Nachrichten Magazin der Akademie für Raumforschung und Landesplanung Stadt der Zukunft Trends und Perspektiven 1/2015 45. Jahrgang Leben in der Stadt der Zukunft Sebastian Lentz, Stefan Siedentop Armutswanderung und Reichtumswanderung – eine Herausforderung für Deutschlands Städte Christian Ude Zukunft des Wohnens in unseren Städten Ralf Zimmer-Hegmann „Wir brauchen kontextsensiblere Gentrification-Forschung“ Interview mit Matthias Bernt Gemeinsam statt einsam: Wohnprojekte in Leipzig Interview mit Karin Wiest www.arl-net.de 0_Umschlag-1_2015.indd 1 AKADEMIE FÜR RAUMFORSCHUNG UND LANDESPLANUNG LE IB NIZ -FORUM FÜR RAUMWISSEN SCHAFTEN 15.04.2015 14:42:27 Basiswissen in einem Band für Praxis, Wissenschaft und Studium Unentbehrlich – Eigenes Wissen aktualisieren Die veränderten Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft machen eine kritische Reflexion und Aktualisierung des eigenen Wissens in der raumbezogenen Forschung und Planung erforderlich. AKADEMIE FÜR RAUMFORSCHUNG UND LANDESPLANUNG LEIBNIZ-FORUM FÜR RAUMWISSENSCHAFTEN Hintergründig – Neue Blickwinkel kennenlernen Ein aktuelles Grundlagenwerk, das Raumordnung und Raumentwicklung aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, Hintergrundinformationen übersichtlich aufarbeitet, auf das Verhältnis von Politik und Planung eingeht und Grenzen der Planung thematisiert. Ausführlich – Hochwertige Inhalte entdecken Die Nutzung des Internets hat das Fachbuch nicht verdrängt! Seine große Stärke sind redaktionell abgesicherte Beiträge und hochwertige Inhalte. Der Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse und die Essenz langjähriger Praxiserfahrung kommen in kompakter Form zusammen. s i e r P r e Neu ,- € 29 Inhalt 0 Zur Rolle der Raumplanung in der Gesellschaft 1 Raumplanung unter veränderten Verhältnissen 2 Geschichte der Raumordnung 3 Konzepte und Inhalte der Raumordnung 4 Methoden der Raumplanung 5 Rechtlicher und institutioneller Rahmen der Raumplanung 6 Programme, Pläne und Verfahren der Raumplanung 7 Verwirklichung und Sicherung der Raumordnung 8 Umsetzung der Raumplanung 9 Ausgewählte Spannungsfelder der Raumentwicklung 10 Raumplanung in und mit europäischen Nachbarländern Vielfältig – Raumrelevante Fragen ergründen Basiswissen für Praxis und Wissenschaft, Studium und Lehre, Verwaltung und Politik und für alle, die sich für Raumentwicklung interessieren. 877 Seiten mit zahlreichen Abbildungen und Tabellen Hannover 2011 ISBN 978-3-88838-554-4 Bestellen: shop.arl-net.de Redaktionsausschuss unter der Leitung von Klaus Borchard: Werner Buchner, Werner Müller, Axel Priebs, Dietmar Scholich, Manfred Sinz, Peter Müller INHALT Inhalt Editorial 3 Gabriele Schmidt Aktuell 4 Gabriele Schmidt Die Stadt von morgen Aktivitäten der ARL im Wissenschaftsjahr 2015 Thema 6 Sebastian Lentz, Stefan Siedentop Leben in der Stadt der Zukunft Miteinander, bezahlbar und grün? 27 Florian Weber Zur Zukunft der Großschutzgebiete 30 Gabriele Schmidt Wissenschaft zum Mitmachen 32 Andreas Klee 87. Mitgliederversammlung der ARL 35 Andreas Klee Kuratorium bringt Satzungsänderung auf den Weg 36 Klaus J. Beckmann Evaluierung der ARL 37 Neuerscheinungen 38 Personen 9 Christian Ude Armutswanderung und Reichtumswanderung – eine Herausforderung für Deutschlands Städte 40 Nachlese 12 Ralf Zimmer-Hegmann Zukunft des Wohnens in unseren Städten Aus Raumforschung und -planung 16 „Wir brauchen kontextsensiblere Gentrification- Forschung“ Interview mit Matthias Bernt 41 Clemens Deilmann, Andreas Blum Einfamilienhaus in der Krise? 20 Gemeinsam statt einsam: Wohnprojekte in Leipzig Interview mit Karin Wiest Aus der ARL 23 ARL-Kongress 2015 Migration, Integration: Herausforderungen für die räumliche Planung 25 Christian Strauß, Thomas Weith Raumbezogene Governance internationaler Zuwanderung? 42 Tanja Ernst Im Dialog mit der Politik 43 Sara Reimann Die „selbstgemachte Stadt“ 45 Gabriele Schmidt Forschungsperspektiven für die Raumplanung 40 Jahre IRPUD 47 Förderkreis für Raum- und Umweltforschung 48 Ausgewählte Zeitschriftenbeiträge 53 Neuerscheinungen aus anderen Verlagen Nachrichten der ARL • 1/2015 1_Inhalt-Kurzprofil_1-2015(S01-02).indd 1 I 15.04.2015 14:44:02 KURZPROFIL / IMPRESSUM AKADEMIE FÜR RAUMFORSCHUNG UND LANDESPLANUNG Über die ARL LEIBNIZ-FORUM FÜR RAUMWISSENSCHAFTEN Die Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) – LeibnizForum für Raumwissenschaften ist eine selbstständige und unabhängige außeruniversitäre raumwissenschaftliche Forschungseinrichtung. Seit ihrer Gründung im Jahr 1946 versteht sich die ARL als Forum und Kompetenzzentrum für die Erforschung räumlicher Strukturen und Entwicklungen, ihrer Ursachen und Wirkungen sowie ihrer politisch-planerischen Steuerungsmöglichkeiten. Der Fokus liegt auf den für eine nachhaltige Entwicklung bedeutsamen Bereichen Wirtschaft, Soziales, Ökologie und Kultur sowie deren Wechselwirkungen untereinander. Die Arbeit der ARL ist durch eine ganzheitliche, integrative und zukunftsorientierte Perspektive auf komplexe raumbezogene gesell- Impressum schaftliche Herausforderungen gekennzeichnet. Die Zielsetzung der Akademie besteht darin, ein Verständnis für aktuelle räumliche Entwicklungen und Strukturen zu gewinnen, Probleme der Raumentwicklung zu identifizieren, eigene Forschungsfragen zu formulieren sowie Anregungen für Forschungen an anderen Orten zu geben. Auf der Basis eigener Forschungsergebnisse und Erkenntnissen Dritter sollen tragfähige Problemlösungsansätze für die Zukunft erarbeitet und zielgruppenspezifisch adressiert werden. Die ARL ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts mit Sitz in Hannover. Aufseiten des Landes Niedersachsen ist das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur für die ARL, aufseiten des Bundes ist das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur zuständig. Die ARL ist in ihrer Funktion und Form einzigartig, von überregionaler Bedeutung und gesamtstaatlichem wissenschaftspolitischem Interesse. Sie ist seit 1995 Mitglied der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e. V. (LeibnizGemeinschaft). Die Besonderheit wie auch das Alleinstellungsmerkmal der ARL ist das Zusammenwirken von ehrenamtlich tätigen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis in den Arbeitsgremien der ARL. Nähere Informationen über die ARL finden Sie unter www.arl-net.de. NACHRICHTEN DER ARL Herausgeber: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL®) Leibniz-Forum für Raumwissenschaften Hohenzollernstraße 11, 30161 Hannover Tel.: +49 511 34842-0 Fax: +49 511 34842-41 [email protected] www.arl-net.de Redaktion: Dr. Gabriele Schmidt (V. i. S. d. P.) Die Nachrichten der ARL erscheinen viermal im Jahr. Nachdruck mit Quellenangabe gestattet. Heft 1, April 2015, 45. Jahrgang Auflage: 2700 ISSN 1612-3891 (Printausgabe) ISSN 1612-3905 (Internetausgabe) Lektorat: Cornelia Maria Hein Satz / Layout: Oliver Rose Cover: pixabay Druck: BenatzkyMünstermann GmbH & Co. KG, 30559 Hannover II 1/2015 • Nachrichten der ARL 1_Inhalt-Kurzprofil_1-2015(S01-02).indd 2 15.04.2015 14:44:02 EDITORIAL Editorial Liebe Leserinnen und Leser, Städte sind seit jeher Zentren der Entwicklung und des Fortschritts, in ökonomischer wie auch in soziokultureller Hinsicht. Zugleich zeigen sich gesellschaftliche Herausforderungen und Probleme in Städten besonders deutlich. Ob Klimawandel, Energieversorgung, umweltfreundliche Mobilität oder bezahlbares Wohnen: Wer nachhaltige Lebensweisen verwirklichen will, muss die Städte dafür gewinnen. Wie können Städte die zum Teil widerstreitenden Anforderungen einlösen? Können sie zugleich innovativ, sozial und grün sein? Diese Fragen standen im Zentrum des diesjährigen Raumwissenschaftlichen Kolloquiums am 19. Februar in Mannheim, das vom 5R-Netzwerk der raumwissenschaftlichen Leibniz-Einrichtungen (ARL, IfL, IÖR, IRS und das ILS als assoziiertes Mitglied) anlässlich der Eröffnung des Wissenschaftsjahres 2015 „Zukunftsstadt“ organisiert wurde. Wir widmen den Themenschwerpunkt dieser ARL-Nachrichten der Veranstaltung, weil wir die anregenden Vorträge und Diskussionen einem größeren Kreis zugänglich machen möchten. Die Beiträge beschäftigen sich insbesondere mit folgenden Fragen: Welche Möglichkeiten hat die Raumwissenschaft, die Entwicklung von Städten vorherzusagen? Wo liegen ihre Grenzen? Ist es sinnvoll, an alten Planungsstrategien festzuhalten? Und welche Prozesse verändern aktuell das Zusammenleben in der Stadt? Welche Impulse kann die Planung setzen? Den Einstieg in die Debatte geben Prof. Dr. Sebastian Lentz, Direktor des Leibniz-Instituts für Länderkunde (IfL), und Prof. Dr.-Ing. Stefan Siedentop, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS). Lentz und Siedentop diskutieren in ihrem Beitrag die Komplexität des Konstruktes „Stadt“ sowie die Möglichkeiten und Grenzen der Raumforschung, die zukünftige Entwicklung von Städten vorherzusagen. Dabei wird eines deutlich: Eine „Blaupause“ der Zukunftsstadt gibt es nicht. Um die unterschiedlichen Herausforderungen der Städte zu bewältigen, braucht es eine Vielzahl von Zukunftsentwürfen. Christian Ude, ehemaliger Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München, setzt sich mit den Folgen von Armuts- und Reichtumswanderungen in die Städte auseinander. In der emotional aufgeladenen Zuwanderungsdebatte gingen allzu oft Differenzierungen zwischen den Migrationsbewegungen verloren, was dazu führe, dass häufig nur die Armutswanderung, selten jedoch die Folgen der Reichtumswanderung politisch thematisiert würden. Dabei berge insbesondere die „Flucht ins Betongold“ große Risiken für den sozialen Zusammenhalt in den Städten. Ralf Zimmer-Hegmann, Leiter der Forschungsgruppe „Sozialraum Stadt“ am ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung in Dortmund, beleuchtet die Ursachen für die wieder verstärkte Wohnungsnachfrage und zeigt die Folgen für die Stadtentwicklung und das soziale Zusammenleben in den Städten. Die Gleichzeitigkeit von Wachstum und Schrumpfung, Dynamik und Stagnation führe zu einer fortschreitenden Polarisierung in den Städten. Zimmer-Hegmann diskutiert in seinem Beitrag, welche Steuerungsinstrumente der Stadtpolitik zur Verfügung stehen, um diesen Prozessen entgegenzuwirken. Dr. Matthias Bernt, Senior Researcher am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturforschung (IRS), erläutert im Interview, warum die gängigen Modelle zur Erklärung und Vorhersage von Gentrifizierungsprozessen lückenhaft und wenig verallgemeinerbar sind. Er kritisiert, dass die Wohnungspolitik bislang in den Gentrification-Theorien wenig berücksichtigt wurde. Am Beispiel von Berlin und London zeigt er den Einfluss der Wohnungspolitik auf die Verdrängung einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen. Im Interview mit Dr. Karin Wiest, Projektleiterin am Leibniz-Institut für Länderkunde, wird deutlich, warum alternative Wohnformen insbesondere in Leipzig einen Aufschwung erleben und was die großen Wohngenossenschaften von den neuen alternativen Wohnprojekten lernen können. Einen Einblick in die neuen Projekte der ARL im Rahmen des Wissenschaftsjahres „Zukunftsstadt“ geben wir in der Rubrik „Aktuell“. Und schließlich finden Sie, wie gewohnt, Neuigkeiten aus dem Netzwerk der Akademie und aus anderen Einrichtungen der Raumforschung und -planung in den Rubriken „Aus der ARL“ und „Aus Raumforschung und -planung“. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre! Gabriele Schmidt Stabsstelle Wissenschaftskommunikation 0511 348 42-56 [email protected] Nachrichten der ARL • 1/2015 2_Editorial_1-2015(S03).indd 3 3 15.04.2015 14:40:11 AKTUELL Die Stadt von morgen Aktivitäten der ARL im Wissenschaftsjahr 2015 Zukunftsstadt Die Stadt war schon immer Inspirationsquelle für Utopien gesellschaftlichen Lebens. Ob Howards Gartenstadt, Le Corbusiers futuristisch anmutende Wohntürme oder die künstlichen Inseln der Waterfront City Dubai: Stets werden Architektur und Städtebau mit bestimmten Vorstellungen von Gesellschaft verbunden. Die Stadt der Zukunft ist eine Art Glücksversprechen, eine Antwort auf die Frage: Wie wollen wir leben? Auch im aktuellen Wissenschaftsjahr dreht sich alles darum, wie wir uns das Leben in der Stadt von morgen vorstellen. Projektideen und Utopien hierzu gibt es genug: In der „Smart City“ geht es z. B. um Möglichkeiten, durch den Einsatz intelligenter Technologien Städte effizienter, nachhaltiger und lebenswerter zu machen. So sollen beispielsweise intelligente Verkehrsleitsysteme dazu beitragen, Staus zu vermeiden, und Häuser sollen zu Energieproduzenten umgestaltet werden. Andere Ansätze wie z. B. die Urban-Gardening-Bewegung oder die aus Italien stammende Slow-Food-Bewegung setzen auf eine nachhaltige Produktion von Lebensmitteln und auf regionale Wirtschaftskreisläufe. Hintergrund der erneuten Suche nach der Zukunftsstadt sind die enormen Herausforderungen, vor denen Städte stehen: Der Zuzug in die Großstädte ist ungebremst, im Jahr 2030 werden weltweit voraussichtlich zwei Drittel der Menschen in Städten leben. Städte verursachen etwa 75 Prozent des Energieverbrauchs und 80 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen. Die Weichen für den Klimawandel müssen deswegen in den Städten gestellt werden. Zugleich gewinnt die „soziale Frage“ erneut an Bedeutung. Bereits seit Jahren warnen Stadtsoziologen vor einer wachsenden sozialräumlichen Polarisierung. Angesichts anhaltender Flüchtlingsbewegungen in die Städte, kommunaler Haushaltsengpässe, steigender Mietpreise und der zunehmenden Verdrängung einkommensschwacher Bevölkerungsschichten an die Stadtränder gewinnen diese Warnungen an Brisanz. Die Stadt von morgen – eine sozial gespaltene Stadt? 4 Das Wissenschaftsjahr: Die Stadt von morgen heute gestalten Ziel des Wissenschaftsjahres ist es, zur aktiven Mitgestaltung der Stadt anzuregen. Es bietet bereits bestehenden Projekten und Initiativen eine Plattform, um ihr Wissen und ihre Ideen einem breiten Publikum zu präsentieren. Zudem macht es deutlich, wie sich bereits jetzt der urbane Alltag durch Lösungsansätze aus der Forschung gestalten lässt. Den Auftakt zum Wissenschaftsjahr bildete die Forschungsagenda der „Nationalen Plattform Zukunftsstadt“, an der Experten aus der ARL aktiv mitgewirkt haben. Diese von vier Ministerien angestoßene strategische Forschungs- und Innovationsagenda wurde von Repräsentanten aus den Kommunen, der Wirtschaft und Wissenschaft sowie der Zivilgesellschaft gemeinsam erarbeitet und am 19. Februar öffentlich präsentiert. Ihre Vision ist die CO2-neutrale, energie- und ressourceneffiziente, klimaangepasste, wandlungsfähige, lebenswerte und sozial inklusive Stadt.1 Welche Rahmenbedingungen dafür geschaffen und welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, lässt sich in der Forschungs- und Innovationsagenda nachlesen. Das Wissenschaftsjahr will jedoch mehr, als eine Agenda verabschieden. Es möchte für Forschung begeistern und Akteure aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen zusammenbringen, um Kompetenzen zu bündeln und gemeinsam die Stadt von morgen lokal zu gestalten. Brücken zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit sollen gebaut werden, indem Forschung in Dialogveranstaltungen, interaktiven Ausstellungen, Mitmachprojekten und Citizen-Science-Projekten erfahrbar wird. Die ARL begrüßt diesen partizipativen Ansatz und möchte ihn aktiv mitgestalten. Deshalb haben wir zwei größere Projekte auf den Weg gebracht. 1 Vgl. Beckmann, Klaus J.: „Nationale Plattform Zukunftsstadt“ – eine vielversprechende Initiative. ARL-Nachrichten Heft 1/2014, Seite 4 - 7. 1/2015 • Nachrichten der ARL 3_Aktuell_1-2015(S04-05).indd 4 15.04.2015 14:45:34 AKTUELL Die ARL auf der MS Wissenschaft Das als Ausstellungsschiff umgebaute Binnenfrachtschiff „MS Wissenschaft“ ist im Rahmen des Wissenschaftsjahres als schwimmendes Science Center quer durch Deutschland unterwegs. Die Tour beginnt am 15. April in Dresden und endet Mitte September in Nürnberg. An Bord zeigen rund 30 Forschungseinrichtungen ganz praktisch und zum Ausprobieren, wie die Forschung eine nachhaltige Entwicklung der Stadt ermöglicht. Die ARL präsentiert sich mit einem interaktiven Monitor zu den Infrastrukturkosten des demografischen Wandels in Niedersachsen. Er wurde in Kooperation mit der Universität Göttingen, Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und Mittelstandsforschung, entwickelt. Die Besucher erfahren in anschaulichen Stadtportraits, wie sich einzelne Orte in Niedersachsen im Zuge des demografischen Wandels verändert haben und welche Chancen und Probleme sich daraus ergeben. Darüber hinaus können sie sich für verschiedene Kommunen in Niedersachsen berechnen und in Grafiken anzeigen lassen, wie sich die Bevölkerungsstruktur und die Kosten für die vorhandenen Infrastrukturen entwickelt haben bzw. in Zukunft entwickeln werden. Unter dem Motto „Forscher sind die Experten, Kinder sind die Zukunft“ hat die ARL gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), Erkner, ein Blog-Projekt ins Leben gerufen. In Kooperation mit Schulen im jeweiligen lokalen Umfeld kommen Wissenschaftler mit Schülern zu drängenden Fragen der Stadtentwicklung ins Gespräch und begeistern sie für die Stadt- und Raumforschung. Die Schüler haben im Vorfeld eine Liste mit Themen erhalten, zu denen sie sich in Kleingruppen mit den Wissenschaftlern austauschen und so einen Einblick in die wissenschaftliche Arbeit erhalten können. Auf der Grundlage dieses Gesprächs erstellt jede Schülergruppe anschließend einen kurzen Text, der durch Audio- und Videomaterial kreativ ergänzt wird. Die Endprodukte werden anschließend auf der Online-Plattform „Hypotheses“ als Blog hochgeladen und über Social-Media-Kanäle verbreitet. Der interessanteste und kreativste Schülerbeitrag gewinnt einen Preis. Ziel des Blog-Projekts ist eine direkte, dialogische und themenzentrierte Kommunikation zwischen den Forschungseinrichtungen und der Öffentlichkeit, die gegenüber klassischer Pressearbeit einen echten Mehrwert aufweist. Wir sind gespannt auf die Beiträge der Schüler und werden ein „Best of“ in den kommenden Ausgaben der „Nachrichten“ präsentieren. Gabriele Schmidt 0511 34842-56 [email protected] © T.Gabriel/WiD Neben der kostenfreien Ausstellung, die sich insbesondere an Schulen, Jugendliche und Familien richtet, gibt es an Bord auch regelmäßig Filmabende und Diskussionsveranstaltungen. Auch hieran beteiligt sich die ARL: In Kooperation mit dem Bürgerbüro Stadtentwicklung in Hannover (bbs) und der Initiative Wissenschaft im Dialog (WID) veranstalten wir Ende Mai in Hannover einen Diskussionsabend an Deck der MS Wissenschaft. Blog-Projekt „Leben in der Stadt der Zukunft“ Die MS Wissenschaft im Wissenschaftsjahr 2015 – Zukunftsstadt Nachrichten der ARL • 1/2015 3_Aktuell_1-2015(S04-05).indd 5 5 15.04.2015 14:45:35 THEMA Leben in der Stadt der Zukunft Miteinander, bezahlbar und grün? I n diesem Jahr thematisiert das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) initiierte Wissenschaftsjahr die „Zukunft der Stadt“. Es geht um die Frage, wie Wissenschaft und Forschung die Entwicklung zukunftsfähiger Städte unterstützen und wie wissenschaftliche Erkenntnisse für das politische und zivilgesellschaftliche Handeln nutzbar werden können. Ausgangspunkt ist die Erwartung, dass Städte ökologisch, sozial und ökonomisch Vorreiter für eine nachhaltige und zukunftsorientierte Entwicklung sein können, ja sein müssen. Die aus politischer wie gesellschaftlicher Sicht wünschenswerten Konturen einer Stadt der Zukunft zeichnen sich durchaus ab. Präferiert wird eine kompakte und urbane, aber auch eine grüne Stadt, eine Stadt, die ressourceneffizient, aber für ihre Bewohnerinnen und Bewohner auch bezahlbar ist. Betont wird die Bedeutung von Kreativität, wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten und ökonomischer Prosperität, ohne dabei Ziele von Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Solidarität zu relativieren. „Smart Cities“ versprechen Effizienz- und Komfortgewinne, zugleich wird vor den Risiken von Big Data, Überwachung und Bevormundung durch den Staat oder multinationale Unternehmen gewarnt. Schließlich soll die Stadt der Zukunft offen sein für baulich Neues, sie soll aber auch Historisches bewahren, sie soll risikovorsorgend und resilient sein. Ob und wie eine solche Stadt entstehen kann und welche Beiträge die Forschung hierzu leisten kann, war Gegenstand des Raumwissenschaftlichen Kolloquiums, welches das „5R-Netzwerk“ der raumwissenschaftlichen Institute der Leibniz-Gemeinschaft (ARL, IfL, IÖR, IRS sowie das assoziierte ILS) am 19. Februar 2015 – genau dem Tag, an dem das Wissenschaftsjahr offiziell eingeläutet wurde – in Mannheim veranstaltet hat. Auf der gut besuchten Tagung haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der fünf Institute mit geladenen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis diskutiert, welche Herausforderungen in den nächsten Jahren auf die Städte zukommen werden und wie sich ökologische, ökonomische und soziale Anliegen der Stadtentwicklung unter veränderten Rahmenbedingungen vereinbaren lassen. Beiträge der Raumwissenschaften zur Zukunftsstadt Es ist ein grundlegender Anspruch der Raumwissenschaften, aufbauend auf einem theoretischen Verständnis der Zusammenhänge zwischen wirtschaftlichen, 6 soziodemografischen, ökologischen und politischinstitutionellen Faktoren räumlicher Entwicklung, Aussagen über die Zukünfte des Städtischen zu treffen. Evidenzbasierte Forschung kann auf absehbare Entwicklungen hinweisen, sie kann die möglichen Folgen politischen Handelns aufzeigen, auf Zielkonflikte aufmerksam machen und so Entscheidungsgrundlagen für eine zukunftsfähige Stadt- und Raumentwicklung bereitstellen. Niemals erheben die Raumwissenschaften aber einen Anspruch auf Zukunftsvorhersage. Mit der Stadt ist es wie mit dem Wetter: Was morgen oder übermorgen geschieht, ist greifbar, aber Entwicklungen mit einem Zeithorizont von 20 oder gar 50 Jahren sind zum großen Teil unbekanntes Terrain. Eine prädiktive, universell gültige Theorie, mit der zukünftige urbane Entwicklungen in ihrer sektoralen und räumlichen Vielschichtigkeit vorhergesagt werden können, wird es niemals geben. Sicher, in baulich-physischer Hinsicht wird zu Recht darauf verwiesen, dass die Stadt des Jahres 2050 zu über 80 % bereits heute existiert. Das materielle Substrat einer Stadt ist langlebig und so wird die europäische Stadt ihr bauliches Erscheinungsbild in den kommenden 100 Jahren nur geringfügig verändern. Dieser eher statischen Natur des Städtischen stehen äußerst dynamische ökonomische und soziale Entwicklungen gegenüber. Aus dieser Perspektive lässt sich Stadtentwicklung nur als stetiger Wandlungsprozess, als permanente, sich eher noch beschleunigende Veränderung begreifen. Die in zeitlicher wie räumlicher Hinsicht enge Abfolge und Nachbarschaft von Wachstum und Schrumpfung, von Aufwertung und Destabilisierung, von Konvergenz und Polarisierung kennzeichnet die Raum- und Stadtentwicklung im postindustriellen Zeitalter mehr noch als in früheren Epochen. Im 21. Jahrhundert agieren die Akteure aus Politik und Planung mehr denn je unter Bedingungen von Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit: Wer hätte beispielsweise Mitte der 1990er Jahre vorauszusagen gewagt, welche enormen Bevölkerungszuwächse seit der Jahrtausendwende auf viele deutsche Großstädte zukommen? Wer kann heute die Entwicklung der internationalen Migration als