2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Aus Togo in den Speisewagen Kokou Apenouvons Ansichten über Deutschland Autor: Helmut Frei Redaktion: Rudolf Linßen Regie: Andrea Leclerque Sendung: Montag, 29.02.16 um 10.05 Uhr in SWR2 Wiederholung von 2014 __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de ___________________________________________________________________ 1 MANUSKRIPT Kokou Togo: Mein Opa damals hatte mit der Bahn zu tun und heute der Enkel arbeitet bei DB. Bei DB zu kommen - ich habe nicht gerechnet. Ich war Hartz-4-Empfänger und eines Tages schrieb ich an jemanden im Arbeitsamt: ,Ich wünsch Ihnen einen zauberhaften Tag´. Und der hat das gelesen und dann antwortete, dass er kennt mich nicht, aber er wusste, dass ich kompetent bin. Der hat meine Akte zu der Bahn geschickt. Ich war zuhause, es war Anruf von der Bahn, dass ich zu Vorstellungsgespräch kommen konnte. Erzähler: Das ist Kokou Apenouvon aus Togo. Das kleine Land an der Westküste Afrikas war einmal eine deutsche Kolonie. Die Deutschen sorgten für ein beachtlich großes Eisenbahnnetz, von dem heute nur noch wenige Teilstrecken vorhanden sind. Ich lernte Kokou auf einer Bahnfahrt nach München kennen, im Bordbistro. Kokou stand hinter der Theke und zapfte mir ein Bier. Wir kamen ins Gespräch. Kokou sagte, er fühle sich heute als Schwarzafrikaner wohl in Deutschland. Nach einer Phase mit mehreren Jobs und vorübergehender Arbeitslosigkeit fand Kokou eine Stelle bei der Deutschen Bahn. Seit 2006 arbeitet er im Bordservice, versorgt die Reisenden mit Speisen und Getränken. Seine Mama sei ganz stolz, wenn sie Fotos von ihm sehe: ihr Sohn Kokou im dunkelblauem Dienstanzug und mit roter Krawatte. Kokou erzählte mir, dass er ein Buch geschrieben habe. Es heißt „Am Zuckerspeicher“ und erschien in einem Frankfurter Verlag. Ich fand Kokou auf Anhieb sympathisch und wir beschlossen uns zu duzen. Nach ein paar Jahren, als ich wieder einmal im Speisewagen frühstückte, trafen wir uns rein zufällig wieder. Wir verabredeten uns zu einem Gespräch im Frankfurter Hauptbahnhof. Kokou Togo: Kokou bedeutet: `Mann am Mittwoch geboren´. Genauso haben wir auch in Frankfurt, Dienststelle Frankfurt, eine Frau aus Togo. Sie heißt Akou. Das bedeutet auch `Frau am Mittwoch geboren´. Mein Vater heißt: Kofi. Kofi ist: `Am Freitag geboren´. Die Arbeit selbst macht die gute Laune. Kollegen machen die gute Laune, Fahrgäste machen die gute Laune. 75 Prozent meiner Freude kommt von meinen Kollegen. Erzähler: Kokou hat den Rollladen des Bistros geöffnet. Bald stellt sich heraus, dass die Pumpe zum Hahn für die Getränke nicht funktioniert. Das kann der Bordtechniker beheben. Aber mit der defekten elektronische Kasse muss Kokou leben. Kokou kann so etwas nicht erschüttern – Ich habe beschlossen, ihn auf der ersten Etappe seiner Tour zu begleiten. Sie führt von Münster über Köln und Mainz nach Stuttgart. Es ist kurz nach sechs Uhr morgens. Der Eurocity nach Klagenfurt steht schon am Bahnsteig. Kokou ist von Dortmund gekommen. Dort lebt der alleinerziehende Vater mit seinem Sohn. In Recklinghausen steigt eine Gruppe von Berufspendlern ein. Sie haben ihren Stammplatz am Stehtisch neben der Theke. 