Abstimmung, veröffentlicht am 11.01.2016
www.vimentis.ch
Abstimmung 28.02.2016: Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln
In der modernen, globalisierten Welt
wird praktisch mit allem gehandelt,
was es überhaupt gibt. Die internationale Verstrickung der Märkte macht
dies möglich. Rohstoffe wie Gold und
Öl werden seit langem auch deshalb
gehandelt, um durch Preisveränderungen Gewinne zu erzielen. Nun findet
diese Spekulation auch mit Nahrungsmitteln und sogenannten Agrarrohstoffen statt. Da diese Stoffe der Ernährung
von Menschen und Tieren dienen, wird
deren spekulativer Handel von vielen
als kritisch betrachtet. Dies auch deshalb, weil deren Handel einen Einfluss
auf den Preis von Nahrungsmitteln und
Agrarrohstoffen haben soll. Die Initiative „Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!“ will deshalb diesen Handel
einschränken.
Ziel der Initiative
Die Initiative verlangt, den Handel mit
gewissen Rohstoffen auf dem Schweizer Finanzplatz stark einzuschränken.
Ziel ist es, die Spekulation mit Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln für
Händler mit Sitz in der Schweiz zu verbieten. Dadurch sollen die Preise für
diese Stoffe auf internationalen Märkten weniger schwanken. Schlussendlich
soll ermöglicht werden, dass Entwicklungsländer dank stabileren und tieferen Preisen beständigere Erlöse aus
dem Rohstoffhandel und einen besseren Zugang zu Nahrungsmitteln haben.
Ausgangslage
In den letzten Jahren unterlagen Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel starken
Preisschwankungen. Diese Schwankungen schaffen Unsicherheit bei Produzenten und Konsumenten. Es ist deshalb schwierig zu sagen, wie teuer ge-
wisse Nahrungsmittel beispielsweise in
einem Jahr sein werden.
Einfach erklärt
Laut den Initianten haben diese
Schwankungen mit den Warenterminmärkte zu tun. Warenterminmärkte
sind Märkte, bei denen der Kauf oder
Verkauf eines Gutes in der Zukunft abgemacht wird. Ein Beispiel ist ein Bauer, der sich verpflichtet, in einem Jahr
von seinem Nachbarn eine Tonne Kartoffeln zu einem jetzt bestimmten Preis
zu kaufen. Diese Warentermingeschäfte für Nahrungsmittel und Agrarrohstoffe sind seit der Jahrtausendwende
sehr beliebt. Durch die Öffnung von
Weltmärkten und dem Onlinehandel
war Handel mit diesen Gütern auf einmal auf breiter Ebene möglich. An dieser Stelle muss zwischen zwei Handelsformen unterschieden werden.
Agrarrohstoffe
Einerseits werden Nahrungsmittel und
Agrarrohstoffe auf Spotmärkten (Handel und Bezahlung erfolgen sofort) gehandelt. Die Produkte werden dort von
Produzenten und Verarbeitern oder
Endabnehmern zu bestimmten Preisen
ver- und gekauft. Die Spotmärkte sind
auf der ganzen Welt verteilt und haben
keine einheitlichen Preise. Bspw. kann
der Preis für Weizen im Westen der
USA tiefer sein als auf dem Spotmarkt
im Osten der USA. Preise werden durch
die lokale Angebots- und Nachfragesituation bestimmt.
Spekulationsgeschäfte nennt man den
Kauf von bspw. Aktien mit der Hoffnung, dass man sie zu einem späteren
Zeitpunkt teurer verkaufen kann. Bei
Spekulationen mit Nahrungsmitteln
funktioniert dies gleich. Man wettet
sozusagen auf steigende oder fallende
Preise. Da die künftigen Preise nicht genau vorhergesagt werden können, werden Vermutungen darüber angestellt.
Schlussendlich kann bei solchen Spekulationsgeschäften gewonnen oder verloren werden.
Andererseits werden Rohstoffe über
die bereits erwähnten Terminmärkte
gehandelt. Solche Termingeschäfte bieten Sicherheit für Produzenten, da sie
dann wissen, dass sie ihre Ware in Zukunft verkaufen können. Zudem sind
die Bedingungen bekannt, da die Handelspartner den Preis im Vorhinein bestimmt haben. Die Preise auf den Ter-
1
Dies sind Rohstoffe, welche aus landwirtschaftlicher Produktion stammen
und als Nahrungsmittel, Tiernahrung
oder nachwachsende Treibstoffe verwendet werden. Milch, Bauholz, Palmöl,
Kaffee, Butter, Schweine- und Rindfleisch und diverse andere Produkte
zählen zu den Agrarrohstoffen. Sie werden auch “Soft Commodities” genannt.
“Finanzialisierung”
Mit Finanzialisierung ist an dieser Stelle
die Entwicklung der Warenterminmärkte gemeint. Die internationale Verstrickung der Märkte und der zunehmende
Handel mit nichtphysischen Produkten
sind die Hauptentwicklungen der Nahrungsmittel- und Agrarrohstoffmärkte.
