Artikel aus der AZ vom 29. Februar 2016

AARGAUER ZEITUNG
MONTAG. 29. FEBRUAR2016
Urs Hofmann: «Der SVP steht
es nicht an zu jammern»
Durchsetzungsinitiative Der Aargauer Justizminister nimmt Stellung zum Volksentscheid
VON MATHIAS KÜNG
Justiz- und Polizeidirektor Urs Hofmann
verfolgte gestern Nachmittag in Aarau das
Fussballspiel gegen Le Mont und hoffte
natürlich auf einen Sieg der Einheimi­
schen, der auch eingetroffen ist. Am Ran­
de des Spiels stand er der az Red und
Antwort zur Durchsetzungsinitiative.
Bei den ersten ausgezählten Aargau­
er Gemeinden resultierte einJa zur
Durchsetzungsinitiative. Was ging
Ihnen da durch den Kopf?
Urs Hofmann: Als ich die recht knap­
pen Stimmenverhältnisse in den ersten
Gemeinden sah, war ich überzeugt,
dass es im Aargau für ein Nein reichen
sollte. Erst recht, als gar eine Gemeinde
wie Böbikon ablehnte, die in der az als
SVP-Hochburg dargestellt worden ist.
seifig geführten Abstimmungs­
kampf vonseiten der Medien, Rich­
ter und Professoren» angetreten.
Wenn ich sehe, wie viel Aufwand die
SVP selbst zugunsten der Initiative be­
trieben hat, steht es ihr nicht an, zu
jammern. Ich glaube im Gegenteil, dass
es gelungen ist, den Menschen aufzu­
zeigen, welche stossenden Konsequen­
zen ein Ja zur Initiative gezeitigt hätte.
Die sehr hohe Stimmbeteiligung zeigt,
dass viele Menschen diese Bedenken
teilten. Sie wollen in der Mehrheit
nicht, dass die Schweiz ein Regime ein­
führt, in dem die Menschen ungeachtet
ihrer persönlichen Verhältnisse alle
über einen Leisten gezogen werden.
Die Bezirke Kulm und Muri stimm­
ten Ja. Lasst sich daraus nicht ein
grosses Misstrauen gegenüber den
Lösungen der Politik und Entschei­
den der Gerichte ablesen?
Unabhängig vom Ergebnis in diesen
beiden Bezirken war dieses Misstrauen
die Basis der ganzen Diskussion. Es
ging unter anderem auch um die Frage,
ob man den Gerichten zutraut, dass sie
das richtige Augenmass haben oder
nicht.
Letztlich hat der Aargau mit einem
Nein-Anteil von 55,7 Prozent abge­
lehnt. Wie erleichtert sind Sie?
Die Regierung ist erleichtert. Sie hat
sich ja schon im Vorfeld für ein Nein
ausgesprochen. Wir haben gesehen,
welchen enormen finanziellen und ad­
ministrativen Aufwand
die Umsetzung der In­ «Es ging auch um
itiative bedingt hätte.
Bei den Auslandaardie Frage, ob man
Gerade im heutigen
gauern resultierten
den
Gerichten
zu­
Umfeld wäre das alles
fast doppelt so viele
andere als ideal gewe­ traut, dass sie das
Nein- wie Ja-Stim­
sen. Mindestens so ge­ richtige Augenmass men. Warum das?
wichtig waren natür­ haben oder nicht.»
Auslandaargauer
Die
lich die rechtsstaatli­
sind keine homogene
Gruppe.
Tendenziell
chen Bedenken.
entspricht das Resultat aber wohl der
Hat eine dieser Sorgen bei Ihnen als weltoffenen Grundhaltung der Aus­
landschweizer. Sie sorgen sich um das
Jurist überwogen?
Als Staatsbürger standen bei mir die Image der Schweiz in ihrem Gastland
rechtsstaatlichen und grundsätzlichen und generell im Ausland. Offenkundig
Bedenken im Vordergrund. Es wäre fanden sie eine Positionierung der
falsch, wenn mit einer Initiative ein de­ Schweiz über diese Initiative nicht rich­
taillierter Gesetzestext in die Verfas­ tig. Sie wollen in ihrem Land ja auch
sung hineingeschrieben worden wäre nicht so behandelt werden, falls sie ein­
und die Gerichte bei ihren Einzelfall­ mal straffällig werden sollten, wie es
entscheiden ausmanövriert worden wä­ die Durchsetzungsinitiative für straffäl­
ren.
lige Ausländer in der Schweiz wollte.
Der Nein-Anteil im Aargau war tie­
fer als im Kanton Zürich.
Anders als früher kann man bei Volks­
abstimmungen nicht mehr einfach 1:1
vom Aargauer auf das Schweizer Resul­
tat schliessen. Insofern liegt der Aargau
mit diesem Resultat im gewohnten Um­
feld. Der Aargau stimmt heute oft kon­
servativer und rechter ab. Das zeigt
sich auch im Vergleich mit den Nach­
barkantonen Solothurn und BaselLandschaft. Umgekehrt haben aber In­
nerschweizer Kantone und das Tessin
die Initiative angenommen - im Aargau
wurde sie jedoch deutlich abgelehnt.
Gegenüber dem nationalen Ergebnis ist
der Aargau mit seinem Nein also kei­
neswegs ein Sonderfall.
Die SVP macht geltend, sie sei in ei­
nem «noch nie da gewesenen, ein-
Am Anfang der Debatte sah es ja
nicht nach einem Nein aus.
Das ist das Verblüffendste an dieser In­
itiative. Noch im November schien sich
ein deutliches Ja abzuzeichnen. Mich
freut, dass seither die Zivilgesellschaft
mobilisiert hat und dass ein derartiger
Meinungsumschwung
stattgefunden
hat. Damit konnte man nicht rechnen.
Die Initiative hat aber grundsätzliche
Diskussionen ausgelöst. Es ging darum,
ob die Schweiz wirklich so repressiv
werden soll. Bei einem Ja - da bin ich
überzeugt - hätte es bald Fälle gegeben,
in denen selbst Leute, die Ja gestimmt
haben, hätten sagen müssen, das geht
zu weit, das haben wir nicht gewollt.
Videos, Stimmen,Zahlen:
Mehr zum Abstimmungskrimi
im Aargau finden Sie online
Froh über das Resultat: Justiz- und Volkswirtschaftsdirektor Urs Hofmann, chrisiseli
So stimmten die Aargauer ab
DURCHSETZUNGSINITIATIVE
in Prozent
HEIRATSSTRAFE-INITIATIVE
in Prozent
SPEKULATIONS-INITIATIVE
in Prozent
ZWEITE GOTTHARDRÖHRE
in Prozent
TANZVERBOT-INITIATIVE
in Prozent