Spendenvorschlag: € 1,90 BACHTAL0 Mensch ist Mensch e.V. Ausgabe 1/2015 ‘Ich bin Roma. Rom heißt Mensch. Mensch ist Mensch.’ INHALT Editorial 3 [Qristina] 4 Eine Romafrau sucht Arbeit 6 Krautwickel Romanes Art 7 Gott und die Roma 8 Freizügigkeit in der EU - eingeschränkt uneingeschränkt 9 Die Roma und der Müll 10 Die Integration der Roma hat begonnen 11 Helfen ist geil: Die kleine Oma 12 Wer findet den Schuldigen? 13 Lorena - ein Roma-Mädchen 14 Interview mit Frank Knott 15 Betreuer und Betreute 16 Ankunftsgebiete – Orte der Einwanderungsgesellschaft 17 Hartz IV - die andere Seite 18 Ein Romamärchen, eine Zigeunerpoesie 20 Die Realität der gelebten Ausländerfreundlichkeit 23 Wer sind wir? 24 Herausgeber: Mensch ist Mensch e.V. Frank Knott (v.i.S.d.P.) Hochfeldstraße 34 47053 Duisburg Telefon-Nr.: 02065 – 7923199 Fax-Nr.: 0203 – 928603269 Web: www.menschistmensch.de Mail: [email protected] Eingetragen bei dem Amtsgericht Duisburg Aktenzeichen: VR 5367 Beim Finanzamt DuisburgWest als mildtätig anerkannt §§ 51,59,60 und 61 AO: Steuernummer: 134/5744/0956 Druckerei: www.MegaDruck.de Layout: ars et visus | Ariane Becker Ackerstr. 159, 40233 Düsseldorf 0211 - 170 9115 Wir bedanken uns bei Ariane Becker für das kostenlose Erstellen des Layouts. Ohne sie wäre aus BACHTALO nicht viel mehr als eine Abi-Zeitung geworden. EDITORIAL Liebe Leser und Leserinnen, Liebe Leser und Leserinnen, in Ihren Händen halten Sie die erste Ausgabe der Romazeitung ‘Bachtalo’. Dieses Wort bedeutet in Romanes - der Sprache der Roma - ‘glücklich’. Alle, die diese Zeitung anbieten, sind uns namentlich und in den meisten Fällen auch persönlich bekannt. Diese Menschen stehen oft stundenlang, um ein paar Zeitungen zu verkaufen. Ich glaube, wir können nicht ermessen, wie groß die Armut ist. Wir geben die Zeitung für einen Schutzbeitrag von 0,50 € weiter. Eine Straßenzeitung soll kein Geschäft sein! auch von mir ein paar Worte, um Sie willkommen zu heißen. Wir haben angefangen mit dem Blog www.menschistmensch. de. Darin haben wir fast täglich von unserer Arbeit berichtet. So sind uns die Roma sehr nah gekommen. Ganz ehrlich, ich habe die Menschen vom ersten Tag an gemocht. Ich finde, es soll jeder über Roma denken, was er will. Ich finde aber auch, dass er ihnen dabei ins Gesicht sehen soll. Vorurteile ja, aber Angesicht zu Angesicht. So wie sie diese Zeitung aus der Hand eines Menschen entgegen nehmen, der vor ihnen steht, will ich den Roma in der Zeitung selbst ein Gesicht und eine Stimme geben. Wir - das ist der Verein ‘Mensch ist Mensch e.V.’. Wir haben eine Webseite, in der Sie Wissenwertes über uns finden: www.menschistmensch.de. Kurz zusammengefasst: Wir sind alle ehrenamtlich tätig. Unser Verein selbst ist als mildtätig vom Finanzamt anerkannt. Nicht nur den Roma - allen Menschen, die Unterstützung brauchen, steht es frei, zu uns zu kommen. Diesen Menschen werden wir in unserer Roma-Zeitung Artikel widmen, schließlich heißt die Zeitung im zweiten Titel ‘Mensch ist Mensch’. Da wir sehr viele Roma in unserem Büro in Hochfeld betreuen, haben wir uns überlegt, wie wir diesen Menschen am besten helfen können. Die Vorurteile den hier lebenden Roma gegenüber sind auf Duisburgs Straßen geradezu körperlich spürbar. Die Armut der Menschen nicht minder. Dabei sind diese Menschen nicht niedergedrückt von ihren Lebensumständen, sondern herzlich und fröhlich. Es stimmt, dass die Roma wenig Freunde in Deutschland und Europa haben. Aber wer sie kennengelernt hat - und sei es durch den Kauf einer Zeitung - wird es schwer haben, sie nicht zu mögen. Vor nicht langer Zeit hat mir unsere Dolmetscherin Luminita Caldararu erzählt, dass sie seit 2008 in Deutschland ist und in den ersten Jahren vom Verkauf einer Straßenzeitung mit ihrer Familie gelebt hat. Daraus ist die Idee entstanden, eine eigene Straßenzeitung zu drucken. Uns ist anfangs nicht bewusst gewesen, dass wir vielleicht die erste Romazeitung drucken, die es gibt. Das Romanes ist zwar eine wunderschöne, klangvolle und alte Sprache, aber es ist keine Schriftsprache. Die Roma selbst tauschen sich ausschließlich mündlich aus. Ach, eine Sache noch! Die Zeitung heißt ‘Bachtalo’ nach der ersten Strophe der Roma-Hymne: Dschelem dschelem lungone dromesa Auf meinem sehr sehr langen Weg Maladilem schukare romenza. Traf ich viele schöne Roma. Dschelem dschelem lungone dromesa Auf meinem sehr sehr langen Weg Maladilem bachtale romenza. Traf ich viele glückliche Roma. ‘Bachtalo’ soll eine Zeitung sein, die Hoffnung macht. Es mag Elend und Armut geben, aber wir sind Menschen und erheben uns darüber. Martin Redies Das wär’s, was ich sagen will. Ich hoffe, Sie haben Spaß beim Lesen der Zeitung. Frank Knott 3 [QRISTINA] “Willkommen, mein Name ist Qristina. Ich bin eine slowakische Romafrau...”, so beginnt der Blog von Qristina. In unserer Romazeitung ‘Bachtalo’ und in diesem Blog wird sie ein regelmäßiger Gast sein. Ich habe sie gefragt, ob sie dabei ist. Und sie hat ihr Okay gegeben. erkämpfen wird - als Lehrerin, Kindergärtnerin oder Ärztin. Sie wird einen anderen Namen tragen, aber sie wird auf ihre Art eine ‘Qristina’ sein. Was macht Qristina zu etwas Besonderem? In die Armut bin ich geboren. Ein schmerzend leerer Magen; abgetragene Kleider und zu große Schuhe. Eltern, die immer arbeiten; Saisonarbeiter. Ich bin geboren in einer Osada, einer Tabor, einem Bergdorf. Kein fließendes Wasser, keine Elektrizität, und keine Hoffnung. Die Häuser lehnten sich gegeneinander, gaben sich Schutz wie alte, müde gelebte Frauen. Den meisten fehlte etwas - ein Fenster, ein Teil des Daches - zahnlose Fratzen verteilt auf einem schmalen Bergrücken. Kinder trieben sich an den Rändern umher, flitzten herum zwischen den Häusern und dem kleinen Bach. Sie spielten mit allem, was sie finden konnten - Stöcke, Steine, Altmetall und Müll. Ich kann sagen, dass ich Glück hatte. Meine Zeit in der Osada war kurz. Kurz nach meiner Geburt, eingewickelt in Schweigen, machten wir uns auf die lan- Nun, zum einen ist sie eine Schriftstellerin und eine Roma. Das ist selten. Vor allem aber verkörpert Qristina so etwas wie ‘Die Suche nach der verlorenen Zeit’. Sie ist einen langen, schmerzlichen Weg gegangen, um ihren Platz in der Welt der Gadscho (der Nicht-Roma) zu erkämpfen. Und findet in dieser Welt ... ihre mit Heimweh getränkten Erinnerungen - die Erzählungen, das Leben, das Elend und das Glück der Roma. Und wenn ich mir unsere Roma in Duisburg-Hochfeld betrachte - angekommen in der Welt der Gadscho - dann weiß ich, dass sich das ein oder andere unserer Roma-Mädchen seinen Platz darin 4 Nicht von dieser Art (Teil I) ge Reise über die Straße nach UK. Dort wurde ich registriert und bekam meine Geburtsurkunde. Mein Geburtsdatum eine grobe Schätzung und mein Namen passend gadschikanji gemacht. Meine Familie war in vielerlei Hinsicht schatrika - nicht sesshaft. Wir lebten zwischen den Ländern, reisten umher zwischen den Siedlungen der Familie. Als ich aufwuchs, wurde das Reisen schwieriger. Lagerplätze waren blockiert, Stacheldraht und Pfosten säumten unsere Route. Meine Großeltern und ältere Verwandte wurden zu krank für eine weite Reise, und einer nach dem andere ließen sie uns zurück und gingen auf die letzte, lange Reise. Wir hatte viele Dinge zu verbrennen; die Tragik macht mir das Herz noch schwer. Ich war eine dieser Zigeunerinnen. Von denen, die immer unterkühlt waren, immer hungrig. Von denen, die Löcher in den Kleidern hatten und keine Schuhe an den Füßen. Meine Familie tat, was sie konnte, aber im Angesicht von Schrecken und Ausgrenzung war es nicht genug. Als eine tschorikani fimilija sahen die Roma und Reisenden auf uns herab, wenn sie wohlhabend waren. Und obwohl wir arm waren, besaßen wir doch etwas mehr als das, was ein paar andere Familien besaßen. Und so fühlten wir uns besser gestellt. Es war ein ständiger Kampf zwischen unseren Roma und diesen Roma. Vor einer anderen Familie wenigstens wollten wir mehr sein. Das machte es irgendwie okay. Seit ich in die USA gekommen bin, habe ich viele Roma-Familien getroffen, denen es sehr, sehr gut geht - viele, die auf Generationen von Bildung und guter Erziehung zurückblicken können. Familien, die viele Kämpfe bestehen mussten und sie wunderbarerweise auch bestanden haben. Manchmal wundere ich mich, warum meine Familie es nicht geschafft hat. War es die Leere und die Dunkelheit, die Geist und Körper befallen hatte - die Asche von den Schauplätzen des Krieges? Oder war es das Gebell von “Raus hier, Zigeuner!” und “Du dumme, hässliche Hure von einer Zigeunerin!”, das sie jeden Tag hören mussten. War es, weil die Schulen uns nicht wollten. Weil sie uns nur dieses eine Schicksal erreichen ließen, das uns in ihren Augen zustand. Wir sind keine Diebe und sind keine Alkoholiker, weil wir es wollen. Oft war es der einzige Weg, der uns unverstellt war. Dort waren die einzigen Plätze, um unsere sterbenden Kinder niederzulegen. Und doch, meine Familie hat es nie versucht. Sie lehnte die Integration ab. Sie lehnte das Leben der Nicht-Roma ab die Kleidung, das Essen, die Sprache. Sie wollte nicht, dass sich ihre Kinder gadschikanji verhielten. Sie hielt uns fest in ihrer Faust, sie brannte uns unser Leben ein - romanija wie eine Narbe auf unserer Haut. @Qristina Foto: Rainer Sturm/www.pixelio.de Nicht von dieser Art (Teil II) Von meiner Biographie fühlen sich viele Roma, mit denen ich gesprochen habe, abgestoßen. Meine Armut und die Tatsache, dass ich ungewollt den Vorurteilen entspreche - es ist, als ob dies ihr eigenes Bild von sich selbst entwertet. Aber die traurige Wahrheit ist, dass es viele hundert Roma wie mich gibt - viele Roma, die in elendiger Armut leben; es gibt sie auch in meiner eigenen Familie. Ich habe so oft gehört: “Wir sind nicht wie diese Roma!” ... und es schmerzt, denn in Wahrheit SIND wir diese Roma. Biographien wie meine werden ignoriert, weil wir in einem Niemandsland existieren. Wir sind weder die eine Art noch die andere Art. Wir sind die Pioniere unserer Familien, ziehen rumpelnde Wagen über literarische und ökonomische Leerflächen, nicht selten ohne die Unterstützung unserer eigenen Familien. In meiner Familie kennt niemand Erziehung und Bildung. In meiner Familie kennt niemand eine dauerhafte Arbeit, ein Heim oder ein regelmäßiges Einkommen. Ich habe keine Familientradition, ein trajo gadschikano (= ein Leben als Nicht-Roma) zu führen. Es war ein schwerer Kampf, um zu diesem jetzigen Punkt zu kommen und es ist ein täglicher Kampf geblieben. Das Gefühl, ausgegrenzt, andersartig und minderwertig zu sein, lässt mich nicht los. Immer noch werde ich als eigenartig, fremdartig und verbohrt bezeichnet. Mein Schweigen werten andere als Gleichgültigkeit. Ich besitze mehr, als ich mir jemals vorstellen konnte, und doch vergesse ich die Tage nicht, an denen ich Essen aufgesammelt habe, weil es alles war, was wir zu essen bekommen würden; als ich den Müll nach Glasflaschen durchsucht habe, um sie zu spülen und zum Laden zu bringen, um Geld zu haben für den Strom, der unsere Älteren wärmen sollte. Tränen sammeln sich in meinen Augen. Ich bin ein Kind des Nirgendwo. Meine Großmutter hat immer gesagt, dass wir in der Welt der Nicht-Roma nur die Hälfte wert seien und dass eine Romafrau nur die Hälfte von dieser Hälfte wert sei. Ich habe nicht erwartet, solches von anderen Roma zu hören, aber es scheint, dass diese Ansicht recht verbreitet ist. Meine Bergitka (= Berg-Roma)/ Servika (= slowakische Roma) Wurzeln sind tief, lassen mich nicht los. Meine Familie bestand nicht aus reichen Musikern, Schauspielern, aus Autoren. Sie hat nicht die Widrigkeiten überwunden, damit aus uns Ärzte, Rechtsanwälte und Lehrer wurden. Wir waren arm. Wir waren Analphabeten. Wir gingen in Lumpen. Wir waren laut. Einige von uns waren Diebe. Einige von uns waren Säufer. Einige von uns waren Straßenmusiker, Wahrsager, Bettler. Als ich in die US kam, hatte ich $300 und ein paar Koffer mit meinem Namen drauf. 