Neugeborenen-Versorgung - Rettungsdienst

Kindernotfälle - von der Geburt bis zur
Traumaversorgung
Teil 1
Dr. Manuel Wilhelm
ÄL Neonatologie & Kinderintensiv
LNA Main-Kinzig-Kreis
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Häufigkeit der Geburt im Rettungsdienst
Ca. 0.1 - 0.4 % aller Geburten finden präklinisch statt
Beispiel Main-Kinzig-Kreis (2010):
Klinikum Hanau
922
St. Vinzenz Hanau
891
MK-Kliniken Gelnhausen
1434
_________________________
~ 3300 Geburten / Jahr
~ 5 präklinische Geburten / Jahr
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Mortalität
4
Häufigkeit von Erstversorgungsmaßnahmen
Maßnahme
Häufigkeit
Häufigkeit in %
Evaluation des
Neugeborenen
Immer
100
Warmhalten, Abtrocknen,
Lagern
Immer
100
Stimulation, Neutralposition des Kopfes, ggf.
Absaugen
Selten
< 10
Bedarfsweise
Selten
< 10
Selten
< 10
Sehr selten
<1
Herzdruckmassage
Extrem selten
0,12
Adrenalin-Gabe
Extrem selten
0,12
Sauerstoffgabe
Assistierte Beatmung
Intubation
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Geburt
Geburt ist ein physiologischer (= normaler) Vorgang,
kein primärer Notfall !
Die Anpassung von intra- zu extrauterinem Leben
verläuft nicht schlagartig, sondern braucht Zeit !
Wichtigstes Ziel ist es, dem Patienten nicht
zu schaden !
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Definitionen
Frühgeborenes
< 37. SSW
Reifes Neugeborenes
37. – 42. SSW
Übertragenes Neugeborenes
> 42. SSW
Neugeborenes
< 28. Lebenstag
Säugling
> 28. Lebenstag bis 1. Geburtstag
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Definitionen
Frühgeborenes
< 37. SSW
Reifes Neugeborenes
37. – 42. SSW
Übertragenes Neugeborenes
> 42. SSW
LBW
< 2500g
VLBW
< 1500g
ELBW
< 1000g
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Definitionen
Hypotroph = „zu klein“
Eutroph = „normal“
Hypertroph = „zu groß“
Frühgeborenes
< 37. SSW
Reifes Neugeborenes
37. – 42. SSW
Übertragenes Neugeborenes
> 42. SSW
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Perinatale Anamnese
- Schwangerschaftswoche ?
- Einling – Mehrlinge ?
- Vorerkrankungen (Diabetes, Bluthochdruck) ?
- Medikamente / Drogen / Nikotin ?
- Infektionshinweise (Fieber, grünes Fruchtwasser) ?
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Perinatale Anamnese
ET = „Errechneter Termin“ = 40 + 0 SSW
- Schwangerschaftswoche ?
- Einling – Mehrlinge ?
- Vorerkrankungen (Diabetes, Bluthochdruck) ?
- Medikamente / Drogen / Nikotin ?
- Infektionshinweise (Fieber, grünes Fruchtwasser) ?
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Vorbereitung
Umgebung:
- Warm (25°
°C), keine Zugluft
- gut beleuchtete Arbeitsfläche
- Equipment vorbereitet
Klinik !
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Vorbereitung
Umgebung:
- Warm (25°
°C), keine Zugluft ?
- gut beleuchtete Arbeitsfläche ?
- Equipment vorbereitet
Präklinik !
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Vorbereitung
Equipment:
- Warme (Hand-)tücher, ggf. sterilen Plastikbeutel, Mütze
- Nabelklemmen, sterile Schere / Skalpell
- Absaugpumpe (Sog 0.2 bar)
- dünner Absauger (z.B. Schwarz / Ch 8)
- Baby-Beutel mit PEEP-Ventil und Reservoir, Maske 0 / 00
- Pulsoxymetrie, Sauerstoff
In Ausnahmefällen:
Intubationszubehör, Adrenalin
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Erstversorgung
Evaluation
Atmung
Puls
Kolorit
Muskeltonus
Kräftiges Schreien? Atemfrequenz? seitengleiche Thoraxexkursion? Einziehungen ?
Path. Atemmuster (z.B. Stöhnen)?
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Erstversorgung
Evaluation
Atmung
Puls
Palpation an der Nabelschnurbasis, ggf. Auskultation
HF > 100/min?
Kolorit
Muskeltonus
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Erstversorgung
Evaluation
Atmung
Puls
Kolorit
Muskeltonus
Zentral rosig? Zyanotisch? Weiß? Rekapillarisierungs-Zeit?
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Erstversorgung
Evaluation
Atmung
Puls
Kolorit
Muskeltonus
Vorhandene Spontanmotorik? Hypotonie? Beugetonus?
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Erstversorgung
Evaluation
Atmung
30 sec !