Spekulation
minmärkten sind im Gegensatz zu den
Spotmärkten vereinheitlicht, also überall in etwa gleich. Ihre Preise ergeben
sich aus der internationalen Nachfrageund Angebotssituation.
Bei den Termingeschäften sind zwei
Arten von Händlern aktiv. Zum einen
sind dies die kommerziellen Händler.
Diese Händler handeln mit physisch
vorhandenen Nahrungsmitteln und Agrarrohstoffen.
Im Gegensatz dazu handeln nichtkommerzielle Händler mit virtuellen, nichtexistierenden Rohstoffen. Sie spekulieren auf die künftigen Preise der Produkte. Gehandelt wird dabei mit sogenannten Derivaten. Derivate sind Finanzprodukte, welche in diesem Fall
von den Preisen von Nahrungsmitteln
und Agrarrohstoffen abhängig sind. Der
Preis eines Derivates hängt also vom
Preis des damit verbundenen Produktes ab. Einfach gesagt sind Derivate eine Art Wettschein. Man kann bspw.
darauf wetten, ob der Preis für eine
bestimmte Menge Mais in Zukunft
steigt oder fällt. Liegt man richtig, wird
ein Gewinn erzielt. Liegt man falsch,
wird ein Verlust eingefahren. Solche
Geschäfte werden oft von Anlegern
genutzt, welche an sich gar nichts mit
der Nahrungsmittel- oder Agrarrohstoffindustrie zu tun haben (bspw.
Banken oder gewisse Versicherungen).
Die Schweiz ist ein grosser Umschlagplatz für solche Güter und spielt eine
wichtige Rolle auf dem Weltmarkt. Beispielsweise läuft etwa die Hälfte des
weltweiten Kaffee- und Zuckerhandels
über die Genfersee-Region. Dort haben
mehrere Handelsfirmen, spezialisierte
Banken und Warenprüfkonzerne ihren
Geschäfts- und Handelssitz.
Auswirkungen
Die neue Regelung soll jegliche Art von
Spekulationen von institutionellen Anlegern wie Banken, Privatversicherungen und Vermögensverwaltern mit diesen Gütern verbieten. Dies gilt für Anleger mit Sitz oder Niederlassung in der
Schweiz.
Händler und Produzenten von Nahrungsmitteln und Agrarrohstoffen dürfen jedoch weiterhin Termingeschäfte
abschliessen, um sich abzusichern. Solange eine Vertragspartei ein Geschäft
zur Absicherung abschliesst, ist dies erlaubt. Dies gilt auch dann, wenn die
andere Partei mit dem Geschäft spekuliert.
Für manche Unternehmen mit Sitz oder
Niederlassung in der Schweiz hätte die-
se neue Gesetzgebung starke Auswirkungen.
Beispielsweise dürften Banken mit Sitz
oder Niederlassung in der Schweiz nur
noch mit Agrarrohstoffen oder Nahrungsmitteln handeln, wenn sie nachweisen können, dass das Geschäft der
Absicherung dient (keine Spekulationsgeschäfte mehr in der Schweiz). Für
Banken mit Hauptsitz in der Schweiz
würde dies sogar weltweit gelten.
Auch Agrar-Handelsfirmen und jegliche
andere Investoren in solche Produkte
müssten Absicherungsnachweise liefern, um weiter im spekulativen Markt
in der Schweiz handeln zu können.
Argumente dafür
Spekulationsgeschäfte würden für
Preisentwicklungen sorgen, welche
nicht dem eigentlichen Wert der Produkte entsprächen. Dadurch entstünden Schwankungen, denen vor allem
die Bevölkerung von Entwicklungsländern ausgesetzt sei. Auf diese Länder
würden solche Schwankungen destabilisierend wirken.
Die totale Liberalisierung des Agrarrohstoffmarkts führe zu unhaltbaren Bedingungen für Kleinbauern und würde
durch das Tolerieren von Spekulationsgeschäften unterstützt.
Die Schweiz als Finanzplatz böte die
Rahmenbedingungen für solche Geschäfte. Da das Schweizer Stimmvolk
nicht direkt den globalen Agrarrohstoffmarkt regulieren kann, solle bei
uns begonnen und somit ein Zeichen
gesetzt werden.
Zusammenfassung
Ziel der Vorlage
Spekulative Geschäfte mit Agrarrohstoffen (Kakao, Getreide, ...) sollen verhindert werden. Dadurch sollen die Preise
auf den globalen Rohstoffmärkten weniger stark schwanken und Nahrungsmittel
erschwinglicher werden.
Wichtigste Änderungen
Banken, Privatversicherungen, Effektenhändler und weitere Vermögensberater
mit Niederlassung in der Schweiz dürfen
nicht mehr in spekulative Geschäfte investieren, die sich auf den Agrarrohstoffmarkt und den Nahrungsmittelmarkt beziehen. Sie dürfen bei solchen
Geschäften auch nicht als Vermittler
dienen.