5 Keiner konnte verstehen, warum ich diesen Weg gegangen bin. Keiner konnte verstehen, warum ich eine Nicht-Roma Ausbildung wollte; warum ich mich von meinen Wurzeln und meiner Familie trennte, um dies zu erreichen. Es gibt Roma, die mich hassen, weil ich meine Familie verließ. Es gibt Roma, die mich hassen, weil ich als Frau alleine reiste, weil ich einen Nicht-Roma geheiratet habe, weil ich eine Ausbildung erhielt. Selbst jetzt ist es schwer zu beschreiben sowohl den Roma als auch den Nicht-Roma - wie herzzerreißend und einsam diese Erfahrung für mich war; dass mir die Entscheidung nicht leicht fiel. Romanija (= das Roma-Sein), - Tradition, Kultur, Geschichte - diese Mischung aus Kräften, die uns in einer Armutskultur festhalten, muss sich ändern. Wir wollen atmen. Wir ersticken unsere Kinder, einfach nur, weil Nicht-Roma uns erklären, dass wir zu mehr nicht fähig sind. Nein. Es ist nicht einfach. Aber nichts ist einfach. Ich bin eine von diesen Roma. Ich werde immer eine von diesen Roma sein. Ich habe mich geschämt - der Armut, des Analphabetismus, des Alkoholismus; der Schritte, die nötig waren, mich aus dieser Geschichte zu befreien. EINE ROMAFRAU SUCHT ARBEIT Die Grundregel bei der Integration der Roma ist: A bewegt sich nicht, weil B sich nicht bewegt, weil A sich nicht bewegt. Im Falle der Arbeitssuche bedeutet es: Ein Job setzt Sprachkenntnisse voraus, die nur in einem Job entstehen können. Anders als für Asylsuchende und Langzeitarbeitslose gibt es für die Roma als EU-Bürger keine Sprachkurse. Sie sind nicht anders gestellt als Touristen. Im Ergebnis heißt es für sie: Sie lernen kein Deutsch, weil sie keine Arbeit finden, ohne Deutsch zu können. So auch Frau Arabella Manteres, eine Romafrau. Ich mache euch besser mal ein Bild von ihr, denn es gibt keine typischen Romafrauen. Sie tragen alle einen Rock, aber sonst sind sie sehr verschieden. Frau Manteres gehört zu den sehr stillen Roma. Es gibt Menschen, die sprechen mit den Augen, und wir verstehen sie. So ein Mensch ist sie - still, aber sichtbar. Sie hat die Hände einer hart arbeitenden Frau, die sie gerne versteckt. Merkwürdig sind diese Romafrauen: Sie sind uns nah, weil sie liebevoll sind, und doch fern, weil sie ein Leben führen, das wir uns nicht vorstellen können. Nicht mehr. Ich bin, was ich bin. Bergitka, Servika, Slowakin, Engländerin, Amerikanerin ... @Qristina Foto: FotoHiero/www.pixelio.de 6 Frau Manteres hat angefragt, ob wir ihr helfen können, eine Arbeit zu finden. Wir haben überlegt: Wir haben keine Arbeit und kennen niemanden, der Arbeit hat ... aber wenn jemand eine Arbeit in Deutschland sucht, dann gibt er eine Anzeige auf! Außer der Tatsache, dass Frau Manteres kein Deutsch spricht und kein Geld hat, spricht nichts dagegen, eine Anzeige aufzugeben. Ich habe also eine Anzeige bei ‘Ebay Kleinanzeigen’ aufgegeben - ohne rechte Hoffnung, aber auch ohne Geld auszugeben. Meine E-Mail gebe ich als Kontakt ein, da kein Roma, den wir kennen, Internet hat. Eine Kleinanzeige: Foto ohne Kopftuch, nichts verratender Text, Stundenlohn leider anspruchsvolle € 8,50. Am Ende habe ich eine einzige ernst gemeinte Anfrage erhalten. Bei dieser Stelle wollen wir uns heute vorstellen. Wir - das sind die Dolmetscherin, meine Wenigkeit und Arabella. Wir sitzen im Büro, weil wir noch etwas besprechen müssen: Die Stelle kann nur mit der Bahn erreicht werden! Wie aber soll sie - wenn sie nicht lesen kann - ein Ticket ziehen? Wie soll sie dort aussteigen, wo sie erwartet wird? Da könntet ihr einwenden, dass Arabella erfragen kann, welches Ticket sie ziehen und wo sie aussteigen soll. Das ist theoretisch richtig. Praktisch aber wird ihr niemand antworten, weil sie eine Roma ist. Erstens. Zweitens ist sie kein japanischer Tourist. Sie hat kein teures iPhone, sondern nur ihr sprechendes Lächeln. Das ist sehr wenig in unserem Kulturkreis. Falls der japanische Tourist das falsche Ticket löst oder nicht am Ziel aussteigt, bleibt er ein Japaner, der kein Deutsch versteht. Wenn Arabella denselben Fehler macht, ist sie eine Romafrau, die schwarz fährt. Obwohl Arabella meint: “Kein Problem!”, haben wir eindeutig ein mittelgroßes Problem. Ich verspreche Arabella, dass wir uns um die Fahrt kümmern werden. Wir gehen also los - ein Deutscher und zwei Romafrauen. In Hochfeld schauen uns die Roma nach. Ein paar Straßen weiter, in Wanheimerort, schauen uns die Türken und die Deutschen nach. Vor Ort haben wir Zeit und gehen in eine Bäckerei. Ich hätte in der Begleitung von zwei Seepferdchen kein größeres Aufsehen erregen können. Es gibt Leute, die vergessen, die Glastür zu öffnen beim Verlassen des Ladens. Andere vergessen das Kauen und die Kaffeetasse in der Hand. Die junge türkische Verkäuferin schaut mich an, als hätte ich ihr einen unsittlichen Antrag gemacht. Die Frau mit dem Stellenangebot öffnet uns die Haustür. Ich wusste gleich, dass wir gewonnen haben. Ich kann nicht sagen, warum. Es ist die Sache mit den Seepferdchen, nur andersherum. Wir sitzen am Tisch und haben einen Fruchtsaft vor uns stehen. Die Frau erzählt, dass eine Romafamilie im Nachbarhaus gewohnt hat. Die Kinder hätten in ihrem Garten gespielt. Leider sei die Familie aus dem Haus heraussaniert worden. Auf ihre Frage erzählt Arabella, dass sie 5 Kinder hat. 30 Jahre alt ist sie. Das Gespräch ist nicht einfach, weil die Frau nicht weiß, wen sie ansprechen soll - Arabella, die Dolmetscherin oder mich. Wir kommen auf die Arbeitsstelle zu sprechen. Ich erkläre die Schwierigkeit und sage, dass wir eine Lösung finden werden. Die Frau erzählt, dass sie einmal in Ägypten gereist sei. Sie habe kein Schild lesen können und ihr sei niemand begegnet, der Englisch mit ihr habe sprechen können. Sie überlegt. Dann schlägt sie vor, dass sich Arabella fürs erste von einem ihrer Kinder begleiten lassen solle. Auf diese Idee hätten wir auch selbst kommen können, schließlich haben wir oft Schulkinder, die Vater, Mutter und die kleinen Geschwister hinter sich her in unser Büro ziehen! Arabella wird einen Arbeitsvertrag - also keinen Minijob bekommen. Sie wird zum ersten Mal in ihrem Leben krankenversichert sein. Wenn ich es richtig verstanden habe, wird sie zum ersten Mal in ihrem Leben überhaupt eine Arbeit haben. Mit den angebotenen € 10,00 pro Stunde dürfte sie unter den Roma in Hochfeld die augenblickliche Spitzenverdienerin sein. Was diese Arbeit für Arabella bedeutet, will ich lieber nicht wissen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass meine Vorstellung von Armut jedes Mal spielend unterboten wird. Ich weiß aber, Arabella wird bald ein auskömmliches Leben führen können. Ihre Kinder werden genug zu essen haben. Sie wird ihren Strom wieder bezahlen können. Alles wird gut. @martinredies KRAUTWICKEL ROMANES ART mäßig zuverlässig nur die Spülmaschine vom Backofen unterscheiden. (Ist ja bei modernen Küchen nicht so einfach!) Was ich verstanden habe, ist die Soße der entscheidende Unterschied bei den Krautwickeln. Es ist eine rote Soße mit Paprika (glaube ich) bei den Roma, statt einer weißen Soße mit was anderem als Paprika, wie sie von Rumänen bevorzugt wird. Obwohl Roma natürlich auch Rumänen sind. Aber das würde jetzt zu weit führen ... Falls irgendwer das Rezept der Krautwickel haben will, findet ihr es zum Nachkochen bei Chefkoch.de. Aber es sind die Rumänischen Krautwickel in den Rezepten - das sage ich gleich - nicht die originalen Krautwickel der Romanes Art, also nicht halb so lecker (sage ich mal). Aber ich bin nur der Journalist einer Straßenzeitung und kann küchen- Um von vorne anzufangen: Uns hat heute eine Romafrau im Büro bewirtet. Das heißt im Ergebnis, dass Frank und ich zig Krautwickel gegessen haben und ein gefühltes Dutzend anwesender Roma uns hungrig dabei zugesehen hat. Ich sage euch, es ist am Ende eine reine Nervensache. Das sage ich zu Christina, die findet, dass es nicht in Ordnung ist, vor anderen zu essen, die selbst nichts zu essen haben. Reine Gewöhnungssache! Learning by Doing, Christina! Hilfreich ist natürlich, wenn es lecker ist (und das war es!). Um ehrlich zu sein, waren ‘Kohlrouladen’ mein Gericht, das ich als Junge nicht essen brauchte. So war das früher bei uns zu Hause. Es musste alles gegessen werden, bis auf eine Ausnahme (die nur einmal im Monat gewechselt werden durfte - also nicht jedes Mal vor dem Mittagessen). Ich glaube, bei uns Kindern waren Kohlrouladen die unumstrittene Nr. 1 im No-Eat-Ranking. Diese Kohlrouladen der Roma sind aber ganz anders. Ich bin kein Koch (wie gesagt), aber sie sind kleiner, dünner gewickelt und schmecken nicht bitter. Sie sehen auch überhaupt nicht verbrannt aus. Ich habe mir in diesem Zusammenhang sagen lassen, dass Krautwickel das Nationalgericht bei den Roma sind (also vermutlich auch bei den Romakindern). Die Köchin hat gesagt, dass sie mit ihrer Schwester 2 Stunden lang daran gekocht hat. Sie hat mir erklärt, wie ich Krautwickel kochen kann. Wir kamen dann ins Gespräch, nachdem ich längere Zeit nichts verstanden habe. Also 7 bei den Roma sind es die Frauen, die in der Küche stehen. Ist ja interessant, diese kulturellen Unterschiede! Übrigens auch die kleinen Mädchen stehen in der Küche. Bis sie 12 Jahre alt sind, werden sie angelernt. Dann sind sie ausgelernt. Was ja sehr praktisch ist, wenn sie mit 13 Jahren heiraten müssen. Logisch, wär ja blöd, wenn sie ihrem 14-jährigen Ehemann keine eigenen Krautwickeln machen können. GOTT UND DIE ROMA Es ist ruhig in unserem Büro. So gegen 15:00 ist es oft ruhig. Da unsere Dolmetscherin - Frau Luminita Caldararu - im Moment mal keine Privat(!!)