Gruppe 1 „Gesund“
Schreit kräftig, HF > 100/min,
rasch rosig, gute Spontanmotorik
Schonende
Erstversorgung
Puls
Kolorit
Gruppe 2 „Hilfsbedürftig“
Muskeltonus
Unregelmäßige Spontanatmung,
HF ~ 100/min, persistierende
Zyanose, wenig Spontanmotorik
Gruppe 3 „Reanimationspflichtig“
Keine Spontanatmung, HF < 100/min,
zyanotisch oder weiß, schlaffer
Muskeltonus
Erweiterte
Massnahmen der
Erstversorgung
Reanimation gemäß
ERC-Leitlinie 2010
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Virginia Apgar
1953
APGAR-Score
0
1
2
Atmung
keine
unregelmäßig
Schreien, gute
Spontanatmung
Puls
kein
< 100/min
> 100/min
Grundtonus
schlaff
Leichte Beugung
Normale
Spontanmotorik
Aussehen
Blau oder weiß
Akrozyanose
Vollständig rosig
Reflexe beim
Absaugen
Keine Reaktion
Grimassieren
Husten, Niesen
0 - 10 Punkte möglich, aber geringe
Praktikabilität & Bedeutung!
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Erstversorgung
Lagerung / Abnabeln
- Lagerung auf / leicht unter Plazenta-Niveau
- Verzögertes Abnabeln (frühestens nach 1 min)
- Nabelschnur mit zwei Klemmen ca. 2-3 cm über Bauchdecke abklemmen
- Nabelschnur zwischen den beiden Klemmen durchtrennen
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Erstversorgung
Stimulation
- Kurze taktile Stimulation kann die Atmung
anregen
- Hilfreich ist sanftes Reiben von Rücken,
Extremitäten oder Fußsohlen
- Keine Schmerzreize setzen!
- Eine persistierende Apnoe erfordert die
Beatmung, nicht eine weitere oder verstärkte
Stimulation !
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Erstversorgung
Mögliche Intervention
Wärmeerhalt
Konvektion = „Wärmeströmung“
Vermeidung von Zugluft, warmes Zudecken
Radiation =
Vorgewärmter Raum, Zudecken
„Strahlung“
Evaporation = „Verdunstung“
Abtrocknen oder Plastikbeutel; Mützchen
Konduktion = „Wärmeleitung“
Vorgewärmte Unterlage
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Erstversorgung
Wärmeerhalt
- „Känguruing“ verhindert effektiv Wärmeverluste bei Früh- und Neugeborenen,
Atmung und Kreislauf sind stabiler als im
(Transport-) Inkubator!
- Standardisierte
„Känguru-Transporte“
sind möglich, bei uns aber bisher noch
nicht erprobt
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Erstversorgung
Wärmeerhalt
- Alternativ besteht die
Möglichkeit des
Inkubatortransportes
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Erstversorgung
Absaugen
- Kein routinemäßiges Absaugen!
- Nur bei Atemwegsverlegung durch
Blut / Fruchtwasser
- „Mund vor Nase“ absaugen, kurz und
vorsichtig!
- Starker Vagusreiz, parallel Pulstasten
am Nabel
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Erstversorgung
Pulsoxymetrie
Physiologische Kreislaufumstellung
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Erstversorgung
Pulsoxymetrie
Messung immer
präduktal, also
am rechten Arm !
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Erstversorgung
Pulsoxymetrie
- Intrauterin liegt eine Sauerstoffsättigung von 50-60 % vor
- Ca. 10 min postnatal sollte eine SPO2 90 % vorliegen
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Reanimation
ERC-Leitlinie 2010
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Reanimation
Airway
- Kopf in Neutral- oder „Schnüffel-Position“
- ggf. kleine Rolle unter den Schultern
- ggf. Güdeltubus verwenden
- Absaugen nur bei Bedarf !
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Reanimation
Breathing
Technik & Atemphysiologie
- primär mind. 30 sek. beatmen
- Inspirationszeit ca. 1 sec, Frequenz 30/min
- evt. 2 x Blähen mit verlängerter Inspirationszeit
- Sauerstoffgabe nur unter Sättigungsmonitoring
- entscheidend ist die rasche Etablierung einer
ausreichenden funktionellen Residualkapazität (FRC)
unbedingt PEEP-Ventil verwenden!
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Reanimation
Breathing
Beutel-Masken-Beatmung
- Mit (runder) Maske Mund und Nase
abdichten
- Kopfposition beachten
(„Schnüffelstellung“)
- Kontrolle der Thoraxexkursion
- Am Beatmungsbeutel
„1 Finger pro Kilogramm“
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Reanimation
Primäre
Tubuswahl
Breathing
Intubation
- Primär nur durch den Erfahrenen, aber auch sehr
selten erforderlich!
- möglichst großen Tubus verwenden (kein Cuff!)