Argumente der Befürworter
Spekulation führe zu Marktversagen
(Preise für Lebensmittel entsprechen
nicht dem Realwert). Durch solche Geschäfte könnten unnatürliche Höchstpreise entstehen, die am Ende von den
ärmsten Mitgliedern unserer Gesellschaft getragen würden. Die exzessive
Bereicherung einiger weniger durch
Handel mit Nahrungsmitteln auf Kosten
vieler sei pervers und nicht nachhaltig.
Argumente der Gegner
Ein kausaler Zusammenhang zwischen
den zu verbietenden Geschäften und
Hungerleiden in Drittweltländern sei
nicht klar bewiesen. Das Verweisen von
Lebensmittelspekulanten
aus
der
Schweiz würde keinen grossen Einfluss
auf die internationale Spekulation mit
Lebensmitteln haben, da die Spekulanten dann einfach von anderen Ländern
aus agieren würden.
Argumente dagegen
Es gebe keinen klaren kausalen Zusammenhang zwischen den Nahrungsmittelproblemen der Entwicklungsländer und der von der Initiative verbotenen Geschäfte. Für die bisherigen hohen Preise seien tiefe Lagerbestände,
Korruption und Wettereinflüsse (Dürren) verantwortlich.
Wenn Spekulationsgeschäfte in der
Schweiz verboten werden würden, hätte dies kaum Auswirkungen, da sich die
2
wichtigsten Terminbörsen im Ausland
befänden. Wenn solche Geschäfte in
der Schweiz nicht mehr getätigt werden könnten, würden sie einfach ins
Ausland verlagert.
Die neue Regelung störe den Finanzplatz Schweiz. Ohne funktionierende
Finanzmärkte seien Investitionen in die
Landwirtschaft nicht möglich.
Literaturverzeichnis:
Alliance Sud (2014). Nahrungsmittel-Spekulation – (K)ein Problem? Abgerufen am 08.12.2015 unter
http://www.alliancesud.ch/de/publikationen/downloads/Studie_Nahrungsmittel_DE_2014-02-24_Hyperlinks.pdf
BayWa (o.D). Agrar & Rohstoffe. Abgerufen am 08.12.2015 unter
http://www.baywa.com/fileadmin/user_upload/coverflow/Backgrounder_Agrar_u_Rohstoffe_02.pdf
Broker-Test (o.D). Agrarrohstoffe. Abgerufen am 09.12.2015 unter http://www.broker-test.de/finanzwissen/rohstoffe/agrarrohstoffe/
Die Bundesversammlung (2015). Curia Vista – Zusammenfassung. Abgerufen am 08.12.2015 unter
http://www.parlament.ch/d/suche/seiten/legislaturrueckblick.aspx?rb_id=20150021
Der Bundesrat (2015). Abstimmungsvorlagen für den 28. Februar 2016. Abgerufen am 08.12.2015 unter
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-58993.html
Der Bundesrat (2015). Botschaft zur Volksinitiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!». Abgerufen am 08.12.2015 unter
https://www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2015/2503.pdf
Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) (2013). Grundlagenbericht Rohstoffe. Abgerufen am
09.12.2015 unter http://www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/30133.pdf
FDP (2015). Spekulationsstopp-Initiative. Abgerufen am 12.12.2015 unter http://www.fdp.ch/abstimmungen/spekulationsstoppinitiative.html
JungsozialistInnen Schweiz (JUSO) (o.D.). Spekulationsstop. Abgerufen am 08.12.2015 unter
http://www.juso.ch/spekulationsstopp/
Neue Zürcher Zeitung (NZZ) (2014). Diffuser Kampf gegen die Nahrungsmittel-Spekulation. Abgerufen am 08.12.2015 unter
http://www.nzz.ch/schweiz/diffuser-kampf-gegen-die-nahrungsmittel-spekulation-1.18269636Neue Zürcher Zeitung (NZZ) (2015).
Initiative hat im Nationalrat schweren Stand. Abgerufen am 07.12.1015 unter http://www.nzz.ch/schweiz/aktuellethemen/initiative-hat-im-nationalrat-schweren-stand-ld.1968
RESET (2014). Nahrungsmittelspekulation - Geschäfte mit dem Hunger? Abgerufen am 09.12.2015 unter
http://reset.org/knowledge/nahrungsmittelspekulation
Schweizerische Bundeskanzlei (BK) (2015). Eidgenössische Volksinitiative 'Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!'. Abgerufen
am 08.12.2015 unter 'https://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis437t.html
SwissBanking (2015). Rohstoffe. Abgerufen am 09.12.2015 unter http://www.swissbanking.org/mobile/home-mb/dossierslink/rohstoffe.html
Uniterre (o.D.). Initiative „keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!“. Abgerufen am 08.12.2015 unter
http://www.uniterre.ch/index.php/de/praesentation/links/72-info-de/kampagnen/404-stop-spekulation
3