-Gespräche an ihrem neuen Handy führt, ergreife ich die Gelegenheit, mit einer älteren Romafrau ins Gespräch zu kommen. Sie trägt eine Brille, was selten, sehr selten bei den Roma ist, denn sie sind arm und können selten lesen. Hat man diese Merkwürdigkeit erst einmal registriert, dann ist die Brillenlosigkeit der Roma bzw. die Bebrilltheit der Deutschen sehr auffällig. Glaubt es nicht: Sie heiraten nicht mit 13 Jahren! Ich habe mit der Köchin der Krautwickel gesprochen. Nein, es ist einfach so, dass die Romakinder früh mithelfen müssen. Sie - also die Mütter und Tanten - haben halt viele Kinder, und wenn die Mütter und Tanten Krautwickel wickeln, müssen die Älteren sozusagen die Allerkleinsten wickeln. Sie finden nichts dabei (sagen die Mütter und Tanten). Ich habe gefragt: Auch die Jungen kümmern sich wickelmäßig um die kleinen Geschwister. Wer solche langwierigen Gerichte zur Nationalspeise erklärt, muss halt erfinderisch sein. Ist ja logisch! Unsere Mütter und Tanten machen Tiefkühlkroketten da können die Mädchen whatsappen und die Jungs zocken. Eine völlig andere Kultur ist das! Da stellt sich dem aufmerksamen Beobachter sofort die Frage, was die Roma-Männer in der Zeit machen, wenn Jung und Alt traditionell wickeln und gewickelt werden. Die Köchin der Krautwickel hat mir versichert, dass die Roma-Männer in dieser Zeit Zeitung lesen und an ihren Handys rumspielen. Die anderen Frauen haben reihum genickt: Auch ihre Roma-Männer lesen Zeitung und spielen mit ihrem Handy. Unglaublich eigentlich, aber wir müssen akzeptieren - auch wenn es schwerfällt - dass andere Völker andere Sitten haben. Soviel zu den Krautwickeln, die wir heute im Büro gegessen haben. @martinredies 8 Das Interview Hallo, Luminita, hast du einen Moment Zeit? Ich will mit dieser Frau sprechen für unsere Roma-Zeitung ‘Bachtalo’. Ich habe Zeit, kein Problem. Was willst du wissen? Ich höre gut. Wie alt ist die Frau und wann ist sie nach Deutschland gekommen? Die Frau sagt, sie ist 67 Jahre - 7 und 6, nein, 6 und 7 ist richtig! Sie ist gekommen vor 5 Jahren mit der Familie nach Deutschland. Eine große Familie! Wie groß? Die Frau ist gekommen mit 5 Kinder. 3 Jungen, 2 Mädchen. Sie sind alle groß geworden jetzt. Diese Frau hat 27 Enkel - ja, 2 und 7, das ist richtig. Davon sind 17 Mädchen und der Rest sind Jungen. Eine große Familie, sehr groß! Kommen die 27 Enkel ihre Oma besuchen? Ja, die Enkel kommen. Nicht alle kommen. Sehr viele kommen. 3 Enkel, manchmal 4 Enkel bringt sie zur Schule. Wenn die Enkel kommen, es gibt Kuchen dann, und sie erzählen viel, sehr viel. Kann ich ein Bild machen von dieser Frau? [Es folgt eine längere Diskussion auf Romanes. Ich hörte immer wieder ‘Bachtalo’ und ‘Del’ (d.i. ‘Gott’ auf Romanes). Es diskutieren eigentlich alle, die Romanes sprechen können. Eine gute Gelegenheit, sich einen Kaffee zu holen ... oder einen Spaziergang zu machen ... oder einen Kuchen zu backen.] Nein, die Frau sagt, diese Bilder von ihr sind verboten. Sie ist Evangelist, weißt du. [Es folgt eine weitere Diskussion auf Romanes. Offenbar ist die Frage nur vorentschieden.] Diese Frau sagt, du kannst Bilder machen, für die Zeitung der Roma. [Ich mache schnell die Fotos, während weiter diskutiert wird.] Luminita, du bist orthodoxe Christin, ja? Ja, ich mache so! [Luminita macht das Kreuz.] Warum ist diese Frau eine andere Christin? [Es wird viel geredet. Die Frau weint.] Sie sagt, Gott hat ihr geholfen. Sie sagt, ihr Mann war sehr krank. Er hat gehabt Diabetis, war taub an Füßen und hat gehabt große Probleme mit dem Herz. [Immer wieder redet die Frau, obwohl sie weint.] Und sie sagt, in einem Traum ist ihr gekommen Gott und hat gesagt, dass sie gehen muss zu diese Kirche. Im Traum, so hat sie gesagt. Und ihr Mann ist geworden gesund. Ich, Luminta, habe gesehen, dass er gesund ist und war krank vorher. [Die Frau wischt sich die Augen. Die Brille liegt auf ihrem Schoß.] [Pawel, der Sohn von Luminita, sagt, dass die Roma alle sehr glauben. Viele seiner deutschen Klassenkameraden würden nichts glauben.] Ja, wie Pawel es sagt, ist es richtig. Wir Roma beten oft zu unseren Gott. Es ist nicht gut, wenn wir nicht beten zu Gott. Er hilft uns nicht, wenn wir beten nicht. Hmm, Luminita ... schau mal, die Deutschen beten nicht, sie glauben nicht an Gott, die Kirchen sind leer und werden alle verkauft - aber die Deutschen sind reich, haben teure Autos, viele Straßen, große Häuser und schöne neue Handys. Und die Roma beten zu Gott und sind arm. Was sagt diese Frau dazu? [Es wird hin geredet und her überlegt.] Egal, sagt diese Frau. Gott hat ihr geholfen für ihren Mann. Ist egal, sagt diese Frau. Sie betet zu ihren Gott. Okay, kein Problem. [Die Frau reicht mir die Visitenkarte ihrer Gemeinde.] Diese Kirche, sagt diese Frau, verbietet Tanzen und Musik. Sie feiern Gottesdienst auf Romanes. Manchmal lesen sie, dann singen sie viel. Und beten immer wieder. Sagt diese Frau. [Frank Knott wirft ein, dass diese Frau noch einen Minijob hat, mit ihren 67 Jahren.] Geht die große Familie mit ihr in die Kirche oder geht die Frau alleine? [Frank Knott meint, der Minijob würde als Thema super zu unserem Blog passen.] Ja, diese Frau muss putzen die Treppe von zwei großen Blocks. Ganz allein. Liest sie ihren Enkeln aus der Bibel vor? [Frank Knott meint, Luminita müsse jetzt mal bei ihm übersetzen.] [Außerdem klingelt das Handy von Luminita.] @martinredies FREIZÜGIGKEIT IN DER EU EINGESCHRÄNKT UNEINGESCHRÄNKT In Europa herrscht Freizügigkeit. Jeder EU-Bürger kann reisen, wohin er möchte und sich 3 Monate in einem Land seiner Wahl aufhalten. Nach den 3 Monaten muss er nachweisen, dass er Arbeit sucht. Wenn er in diesen 3 Monaten keine Arbeit gefunden hat, endet die Freizügigkeit ... und eigentlich auch wieder nicht. Die Sache ist unmenschlich und sinnbefreit in gleicher Weise. Damit ihr sie versteht - so weit dies überhaupt möglich ist - schildere ich einen Fall aus unserer heutigen Bürostunde: Stellen wir uns eine rumänische Familie vor, die vor 6 Monaten voller Hoffnung nach Deutschland gekommen ist. Sie haben eine Wohnung gefunden, die Kin- der wurden eingeschult, in den Kindergarten geschickt, beim Arzt untersucht und geimpft. Wie deutsche Kinder eben - kein Unterschied. Genau für eine solche Familie wurde die Freizügigkeit in Europa eingeführt. Stellen wir uns für uns selbst probehalber vor: Wir kommen mit Nichts in ein fremdes Land. Fragen wir uns, ob 6 Mo- nate lang genug wären, uns eine Existenz - sagen wir mal, in Finnland - aufzubauen. Doch weiter zu unserem ‘Fall’: Im Dezember wurden die Kinder von einem deutschen Nikolaus im Rahmen einer kleinen Feier beschenkt. Für 9 die Familie hat dieses Fest viel bedeutet. Nur kurze Zeit später erhielt sie die wenig christliche Aufforderung, dass sie Deutschland zu verlassen habe. Die Frau hat 5 Kinder und ist im 6. Monat schwanger. Ich muss sagen, sie trägt ihr Schicksal mit einer bewundernswerten Fassung. Gut, mit dem Gerichtsbescheid bin ich persönlich nicht einverstanden. Ich bin aber der Meinung, dass wir als Sozialberater die Gesetze akzeptieren müssen, wenn wir Anträge stellen und Orientierung geben wollen. Es ist nicht unsere Aufgabe, uns über die Rechtsprechung hinwegzusetzen. Ich akzeptiere, dass die Freizügigkeit nach 6 Monaten endet. Ich akzeptiere, dass sie nach 7 Monaten wieder neu beginnt. Es verhält sich nämlich so, dass diese Familie Deutschland zwar verlassen muss, aber nach einem Monat problemlos wieder einreisen kann. Es gilt Freizügigkeit, wenn die Familie sich komplett abmeldet: Wenn sie alles aufgibt, sich in Venlo - um ein Beispiel zu nennen - anmeldet, eine Wohnung sucht, die Kinder einschult ... und sich nach einem Monat dann wieder in Deutschland anmeldet. Mit allen Behördengängen, die dazu nötig sind. Allein die Schulanmeldung hat wegen der Schulpflicht dreifach zu erfolgen: Deutschland - Holland - Deutschland. Um nicht missverstanden zu werden: Die Freizügigkeit ist EU-Recht - sie ist eine echte Errungenschaft! Sie wird deshalb dauerhaft nur aufgehoben, wenn schwere Straftaten oder ansteckende Krankheiten vorliegen - also bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eines jeweiligen Landes. Ein Drogendealer darf nicht mehr einreisen, die junge Familie darf selbstverständlich einreisen! Die deutsche Regierung darf ein EU-Recht nach 6 Monaten außer Kraft setzen, obwohl es nach 7 Monaten und zu unser aller Nutzen wieder wirksam wird. Freizügigkeit gilt eingeschränkt uneingeschränkt. Deutsches Recht und EURecht verhalten sich wie Nebensatz und Hauptsatz. Die Sache mit der Aufhebung der Freizügigkeit ist nicht nur unmenschlich, sie ist auch frei von jeder Logik. @martinredies DIE ROMA UND DER MÜLL Gestern traf ich auf der Straße eine Romafrau, die Müll von der Straße fegte, mit einem dieser merkwürdigen Hexenbesen. Als sie eine letzte Kehrschaufel in den Abfallkorb entleert hatte, durfte ich ein Foto von ihr machen. Ich kannte diese Frau von einem Besuch in unserem Büro und war neugierig, warum sie die Straße vor ihrem Haus kehrte. Heute habe ich mit Hilfe unserer Dolmetscherin ein kleines Gespräch mit ihr geführt. Ihren Namen habe ich ehrlicherweise nicht verstanden und nicht aufschreiben können. Das Interview Wie lange sind sie in Deutschland? Wenn der Mai kommt, ist es ein Jahr, das ich in Deutschland bin. Wo kommen Sie her? Ich komme aus Rumänien. Aus Urziceni [Sie zeigt mir ihren Pass, damit ich den Namen lesen kann.] Das ist eine Stadt, nicht weit von Bukarest. 10 Sie haben die Straße gekehrt. Warum machen Sie das? Weil die bulgarische Familie in meinem Haus den Müll aus dem Fenster wirft. Das geht nicht! Wie viele Mülltonnen haben Sie? Wir haben drei Mülltonnen. [Ich zeige die mittlere Größe. Sie nickt.] Das sind sehr wenig Mülltonnen für ein ganzes Haus! [Sie nickt.] Wieviele Personen sind in dem Haus? 6 Familien. [Nach dem Zählen der Kinder und der Erwachsenen kommen wir auf 20 Personen.] Diese bulgarische Familie, die Müll aus dem Fenster wirft, ist nicht gut! Kümmert sich der Hausbesitzer nicht darum? [Unsere Dolmetscherin spricht mit der Frau. Dann sagt sie mir, dass die Frau nicht über den Hausbesitzer sprechen will.] DIE INTEGRATION DER ROMA HAT BEGONNEN Sind sie mit der Familie aus Rumänien gekommen? Ja, ich habe einen Mann und 4 Kinder. Drei Kinder gehen zur Schule - 15, 11, 7. Und ein Kind - 4 - hat einen Brief für die Schule bekommen. Wie groß ist ihre Wohnung? Die Wohnung hat 2 Zimmer und eine Küche. [Die Dolmetscherin fragt nach.] Sie ist groß 50 qm, glaube ich. Eine schöne Wohnung. Warum sind sie aus Rumänien weggegangen? [Die Frau schaut mich fassungslos an, als sie die Frage verstanden hat. Die Dolmetscherin stupst sie an.] Wir hatten keine Wohnung in Rumänien, keine Arbeit, kein Geld. Was heißt: ‘Keine Wohnung?’ Haben Sie im Freien gelebt? Nein, bei einer Familie. In der Garage von dieser Familie haben wir geschlafen. [Ich schaue die Frau fassungslos an. Die Dolmetscherin stupst mich an. Es beginnt ein kalter Regen.] Und Deutschland ist schön? Ja, Deutschland ist schön. Ich bekomme Arbeit, Mann bekommt Arbeit. Kinder gehen zur Schule. Wohnung ist schön. Deutschland ist schön. [Die Dolmetscherin zieht mich durch den Regen fort. Ich winke. Die Frau schaut uns mit ihren sanften Augen nach.] @martinredies Im Jahr 1989 hat in Deutschland die letzte große Eingliederung von völlig mittellosen Neubürgern stattgefunden - die Wiedervereinigung der Bundesrepublik Deutschland mit der damaligen DDR. Mein Thema in diesem Beitrag ist eine ganz persönliche Bestandsaufnahme aus der Sicht unseres kleinen Büros in Duisburg-Hochfeld. Ich stelle mir die Frage, wie es eigentlich um die Integration der Roma steht. Nach 5 kurzweiligen Monaten, die ich nun in der Sozialberatung tätig bin. Es ist meine persönliche Meinung, dass sich einiges in unserem Umfeld - bei den Roma in Hochfeld - verändert hat. Auch Christina - meine Mitstreiterin am Nachbartisch - bestätigt, dass nichts mehr so ist wie früher. Unsere Kunden werden bürgerlich - jedenfalls ein guter Teil von ihnen. Sie kündigen die Verträge, die sie in Unkenntnis von Schrift und in ‘blindem’ Vertrauen abgeschlossen haben. Sie schulden um, indem sie nicht mehr Einzelüberweisungen machen, sondern Daueraufträge einrichten. Die Frauen häufig das Familienoberhaupt - ordnen ihre Papiere. Ohne Lesen zu können, finden sie sich darin zurecht. Ein kleines großes Wunder! Dies stelle ich nach nur fünf Monaten fest. Ich finde ehrlich gesagt, dass dies eine sehr kurze Zeit ist. Vergleichen wir die Roma mit den Türken, die nach Duisburg im Zuge der ersten großen Integrationswelle eingewandert sind, dann haben die Roma es unendlich viel schwerer. Die Türken wurden von den großen Firmen angeworben. Sie bekamen Tickets, Arbeit, Wohnung, Lohn und soziale Sicherheit unmittelbar nach der Ankunft und wie eine Selbstverständlichkeit. Die heutigen EU-Neubürger - wie sie bemüht sprachhygienisch genannt werden - bekommen ... NICHTS. Eigentlich finde ich, dass die Roma sich im Rekordtempo integrieren. Die Fakten sind nun einmal, dass sie nicht lesen und schreiben können und unsere Sprache nicht sprechen. Fakt ist auch, dass niemand ihnen Kurse gab. Die Kinder gehen zur Schule, aber die Eltern werden sich selbst überlassen. Unser Eindruck ist, dass viele von ihnen kleine Jobs gefun11 den haben. Wer ein wenig lesen kann (weil er eine Schule in Rumänien besucht hat), wird Pizzabote (mit Führerschein) oder arbeitet als Bauhelfer. Wer nicht lesen kann, putzt Hotelzimmer oder reinigt in kleinen Betrieben. Wir hatten im Büro - zugegeben - viel mit Kleinkriminalität zu tun. Es waren viele Betrugssachen, die daher rührten, dass unsere Kunden mit ungedeckten EC-Karten eingekauft haben (was unter ‘Betrug’ fällt). Ich gebe aber zu bedenken, dass jemand, der nicht rechnen kann - die Zahlen nicht einmal lesen kann - mit einer EC-Karte möglicherweise überfordert ist. Dann gab es diverse Ladendiebstähle - von Süßigkeiten bis Kleinkleidung. Mittlerweile haben die meisten Roma erkannt, dass sich alle Kameras auf sie richten, sobald sie irgendeinen Laden betreten. Es gab Fahrten mit der falschen Umweltplakette und diverse Verkehrsbußgelder. Verzeihliche Delikte für des Lesens unkundige Neubürger. All das wird weniger. Auch stellen wir fest, dass die Briefe, die wir vorgelegt bekommen, ein zeitnahes Datum tragen. Offenbar achten die Empfänger in den Häusern darauf, dass ihre Briefkästen ordentlich beschriftet sind. Wer einmal in einem dieser ‘Problem’häuser war, wird wissen, dass es ein Wunder an beruflichem Ehrgeiz ist, wenn ein Briefträger die Post richtig zustellt. Nur mal nebenbei: einen Mailaccount (oder Internet) besitzt kein einziger Roma, den wir kennen. Unter diesen Voraussetzungen Ordnung und Anschluss zu halten, ist nicht selbstverständlich. Wir sehen Roma, die Aktenmappen dabei haben, die jedem deutschen Versicherungsvertreter zur Ehre gereichen würden. Ach ja, wir sollten erwähnen, dass uns viele Roma Schreiben vom Jobcenter vorlegen, indem sie zum Termin gebeten werden, um die eigene ‘berufliche Situation’ zu besprechen. Dies bedeutet eigentlich immer, dass sie zu einem Kurs verpflichtet werden, in dem sie Deutsch schreiben und lesen lernen. Diese Kurse erstrecken sich über 2 Jahre, finden an 5 Tagen in der Woche statt, über den ganzen Vormittag. Am Ende können die Teilnehmer Deutsch sprechen, anständig lesen und einigermaßen schreiben ... jedenfalls wenn sie so fix im Begreifen sind wie unsere Roma. @martinredies Sebastian Staendecke (ideas-ahead.de)/ www.pixelio.de HELFEN IST GEIL: DIE KLEINE OMA Vor mir sitzt eine alte Frau - ein ‘Ömaken’, wie der Duisburger sagt. Typisches Äußeres. Klein, bleich, die Haare graublond, vor Monaten mal gewellt, die Kleidung undefiniert, die Brille so alt, dass sie schon wieder modern ist. Sie schaut mich unsicher an. Dann beginnt sie zu erzählen. Sie erzählt viel, nachdem sie einmal begonnen hat zu reden. Mit Nachfragen bringe ich die Fakten in eine behördliche Reihenfolge: Sie ist 71 Jahre alt und bekommt eine Witwenrente von € 270,00. Die Warmmiete für ihre kleine Wohnung beträgt € 160,00, ca. € 40,00 gehen für Strom ab. Bleiben ihr € 70,00 pro Monat. Sie muss das Angebot der Lebensmittelspenden nutzen, um überhaupt überleben zu können. Ich sage, dass ihr fraglos die Grundsicherung im Alter zustehe. Ich könne ihr gleich einen Antrag am PC ausfüllen. 12 Wenn sie mir die gewünschten Unterlagen raussuche, könne sie alles zusammen einreichen. Sie ist erst unschlüssig, will nicht sagen, was sie bedrückt. Doch dann erzählt sie mir, dass sie zwei Söhne habe, die in Süddeutschland wohnen. Der eine sei Beamter, der andere sei ein Angestellter. Zu beiden habe sie seit langem keinen Kontakt mehr. (Es war ihr offensichtlich nicht leicht, darüber zu sprechen.) Sie wolle auf keinen Fall, einen Antrag stellen, wenn sich das Amt von ihren Söhnen das Geld hole. Ich google also: ‘grundsicherung im alter kinder’ und erkläre ihr, dass Kinder erst ab einem sehr hohen Jahresverdienst zahlen müssten ... und dann nur, wenn das Amt davon wisse. Erst jetzt - nach Tränen - ist sie bereit, einen Antrag mit mir auszufüllen. Die erforderlichen Unterlagen hatte sie innerhalb von einer Woche zusammengetragen. Die Dame wurde von mir zum Sozialamt Duisburg Meiderich begleitet. Die Mitarbeiterinnen behandelten die Dame erst sehr von oben herab. Sie fragten, ob sie wisse, dass sie ‘Sozialhilfe’ beantragen würde. Sie spielten damit, dass dieser Begriff bei der älteren Bevölkerung ein übles Stigma hat. Erst nachdem ich mich ins Gespräch eingeschaltet habe weil die ältere Dame begonnen hatte zu weinen - haben die Mitarbeiterinnen ihr Verhalten geändert. Der Antrag wurde innerhalb kurzer Zeit bearbeitet und bewilligt. Ergebnis: Die Frau bekommt zu ihrer Witwenrente (= € 270,00) zusätzlich € 350,00 vom Amt. Und ist nun in der Lage, im Alter würdig zu leben. @martinredies Foto: Karin Bangwa/www.pixelio.de WER FINDET DEN SCHULDIGEN? zung läuft. Nur ein kleiner Stromheizer spendet ein wenig Wärme. Und von den Stadtwerken her soll sogar das Wasser abgestellt werden. D.h. es gibt kein Wasser für den Abfluss, zum Waschen und um es deutlich zu sagen - auch kein Wasser zum Trinken! Für unser Land ist die Situation unwürdig, für die Bewohner ist sie unerträglich. Der Sachbearbeiter bei den Stadtwerken verhält sich regelkonform. Einen Notfonds (in der Art der Prozesskostenhilfe), um wenigstens die Wasserversorgung der Allerärmsten, wenigstens der Kinder, wenigstens der Neugeborenen zu gewährleisten, gibt es nicht. Der Sachbearbeiter wird also verantwortungsvoll veranlassen, das Wasser abzustellen, da eine Gegenleistung vom Vertragspartner nicht erbracht wurde. Die Stadt wird in enger Absprache mit den Stadtwerken das Haus für unbewohnbar erklären und eine Beschlagnahmung erklagen, um dadurch den dringend benötigten Wohnraum für anerkannte Asylanten zu schaffen. Ihr kennt den Text aus den Zeitungen, die beim Friseur oder bei eurem Kosmetiker ausliegen: Es wird eine Geschichte erzählt und der Täter wird verschwiegen. Solch eine Geschichte will ich euch erzählen. Stellt euch ein Haus in Duisburg Hochfeld vor. Ein Haus, das niemand eigentlich haben will, aber irgendjemand irgendwann dann doch kauft. Dieser Jemand ist ein Türke. Versteht sich, dass er ein Türke ist, denn kein deutscher Duisburger würde in diesem Stadtteil einen finanziellen Einsatz wagen. Unser Türke aber hat einen kleinen Kredit aufgenommen, auf der Grundlage einer noch kleineren Erbschaft. So hat er dieses Haus sehr günstig erworben. Da er ein gutes Herz hat, und weil er ein gläubiger Muslim ist, lässt er drei (christliche) Roma-Familien einziehen. Dagegen spricht nichts, denn er kennt diese Leute. Sie sind nett, handwerklich geschickt und wären arbeitsam, wenn jemand ihnen Arbeit geben würde. Die Frauen sprechen ein wenig Deutsch. Die Kinder sind zahlreich, aber ordentlich gekleidet. Drei der Kinder gehen auf dieselbe Schule, auf die auch der Hausbesitzer als Kind gegangen ist. Unser Hausbesitzer ist ein guter Mensch (aber ein schlechter Hausbesitzer). Die Roma-Familien bleiben ihm Geld schuldig. Ihr Auskommen reicht für die Miete nicht - so gering sie ist. Die Frauen geben ihm das, was sie entbehren können. (Und Roma sind gut im Entbehren!) Er drängt sie nicht, weil er Mitleid mit den Frauen hat. Wenn er sie fragt, geben sie ihm mal € 100,00, mal sind es nur € 50,00. Vom deutschen Staat steht den Frauen Kindergeld zu, das aber Monate auf sich warten lässt. Außerdem kann er rechnen und weiß selbst, dass sie hungern müssten, wenn er ihnen zu viel Geld abnimmt. Leider ist er aber selbst kein reicher Mann und bleibt zunehmend Geld für die Betriebskosten, für die Heizung und für die Wasserversorgung schuldig. Es ist so weit gekommen, dass in seinem Haus den ganzen Winter über keine Hei- Ob der Mietvertrag der Roma-Familien weiter Gültigkeit hat, ist auch unerheblich, da die Stadt die Familien von der Wasserversorgung abgeschnitten hat. Schon nach einer Woche ist die Situation in dem Haus unerträglich geworden, wenn nicht gar gesundheitsgefährdend. Was bleibt den Familien als auszuziehen? Nach Monaten dann wird die rechtliche Situation des Hauses geklärt sein. Die Stadt ist nun als neuer Vertragspartner ordentlicher Besitzer des Hauses und wird Heizung und Wasser wieder an das Netz anschließen lassen. Das ist meine Geschichte. Wer