech, weil sie sich so schneller und billiger herstellen
ließ. Die Konstruktion hat aber den Nachteil, dass die Dämpfung des Motorengeräusches aufwendiger ist, zumal das Antriebsaggregat bei Frontlenkern zwischen dem Fahrer und dem
3 Borgward GmbH: Lastkraftwagen, Bremen 1959
4 u.a. Weser-Kurier vom 14. März 1959
5 Bertuleit, Hans: Interview 15.2.1995
Borgward Hauben-Lkw B 1500/B 511
„Alligator“, den es mit 42 PS-Dieseloder 60 PS-Ottomotor gab.
linke Seite: Im Frühjahr 1959 präsentierte das Bremer Auto­mobil­werk auf
dem Genfer Salon die Frontlenker auf
Basis der Hau­ben­fahrzeuge B 522 und
B 555. Die beiden neuen Typen B 622
und B 655 (Foto) unterschieden sich
durch die Motorleistung (70 bzw. 110
PS) und durch die Reifendimension
(6.50 x 20 bzw. 8.25 x 20).
Neue B 622-Lkw im Werk Se­
balds­
brück.
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N EU: LLOY D A R A B E LL A FRUA
Neu: Lloyd Arabella Coupé
Einen weiteren Paukenschlag zur Eröffnung der IAA hatten
sich die Lloyd-Leute überlegt, um der Arabella noch mehr
Presseecho zu verschaffen. Sie gaben bei dem Turiner Pietro
Frua (*1913 †1983) vermutlich Ende 1958 zwei Coupé-Prototypen auf Arabella-Fahrwerk in Auftrag. Die Fahrwerke
baute die schon durch die Arabella-Tests völlig überlastete
Lloyd-Versuchsabteilung an und schickte sie nach Turin in
Fruas Werkstatt. Der Turiner Stilist entwickelte zwei bildhübsche 2+2-sitzige Wagen, die ihre Verwandschaft zum Lloyd
Alexander Frua nicht verleugneten. Frua hatte lediglich die
Stoßstangen begradigt, eine kleine Hutze auf der Motorhaube angebracht und die Karosserie aufgrund des größeren Arabella-Radstands verlängert (Radstand Alexander = 2000 mm,
Arabella 2200 mm, Länge Alexander Frua = 4000 mm, Arabella Coupé 4000 mm). Die Vergrößerung betraf nicht nur
die Außenmaße, sondern auch die Leistung. Musste sich der
annähernd 650 kg schwere Alexander Frua mit 25 PS (Leistungsgewicht 26 kg/PS) abquälen, so brachte es das sportliche
Arabella Coupé zwar auf 805 kg Leergewicht inkl. Kraftstoff,
Der Turiner Stilist Pietro Frua beim
Modellieren des Arabella Coupés im
Maßstab 1 : 10.
Clay-Modell des Arabella Coupés von
Frua.
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zen. Eine grafisch Angleichung
der Marken Lloyd und Goliath
war schwierig. In den Entwürfen tauchte immer wieder das
Lloyd-Dreieck auf, das sich allerdings nicht harmonisch integrieren ließ.
Erst als Ochmann sich von
den Lloyd-Wurzeln entfernte und konsequent auch für
Goliath und Lloyd den neuen
Rhombus verwendete, schien
eine Lösung näher. Doch die
kam aus einer ganz anderen
Richtung.
1960 fällte Carl Borgward
die Entscheidung, die Marken
Lloyd und Goliath zu eleminieren. Dazu sollte die Produktion der Fahrzeug-Modelle
Lloyd LP 600/Alexander/Alexander TS, Goliath Goli und
Borgward LKW B 533/544
auslaufen. Alle weiterhin gefertigten Modelle würden zukünftig nur noch unter dem Namen
BORGWARD und unter dem
neuen Rhombus vom Band rollen.10
Nun kam es zur farblichen
Ausgestaltung des Rhombus
und somit auch zur Festlegung
bestimmter Hausfarben. Dazu
verwendete Ochmann den
Farbkreis und legte ein gleichschenkliges Dreieck auf ihn.
So stellte er harmonisch zuei-
Der stilisierte Rhombus begann seinen Weg als einheitliches Markenzeichen
1959 beim GROSSEN BORGWARD (P 100).
Im November 1960 folgte die Luxus-Ausführung der Arabella mit Rhombus
und Borgward-Schriftzug.
unten: Auch das geplante 62er-Modell der Isabella besaß den markanten
doch schlichten Rhombus.
10 Kundenzeitschrift Borgward Rhom­
bus Nr. 5/6-1960, Seite 15. Abgebildet
ist
der
neue
Borgward-Rhombus
– Bildunterschrift: „Und das ist das
Markenzeichen, hinter dem in Zukunft einheitlich alle Borgward-Unternehmen stehen.“:
77
FLOP DES JAHRES
Der Handel mit Zitronen
Im Juni 1959 erschien das Sommerheft der Kundenzeitschrift
„Fahr mit Lloyd“ mit einem kleinen Artikel:
„Amerika entdeckt ALEXANDER TS...