2 Atmo Kokou Togo: Guten Morgen und willkommen an Bord. (Gast) Schönen guten Morgen. Cappuccino. hätt ich gern. (Kokou) Cappucino. Etwas dazu, Croissants, Snickers. (Gast) Nichts dergleichen Kokou Togo: (Atmo im Zug, der schnell fährt) Um viertel nach sechs angefangen, weiter bis 18.30 Uhr. Fahre jetzt nach Stuttgart, aus Stuttgart nach Frankfurt, aus Frankfurt nach Köln - und dann Feierabend. Da habe ich Übernachtung. Morgen früh fahre ich nach Frankfurt, aus Frankfurt nach Münster. Bis 8.30 Uhr fahren die Berufspendler mit diesem Zug und danach kommen die richtigen Fahrgäste, die verreisen. Berufspendler, die haben die Gewohnheit mit Bistrowagen. Wir sind fast wie Brüder und Schwestern; und wenn sie kommen, sogar manche weiß ich schon, was sie brauchen. Erzähler: Ab Düsseldorf füllt sich der Eurocity nach Klagenfurt am Wörthersee mit Fernreisenden. Ältere Leute vor allem, aber auch Familien mit Kindern. Kokou macht seine Tour durch die Waggons, bietet auf einem Tablett Getränke und Snacks an, nimmt Bestellungen auf: Atmo Kokou Togo: Guten Morgen, Madame. Den Kaffee hab ich mit Liebe gebrüht. (Reisende) Ach ne! (Kokou) Die Milch von den glücklichen Kühen. (Reisende) Dankeschön! (Kokou) Wir haben leckeren Kakao auch, grünen Tee auch, so bleibt alle im grünen Bereich. So. Und könnt ich etwas für Sie tun, um diese Fahrt unvergesslich zu machen? (Reisende) Momentan nicht, vielleicht später. Was darf ich denn bezahlen? (Kokou) Sie dürfen 2,90 Euro bezahlen. Aber ich hab auch noch leckere Sachen drauf, um diese Fahr einfach unvergesslich zu machen. (Reisende) Ganz toll von Ihnen. (Kokou) Einmalig. (Reisende) Vielleicht kommen wir ja drauf zurück, aber vielleicht auch nur! Erzähler: Und so beginnt Kokous Erinnerungsbuch „Am Zuckerspeicher“: Zitator: „Als wir am Bahnhof Pinneberg mit dem Zug ankamen, waren wir fünf Asylbewerber, zwei aus dem Demokratischen Kongo, ehemals Zaire, einer aus Niger, ein anderer aus Liberia, ich aus Togo. Der Liberianer Tony sollte nach Quickborn, die Kongolesen blieben in Pinneberg, der Liberianer Bubaka nach Barmstedt und ich nach Moorrege. Wir wurden aufgeklärt, dass wir den Kreis Pinneberg nicht ohne schriftliche Genehmigung verlassen durften. Wenn wir das Glück hätten eine Arbeit zu finden, so brauchen wir vom Arbeitsamt eine Arbeitserlaubnis. Arbeiten ohne Arbeitserlaubnis könnte ebenfalls zu einer Strafe führen. Um solche negativen Situationen auszuschließen, bekamen wir einen Zettel mit der Adresse des für uns zuständigen Sozialamtes. 3 Erzähler: Kokou kam 1992 nach Deutschland. Er hat sein Land Togo verlassen, weil er zu einer Volksgruppe gehört, die der damalige Machthaber der „République Togolaise“ drangsalieren ließ. Kokou beantragte in Deutschland Asyl. Seine erste Anlaufstelle hieß Moorrege. Der Ort liegt in Schleswig-Holstein und ist eines von sieben Dörfern, die eng zusammenarbeiten. Nächste Station war Holm, ein anderes dieser Dörfer. Dort konnte er sich ein möbliertes Zimmer in einem Haus aussuchen. In dem Haus wohnte schon Rudi, der ein Alkoholproblem hatte, aber nett war. Er half Kokou mit der Kälte in Deutschland klar zu kommen, zeigte ihm, wie man den Ofen in Gang bringen und sich in Holm zurecht finden kann. Die Gemeinde beschäftigte Kokou, aber nur für wenige Stunden pro Tag. Kokou hatte viel Freizeit. Die nutzte er, um Deutsch zu lernen. Immer dabei sein Wörterbuch. Zuhause in Togo sprach er Französisch. Er träumte davon, etwas Geld für ein Studium ansparen zu können und glaubte fest daran, in oder um Hamburg einen besser bezahlten Job zu finden. Kokou hatte mehrere Stellen in Aussicht. Doch dann platzte eine Hoffnung nach der anderen. Er wurde auf einer Teilzeitstelle in einem Altenheim der Gemeinde Wedel eingestellt – mit Genehmigung der