Zuwanderung in die Metropolregionen und ihre urbanen Kerne abschätzen? Wer sieht sich in der Lage, den Auf- und Abstieg von Branchen mitsamt der damit verbundenen Beschäftigungseffekte längerfristig zu prognostizieren? Nur beispielhaft sei auf den jüngsten Boom der Software-Industrie in 1/2015 • Nachrichten der ARL 4_Thema_1-2015(S06-22).indd 6 15.04.2015 14:48:11 © pixabay THEMA Berlin oder den massiven Verlust von Arbeitsplätzen in der Solarindustrie in Teilen Ostdeutschlands verwiesen. Wer hätte die Folgen einer Technologie wie des Frackings für die globalen Energiemärkte – und infolge des Preisverfalls für fossile Brennstoffe mittelbar auch für die Raumentwicklung – vorhersehen können? Wer kann heute absehen, wie soziale Netzwerke, die Share Economy oder das autonome Autofahren das Arbeiten, Wohnen oder die Mobilität der Zukunft verändern werden? Wissenschaft kann dies nicht und wird dies auch in Zukunft – trotz der sich stetig verbessernden (sektoralen) Prognose- und Modellierungskompetenzen – nicht können. Das ist keine Kapitulation, wohl aber eine Anerkennung der ungeheuren Komplexität des Erkenntnisgegenstandes „Stadt“. Zu Recht gelten Metropolregionen und Großstädte als die komplexesten Systeme, die Menschen je erschaffen haben. Herausforderungen für die Stadt der Zukunft Jenseits des Anspruchs auf Zukunftsvorhersage lassen sich aber einige Eckpunkte zukünftiger Raum- und Stadtentwicklung benennen, die Ausgangspunkt einer gesellschaftlichen Debatte um die Zukunftsstadt sein können. So kann es als sicher gelten, dass Metropolregionen auch in Zukunft die Hauptträger von Innovationsprozessen und wirtschaftlichem Wachstum sein werden. Verbunden ist dies mit einer konflikthaften Restrukturierung der binnenräumlichen Organisation metropolitan geprägter Räume. Kennzeichnend sind dabei ein funktionaler wie politischer Emanzipationsprozess suburbaner Räume von der früheren Dominanz der Kernstädte, die Entstehung einer polyzentrischen Raumstruktur wie auch eine neue ökonomische, soziale und kulturelle Dynamik vieler traditioneller Zentren. Die sog. Reurbanisierung gilt inzwischen als ein internationales Phänomen. In vielen Metropolen des globalen Nordens wird von baulichen Aufwertungsprozessen der städtischen Zentren und einer Rückkehr der Mittelschicht in die innenstadtnahen Wohngebiete berichtet – in Chicago ebenso wie in Melbourne, Zürich oder Berlin. Verbunden ist dies mit äußerst konfliktreichen sozialräumlichen Prozessen, was die vielerorts aufflammenden Debatten um die Verdrängung einkommensschwächerer Haushalte und das „Recht auf Stadt“ unterstreichen. Mit der weiteren räumlichen Konzentration des ökonomischen Potenzials und veränderten Wohnstandortpräferenzen bestimmter Bevölkerungsgruppen werden sich Nutzungskonflikte in Metropolregionen weiter verschärfen. Ökonomische und soziale Polarisierungs- und Fragmentierungsprozesse werden auf verschiedenen Maßstabsebenen (Quartiere, Städte, Regionen) anhalten und sich möglicherweise sogar weiter verstärken. Die Politik gerät verschärft unter Druck, über die Einführung oder Modifizierung alter und neuer Instrumente einer sozial orientierten Boden-, Liegenschafts- und Wohnungspolitik nachzudenken. Gleiches gilt für die zukünftige Ausrichtung einer teils wettbewerblich, teils ausgleichend angelegten Strukturund Regionalentwicklungspolitik. Der verschärfte Wachstumsdruck trifft vielerorts aber auf eine Situation, in der die einfacher mobilisierbaren Wachstumspotenziale wie brachgefallene Industrie-, Bahn- oder Militärflächen weitgehend erschöpft zu sein scheinen. Es gilt daher nachzudenken über noch bestehende, aber auch neue und wenig erprobte Möglichkeiten des Verdichtens und Wachsens: die Umnutzung von Büroimmobilien für Wohnzwecke, die funktionale Anreicherung von randstädtischen Büro- oder Einzelhandelsstandorten, höhere Dichten im Bestand der Wohn- und Mischgebiete („Wohnen im Hochhaus“), in Einzelfällen auch die Enttabuisierung des Bauens im streng geschützten Außenbereich der Städte. Wachstum heißt dabei stets Veränderung, und dies stellt mehr denn je die Frage nach der Akzeptanz von Stadtplanung in der Bürgerschaft und den Möglichkeiten und Grenzen einer aktivierenden und partizipativen Planungskultur. Da es Bevölkerungs- und Unternehmenswanderungen sind, welche die demografische und ökonomische Dynamik der räumlichen Entwicklung im Kern ausmachen, bedeutet Bevölkerungswachstum des einen Raumes häufig Schrumpfung des anderen. In den vergangenen Jahren wurden immer mehr Regionen und Städte in Deutschland von Bevölkerungs- und Beschäftigungsverlusten erfasst. Neben den Fragen nach nachhaltigen Formen städtischen Wachstums sind auch solche nach einer qualitätsbewahrenden Schrumpfung zu beantworten. Wie sich eine den negativen demografischen und wirtschaftlichen Entwicklungsbedingungen anpassende Stadtentwicklung vollziehen kann, welche neuen Governance-Struktu- Nachrichten der ARL • 1/2015 4_Thema_1-2015(S06-22).indd 7 7 15.04.2015 14:48:12 THEMA ren, Instrumente, Planungs- und Partizipationskulturen dies voraussetzt, ist Gegenstand eines noch lange nicht abgeschlossenen Diskurses in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Beides, die Bewältigung von Wachstum und Schrumpfung, steht in Zukunft verstärkt unter dem Vorbehalt der Erreichung der legitimen wie radikalen Ziele des globalen Klimaschutzes. Angesichts der aktuellen politischen wie medialen Dominanz ökonomischer und sozialer Themen muss immer wieder in Erinnerung gerufen werden, dass sich Deutschland zu weitreichenden Reduktionszielen seiner CO2-Emissionen international verpflichtet hat. Die Akteure der Raum- und Stadtentwicklung müssen sich auf Mittel und Wege verständigen, wie diese Ziele erreicht werden können und wie sich sozial selektive Wirkungen nach Möglichkeit vermeiden lassen. Es deutet sich an, dass der Ausgleich der konfligierenden Belange von ökonomischer Prosperität, sozialer Gerechtigkeit und Ressourceneffizienz zu den entscheidenden politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen auf dem Weg in die Zukunftsstadt gehören wird. Keine Blaupause einer „Zukunftsstadt“ Die diskontinuierlichen und disparaten Entwicklungsbedingungen, denen sich die Raum- und die Stadtentwicklung ausgesetzt sehen, machen deutlich, dass die einleitend angesprochenen Idealvorstellungen einer Stadt der Zukunft auf ganz individuelle Handlungsvoraussetzungen treffen: in wachsenden und schrumpfenden Städten, in Städten, die immer stärker in globale Wirtschaftszusammenhänge eingebunden sind und solchen, die mit ihrem altindustriellen Erbe zu kämpfen haben, in Städten, die schuldenfrei sind, und solchen, die fiskalisch kaum mehr handlungsfähig sind. Eine wie auch immer geartete „Blaupause“ einer Zukunftsstadt erscheint daher wenig instruktiv. Gefordert ist eine Pluralität von Zukunftsentwürfen angesichts der von Stadt zu Stadt vielfältig differenzierten Herausforderungen, Risiken, Chancen und Begabungen. Jede Stadt muss eigene Antworten darauf finden, wie Attribute wie „kompakt“, „resilient“ oder „gerecht“ lokal adaptiert und in erfolgreiche Handlungskonzepte übersetzt werden können. Was ist die „Stadt“? In diesem Zusammenhang gehört auch das in Politik und Gesellschaft nach wie vor dominante Verständnis von „Stadt“ auf den Prüfstand. Was ist Stadt, wo hört sie auf? Gehört Garching zu München, Wedel zu Hamburg oder Ladenburg zu Mannheim? In administrativer Hinsicht ist dies natürlich zu verneinen, aus morphologischer, funktionaler und lebensweltlicher Perspektive kann aber sehr wohl von einem zusammenhängenden Wirtschafts- und Lebensraum gesprochen werden. 8 Es ist ein fundamentales Missverständnis, Stadt allein mit baulich und sozial verdichteten und gemischten Siedlungsräumen gleichzusetzen. Wie die meisten Staaten des globalen Nordens ist auch Deutschland eine suburbane Nation – die Mehrheit der deutschen Bevölkerung lebt in Gebieten, die nach traditionellem Verständnis nicht als „urban“ zu bezeichnen sind. Allein schon aus diesem Grund kann Suburbia nicht aus den Überlegungen zur Gestaltung einer nachhaltigen Urbanität ausgeklammert werden, im Gegenteil, hier stellen sich womöglich die noch weitaus größeren Herausforderungen für die Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft des Städtischen. Erfolgreich werden daher die Städte sein, die die Herausforderungen im Diskurs mit den relevanten regionalen Akteuren, mit einer geeigneten regionalen Governance und einem fairen Ausgleich der Nutzen und Kosten des Wachsens und Schrumpfens zu bewältigen in der Lage sind. Das 5R-Netzwerk der raumwissenschaftlichen Institute der Leibniz Gemeinschaft wird das Wissenschaftsjahr „Zukunftsstadt“ mit weiteren themenrelevanten Veranstaltungen begleiten und auch auf diese Weise auf die gesellschaftliche Relevanz seiner Forschungen hinweisen. Prof. Dr. Sebastian Lentz ist Direktor des Leibniz-Instituts für Länderkunde (IfL) und Professor für Regionale Geographie an der Universität Leipzig Kontakt: Sebastian Lentz 0341 600 55-107 [email protected] Prof. Dr.-Ing. Stefan Siedentop ist Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) und Professor an der TU Dortmund, Fachgebiet Stadtentwicklung. Kontakt: Stefan Siedentop 0231 9051-100 stefan.siedentop @ils-forschung.de 1/2015 • Nachrichten der ARL 4_Thema_1-2015(S06-22).indd 8 15.04.2015 14:48:13 THEMA Armutswanderung und Reichtumswanderung – eine Herausforderung für Deutschlands Städte M ein Respekt vor der Wissenschaft ist so groß, dass ich es niemals wagen würde, meinen folgenden Ausführungen auch nur einen wissenschaftlichen Anschein zu geben, beispielsweise durch umfangreiches Datenmaterial, Quellenangaben, Literaturhinweise oder Fußnoten. Dies ist nur ein Referat eines Praktikers, der allerdings in den letzten 25 Jahren als Oberbürgermeister wie auch zeitweise als Städtetagspräsident intensiv mit Wanderungsbewegungen, ihren Auswirkungen und ihrer politischen Resonanz zu tun hatte. rern einerseits und Zuwanderern, die voraussichtlich noch lange Zeit Hilfeempfänger sein werden, andererseits unterscheiden. Die These, dass jede Zuwanderung eine Bereicherung sei, wird jedenfalls der Situation von Kommunen, die vor Ort tatsächlich eine Zuwanderung in die Sozialsysteme erleben, nicht gerecht. Dies erklärt den Hilferuf von meist wirtschaftlich schwachen Kommunen, die in den vergangenen Jahren Brennpunkte der Armutszuwanderung aus den neuen EU-Beitrittsländern waren. Vorurteile bestimmen den politischen Diskurs Wirtschaftsstruktur beeinflusst Migrationsbewegungen Erste These: Die meisten politischen Reaktionen sind kaum auf Tatsachen zurückzuführen, sondern sogar hauptsächlich auf vorgefasste Meinungen, also auf Vorurteile. Allerdings gibt es Vorurteile der unterschiedlichsten Art. Angesichts bedrohlicher Stagnations- und Schrumpfungsprozesse in vielen Landesteilen, Regionen und Kommunen ist die Behauptung „Das Boot ist voll“ vor allem ein Ausdruck der vorweggenommenen Bewertung, dass Zuwanderung unerwünscht sei. Bezeichnenderweise ist dieser Ausruf am lautesten und heftigsten erfolgt in Städten, die kaum mit Zuwanderung eigene Erfahrungen sammeln konnten. Das gilt für Hoyerswerda zu Beginn der 90er Jahre genauso wie für PegidaDemonstrationen in Dresden in diesem Jahr. Zweite These: Die kommunale Realität des Migrationsgeschehens stellt sich in verschiedenen Städten äußerst unterschiedlich dar. Die Situation ist nach meiner Beobachtung weitgehend abhängig von der ökonomischen Struktur der Städte, nicht von ihrer geografischen Lage in Deutschland oder der parteipolitischen Konstellation vor Ort. Städte mit gutem Job-Angebot, wie München, Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf oder Hamburg, erleben besonders intensiv eine arbeitswillige und arbeitsfähige Zuwanderung, die von den Arbeitgebern ausdrücklich gewünscht und von den Arbeitnehmern nicht als gefährliche Konkurrenz erlebt wird sowie auf dem Arbeitsmarkt schnell eine Eingliederung erfährt, der die gesellschaftliche Integration geradezu reibungslos folgt. Auch die Gegenthese, dass jede Zuwanderung als Bereicherung zu sehen sei, ist kaum auf Tatsachen gestützt, sondern vielmehr auf vorweggenommene Bewertungen. Wer positiv eingestellt ist zur Zuwanderung, stellt den heutigen Soziallasten die heutigen Sozialbeiträge der zugewanderten Bevölkerungsteile gegenüber und kommt zu einer positiven Bilanz. Dass dabei jahrzehntelange Arbeitsmigration stärker zu Buche schlägt als aktuelle Flüchtlingsströme, bleibt häufig unberücksichtigt. Dass es bei Flüchtlingen gar nicht auf die ökonomische Bewertung ankommen darf, weil sie aus humanitären und völkerrechtlichen Gründen ein Bleiberecht haben, wird bei der ökonomischen Betrachtungsweise schlichtweg ausgeklammert. Wenn man aber ökonomisch argumentieren will, muss man zwischen qualifizierten und arbeitswilligen Zuwande- Strukturschwache Städte sind trotz ihrer wirtschaftlichen und damit auch finanziellen Schwäche dennoch ebenfalls ein Brennpunkt der Zuwanderung, aber einer ganz anderen Art von Zuwanderung. Diese Städte haben nicht Jobs zu bieten, aber Platz. Es gibt leer stehenden und vergleichsweise extrem preiswerten Wohnraum. „Pioniere“ der Migration können ihre Familie, ihre Verwandtschaft, ihre Dorfbevölkerung nachziehen, weil die fehlenden Erwerbsmöglichkeiten bei Anspruch auf Sozialleistungen keine hinderliche Rolle spielen und der vorhandene Wohnraum die Unterbringung garantiert. Dies gilt beispielsweise für Duisburg, Gelsenkirchen und Recklinghausen, die sich beim Thema Armutswanderung besonders nachdrücklich zu Wort gemeldet haben. Mit den Kosten der örtlichen Sozialleistungen sind die armen Städte Nachrichten der ARL • 1/2015 4_Thema_1-2015(S06-22).indd 9 9 15.04.2015 14:48:13 © pixabay THEMA München in besonderer Weise überfordert, es hilft ihnen nicht im Geringsten, wenn ihnen vorgehalten wird, dass sozialversicherungspflichtige Zuwanderer in boomenden Städten kein Problem darstellen und in kurzer Zeit gut integriert werden können. Die gesamte Debatte muss realitätsbezogener und ehrlicher werden! Kapitalflucht ins Betongold Meine dritte These: Den Städten macht nicht nur die bis zum Überdruss diskutierte Armutswanderung zu schaffen, sondern auch die politisch kaum thematisierte Reichtumswanderung. Damit meine ich nicht nur die „Migration der Besserverdienenden“, die unter dem Thema „Gentrifikation“ ebenso heiß wie naiv diskutiert wird, sondern vor allem die Wanderung der Kapitalströme, die extrem negative Auswirkungen auf die Entwicklung vieler Städte haben und den sozialen Zusammenhalt gefährden. Groteskerweise ist der finanziellen Überschwemmung der Immobilienmärkte in attraktiven Städten eine regelrechte Kapitalflucht beispielsweise in den US-amerikanischen Hypothekenmarkt vorangegangen. Hier stelle ich – bei allem Respekt vor der Wissenschaft! – ein Totalversagen der einschlägigen Lehrstühle, Fakultäten und Institute wie auch nahezu ausnahmslos aller weltweit überschätzten Unternehmensberatungsfirmen fest. Sie alle haben jahrelang den großen Unternehmen eingebläut, sie müssten ihren großen Immobilienbesitz in Deutschlands Städten so schnell wie möglich verscherbeln, weil lachhafte Renditen um die 4 Prozent den Vergleich mit den traumhaften Gewinnchancen auf dem Subprime- 10 Markt nicht aushalten und uneinsichtige Unternehmen zu Übernahmekandidaten machen könnten. So haben sie gesprochen, die Professoren, die Analysten und Berater, die in den wirtschaftsradikalen Jahren die größte Privatisierungswelle auf dem Wohnungsmarkt erzwungen haben. Und dann? Dann haben die Unternehmen gemerkt, dass man auf der Börse sein Vermögen nicht nur verdoppeln, sondern auch verspielen kann – und heute treiben sie nach einer radikalen Kehrtwende die Kapitalflucht ins Betongold voran, stets mit dem begeisterten Schlachtruf, dort könne man traumhafte Renditen um 4 Prozent erzielen, während man für das bei der Bank geparkte Geld bald Strafgebühren zahlen müsse. Nebenbei wird der örtliche Oberbürgermeister beschimpft, weil er sich angeblich keine Vorstellung davon macht, wie schwer es für Arbeitskräfte ist, eine Wohnung zu finden … Und die eigenen Wohnungsbestände, nun ja, die sind halt mittlerweile futsch, zum Spielball einer Spekulation geworden, die man als produzierendes Unternehmen der Realwirtschaft gar nicht laut genug beklagen kann … Die Folgen der Kapitalflucht ins Betongold sind mittlerweile dramatisch. Nach der Finanzkrise von 2007 ff. sind die Preise für baureife unbebaute Grundstücke in München in einem einzigen Kalenderjahr um 100 Prozent gestiegen. Um 100 Prozent! Wenn das kein leistungsloses Einkommen unvorstellbaren Ausmaßes ist! Aber natürlich muss dem Rausch die Ernüchterung folgen: bei allen künftigen Käufern und Bewohnern, die sich auf einem verdoppelten Preisniveau bewegen müssen. 1/2015 • Nachrichten der ARL 4_Thema_1-2015(S06-22).indd 10 15.04.2015 14:48:13 THEMA Kommunalpolitik im globalen Kontext Statt einer letzten These eine Frage: Was folgt aus der Erkenntnis, dass viele Städte durch Armuts- oder Reichtumswanderung in Bedrängnis geraten? Die Vorstellung, man könne in einem Kontinent der Freizügigkeit bei der Zuwanderung eine Stopptaste drücken oder gar Wanderungsbewegungen, die bereits stattgefunden haben, mit einer Löschtaste ungeschehen machen, ist vollkommen naiv, wirklichkeitsfremd und verantwortungslos, weil sie hier lebende Menschen für unerwünscht erklärt und nicht einmal ansatzweise darstellen kann, mit welchen grundrechtskonformen Instrumenten das angestrebte Leitbild realisiert werden soll. Deshalb vernimmt man aus dieser Ecke nur Ressentiments gegen Minderheiten und keine Auskunft über angestrebte Maßnahmen. Christian Ude wurde viermal zum Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München gewählt, vorher war er Redaktionsmitglied der Süddeutschen Zeitung und selbstständiger Rechtsanwalt. Er verfasste zahlreiche Bücher und Buchbeiträge und brachte Sachbücher über Stadtentwicklung, Wohnungsbau, Mieterschutz und Sicherheitsrecht heraus. Die Kommunalpolitik muss sich allerdings schon jetzt fragen und wird sich in Zukunft verstärkt fragen müssen, ■■ ob Wanderungsbewegungen auch noch beschleunigt werden sollen oder im Gegenteil gebremst werden müssen, ■■ ob es zur Landflucht aus den ländlichen Räumen keine Alternative im Sinne eines polyzentrischen Konzeptes mit verschiedenen Kristallisationspunkten des Wachstums auch außerhalb der Metropolen gibt und ■■ ob Interessen der Kapitalverwertung, die den Städten einen ständigen Wachstumsprozess bis hin zur Dimension alptraumhafter Megacitys aufzwängen, wirklich die oberste Richtschnur sein können. Die Frage, wie die Städte beschaffen sein sollen, in denen wir morgen leben möchten, und ob es überhaupt Instrumente zur Realisierung dieser Wünsche gibt, ist die schwierigste, aber auch spannendste und politischste Frage der Kommunalpolitik. Und schließlich: Die Tatsache, dass atemberaubende Kapitalflüsse die historisch gewachsenen Städte nicht unberührt lassen, sondern im Gegenteil den bisherigen sozialen Ausgleich und Zusammenhalt vor Ort sprengen können, was zunehmend auch stadträumlich sichtbar wird (Gated Communities für Reiche und Ghettos für Arme), zwingt zu der Einsicht, dass Kommunalpolitik nicht in abgeschirmten Reservaten stattfindet, sondern der weltweit zunehmenden Spaltung von Arm und Reich ausgeliefert ist, sodass kommunale Probleme und ökonomische Systemfragen im Kontext zu diskutieren sind. Nachrichten der ARL • 1/2015 4_Thema_1-2015(S06-22).indd 11 11 15.04.2015 14:48:14 THEMA Zukunft des Wohnens in unseren Städten H aben wir da etwas übersehen? Seit mehr als 15 Jahren diskutieren wir in den (Raum-)Wissenschaften intensiv über den demografischen Wandel und die Schrumpfung unserer Gesellschaft und damit auch über den Abbau von Wohnungsüberhängen. Und plötzlich ist sie wieder zurück: die Wohnungsfrage. Die rasante Verknappung und Verteuerung von Wohnraum in den (großen) Städten bringt die Gefahren von Verdrängung und sozialer Entmischung mit sich. Was ist da passiert? Dieser Beitrag beleuchtet die Ursachen der neuen Wohnungsfrage und geht auf die Folgen für die Stadtentwicklung und das soziale Zusammenleben in den Städten ein. Entscheidend ist hierbei, dass eine Gleichzeitigkeit von ganz unterschiedlichen Entwicklungsprozessen zu beobachten ist: Rasant wachsenden Städten und Regionen stehen solche mit Stagnation und Schrumpfung gegenüber. Die Folge ist, dass sich sozialräumliche Entmischungsprozesse (Segregation) und eine Polarisierung zwischen und in den Städten deutlich verstärken. Damit stehen die betroffenen Kommunen und die Stadtentwicklungspolitik vor sehr verschiedenen Herausforderungen, die sie bewältigen müssen. Ursachen für die neue Wohnungsfrage Wir erleben gegenwärtig das zeitgleiche Auftreten und Zusammenwirken unterschiedlicher kultureller, sozialer und ökonomischer Faktoren, die zu einer veränderten Wohnungsnachfrage bzw. veränderten Wohnungsmärkten führen. Die neue Attraktivität der Städte, erhöhte Zuwanderungszahlen aus dem Ausland und v. a. die aktuelle Lage auf den Kapitalmärkten führen zu einem Run auf die Wohnimmobilien in den Städten. Häußermann und Siebel haben schon sehr früh auf die soziokulturellen Ursachen einer endenden Suburbanisierung hingewiesen (vgl. Häußermann/Siebel 1987). Als Hauptmotive für den Rückzug in die Städte nannten sie veränderte Familienstrukturen mit der Berufstätigkeit von Mann und Frau und damit verbundene höhere Zeit- und Mobilitätskosten. In den Städten sind die Wege kurz und die Infrastrukturangebote besser erreichbar. Das mag auch der Grund sein, warum Be- Relative Bevölkerungsentwicklung 2009 – 2011 12 1/2015 • Nachrichten der ARL 4_Thema_1-2015(S06-22).indd 12 15.04.2015 14:48:17 THEMA richte über die Rückkehr älterer Menschen in die Stadt so plausibel erscheinen, ohne dass es dafür, abgesehen von einzelnen „Altersruhe“-Städten wie z. B. Weimar, in der Breite aller Städte empirische Belege gäbe. Im Hinblick auf die Bildungswanderung junger Menschen in die Universitätsstädte, die zusätzlich durch die doppelten Abiturjahrgänge verstärkt wurde, liegen jedoch eindeutige Belege vor. Fakt ist, dass wir in den letzten Jahren insbesondere in den allermeisten Kernstädten deutliche Bevölkerungssteigerungen beobachten können, die es rechtfertigen, von einer neuerlichen Reurbanisierung zu sprechen. Bevölkerungswachstum durch Zuwanderung Hinzu kommen seit 2009 stark steigende Zuwanderungszahlen aus dem Ausland, die sich in der Mehrzahl auf die größeren Städte konzentrieren. 