findet den Schuldigen? Und eine Bonusfrage: Ist die Geschichte wahr oder ist sie erfunden? @martinredies Foto: knipseline/www.pixelio.de 13 LORENA - EIN ROMA-MÄDCHEN zu Sprachunterricht einmal die Woche. Ich will lernen Deutsch lesen und schreiben. [Anmerkung: Lorena ist kein Einzelfall in Duisburg. Wir treffen in Hochfeld immer wieder Kinder, die nicht zur Schule gehen können, obwohl sie schon lange in Duisburg gemeldet sind. Von den Kindern, die nicht gemeldet sind, will ich nicht mal reden.] Hallo, Lorena. Schön, dass du mir ein paar Fragen beantwortest. Seit wann bist du in Deutschland? Ich bin gekommen seit 2008. Du bist jetzt 18 Jahre und seit 6 Jahren in Deutschland. Aber du kannst nicht Lesen und Schreiben. Wie kommt das? Ich bin nicht zur Schule gegangen in Deutschland. Ich war immer zu Hause. Da kann ich nicht lernen. Weil meine Mutter nicht lesen und schreiben kann wie ich. Wolltest du nicht zur Schule gehen? Doch, ich wollte sehr gern zur Schule gehen. Nur, sie haben mich nicht gelassen. Ich habe gefragt überall, aber ich habe keine Schule gefunden. Ich weiß nicht, warum. Die Männer vom Schulamt denken, dass du ein Mädchen bist und dazu noch eine Roma. Da lohnt es sich nicht, dich zu unterrichten. Kann sein, dass sie denken so. Ich wäre gern zur Schule gegangen. Ich gehe jetzt 14 Du führst ein Leben ohne Facebook, ohne Whatsapp. Ganz ohne Internet. Wie ist das? Ich weiß, was Facebook ist. Ich sehe es bei meinen Cousins. Sie gehen zur Schule. Wenn ich lesen kann und schreiben, dann machst du ein Facebook für mich, ja? Versprochen! Jetzt sag mal, Lorena, was du in deinem Leben machen willst? Ich will 2 Kinder haben - zwei Mädchen! In meinem Haus, ich will alles schön machen für sie! Da brauchst du einen Mann. Was für ein Mann soll es sein? Mein Mann soll schön sein. Ein schöner Mann! Einen klugen Mann, der nicht schön ist, nimmst nicht? Nein, nehme ich nicht. Nur wenn er schön ist. Und Zigeuner er muss sein! Muss ein Roma sein!? Wenn er schön ist und auch klug, dann nimmst du ihn nicht, wenn er ein Deutscher ist!? Nein, nehme ich nicht. Ich nehme nur, wenn er Zigeuner ist! Warum nicht? Schau mal: Ein deutscher Junge geht zu seinen Eltern und sagt: ‘Ich mag dieses Mädchen Lorena, aber sie ist eine Roma.’ Und die Eltern sagen: ‘Ob sie Roma ist oder nicht, ist uns egal, wenn du glücklich bist!’ Nein, ich heirate nur einen Zigeuner. Ist Tradition bei uns. Ich mag Tradition! Mein Sohn hat eine Freundin aus Arizona in Amerika. Ist doch toll! Die Welt ist groß, und du bist jung! Nein, ist Tradition bei uns! Ich frage meine Mutter, und sie sagt: ‘Nein.’ Ich darf nicht heiraten einen Mann, der kein Zigeuner ist! Unglaublich! Wenn ich heirate einen Mann, der kein Roma ist, alle Roma schauen mich nicht auf der Straße. Sie schauen mit Augen auf den Boden, wenn ich komme. Na, jetzt mal andersrum. Du siehst aus wie ein Mädchen aus Deutschland. Kein Unterschied. Du lernst einen Jungen kennen. Ihr geht aus. Küsschen. Du magst ihn. Und dann sagt er, dass er kein Roma ist. Was machst du dann? Ich frage vorher, ob er Roma ist. Wenn er kein Roma ist, gehe ich nicht aus mit ihm! Nicht zu fassen! Okay, eine Frage noch: Du sagst mal ‘Roma’, mal ‘Zigeuner’. Wir Deutschen sollen nicht ‘Zigeuner’ sagen. ‘Zigeuner’ ist gut. Ich bin stolz, dass ich Zigeunerin bin! Alle Roma sind Zigeuner. Ich weiß nicht, warum nicht. Vielen Dank für das Gespräch, Lorena. Es hat Spaß gemacht! @martinredies INTERVIEW MIT FRANK KNOTT Wer ist Frank Knott? Ich bin 1967 geboren in Limburg an der Lahn. Bin sehr behütet aufgewachsen. Internatsausbildung. Ich habe Einzelhandelskaufmann gelernt. Schon vom Vater her, der auch Kaufmann war. Selbständig, zusammen mit meiner Mutter. Habe eine ganz normale Ausbildung gemacht. Danach habe alle möglichen Artikel im Kaufhaus mit Mikrophon verkauft. Vertreter? Nein, nein. Propagandist nennt sich das. Das habe ich lange Jahre gemacht. 2000 bin ich aus persönlichen Gründen für 5 Jahre nach Antwerpen gegangen und habe dort gelebt. Ich habe alles dabei gehabt: Ich war in den teuersten Hotels und habe auch im Auto geschlafen! Ende 2005 bin ich zurück nach Deutschland gekommen und habe Christina kennen gelernt. Wir haben uns ein Reisemobil gekauft und waren fast 2 Jahre unterwegs. Wir haben Uhren verkauft. Ich war Deutschlands verrücktester Uhrenhändler - Uhren für € 4,95 mit Batterie! Wir sind in ganz Deutschland von einem Markt zum anderen gefahren. Aber am Ende lief das Geschäft nicht mehr. Eine Pleite? Ja. Dazu kam ein Unfall mit dem Reisemobil. Wir hatten einen Riesenberg Schulden und kamen einfach nicht mehr hoch. Und mit irgendwas von € 2,49 sind wir dann zum Jobcenter gegangen: ‘Bitte helft uns! Wir fliegen aus der Wohnung. In ein paar Tagen stellen sie uns den Strom ab. Die Krankenversicherung können wir nicht mehr bezahlen.’ Wir mussten vom Jobcenter aus das Gewerbe abmelden. Ein tiefer Einschnitt Ja, wir waren absolut am Boden. Wir sind in ein tiefes Loch gefallen. Wir hatten und haben den normalen Hartz IV-Satz. Wir kamen mit dem Geld kaum zum Monatsende. Ich habe dann von ‘Bürger für Bürger’ gehört. Da sind wir dann hin. Ich war begeistert von dieser Institution. Dass hat mir direkt gefallen. Ich war erst als ehrenamtlicher Fahrer dort tätig und dann lange als Sozialberater. War der berühmte Ralf Karling also eine entscheidende Person in deinem Leben? Ja, er hat mir doch ein bisschen den Lebensmut wieder zurückgegeben. Kann man schon sagen, dass er mich wieder aufgebaut hat. Er hat mir das Gefühl gegeben, dass ich gebraucht wurde. Und das ist ja das: Menschen wollen gebraucht werden! Durch die Arbeit bei Bürger für Bürger Duisburg e.V. habe ich mein Lebensmut und mein Selbstvertrauen bzw Selbstachtung wieder gefunden. Gab es einen Punkt - einen ganz bestimmten Punkt in deinem Leben, wo du gesagt hast: ‘Jetzt bin ich sozial tätig. Kein Uhrenhändler mehr - das ist ab jetzt mein Leben!’ Kann ich nicht sagen. Ich bin reingewachsen. Also ganz konkret ... habe ich einen Tweet gelesen: Wir suchen Leute, die andere Menschen zu den Ämtern begleiten. Und irgendwie war ich dann sofort bei dem jetzigen Verein: ‘Die Mitläufer - Wir gehen mit’ sehr aktiv. Ich habe den Verein maßgeblich mit aufgebaut. Pro Tag habe ich bis zu 6 Begleitungen gemacht. Es gab sogar ein Bericht dazu in der WAZ über mich. Eigentlich vom ersten Tag an habe ich gesehen: Dieses Begleiten nützt allein nichts. Wir müssen den Leuten viel weiter helfen. Dadurch ist dann die Idee entstanden, dass wir eine Sozialberatung bei ‘Bürger für Bürger’ machen. Karling wieder Ja, es hat nur bei die räumlichen Gegebenheiten nicht funktioniert. Ich habe dann sehr schnell die Christina Worm - Rechtsanwältin aus Essen - kennen gelernt, die sich auch sehr stark sozial engagiert. Wir haben halt gesehen, wie riesig der Bedarf ist. So ist die Idee zu ‘Mensch ist Mensch e.V.’ entstanden. Ich hab beim Jobcenter immer Glück gehabt. Also nicht Glück, ich bin ja Verkäufer. So trete ich für mich beim Jobcenter auf. So trete ich für die Leute auf. Und so erreicht man bei den Behörden viel. Du hast also in dem Sinn nicht mit den Behörden kämpfen müssen? Nein, die Sachbearbeiter sind Menschen. Zu ihnen kommen genauso Menschen. Wenn man vernünftig miteinander umgeht, dann kommt man auch zu vernünftigen Lösungen. Wenn ich ins Internet gehe - die ganzen Hasser der Jobcenter! - das ist nicht der richtige Weg! SGB II ist ein Recht, aber ich kann nicht überzogene Forderungen stellen, und ich muss vernünftig mit den Sachbearbeitern umgehen! So etwas wie in Neuss und jetzt in Bad Pyrmont, wo ein Amtspsychologe getötet wurde, darf es nicht mehr geben! Haben die Behörden eine Mitschuld? Ich gebe nicht den Sachbearbeitern eine Schuld. Wenn man sieht: Ein Sachbearbeiter in der Leistungsabteilung wird eingestellt, um 150 Fälle zu bearbeiten. Realität liegt irgendwo zwischen 450 und 500. Es ist einfach zu wenig Personal da. Ich weiß aus persönlichen Gesprächen die Stimmung bei den Sachbearbeitern ist katastrophal. Sie kommen mit ihrer Arbeit nicht nach. Bekommen Druck von beiden Seiten. Von oben heißt es: Spare Geld ein! Und von unten verlangen die Betroffenen, dass sie ihr gutes Recht bekommen. Dann ein großes Problem: Zeitverträge! In dem Moment, wo sie unbefristet eingestellt werden müssten, werden sie entlassen. Das ist ein Wahnsinn! Mitarbeiter, die 2 x 2 Jahre eingearbeitet wurden, werden duch neue Kräfte ersetzt, die erstmal wieder ein halbes Jahr eingearbeitet werden müssen, bis es halbwegs funktioniert. Das ist absoluter Schwachsinn! 15 Wo steht der Verein ‘Mensch ist Mensch e. V.’ Weihnachten 2016? Ich hoffe erstmal, dass wir noch existieren. Nein, im Ernst, wir haben die Idee zu diesem Verein irgendwann im Mai gehabt. Dieses Büro haben wir geöffnet am 02-07. Wir haben jetzt ein top ausgerüstetes Büro. Durch eine große Spende haben wir auch ein gutes Auto - - Moment, ich rede von Weihnachten 2016. Welche Projekte hast du dann verwirklicht? Ich hoffe auf so viele Büros, dass wir zumindest Duisburg abdecken können. Nötig werden mindestens vier, wenn du die Zahl wissen willst. Ich hab die Idee, dass sich aus unserem Konzept noch andere Vereine gründen. Unser Konzept ist einmalig simpel und leicht umsetzbar. Ich hoffe, dass sich andere Ehrenamtler unsere Idee abkupfern und es selber in ihrer Stadt machen. Deutschlandweit? So ein Büro wie unseres wird überall gebraucht, wird in jeder Stadt gebraucht! @martinredies BETREUER UND BETREUTE Zu den Kunden aus alten ‘Bürger für Bürger’-Zeiten in Rheinhausen gehört Ralf. Er kommt schon mal auf einen Kaffee bei Christina vorbei. Dann sitzt er auf dem Sofa und raucht schwarze Zigarillos. Er ist eine körperlich imposante Erscheinung. Ich hätte vom Sehen nicht gedacht, dass er ein Leben mehrfach am Rande der Gesellschaft führt. Frank hat ihm in den letzten Tagen helfen müssen, weil ihm der Strom abgestellt wurde. So habe ich ein wenig über sein Leben erfahren und ein Gespräch mit ihm geführt. Das Interview Hallo, Ralf. Du willst nicht, dass ich deinen richtigen Namen nenne. Warum nicht? Es ist mein Leben. Ich will nicht, dass jemand da rein gezogen wird. Wenn ich Scheiße gebaut habe, dann ist das meine Scheiße. So denke ich. Okay, kein Foto, keinen Namen. Du bist vor einer Woche in unser Büro gekommen. Was war los? Ja, die Stadtwerke hatten mir den Strom abgestellt. Ich denk, ich dreh durch. Ich denk, das gibt’s nich’, als ich morgens aufgewach’. Ich wusste gleich, dass mein Betreuer Scheiße gebaut hat! [Frank 16 sagt, dass der Betreuer sich entschuldigt habe. Die Rechnung sei von ihm nicht bezahlt worden. Die Ankündigung der Stromabschaltung eine Woche vorher sei leider übersehen worden.] Du zahlst deinen Strom nicht