- geraden Spatel verwenden
- ein kleiner Teil des schwarzen Tubusanteils sollte
noch außerhalb der Stimmbänder zu sehen sein
NG 3.5er
FG 3.0er
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Reanimation
Breathing
Intubation
Kontrolle der Tubuslage:
- Seitengleiches Heben des Brustkorbes
- Seitengleiches Atemgeräusch
- Kapnographie (!!!)
- Im Zweifel: erneute Laryngoskopie!
Alternativen:
Larynxtubus / -maske
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Reanimation
Breathing
Sauerstoff
Raumluft
- Sauerstoff führt zur Bildung von schädlichen freien Radikalen
- Sauerstoff vermindert die zerebrale Durchblutung
- Die Reanimation mit Raumluft ist genauso erfolgreich, hat aber weniger
Folgeschäden
Beginn der Reanimation primär unter Raumluft,
ggf. Sauerstoffzufuhr unter Sättigungsmessung !
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Reanimation
Circulation
- Unteres Brustbeindrittel / knapp unterhalb
der Intermamillarlinie
- Kompression um ca. 1/3 des Thoraxdurchmessers
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Reanimation
Circulation
- Verhältnis 3:1 (HDM : Beatmung)
- 90 Kompressionen + 30 Beatmungen /min
„1 und 2 und 3 und atmen!“
Die Herzdruckmassage wird nur bei
adäquater Beatmung zum Erfolg führen !
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Reanimation
Drugs
Bei Herzfrequenz < 60/min trotz adäquater
Beatmung und Herzdruckmassage
Adrenalin 10 (-30) µg/kg
Verdünnung 1:10000
0,1 ml/kg i.v. / i.o
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Reanimation
Drugs
- ggf. Volumenbolus mit NaCl 0.9 %
10 ml/kg
Bei: reduzierter Mikrozirkulation, Blutverlust, schwerer
Anpassungsstörung oder Reanimation. Darf bei
ausbleibender Besserung zweimal wiederholt werden!
- KEIN Natriumbikarbonat, Atropin, Narcanti, Arterenol,
Glukoselösung, etc. etc. … …
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Reanimation
Drugs
Zugangswege: - intravenös
peripher venös
Nabelvenenkatheter
- intraossär
- intratracheal
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Reanimation
Drugs
Nabelvenenkatheter:
- Nabelbändchen knapp oberhalb des
Hautnabels
- Nabelrest bis ca. 2 cm oberhalb des
Bändchens kürzen
- Katheter 5-6 cm in das weite Lumen der
Nabelvene schieben
- Bei sicherer Blutaspiration
festziehen
- FERTIG !
Bändchen
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Reanimation
Drugs
Intraossärer Zugang:
- Einfach, schnell und effektiv!
- Mit EZ-IO auch bei Neugeborenen möglich
- Nadel sollte auch ohne Fixierung fest stecken
- Eine rasch zunehmende Schwellung zeigt
eine Fehllage der Kanüle an
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Reanimation
ERC-Leitlinie 2010
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Reanimation
ERC-Leitlinie 2010
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Reanimation
Bei Fragen / Problemen / notwendiger Hilfe:
Notfalltelefon Neo-Intensivstation: 06051 / 87-2571
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Reanimation
Ethik:
Der Beginn und das Ende eine Reanimation sind je nach
Umständen abzuwägen:
- Extreme Frühgeburtlichkeit?
- Schwere Fehlbildungen?
- Bek. Trisomie 13 oder 18 ?
- Reanimationsdauer > 15-20 min ?
Im Zweifel: Fortsetzen der Reanimation
bis zum Eintreffen eines Pädiaters !
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Sonderfall: Mekoniumaspiration
- In der Klinik eine absolute Seltenheit, präklinisch maximal
unwahrscheinlich!
- Bei Vorliegen von dick-grünem Fruchtwasser und apnoeischem
Kind ist die Maskenbeatmung kontraindiziert!
- Kinder ohne Spontanatmung müssen vor der Beatmung primär
intubiert und intratracheal abgesaugt werden!
- KEINE präklinische Lavage!
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Sonderfall: Überlebte Reanimation
- Infusion mit Glukose 10 %
3 ml/kg/h
- BZ- / Temperaturkontrolle
- Hypothermie ist in der Neonatologie inzwischen der
„Goldstandard“ nach Reanimation, aber:
Beginn nur nach definierten Kriterien und innerklinisch !
- KEINE Hyperthermie !
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Und sonst noch…
Erstuntersuchung
Bei guten Umgebungsbedingungen und stabilem Kind:
Durchführung einer gründlichen Erstuntersuchung !
- Auskultation Herz & Lunge
- Untersuchung auf mögliche Fehlbildungen
- Untersuchung auf geburtstraumatische Schädigungen
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Erwarten Sie keine Dankbarkeit von Ihrem Patienten !
Dr. Manuel Wilhelm
Ärztlicher Leiter / Neonatologie
Kinderklinik Gelnhausen
Vielen Dank !