2013 gab es die höchste Zuwanderung und den höchsten Wanderungsgewinn seit 1993 mit einer Nettozuwanderung von 428.607 Personen. Damit liegen wir nun schon im fünften Jahr in Folge deutlich über den 200.000 Zuwanderern, die in den Bevölkerungsprognosen immer als optimistische Variante betrachtet wurde. Dabei ist die aktuelle Zuwanderung, bedingt durch die schwierige wirtschaftliche Lage in vielen EU-Ländern, vor allem europäisch: 58 Prozent aller Zuwanderer und Zuwanderinnen nach Deutschland kommen aus EU-Ländern. Wohnungsmarkt: Lücke zwischen Angebot und Nachfrage Die beschriebenen Prozesse führen zu einer verstärkten Wohnungsnachfrage, die auf ein knappes und nur eingeschränktes Wohnungsangebot stößt. Insbesondere preisgünstige Wohnungen fehlen, da das Angebot an Sozialwohnungen unzureichend und immer noch stetig rückläufig ist. In den meisten Bundesländern und Kommunen wurden in den letzten Jahren zu wenige oder schlicht gar keine Sozialwohnungen gebaut. Und durch das Auslaufen der Belegungsbindungen alter Sozialwohnungen fallen jährlich bis zu 100.000 Wohnungen aus der Preisbindung. Nach einer Berechnung des Pestel-Institutes (2012) gäbe es einen Bedarf von 5,65 Mio. Sozialwohnungen in Deutschland. Dieser ist aber gegenwärtig lediglich zu knapp 30 % gedeckt, wobei die Unterschiede zwischen den Ländern gravierend sind. Die Bedarfsdeckungsquote reicht von knapp 3 % im Saarland bis zu über 60 % in Thüringen und Brandenburg. Auch wenn die Pestel-Studie aufgrund dieser sehr hohen Bedarfszahlen kritisiert wird, ist es völlig unstrittig, dass insbesondere in den meisten (großen) Städten preiswerte Sozialwohnungen in hoher Zahl fehlen – was ja auch viele Kommunen veranlasst, wieder stärker auf den Neubau von Sozialwohnungen zu drängen. Wohnraum als Investitionsobjekt Dabei ist das Interesse an Investitionen in den Wohnungsmarkt so groß wie nie. Vor allem aufgrund der schwierigen Anlagesituation auf den Kapitalmärkten und der niedrigen Kapitalmarktzinsen drängen die Investoren gegenwärtig förmlich auf den deutschen Markt. Das betrifft viele Privathaushalte, die sich angesichts niedriger Zinsen ihren Wunsch nach Eigentum erfüllen wollen, oder auch kleine Privatanleger, denen die Zinsen auf den Sparkonten nicht mehr reichen und die sich nach einem „Investitionsobjekt“ z. B. für ihre studierenden Kinder in der Stadt umsehen. Aber auch die großen Investoren, insbesondere aus dem Ausland, drängen auf den Markt. So ist nach aktuellen Berechnungen von Ernst und Young (2015) das Transaktionsvolumen bei den großen Immobilienverkäufen schon seit 2013 wieder auf dem Stand vor der Finanzkrise von 2008. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass bei der Suche nach lukrativen Immobilieninvestitionen neben den großstädtischen A-Lagen inzwischen auch kleinere Großstädte und Mittelstädte in sogenannten B-Lagen in den Blick geraten sind, da sich die Investoren hier eine z. T. höhere Rendite erwarten. In der Folge führt diese gesteigerte Nachfrage natürlich zu steigenden Preisen. Beim Wohnungsneubau konzentrieren sich die Investitionen zudem überwiegend auf das gehobene und teure Preissegment. Preiswerte und günstige Wohnungen fehlen bzw. unterliegen im frei finanzierten Wohnungsbau aufgrund der Schere zwischen Angebot und Nachfrage erheblichen Preissteigerungen. Das alles führt zu deutlich steigenden Wohnungs- und Mietpreisen in vielen Städten und damit zu echten Versorgungsproblemen benachteiligter Bevölkerungsgruppen. Doch auch Teile der Mittelschicht können sich das Wohnen in der (Innen-)Stadt zunehmend nicht mehr leisten. Differenzierte und polarisierte Stadtentwicklung Diesen angespannten und wachsenden Wohnungsmärkten stehen weiterhin schrumpfende und stagnierende Wohnungsmärkte gegenüber. Wir haben es mit einer überaus differenzierten Entwicklung zu tun, wie die Karte aus dem jüngsten Wohnungsmarkbericht für Nordrhein-Westfalen zeigt. Diese unterschiedlichen Wohnungsmarktentwicklungen verstärken einen Trend der zunehmenden räumlichen Ausdifferenzierung und Polarisierung der Lebensverhältnisse, wie ihn das ILS kürzlich in einer Untersuchung über die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse für Nordrhein-Westfalen näher dargestellt hat (ILS 2013). Bezogen auf Nordrhein-Westfalen lassen sich zum einen sehr unterschiedliche Entwicklungen zwischen den Städten, aber auch in den suburbanen und ländlichen Kreisen beobachten. Stark wachsenden Großstädten an der Rheinschiene (Köln, Düsseldorf, Bonn) und Universitätsstädten (Aachen, Münster) stehen stagnierende oder Nachrichten der ARL • 1/2015 4_Thema_1-2015(S06-22).indd 13 13 15.04.2015 14:48:17 THEMA Angebotsmieten gebrauchte Wohnungen: Entwicklung 2008 – 2013 (%) schrumpfende Bevölkerungen und Wohnungsmärkte im Ruhrgebiet und im Bergischen Land gegenüber. Ähnlich unterschiedliche Entwicklungen lassen sich z. B. für das wachsende Münsterland und eher schrumpfende Teile des Sauerlandes zeigen, wobei unterschiedliche Entwicklungsverläufe auch räumlich dicht beieinander liegen. Ebenso unterschiedlich wie die Entwicklungen zwischen den Kommunen stellt sich die kleinräumige Entwicklung innerhalb der Städte und Gemeinden dar. Schon seit den 1980/90er Jahren lassen sich in Deutschland deutliche sozialräumliche Entmischungsprozesse in den Städten beobachten. Die soziale Segregation ist in den allermeisten Städten seither gestiegen. Ärmere Bevölkerungsgruppen konzentrieren sich zunehmend in bestimmten benachteiligten Stadtteilen, die von mehrfachen Belastungen gekennzeichnet sind. Das hat die Politik schon in den 1990er Jahren dazu veranlasst, mit dem Programm „Soziale Stadt“ gegenzusteuern. Neben Prozessen der sozialen Ungleichheitsentwicklung in der Gesellschaft sind es vor allem die Entwicklungen auf den Wohnungsmärkten, die soziale Segregationsprozesse verursachen. Während auf stagnierenden und schrumpfenden Wohnungsmärkten ein Überangebot an Wohnraum dazu führt, dass auch Durchschnittsverdiener sich gut auf dem Wohnungsmarkt versorgen können und daher benachteiligte Quartiere verlassen, beschäftigt uns auf wachsenden und angespannten Wohnungsmärkten aktuell wieder stärker das Problem der sozialen Verdrängung. Mittlerweile gehört der bis vor kurzem nur wenigen bekannte Fachbegriff „Gentrifizierung“ zum allgemeinen Wortschatz und ist nun Gegenstand fast täglicher Berichterstattung in den Medien. Auch wenn gegenwärtig noch genauere empirische Erkenntnisse über die Dimensionen der sozialen Verdrängung fehlen, ist doch unstrittig, dass sie stattfindet. Die zum Teil dramatische Verteuerung von Wohnraum in den Innenstädten führt dazu, dass 14 Quelle: NRW Bank (2014): Wohnungsmarktbericht NRW 2014. Schwerpunkt: Entwicklung von Kauffällen und Preisen. Düsseldorf. einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen an den Stadtrand gedrängt werden. Diese Entwicklungen haben längst Politik und Kommunen auf den Plan gerufen und zur gesetzlichen Einführung der „Mietpreisbremse“ auf angespannten Wohnungsmärkten geführt. Viele Kommunen diskutieren gegenwärtig schon fast totgeglaubte Instrumente des Städtebaurechtes, wie insbesondere die Soziale Erhaltungssatzung („Milieuschutz“), um soziale Verdrängungsprozesse zumindest abzumildern. Auch wenn sich viele Experten einig sind, dass diese einzelnen Instrumente lediglich Entwicklungen verlangsamen, nicht aber aufhalten können, sollte ihre Wirkung nicht unterschätzt werden. Fest steht jedenfalls, dass wir in der Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik angesichts der beschriebenen Entwicklung wieder offensiv und eindeutig von der Bewältigung von Wachstumsprozessen sprechen können. Gleichzeitig sind in vielen Regionen weiterhin Stagnations- und Schrumpfungsentwicklungen zu gestalten. Politik und Planung stehen vor räumlich ganz unterschiedlichen Herausforderungen, die nicht mittels eines einheitlichen Paradigmas zu lösen sind. Was die Kommunalpolitik tun kann Im Folgenden möchte ich mich mit den Handlungserfordernissen und Möglichkeiten im Umgang mit den neuen Wachstumsprozessen beschäftigen. Um der Spirale aus Wohnungsknappheit, Preissteigerungen und sozialen Verdrängungsprozessen entgegenzuwirken, bedarf es 1/2015 • Nachrichten der ARL 4_Thema_1-2015(S06-22).indd 14 15.04.2015 14:48:17 THEMA nach meinem Dafürhalten des konsequenten Einsatzes aller politischen und planerischen Instrumente – mögen die einzelnen für sich auch unzureichend erscheinen. Gesetzlich sind mit der Kappungsgrenze bei Mieterhöhungen und der Begrenzung der Miethöhe bei Neuvermietung zwei wichtige Instrumentarien vorhanden. In den Kommunen sollten diese durch die konsequente Ausweisung von Gebieten mit Sozialer Erhaltungssatzung nach dem Baugesetzbuch flankiert werden. Dazu liegen in vielen Bundesländern inzwischen auch die gesetzlichen Regelungen für die Einschränkung der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen vor. Die konsequente Anwendung dieses Instruments in München (bislang ohne Umwandlungsverordnung) und Hamburg zeigt, dass so besonders preistreibende Luxussanierungen und Umwandlungen eingedämmt werden können. Viele Skeptiker verweisen demgegenüber auf den mit dem Instrument verbundenen erhöhten Verwaltungsaufwand und die nur begrenzten Auswirkungen auf Mietpreissteigerungen. Auch hier kann ich nur dafür plädieren, alle Instrumente einzusetzen, um zumindest gewisse Effekte zu erzielen. Bislang konnten die Kritiker jedenfalls nicht darlegen, was stattdessen zu tun wäre. Denn völlig unstrittig ist, dass vor allem das Angebot durch Wohnungsneubau deutlich zu erhöhen wäre. Doch bleiben leider bislang die Neubauten im sozialen Wohnungsbau selbst in Städten, die politisch viel unternehmen, hinter den Abgängen durch auslaufende Belegungsbindungen zurück. Hier müssen die Neubauzahlen radikal erhöht werden. Eine zunehmende Zahl von Städten setzt hier nach dem Vorbild von München und Hamburg richtigerweise auf verbindliche Quoten bei neuen Investitionsprojekten, meist 30 % Mindestanteil für geförderten Wohnungsbau. Allerdings ist alleine durch diese Quote die nötige Anzahl von Neubauten im sozialen Wohnungsbau nicht zu schaffen. Die öffentliche Hand selbst muss bauen; außerdem sind auch durch eine konsequente Förderung von Genossenschaften im Bereich des geförderten Wohnungsbaus gesteigerte Wohnungsbauzahlen möglich. Dazu bedarf es allerdings preisgünstiger Wohnbauflächen in den Innenstädten. Unlösbare Zielkonflikte? Hiermit sind allerdings mehrere Zielkonflikte verbunden. Gerade für Kommunen mit Haushaltsproblemen ist es nicht einfach oder aufgrund der Haushaltsaufsicht nicht möglich, bei Grundstücksverkäufen auf das Höchstgebot eines Investors zu verzichten, um z. B. das Grundstück an eine dem sozialen Wohnungsbau verpflichtete Genossenschaft abzugeben. Sinnvolle Planungsziele und kurzfristige Haushaltsziele stehen hier in einem Konflikt. Zudem gibt es inzwischen in vielen Städten längst nicht mehr genügend Wohnbauflächen im erforderlichen Umfang. Kampf und Begehrlichkeiten um freie Flächen haben längst begonnen. Ökologisch sinnvolle Ziele, wie z. B. ausreichende Frei- und Grünflächen in den Städten, treten in Konflikt mit dem Ziel, preiswerten Wohnraum zu schaffen. Auch im Wohnungsbestand gibt es ähnliche Zielkonflikte. Die berechtigten Vorgaben der energetischen Sanierung oder der baulichen Anpassung für mehr Barrierefreiheit in den Wohnungsbeständen führen zwangsläufig zu Steigerungen der Wohnkosten, die neben den schon dargestellten Marktprozessen die Mietpreise weiter nach oben treiben. Allgemeine Lösungen können hier nicht präsentiert werden. Es gilt jedoch, mindestens diese sozialen, ökologischen und ökonomischen Zielkonflikte offen zu benennen, um zu Lösungen zu kommen. Dabei sollte durchaus auch über bisherige „Tabus“ in der deutschen Stadtentwicklungspolitik nachgedacht werden. Während in der internationalen Debatte und auch in Fachkreisen der Architektur längst über die „vertikale Stadt“ gesprochen wird, hält sich in Deutschland noch die Kernüberzeugung, dass man Wohnhochhäuser nur für einkommensstärkere Bevölkerungsgruppen bauen kann. Nach den negativen Erfahrungen mit den Großwohnsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre ist man offensichtlich der Meinung, dass dies keine Gebäudeform für einkommensschwächere Bevölkerungen sei. Doch wenn wir aufgrund der Flächenknappheit inzwischen in vielen Innenstädten Wohnhochhäuser bauen, dürfen wir dann darauf verzichten, in diesen Häusern auch preisgünstigen Wohnraum zu schaffen? Ich meine: nein. Wir sollten also auch darüber nachdenken und reden, wie wir funktionierende sozial gemischte Wohnhochhäuser bauen und unterhalten können. Ralf Zimmer-Hegmann ist Leiter der Forschungsgruppe „Sozialraum Stadt“ am ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung in Dortmund. Kontakt: Ralf Zimmer-Hegmann 0231 9051240 ralf.zimmer-hegmann @ils-forschung.de Literatur Ernst & Young Real Estate GmbH (2015): Trendbarometer Immobilien-Investmentmarkt Deutschland 2015. Häußermann, Hartmut; Siebel, Walter (1987): Neue Urbanität. Frankfurt a.M. Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) (2013): Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse: NRW-spezifische Auswertung der Indikatoren zur Raumentwicklung (Abschlussbericht). Dortmund. Pestel Institut (2012): Bedarf an Sozialwohnungen in Deutschland. Hannover. Nachrichten der ARL • 1/2015 4_Thema_1-2015(S06-22).indd 15 15 15.04.2015 14:48:19 THEMA „Wir brauchen kontextsensiblere Gentrification-Forschung“ Ein Gespräch mit Matthias Bernt über blinde Flecken in Erklärungsmodellen und Gentrifizierung in Berlin und London Matthias Bernt Das Interview führte Jan Zwilling. Herr Dr. Bernt, zur Gentrification wird seit 50 Jahren geforscht. Was hat Sie motiviert, ein neues Projekt zu diesem Prozess zu entwerfen? © elxeneize - Fotolia.com Das hat in erster Linie zwei Gründe. Zum ersten habe ich beobachtet, dass der Begriff „Gentrification“ in den letzten fünf bis zehn Jahren in Deutschland einen beispiellosen Eingang in die Alltagssprache erlebt hat. Was in den 1990er Jahren noch ein echter Fachbegriff war, mit dem nur Stadtforscher etwas verbanden, ist heute quasi omnipräsent in den Medien und in der Umgangssprache. Diese inflationäre Verwendung ist nicht immer positiv, ich sehe da eher eine Verwässerung des Begriffs. Alles, was irgendwie mit Aufwertung oder Sanierung zu tun hat, wird heute als Gentrification bezeichnet. Es geht teilweise sogar so weit, dass der Begriff völlig aus seinem Bedeutungskontext gerissen wird, etwa wenn Fitnessstudios „Gentrification für deine Bauchmuskeln“ anpreisen. Da entsteht ein großer Widerspruch zwi- 16 1/2015 • Nachrichten der ARL 4_Thema_1-2015(S06-22).indd 16 15.04.2015 14:48:24 THEMA schen der zunehmenden Verwendung des Begriffs und der analytischen Qualität seiner Anwendung. Zum zweiten denke ich, dass das Problem nicht nur bei den Medien oder der allgemeinen Öffentlichkeit liegt, sondern auch bei der Wissenschaft. Wir verwenden in unserer Forschung zu stark vereinfachende Modelle, die in den 1970er bis 1980er Jahren vorrangig im angloamerikanischen Raum entwickelt wurden. Setzen wir diese Modelle in andere Kontexte, etwa in den Mittelmeerraum oder nach Asien, nimmt ihr Erklärungsgehalt stark ab und es wird oft unklar, ob wir eigentlich noch über vergleichbare Prozesse reden. Zudem haben Faktoren wie die politische Regulierung von Wohnungsmarktentwicklung bisher kaum Niederschlag in den Gentrification-Theorien gefunden. Obwohl die Wissenschaft diese Limits ihrer Modelle immer wieder erkannt hat, steht eine konzeptionelle Erweiterung bislang noch aus. Da ist selbst 50 Jahre nach dem Urknall der Gentrification-Forschung durch die Studien von Ruth Glass in London noch einiges zu erforschen und zu entwickeln. Von welchen Modellen für die Beschreibung der Gentrification sprechen Sie und inwiefern sind diese stark vereinfachend? Unter Gentrification verstehen wir allgemein die „Aufwertung“ eines Wohnviertels durch Verdrängung ärmerer Bewohner und Zuzug von Besserverdienenden. Die Erklärungsmuster dafür teilen sich grob gesprochen in zwei Lager: Die angebots-bezogenen Modelle erklären den Aufwertungsprozess mit einer Differenz zwischen aktuell realisierter Rendite und möglicher Rendite aus einem Grundstück. Ist diese Lücke groß genug, wird es attraktiv, in den vorher vernachlässigten Wohnungsbestand zu investieren. Dies führt im Ergebnis zu Mietsteigerungen, die von einkommensschwachen Bewohnern nicht mehr getragen werden können, sodass diese verdrängt und durch Besserverdienende ersetzt werden. Nachfrage-bezogene Erklärungsmodelle verorten die Ursache für Gentrifizierungsprozesse eher in der gestiegenen Nachfrage nach innerstädtischem Wohnraum. Sie gehen davon aus, dass eine Aufwertung vom Bedarf her befeuert wird, also von einer Situation, in der mehr kaufkräftige Menschen bestimmte Wohnlagen und Preisklassen nachfragen. Der Kontext dafür ist ein tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel in der postindustriellen Gesellschaft – Suburbia ist demnach einfach aus der Mode gekommen. Und warum greifen die Modelle zu kurz? Beide Modelle haben den Nachteil, dass sie sich sehr stark auf gesellschaftliche Entwicklungsprozesse in den 1950er bis 1970er Jahren in Nordamerika und Großbritannien beziehen und daher schwer verallgemeinerbar sind. Sie basieren zudem auf einem quasi idealtypischen Marktmodell. So gehen angebotsseitige Modelle davon aus, dass eine „Renditelücke“ im Kapitalismus früher oder später in jedem Fall Investitionen motiviert und dass diese Investitionen immer zu Preissteigerungen führen, die ärmere Bewohner nicht mehr zahlen können. Nachfrageseitige Modelle nehmen ganz ähnlich an, dass eine höhere Zahlungsbereitschaft von „Gentrifiern“, die in einem bestimmten Viertel wohnen wollen, quasi automatisch zu einem neuen Gleichgewichtspreis führt. Der gravierendste Malus dieser Modelle ist meines Erachtens die mangelnde Integration von Wohnungspolitik in die Theoriebildung. In der Realität ist Wohnraum so gut wie nie einfach nur eine Ware, über deren Preis der freie Markt entscheidet. Im Gegenteil haben fast alle modernen Gesellschaften Wohnraum auf die eine oder andere Weise „de-kommodifiziert“. Wohnungsherstellung und -verteilung, Preisbildung und Belegung lässt sich deshalb nur bedingt durch einen Rückgriff auf Marktmodelle erklären. Wie der Aufwertungsprozess z. B. in Berlin-Prenzlauer Berg abläuft, erklärt sich deshalb auch durch Sanierungspolitiken und Planungsgesetze, Mietpreisregulationen, Subventionsprogramme und vieles mehr. Was verstehen Sie genau unter „de-kommodifiziert“? De-Kommodifizierung heißt einfach eine Einschränkung des Charakters als Ware. Im Kern geht es hier um staatliche Maßnahmen, die dafür sorgen, dass Angebot, Verteilung und Preisbildung von Wohnraum nicht allein den Gesetzen des Marktes unterliegen. Der Grund dafür liegt einfach in der Tatsache, dass ein Dach über dem Kopf ein menschliches Grundbedürfnis ist, ohne das unsere Gesellschaften nicht existieren können. Aus diesem Grund haben Staaten immer wieder in den Markt eingegriffen. Die Eingriffe können dabei ganz verschieden aussehen: Der Staat kann so einen eigenen Wohnungssektor für sozial Bedürftige errichten, er kann über Subventionen die Erstellung von Wohnungen fördern, er kann die Preisbildung auf dem Wohnungsmarkt durch Mietgesetze regeln usw. Bei der Diskussion um Gentrifizierungsprozesse haben solche Themen bislang leider nur selten eine Rolle gespielt. Ich halte das für problematisch, weil unsere Erklärungsmodelle damit nur begrenzt die Realität erfassen können. Unsere Forschungen haben dann nur noch eine geringe Prognosekraft und die Wissenschaftler können damit nur eine schwache Politikberatung leisten. Und an dieser Stelle setzt Ihr Forschungsprojekt an? Richtig. Ich habe es „Gentrification und Wohnungspolitik“ genannt und es soll ein Beitrag zur Weiterentwicklung der Theorien der Gentrification sein. Ich vergleiche die Gentrification-Verläufe in fünf Stadtteilen in London, Berlin und St. Petersburg und verfolge dabei zwei zentrale Fragestellungen: Welchen Einfluss haben unterschiedliche Regulationsformen auf Investitionen in den Wohnungsbestand? Und wie wirken sich un- Nachrichten der ARL • 1/2015 4_Thema_1-2015(S06-22).indd 17 17 15.04.2015 14:48:24 THEMA terschiedliche Politiken auf die Verdrängung einkommensschwacher Haushalte aus? In London habe ich beispielsweise das Viertel Barnsbury untersucht, das in Islington im Norden der Stadt liegt. Wie die Gentrification dort abgelaufen ist, unterscheidet sich enorm von dem Verlauf in Berlin. Ein wesentlicher Grund dafür sind die politischen Rahmenbedingungen. Was hat den Prozess in Barnsbury maßgeblich geprägt? Barnsbury ist ein gutes Anschauungsbeispiel, weil das Viertel schon seit 50 Jahren mit Gentrifizierungsprozessen konfrontiert ist. Man kann drei Phasen der Aufwertung ausmachen, die alle unterschiedlich charakterisiert sind. In der ersten Phase in den 1960er und 1970er Jahren wandelte sich das Viertel von einem Slum mit niedrigen Mietpreisen zu einem maßgeblich durch Wohneigentum geprägten Viertel. Dies entspricht in etwa dem Modell der Value Gap von Chris Hamnett und William Randolph.1 Vereinfacht gesagt, ergab sich damals für Hauseigentümer die Situation, dass die im Vermietungsgeschäft zu erzielenden Renditen durch eine vergleichsweise soziale Mietgesetzgebung recht begrenzt waren, während gleichzeitig der Erwerb von Eigentumswohnungen durch die britische Steuergesetzgebung unterstützt wurde. Auf dieser Grundlage entwickelte sich dann ein Geschäftsmodell, bei dem Mieter (mit teilweise sehr rüden Methoden) aus ihren Wohnungen gedrängt, diese anschließend in Eigentumswohnungen umgewandelt und an Mittelklassehaushalte verkauft wurden. Das war nicht nur sehr profitabel für die Eigentümer, sondern führte in kurzer Zeit zu einer kompletten Veränderung der Bevölkerungsstruktur. Die Mietgesetzgebung und die Steuergesetzgebung spielten dabei also eine wesentliche Rolle? Ja, und dieser politische Einfluss auf den Prozess setzt sich in der weiteren Entwicklung fort: In Barnsbury hat sich die auf diese Weise in Gang gekommene Gentrification in den 1970er und 1980er Jahren vor allem durch das „Right to Buy“ konsolidiert. Hierbei handelt es sich um ein von der Thatcher-Regierung eingeführtes statuarisches Recht für die Bewohner kommunaler Wohnungen, ihre Wohnung privatisieren zu können. Der Erwerb wurde damals durch außerordentlich hohe Preisnachlässe unterstützt. Das führte dazu, dass über die Jahre ein großer Teil der Sozialwohnbestände auf 1 Anmerkung der Redaktion: Matthias Bernt bezieht sich auf folgende Quellen: Hamnett, Chris; Randolph, William (1984): The role of landlord disinvestment in housing market transformation: an analysis of the flat break-up market in central London. Transactions of the Institute of British Geographers, 9, 3, 259-279. Hamnett, Chris; Randolph, William (1988): Cities, Housing and Profit: Flat break-up and the decline of private renting. London et al.: Hutchinson. 