D o n n e r s t a g , 1 1 . Fe b r u a r 2 0 1 6 GRAUBÜNDEN Wie aus 3000 Rapporten Geschichte wird Den Alltag im Bündner Landjägerkorps zwischen 1818 und 1848 hat Historiker Martín Camenisch für seine Dissertation an der Universität Zürich untersucht. Nun ist die Arbeit als Buch erschienen – es birgt einzigartiges Quellenmaterial. S weit auseinanderklaffen. Erst mit den Jahren wird die Anzahl Polizisten aufgestockt, bis schliesslich ein dichteres Netz an Landjägerposten von der Cadi bis in die Val Müstair besteht. Notabene rührt laut Camenisch auch das Wort Landjäger selbst von diesem Abschieben her: Bei der so genannten Landjagd liessen die Gemeinden im 18. Jahrhundert an einem bestimmten Tag in Frondienst Fremde aus dem Gebiet vertreiben. ▸ JA N O F E L I C E PA JA R O L A «Sin la Lur brev data dils 6 curent meins, sto jeu ad Els scriver questas dus lingias. tuta via Cumbriau e Cun larmas guperlavista. Daveir aint il lur scriver che Els vulten metter mei en Posta Sin il Culm Splugen. quei vessi jeu mai spitgieu dad Els. Dammetter enten in liug Lutter.» Paul Cott heisst der Verfasser dieser Zeilen, ein junger Landjäger aus Tinizong, um 1843 stationiert in Disentis. Der Adressat: Baron Heinrich de Mont (1788–1856), «Ault Stimau Sabi Sign. Verhörrichter» in Chur, der Vorgesetzte Cotts. Vielschichtige Rekonstruktion «Tränenüberströmte Wangen» Das Schreiben, in dem der katholische Landjäger die unerwartete Versetzung ins reformierte Rheinwald «mit grosser Betrübnis und tränenüberströmten Wangen» beklagt, ist nur ein Dokument von tausenden, die der Maienfelder Historiker Martín Camenisch untersucht hat. Zu finden ist der Brief – wie unzählige andere Beispiele für die Korrespondenzen zwischen de Mont und «seinen» Landjägern – in Camenischs Dissertation an der Universität Zürich, eben erschienen in Buchform: «Hoch Geachter Her Verhörrichter», so heisst das 1,5 Kilogramm schwere Werk; es beschreibt den Polizeialltag im Bündner Landjägerkorps während de Monts Amtszeit, also von 1818 bis 1848. Das Buch wiederum basiert auf einem einzigartigen Quellenkorpus: Im Staatsarchiv erhalten geblieben sind gut 3000 Rapporte der Beamten auf den Landjägerstationen des Kantons – Schriftstücke, die man in anderen Archiven einst als minderwertige Alltagsprodukte ausgemerzt hat. Historiker Martín Camenischs Dissertation ist auch ein Psychogramm der ersten Bündner Polizei, die vor allem Vaganten abzuschieben hatte – nötigenfalls in Handschellen. (FOTOS JANO FELICE PAJAROLA/RÄTISCHES MUSEUM) sen Aufgaben. Als da wären: Verbrecher dingfest machen. Den Zolleinnehmern an der Grenze helfen. Und vor allem: das Bündner Herrschaftsgebiet von Landstreichern und Bettlern säubern. Die Fortbewegung ist «eines der zentralsten Elemente des Landjägerdaseins», so Camenisch – die Polizisten haben täglich zu pa- trouillieren, um unerwünschte Individuen aufzuspüren und als so genannte «Schüblinge» aus dem Kanton abzuschieben. Wobei in diesem Mobilitätskonzept vor allem in der Anfangszeit – mit nur acht Landjägern für den ganzen Kanton – Anspruch und Wirklichkeit angesichts der riesigen Zuständigkeitsgebiete De Mont war dabei mal strafender Erzieher, mal unterstützende Vaterfigur, so bei Landjäger Cott. Auf dem Splügenberg angekommen, klagte dieser bald über Rheumaschmerzen, bald über Heimweh, zudem bat er, «mich unter Ramonschs zu lassen». Der Herr Verhörrichter erlaubte ihm daraufhin eine Schröpfkur an einem Badeort. Und Ende November 1843 wurde er aus dem Rheinwald abgezogen. 1845 kam er ins romanische Silvaplana. Martín Camenisch: «Hoch Geachter Her Verhörrichter». Verlag Hier und Jetzt. 676 Seiten. 77 Abbildungen. 