selbst? Nein, ich bin in Betreuung. Normal seh’ ich keine Rechnung und nichts. Mit mir spricht keiner. Und ich erreich’ auch niemanden. Meinst du, ich hätte den Typ nicht angerufen!? Du bist dann zu uns gekommen. Ich kenn’ Frank von früher. Von Rheinhausen. Er hat das gleich geregelt mit den Stadtwerken. [Frank sagt, der Strom sei sofort wieder angeschaltet worden.] Mein Betreuer kriegt nichts gebacken. Und ich hör auch nichts von ihm. Ich krieg immer nur den Anrufbeantworter. Hast du eine Ahnung, woran es liegt? Der Typ nimmt Leute ohne Ende an. Kriegt für jeden Fall seine Extrakohle! Da kannst du eine Woche auf eine Sprechstunde warten! Ich meine, der ist ein Betreuer, kein Arzt oder so. [Frank erklärt, dass ein Betreuer für 2 Monate Fallbetreuung € 660,00 erhält.] Is’ ja toll! Nimmt die Kohle und dann vergisst er, mir den Strom zu bezahlen! Wie kam es zu der Betreuung? Das war, weil ich Depressionen hatte. Angstzustände. Da war ich zwei Monate stationär. Danach hab ich mir einen Betreuer gesucht. Der war in Ordnung. Ich hab Arbeit gekriegt. War ein ganz normales Umfeld. Dieser Betreuer hat seine Arbeit gemacht? Ja, der war total in Ordnung. Ich konnte den anrufen. Der war immer da. In der Eifel war das. Keine Ahnung, aber ich glaub, der hatte nicht so viele Fälle damals. War halt ruhiger. Wie ging es weiter? Ich kam in Langzeittherapie wegen Alkohol und Drogen. Ich bin dann Frührentner geworden, als ich raus war. Der Betreuer hat mir wieder geholfen. Der war immer da. War in Ordnung. Dann bin ich nach Duisburg gezogen. Konntest du dir den neuen Betreuer nicht aussuchen? Ich war in der Nach-Therapie. Kennst du das Haus XXX? Da hab ich gewohnt. Und diese Leute haben mir einen Betreuer besorgt. Die haben gesagt, der ist total in Ordnung. Dabei haben sie den Typ egalan-wen empfohlen. Keine Ahnung, was für einen Deal, die mit dem hatten. Da lief irgendwas. Und plötzlich sitzt du in der kalten Wohnung!? Nee, Mann, die Heizung lief noch! Strom war aus: Keine Dusche, Kühlschrank am Verschimmeln, kein Kaffee! Verstehe ... Nichts verstehst du, Mann! Da geh’ ich lieber in den Knast! In den Knast? Ja, Mann. Ich mach ein krummes Ding, um in den Knast zu kommen. Oder ich geh’ in die Forensik. Da kannst du wenigstens duschen. Scheiße, ich will duschen, verstehst du. Was Warmes essen. Ich hab mal ‘ne Tankstelle überfallen. Ein halbes Jahr duschen und essen. Ralf, ich dank dir für das Gespräch. Das ist eine fremde Welt für mich, sag ich ehrlich. Weiß keiner, wie das ist! [Frank sagt, dass er sich um eine neuen Betreuer kümmern werde. Es sei besser zu wechseln.] Der Frank ist okay. Foto: Jürgen Nießen / www.pixelio.de Eine Tankstelle überfallen? Wie damals. Frag den Frank. [Frank nickt.] ANKUNFTSGEBIETE – ORTE DER EINWANDERUNGSGESELLSCHAFT Seit der gestiegenen Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien in Zuge des EU-Beitritts beider Länder 2007 gibt es zunehmend Berichte aus den Stadtteilen, in die mittellose Neuzuwanderer besonders häufig ziehen. Duisburg-Hochfeld, die Dortmunder Nordstadt oder der Jungbusch in Mannheim sind solche Ankunftsgebiete. Die oft als anstrengend oder sogar gefährlich empfundenen Quartiere sind meist besser als ihr Ruf und erfüllen zugleich eine wichtige Funktion für unsere Gesellschaft, sie ermöglichen das Ankommen. Vor rund 40 Jahren waren es die verschiedenen Gastarbeitergruppen, die dort heimisch wurden. Heute kommen auch mittellose Rumänen und Bulgaren, von denen ein nicht genau zu bestimmender Teil der sehr heterogenen Minderheit der Roma angehört, hinzu. Ich möchte Sie einladen diese Gebiete nicht allein als Problemquartiere zu sehen, auch wenn der Alltag auch Konflikte mit sich bringen mag, sondern als Chancenräume. Dafür werfen wir einen Blick auf die fünf hauptsächlichen Eigenschaften von Ankunftsgebieten: Erstens sind solche Quartiere bereits vor der heutigen Zuwanderung aus dem Südosten der EU migrationsgeprägt. Duisburg-Marxloh ist ein solches Beispiel. Auch dort sind, im Rahmen der Gastarbeiteranwerbung und zum Teil auch bereits davor, Zuwanderer sesshaft geworden. Die lokale Bevölkerung kann besser mit sozialen Problemen und ethnischer Diversität umgehen als so mancher Villenvorort, auch weil eigene Migrationserfahrungen bestehen. Zweitens sind Ankunftsgebiete geprägt von einer hohen Fluktuation. Denn nicht alle, die jemals einem Ankunftsgebiet wohnten, bleiben dort. Es herrscht ein reges Kommen und Gehen, ein Zeichen für die Funktion solcher Quartiere. Denn dort wird, wenn alles gut läuft, ein sozialer Aufstieg erlebt. Wenn nicht selbst, dann jedoch in der nachkommenden Generation. Mit dem höheren (Bildungs) Status geht gleichzeitig ein erhöhtes Einkommen einher und so ist ein Umzug in eine „bessere Adresse“ möglich (alternativ wird Eigentum erworben). In der Stadtforschung wird das beschrieben durch die Umsetzung sozialer Distanz in räumliche Distanz. Drittens, und das geht auch mit der Migrationsgeschichte einher, gibt es eine länger ansässige Migrantenbevölkerung vor Ort, die den Neuankömmlingen erste Unterstützung anbietet, aber leider auch in kleinen Teilen von der Not profitiert. Die zahlreichen Medienberichte über überteuerte Matratzenschlafplätze sind ein negatives Zeichen solcher Beziehungen, die zahlreichen positiven Geschichten haben bislang leider nicht dasselbe Medienecho hervorgerufen. Der Vorteil der „Sockelbevölkerung“ sind Sprachkompetenzen, eigene Migrationserfahrungen und in Teilen auch religiös bedingte Solidarbeziehungen. Manchmal hilft es auch die Gepflogenheiten im neuen Land erklärt zu bekommen, wie die Ladenöffnungszeiten oder was ein Einwohnermeldeamt ist. Viertens gibt es in Ankunftsgebieten gehäuft migrationssensible Opportunitäten. Gemeint sind damit Geschäfte und 17 Dienstleistungen, die Neuzuwanderer besonders benötigen. Da Zuwanderung in der Regel aus wirtschaftlichen Motiven erfolgt, braucht es zum Beispiel die Möglichkeit, auch ohne Bankkonto, sicher Geld an Familienmitglieder in die kürzlich verlassene Heimat zu schicken. Aber auch Internetcafés oder Anbieter für günstiges internationales Telefonieren sind insbesondere für mittellose Neuzuwanderer wichtig, um mit den Familienmitgliedern in Kontakt zu bleiben. Fünftens gibt es dort einen Arbeitsmarkt für unqualifizierte Arbeitskräfte. Sicher sind die Arbeiten nicht immer legal und mit Arbeitsschutzregelungen vereinbar. Doch wenn im Herkunftsgebiet, zum Beispiel aufgrund von Diskriminierung, die Aussichten einen Job zu bekommen, mit dem die eigene Familie ernährt werden kann, gering sind, wirken auch prekäre Beschäftigungen auf den ersten Blick attraktiv. Für solche Arbeiten muss weder ein Ausbildungszeugnis vorliegen noch muss die deutsche Sprache beherrscht werden. Allerdings werden solche Hilfsarbeiten oftmals nur als Zwischenlösung akzeptiert und eher bessere Beschäftigungen gesucht, denn sie bergen auch das Risiko ausgenutzt zu werden. gangenen Jahren dazu entwickelt und die Realität ist manchmal schneller als die gesellschaftliche Akzeptanz. Zudem sind unsere Ankunftsgebiete ethnisch durchmischt. Die Schlüsse, die wir daraus ziehen, dass Stadtteile wie Hochfeld oder Marxloh Ankunftsgebiete sind, sehen vielfältig aus. Wichtig erscheint erst einmal, dass wir Ankunftsgebiete als solche akzeptieren und nicht versuchen einem sehr unklaren Ideal einer „gesunden Mischung“ überall hinterher zu eifern. Ohnehin ist die am stärksten segregierte Gruppe die der wohlhabenden und zumeist deutschen Bevölkerung. Viel eher sollten die Bemühungen darauf hinauslaufen, wie die Ankunfts- und Durchlauffunktion solcher Gebiete im positiven Sinne genutzt werden kann und sie nicht zu Sackgassen werden. Dass sich solche Ankunftsgebiete ausbilden, ist nichts Neues und ist in den USA seit fast 100 Jahren belegt. Monoethnische Quartiere wie China Town oder Little Sicily sind sogar Touristenattraktionen, wie z.B. in New York oder Melbourne zu sehen ist. Jedoch sind dies klassische Einwanderungsländer. Deutschland hat sich erst in den ver- Sebastian Kurtenbach M.A. Sozialwissenschaft Zentrum für interdisziplinäre Regionalforschung (ZEFIR) Im Lottental 38 44780 Bochum [email protected] HARTZ IV - DIE ANDERE SEITE Ich begleite nun wirklich viele Menschen zu den Ämtern, zu den verschiedenen Jobcentern in Duisburg. So nehme ich zwangsläufig immer die Perspektive der Betroffenen ein. Von ihnen aus ist Hartz IV ein Zwangssystem, gelebte Aussortierung von Menschen, Runterklassifizierung von Millionen Einzelschicksalen. Ich weiß nicht, was mich geritten hat, aber ich fand, dass 10 Jahre Hartz IV eine gute Gelegenheit wären, mal die andere Seite darauf anzusprechen. Vielleicht war es auch der Blick des Mitarbeiters. Jedenfalls war der Termin gut 18 verlaufen, und wir - der Mitläufer und der Mitarbeiter - kamen ins Gespräch. Eigentlich fing ich an zu reden, über Hartz IV - also 10 JAHRE Hartz IV. Als er nur müde abwinkte, und weil ich alles schon hundertmal gesagt hatte, ließ ich ihn reden. Nachfolgend ein Protokoll. So ist das Gespräch gelaufen. Es wurde nicht viel später niedergeschrieben. Dem Sinn nach ist alles korrekt wiedergegeben. Das Gespräch “Ich hab in den ganzen Jahren nicht einen Kunden gehabt, der sich dafür interessiert hat, wie ich mich fühle. Ich, der auf der anderen Seite vom Schreibtisch sitzt. Nicht einen Kunden. Nun, ich kann verstehen, dass die Leute kein großes Mitgefühl mit uns entwickeln. Die Leute kommen mit echten Sorgen, sie haben Angst, dass ich ihnen etwas wegnehme. Für sie bin ich die Macht, die Instanz. Sicherlich etwas Böses. Mit Sicherheit etwas Bedrohliches. Was ist ihnen denn geblieben!? Sie sehen in mir nicht den Guten - das ist wohl so!” Ich nicke. Nach meiner Erfahrung ist genau darum sinnvoll, in Begleitung zu kommen. Es kommt jemand, der zwischen den Polen Platz nimmt. Ohne viel zu sagen, ist die Stimmung eine andere. Und die Situation ist eigentlich sofort entspannt. Er schaut kurz zur Decke auf: “Wir kriegen Druck von beiden Seiten. Sie müssen sich vorstellen, dass es von oben nur darum geht, immer höhere Fallzahlen abzuwickeln. Und unten - von den Antragstellern her - geht es um die Betreuung. Und wir stecken dazwischen. Wir machen es den einen nicht gut, und den anderen auch nicht. Ich kann nur sagen: Die Stimmung ist richtig mies! Schauen Sie nicht nur auf die Wartehalle. Logisch, ich wäre auch mies drauf, wenn ich 2 Stunden auf eine Leistungsauskunft warten müsste! Wäre ich auch - und werde ich sein, wenn ich wieder anstehe! Aber die Stimmung ist überall in diesem Amt mies. Dieses ganze HartzI ist ein Zwangssystem, in dem wir alle miteinander drinstecken! Und ich sehe keinen, der damit glücklich ist!” “Wer weiß denn, dass ich selbst arbeitslos war? Wissen sie es?” sagt er. Ich verneine. In der Tat hielt ich ihn für einen städtischen Angestellten. Nicht gut gestellt, aber vom 16. bis zum 65. Lebensjahr unkündbar. Lebenslänglich freigestellt von der Leistungsgesellschaft. “Sehen sie!”, sagt er. “Bevor ich hierher kam, war ich in der Buchhaltung von XXX. Na, sie wissen vielleicht, dass wir vor ein paar Jahren fusioniert sind. Aber sie wissen vielleicht nicht, dass unsere gesamte Buchhaltung wegfunsioniert wurde. Dort habe ich meine Lehre gemacht! Ich war ein halbes Jahr - ein bisschen drüber - in ALG I und wäre unweigerlich in ALG II abgerutscht, wenn ich nicht diese Stelle bekommen hätte!” Ich war ehrlich verblüfft: Ein Arbeitsloser als Arbeitsvermittler!? Ob er ein Einzelfall sei, fragte ich. “Natürlich nicht - zwei meiner ehemaligen Kollegen sehe ich hier jeden Tag. Arbeitslose mit Büroerfahrung werden regelmäßig umgeschult. Und wir werden uns Ende des Jahres auf der anderen Seite des Schreibtisches wiederfinden, wenn nicht ein Wunder geschieht. Die Kollegen und ich haben die vier Jahre nämlich rum - so sieht es aus!” Von welchen vier Jahren er rede, frage ich. “Na, dann fang ich mal besser von vorne an: Nach der Arbeitslosigkeit haben wir erst einen Lehrgang gemacht - 3 Monate. Zum Arbeitsvermittler. Reicht nicht entfernt, aber dem Amt hat es gereicht. 