18 dem Markt landete. In Barnsbury, wo Anfang der 1980er Jahre fast die Hälfte des Wohnungsbestandes der Kommune gehörte, kam auf diese Weise der Löwenanteil des Sozialwohnungsbestandes auf den privaten Immobilienmarkt und wurde an besserverdienende Haushalte verkauft. Dies führte insgesamt zu einer Konsolidierung und Intensivierung von Gentrifizierungsprozessen. Seit den 1990er Jahren sprechen Wissenschaftler hier sogar von einer „Supergentrification“, bei der die traditionellen Gentrifier durch noch reichere Haushalte verdrängt werden. Wie beurteilen Sie die gegenwärtigen Entwicklungen in London? Aktuell erleben wir in Barnsbury und anderen Londoner Stadtteilen eine dritte Phase, in der einerseits Gentrification zu einer globalen Anlagestrategie für Vermögensbesitzer wird und andererseits der Anteil der Mieterhaushalte wieder wächst. In Londoner Innenstadtbezirken werden heute etwa 60 Prozent der Immobilien von „Non-UK Buyers“ erworben, die vor allem auf hohe Wertsteigerungspotenziale setzen. Das hat eine enorme Preisinflation auf dem Londoner Immobilienmarkt unterstützt. Die Preise sind heute so hoch, dass es sich nicht einmal Professoren renommierter Universitäten mehr leisten können, in einem Viertel wie Barnsbury eine Wohnung zu kaufen. Gleichzeitig ist Vermietung für Investoren wieder attraktiv geworden. Neben vielen anderen Gründen ist hierfür die komplette Deregulierung der Mietgesetzgebung verantwortlich – seit den späten 1980er Jahren können bestehende Mietverträge von den Vermietern ohne Angabe von Gründen mit einer zweimonatigen Frist gekündigt werden. Das macht Mieter extrem vulnerabel und ermöglicht die problemlose Durchsetzung von Mietsteigerungen. In der Summe führt es zu einer Situation, in der Vermögensbesitzer sehr teure Immobilien kaufen können, um dann zu warten, bis diese noch teurer werden – gleichzeitig können sie die in der Zwischenzeit entstehenden Kosten leicht aus den Einnahmen von Mietern decken, die sie jederzeit vor die Tür setzen können. Der Gentrifizierungsprozess in Berlin-Prenzlauer Berg verlief vermutlich gänzlich anders? Natürlich, die spezifischen Rahmenbedingungen in Berlin sind mit denen von London nicht zu vergleichen. Bis 1990 gab es überhaupt keinen Wohnungsmarkt in Ostberlin. Danach hatten wir bis Mitte der 1990er Jahre eine Phase sozialstaatlicher Sanierung, in der die meisten Sanierungsmaßnahmen mit öffentlichen Fördergeldern bezahlt und die Mietsteigerungen stark begrenzt wurden. Seitdem hat der Staat seine Intervention stark zurückgefahren und Marktmechanismen sind immer bestimmender geworden. Das gilt vor allem für die letzten zehn Jahre, in denen die Sanierung fast nur noch in Form von Umwandlung von Miet- in Eigen- 1/2015 • Nachrichten der ARL 4_Thema_1-2015(S06-22).indd 18 15.04.2015 14:48:24 THEMA tumswohnungen erfolgte. Das führte zu einem hohen Verdrängungsdruck und einem durchschlagenden Wandel der Bevölkerungsstruktur. Zurzeit gibt es zarte Anzeichen für eine Re-Regulierung – aber da müssen wir erst mal abwarten. fehlungen wissenschaftlich begründen zu können. Last but not least würden bessere Erklärungsmodelle auch der bereits beschriebenen Verwässerung des Begriffs „Gentrification“ in der Öffentlichkeit entgegenwirken. Herr Dr. Bernt, vielen Dank für das Gespräch! Gibt es trotz der unterschiedlichen Rahmenbedingungen auch ähnliche Entwicklungsprozesse? Barnsbury und Prenzlauer Berg sind sich in manchen Punkten auch ähnlich, etwa in der Dynamik der Investitionsprozesse oder in der Entwicklung der Bevölkerungsstruktur. Die Unterschiede sind jedoch gravierender: Wir haben völlig unterschiedliche „Housing Systems“. In Deutschland spielt sich beispielsweise der ganze Prozess innerhalb eines stark regulierten Mietwohnungsmarktes ab, in dem sowohl Mieter als auch Vermieter umfangreich kodifizierte Rechte haben. In Großbritannien sind die Rechte von Mietern im Vergleich so begrenzt, dass man diesen Aspekt fast völlig vernachlässigen kann. Gegensätzlich sind auch Förderpolitiken, Steuergesetze und Sozialwohnungssysteme. Auch die Politik-Arenen, in denen all diese Dinge verhandelt werden, unterscheiden sich stark. Warum halten Sie es für wichtig, diese zwei Geschichten im Einzelnen nachvollziehen zu können? Dr. Matthias Bernt ist Senior Researcher am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner und Lehrbeauftragter am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt Universität zu Berlin. Sein Forschungsprojekt zu Gentrifizierung und Wohnungspolitik in London, Berlin und St. Petersburg läuft bis 2016 und wird von der Alexander von Humboldt-Stiftung gefördert. Jan Zwilling hat Geografie, Politikwissenschaften und Geoinformatik an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universidade de Lisboa studiert und leitet die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS). Kontakt: Matthias Bernt 03362 793-275 [email protected] Jan Zwilling 03362 793-159 zwilling @irs-net.de Weil die Geschichten zeigen, dass uns die bestehenden Theorien nur begrenzt helfen können, die Dynamiken des Nachbarschaftswandels zu entschlüsseln. Weder eine Erklärung von Gentrification als das Schließen einer Renditelücke noch ein Modell, das Gentrification allein aus dem Zuzug von „Pionieren“ und „Gentrifiern“ erklärt, hilft uns wirklich, die Veränderungen des Prozesses zu verstehen. Meiner Meinung nach geht es darum, dass der Staat ins Zentrum der Erklärung gerückt werden muss. Das würde uns nicht nur einen besseren Einblick in die Mutationen von Gentrification in Barnsbury oder die Spezifika von Prenzlauer Berg ermöglichen, sondern auch zu einem besseren Verständnis der Gründe führen, weshalb sich Gentrification in verschiedenen Ländern so sehr unterscheidet. Gibt es überhaupt „die eine“ Gentrification? Ich bin mir inzwischen sicher, dass wir eher von Gentrifications im Plural sprechen sollten, anstatt generalisierende Modelle zu verwenden. Ich möchte damit nicht sagen, dass die bisherige Forschung nicht zutreffend oder gar wertlos ist. Wir Forscher dürfen nur nicht an diesem Punkt stehen bleiben. Wir brauchen kontextsensiblere Forschungsansätze und wir müssen politische Rahmenbedingungen besser in unsere Erklärungsmodelle integrieren. Das würde uns helfen, besser zu verstehen, was in unterschiedlich strukturierten Wohnvierteln passiert, und es würde uns in die Lage versetzen, sehr spezifische politische Emp- Nachrichten der ARL • 1/2015 4_Thema_1-2015(S06-22).indd 19 19 15.04.2015 14:48:24 THEMA Gemeinsam statt einsam: Wohnprojekte in Leipzig Ein Gespräch mit Karin Wiest über Kollektivhäuser, Wohngenossenschaften und den Wunsch nach mehr Nachbarschaft in der Stadt Das Interview führte Gabriele Schmidt. Karin Wiest Frau Dr. Wiest, der Spiegel fragte bereits vor drei Jahren, ob Leipzig als „Stadt der Träumer“ das bessere Berlin sei. Tatsächlich zieht es hier nicht nur viele Kreative hin, auch kollektive Wohnformen sind stark im Trend. Warum ausgerechnet in Leipzig? In Leipzig konnten sich viele neue Wohnformen gründen, weil Leipzig mal eine sehr stark schrumpfende Stadt war und es in diesem Zusammenhang viel Freiraum auf dem Wohnungsmarkt gab. Hauseigentümer suchten Nutzungsmöglichkeiten für ihre Gebäude. Die Stadtverwaltung hat verschiedene Projektformen angeboten, um auf einem niedrigen Level preisgünstigen Wohnraum anzubieten. Dies ist der Hintergrund, warum sich gerade in Leipzig kollektive Wohnformen ausbreiten konnten. Andere ostdeutsche Städte schrumpften ähnlich stark oder stärker. In Leipzig kamen noch andere begünstigende Faktoren hinzu: Zum einen ist die Stadt eine Universitätsstadt, es leben also viele Studenten in Leipzig. Zum anderen ist die Kunstszene in Leipzig sehr stark. Zusammengenommen gibt es also eine Klientel für dieses Wohnangebot. Darüber hinaus hat Leipzig einen hohen Baubestand aus der Gründerzeit, der für solche Projekte sehr attraktiv ist. Aus welchen Motiven entscheiden sich gerade junge Menschen, in Kollektivhäuser zu ziehen? Der Hauptgrund liegt im Angebot an preiswertem Wohnraum durch den entspannten Wohnungsmarkt. Ich glaube, dass der Wunsch auch in anderen Städten vorhanden ist, dort aber die alternativen Wohnformen aufgrund der Miet- und vor allem Kaufpreise sehr viel schwieriger zu verwirklichen sind. Dort gibt es diese Freiräume auf dem Wohnungsmarkt einfach nicht. Das ist die eine Seite. 20 Auf der anderen Seite gibt es nicht nur bei jungen Leuten, sondern in der Gesellschaft insgesamt ein Bedürfnis, in Gemeinschaften zu leben. Der Trend zur Vereinzelung, insbesondere in den großen Städten, kann ein neues Bedürfnis nach Nachbarschaftlichkeit, nach gegenseitiger Hilfe hervorrufen. Die genossenschaftlichen Wohnmodelle mit ihrem Solidaritätsprinzip bieten hierfür einen Ansatz an. Darüber hinaus sind sie ein Gegengewicht zu Immobilienspekulationen, indem sie dem Markt einen Anteil an Wohnungen entziehen. In Anbetracht der gegenwärtigen Debatte über Gentrifizierung spielt das sicherlich auch eine große Rolle. Worin unterscheiden sich die neuen alternativen und gemeinschaftlichen Wohnformen vom traditionellen genossenschaftlichen Wohnen? Bei alternativen Hausprojekten handelt es sich um eine ganze Bandbreite von gemeinschaftlichen Wohnformen. Darunter fallen neu gegründete Hausprojekte wie z. B. das Wächterhaus, bei dem es sich nicht um genossenschaftliches Wohnen handelt, sondern darum, dass junge Leute ein Haus bewohnbar halten. Hierzu gehören auch Baugruppen, bei denen jede Wohnpartei eine Wohnung kauft. Diese beiden Wohnformen haben recht wenig zu tun mit dem gemeinschaftlichen Wohnen im Sinn eines Genossenschaftsmodells. Der Begriff des genossenschaftlichen Wohnens steht für eine bestimmte Organisationsform, die sich zwischen einem funktionsfähigen wirtschaftlichen Unternehmen und einer Gemeinschaft befindet und letztendlich eine spezifische Lebensform verwirklichen möchte. Eine Genossenschaft muss als solche eingetragen sein und wird geprüft. Die von mir beschriebenen alternativen Wohnprojekte können Genossenschaften sein, müssen es aber nicht. Genossenschaft heißt letzten Endes, dass der Einzelne kein Privateigentum hat. Das ist sozusagen der Grundunterschied. 1/2015 • Nachrichten der ARL 4_Thema_1-2015(S06-22).indd 20 15.04.2015 14:48:26 THEMA Gibt es denn Unterschiede zwischen den Motiven, einer Wohngenossenschaft beizutreten oder in ein Kollektivhaus zu ziehen? Wer genau zieht in die neuen, kollektiven Wohnungsgemeinschaften ein? Sind diese ein Mittelschichtsphänomen? Bei einer neu gegründeten Einheit kann man sehr viel mitgestalten. Die Traditionsgenossenschaften waren auch irgendwann einmal so innovativ und wollten ein bestimmtes Projekt verwirklichen. Aber im Laufe ihrer Entwicklung sind sie größer geworden, die Mitglieder sind nicht mehr unmittelbar beteiligt. In den Großgenossenschaften gibt es meistens einen Mitgliedervertreter. Unter den Mitgliedern ist deswegen oft nicht mehr das Bewusstsein vorhanden, dass der Einzelne auch Verantwortung übernimmt und aktiv sein kann. Der Partizipationsgedanke ist bei den Traditionsgenossenschaften oft in den Hintergrund getreten. Hierzu kann ich keine allgemeingültige Aussage treffen. Es gibt natürlich Wohnprojekte der Mittelschicht, die teilweise nicht billig sind, insbesondere in Regionen, wo allein der Grundstückspreis so hoch ist, dass dort nur bestimmte Leute es sich leisten können, Genossenschaftsanteile zu kaufen. In Leipzig sind es dagegen eher alternative junge Leute. Sie gehen oft sehr idealistisch an diese Wohnprojekte heran und wünschen sich beispielsweise, ein altes Haus wieder zum Leben zu erwecken. Manchmal versuchen sie auch, Gemeinschaftsräume zu schaffen, die auch von anderen genutzt werden können, z. B. Kulturräume oder Galerien. Innerhalb dieser Hausprojekte wohnen zum Teil Menschen mit sehr unterschiedlichen Einkommen. Aber alle haben das Interesse, in diesem Gemeinschaftsprojekt zusammenzuarbeiten. Viele möchten ein Mehrgenerationenwohnen verwirklichen. Außerdem ist die Mitgliederstruktur in den ostdeutschen Großgenossenschaften aufgrund ihrer langen Geschichte – die Mitglieder haben irgendwann einmal Anteile erworben und sind geblieben – teilweise stark überaltert. Ihre Klientel ist deswegen eine andere als bei den neuen genossenschaftlichen Projekten, die sich mit einem bestimmten Ziel gründen. Unter den neuen Genossenschaften gibt es manche extra für Frauen und andere, die sich explizit die Integration ganz unterschiedlicher Gruppen zum Ziel gesetzt haben. Wieder andere Genossenschaften wurden gegründet, um gemeinsam ökologische Lebensformen umzusetzen. Das heißt es sind bestimmte Projekte, die man in solch einem Wohnmodell verwirklichen kann. Durch diese zum Teil sehr spezifischen Zielsetzungen unterscheiden sich die neuen Kollektivprojekte von den klassischen Traditionsgenossenschaften. In Bezug auf Ihre Frage nach der Mittelschicht kann man sagen, dass es sich bei diesen Wohnformen eher um Menschen eines bestimmten Bildungsstandes handelt, also eher um eine bestimmte Bildungsschicht als eine bestimmte Einkommensschicht. In welchem Verhältnis stehen die neuen Wohnformen zur Stadtgesellschaft? Stehen sie im Austausch oder grenzen sie sich von ihrem Wohnumfeld ab? Wird dies von den Zielgruppen aufgegriffen? Es trifft sicher beides zu. Im Hinblick auf die Traditionsgenossenschaften würde ich sagen, dass sie sich teilweise nach außen abschließen, weil sie die Interessen ihrer Mitglieder vertreten müssen. Wenn man weiß, dass die Mitglieder mit bestimmten Leuten nicht zusammenleben möchten, werden diese Leute kaum aufgenommen werden. Hier können wir also schon einen Ausschließungsmechanismus beobachten. Allerdings bieten viele Bestandsgenossenschaften Angebote für altengerechtes Wohnen. Das hängt davon ab, wie eng der Wohnungsmarkt generell ist. In einer Stadt mit einem sehr angespannten Wohnungsmarkt haben die Genossenschaften überhaupt keine Probleme, auch junge Mitglieder zu gewinnen. Da stehen die Leute Schlange, diese Genossenschaften haben kein Nachwuchsproblem. Bei den Hausprojekten gibt es vielleicht auch Phänomene der Abschließung, aber es besteht oft gleichzeitig der Wunsch, viele Menschen im Viertel anzusprechen, z. B. durch Kultur- und Kunstprojekte. Dadurch wirken diese Projekte aktiv in die Stadtteilentwicklung ein. Man kann aber sagen, dass die Traditionsgenossenschaften aufgrund ihrer starken Überalterung besonders interessiert daran sind, neue Mitglieder – z. B. Studenten und junge Familien – zu gewinnen und dass sie sich hierzu auch einiges überlegen. Aber in den neuen Bundesländern, wo Genossenschaften wegen des Wohnungsleerstandes nicht mit preisgünstigem Wohnraum punkten können und ihre Wohnungsbestände sich sehr häufig auf Plattenbauten am Stadtrand konzentrieren, ist es deutlich schwieriger. Diese Wohnungsbestände sind für junge Leute erfahrungsgemäß oft nicht so attraktiv. Chancen haben diese Wohnungsbestände der 1970er und 1980er Jahre vor allem in den Innenstadtlagen und besonders dann, wenn sie unter dem Marktpreis angeboten werden. Gibt es bei den gemeinschaftlichen Wohnformen regionale Verschiedenheiten, z. B. zwischen Ost und West oder Stadt und Land? Bei den klassischen Wohngenossenschaften gibt es deutlich ausgeprägte Ost-West-Unterschiede, die auf die unterschiedliche Geschichte von Ost- und Westdeutschland zurückzuführen sind. Im Sozialismus der DDR entsprach das Genossenschaftsmodell der Wohnraumversorgungspolitik. Hierin ist der Hauptgrund dafür zu sehen, dass die Genossenschaften in Nachrichten der ARL • 1/2015 4_Thema_1-2015(S06-22).indd 21 21 15.04.2015 14:48:26 THEMA Ostdeutschland noch eine ziemlich große Bedeutung haben. In ostdeutschen Städten ist zum Teil bis zu einem Viertel des Wohnungsbestandes im Besitz von Genossenschaften. Allerdings wurden in der DDR nicht alle urgenossenschaftlichen Prinzipien gelebt. Die Prinzipien der Selbstverwaltung und Mitbestimmung wurden z. B. außer Kraft gesetzt. In westdeutschen Städten ist der Anteil an Genossenschaftswohnungen oft sehr viel niedriger, wobei Hamburg die Stadt mit den höchsten Genossenschaftsanteilen ist. Im Hinblick auf den Stadt-Land-Gegensatz kann man sagen, dass Wohngenossenschaften auf dem Land eine geringere Rolle spielen, hier gibt es eher Produktionsgenossenschaften oder Konsumgenossenschaften. Zu den neueren Wohnformen habe ich keine Zahlen. Da ihre Umsetzung aber vom Angebot an preisgünstigem Wohnraum abhängt, kann man annehmen, dass sie sich eher in Regionen mit einem entspannteren Wohnungsmarkt befinden. Gibt es begünstigende bzw. hinderliche Rahmenbedingungen für gemeinschaftliche Wohnformen? Nehmen wir die Stadt Leipzig als Beispiel: Die Stadtverwaltung war den alternativen Wohnprojekten gegenüber ausgesprochen aufgeschlossen. Sie hat Beratungsangebote ermöglicht und die Projekte gefördert. Allerdings geschah dies natürlich aus der Not der Schrumpfungsproblematik heraus. Um es auf den Punkt zu bringen: Der entscheidende Faktor ist der Grundstücksmarkt. Bei einem entspannten Wohnungsmarkt sind solche Projekte viel leichter möglich. Thema des raumwissenschaftlichen Kolloquiums war das Leben in der Stadt der Zukunft. Wie beurteilen Sie die Zukunft des kollektiven Wohnens? Wird der Zuwachs anhalten? Ich kann mir eine wachsende Nachfrage vorstellen. Der Wunsch, in alternativen Wohnformen zu leben, könnte weiter zunehmen. Um diesen Wunsch aber umzusetzen, müssten auf dem Wohnungsmarkt auch die Angebote dafür vorhanden sein. Die gegenwärtigen Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt mit einer sich nach oben drehenden Preisspirale weisen jedoch in eine andere Richtung. Hier ist die Politik gefordert. Von der Stadtverwaltung könnten z. B. Grundstücke für gemeinschaftliches Wohnen vorgehalten werden. Frau Dr. Wiest, vielen Dank für das Gespräch! Karin Wiest hat Geographie, Raum- und Stadtplanung an der TU München studiert. Sie ist Projektleiterin im Forschungsbereich „Raumproduktionen im Verhältnis von Polarisierung und Peripherisierung“ am Leibniz-Institut für Länderkunde. Ihre Hauptarbeitsfelder sind vergleichende Stadt- und Regionalforschung, demografischer Wandel, sozialräumliche Ungleichheiten, Segregations- und Genderforschung in Deutschland und Europa. Kontakt: © HPG KunterBunte 19 mbH Karin Wiest 08955265974 [email protected] Hausprojekt Kunterbunte in Leipzig 22 1/2015 • Nachrichten der ARL 4_Thema_1-2015(S06-22).indd 22 15.04.2015 14:48:26 AUS DER ARL ARL-Kongress 2015 Migration, Integration: Herausforderungen für die räumliche Planung 18. / 19. Juni 2015 im Maternushaus, Köln D ie Debatte um Migration und Integration ist hochaktuell. Während für die Quartiersebene bereits viele Untersuchungen vorliegen und Integrationsstrategien vorhanden sind, fehlen diese auf überörtlicher Ebene noch weitgehend. Analysen zur Raumentwicklung und zur Migration stehen bislang relativ unverbunden nebeneinander. In der Raumordnung und Raumentwicklung ist bisher überwiegend Zurückhaltung bei der Auseinandersetzung mit den Themen Migration, kulturelle Diversität und Integration zu verzeichnen. Die Bedürfnisse und räumlichen Wirkungen von Migrantengruppen in den unterschiedlichen Siedlungsräumen werden von den Akteuren der Raumentwicklung bislang kaum in strategische Konzepte einbezogen. Die Integration der Migrantinnen und Migranten ist nicht nur eine zentrale Herausforderung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, sie erfordert auch eine Berücksichtigung in der Raumordnung und Raumentwicklung. Denn Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Wurzeln haben verschiedene Ansprüche an ihr Lebensumfeld, an Wohnen, Arbeiten, Mobilität und Beteiligung. Auf dem ARL-Kongress wollen wir deswegen u. a. folgenden Fragen nachgehen: ■■ Welche Auswirkungen hat die internationale Migration auf die Raumentwicklung, insbesondere auf stadtregionaler Ebene und in ländlichen Räumen? ■■ Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich daraus, insbesondere durch die wachsende kulturelle Vielfalt? ■■ Was bedeutet die räumlich sehr ungleiche Verteilung der Migrantinnen und Migranten (Stadt/Land, West/Ost) für die teilräumlichen Entwicklungen? ■■ Welche Gestaltungsmöglichkeiten bieten die Instrumente räumlicher Planung? ■■ Mit welchen Akteuren muss in Zukunft stärker kooperiert werden, um Strategien und Instrumente weiterzuentwickeln? © picture alliance / landov Alle Informationen zum Kongress finden Sie unter www.arl-net.de/arl-kongress-2015. Anmeldung bis zum 20. Mai 2015. Nachrichten der ARL • 1/2015 23 AUS DER ARL ARL-Kongress 2015 Programm Donnerstag, 18. Juni 2015 Freitag, 19. Juni 2015 ■■ 12:30 Begrüßung und Eröffnung ■■ 09:00 Fortführung der vier parallelen Workshops Prof. Dr.-Ing. Klaus J. Beckmann, Präsident der ARL ■■ 12:45 Integrationspolitik in NRW ■■ 13:00 Dr. Bernhard Santel, Referatsleiter für Grundsatzfragen der Zuwanderungsund Integrationspolitik, Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales (MAIS) des Landes NRW, Düsseldorf Spatial patterns of migration Peter Mehlbye, Director ESPON Coordination Unit, Luxemburg ■■ 13:20 Politische Steuerung der Zuwanderung Dr. Steffen Angenendt, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin ■■ 1 1:00 ■■ 1 1 :30 Verleihung Werner-Ernst-Preis 2015 ■■ 12:00 Migration und Diversität als urbane Ressource Prof. Dr. Erol Yildiz, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Innsbruck ■■ 12:30 Podiumsdiskussion: Gestaltungsmöglichkeiten aus Sicht von Planung, Politik und Wissenschaft Moderation: Prof. Dr.-Ing. Klaus J. Beckmann, Präsident der ARL ■■ 13:50 Diskussion ●● Prof. Dr. Ingrid Breckner, Professur Moderation: Prof. Dr. Rainer Danielzyk, Generalsekretär der ARL, Leibniz Universität Hannover ●● PD Dr. Jan Hilligardt, Hessischer für Stadt- und Regionalsoziologie, HafenCity Universität Hamburg Landkreistag, Wiesbaden ●● Dr. Timo Munzinger, Deutscher ■■ 14:30 Gestaltungs- und Handlungs- spielräume – Fragestellungen aus Sicht der Raumordnung Städtetag, Berlin ●● Christian Specht, Erster Bürger- meister der Stadt Mannheim/ Metropolregion Rhein-Neckar Prof. Dr. Annette Spellerberg, Lehrgebiet Stadtsoziologie, Technische Universität Kaiserslautern ●● Prof. Dr. Erol Yildiz, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Innsbruck ■■ 14:45 Kaffeepause ■■ 15:30 Parallele Workshops zu den Themenbereichen Arbeitsmarkt, Siedlungsentwicklung, Gesellschaftlicher Zusammenhalt, Internationale Erfahrungen ■■ 18:00 Ende der Workshops ■■ Ab 18:15 Abendempfang 24 Kaffeepause 1/2015 • Nachrichten der ARL ●● Heike Zettwitz, Sächsische Staats- kanzlei, Dresden ■■ 13:45 Zusammenfassung der Tagung Prof. Dr. Annette Spellerberg, Lehrgebiet Stadtsoziologie, Technische Universität Kaiserslautern ■■ 14:00 Verabschiedung Prof. Dr.-Ing. Klaus J. Beckmann, Präsident der ARL AUS DER ARL Raumbezogene Governance internationaler Zuwanderung? Herbsttagung der LAG Berlin/Brandenburg/Mecklenburg-Vorpommern am 4. und 5. November 2014 in Jüterbog eutschland ist heute ein Einwanderungsland. Die seit Jahren steigende internationale Zuwanderung hat Auswirkungen auf die Bevölkerungszahl und -struktur sowie auf die Raumstruktur. Mehr Wohnungen werden nachgefragt, die Städte weisen neue Wohnquartiere aus und diskutieren wieder Wachstumsstrategien. Die Zuwanderung verläuft jedoch teilräumlich sehr unterschiedlich und die empirischen Befunde zu den räumlichen Konsequenzen sowie zur raumbezogenen Governance sind noch begrenzt. Welche Zusammenhänge bestehen zwischen internationaler Zuwanderung und räumlicher Veränderung? Inwiefern und mit welchen Instrumenten kann die raumbezogene Governance Veränderungen mitgestalten? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Herbsttagung der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Berlin/Brandenburg/Mecklenburg-Vorpommern in Jüterbog. Geringere Zuwanderung im Nordosten Die Zuwanderung in die nordostdeutschen Flächenländer ist erheblich geringer als im Bundesdurchschnitt. Dadurch bleibt es auch langfristig schwierig, den Bevölkerungsrückgang durch Zuwanderung aus dem Ausland auszugleichen. Eine Besonderheit ist der Großraum Berlin, in dem die Einwohnerzahl vor allem durch die hohe internationale Zuwanderung im letzten Jahr gestiegen ist. Der Anteil Nichtdeutscher liegt in Berlin über dem Bundesdurchschnitt. Innerhalb der Flächenstaaten verläuft die Zuwanderung in den Regionen unterschiedlich: Während ländliche und periphere Teilräume unterdurchschnittliche Werte aufweisen (z. B. 1,3 % an der Mecklenburgischen Seenplatte) liegt der Ausländeranteil in Rostock bei 4 %. Als Sonderfall ist der deutsche Grenzraum im Umland der polnischen Metropole Stettin anzusehen. Der Ausländeranteil z. B. im Amt Gartz (Oder), Land- © Hennen D Auftakt der LAG-Herbsttagung kreis Uckermark, lag im Jahr 2013 aufgrund der hohen Zuwanderung aus Polen bei 10,1 %. Eine umfassende Analyse dieser Veränderungen fehlt jedoch bislang. Die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse und die praktischen Erfahrungen im räumlichen Umgang mit internationaler Zuwanderung beziehen sich eher auf qualitative Forschungsergebnisse als auf langjährige quantitative Beobachtungen, wie die Tagung zeigte. Die Zuwanderung erfordert zudem eine differenzierte Analyse: Die verschiedenen Zuwanderergruppen haben einen unterschiedlichen sozioökonomischen Hintergrund und stellen unterschiedliche räumliche Anforderungen. So haben Asylsuchende – trotz neuer Freiheiten bei der Wohnortwahl – nicht dieselben Rahmenbedingungen wie andere Migrantengruppen, z. B. Bürger der Europäischen Union, denen von vornherein Freizügigkeit gewährt wird. Zuwanderung als Thema der Raumwissenschaften Zuwanderung als Teil des demografischen Wandels ist ein klassisches Themengebiet der Raumforschung und Raumplanung. Zunächst stehen hier die raumbezoge- Nachrichten der ARL • 1/2015 25 AUS DER ARL nen Ex-post- und Ex-ante-Analysen im Vordergrund: Wie wirkt sich Zuwanderung räumlich aus? Daraus erwachsen aber auch konzeptionelle Fragen: Inwiefern können durch Zuwanderung die teilräumlichen Prozesse der Entdichtung und Stadtschrumpfung, der Destabilisierung des bestehenden Siedlungsgefüges sowie der Zunahme regionaler Disparitäten gemildert oder sogar umgekehrt werden? Leitbilder einzelner Regionen in Nordostdeutschland, z. B. der Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg, begreifen Zuwanderung als Chance, um Arbeitskräfte zu gewinnen und die Raumstruktur zu stabilisieren. Die Leitbilder enthalten Aussagen zur Willkommenskultur und beziehen sich damit gezielt auf internationale Bevölkerungsgruppen. Entsprechend wird Zuwanderung nicht mehr als Problem, sondern als Potenzial für eine nachhaltige Entwicklung angesehen. Vor diesem Hintergrund stehen in den Zentren Nordostdeutschlands derzeit auch verstärkt migrantische Ökonomien im Interesse der wirtschaftsgeographischen Betrachtung. Dies markiert zugleich den Wandel in der Schwerpunktsetzung von einer Sozial- und Integrationspolitik hin zu einer Wirtschaftsförderung und Strukturpolitik. Zudem verlagert sich die Diskussion von der Bundesebene auf die Handlungsräume in den Regionen, Städten und Quartieren. Herausforderung für verschiedene raumpolitische Ebenen Der Umgang mit Zuwanderung ist nicht nur eine Aufgabenstellung für die Bundes- oder Landespolitik (z. B. bei der Aufnahme und Erstverteilung von Asylsuchenden in den Bundesländern), sondern insbesondere auch für die unteren Ebenen. Aber welche Steuerungsinstrumente stehen auf diesen Ebenen zur Verfügung? falls nicht geklärt ist momentan die Bedeutung des raumplanerischen Instrumentariums im Verhältnis zu den Instrumenten der anderen Ressorts: Ist die räumliche Gesamtplanung „blind“ gegenüber der räumlichen Steuerung bzw. der Anwerbung und ausgleichenden Verteilung internationaler Zuwanderer? Sind andere Formen eines regionalen Managements erforderlich, z. B. eine integrierte und damit ressortübergreifende Zusammenarbeit als regionales Pendant zu dem Instrumentarium der Sozialen Stadt? Oder gibt es keinen gesonderten Handlungsbedarf, weil es für die räumliche Entwicklung unerheblich ist, ob sich die Zuwanderung aus internationalen oder regionalen bzw. deutschlandweiten Wanderungsbewegungen speist? Diese Fragen wurden von den Teilnehmenden der Herbsttagung unterschiedlich beantwortet. Bislang hat sich noch kein klares Bild ergeben, daher besteht in diesem Themenfeld weiter Forschungs- und Handlungsbedarf. Notwendigkeit integrierter Governance Sofern vor Ort Arbeitsplätze vorhanden sind, kann der Zuzug von Ausländern potenziell einen Beitrag zur Minderung der Einwohnerrückgänge, zur Reduzierung des Wohnungsleerstandes, zur Stabilisierung der Auslastung von Infrastruktur und damit insgesamt zur Tragfähigkeit der Raumstrukturen leisten. Raumplanung alleine reicht zur Bewältigung der damit verbundenen Aufgaben allerdings nicht aus. Eine spezifisch auf Migrationsströme ausgerichtete raumbedeutsame Politik stößt zwar auch an Grenzen – so kann etwa eine Industrie- und Handelskammer nicht explizit nur polnische Investoren unterstützen –, denkbar wäre aber, Fördergelder aus dem EFRE-Programm hierfür einzusetzen. Daher ist eine Abstimmung zwischen den raumbedeutsamen Politikfeldern erforderlich. Auf der regionalen und Landesebene Norddeutschlands sind dagegen die Steuerungsmöglichkeiten der Raumplanung unklar. Eben- 26 1/2015 • Nachrichten der ARL © Hennen Auf Quartiers- und gesamtstädtischer Ebene wurden bereits Erfahrungen mit der integrierten Stadtentwicklung im Rahmen der Programme „Stadtumbau Ost“ und „Soziale Stadt“ gesammelt. Beide gehen materiell wie instrumentell über die räumliche Gesamtplanung hinaus, indem sie gesellschaftsräumliche und gesellschaftliche Fragestellungen miteinander verbinden. Podiumsdiskussion AUS DER ARL Zuwanderung und Innovation Entsprechend wird Zuwanderung von den verantwortlichen Akteuren in Nordostdeutschland überwiegend als ressortübergreifende Herausforderung verstanden. Bei einem zunehmend veränderten Arbeitsmarkt suchen sich z. B. viele Hochqualifizierte eine Homebase, von der aus sie ihren multilokalen Tätigkeiten nachgehen. Hier zeigen sich die Zusammenhänge zwischen einer Innovationspolitik zur Förderung kreativer Milieus und der räumlichen Planung. Wissensgemeinschaften als Quellen von Innovationen sowie die Koproduktion von Wissen im Sinne eines akteursorientierten Wissensmanagements werden immer wichtiger. Berlin hat mit derartigen Innovations- und Kreativlabs zahlreiche Erfahrungen gesammelt. In den Zentren der beiden Flächenländer ist dies bislang weniger ausgeprägt, grundsätzlich aber ebenfalls denkbar. In Nordostdeutschland werden daher neue Formen der Zusammenarbeit diskutiert, die die erprobten Prozesse des Regionalmanagements um den Aspekt der internationalen Zuwanderung ergänzen. Zugleich ist es weiterhin erforderlich, die räumliche Gesamtplanung einzubeziehen, um die Voraussetzungen für eine sozial ausgewogene und damit nachhaltige räumliche Entwicklung zu erreichen. Die Autoren danken den Referentinnen und Referenten sowie den weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmern der LAG-Herbsttagung 2014 für ihre Beiträge. Weitere Dokumente zur Tagung finden Sie unter http:// www.arl-net.de/projekte/lag-bbmv. Dr.-Ing. Christian Strauß, PD Dr.-Ing. Thomas Weith Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V. Kontakt: Christian Strauß 033432-82-338 [email protected] Thomas Weith 033432 82-124 [email protected] Zur Zukunft der Großschutzgebiete 126. Sitzung der LAG Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland am 3. November 2014 in Koblenz Großschutzgebiete – eine Einordnung Der erste Naturschutzpark in der Lüneburger Heide entstand Anfang des 20. Jahrhunderts aufgrund widerstreitender Nutzungsinteressen (Barthelmeß 1988: 134 f., Mehnen/Mose/Strijker 2010). In den 1950er Jahren etablierte sich die Idee, Gebiete für Naturschutz und Erholung unter Schutz zu stellen, und eine Welle von Naturpark-Gründungen folgte. Aktuell gibt es in Deutschland über einhundert Naturparke, die mehr als ein Viertel der gesamten Landesfläche umfassen (ausführlich Weber 2013: 40 ff.). In der öffentlichen Wahrnehmung sind sie allerdings nur begrenzt präsent und bekannt (bspw. Weber 2013: 207 ff.). Deutlich anders gestaltet sich die Situation bei Nationalparken und Biosphärenreservaten. Der erste Nationalpark in Deutschland wurde 1970 im Bayerischen Wald ausgewiesen. Ende 2013 gab es insgesamt 14 deutsche Nationalparke, die gerade einmal knapp 0,6 Prozent der Landesfläche (ohne Watt- und Meeresflächen) abdeckten (dazu u. a. Blab 2006, Job 2010). Quantitativ ähnlich exklusiv sind die Biosphärenreservate, von denen zurzeit in Deutschland 15 existieren. Sie umfassen immerhin drei Prozent der Landesfläche und können von der UNESCO anerkannt werden (zum Thema u. a. Kühne 2010). Plakativ formuliert: Während Naturparke jahrzehntelang tendenziell in einem „Dornröschenschlaf“ verharrten, gelten Biosphärenreservate und insbesondere Nationalparke häufig als „Königsklasse“ der Großschutzgebiete. Gerade Nationalparke mit ihrem strengen Naturschutz, getreu dem Motto „Natur Natur sein lassen“, sind bekannt und eng mit Prestige und verhältnismäßig guter finanzieller wie personeller Ausstattung verknüpft – ganz anders als es bei Naturparken im Allgemeinen der Fall ist. Als Modellräume der Nachhaltigkeit (u. a. Brodda 2002) erfreuen sich auch Biosphärenreservate eines hohen Ansehens. Im Mai 2015 soll nun der erste länderübergreifende Nationalpark der Länder Rheinland-Pfalz und Saarland – der Nationalpark HunsrückHochwald – eröffnet werden, der innerhalb des bereits bestehenden Naturparks Saar-Hunsrück liegen wird. Die aktuellen Entwicklungen bildeten den Ausgangspunkt für die LAG-Sitzung. Nachrichten der ARL • 1/2015 27 © Friedericke Weber AUS DER ARL Blick Richtung Leutesdorf, rechte Rheinseite, Naturpark Rhein-Westerwald Schutzgebietsvielfalt und Aufgabenüberlappungen Bei der LAG-Sitzung wurden unterschiedliche Facetten von Großschutzgebieten beleuchtet und die Entwicklungen bei der Etablierung des Nationalparks Hunsrück-Hochwald diskutiert. Zu Beginn gab Prof. Dr. Kai Tobias von der Technischen Universität Kaiserslautern einen Überblick über die jeweiligen Entwicklungsziele unterschiedlicher Schutzgebietskategorien, wobei er sowohl auf formelle als auch informelle Instrumente blickte. Dabei wurde deutlich, dass die Vielfalt nicht nur bereichernd ist, sondern auch Probleme hervorrufen kann. Welche Schutzgebiete erfüllen welche Aufgaben? Sind die Unterschiede, besonders für die Bevölkerung, nachvollziehbar? Bestehen Konkurrenzen? Gerade Naturparke sind vielfach in einer schwierigen Situation – unter anderem aufgrund finanzieller und personeller Engpässe. Gleichwohl wurde ihnen durch Gesetzesnovellierungen die anspruchsvolle Aufgabe der nachhaltigen Regionalentwicklung übertragen. Ihr Aufgabenspektrum verschob und erweiterte sich dadurch von Naturschutz und Erholung hin zu Naturschutz und Landschaftspflege, Umweltbildung und nachhaltigem Tourismus, wie Dr. Friedericke Weber, Geschäftsführerin des Naturparks Rhein-Westerwald, ausführte. Während einige davon ausgingen, dass Naturparke 28 1/2015 • Nachrichten der ARL nachhaltige Regionalentwicklung bereits erfolgreich betrieben, gebe es auch kritische Stimmen. Heute ließen sich zudem eine gewisse Aufgabenüberschneidung und Unschärfen zwischen den Großschutzgebieten Nationalparke, Biosphärenreservate und Naturparke beobachten. Naturparke müssten stärker aktiv und profilbildend tätig werden, um nicht in den Schatten gerade von Nationalparken zu rücken. Aktuelle Entwicklungen im LAG-Gebiet: Der Nationalpark Hunsrück-Hochwald Konflikte können sich gerade auch durch die Einrichtung eines neuen Großschutzgebietes innerhalb eines bestehenden ergeben – so z. B. in Rheinland-Pfalz und im Saarland mit dem Nationalpark HunsrückHochwald. Dr. Harald Egidi vom Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten (RheinlandPfalz) beleuchtete die Entwicklungsgeschichte des Nationalparks Hunsrück-Hochwald. Die Einrichtung des Parks sei im Vorfeld ergebnisoffen diskutiert worden. Nach den überwiegend positiven Signalen aus dem Hochwald sei 2012 eine Dialogphase und 2014 ein rechtsförmiges Verfahren eingeleitet worden. Nach Egidi werden voraussichtlich 50 Personen im Nationalpark arbeiten. AUS DER ARL Der Nationalpark werde nur fünf Prozent der Fläche des Naturparks Saar-Hunsrück umfassen, aber im Verhältnis zur Flächengröße finanziell und personell deutlich besser ausgestattet sein. Im Naturpark SaarHunsrück arbeiten derzeit vier Mitarbeiterinnen, wie dessen Geschäftsführerin Gudrun Rau berichtete. Der Naturpark Saar-Hunsrück ist 2004 durch Fusion aus einem saarländischen und einem rheinland-pfälzischen Teil hervorgegangen. Er sei ein Hotspotgebiet der Biologischen Vielfalt, wobei neben der Natur gerade auch der Mensch im Zentrum der Arbeit stehe. Entscheidend für die Zukunft werde es sein, so Rau, dass die notwendigen Mittel für Naturparke zur Verfügung gestellt sowie Naturparke und Nationalparke genügend gefördert werden. Großschutzgebiete – quo vadis? Die Vorträge und gemeinsamen Diskussionen machten deutlich, dass einerseits immer neue Schutzgebiete eingerichtet werden, andererseits jedoch Profile und Ausrichtungen sich überlappen und keineswegs eindeutig sind. In Teilen könnte grundsätzlich deren Legitimationsgrundlage angezweifelt werden. Aus Landesplanungssicht sind Naturparke beispielsweise ohne entscheidende Relevanz. Entscheidungen werden durch deren Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein nicht beeinflusst. Auch für einen Nationalpark ergibt sich dessen Alleinstellungsmerkmal nicht von alleine. Was macht einen Nationalpark Hunsrück-Hochwald besonders, welche Aufgaben kann er erfüllen, inwieweit kann er positiven Nutzen für die Gesamtregion stiften? Zu diesen Fragen besteht noch Forschungsbedarf. Überlappungen zwischen Naturpark und Nationalpark könnten sich negativ auswirken, wenn Ziele verwischen bzw. Unterschiede für die Bevölkerung nur unzureichend nachvollziehbar sind. Literatur Barthelmeß, A. (1988): Landschaft – Lebensraum des Menschen: Probleme von Landschaftsschutz und Landschaftspflege geschichtlich dargestellt und dokumentiert. Freiburg/München. = Orbis academicus Sonderband 2/5: Problemgeschichte von Naturschutz, Landschaftspflege und Humanökologie. Blab, J. (2006): Schutzgebiete in Deutschland – Entwicklung mit historischer Perspektive. In: Natur und Landschaft 81 (1), 8-11. Brodda, Y. (2002): Biosphärenreservat im Südharz – eine Chance für die Region? In: Mose, I.; Weixlbaumer, N. (Hrsg.): Naturschutz: Großschutzgebiete und Regionalentwicklung. Sankt Augustin (Naturschutz und Freizeitgesellschaft 5), 19-39. Job, H. (2010): Welche Nationalparke braucht Deutschland? In: Raumforschung und Raumordnung 68 (2), 75-89. Kühne, O. (2010): Das UNESCO-Biosphärenreservat Bliesgau: Entwicklungen, Beteiligungen und Verfahren in einer Modellregion. In: STANDORT 34 (1), 27-33. Mehnen, N.; Mose, I.; Strijker, D. (2010): Wer kennt den Begriff „Großschutzgebiete“? Deutschsprachige Fachtermini als Gefahr für den internationalen Wissenschaftsdiskurs – ein Essay. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (12), 382-383. Weber, F. (2013): Naturparke als Manager einer nachhaltigen Regionalentwicklung. Probleme, Potenziale und Lösungsansätze. Wiesbaden. Ausblick: Einrichtung einer Arbeitsgruppe Wie sieht vor diesem Hintergrund die zukünftige Entwicklung der Großschutzgebiete im LAG-Gebiet aus? Welche Rolle kann und wird dabei die Regionalentwicklung spielen? Und in welche Richtung entwickelt sich die politische Unterstützung – möglicherweise in Richtung einer Fokussierung auf Nationalparke? Um diesen und weiteren Fragen nachzugehen, wird in der LAG Hessen/ Rheinland-Pfalz/Saarland eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Dr. Florian Weber (Hochschule Weihenstephan-Triesdorf) und Dr. Friedericke Weber (Naturpark Rhein-Westerwald e. V.) eingerichtet, die im Frühjahr 2015 ihre Arbeit aufnimmt. Neben einer gemeinsamen Veröffentlichung soll im Jahr 2016 eine Tagung zur Zukunft der Großschutzgebiete durchgeführt werden. Florian Weber 08161 713919 [email protected] Nachrichten der ARL • 1/2015 29 AUS DER ARL Wissenschaft zum Mitmachen Die ARL bei der „Nacht, die Wissen schafft“ am 15. November 2014 in der Leibniz Universität Hannover A lle zwei Jahre findet sie statt: die Lange Nacht der Wissenschaften in Hannover. Die ARL war zum ersten Mal dabei und präsentierte sich gleich an zwei Standorten, an der Fakultät für Architektur und Landschaft sowie im Hauptgebäude der Universität, mit einem abwechslungsreichen Programm. Programm-Highlight war das in Kooperation mit dem ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und dem ARL-Arbeitskreis „Multilokale Lebensführung und räumliche Entwicklung“ organisierte MitmachProjekt zum Thema „Multilokale Lebensformen“. Unter dem Motto „Wohnst du schon oder pendelst du noch?“ befragte die ARL die Besucherinnen und Besucher zu ihrer Wahrnehmung multilokaler Lebensformen in der Region Hannover und zu ihren Erfahrungen damit. Eine Einführung ins Thema gaben Steckbriefe unterschiedlicher Multilokalitätstypen: z. B. Gustav, 34, der regelmäßig zwischen Deutschland, Schweden und Brasilien pendelt, oder Charlotte, 42, die mit ihrer Familie in Hannover lebt, aber wegen ihrer neuen Arbeitsstelle unter der Woche eine Einzimmerwohnung in Lohne bewohnt. Die personalisierte Darstellung weckte das Interesse der Besucherinnen und Besucher und gab zugleich einen schnellen Einstieg ins Thema. Wir fragten: „Welcher Typ bist du?“ und forderten zum Mitmachen auf. Die Besucherinnen und Besucher konnten sich selbst oder eine Person in ihrem Bekanntenkreis einem Multilokalitätstyp zuordnen, indem sie © Gabriele Schmidt Es gab Vorträge zu den Zukunftsperspektiven von Berlin, zum demografischen Wandel und zum Berufsfeld Raumplanung. Außerdem konnten die Besucherinnen und Besucher in einem Quiz ihr Wissen zur Energiewende testen. Ferner präsentierte die ARL den in Kooperation mit der Universität Göttingen, Professur für Wirtschaftspolitik und Mittelstandsforschung, entwickelten interaktiven „Monitor Infrastrukturkosten des demografischen Wandels“. Die Website richtet sich an Entscheidungsträger aus der Kommunalpolitik und zeigt anschaulich, wie sich die Bevölkerungsstruktur in den Gemeinden Niedersachsens entwickelt hat bzw. voraussichtlich in den nächsten 15 Jahren entwickeln wird. Darüber hinaus werden die Kosten für die bestehende soziale und technische Infrastruktur angezeigt. Der „Monitor Infrastrukturkosten des demografischen Wandels“ bietet eine wichtige Datengrundlage für nachhaltige kommunalpolitische Entscheidungen. Multilokalität: Welcher Typ bist du? Andreas Stefansky beim Quiz zur Energiewende 30 1/2015 • Nachrichten der ARL AUS DER ARL unter den Postern stehende Glasvasen mit farbigen Bällen befüllten. Auf diese Weise zeigte sich schnell und anschaulich, welcher Multilokalitätstyp die stärkste Rolle im Alltag der Besucherinnen und Besucher spielt. Weiterhin gab es eine Befragung zur Wahrnehmung von Multilokalität und ihrer Bedeutung für die Region Hannover, an der knapp 70 Besucherinnen und Besucher teilnahmen. Die aktivierende Befragung gab Anlass für zahlreiche interessante Gespräche bis spät in den Abend hinein. Die wichtigsten Ergebnisse der Befragung werden im Folgenden zusammengefasst. Multilokalität spielt eine Rolle für die Region Hannover: Knapp 75 Prozent der Befragten leben entweder selbst multilokal (25 von insgesamt 67) oder kennen eine Person in ihrem Bekanntenkreis, die multilokal lebt (28). Die häufigste Form von Multilokalität ist dabei die Fernbeziehung (24), gefolgt von den Wochenpendlern zwischen Hauptwohnsitz und beruflich genutztem Zweitwohnsitz (14), den pendelnden Studierenden (13) und den „Expatriates“ (9). Expatriates sind Menschen, die z.B. in einem international tätigen Unternehmen beschäftigt sind und vorübergehend – meist für ein bis drei Jahre – an eine ausländische Zweigstelle entsandt werden. Häufig pendeln sie regelmäßig im internationalen Kontext. Die Frage, ob Multilokalität für die Stadt Hannover von Bedeutung sei, bejahten rund zwei Drittel der Besucherinnen und Besucher (22 „Ja, von großer Bedeutung“, 28 „Ja, ein bisschen“). Als Gründe nannten mehrere Befragte die gute infrastrukturelle Anbindung der Stadt, die nationale Attraktivität Hannovers als Wirtschafts- und Bildungsstandort sowie den allgemeinen gesellschaftlichen Trend zu multilokalen Lebensformen. Doch was bedeutet eine Zunahme von Multilokalität für das Zusammenleben in Hannover? Wird Mehrörtigkeit eher als Bereicherung wahrgenommen oder als Bedrohung? Und wie sollte die Stadt mit dem Phänomen Multilokalität umgehen? Auch hierzu befragten wir die Besucherinnen und Besucher. Die Ergebnisse fielen je nach Politikfeld unterschiedlich aus. Im Hinblick auf den Wohnungsmarkt stimmte knapp die Hälfte der Befragten (32) der Aussage zu, dass sich durch die Zweitwohnungen der Multilokalen das Wohnungsangebot verknappe und die Mieten dadurch anstiegen. Nur 19 Personen verneinten diesen direkten Zusammenhang, die restlichen Befragten machten keine Angabe (4) oder wussten hierzu keine Antwort (12). Eine negative Auswirkung von Multilokalität auf das Stadtleben in der Innenstadt lehnten hingegen knapp 70 Prozent der Befragten ab (46 von 67). Diese Wahrnehmung passt zu der positiven Einschätzung im Bereich Kultur: Die überwiegende Mehrheit der Befragten (48 von 67) geht davon aus, dass Multilokale eine Bereiche- © Gabriele Schmidt Multilokalität in Hannover Mitmach-Projekt zum Thema „Multilokale Lebensformen“ rung für Hannover darstellen, weil sie neue Ideen in die Stadt bringen und dadurch den kulturellen Austausch verstärken. Auch hinsichtlich der Infrastrukturkosten stimmte nur ein kleiner Teil der Befragten (10) der Aussage zu, dass Multilokale die Stadt Hannover viel Geld kosten würden, weil sie ihre Einkommenssteuer nicht in Hannover, sondern an ihrem Erstwohnsitz entrichten. Gut die Hälfte der Befragten (36) lehnte diese Aussage ab, der Rest enthielt sich. Weniger einig waren sich die Besucherinnen und Besucher in Bezug auf die Auswirkungen von Multilokalität auf das nachbarschaftliche Zusammenleben: Während 23 von 67 Befragten davon ausgingen, dass sich der Zusammenhalt in der Nachbarschaft durch die Multilokalen verschlechtere, lehnten 29 diese Annahme ab und 15 enthielten sich einer eindeutigen Zuordnung (11 „Weiß nicht“, 4 „Keine Angabe“). Im Hinblick auf das kulturelle Zusammenleben in der Stadt wird Multilokalität also durchaus mehrheitlich als Bereicherung wahrgenommen, die Folgen für das soziale Zusammenleben werden jedoch nicht derart positiv eingeschätzt. Interessant waren auch die Antworten bezüglich der Reaktionsmöglichkeiten der Stadtverwaltung und der Wohnungsunternehmen. Nur ein sehr kleiner Teil der Befragten (3) sprach sich für eine Erhöhung der Zweitwohnungssteuer und damit für eine regulative Steuerung aus. Die Mehrheit befürwortete dagegen eine Nachrichten der ARL • 1/2015 31 AUS DER ARL Anreizsteuerung und schlug vor, die Stadt für bestimmte Zielgruppen (z. B. Paare, Familien, Studenten) attraktiver zu gestalten. Insgesamt war die Beteiligung bei der „Nacht, die Wissen schafft“ ein voller Erfolg, an dem neben Ralf Köneke, Annika Mayer und Anne Ritzinger viele weitere sehr engagierte Kolleginnen und Kollegen aus der ARL-Geschäftsstelle sowie die Projektpartner aus dem ILS (hier insbesondere Andrea Dittrich-Wesbuer und Cornelia Tippel) und Torsten Osigus von der Universität Göttingen mitgewirkt haben. Allen sei an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich für ihren Einsatz gedankt! Die vollständige Auswertung der Befragung schicken wir auf Wunsch gerne zu. Gabriele Schmidt 0511 34842-56 [email protected] 87. Mitgliederversammlung der ARL Z ur Mitgliederversammlung am 13./14. November 2014 in Berlin kamen rund 90 Akademiemitglieder. Neben einer Reihe von Wahlen standen insbesondere die Evaluierung der ARL sowie die Diskussion zu Ergebnissen ausgewählter Arbeitsgremien im Mittelpunkt. Evaluierung Der Präsident der ARL, Prof. Dr.