zuständigen Ausländerbehörde. Von einer Bewohnerin bekam er eine Tafel Schokolade. Das erzählte er einer Kollegin und die meldete es der Chefin: Zitator: Die Chefin erklärte mir, es sei verboten, mit den Senioren zu sprechen oder gar ein Geschenk von ihnen anzunehmen. Ich sei nur hier, um meine Arbeit zu tun. „Ich lernte die deutsche Sprache. Wie konnte ich bei jemandem arbeiten ohne einen Wortwechsel“, dachte ich kurz. Erzähler: Manchmal stellt sich Kokou die quälende Frage, ob er nicht besser zuhause geblieben wäre in seiner afrikanischen Heimat Togo. Dann möchte er allein sein in seinem Zuckerspeicher. Kokou Togo: Zuckerspeicher, das war auch eine alte Zuckerfabrik an der Elbe. Heute existiert nicht mehr, aber das Fundament ist da geblieben. Ich kann das eine Kirche nennen. Das war ein Ort, wo ich meine Meditation gemacht hatte, die Sachen, für die ich keine Antwort hatte. Ich ging hin und dann hab ich sehr oft meine Antwort da bekommen. Das war ein schöner Ort. Erzähler: Freier Blick über die Elbe. Aus aller Herren Länder kommen die Schiffe, die an Kokou vorbeiziehen. Er belädt sie mit seinen Gedanken und Gefühlen, sehnt sich nach einem Schiff aus Togo oder einem Nachbarland seiner afrikanischen Heimat. Kokou Togo: Bei der Meditation bei der Zuckerspeicher habe ich gesehen: die Menschen warten auf mich, ich muss zu ihnen gehen. Dadurch habe ich schnell versucht, die Sprache zu lernen – und da bin ich zu ihnen gegangen. Mein Leben ist gleichzeitig Geld verdienen. Das bedeutet: ich geh zum Arbeiten, ich mach die Leute lachen. Ich krieg Geld dafür. Das ist die Arbeit. Meine Arbeitslosigkeit damals habe ich nicht verstanden. Das hat mich wütend gemacht. Bei dieser Depression war ich nicht in 4 der Lage durchzuhalten. Diese Sachen, die ich erlebt habe. Sie kommen hoch und machten mich fertig. Erzähler: Am Ufer der Elbe erinnerte sich Kokou immer wieder an seine Kindheit und Jugend. Ein wunderbarer Abenteuerspielplatz war der Sandstrand der togolesischen Hauptstadt Lomé für ihn und seine Freunde. Nun denkt er im Schutz der einstigen Zuckerfabrik über sich und sein Leben in der Fremde nach. Er will sich nicht unterkriegen lassen, trotz allem zu neuen Ufern aufzubrechen. Solche Orte gibt es; und sie sind nicht die laut aufschreienden sondern die leisen, die verschwiegenen. Kokou büffelte weiterhin fleißig Deutsch, bekam Arbeit im Supermarkt und wurde von einem Reiseunternehmen als Animateur angestellt, um Feriengäste und ihre Kinder bei Laune zu halten. Kokou Togo: Ich hab in Supermarkt gearbeitet. Damals, als ich Kassierer war, immer hatte ich lange Schlangen vor meiner Kasse. Am folgenden Tag, wenn sie mich sahen, ich redete noch nicht, aber sie fingen an zu lachen. Danach war ich Animateur. Ich hatte mit der Bühne zu tun, mit tausend Gästen zu tun. Deswegen war für mich überhaupt nicht schwierig bei der Bahn zu arbeiten. Ich habe gesungen, Gästebetreuung. Ich habe um Kinder gekümmert in Griechenland. Am Abend gab es Highlight, Show. Und wenn es zum Beispiel Musical gibt, alles muss so gut laufen. Deswegen bei der Bahn versteh ich es so, dass der Zug fährt von hier bis da, da muss ich alles schaffen genauso. Atmo Anfahrt Köln Erzähler: Der Eurocity von Münster nach Klagenfurt erreicht Köln. An der Theke im Bistro des Speisewagens trinkt ein Geschäftsmann eine Tasse Kaffee. Mit Milch. Atmo Kokou Togo: (Kokou) Sie können noch mehr haben. (Reisender) It´s oke. Vier Euro (Kokou) Sie machen mich glücklich. Wenn ich nach Hause