2 Jahre den Job hier, dann 2 Jahre eine Verlängerung. Nach 4 Jahren müssten sie uns übernehmen. Das tun sie natürlich nicht. Statt Unkündbarkeit kommt die Entlassung. Und wieder kommen Neue in den Lehrgang. Und fangen an, sich einzuarbeiten.” Das sei doch völlig unökonomisch. Es brauche doch Zeit, bis jemand eingearbeitet sei. “Es braucht sicherlich ein Jahr. Mit einer gewissen Vorbildung kann sich der Mitarbeiter danach vernünftig um die Menschen kümmern.” Er lacht bitter. “Wenn es denn um Menschen ginge. Und nicht um Fallquoten, die zu erfüllen seien. Es weiß niemand, der das Amt nur von außen sieht. Es ist aber so: Offiziell hat jeder von uns 150 Fälle zu bearbeiten. Offiziell! Da aber 1/3 der Mitarbeiter krank geschrieben sind, 1/3 in Fortbildung ist, kommen auf jeden Mitarbeiter das Dreifache an Fällen. Also 450 pro Schreibtisch.” Er zeigt mit der Hand einen unsichtbaren Stapel, der sich auf dem Schreibtisch vor ihm auftürmt. Warum er das so mitmache, frage ich. Mir sei aufgefallen, wie schlecht die Abläufe organisiert seien, sage ich. Wie lang die Wartezeiten seien, dass die Daten nicht zusammengeführt würden, dass die Anträge unnötig kompliziert seien. Alles sei Handarbeit und endlose Warterei. Die Ämter seien - so mein Eindruck - nicht in unserer Zeit angekommen. Jedenfalls nicht die Ämter in Duisburg ... “Da kommt auch nichts. Vergiss es!” sagt er und ist bei einem freundlichen ‘Du’ angekommen. “Das ‘Hartz IV’ ist wie die Stadt. Und Duisburg ist runtergewirtschaftet. Schuldenspirale, eher ein Abgrund von Schulden. Nur das Land und der Bund könnten Mittel freigeben. Tun sie aber nicht. Das Land ist pleite, und der Bund spart. Das Amt hier in Duisburg ist 20 Jahre hinter einer modernen Verwaltung zurück. Und es wird auch so bleiben.” Er steht auf und reicht mir die Hand. “Der nächster Fall wartet”, sagt er entschuldigend. Er lächelt bitter: “Wir sehen uns Ende des Jahres auf der anderen Seite.” Frank Knott Dank an @martinredies, der mir beim Verfassen des Artikels geholfen hat. Bernd Kasper/www.pixelio.de 19 EIN ROMAMÄRCHEN, EINE ZIGEUNERPOESIE Die drei Schwestern Es ist sehr lange her, länger, als du dir vorstellen kannst, da gab es drei Schwestern, die einander sehr zugetan waren. Die Älteste war sehr schön und liebte es zu singen und zu tanzen. Die Mittlere war eine wunderbare Köchin. Die Jüngste aber war hässlich. Sie konnte nicht singen oder tanzen. Und kochen konnte sie überhaupt nicht. Sie wäre gern so schön gewesen wie ihre älteste Schwester und hätte so gern Topf für Topf der leckersten Gerichte gekocht wie ihre mittlere Schwester. Hallo, Ramira. Wie heißt deine Freundin? Sie ist Alexandra. Mögt ihr Märchen? Was ist ‘Märchen’? Es ist eine Geschichte, eine Poesie mit Hexen, Zauberern und natürlich Prinzessinnen. [Ich google den beiden die Bilder.] Wir mögen Prinzessinnen! Die Roma haben viele Märchen. Die Mütter erzählen sie, und die Großmütter haben sie von ihren Müttern gehört. Kann ich dein Handy zum Spielen haben? Später. Willst du ein Märchen hören? Ja, kennst du ein Märchen? Nein, ich weiß nur deutsche Märchen. Aber ich kenne eine Frau in Amerika. Sie heißt Qristina und ist eine Roma wie du. Weil sie so weit fortgegangen ist Amerika ist sehr weit weg - hat sie alle Märchen mitgenommen. In einem Koffer? 20 Nein, in ihrem Kopf. Alle Märchen, die sie jemals gehört hat! Sie ist in Amerika. Da kann sie uns kein Märchen erzählen. Sie schickt mir eine Mail. [Ramira überlegt.] Das ist wie Facebook. [Ramira nickt. Ihre Brüder haben Facebook.] Wann kommt das Märchen mit Facebook? Ich frage diese Frau. Kann ich jetzt dein Handy haben? Wie ein Wunder so schnell hat Qristina geantwortet. Sie schreibt: “Ich will Ramira sehr gerne ein Märchen erzählen. Ich habe es niedergeschrieben, wie es mir meine Tante Bibi Lemija vor langer Zeit erzählt hat. Ich hoffe, ich habe alles richtig im Gedächtnis behalten. Und ich hoffe, Ramira mag sie.” Eines Tages liefen die Leute am Eingang des Dorfes zusammen. Die Familien eilten aus ihren Häusern, ließen die Töpfe und Pfannen fallen und machten ihre Arbeit fertig, so schnell sie konnten. Keiner von ihnen konnte seinen Augen glauben, als sie vor sich einen sehr stattlichen, einen SEHR stattlichen Prinzen sahen, auf seinem sehr, SEHR stattlichen Pferd. Unsicher räusperte er sich , strich sein feines blaues Kleid glatt und sagte schließlich: “Ich bin hierher gekommen, weil mein treuer Diener mir berichtet hat, dass unter euch das schönste Mädchen der Welt lebt. Und ich will, dass sie meine Frau wird. Ich frage wieder in sieben Tagen. Schickt mir von euch das schönste Mädchen, aber wählt klug.” Die Roma des Dorfes sahen einander an, die Münder standen ihnen offen. Sie konnten nicht glauben, was er gesagt hatte. Sie bemerkten nicht einmal, wie der Prinzen den Berg wieder hinunter ritt. Mit einem Mal sprach eine liebliche Stimme: “Gut, ihr wisst alle, wer das schönste Mädchen hier ist!” Natürlich war es Luli, die älteste Schwester. Sie stand im Kreis der Leute und strich über ihre langen geflochtenen Haare. Sie strich über ihre bunten Kleider und lächelte jeden von ihnen an. “Ich bin so schön - schöner noch als der Mond!” rief sie. Jedermann nickte. “Ja, Luli! Du bist wahrhaft schön. Du sollst mit dem Prinzen gehen!” Die mittlere Schwester, Maudlina, begann zu weinen. Sie wollte nicht, dass ihre älteste Schwester ausgewählt wurde. “Mich solltet ihr wählen!” rief sie. “Ich mag ein wenig dicklich sein und nicht so schön, aber niemand kann wie ich kochen, sauber machen und nähen im ganzen Dorf!” Als sie gesprochen hatte, zeigte sie auf all die schönen Kleider, die sie genäht hatte, auf all die Bäuche, die dick geworden waren von ihrem guten Essen. Die Leute vom Dorf sahen einander an. “Recht hast du, Maudlina. Gäbe es eine bessere Wahl für den Prinzen als dich?” Nun war es an der jüngsten Tochter, hervorzutreten. “Nicht Maudlina solltet ihr schicken”, rief sie. “Mich solltet ihr schicken!” Daraufhin lachten die Leute. Manche hatten Tränen in den Augen, so mussten sie lachen. “Dich schicken?” Sie prusteten. “Dich? Warum sollten wir dich schicken?”, fragten sie. “Du bist so hässlich und so unnütz, dass der Prinz verärgert sein wird und dich zurückschickt!” “Meine Schwester Luli ist sehr schön”, rief Kali, die dritte der Schwestern. “Sie ist die Schönste im Dorf. Aber wenn ihr sie fortschickt, werden eure Kinder alle so hässlich sein wie ich. Maudlina ist nicht sehr schön, aber wenn ihr sie fortschickt - wer wird sich hier nützlich machen. Wer wird die Kleider flicken. Wer wird euer Essen kochen? Ich bin hässlich und kann nichts. Niemand bemerkt mich, niemand wird mich vermissen, nicht mal mein eigener Vater.” Daraufhin begannen die Roma zu überlegen. Einige schlugen vor, dass Luli gehen solle, andere waren für Kali. Sie redeten und redeten, bis es dunkel geworden war und sie kein Feuer und kein Essen gemacht hatten. “Savorre! Everyone!” rief Baba Jesenja, die älteste und klügste Frau des Dorfes. “Da ihr euch nicht entscheiden könnt, sollten wir den Prinzen in sieben Tagen fragen!” Und so beschlossen sie, dass jede der Schwestern für eine Woche mit ihm gehen solle. Und nach einem Monat solle der Prinz selbst entscheiden, welche der Schwestern er zur Frau nehmen wolle. Jeden Tag pflegte sich Luli, die älteste Schwester. Sie brachte Stunden vor dem zerbrochenen Spiegel ihrer Tante zu. Sie cremte ihre Haut und bürstete ihr Haar, den ganzen Tag. Die mittlere Schwester, Maudlina, kochte wunderbare Gerichte und fertigte die schönsten Kleider für den Prinzen. Sie verbrauchte das Fleisch, die ganzen Lebensmittel und die Stoffvorräte, die das Dorf besaß. So war nichts übrig für die Festtage und die kommenden Wintermonate. Was tat Kali? Nun, da sie nicht schön war, warf sie nicht einmal einen Blick in den Spiegel. Und da sie weder kochen noch nähen konnte, machte sie auch keine Gerichte und Kleider für den Prinzen. Sie sah aber, dass die Schwestern ihre Pflichten vergessen hatte. So tanzte und sang sie für die Älteren, auch wenn sie dabei stolperte und ihre Stimme piepsig und peinlich war. Sie kochte und gab Essen aus. Sie bemühte sich die Löcher zu flicken in den Hemden der Männer und in den Kleidern der Frauen. Nach sieben Tagen kehrte der Prinz zurück, wie versprochen. “Habt ihr eine Frau für mich ausgesucht?” fragte er in den Kreis der Dorfleute. Baba Jesenja schlürfte nach vorne. “Herr Prinz, ihnen zu Gefallen sind wir zu einer Entscheidung gekommen!” Viele Leute ermunterten sie, während sie sprach. Sie klatschten in die Hände. “Gut, Mutterchen, teile mir die Entscheidung mit. Ich bin ungeduldig meine Frau zu treffen!” Während die alte Frau ihm die Entscheidung des Dorfes erklärte, begann er sich zu ärgern. Dann aber lachte er. “So werde ich also drei Wochen mit drei verschiedenen Frauen zubringen?”, fragte er. “Ich bin durch mein ganzes Königreich gereist und zum Schluss komme ich zu euch, um mir eine Frau zu suchen, und ihr gebt mir drei! Zeigt mir die Frauen!” Als erste trat Luli nach vorne. Ihr Gesicht war glatt und schön. Ihr schwarzes Haar fiel ihr wie ein Fluß der Rücken herunter. Der Prinz war stumm vor Erstaunen und verbeugte sich tief. Als Maudlina vor trat, warf der Prinz der Baba Jesenja einen verwunderten Blick zu. Als aber Maudlina ihm ihre wunderbaren Gerichte und Kleider darbot, verbeugte sich der Prinz auch vor ihr. Als aber Kali vor trat, stand dem Prinz der Mund offen, so überrascht war er. Dann begann er zu lachen: “Also, Großmutter, sogar du bist schöner als dieses schwarze Etwas. Bist du sicher, dass es keine anderen Frauen gibt?” Baba Jesenja schüttelte den Kopf. Der Prinz schaute auf den Boden statt sich zu verbeugen. Es wurde schnell entschieden, dass Luli den Prinzen zuerst besuchen solle. Als die beiden das Dorf verließen, waren alle aufgeregt. Nach einer Woche kehrte der Prinz mit Luli zurück. Obwohl sein Pferd immer noch sehr, SEHR stattlich war, sah er müde aus, zerzaust und eingefallen. “Was ist falsch gelaufen?” fragte Balo, der Vater der drei Schwestern, in Sorge. “Gefällt sie dir nicht?” “Dieses Mädchen ist von keinem Nutzen!” Der Prinz spuckte auf den Boden. 