-Ing. Klaus J. Beckmann, berichtete ausführlich über die Vorbereitung der Evaluierung der ARL. Demnach waren die Arbeiten im Präsidium – in enger Rückkopplung mit der Geschäftsstelle sowie mit Kuratorium, Wissenschaftlichem Beirat und Nutzerbeirat – im Jahr 2014 ganz wesentlich davon bestimmt. In den vorhergehenden Monaten war ein umfangreicher Evaluierungsbericht verfasst worden, der die zentrale Bewertungsgrundlage im Rahmen der Evaluierung darstellte. Gegen Ende des Jahres wurde die sogenannte Begehung vorbereitet, auch mittels einer „Generalprobe“ Mitte Dezember 2014. Beckmann dankte allen Akademiemitgliedern, die sich bereit erklärt hatten, an der Begehung und an der Probebegehung mitzuwirken. Er bat alle darum, die Arbeit des Präsidiums und den eingeschlagenen Weg zu unterstützen. Er stellte ferner für die Zeit nach der Evaluierung eine Strategiediskussion in Aussicht, bei der unter anderem über Wege der Sicherung der Alleinstellungsmerkmale der ARL sowie über die Rolle der Praktikerinnen und Praktiker in der ARL gesprochen werden soll. Weitere Berichtspunkte bezogen sich auf die Ergebnisse der 2014 durchgeführten Studien zur Bewertung der Akademieleistungen und zur Sichtbarmachung der Wirkungen der Akademietätigkeiten: die sogenannte dritte Zielgruppenbefragung der ARL, durchgeführt von Prof. Dr. Jörg Bogumil von der Ruhr-Universität Bochum, eine Delphi-Befragung, durchgeführt von der QUBIC 32 1/2015 • Nachrichten der ARL Beratungsgruppe und dem Eduard-Pestel-Institut für Systemforschung, sowie eine Impact-Studie mittels qualitativer Interviews, durchgeführt von Prof. Dr. Thorsten Wiechmann von der Technischen Universität Dortmund. Jörg Bogumil und Martin Buitkamp von QUBIC stellten ausgewählte Ergebnisse der Befragungen vor. Multilokalität, Planungssysteme und Regionalplanung Weiterhin wurden auf der Mitgliederversammlung Ergebnisse aus den Arbeitsgremien vorgestellt. Prof. Dr. Rainer Danielzyk stellte den seit 2012 bestehenden und von ihm geleiteten Arbeitskreis „Multilokale Lebensführung und räumliche Entwicklung“ vor. Dabei ging er auf veränderte Lebens- und Arbeitsformen als treibende Kräfte für multilokale Lebensführung ein sowie auf einzelne Fallbeispiele, die einen konkreten Einblick in die Relevanz des Themas für die Stadt- und Raumentwicklung geben (beispielsweise Infrastrukturen für multilokales Leben und temporäres Wohnen in der Hafencity Hamburg und in der Stadt Wolfsburg). In der anschließenden Diskussion wurden einerseits die hohe Aktualität und Relevanz des Themas hervorgehoben, andererseits die Schwierigkeiten aufgezeigt, die sich insbesondere aufgrund fehlender empirischer Studien und Daten für Forscherinnen und Forscher ergeben. Der Arbeitskreis erhielt anregende Fragen und Hinweise für die weitere Auseinandersetzung mit der Thematik. So wurde unter anderem vorgeschlagen, intensiver als bisher auch auf rechtliche Aspekte multilokaler Lebensführung einzugehen und über eine zeitgemäße Anpassung bzw. Flexibilisierung der Haupt- und Nebenwohnsitzregelungen zu diskutieren. Auch zu betrachten seien im Zusammenhang mit multilokalen Lebensformen un-/freiwillige Monolokalität sowie internatio- AUS DER ARL nale Multilokalität, die unterschiedlichste Berufs- und Personengruppen umfasst. Zudem stelle sich die Frage, ob zunehmende Multilokalität sowie die daraus entstehenden, sehr unterschiedlich ausgeprägten, räumlichen Auswirkungen positiv oder negativ zu beurteilen seien, welche Rolle der Raumplanung diesbezüglich zukommt und welche Möglichkeiten sie hat. Internationaler Vergleich von Planungssystemen Eine weitere Session befasste sich mit den Ergebnissen des von Prof. Dr. Hans H. Blotevogel geleiteten Europäischen Arbeitskreises „Comparative Spatial Planning Research“. Dieser wurde bereits 2007 mit der Intention gegründet, die verschiedenen Planungssysteme der europäischen Nationen vergleichend zu analysieren. Der Arbeitskreis hatte Mitglieder aus 12 europäischen Nationen. Gleich zu Anfang der Untersuchungen wurde ausdrücklich betont, dass der Arbeitskreis nicht dem Anspruch unterliegt, praxisrelevante Erkenntnisse im Sinne eines Best-Practice-Transfers zu generieren. Der Fokus lag vielmehr auf einer planungstheoretischen, strategiebezogenen Perspektive. Anfang 2014 wurde im Routledge Verlag die Monografie „Spatial Planning Systems and Practices in Europe. A Comparative Perspective on Continuity and Changes“ veröffentlicht. Diese thematisiert unter anderem den Trend zur Konvergenz europäischer Planungssysteme und die Gleichzeitigkeit von Kontinuität und Wandel. Informations- und Initiativkreis Regionalplanung Petra Schmidt-Kaden stellte die Aufgaben, die Arbeitsweise und die aktuellen Themen des Informations- und Initiativkreises „Regionalplanung“ vor. Dabei wurde der Mehrwert dieses Gremiums als Plattform für den Informationsaustausch zwischen Wissenschaftlerinnen/ Wissenschaftlern und Praktikerinnen/Praktikern sowie zur Generierung und Weiterentwicklung transdisziplinären Wissens deutlich. Auch die Mitglieder des Gremiums erachten die Arbeit im Informations- und Initiativkreis als gewinnbringend für die tägliche Berufspraxis und schätzen die Möglichkeit, ihre alltägliche Arbeit systematisch zu reflektieren. Die hier praktizierte Arbeitsweise ist konstitutiv für die Akademiearbeit und wurde von den Anwesenden sehr gewürdigt. Raumordnung in der Schweiz Den Abschluss der Mitgliederversammlung bildete der Vortrag „Raumordnung in einer direkten Demokratie – das Beispiel Schweiz“ von Dr. Maria Lezzi, Direktorin des Schweizerischen Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE), in dem sie die vielfältigen Möglichkeiten der direktdemokratischen Beteiligung in Gesetzgebungsprozessen mit Bezug zur Raumplanung skizzierte und deren Vorteile, aber auch die empirisch beobachtbaren Probleme aufzeigte. Andreas Klee 0511 34842-39 [email protected] Neues Präsidium B ei der Mitgliederversammlung in Berlin wurde das Präsidium der ARL für die Amtszeit 2015/2016 gewählt. Zum Präsidenten wurde Prof. Dr.-Ing. Klaus J. Beckmann, zur Vizepräsidentin Dr. Susan Grotefels, zu Vizepräsidenten Prof. Dr. Rolf-Dieter Postlep und Dr. Stefan Köhler gewählt. Das Kuratorium hat in seiner Sitzung am 15. Dezember 2014 die Mitglieder des neuen Präsidiums berufen. Klaus J. Beckmann Susan Grotefels Rolf-Dieter Postlep Stefan Köhler Nachrichten der ARL • 1/2015 33 AUS DER ARL Neue Akademiemitglieder D ie Mitglieder wählten in Berlin mit großer Mehrheit folgende acht Persönlichkeiten für die Dauer von zehn Jahren zu neuen Akademiemitgliedern: 34 1/2015 • Nachrichten der ARL Prof. Dr. Lorenz Blume Universität Kassel, Referat für Entwicklungsplanung Dr. Stefano Panebianco Amt für regionale Landesentwicklung, Lüneburg Prof. Dr. Antje Bruns Humboldt-Universität zu Berlin, Geographisches Institut Dr. Joachim Scheiner Technische Universität Dortmund, Fakultät Raumplanung, FG Verkehrswesen und Verkehrsplanung Dr.-Ing. Sonja Deppisch HafenCity Universität Hamburg, Leiterin der eigenständigen BMBFForschungsnachwuchsgruppe plan B:altic Dr. Ansgar Schmitz-Veltin Landeshauptstadt Stuttgart, Leitung des Sachgebiets Bevölkerung und Bildung Dr. Heike Köckler Technische Universität Dortmund, Fakultät Raumplanung, FG Stadt- und Regionalplanung Dr. Irmi Seidl Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Birmensdorf (Schweiz), Leiterin der Organsisationseinheit Wirtschafts- und Sozialwissenschaft AUS DER ARL Wiedergewählte Akademiemitglieder F olgende Mitglieder sind für einen Zeitraum von zehn Jahren bei der Mitgliederversammlung in Berlin wiedergewählt worden: ■■ ■■ ■■ ■■ ■■ ■■ Dr. Corinna Clemens, Stadt Sindelfingen Prof. Dr. Marek Dutkowski, Universität Stettin (Polen) Gleichstellungsbeauftragte D ie Mitglieder der ARL wählten am 14. November 2014 Prof. Dr.-Ing. Ulrike Weiland zur Gleichstellungsbeauftragten der ARL für die Jahre 2015 und 2016 sowie Prof. Dr. Gisela Färber zur stellvertretenden Gleichstellungsbeauftragten der ARL für die Jahre 2015 und 2016. Prof. Dr.-Ing. Stefan Greiving, Technische Universität Dortmund Karl-Heinz Hoffmann, Regionalverband Hochrhein-Bodensee, Waldshut-Tiengen Prof. Dr.-Ing. Christian Jacoby, Universität der Bundeswehr München, Neubiberg Prof. Dr. Johann Jessen, Universität Stuttgart Kuratorium bringt Satzungsänderung auf den Weg D as Kuratorium der ARL kam am 15. Dezember 2014 zu einer Sitzung in Hannover zusammen. Der Präsident der ARL, Prof. Dr.-Ing. Klaus J. Beckmann, berichtete über aktuelle Vorhaben der Akademie, über strategische Fragen und vor allem über den Stand der Vorbereitung der Evaluierung. Darüber hinaus hat das Kuratorium das Präsidium für die Amtszeit 2015/2016 (siehe Seite 33) sowie einige Mitglieder des Nutzerbeirats berufen. Mit dem Beschluss über eine Satzungsänderung durch das Kuratorium konnte eine Reihe struktureller Änderungen erfolgreich zum Abschluss gebracht werden. Neben einigen formalen Anpassungen war ein wesentliches Ziel der Änderung, die Vielzahl der Gremien der ARL in der Satzung zu regeln. So haben die Informationsund Initiativkreise (IIK) nun Eingang in die Satzung gefunden, Ad-hoc-Arbeitskreise (AAK) und Internationale Arbeitskreise (IAK) – statt der bisherigen „Europäischen Arbeitskreise“ – werden explizit genannt und ihre jewei- ligen Ziele und Laufzeiten dargestellt. Auch das Junge Forum ist jetzt in der Satzung verankert. Mit diesen Ergänzungen konnte dem Wunsch des Kuratoriums nach einer umfassenden Abbildung der Gremienstruktur und der Arbeitsweisen in der Satzung Rechnung getragen werden. Schließlich wird im Rahmen der neu gefassten Satzung die Zahl der Mitglieder im Wissenschaftlichen Beirat der ARL von bis zu acht auf bis zu zehn erhöht. Damit soll die geforderte stärkere fachliche Breite der Akademiearbeit durch eine entsprechende Verbreiterung des Sachverstandes im Wissenschaftlichen Beirat für die Beratung und Bewertung der ARL einhergehen. Die neue Satzung wurde am 7. Januar 2015 vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur genehmigt und am 21. Januar 2015 im Niedersächsischen Ministerialblatt veröffentlicht. Sie ist am 22. Januar 2015 in Kraft getreten. Andreas Klee 0511 34842-39 [email protected] Nachrichten der ARL • 1/2015 35 AUS DER ARL Evaluierung der ARL A m 15./16. Januar dieses Jahres fand die Begehung durch eine Bewertungsgruppe im Rahmen der turnusgemäß erfolgenden Evaluierung der ARL in Hannover statt. Aufgrund der Größe der Bewertungsgruppe wurden die zweitägigen Gespräche überwiegend im Leibniz-Haus in der Altstadt von Hannover durchgeführt, an einem halben Tag wurde aber auch die konkrete Arbeit der ARL anhand eines Poster-Rundganges in der Geschäftsstelle vorgestellt. Basis für die nach einem von der Leibniz-Gemeinschaft vorgegebenen Schema durchgeführten Gespräche (mit der Leitung der Akademie, mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs, mit externen Kooperationspartnern usw.) war ein zuvor erstellter Bericht über die Arbeit der ARL, der einen Umfang von ca. 200 Seiten und einen etwa doppelt so langen Anhang hat. Die ARL hat sich nach Überzeugung aller Beteiligten von ihrer Seite her bestmöglich präsentiert und konnte auch auf kritische Fragen gute Antworten geben bzw. Strategien zur Überwindung sichtbarer Defizite benennen. Insoweit ist der Termin aus unserer Sicht erfolgreich verlaufen. Es gehört allerdings zu den charakteristischen Merkmalen des Evaluierungsverfahrens der Leibniz-Gemeinschaft, dass das Bewertungsergebnis nicht unmittelbar im Anschluss an den Begehungstermin feststeht, sondern im Laufe der folgenden Monate durch die Bewertungsgruppe sowie den Senatsausschuss Evaluierung vorbereitet und schließlich durch den Senat der Leibniz-Gemeinschaft festgestellt wird. Die entsprechenden Sitzungen finden erst im vierten Quartal 2015 statt, sodass bis dahin Geduld geboten ist. An der Erarbeitung des Evaluierungsberichtes sowie der Vorbereitung und Durchführung des Begehungstermins waren zahlreiche Personen beteiligt. Der besondere Dank des Präsidiums der Akademie gilt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Geschäftsstelle, die sich sehr engagiert und überzeugend in den vergangenen Monaten in diese Arbeit eingebracht haben. Insbesondere gilt er weiterhin Dr. Lisa Marquardt, die den Gesamtprozess koordiniert hat, sowie denjenigen Mitgliedern der Akademie, die die Arbeit der ARL sowohl bei der „Generalprobe“ im Dezember als auch beim eigentlichen Begehungstermin im Januar repräsentiert haben: Prof. Dr. Hans Heinrich Blotevogel, Dr. Susan Grotefels, Prof. Dr. Christina von Haaren, Dr. Bernhard Heinrichs, Dr. Stefan Köhler, Prof. Dr. Jochen Monstadt, Prof. Dr. Axel Priebs, Prof. Dr. Annette Spellerberg und Prof. Dr. Dirk Vallée. Außerdem danken wir den ausgewählten Kooperationspartnern, die über ihre Zusammenarbeit mit der Akademie bei der Begehung 36 1/2015 • Nachrichten der ARL Auskunft gegeben haben: Prof. Dr. Maroš Finka von der TU Bratislava, Prof. Dr. Volker Epping, Präsident der Leibniz Universität Hannover, Prof. Dr. Sebastian Lentz, Direktor des Leibniz-Instituts für Länderkunde in Leipzig sowie Abteilungsleiter Werner Müller, Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung. Klaus J. Beckmann Präsident der ARL Kontakt: 030 78 79 57 95 [email protected] AUS DER ARL Neuerscheinungen Koordination raumwirksamer Politik Mehr Effizienz und Wirksamkeit von Politik durch abgestimmte Arbeitsteilung Siedlungsflächenmanagement – Bausteine einer systematischen Herangehensweise Helmut Karl (Hrsg.) mit Beispielen aus Baden-Württemberg Forschungsberichte der ARL 4 Hannover 2015, 244 S., Abb. ISBN (PDF): 978-3-88838-077-8 ISBN (Print): 978-3-88838-078-5 Hany Elgendy, Susanne Dahm, Alfred Ruther-Mehlis (Hrsg.) D ie sektorale und räumliche Koordination von Fachpolitiken ist bereits seit Langem Gegenstand disziplinärer und interdisziplinärer Diskussion. Diese hat ihren Ausgangspunkt in der Erkenntnis, dass ausschließlich autonome Fachpolitik bzw. ausschließlich autonomes Handeln politischer Akteure den Interdependenzen zwischen ihnen nicht gerecht wird. Neuere Entwicklungen in der Forschung, gesellschaftlicher Wandel und immer häufiger zu beobachtendes Koordinationsversagen innerhalb von politischen und bürokratischen Mehrebenensystemen Europas und Deutschlands machen eine erneute Diskussion der Koordinationsproblematik notwendig. Dabei sind die einzelnen Beiträge systematisch auf drei Varianten von Koordinationsproblemen ausgerichtet, wobei grundlegend zwischen vertikaler und horizontaler Koordination unterschieden wird. Es zeigt sich, dass über alle Besonderheiten der erörterten Einzelfälle hinweg Gemeinsamkeiten beobachtbar sind, die sich auf den erfolgreichen Umgang mit Politikinterdependenzen beziehen. Vor diesem Hintergrund werden fachübergreifend Empfehlungen formuliert, wie zum einen der Koordinationsbedarf durch geschickte Aufgabenzuweisung im föderalen System möglichst gering gehalten werden kann. Zum anderen werden Wege aufgezeigt, die verbleibenden Abst immungsbedarf in Hinblick auf die raumwirksamen Politiken in einer Weise berücksichtigen, die im Ergebnis zu einer höheren Effizienz gegenüber einem unkoordinierten Vorgehen führt. Arbeitsberichte der ARL 12 Hannover 2015, 113 S., Abb. ISBN (PDF): 978-3-88838-393-9 ISBN (Print): 978-3-88838-394-6 D er vorliegende Band stellt den aktuellen Diskussionsstand zum Thema Siedlungsflächenmanagement mit dem Schwerpunkt Baden-Württemberg dar. Er zeigt für Wissenschaftler und Praktiker in kompakter Form, wie eine nachhaltige Siedlungsflächenentwicklung insbesondere auf kommunaler und regionaler Ebene planerisch, systematisch und erfolgreich betrieben werden kann. Hierzu werden neben allgemeinen und rechtlichen Rahmenbedingungen die Bausteine Flächenübersicht, Lagebeurteilung, Strategien, Maßnahmen, Monitoring und Umsetzung dargelegt und durch Fallbeispiele illustriert. Es wird herausgearbeitet, wie eine fachlich fundierte Bearbeitung mit vertretbarem Aufwand auf allen planerischen Ebenen umsetzbar ist. Des Weiteren werden die Entwicklung eines integrativen strategischen Handlungsansatzes und dessen Einbindung in die politischen Prozesse als wesentliche Erfolgsfaktoren abgeleitet und dargestellt. Die Veröffentlichungen stehen zum kostenfreien Download unter shop.arl-net.de bereit. Sie können dort kostenpflichtig auch als gedrucktes Exemplar bestellt werden. Nachrichten der ARL • 1/2015 37 AUS DER ARL Personen Prof. Dr. Hubert Job, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, ist von der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Dr. Barbara Hendricks, erneut in das Nationalkomitee „Der Mensch und die Biosphäre“ (MAB) berufen worden. Die Mitglieder des Nationalkomitees wirken ehrenamtlich an der weiteren Umsetzung des gleichnamigen UNESCO-Programms in Deutschland mit. † Hans-Bernhard Behrends Am 6. November 2014 ist Dr. med. Hans-Bernhard Behrends im Alter von 61 Jahren verstorben. Er war Mitglied des interdisziplinär zusammengesetzten Arbeitskreises „Planung für gesundheitsfördernde Stadtregionen“, der 2013 von der ARL gegründet wurde. Hans-Bernhard Behrends brachte umfassende Erfahrungen sowohl als Facharzt als auch als Amtsarzt in der kommunalen Gesundheitsfachverwaltung in den Arbeitskreis ein. Zuletzt war er als Leiter des Fachbereichs Gesundheit der Region Hannover tätig. In seiner Bewerbung zur Mitwirkung im Arbeitskreis schrieb er: „Ich finde es spannend zu schauen, wie die Raumforschung zur Weiterentwicklung der Gesundheit als ‚weicher Standortfaktor‘ einer Stadt beitragen und die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Public Health Synergien und Konflikte zwischen Gesundheitsverträglichkeit und Verfahrensgerechtigkeit identifizieren kann.“ Wir trauern um einen kompetenten und zugewandten Kollegen, den wir bei unserer Arbeit vermissen. Sabine Baumgart, Leiterin des ARL-Arbeitskreises „Planung für gesundheitsfördernde Stadtregionen“ † Heinrich Siedentopf Am 25. November 2014 verstarb Prof. em. Dr. jur. Dr. h. c. Heinrich Siedentopf im Alter von 76 Jahren in Landau in der Pfalz. Die europäische Zusammenarbeit war Heinrich Siedentopf ein besonderes Anliegen. Aufgrund seines starken Engagements insbesondere in den 1990er Jahren im Bereich der Zusammenarbeit in Westeuropa, vor allem mit Frankreich, wurde er 1991 zum Korrespondierenden Mitglied der ARL berufen. Zudem befasste er sich in den Gremien der ARL mit Fragen der Fortentwicklung des Föderalismus in Deutschland. Hervorzuheben sind die nationalen und internationalen Auszeichnungen, die ihm aufgrund seiner Arbeit und seines Engagements verliehen wurden, darunter auch das „Verdienstkreuz am Bande“ (Bundesverdienstkreuz). 38 1/2015 • Nachrichten der ARL Heinrich Siedentopf wurde am 5. März 1938 in Leipzig geboren. Er studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten in Heidelberg und Münster, wo er 1963 auch promovierte. 1971 folgte die Habilitation an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer in den Fächern Verwaltungswissenschaft und Öffentliches Recht. Ab 1973 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2006 leitete er den Speyerer Lehrstuhl für Vergleichende Verwaltungswissenschaften und Öffentliches Recht. Die Akademie verliert mit Heinrich Siedentopf ein engagiertes Mitglied und wird ihm ein ehrendes Andenken bewahren. AUS DER ARL † Karl Schwarz Im Alter von 97 Jahren verstarb am 16. November 2014 Prof. Dr. em. Karl Schwarz in Wiesbaden. Karl Schwarz war seit Anfang der 1960er Jahre Mitglied der Akademie. Bis weit in die 1990er Jahre hinein prägte er als Mitglied und Leiter von Arbeitskreisen und im Rahmen anderer Aktivitäten die wissenschaftliche Arbeit der ARL, insbesondere in den Fachgebieten Demografie und Soziale Entwicklung. Zudem war er mehr als drei Jahrzehnte Mitglied in der Landesarbeitsgemeinschaft Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland und hat an zahlreichen Veröffentlichungen mitgewirkt. In Würdigung seiner besonderen Verdienste ist Karl Schwarz 1966 zum Ordentlichen Mitglied berufen worden. Aus Altersgründen gab er diese Mitgliedschaft 2008 zurück. Karl Schwarz, geboren am 17. September 1917 in Ludwigsburg am Rhein, studierte von 1947 bis 1949 an der Universität Mainz Wirtschaftswissenschaften. Es folgte die Promotion zum Dr. rer. pol. im Jahr 1954. Von 1953 bis 1979 war er – seit 1968 als Abteilungsleiter – im Statistischen Bundesamt in Wiesbaden tätig und dort unter anderem zuständig für die Bevölkerungsstatistik. Anschließend leitete er von 1979 bis 1982 das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Daneben und auch später war er Lehrbeauftragter an den Universitäten Mainz und Bamberg. Die Akademie verliert mit Karl Schwarz ein langjähriges, geschätztes Mitglied und wird ihm ein ehrendes Andenken bewahren. † Gerd Albers Am 31. Januar 2015 verstarb Prof. em. Dr. Dr. h. c. mult. Gerd Albers im Alter von 95 Jahren. Gerd Albers war über viele Jahrzehnte Stadtplaner und Stadtforscher und bereits seit 1965 Mitglied der Akademie. In der Landesarbeitsgemeinschaft Bayern wirkte er engagiert mit; später war er auch Mitglied und Leiter verschiedener Arbeitskreise zur Stadtplanung. Im Jahr 1968 wurde er zum Ordentlichen Mitglied der ARL berufen. Gerd Albers prägte nicht nur mehrere Jahrzehnte lang maßgeblich den Diskurs über Stadtplanung in der Bundesrepublik Deutschland, sondern erwarb sich auch große Verdienste in der Akademie. So arbeitete er z. B. bei den Grundlagenwerken der ARL, dem Grundriss der Stadtplanung und dem Handwörterbuch der Raumordnung, mit. Durch seine bereichernden Anregungen in Forschungsausschüssen, Sektionen und Arbeitskreisen hat er viel zum Profil der Akademie beigetragen. Geboren am 20. September 1919 in Hamburg, studierte Gerd Albers von 1946 bis 1951 Architektur und Stadtplanung an der TH Hannover und am Illinois Institute of Technology in Chicago. 1958 promovierte er zum Dr.