Auf diese Weise läßt sich am besten die Tatsache umschreiben, daß der LLOYD-Export in die Vereinigten Staaten in
diesen Monaten einen beachtlichen Aufschwung genommen
hat. ... Verstehen Sie unsere Freude darüber, daß auf der New
Yorker Automobilausstellung allein für Mai und Juni 2 500
Wagen bestellt wurden? Damit nicht genug, denn inzwischen
wurde für die kommenden Monate ein weiterer Auftrag über
4 500 Fahrzeuge erteilt, der den Auftakt für ein langfristiges
Lieferabkommen darstellt. Voraussetzung für den weiteren
Absatz war die Schaffung einer weitverzweigten Vertriebsund Kundendienstorganisation. Auch hier ein Beispiel für
Der Amerikaner Simons unterzeichnet
Ende März, Anfang April die Verträge
gemeinsam mit dem Technischen
Direktor, Dipl.-Ing. Hans Krämer
(*1911 †2001/links im Bild), und dem
Kaufmännischen
Direktor,
Willy
Tegtmeier (*1911 †1999/rechts) die
Lieferverträge im gemeinsamen Büro
der Lloyd-Chefs. Krämer schaut skeptisch, Tegtmeier scheint zu überlegen,
ob das alles richtig ist und der „versierte Fachmann“ Mr. Simons freut sich.
83
FLOP DES JAHRES
Frachter warten, dass die LloydFahrzeuge in ihrem Rumpf verschwinden.
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die Marktlage: Ein versierter Fachmann im US-Automobilgeschäft stieg „mit beiden Beinen“ ein, weil er genau weiß, wo
die echten Bedürfnisse liegen.“
Der „versierte Fachmann“ war ein Mister Simons, der Ende
März, Anfang April in Bremen im Lloyd Werk die Verträge
unterschrieb und sich im Parkhotel feiern ließ.
Ab Mai fuhren fast täglich die Transport-LKW in den Hafen
der Hansestadt, wo die Export-PKW auf die Frachter verladen
wurden.
Die Lloyd-Wagen, die für den amerikanischen Markt bestimmt waren, unterschieden sich durch Stoßstangen mit
Bügeln, sealed-beam-Scheinwerfern, Meilen-Tacho, Standleuchten unter den Scheinwerfern und anderen Rückleuchten
von der deutschen Version. So umgerüstet gingen die Fahrzeuge auf Reisen in die USA.
Doch dort wollte Mr. Simons nichts mehr von Lloyd wissen.
Vielleicht war er pleite oder er hatte „kalte Füße“ bekommen.
Zumindest sah Lloyd keinen Dollar und hatte mit Zitronen
gehandelt.
Guter Rat war teuer. Karl-Heinz Bädeker (*1923), Leiter des
Lloyd-Ersatzteilwerks, vermutet, dass ein Teil der Fahrzeuge
zu günstigsten Preisen in den Vereinigten Staaten abgesetzt
werden konnte, dass aber der größte Teil nach Bremen zurück
geordert werden musste.
FLOP DES JAHRES
In Bremen demontierte man die US-Teile und rüstete die
Autos auf die deutsche StVZO um, damit sie auf dem Binnenmarkt verkauft werden konnten. Was mit den riesigen
Mengen der US-Teile geschah, ist unbekannt. Nur die ExportStoßstangen konnten geschickt vermarktet werden. Tegtmeier
und Bädeker boten mit Händlerrundschreiben am 15. Februar
1960 den Lloyd-Vertretungen an:
„Betreff Sonderangebot
Der beim Einkauf einer Ware erzielte Gewinn ist nicht nur
der angenehmste sondern auch der schnellste.
Beim Abschluß eines größeren Auftrages für U.S.A.-Stoßstangen (LP 600) haben wir vorsorglich den im Frühjahr zu
erwartenden erhöhten Absatz im Inland einkalkuliert und erhebliche Preisvorteile erzielen können.“
Der alte Einkaufspreis für Händler betrug 110,60 DM pro
Satz, nun konnte sie bis 5 Satz für 85,00 DM, über 5 Satz für
78,00 DM und über 10 Satz für 73,00 DM pro Satz bekommen. Gleichzeitig erschien in der Frühjahrs-Ausgabe „Fahr
mit Lloyd“ ein verkaufsfördernder Artikel; Tenor: Mit der USStoßstange gibt es keine Beulen im eigenen Lloyd beim Einund Ausparken.
Ende März verlängerte Lloyd das Sonderangebot: „Die lebhafte Nachfrage beweist echtes Interesse und veranlasst uns,
die Frist bis zum 30. April 1960 zu verlängern.“
Sonderangebot an US-Stoß­stan­genSätzen für alle Lloyd-Händler.
Reimportierte Lloyd-PKW wurden
im Werk auf die Vorschriften der
StVZO umgerüstet, damit sie in der
Bundesrepublik verkauft werden
konnten.
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