geh, dann denk ich an den schönen Moment, dann schlaf ich glücklich ein, ja. Kokou Togo: Ich war Ende März, Anfang April bei meiner Mutter und bei meiner Oma, nach sechs Jahren eine Woche. Meine Oma hat sich gefreut – sie ist 94, hat für mich die ganze sieben Tage gekocht, nicht meine Mutter, aber meine Oma. Das ist eine Ehre für sie, nochmal für den Enkel zu kochen. Und das war so schön! Erzähler: Bei seinem letzten Besuch in Togo habe er sich dort wie ein Ausländer gefühlt, sagt Kokou. Kokou Togo: Irgendwie passe ich nicht mehr zu dem Ort. Frühere Freunde sind keine Freunde mehr, wir sind nur Bekannte geworden und was wichtig war, das ist die schöne Zeit mit Mama und Oma. Das hat auch ein bisschen weh getan, wenn die Freunde keine Freunde mehr sind. Ich habe versucht, Freunde zu besuchen, nur einer ist zu mir 5 gekommen. Und dieser Freund, der besucht mich oft hier in Europa jedes Jahr. Vor sechs Jahren, als ich da war, nach zwei Wochen in Afrika bei meiner Mama, dann fang ich schon an zu sagen, dass ich möchte wieder nach Hause. Wo ist denn `nach Hause´. Deutschland ist `nach Hause´. Ich habe sieben Geschwister, drei Brüder, vier Schwestern. Heutzutag leben nur zwei Schwestern in Togo. Die anderen sind irgendwo in der Welt verstreut. Brüder treffe ich fast jedes Jahr ein- oder zweimal irgendwo, entweder in Deutschland oder in Frankreich oder in Amerika. In Togo, das letzte Mal hab ich noch zwei Brüder getroffen. Sie sind nach Togo geflogen wegen mir. Der dritte Bruder werde ich irgendwo im Herbst treffen. Im letzten Jahr haben wir in Frankfurt getroffen. Er kam aus Litauen, hatte fünf Stunden Pause am Flughafen, der ist nach Hause geflogen nach Frankreich. Ich vermisse mehr meine Kollegen als meine Geschwister. Ich nehme meine Kollegen wie meine Geschwister. Mit ihnen genieße ich das Leben jeden Tag. Das ist mein Leben. Atmo: Kunde fragt nach Sandwich (Reisende) Wo kommen Sie denn her! (Reisende) … wo immer die Sonne scheint. (Kokou) Ich habe die lachende Sonne im Herzen. (Reisende) ah, schön! (Kokou) Ich wünschen Ihnen eine zauberhafte Fahrt. Und wenn ich nach Hause bin, dann denke ich an den schönen Moment und schlafe glücklich ein, oh so schööön! (Türe geht zu). (Kokou) In der ersten Minute bin ich Afrikaner. Genau ab die zweite Minute bin ich ein Deutscher. Sie vergessen meine Farbe sofort. Ich habe diese Erfahrung mehrere Male gemacht. Deswegen bin ich nicht abhängig von solchen Sachen. Was mein Wunsch ist, ist nur glückliche Fahrgäste zu haben. Ich sage nicht: Fahrgäste von der Bahn, aber meine Fahrgäste. (Atmo Abteil) (Kokou) Ich wünsche Ihnen eine wunderschöne Fahrt. (Reisende) Ja, dankeschön, ich han´s auch genossen, wenn man so schön am Rhein entlang fährt, das genieß ich jedesmal. (Kokou) das ist sehr schön. (Reisende) Das ist wunderbar. Ich wohn ja in Bonn. (Kokou) Von Bonn, wohnen Sie in Bonn? (Reisende) Ja, Venusberg. (Kokou) Oh, ich war einmal da. Erzähler: Die Bahnlinie durch das Mittelrheintal zwischen Bonn und Mainz gehört zu den Lieblingsstrecken Kokous. Der Fluss mit den Schiffen, die Städte und Burgen, die steilen Weinberge – an dieser Landschaft kann er sich nicht satt sehen. Und manchmal fühle er sich wie ein Reisender, obwohl er ja dienstlich unterwegs sei. Kokou Togo: Wenn man verreist, das bringt so schöne Idee, und das macht kreativ. Schreiben ist genauso wie Kuh melken. Wenn es so voll ist, man muss melken, ohne dass sie schreit, die Kuh. Wenn man nicht schreibt, kriegt man keine