-Ing. an der RWTH Aachen. Bereits 1961 erhielt er den Ruf auf den Lehrstuhl für Städtebau und Regionalplanung an der Technischen Hochschule München, wo er bis zu seiner Emeritierung 1987 als Professor tätig war. Von 1965 bis 1968 war Gerd Albers außerdem Rektor der TH München. Gemeinsam mit Ulrich Conrads, Kurt Eggeling, Klaus-Jakob Thiele und Klaus Winter gründete er 1964 „Stadtbauwelt – Vierteljahresschrift für Architekten, Stadtplaner und Städtebauer“. Darüber hinaus war Gerd Albers Präsident der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL) und Mitbegründer der Fakultät Raumplanung der TU Dortmund, wofür ihm 2009 der Ehrendoktortitel verliehen wurde. Sein Wirken wurde mit einer Vielzahl weiterer Auszeichnungen gewürdigt. Die Akademie wird Gerd Albers als langjährigen Wegbegleiter und hochgeschätzten Kollegen vermissen. Er hinterlässt im Kreise unserer Mitglieder eine große Lücke und wird mit seinem Engagement unvergessen bleiben. Nachrichten der ARL • 1/2015 39 AUS DER ARL Nachlese D ie ARL-Nachrichten möchten als „Hauspublikation“ der Akademie die Vielfalt der Themen und Ansätze im Netzwerk abbilden und eine Plattform schaffen für den Austausch zwischen wissenschaftlichen Disziplinen sowie zwischen Forschung und Praxis. In diesem Sinne möchten wir in gebündelter Form Reaktionen unserer Leserinnen und Leser abdrucken. Wir laden Sie herzlich dazu ein, auch weiterhin einzelne Beiträge oder Themenschwerpunkte zu kommentieren und auf diese Weise Debatten anzustoßen oder fortzuführen. Die Redaktion Nachlese zu Heft 2/2014: Gleichwertigkeit – wie misst man das? Heinrich Mäding weist mit Recht darauf hin, dass „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ nur ein „abwägungsfähiges Berücksichtigungsziel“ ist, das sich konkreten Entscheidungen leicht entzieht. Der Grund dafür ist, dass es kein vernünftiges, erfassbares und die Verhältnisse genau widerspiegelndes Werte- oder Messsystem gibt. Jeder versteht unter „Gleichwertigkeit“ etwas anderes. Der eine liebt die Nähe zu kulturellen Einrichtungen, kurze Wege, gute und bequeme Einkaufsmöglichkeiten, die Nähe zu Sportstätten, Schulen und Universitäten, der andere zieht das „Häuschen im Grünen“ diesen Gesichtspunkten vor und nimmt dafür lange Wege, eine gewisse Einsamkeit usw. in Kauf. Eine ebenso große Rolle spielen für den Einzelnen auch die jeweiligen Lebenshaltungskosten, d. h. die Mischung aus Kosten für Miete, Transport, Lebensmittel und anderes. Kurz, wie will man diese sehr unterschiedlichen Aspekte in einem statistisch verlässlichen Zahlenwerk fassen, das zur Bewertung geeignet ist? Erst dann wenn wir wissen, ob die Einwohner ihre ganz persönlichen Lebensverhältnisse als „gleichwertig“ bzw. befriedigend empfinden oder als so wenig befriedigend, dass sie die Kosten und Umstände eines Ortswechsels nicht scheuen, um sich für sie persönlich „bessere“ Bedingungen zu schaffen, können wir davon sprechen, dass eine Region gegenüber einer anderen im Nachteil ist, also die Lebensverhältnisse nicht gleichwertig sind. Mit anderen Worten: Der geeignetste und einfachste Maßstab für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse an einem bestimmten Ort, was immer der Einzelne darunter verstehen mag, ist die Zu- oder Abwanderungsrate einer Region. Abwanderung ist das sicherste Zeichen dafür, dass die Lebensverhältnisse eben nicht gleichwertig sind, und erfordert seitens des Staates Gegenmaßnahmen. Abwanderung ebenso wie Zuwanderung sind für die Allgemeinheit keineswegs kostenlos. Im Gegenteil, Kosten im volkswirtschaftlichen Sinne entstehen sowohl in den Abwanderungsgebieten als auch in den Regionen mit starker Zuwanderung. In den Gebieten mit Abwanderung stehen brauchbare Wohnungen leer, die oft mit öffentlichen Mitteln gebaut wurden; Schulen, Krankenhäuser usw. werden nicht mehr ausgelastet. Gleiches gilt für die Verkehrsinfrastruktur. Umgekehrt müssen in den Zuwanderungsgebieten die gleichen öffentlichen Einrichtungen, die anderswo leer stehen oder nicht ausgelastet sind, neu erstellt werden. So entstehen sowohl in der Ballung als auch in den sich entleerenden Räumen volkswirtschaftliche Kosten, die denen gegenübergestellt werden müssten, die zur Dämpfung oder Verhinderung von Abwanderung notwendig wären. Sie hier aufzuzählen und auch noch die Frage aufzuwerfen, ob die staatliche Schaffung von Arbeitsplätzen über das von der EU erlaubte Maß hinaus nicht sinnvoll wäre, würde diesen Rahmen sprengen. Hellmuth Bergmann 40 1/2015 • Nachrichten der ARL AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Einfamilienhaus in der Krise? ie Zukunft des Einfamilienhauses steht im Mittelpunkt des Projektes „Single Family Homes under Pressure?“. Unter Leitung des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung (IÖR) untersucht ein Netzwerk aus deutschen und internationalen Partnern drei Jahre lang die Entwicklungen in einem der wichtigsten Immobilienmarktsegmente. Das Projekt wird im Rahmen des Leibniz-Wettbewerbs 2015 (vormals SAW-Verfahren) gefördert. Herausforderungen für ein internationales Wohnideal In vielen Ländern gilt das Einfamilienhaus als das Wohnideal schlechthin. In Deutschland machen Einfamilienhäuser zwei Drittel aller Wohngebäude aus. Mehr als die Hälfte aller Europäer lebte 2011 in einem Einfamilienhaus und auch in Japan und den USA gibt es mehr Einfamilienhäuser als andere Wohnungen. Doch die Zukunft dieses Immobilienmarktsegmentes ist auf lange Sicht ungewiss. Durch Wirtschafts- und Finanzkrisen, den demografischen Wandel, veränderte Familienkonstellationen und Nutzungsansprüche ändern sich auch die Wohnbedürfnisse und finanziellen Möglichkeiten der Menschen. Gemeinsam mit den deutschen Partnern – dem ifo Institut, dem ILS – Institut für Landes und Stadtentwicklungsforschung, dem Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) und dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) – geht das IÖR der Frage nach, wie sich die Einfamilienhaus-Bestände in Deutschland in den kommenden Jahren und Jahrzehnten entwickeln werden. Die Herausforderungen dieses Immobilienmarktsegmentes werden aus demografischer, ökonomischer, sozialer und raumwissenschaftlicher Perspektive betrachtet. Szenarien und Handlungsansätze Ziel ist es aufzuzeigen, welche traditionellen und neuen Nutzergruppen es für Einfamilienhäuser gibt und wie sich ihre Struktur und ihre Ansprüche an den Wohnraum künftig entwickeln werden. Außerdem soll deutlich werden, welche Auswirkungen der Wandel auf Nutzerseite für den Bestand an Einfamilienhäusern, die Preisentwicklung und auch die Höhe des Leerstandes haben könnte. Damit verbunden ist die Frage, welche Herausforderungen die Entwicklung im Einfamilienhaussektor für Kommunen und die Siedlungsentwicklung allgemein mit sich bringt und welche Auswirkungen sich mit Blick auf Flächennutzung, Energieverbrauch und Bautätigkeit ergeben. Es werden mögliche Entwicklungsszenarien und Handlungsansätze für Kommunen erarbeitet. Im Fokus stehen die Entwicklungen in Deutschland und Aussagen zu regionalspezifischen Besonderheiten. Gemeinsam mit den internationalen Kooperationspartnern – Universitäten in den Niederlanden, Schottland, Japan und den USA – werden aber auch europäische Vergleichsstudien entstehen und die Entwicklungen in den USA und Japan sollen untersucht werden. Weitere Informationen: www.ioer.de/projekte/ single-family-homes-under-pressure Kontakt: Clemens Deilmann 0351 4679-251 [email protected] Andreas Blum 0351 4679-245 [email protected] © Oliver Rose D Nachrichten der ARL • 1/2015 41 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Im Dialog mit der Politik © Tanja Ernst aus aus dem Elfenbeinturm, rein in den Dialog: Das ist das Credo der Leibniz-Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen, die Anfang Dezember 2014 die Landtagsabgeordneten zum fünften Mal in Folge zur Veranstaltung „Leibniz im Landtag“ einluden. 30 Forscherinnen und Forscher besuchten interessierte Abgeordnete aller Parteien zu einem einstündigen Gespräch im Landtag und diskutierten aktuelle Forschungsergebnisse und gesellschaftsrelevante Fragestellungen. Als besonderes Highlight gab der neue Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, Prof. Dr.-Ing. Matthias Kleiner, einen kurzen Einblick in aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen für den Wissenschaftsstandort Nordrhein-Westfalen. Die Themen in diesem Jahr waren: Nahmobilität, neue digitale Beteiligungsformate und Lebensqualität durch Stadtgrün. Erstmals wurde die Expertise des ILS nicht nur von einzelnen Abgeordneten, sondern von einer parlamentarischen Arbeitsgruppe angefragt. Die 25-köpfige SPD-Arbeitsgruppe „NRW gemeinsam“ „buchte“ die Forscherinnen und Forscher des ILS für drei Stunden, um mit Ihnen über Fragen der Quartiersentwicklung zu diskutieren. Der aktive Dialog zwischen Politik und Wissenschaft ist ein wichtiges Element der Leibniz-Forschung. Durch ihn können Politik, Praxis und Gesellschaft von den 42 1/2015 • Nachrichten der ARL Bildquelle: Leibniz im Landtag NRW / Fotograf Frank Wiedemeier R ILS im Landtag Kompetenzen der Leibniz-Einrichtungen profitieren, und die Einrichtungen können die gesellschaftliche Relevanz ihrer Forschung sichtbar machen. Das unterstrich auch Matthias Kleiner in seiner Rede: „Ich freue mich, dass unsere Leibniz-Forscherinnen und -Forscher ihre hervorragende Arbeit wieder aktiv in den politischen Raum des Landes tragen und ihre Erkenntnisse politischen Weichenstellungen zugutekommen.“ Tanja Ernst ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung Kontakt: 0231 9051-131 [email protected] Matthias Kleiner AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Die „selbstgemachte Stadt“ Reflektionen zum Studierenden-Forum beim 4. Hochschultag der Nationalen Stadtentwicklungspolitik Stellen Sie sich folgende Szene vor: In der selbstgemachten Stadt sitzt eine fröhliche Gruppe beim Picknick im Park. Das Gemüse auf dem Grill haben die Teilnehmer eben vor Ort geerntet – dank des Projekts „Essbare Stadt“ wurden die untergenutzten Parkflächen nämlich für den Gartenanbau freigegeben. Es kommt eine Diskussion zur Herkunft der Tomate auf, und schon nach wenigen Sekunden hat jemand den passenden Wikipedia-Artikel aufgerufen. Im Park gibt es durch das intensive Engagement von „Freifunk“ ein kostenloses WLAN-Netz. Für viele in der Gruppe passen die „Essbare Stadt“ und „Freifunk“ ideal in ihre Lebenssituation: In der wirtschaftsschwachen Region haben die meisten wechselnde Kurzzeitverträge, halten sich mit verschiedenen freiberuflichen Tätigkeiten über Wasser oder arbeiten in Teilzeit. Dank alternativer Angebote und Aktivitäten können sie ihr geringes Einkommen durch eigene Initiativen und die anderer ausgleichen. Gleichzeitig entwickeln sich ständig neue berufliche Kontakte, und Nachbarschaftshilfe ist kein Fremdwort. Später am Abend verabschieden sich alle voneinander. Einige wollen noch zu einer Musikveranstaltung in der alten Güterbahnhalle, die seit Jahren mit Duldung der Stadtverwaltung nach und nach von Kleingewerbe, Handwerkern und Künstlern umgenutzt und durch Kulturveranstaltungen belebt wird. Trotz des verlockenden Angebots kehren die anderen nach Hause zurück. Sie wohnen zum Teil in einem selbstverwalteten Mehrgenerationen-Haus und wollen noch einen Teil des Gemüses im gemeinsamen Vorratskeller einlagern. Solche oder ähnliche Szenen konnten sich die Zuhörer beim Forum „Selbstgemachte Stadt“ auf dem 4. Hochschultag der Nationalen Stadtentwicklungspolitik (NSP) in Berlin am 21.11.2014 ausmalen. Organisiert von Studierenden der gleichnamigen NSP-Winterschule (siehe stadt:pilot 2014) mit ihren Dozenten, wurden in einer ersten Diskussionsrunde vielfältige Bottom-upInitiativen vorgestellt: Die „Essbare Stadt Andernach“, die Münchener „Urbanauten“ (Denkfabrik und Stadtlabor), „Freifunk Berlin“, das Berliner „RAW Kulturensemble“ und „Wohnsinn Aachen“. Deutlich wurde in den Beiträgen das große Engagement und die Begeisterung der Aktiven. Es ist beeindruckend, was sie alles auf die Beine gestellt haben. Bei all der Vielfalt und dem unterschiedlichen Professionalisierungsgrad der Initiativen schwebte jedoch auch die Frage im Raum, was sie verbindet und was sie von anderen Projekten der Stadtentwicklung unterscheidet. © eigene Abbildung - Reimann 2015 Zur Einstimmung Eigenschaften der „selbstgemachten Stadt“ Nachrichten der ARL • 1/2015 43 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Alter Wein in neuen Schläuchen? Es gibt viele Argumente dafür, dass es schon immer „selbstgemachte Stadt“ gegeben hat, besonders in einer (demokratischen) Bürgergesellschaft. Zu älteren, tradierten Formen der selbstgemachten Stadt gehören Kleingärtnervereine, Sportvereine, Wohnungsgenossenschaften und soziokulturelle Zentren. Doch in der Abgrenzung zu den beim Forum vorgestellten Beispielen wurde klar: Diese klassischen Bausteine der Stadtgesellschaft sind durch ihre lange Tradition formalisierter und routinierter. Der Anteil derjenigen, die aktiv mitgestalten, ist oft geringer. Bei den Nutznießern von Genossenschaften oder Sportvereinen besteht eher eine Konsumhaltung, der Prozess der Entscheidungsfindung ist weniger konsensorientiert und mehr durch Repräsentanten bestimmt (Vereinsvorstand, Geschäftsführung etc.). Experimentierfreudigkeit ist eher selten zu finden – dafür besteht allerdings ein hohes Maß an Verlässlichkeit und Erfahrung. Aktuelle Tendenzen Worin besteht also der Charakter aktueller Tendenzen der „selbstgemachten Stadt“? Dies wurde auf der Veranstaltung mit eingeladenen Experten aus Stadtplanung und Projektentwicklung diskutiert. Dabei waren Vertreter von id22 – Institut für kreative Nachhaltigkeit (Berlin), Raumlabor (Berlin), startklar.projekt.kommunikation (Dortmund) und Urbanophil (Berlin). Projekte der „selbstgemachten Stadt“ sind dem Dritten Sektor (Zivilgesellschaft) zuzuordnen. „Diese Projekte stehen nicht für die Gesamtgesellschaft, aber sie sind Ferment und Hefe für etwas Neues – etwas, das nicht unbedingt aus der Verwaltung kommt“ (Joachim Boll, startklar. projekt.kommunikation). Oft finden sie außerhalb von individuellem Konsum, bezahlter Arbeit und Kleinfamilie statt. Ihre Eigenschaften sind nicht auf einen Punkt zu bringen, sondern nur in einer vagen Annäherung grob zu umreißen (siehe Abb.). Aber: „Selbstgemacht“ bedeutet deswegen nicht, dass Aktivitäten weniger professionell durchgeführt werden. Im Gegenteil, mancher Gast betonte, dass oft höhere Qualitätsansprüche an Prozesse und Produkte bestehen, da die Aktiven ihre Ideale einbringen und verwirklichen wollen. Zwischen Eigennutzen und gesellschaftlichen Idealen Kehrseite des hohen idealistischen Engagements der Selbstmacher-Initiativen können Stress, Unsicherheit, mangelnde Finanzierung, Streit in Gruppenprozessen und Selbstausbeutung sein. Auch wurde darauf hingewiesen, dass unter Initiativen oft die Illusion bestehe, zu glauben, mit ihren Wünschen und Ansichten die Allgemeinheit zu repräsentieren. Denn kreativer Eigensinn, der aus Lust an Wandel und Mitbestimmung entsteht, birgt natürlich auch Eigennutzen – der offengelegt werden sollte. Es ist legitim, seine eigenen Interessen zu vertreten. Sie sollten aber genauso diskutiert werden wie die Proklamation gesellschaftlicher Ideale. Beides 44 1/2015 • Nachrichten der ARL aufzuzeigen, die gesellschaftliche Notwendigkeit und den individuellen Anlass, verweist besser, weil genauer und zielgerichteter, auf anstehende Veränderungen in der Stadtgesellschaft/-politik. Rolle von öffentlicher Verwaltung und Politik Die Rolle der Kommunen im Zusammenspiel mit Initiativen sollte darin bestehen, die Übersicht zu behalten und Zusammenhänge zu erkennen. Vertreter aus Verwaltung und Politik können Initiativen den Blick für ihr Umfeld öffnen und erweitern, z. B. für mögliche Konfliktfelder, aber auch für Chancen der Kooperation. Sie können einen „Ping-Pong“-Prozess anregen (Joachim Boll): Es auf der einen Seite zulassen, dass Gruppen aktiv werden – „Ping!“ –, aber dann – „Pong!“ – ein Nachdenken darüber fordern, was die Entwicklung für das Umfeld bedeutet. Planer und Verwaltungsmitarbeiter sollten den Interessenausgleich im Blick behalten und auch diejenigen beachten und zu Wort kommen lassen, die es noch nicht oder weniger gut gelernt haben, sich aktiv in Prozesse der Stadtentwicklung einzubringen. Offizielle Akteure fungieren dann als Schnittstelle und widmen sich einer Zukunftsaufgabe von Stadtentwicklungsplanung: Durch „Facilitation“ (Ermöglichung) werden Prozesse nicht nur moderiert, sondern die praktischen Mitmachmöglichkeiten werden auch aufgezeigt. Dabei gilt es, Planungssicherheit (Einigung auf Ziele und Ergebnisse) und insbesondere Prozesssicherheit (klare Kommunikationsstrukturen und verlässliche Anlaufstellen oder Gremien) zu gewährleisten. Die Herausforderung besteht darin, Aushandlungsprozesse zu gestalten und es ggf. auszuhalten, Verantwortung abzugeben. Alte Denkfiguren müssen dazu abgelegt werden: Stadtentwicklung ist kein von Investoren auf der einen und Stadtverwaltung/-politik auf der anderen Seite gestalteter bzw. auszuhandelnder Prozess. Neue Formen der Projektentwicklung entstehen durch kleine Projekte in Eigeninitiative, die mit dem Engagement ihrer Aktiven selbstbestimmt und an den eigenen (nicht fremddefinierten) Bedürfnissen ausgerichtet wachsen. Die „selbstgemacht Stadt“ ist vielleicht kein vollkommen neues Phänomen, aber es ist noch längst nicht etablierte Praxis, Bottom-up-Initiativen strukturiert und verlässlich zu unterstützen. Sara Reimann 0511 34842-52 [email protected] Zum Weiterlesen: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) (Hrsg.): Selbstgemachte Stadt. Ein Sonderteil von Studierenden. in: stadt:pilot spezial. Das Magazin zu den Pilotprojekten der Nationalen Stadtentwicklungspolitik. Sonderausgabe | November 2014, 15-43. AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Forschungsperspektiven für die Raumplanung 40 Jahre IRPUD Jubiläumsfeier am 4. Februar 2015 in Dortmund „Die Dortmunder Universität, weit draußen vor der Stadt in wogende Getreidefelder betoniert und Musterbeispiel einer in die Irre gegangenen Stadtplanung, hat als erstes Bildungsinstitut der Bundesrepublik soeben eine neue Spezies von Planern hervorgebracht: Raumplaner.“ Was genau ist die Aufgabe dieser Raumplaner? Und wodurch zeichnen sie sich gegenüber anderen Experten aus? Diese Fragen stellte sich der Architekturkritiker Manfred Sack 1974 in der ZEIT, als die ersten Absolventen des Dortmunder Studiengangs Raumplanung die Universität mit Diplom verließen. Er kam zu folgendem Schluss: Spezialität des Raumplaners sei es, „über den Spezialisten zu stehen“, im Idealfall sei er „wie ein Dirigent, der alle Instrumente handzuhaben versteht, ohne sie gleich bis zur Konzertreife zu beherrschen“. Diese besondere Rolle teile der „Allesnichtswisser“, wie Sack den Raumplaner nannte, mit dem Architekten, der ein Bauvorhaben koordiniere, ohne selbst über Detailfachkenntnisse zu verfügen, oder dem Politologen, dem auch häufig vorgehalten werde, von allem ein bisschen, aber von nichts so richtig etwas zu verstehen. Selbstreflexionen Das Institut für Raumplanung der TU Dortmund (IRPUD) ist dieses Jahr 40 geworden. Doch die Fragen nach der eigenen Identität und Profession sind geblieben. Auf der Jubiläumsfeier wurde deswegen nicht nur mit alten und neuen Weggefährten gefeiert, sondern zugleich eine kritische Selbstreflexion unternommen. Den Einstieg machte Prof. Dr. Klaus Kunzmann, Institutsleiter von 1974 bis 1993, der in seinem Vortrag die Anfangsjahre des Instituts bildhaft aufleben ließ. Er schaute zurück und nach vorn: Das IRPUD müsse noch stärker mit anderen Forschungseinrichtungen wie dem ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung in Dortmund kooperieren, um im Wettbewerb unter den Wissenschaftseinrichtungen weiter bestehen zu können. Prof. Dr.-Ing. Michael Wegener, geschäftsführender Institutsleiter in den Jahren 2000 bis 2003, legte in seinem Rück- und Ausblick den Schwerpunkt auf die Öffentlichkeitsarbeit des IRPUD. Durch die Dortmunder Blaue Reihe sei es gelungen, eine Marke zu etablieren. Auch die engagierte Öffentlichkeitsarbeit zu seiner Zeit habe maßgeblich dazu beigetragen, die Bekanntheit des Instituts zu steigern. Angesichts des Bedeutungszuwachses des Internets bedauerte Wegener den Rückzug des IRPUD in Bezug auf seine Internetpräsenz und Open-Access-Veröffentlichungen und forderte eine Neuorientierung in der Veröffentlichungskultur ein. Ist die Raumplanung eine Wissenschaft? Nach Kaffee und Kuchen ging es ans „Eingemachte“. Prof. Dr. Hans Blotevogel, Professor für Raumplanung an der TU Wien, konfrontierte die Teilnehmenden an der Podiumsdiskussion gleich zu Beginn mit der Sinnfrage: Ist die Raumplanung überhaupt eine Wissenschaft? Dies wurde von allen bejaht. Denn erstens sei die Raumplanung als Studienfach mittlerweile etabliert, zweitens gebe es einen gemeinsamen Gegenstandsbereich, die Gestaltung von Stadt und Region, und drittens hätten sich eine eigene Fach-Community und ein eigener Arbeitsmarkt für Raumplaner herausgebildet. Durch die Besetzung von Professuren sei ferner auch eine Identifikation mit dem Fach bzw. eine Abgrenzung von anderen Fach-Communities gelungen. Aber gibt es auch einen gemeinsamen theoretischmethodologischen Kern? Bei diesem Kriterium sahen die Diskutanten noch Nachholbedarf gegenüber anderen Disziplinen. Prof. Dr. Thorsten Wiechmann, Fakultät Raumplanung an der TU Dortmund, betonte in diesem Zusammenhang die Fortschritte, die in der Planungstheorie in den vergangenen Jahren gemacht worden seien. Prof.Dr.-Ing. Stefan Siedentop, wissenschaftlicher Direktor des ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung, hob die Querschnittsfunktion der Raumplanung hervor. Ihr besonderer Wert bestehe in der Konfrontation der sektoralen Wissenschaften und dem Herausarbeiten von Schnittstellen. Nachrichten der ARL • 1/2015 45 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Welche Zukunft hat die Raumplanung? … und das IRPUD? Während zuvor die Binnenperspektive eingenommen wurde, ging es in der zweiten Fragerunde um eine Einschätzung der äußeren Rahmenbedingungen: Wie verändert sich das Wissenschaftssystem und welche Auswirkungen hat dies für die Raumplanung als Wissenschaft? Hier wurden zwei Trends ausgemacht, die zueinander mitunter im Spannungsverhältnis stehen: eine zunehmende Impact-Orientierung und Stakeholder-Beteiligung auf der einen und eine stärkere Exzellenzorientierung auf der anderen Seite. Während Prof. Dr. Blotevogel, Prof. Dr. Stefan Greiving vom IRPUD und Prof. Dr. Peter Ache von der Radboud Universität in Nijmegen vor allem auf den ersten Trend eingingen und die Aussichten der Raumplanung aufgrund ihrer Anwendungsorientierung und Interdisziplinarität positiv bewerteten, äußerte sich Prof. Dr.-Ing. Sabine Baumgart, Stadt- und Regionalplanung an der TU Dortmund, etwas skeptischer. Zwar sah auch sie die grundsätzlichen Vorzüge der Raumplanung, wenn es darum geht, den Zwischenbereich zwischen Grundlagenforschung und Politikberatung auszufüllen, doch die Begutachtung von Förderanträgen bei der DFG verläuft nach Baumgart dennoch nach wie vor entlang von Disziplinengrenzen. Auch Siedentop äußerte sich skeptisch: Die starke Exzellenzorientierung insbesondere in der Leibniz-Gemeinschaft und im Wissenschaftsrat führt seiner Ansicht nach weniger zu einer Annäherung von Grundlagen- und Anwendungsforschung als im Gegenteil zu einer Auseinanderentwicklung. Wie kann sich die Raumplanung als Wissenschaft in diesem Spannungsfeld positionieren? Auch hierzu gab es unterschiedliche Einschätzungen und Vorschlage: Während Greiving den Wert der Modellprojekteforschung hervorhob, forderte Wiechmann mehr theoretisch angeleitete Forschung und warnte vor einer zu starken Anwendungsorientierung in der Raumforschung. Das IRPUD ist 40, wie geht es weiter? In der letzen Runde wurde die strategische Ausrichtung des IRPUD diskutiert. Siedentop sprach sich wie zuvor bereits Kunzmann für eine stärkere Kooperation der Forschungseinrichtungen im Ruhrgebiet aus. Das Ruhrgebiet biete der Raumplanung einen einzigartigen Forschungsraum, den es stärker zu nutzen gelte, z. B. durch Wissenschaftscampi oder den Aufbau eines gemeinsamen Kompetenzzentrums. Auch Wiechmann betonte die Vorzüge der Verbundforschung und bemängelte zugleich die geringe Zahl an raumwissenschaftlichen Fachzeitschriften. Baumgart schlug vor, stärker im Bereich der Auftragsforschung und der Weiter- und Fortbildung tätig zu werden sowie die bereits vorhandenen Potenziale im internationalen Bereich weiter auszubauen. Zusätzlich sollte bei der Forschungsplanung auch die Erneuerung der technischen Systeme in den Blick genommen werden. Als weitere Forschungsthemen wurden die gesellschaftlichen Folgekosten der Smart City, eine raumorientierte Risikoforschung sowie die Erforschung der Zielkonflikte zwischen Klimaanpassungsmaßnahmen und einem sozial orientierten Stadtumbau vorgeschlagen. Ein Blick zurück, ein Schritt nach vorn Die Veranstaltung bot mehr als die üblichen Jubiläumsfestreden. Der mit einem Augenzwinkern vorgetragene Rückblick von Kunzmann gab ein unterhaltsames Lehrstück in punkto Institutsgründung in bewegten Zeiten. Und in den nachfolgenden Beiträgen und Diskussionen ist es gelungen, eine konstruktive Werkstattatmosphäre zu schaffen, um gemeinsam über die Zukunft des Instituts und die Zukunft der Raumplanung als Wissenschaft nachzudenken. Das IRPUD ist längst den Kinderschuhen entwachsen. Die ARL gratuliert zum 40-jährigen Bestehen und wünscht für die Zukunft alles Gute! Zum Nachlesen: Manfred Sack: „Leute, welche Räume planen“ in: Die ZEIT, 19.07.1974. Heruntergeladen am 07.03.2015: www. zeit.de/1974/30/leute-welche-raeume-planen Gabriele Schmidt 0511 34842-56 [email protected] 46 1/2015 • Nachrichten der ARL AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Unter dieser Rubrik erscheinen Hinweise auf kürzlich abgeschlossene Diplomarbeiten und Dissertationen. Der Förderkreis möchte auf diese Weise auf Leistungen des wissenschaftlichen Nachwuchses aufmerksam machen. Interessenten können die Adressen, an die Anfragen zu den gemeldeten Arbeiten zu richten sind, über den Förderkreis erhalten. Diese Rubrik steht allen inner- und außerhalb des personalen Netzwerks der ARL zur Verfügung; eine Auswahl ist vorbehalten. Informationen über Arbeiten (nicht älter als sechs Monate), die in den folgenden Heften der ARL-Nachrichten veröffentlicht werden können, werden erbeten an: nfobörse FRU c/o ARL Hohenzollernstr. 