59 Franken. Neuanfang im Emser Sägerei-Areal Am Abstimmungssonntag vom 28. Februar entscheidet das Emser Stimmvolk über eine neue Nutzung des brachliegenden Sägerei-Areals. Bei einem Ja kann die Firma Hamilton noch im ersten Halbjahr die Baumaschinen auffahren lassen. Fünf Jahre sind seit dem Konkurs der Firma Mayr-Melnhof vergangen und aus unterschiedlichsten Gründen von den Träumen eines Grosssägewerkes am Standort des ehemaligen Föhrenwäldli Abschied zu nehmen war. Inzwischen wurden von Bürgergemeinde, Politischer Gemeinde, Kanton und der Firma Pfeifer, die das Baurecht ersteigert hatte, Voraussetzungen für einen Neuanfang im Vial-Tuleu ausgehandelt (im BT). Dieser sieht die Übertragung der Baurechte von der Firma Pfeifer an den Kanton vor, den Verkauf von 9000 Quadratmetern Land an die Hamilton AG in Bonaduz und verschiedene Abmachungen betreffend künftiger möglicher Ansiedlungen, wobei die Op- 5 Bündner kreieren Smartphone-App für Politinfos Wie bringt man als Kampagnenleiter politische Informationen digital unters (Stimm-)Volk? Curdin Mark hat mit der Markenagentur Hü7 Design AG eine Möglichkeit entwickelt. THUSIS Er hat Erfahrung mit Politkampagnen aller Art: Curdin Mark. Mit seinem Churer Büro Bündner Kampagnen hat er in den letzten Jahren mehr als 60 solche Aktionen als Leiter oder Berater begleitet – und inzwischen hat er auch Erfahrung als App-Mitentwickler. Nach einer ersten Smartphone-Applikation vor zwei Jahren hat er in Kooperation mit der Thusner Firma Hü7 Design AG eine Nachfolgeversion erarbeitet. «Polit-Kampagnen» heisst die App, sie ist verfügbar für iOS 9.2 und Android-Betriebssysteme und kann in Apples App Store sowie im Google Play Store kostenlos heruntergeladen werden, wie es in einer Mitteilung heisst. Mit automatischer Presseschau Das neuartige Instrument für zeitgemässe Abstimmungskampagnen bietet zum gegenwärtigen Zeitpunkt Informationen zum Thema Gotthard-Sanierungstunnel, weitere Kampagnen sollen in Bälde folgen, gemäss Mark vermutlich im Hinblick auf die Abstimmungsvorlagen vom 5. Juni – dann stehen wieder eidgenössische Urnengänge bevor. Neben einem Argumentarium zur jeweiligen Vorlage bietet die App auch einen «Mitmach»-Button und vor allem eine automatische Presseschau. «Das ist das neuste Element», so Mark, «ein Medienmonitoring für Politiker und Politinteressierte.» Dass die Entwicklung einer App keine günstige Sache ist, ist bekannt. Trotzdem haben Mark und Hü7 den Aufwand nicht gescheut. «Die erste App war nicht zufriedenstellend. Aber ich habe damals schon gesehen: Das hat Potenzial. Und heute läuft viel über Apps», begründet Mark das Engagement. «Ausserdem wollen wir die Applikation noch weiter ausbauen.» (JFP) Zwischen Strafe und Hilfe Zentral: Die Fortbewegung Ein Blick zurück in die Anfänge des Bündner Polizeiwesens: 1804 wird – nach gescheiterten Versuchen im 18. Jahrhundert – das erste zentralisierte Korps eingerichtet, acht Milizsoldaten, die «Protopolizei» Graubündens, wie Camenisch es formuliert. Deren Professionalisierung beginnt 1818 mit dem Amtsantritt de Monts so richtig; 30 Jahre lang systematisiert der Baron von Löwenberg den Landjägerdienst und des- Aber zurück zu Ära de Mont. Wie der Alltag des ständig zwischen Dienstzeit und Pikett pendelnden Landjägers aussah, wie der Beamte seine Aufgaben erledigte und wie er sich dabei fühlte: Diesen Fragen geht Camenisch nach, und die Stimmen der frühen Polizisten erlauben eine sehr vielschichtige Rekonstruktion der Gegebenheiten. Da waren, einerseits, die Vorgaben, vom ordentlichen Lebenswandel bis zur Weisung, nur im Notfall Gewalt anzuwenden, und da waren, anderseits, die Realitäten: Einsamkeit – die Familie war oft weit weg, der Alkohol nah. Frustrationen – sogar die Einheimischen brachten den Landjägern nicht immer nur Respekt entgegen. Geldknappheit – der Lohn schien mit 326 Gulden im Jahr zwar hoch, die