21 Der Prinz lachte. “Lass dir gesagt sein, Balo, warum ich deine anderen Töchter nicht wollte. Luli ist eitel und verbringt die meiste Zeit damit, sich selbst zu betrachten. Sie tanzt und singt, damit andere ihr sagen, wie schön sie ist. Auch Maudlina ist hübsch genug, aber sie ist voller Eigennutz. Sie kocht und näht, um andere für sich einzunehmen.” Während er sprach, weinten die beiden Schwestern. “Eure Tocher Kali aber”, fuhr er fort, “unternimmt alles, um anderen zu helfen. Obwohl sie nicht tanzen kann, schritt sie und drehte sie sich für meine alte Mutter. Obwohl sie nicht singen kann, brachte sie den Kindern meiner Schwestern Heldenlieder bei. Und obwohl sie nicht kochen und nähen kann, half sie aus, ohne dass sie gefragt wurde.” “Sie kann nicht kochen, sie kann nicht nähen. Sie kann nichts als trällern wie ein Vogel und sich um sich selbst drehen. Ich gebe sie gerne zurück. Vielleicht findet sich jemand, der ihr zeigt, wie sie sich nützlich machen kann.” Und so nahm sich der Prinz Maudlina und ritt davon in einer Wolke aus Staub. Wieder vergingen sieben Tage und wieder kehrte der Prinz zurück. Diesmal stand sein Kleid am Bauch offen und sein Gesicht war rundlich geworden. Und wieder kam Balo und fragte: “Woran fehlte es dieses Mal, mein Herr?” “Warum sind deine Töchter so eigennützig?” verlangte der Prinz zu wissen. “Sie kochte unsere knappen Lebensmittel auf und ließ nichts übrig für die kommenden Jahreszeiten. Sie brauchte all meine Stoffe auf, um neue Kleider für sich selbst und ihre neuen Vorhänge im Palast zu nähen. Nun bin ich fett und habe keinen Stoff für neue Kleider.” Als er die traurig ausschauende Maudlina vom Pferd stieß, begann sie zu weinen. 22 “Tut mir leid, aber du kannst nicht meinen Frau werden”, sagte er. “Ich weiß, dass es dich traurig macht.” “Nein!”, schrie sie. “Ich bin nicht traurig, weil du mich nicht heiratest, sondern weil meine schönes neues Kleid nach Pferd riecht und voller Schmutz ist!” Mit diesen Worten stampfte sie ärgerlich davon. Nun nahm der Prinz Kali auf und ritt schnell wieder davon. Das Dorf wartete. Es wurde erwartet, dass der Prinz zurückkommen würde, noch aufgebrachter und ärgerlicher als zuvor. Jeder wusste, dass Kali hässlich war und nutzlos. Als der Prinz nach sieben Tagen aber in das Dorf ritt, strahlte er vor Stolz und Glück. “Seht meine neue Braut!”, rief er und zeigte auf Kali. Balo konnte es nicht glauben. “Warte, warte. Lügst du mich an? Wie kannst du diese hässliche, nutzlose Hexe wählen und meine wunderschöne Tochter und meine übernützliche Tochter zurückschicken?” Balo war sprachlos. Im ganzen Dorf ließen sie beschämt die Köpfe hängen, weil sie geglaubt hatten, dass nur Luli schön, und nur Maudlina nützlich war. An Kali hatten sie nur bemerkt, welche Dinge sie nicht konnte. Nun aber saß sie bei einem sehr, SEHR stattlicher Prinz auf, der auf einem sehr, SEHR stattlichen Pferd geritten kam. Und sie sah sehr, SEHR schön aus. Ihre Haut war glatt und weich, ihre Kleider waren wunderbar genäht. Da wussten alle Männer und Frauen mit einem Mal, dass Kali schön war, weil sie ein gute Herz hatte. Aber bevor sie sich bei ihr entschuldigen konnten, war der Prinz bereits aus dem Dorf geritten. Sofort gingen Luli und Maudlina los, um die alte Frau zu suchen. Sehr ärgerlich, dass sie allen drei Schwester eine gleiche Möglichkeit vor dem Prinzen gegeben hatte; ärgerlich, dass ihre hässliche, nutzlose Schwester nun eine wunderschöne Prinzessin war. Jede von ihnen dachte, dass sie die Richtige gewesen wäre. Als sie aber an Baba Jesenjas Haus kamen, fanden sie es leer. Nichts war von ihr geblieben als ein Häuflein goldener Federn und ein einzelner goldener Zahn. Foto Prinz: Dieter Schütz/ www.pixelio.de DIE REALITÄT DER GELEBTEN AUSLÄNDERFREUNDLICHKEIT „Die Ausländer bekommen im Gegensatz zu den Deutschen Alles“. „Armutseinwanderer sind Flüchtlinge zweiter Klasse und wollen nur unser Geld“. Solche Sätze bekomme ich häufig zu hören. Zunächst möchte ich festhalten, dass ich jeden verstehen kann, der aus Armut flüchtet. Wenn meine Kinder verhungern, gehe ich auch dorthin, wo ich mir ein besseres Leben erhoffe. Die Realität sieht dann leider häufig anders aus: Ausgrenzung ist das, was den Roma am häufigsten entgegenschlägt. Ich möchte hier erläutern, wie die Kommunen mit den eingewanderten Roma umgehen. Wobei der Umgang inzwischen nicht nur Roma betrifft, sondern auch Rumänen und Bulgaren, da hier kein Unterschied zwischen den Bevölkerungsgruppen durch die Kommunen mehr gemacht wird. Die Jobcenter sollen das Existenzminimum sichern. Das der Regelsatz zu niedrig ist, ist Tatsache, soll aber hier nicht weiter erörtert werden. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts ist klar, das Ausländer nicht von vornherein einen Anspruch auf ALG 2 haben. Ohne Arbeitsstelle gibt es keine Hilfe. Ab wann der Arbeitnehmerstatus genau gegeben ist, wurde nicht festgestellt. Es reicht allerdings ein 450 EUR Vertrag aus. Viele Verträge werden allerdings oft unter fadenscheinigen Gründen zunächst angezweifelt. Die Roma bekommen weiterhin kein Geld und müssen um ihr Recht kämpfen. Das wiederum fällt schwer ohne große Kenntnisse der Sprache und ohne Geld. Wird ALG 2 abgelehnt, wird die Ablehnung sofort dem Ordnungsamt gemeldet. Dies führt postwendend zur Ausreiseverfügung. Daher wird zunächst versucht, den Kindergeldanspruch geltend zu machen. Auch bei der Familienkasse wird oft versucht, die Roma von den Leistungen fern zu halten. Ohne gesetzliche Grundlage werden vor Zahlung des Kindergeldes Mitverträge, Nachweise über Stromzahlungen, Nachweise über Einkommen, Kinderarzt- und Kindergartenbescheinigungen gefordert. Man beachte, dass es in Deutschland keine Kindergartenpflicht gibt. Allein hieran sieht man den Unsinn dieser Nachweise. Die Nachweise werden übrigens nicht von Deutschen verlangt. Auch das Gewerbeamt verlangt teilweise Nachweise, die die Deutschen nicht einreichen müssen. So wird bei Roma nach den Auftraggebern oder dem Vorhandensein eines Autos gefragt. So verständlich die Zurückhaltung bei den Zahlungen ist: Die Behörden handeln hier oftmals außerhalb der rechtlichen Grenzen. Natürlich gibt es Missbrauch. Dies ist allerdings keine Besonderheit die auf der Herkunft beruht. Lügner und Betrüger gibt es in jeder Bevölkerungsgruppe, auch unter Deutschen. Bei der Vorgehensweise der Behörden bekommt man allerdings den Eindruck, dass es hier um einen Generalverdacht handelt. Eine Einzelfallbetrachtung findet ohne rechtliche Hilfe nicht statt. Wenn hier Jemand versucht sich ein redliches Leben aufzubauen, sei es Bulgare, Rumäne, Italiener, Spanier oder Roma, so sind wir in der Verpflichtung zu helfen. So lange jedenfalls selbst die staatlichen Organe derart agieren, brauchen wir uns über PEGIDA und Co. nicht zu wundern. 23 WER SIND WIR? Was können Sie tun? Seit Eröffnung des Büros werden wir praktisch überrannt. Derzeit wenden sich pro Woche 120 bis 150 hilfesuchende Menschen mit ihren Problemen an uns. Wir benötigen dringend ehrenamtliche Helfer. Wir benötigen hilfsbereite Menschen, die bereit sind, Beistandsuchende zu den Ämtern zu begleiten. Auch wenn das Büro von einem in Duisburg ansässigen Unternehmer gratis zur Verfügung gestellt wird, auch wenn alle Helfer rein ehrenamtlich helfen, benötigen wir finanzielle Mittel. Wir sind eine Gruppe von Menschen, die sich zu dem Verein - Mensch ist Mensch e.V. - zusammengeschlossen haben. Die Gründungsmitglieder kommen aus allen Bevölkerungsschichten. Dabei sind unter anderem eine Landtagsabgeordnete, ein Berufssoldat, eine Rechtsanwältin neben selbständigen Unternehmern und ALG2-Beziehern. Seit dem 07.07.2014 befindet sich unser Büro in Duisburg-Hochfeld - Hochfeldstr. 34. Was wollen wir? Wir helfen Menschen, die Probleme haben. Zu uns kommen: ▪▪ Menschen, die Probleme mit den verschiedenen Ämtern haben wie z.B. Jobcenter, Ausländeramt, Sozialamt und Jugendamt, ▪▪ Menschen, die Probleme mit ihren Vermietern oder Energieversorgern haben, ▪▪ Menschen, die Probleme mit Rechnungen und Gläubigern haben, ▪▪ Menschen, die Probleme mit der Staatsanwaltschaft haben, ▪▪ Menschen mit Suchtproblemen, Menschen mit psychologischen Problemen. Was leisten wir? ▪▪ Wir verstehen uns als “Erste Hilfe” und “Feuerwehr”! ▪▪ Wir versuchen den Zugang zur unserer Hilfe so niederschwellig wie möglich zu gestalten. Während der Büro-Öffnungszeiten kann jeder Mensch frei zu uns kommen. Dolmetscher für Romanes, Rumänisch, Bulgarisch, Türkisch sind entweder vor Ort oder können via Telefon hinzugezogen werden. ▪▪ Wir haben ständig jemanden vor Ort, der mit den Betroffenen Anträge ausfüllt und Briefe formuliert. ▪▪ Wir arbeiten mit Rechtsanwälten zusammen, die zum Beispiel für die hilfesuchenden Menschen gratis Rechtsberatung anbieten, und da, wo es nötig ist, die Mandantschaft übernehmen. ▪▪ Durch den Kontakt zu anderen Organisationen, Vereinen, Ämtern oder Ärzten, durch eine starke Präsenz in den verschiedenen sozialen Medien wie Facebook und Twitter gelingt es uns fast immer, für den Betroffenen schnell Hilfe zu organisieren. ▪▪ Wo es nötig ist, begleiten wir die Menschen zu den Ämtern. ▪▪ Unsere Hilfe ist für die Betroffenen immer kostenfrei! Dafür haben wir ein Spendenkonto eingerichtet: Mensch ist Mensch e.V. Volksbank Rhein-Ruhr eG Iban : DE06350603861260770006 Bic: GENODED1VRR Sie können auch via PAYPAL oder Betterplace.org an uns spenden. Benutzen Sie dafür die Symbole auf unserer Webseite: www.menschistmensch.de. Wir sind beim Finanzamt Duisburg als mildtätig anerkannt und können über jede Zuwendung eine absetzbare Spendenquittung ausstellen. Jeder Euro, den Sie erübrigen können, hilft uns ein offensichtlich dringend notwendiges Projekt zum Erhalt des sozialen Friedens in unserer Stadt anbieten zu können. Daher unser dringender Appell an Sie: Unterstützen Sie uns und damit die Schwächsten in unser Gesellschaft. Frank Knott 1. Vorsitzender Verein Mensch ist Mensch e.V..
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