Ruhe. Wenn man nach Hause kommt, nach einer Stunde oder nach zwei Stunden schlafen, dann steht man auf, und paar Zeilen zu schreiben. Erzähler: Schreiben und Malen – das ist eine große Leidenschaft Kokous. Und er schreibt auf Deutsch, die Sprache, in die er immer mehr hineinwächst, seit er vor etwas mehr als zwanzig Jahren aus Togo nach Deutschland kam. Kokou besuchte einen Sprachkurs an der Volkshochschule, eine Freundin vermittelte ihm eine Privatlehrerin. Die Sprache seiner neuen Heimat ist ihm viel wichtiger als vielen Einheimischen. Aber seinen Traum, vielleicht sogar einmal eine Kunsthochschule besuchen zu können, 6 hat Kokou aufgeben müssen. Zu sehr hat ihm der Alltag eines Asylanten in Anspruch genommen. In seinem autobiographischen Bericht „Am Zuckerberg“ reiht sich ein Tiefschlag an den anderen. Ein Freund vermittelt ihm einen Job in Hamburg beim Axel-Springer-Verlag. Kokou muss sich beim Chef der Abteilung melden: Zitator: Er zeigte mir eine Putzkammer, in der standen drei Putzwagen. Ich nahm einen davon. Danach gingen wir in einen großen Raum mit vielen Stühlen und Tischen, auf denen die Personalcomputer standen. Meine Aufgabe war es, in der Zeit von fünf bis sieben Uhr die Tische zu wischen, die Mülleimer zu leeren, die Teppichböden abzusaugen und die Toiletten zu putzen. Die Arbeitszeit endete pünktlich um sieben Uhr und ich ging schnell zur S-Bahn, um die Arbeit im Altenheim bei der Arbeiterwohlfahrt anzutreten. Nach sechs Wochen wollte das Arbeitsamt meine Beschäftigung im Altenheim nicht länger genehmigen. Die Arbeit beim Axel-SpringerVerlag dauerte nur zwei Wochen. Erzähler: Mehrmals hätte Kokou ums Haar eine Wohnung bekommen, doch kurz vor Unterzeichnung eines Mietvertrags machte nicht nur ein Vermieter einen Rückzieher. Eher beiläufig taucht in seinem autobiographischen Bericht Rosamunde auf. Kokou hätte sich eine Ehe mit ihr vorstellen können. Aber Rosamunde wollte nicht. Etliche Jahre, nachdem sein Buch erschienen war, heiratet er eine andere Frau. Die beiden haben sich getrennt, die Frau ist inzwischen gestorben. Von ihr hat Kokou einen Sohn, der heute bei ihm lebe. In seiner Zeit als Asylbewerber lernte Kokou Ute kennen. Er verabredete sich mit ihr. Als er von zuhause weggehen wollte, klingelte ein Freund, der aus Togo gekommen war, an der Wohnungstüre. Der Freund wollte ihn überraschen, wie Kokou in seinem Buch erzählt: Zitator: Was sollte ich tun, zu meiner Verabredung fahren oder mich um meinen Besuch kümmern? In dieser Zeit war kein anderer Bewohner da, um sich um ihn zu kümmern. Nach seinem Essen ging ich in die Telefonzelle, um Ute über den überraschenden Besuch zu informieren. Sie ging nicht ans Telefon. Unter der Trennung von Ute habe ich mehrere Monate sehr gelitten. Die Arbeit bei den Supermärkten wurde nicht mehr genehmigt und ich musste nachmittags zu Hause bleiben. Dies erhöhte meine Angst vor der Einsamkeit und brachte mich manchmal in eine Phase der Verzweiflung. Erzähler: Kokou hat die Reisetasche schon gepackt, um Deutschland zu entfliehen. Aber dann will es der Zufall, dass er einen passablen Job in einem anderen Altenheim angeboten bekommt. Er nimmt es als Wink des Schicksals und bleibt in Deutschland. Je mehr er sich jedoch von seiner Heimat Togo entfernt, desto klarer wird ihm der Unterschied zwischen der afrikanischen und nordeuropäischen Art zu leben. Kokou ist klar, dass er sich darauf einlassen muss, erst recht bei einem Unternehmen wie der Bahn, bei der alles nach Fahrplan laufen sollte. Er sinniert über die Zeit. In Afrika nehme man sich Zeit, sagt Kokou, während in Europa immer alles schnell, schnell gehen müsse. 