tatsächlichen Kosten aber frassen viel wieder auf, und die Familie galt es auch zu finanzieren. Die Sprache – gerade in Italienischund Romanischbünden gab es wiederholt Deutschbündner Landjäger, die sich nur mangelhaft verständigen konnten. Regelwidriges Verhalten, das Sanktionen nach sich zog – zum Beispiel, wenn eben doch ohne Not Gewalt angewendet wurde. B ü n d n e r Ta g b l a tt tion für ein kleines Sägewerk erhalten bleibt. Ade Grosssägewerk-Träume Die Bürgergemeinde stimmte schon im November letzten Jahres klar dem Rahmenvertrag zu, der Gemeinderat verabschiedete das Vorhaben einstimmig, und jetzt ist die Stimmbürgerschaft am Zug. In einer 20 Seiten umfassenden Botschaft wird die Leidensgeschichte des ehemaligen Föhrenwäldli von der Ansiedlung der Firma Stallinger bis 2010 zum Konkurs von MayrMelnhof beschrieben. Es wird erläutert, aus welchen Gründen jetzt die Teilrevision der Ortsplanung notwendig ist, damit sich endlich auf dem Areal etwas tun kann, nach- dem «aus heutiger Sicht eine Realisierung eines neuen Sägewerkes in der ursprünglich geplanten Grösse nicht möglich» sei. Exportorientierte Firma Mit der Firma Hamilton AG wurde ein Unternehmen gefunden, das als Erstansiedlung dem angestrebten Industrie- und Technologiepark «die nötige Anziehungskraft verleihen» werde. Nicht gegen die Umzonung, sondern gegen den Verkauf von Bauland hatte sich einzelner Widerstand manifestiert. Einsprachen gab es auch seitens des Emser Gewerbes, es sollte ein Teil als Gewerbebauland reserviert werden. Diesem Anliegen musste eine Absage erteilt werden, da der Kanton nur exportorientierte Ansiedlungen ermöglichen kann, der Gemeindevorstand wolle sich aber «für hinreichendes Gewerbebauland» stark machen, heisst es in der Botschaft. Dank des Wirtschaftsförderungsgesetzes kann der Kanton, der 10,8 Millionen Franken für den Erwerb des Baurechts bezahlt, solche Initiativen unterstützen. Dass Domat/Ems in diesem Wettstreit mit Hilfe des Kantons die Nase vorn hat, rief nicht zuletzt bei der Stadt Chur Neider auf den Plan. In der Emser Bevölkerung ist der starke Wunsch vorhanden, dass die Industriebrache bald einmal der Vergangenheit angehört und im Vial-Tuleu ein wertschöpfendes Unternehmen entstehen kann. CLAUDIO WILLI Medienmonitoring inklusive: Die «Polit-Kampagnen»App ist ein Bündner Produkt. (FOTO THEO GSTÖHL) KURZ GEMELDET FDP: «Proporz-Zwängerei» beenden Die Bündner FDP nimmt laut einer Mitteilung mit Befriedigung zur Kenntnis, dass das Verwaltungsgericht auf eine gegen das Majorzwahlsystem für den Grossen Rat gerichtete Beschwerde nicht eingetreten ist. Damit werde auch von der Justiz bekräftigt, was das Bündner Stimmvolk als oberster Verfassungsgeber bereits acht Mal bekräftigt habe. Auch das Bundesgericht habe mehrfach bestätigt, dass grundsätzlich sowohl das Majorz- als auch das Proporzverfahren den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen würden, so die FDP. Die Beschwerde von rund 30 Bündner Stimmberechtigten wurde unterdessen ans Bundesgericht in Lausanne weitergezogen (im BT von gestern). Die Parolen der DSP Die Demokratisch Soziale Partei (DSP) Graubünden hat die Parolen zu den eidgenössischen Volksabstimmungen vom 28. Februar gefasst. Wie Bundesrat und Parlament spricht sich die DSP für den Bau einer zweiten Gotthardröhre aus. Für den Kanton Graubünden sei dies von Bedeutung, da sonst der Transitverkehr während Jahren durch Bündner Dörfer und den San Bernardino umgeleitet würde. Zur Initiative «Gegen die Heiratsstrafe» wurde die Nein-Parole herausgegeben. Die Durchsetzungsinitiative der SVP wird von der Partei «als Druckmittel für die Zukunft» unterstützt. Zur Spekulationsinitiative der Juso wurde die Nein-Parole gefasst.
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