7 Kokou Togo: Alles läuft nach der Uhr, nicht nach der Zeit. Sie genießen drüben die Zeit, hier gucken wir nur die Uhr. Wenn zum Beispiel ich Termin mit jemandem, und sage ich: die Uhrzeit oder afrikanische Zeit. Afrikanische Zeit, das ist nach dem Gefühl. Zum Beispiel neun Uhr kann 11.30 Uhr sein, neun Uhr kann 10.30 Uhr sein, nach dem Gefühl. Erzähler: Der Eurocity von Münster nach Klagenfurt erreicht Mainz mit wenigen Minuten Verspätung. Ein Ehepaar ist nervös, weil es befürchtet, den Anschlusszug nicht mehr zu erreichen. Bald danach wird der Zug die Verspätung aufgeholt haben. „Alles im grünen Bereich“, sagt Kokou. „Alles im grünen Bereich“, sein Lebensmotto. Das sollen auch seien Gäste im Bordbistro spüren. Dort bedient er gerade amerikanische Touristen: Atmo (Amerikanerin) A Coffee! Kaffee. (Kokou) To eat something. Oh, you want to drink only. I will bring it to yo. (Amerikanerin) Oke! (Kokou) No glass? (Amerikanerin) No glass. (Schwabe) Einmal Sekt bitte. (Kokou) Sekt? (Schwabe) Ja! (Kokou) Wenn ich nach Hause geh, dann denk ich an den schönen Moment, schlaf ich glücklich ein. (Schwabe lacht) So, bitteschön. (Ansage frei ab 0:37 „Liebe Fahrgäste … Vaihingen Enz“) (Kokou). Manchmal komm ich ins Hotel, schlafe ich ohne zu duschen. (Lacht) Wenn ich wach bin, es ist schon wieder Morgen. Wenn man ganz wenig Aufgaben hat, ist man immer müde. Heute Müdigkeit gibt es nicht, weil wenn ich zweite Klasse fertig mache, ein Paar hat sich schon Essen für die erste Klasse bestellt. Jetzt habe ich genug zu tun. (Atmo zum Blenden) (Kokou) (Auftakt) Haben Sie was gefunden? (Reisende). Ja, so en Rotkäppchensekt. Schön kühl. Kalt? (Kokou), Kalt, ja! (Reisende) Oke. Und ein Nüsschen dabei? (Kokou) Nüsschen? Ja. Ich habe Nic Nac (Reisende) Keine Salznüsschen? Ja, ist es salzig? (Reisende) Ja; oke. So ein kleines Päckchen. (Kokou) 5,80 Euro plus 1,40 Euro. Das heißt: 7,20 Euro. (Reisende) Is gut. (Kokou) Dann wünsch ich Ihnen eine angenehme Fahrt. Erzähler: Kokou hat die erste von mehreren Etappen seiner Dienstreise fast hinter sich. Zwei Tage auf Achse. In Stuttgart wird er den Eurocity nach Klagenfurt am Wörthersee verlassen. Mittagspause in der Bahn-Kantine des Hauptbahnhofs, zusammen mit Kolleginnen, mit denen er in Münster eingestiegen ist. Kurz vor der Ankunft in Stuttgart fragt eine ältere Dame, ob Kokou sie im Bordtreff noch bedient. Atmo Ja, aber es ist zu spät.(Reisende) Warum? (Kokou)Ich steige aus. The next one will start in Stuttgart. I will do it for you I´m verry happy of your visit, the time is to jump out. I´m sorry Erzähler: Auf dem Weg von Münster nach Stuttgart habe ich gespürt, wie viel für Kokou die Eisenbahn bedeutet. Ich kann es nachempfinden. Sie nimmt uns mit auf Reisen, die nicht immer erfreulich, oft mühselig sind. Und so ist ja auch das Leben. 8 Kokou Togo: Ich bin Eisenbahner. VielIeicht war ich der glücklichste Mensch auf der Erde, bei der Bahn zu arbeiten. Ich habe bei mehreren Firmen gearbeitet, aber wo ich mehr Spaß habe, ist bei der Bahn. Sogar wenn ich schlafe, ich träume von dem Zug. Nur eine Woche – ich war im Urlaub in Amerika – dann hab ich von dem Zug nicht geträumt. Buchhinweis: Kokou Apenouvon Am Zuckerspeicher Verlag: August von Goethe Literaturverlag 2008 (broschiert für Euro 9,90) 9
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