11 30161 Hannover Fax: 0511 34842-41 [email protected] Redaktionsschlusszeiten: 01.05.2015 / 31.07.2015 / 30.10.2015 Diplomarbeiten, Dissertationen etc. Kürzlich abgeschlossene Arbeiten Leibniz Universität Hannover Institut für Umweltplanung Trautmann, Lina Der Beitrag von Bildungsnetzwerken zur Regionalentwicklung – Eine Untersuchung am Beispiel der Bildungsgenossenschaft Südniedersachsen (Masterarbeit, abgeschl. 08/2014) ■■ HafenCity Universität Hamburg Brunkhorst, Matthias Ein allgemeines einheitliches Konzept zur qualitativen und quantitativen Analyse der Verzerrung geodätischer Netze infolge unterschiedlicher systematischer und stochastischer Modellfehler (Dissertation, abgeschl. 12/2014) ■■ Kinkeldey, Christoph Incorporating uncertainty information into exploratory land cover change analysis:a geovisual analytics approach (Dissertation, abgeschl. 01/2015) ■■ Kruse, Elke Integriertes Regenwassermanagement für den wassersensiblen Umbau von Städten. Großräumige Gestaltungsstrategien, Planungsinstrumente und Arbeitsschritte für die Qualifizierung innerstädtischer Bestandsquartiere (Dissertation, abgeschl. 10/2014) ■■ Lingg, Eva Bildung findet Stadt. Potenziale einer dynamischen Planung bei Hochschulbauvorhaben (Dissertation, abgeschl. 11/2014) ■■ Schelbach, Sonja Lernen von traditioneller Bauweise. Untersuchung zur Übertragbarkeit von Konzepten zur passiven Klimatisierung am Beispiel von traditionellen Wohnhäusern in Thessaloniki, Griechenland (Dissertation, abgeschl. 11/2014) ■■ Weninger, Beate Lärmkarten zur Öffentlichkeitsbeteiligung – Analyse und Verbesserung ausgewählter Aspekte der kartografischen Gestaltung (Dissertation, abgeschl. 12/2014) ■■ Nachrichten der ARL • 1/2015 47 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Ausgewählte Zeitschriftenbeiträge 1. Theoretische und methodische Grundlagen Adams, M. P.; Smith, P. L. (2014): A systematic approach to model the influence of the type and density of vegetation cover on urban heat using remote sensing. In: Landscape and Urban Planning 132, 47-54. Battis, U.; Mitschang, S.; Reidt, O. (2014): Das Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen. In: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 33 (24), 1609-1614. Bauer, C.; Seckelmann, M. (2014): Zentral, dezentral oder egal? Eine rechtliche und verwaltungswissenschaftliche Analyse der Aufteilung der Regulierungsaufgaben zwischen Bundesnetzagentur und Landesregulierungsbehörden. In: Die Öffentliche Verwaltung 69 (22), 951-960. Coombes, B.; Johnson, J. T.; Howitt, R. (2014): Indigenous geographies III: Methodological innovation and the unsettling of participatory research. In: Progress in Human Geography 38 (6), 845-854. Dąbrowski, M.; Bachtler, J.; Bafoil, F. (2014): Challenges of multilevel governance and partnership: Drawing lessons from European Union cohesion policy. In: European Urban and Regional Studies 21 (4), 355-363. Didero, M.; Pfaffenbach, C. (2014): Multilokalität und Translokalität. Konzepte und Perspektiven eines Forschungsfelds. In: Geographische Rundschau 66 (11), 4-9. Edenhofer, O. (2014): Navigationshilfe im Wettlauf gegen die Uhr. Fünfter Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC. In: Politische Ökologie 32 (139), 27-31. Frank, W.; Schwarte, C. (2014): Klimawandel und Völkerrecht – Anmerkungen zu den „Legal Principles Relating to Climate Change“ der International Law Association. In: Zeitschrift für Umweltrecht 25 (12), 643-649. 48 1/2015 • Nachrichten der ARL Fürst, D. (2014): Koordination und Führung in der Raumplanung. In: Raumforschung und Raumordnung 72 (6), 451-462. Gebhardt, L.; Klemme, M.; Wiegandt, C.-C. (2014): Bürgerbeteiligung und Bürgerengagement in Zeiten der Digitalmoderne – drei Thesen. In: disP – The Planning Review 50 (3), 111-120. Gehrlein, U.; Baranek, E.; Schubert, S.; Süß, P. (2014): Ein integratives Monitoringprogramm für Nationale Naturlandschaften – Chancen und Herausforderungen. In: Natur und Landschaft 89 (11), 465-470. Glasze, G.; Füller, H.; Husseini de Araujo, S. (2014): Regionalforschung in der Geographie und interdisziplinäre area studies nach dem cultural turn. Eine Einführung. In: Geographische Zeitschrift 102 (1), 1-6. Grange, K. (2014): In search of radical democracy: The ideological character of current political advocacies for culture change in planning. In: Environment and Planning 46 A (11), 2670-2685. Heinl, M.; Hammerle, A.; Tappeiner, U.; Leitinger, G. (2014): Determinants of urban-rural land surface temperature differences – A landscape scale perspective. In: Landscape and Urban Planning 134, 33-42. Hey, C. (2014): Die Bremser von Brüssel. Zeitenwende in der Europäischen Klimapolitik. In: Politische Ökologie 32 (139), 44-50. Holgersen, S. (2015): Spatial planning as condensation of social relations: A dialectical approach. In: Planning Theory 14 (1), 5-22. Klauser, F.; Paasche, T.; Söderström, O. (2014): Michel Foucault and the smart city: Power dynamics inherent in contemporary governing through code. In: Environment and Planning D: Society and Space 32 (5), 869-885. Kment, M. (2014): Keine unzulässige Rechtsausübung bei Erwerb so A ls Informationsservice für die Forschung und zur Förderung des Transfers raumwissenschaftlicher Forschungsergebnisse in die Praxis wird in den ARL-Nachrichten in jedem Heft auf raumrelevante Beiträge aus national und international bedeutsamen Zeitschriften hingewiesen. Vollständigkeit wird nicht angestrebt. Autoren und Leser werden gebeten, die Redaktion auf erwähnenswerte Arbeiten aufmerksam zu machen. Die Aufsätze werden nur einmal – nach ihrem inhaltlichen Schwerpunkt – einer Rubrik zugeordnet. Die Zeitschriftenschau ist wie folgt gegliedert: 1. Theoretische und methodische Grundlagen 2. Raumplanung und -entwicklung 3. Umwelt 4. Wirtschaft 5. Soziales 6. Infrastruktur genannter Sperrgrundstücke? In: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 33 (23), 1566-1568. Kühne, O. (2014): Die intergenerationell differenzierte Konstruktion von Landschaft. Ergebnisse einer empirischen Studie zum Thema Wald. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 46 (10), 297-302. Kunze, I.; Padmanabhan, M. (2014): Discovering positionalities in the countryside: Methodological reflections on doing fieldwork in South India. In: Erdkunde – Archive for Scientific Geography 68 (4), 277-288. Leibenath, M. (2014): Landschaftsbewertung im Spannungsfeld von Expertenwissen, Politik und Macht. In: UVP-report 28 (2), 44-49. Li, W.; Saphores, J.-D. M.; Gillespie, T. W. (2014): A comparison of the economic benefits of urban green spaces estimated with NDVI and with high-resolution land cover data. In: Landscape and Urban Planning 133, 105-117. Miggelbrink, J. 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Nachrichten der ARL • 1/2015 49 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Prokkola, E.-K.; Zimmerbauer, K.; Jakola, F. (2015): Performance of regional identity in the implementation of European cross-border initiatives. In: European Urban and Regional Studies 22 (1), 104-117. Rink, D.; Couch, C.; Haase, A.; Krzysztofik, R.; Nadolu, B.; Rumpel, P. (2014): The governance of urban shrinkage in cities of post-socialist Europe: Policies, strategies and actors. In: Urban Research & Practice 7 (3), 258-277. Stephens, E.; Cloke, H. (2014): Improving flood forecasts for better flood preparedness in the UK (and beyond). In: The Geographical Journal 180 (4), 310-316. Stephens, H. M.; Partridge, M. D. (2015): Lake Amenities, Environmental Degradation, and Great Lakes Regional Growth. In: International Regional Science Review 38 (1), 61-91. Zehetmair, (2014): Hochwasserschutz – Kooperationen in der Praxis. In: Informationen zur Raumentwicklung (5), 465-474. 3.Umwelt Castro, A. J.; Verburg, P. 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(2014): Partizipative Szenarien als Erfolgsmodell für eine integrierte Entwicklung? Strategieentwicklung im Kontext von Tourismus, erneuerbarer Energie, Sicherung der biologischen Vielfalt und Klimaanpassung in Großschutzgebieten. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 46 (11), 336-344. Mitschang, (2015): Netzausbau und räumliche Gesamtplanung. In: Umwelt- und Planungsrecht 35 (1), 1-11. Schneider, A.; Chang, C.; Paulsen, K. (2015): The changing spatial form of cities in Western China. In: Landscape and Urban Planning 135, 40-61. Schreiber, M. (2014): Artenschutz und Windenergieanlagen. Anmerkungen zur aktuellen Fachkonvention der Vogelschutzwarten. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 46 (12), 361-369. Wilde, M. (2014): „Ach, da fahr ich ganz spontan.“ Mobilität im Alltag älterer Menschen auf dem Land. In: Raumforschung und Raumordnung 72 (5), 371-384. Posch, D.; Sitsen, M. (2014): Möglichkeiten der Beschleunigung des Netzausbaus. In: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 33 (21), 14231427. Zehner, K.; Selbach, V. (2014): Stratford und der Olympic Park. Stadterneuerung im Londoner Osten in der postolympischen Ära. In: Geographische Rundschau 66 (12), 44-51. 6.Infrastruktur Schlacke, S.; Kröger, J. (2015): Die Förderung erneuerbarer Energien in Frankreich als staatliche Beihilfe – zugleich Anmerkung zum EuGH-Urteil in der Rs. Association Zhao, P.; Pendlebury, J. (2014): Spatial planning and transport energy transition towards a low carbon system. In: disP – The Planning Review 50 (3), 20-30. Frenz, W. (2015): Klimaschutz auf Kosten anderer? Ausstieg Vattenfalls aus dem Braunkohlentagebau in Brandenburg. In: Umwelt- und Planungsrecht 35 (1), 16-19. Band 72 Frey, M.; Ohnmacht, S.; Stahl, (2014): Flächenmanagement bei Windkraftentwicklung. Praktische und rechtliche Aspekte von Poolingverträgen. In: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 33 (21), 1421-1423. Heft 6 Dezember 2014 Hendler, R.; Kerkmann, J. (2014): Harte und weiche Tabuzonen: Zur Misere der planerischen Steuerung der Windenergienutzung. In: Deutsches Verwaltungsblatt 129 (21), 1369-1376. Papierausgabe: ISSN 0034-0111 Elektronische Ausgabe: ISSN 1869-4179 Bestellungen nimmt der Verlag entgegen: Springer Customer Service Center GmbH Haberstraße 7, 69126 Heidelberg Tel. (+49-6221) 3454303 Fax (+49-6221) 3454229 E-Mail: [email protected] www.springer.com/geography/ human+geography/journal/13147 Hennig, T. (2015): Indiens großer Energiehunger. Zwischen ambitioniertem Ausbau, Fragilität und Reformstau. In: Geographische Rundschau 67 (1), 24-31. Köck, W. (2015): Zur Entwicklung des Rechts der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung. In: Zeitschrift für Umweltrecht 26 (1), 3-16. Köhler, T. (2014): Geoinformation in der kommunalen Abfallentsorgungs- und strategischen räumlichen Planung. In: Raumforschung und Raumordnung 72 (6), 491-501. Krüger, E. L. (2014): Urban heat island and indoor comfort effects in social housing dwellings. In: Landscape and Urban Planning 134, 147-156. Kümper, B. (2014): Das Verhältnis der Bundesfachplanung nach §§ 4 ff. NABEG zur Raumordnung der 52 Vent de Colère! (ZUR 2014, 226). In: Zeitschrift für Umweltrecht 26 (1), 27-33. 1/2015 • Nachrichten der ARL Zur Diskussion Dietrich Fürst Koordination und Führung in der Regionalplanung Christoph Mager Alternative kulturelle Einrichtungen in deutschen Städten und Gemeinden. Ein Beitrag zur Kritik ökonomischer Perspektiven auf Kreativräume Tine Köhler Wissenschaftliche Beiträge Jörn Harfst / Peter Wirth Zur Bedeutung endogener Potenziale in klein- und mittelstädtisch geprägten Regionen – Überlegungen vor dem Hintergrund der Territorialen Agenda 2020 Geoinformation in der kommunalen Abfallentsorgungs- und strategischen räumlichen Planung Janina Welsch / Kerstin Conrad / Dirk Wittowsky / Ulrike Reutter Einfluss des Migrationshintergrundes auf die Alltagsmobilität im urbanen Raum AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG Neuerscheinungen aus anderen Verlagen Lisa Marquardt Looking Beyond The Dredges und hemmenden Faktoren für dessen Implementierung. Umweltrechtliche Studien – Studies on Environmental Law, Band 45. ISBN 978-3-8487-1773-6 The Consideration of Alternatives in the Planning and Approval of Port Development in Germany and New Zealand Frank Roost, Brigitta Schmidt-Lauber, Christine Hannemann, Frank Othengrafen, Jörg Pohlan (Hrsg.) ie Betrachtung von Alternativen als Teil von Planungs- und Genehmigungsprozessen von Infrastrukturgroßvorhaben ist seit gut zwei Jahrzehnten fest im internationalen und nationalen Umweltrecht etabliert. Schwerpunkt: Urbane Peripherie D In jüngerer Vergangenheit haben verstärkte Konflikte um einzelne Vorhaben wie „Stuttgart 21“ und Rufe nach einer neuen Beteiligungskultur die Frage, wer wann und wie bei der Entwicklung und Auswahl von Planungs- und Projektalternativen beteiligt werden soll, neu aufgeworfen. Dieser Frage widmet sich das Werk zunächst konzeptionell, bevor es die Verankerung der Alternativenprüfung im deutschen und neuseeländischen Planungs- und Genehmigungsrecht sowie deren Implementierung in der Praxis anhand von zwei Fallbeispielen für Hafenentwicklung untersucht. Der Vergleich der beiden Systeme ermöglicht Rückschlusse auf den Mehrwert der Alternativenprüfung als Instrument des Umweltrechts sowie die Identifikation von begünstigenden • Jahrbuch StadtRegion 2013/14 W elche Auswirkungen hat der demografische Wandel auf die Vorstädte? Welche lebensweltlichen Aspekte und Motive prägen private und gewerbliche Standortentscheidungen? Was ist der Hintergrund der Entstehung von Patchwork-Landschaften im stadtregionalen Raum? „Urbane Peripherie“ – mit diesem Stichwort greift das Jahrbuch Stadtregion aktuelle Diskussionen über den sozioökonomischen, soziokulturellen und baulichräumlichen Wandel des suburbanen Raums von Großstadtregionen auf. in ihren heutigen Ausprägungen und Nutzungsformen (dazu gehören Handelseinrichtungen ebenso wie Büroparks) nicht mehr mit den planerischen Maßstäben und Leitbildern kompatibel sind. Anknüpfend an die akademische Debatte um die „Zwischenstadt“, die in den 1990er Jahren geführt wurde, beschäftigen sich die Beiträge des Themenschwerpunktes daher auch intensiv mit der Frage der baulichräumlichen Gestaltung solcher Orte. In diesem Zusammenhang wird auch die aktuelle Entwicklung in vergleichbaren suburbanen Räumen in den USA vorgestellt. ISBN 978-3-8474-0162-9 • Matthias Furkert Erkennen und Handeln: Restrukturierung der landesplanerischen Mittelbereiche in Rheinland-Pfalz D as bisherige Zentrale-Orte-System wird heute in der Planungspraxis als nicht mehr zukunftsfähig bewertet, vor allem wegen des Demographischen Wandels und der fiskalischen Problematik. Vor diesem Hintergrund wird für das mittelzentrale System in Rheinland-Pfalz ein Restrukturierungsvorschlag erarbeitet, mit dem die Daseinsvorsorge sowohl in Verdichtungs- Die AutorInnen nehmen dabei die zunehmend regionalisierten Lebensweisen der BewohnerInnen in Ballungsräumen und die wachsende Bedeutung von suburbanen Gewerbegebieten als Alltagsorte in den Blick. Bezeichnend ist hier, dass diese Nachrichten der ARL • 1/2015 53 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG räumen als auch in dünn besiedelten Gebieten sichergestellt werden kann. Ein breites Set an quantitativen und qualitativen Daten ist die wesentliche Grundlage der praxisbezogenen Handlungsempfehlungen an die Raumordnungspolitik. Methodologisch wurde als Forschungsperspektive der Pragmatismus herangezogen, womit eine wichtige Weiterentwicklung der empirischen Zentralitätsforschung geleistet wird. GEOGRAPHICA – Schriftenreihe Geowissenschaften und Geographie, Band 11 to European institutions in the field of territorial and regional development. The book combines in-depth analysis of the evolution of European territorial policies and paradigms with a geographically comprehensive approach integrating the experience of both Western and Eastern Europe. It concludes with an examination of Europe’s place in the world at large, focussing particularly on globalization effects, climate change and new energy paradigms, which will present real challenges for decades to come. Jacques Robert, Klaus Kunzmann (Hrsg.) The European Territory From Historical Roots to Global Challenges O riginally published in French as “Le territoire européen: des racines aux enjeux globaux”, this book reflects the enormous changes that Europe has seen in the past half century. In a period of immense upheaval, the continent has experienced increased integration, largely through the development of the European Union, heightened urbanization and a changing rural landscape, while economic and commercial activities have impressed their stamp on the whole scene. Philip Engler Reurbanisierung und Wohnwünsche Die Bedeutung städtischer Strukturen für die Bevölkerung in der Stadtregion Hamburg D ieser Band leistet einen Beitrag zum Diskurs der Reurbanisierung. Er greift die These einer steigenden Wertschätzung der Stadt als Wohnstandort auf und prüft diese auf der Basis eines spezifischen konzeptionellen und methodischen Ansatzes. Der Fokus liegt auf den Wohnwünschen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen in der Stadtregion Hamburg. Es werden Antworten formuliert auf Fragen nach den Trägern der Reurbanisierung und nach der Abhängigkeit der Wohnwünsche von den Einstellungen zu städtischen Strukturen. ISBN 978-3-643-12630-6 54 1/2015 • Nachrichten der ARL Sicherung – Steuerung – Vernetzung – Qualitäten • Schriften des Arbeitskreises Stadtzukünfte der Deutschen Gesellschaft für Geographie 13 In this book, Jacques Robert deploys the experience amassed throughout his 35 years’ experience as adviser Daseinsvorsorge in der Raumentwicklung ISBN 978-1-13-802114-3 ISBN 978-3-8300-8172-2 • Marlit Haber, Andrea Rüdiger, Sabine Baumgart, Rainer Danielzyk, Hans-Peter Tietz (Hrsg.) „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ sind ein zentrales Leitprinzip der Raumordnung. Es kann als räumliche Dimension des Selbstverständnisses der Bundesrepublik Deutschland als Sozialstaat verstanden werden. Zu den Aufgaben des Sozialstaates gehört es, die sogenannte Daseinsvorsorge sicherzustellen – und zwar grundsätzlich unabhängig von der Lage des jeweiligen Ortes. Die Themen sind breit gefächert, von der Sicherung der Nahversorgung und sozialen Infrastrukturleistungen über die technische Infrastruktur der Ver- und Entsorgung bis hin zum Hochwasserschutz. Verkehr und Mobilität, aber auch Gesundheitsvorsorge gewinnen in einer alternden Gesellschaft zunehmend an Bedeutung. Inzwischen sind aber weniger die Herausforderungen zu diskutieren, die sich den zahlreichen Akteuren im Rahmen der Sicherung der Daseinsvorsorge stellen. Vielmehr gilt es nun, aktuelle Forschungsergebnisse zu technischen, sozio-ökonomischen und partizipatorischen Problemstellungen zu adaptieren und in die Praxis umzusetzen. Dazu gehört die Weiterentwicklung des methodischen Vorgehens bei der Erfassung und Bewertung von Datengrundlagen und deren Qualitätsstandards für die Unterstützung von politischen Entscheidungen. Dies gilt auch für interkommunale und regionale Abstimmungen, für die es AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG oftmals neuer Verfahrenswege mit sehr unterschiedlich agierenden Akteuren bedarf. Eine Vielzahl von Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen Disziplinen und Tätigkeitsbereichen tragen mit ihren Beiträgen zu einem Kaleidoskop des hochaktuellen Themas bei. Blaue Reihe. Dortmunder Beiträge zur Raumplanung 143 ISBN 978-3-8375-1336-3 • Gabriele M. Knoll Landschaften geographisch verstehen und touristisch erschließen E in Verständnis geographischer Räume zu erlangen, ist für Studierende der Geographie und der verschiedenen Tourismus-Studiengänge von Bedeutung. Dieses Lehrbuch gibt einen Überblick über wichtige Naturräume wie Mittel- und Hochgebirge, Küsten sowie Landschaften, die durch Vulkanismus und Karstformen geprägt sind. Die Beispiele wählt die Autorin vorzugsweise aus den Gebieten der gemäßigten Breiten. Ein Einstieg in touristisch relevante Klima- und Ökozonen vom tropischen Regenwald bis zu den Eiswüsten rundet das Buch ab. Stets wird die Kombination des Naturraumes mit ausgewählten kulturgeographischen Aspekten, wie traditioneller Landnutzung oder landschaftstypischen Bauweisen, kombiniert. Facetten des aktuellen Tourismus in jenen Gebieten werden ebenfalls angerissen. Auch für die praktische Arbeit im Tourismus, beispielsweise für eine neue Stadtführung, bietet das Buch essenzielles Handwerkszeug: etwa eine Einführung in die Topographische Karte und das „Geschichtsbuch“, das in einem Stadtplan steckt. ISBN 978-3-642-55425-4 • Steffi Ober Partizipation in der Wissenschaft Zum Verhältnis von Forschungspolitik und Zivilgesellschaft am Beispiel der HightechStrategie G roße Herausforderungen wie Klimawandel, zur Neige gehende Ressourcen und die Versorgung einer wachsenden Weltbevölkerung werfen neue Fragen an die Wissenschaft auf. ihre Errungenschaften reichen für eine nachhaltige Entwicklung nicht aus. Wenige Lobbygruppen beeinflussen Ziele und Ergebnisse und verhindern eine am Gemeinwohl orientierte Entwicklung. ISBN 978-3-86581-492-0 • Annika Sohre Strategien in der Energie- und Klimapolitik Bedingungen strategischer Steuerung der Energiewende in Deutschland und Großbritannien D er Klimawandel erfordert eine politisch gesteuerte Transformation der etablierten Energiesysteme. Aufgrund der langen Reaktionszeiten klima- und umweltpolitischer Maßnahmen und der langfristigen Auswirkungen von Entscheidungen im Energiesystem sind für die Energiewende situationsübergreifende und problemorientierte Handlungskonzepte erforderlich, die über Regierungswechsel und politische Meinungsumschwünge hinausreichen. In einigen Ländern gibt es daher Ansätze, eine klimaverträgliche Energieversorgung durch die Erarbeitung und Umsetzung nationaler Strategiekonzepte zu erreichen, so auch in Großbritannien und Deutschland. Annika Sohre untersucht vergleichend die Einflussfaktoren strategischer Steuerungsprozesse in diesen beiden Ländern. Sie leitet daraus Bedingungen strategischer Steuerung in der Energie- und Klimapolitik ab, die Von ihr werden Antworten auf die Transformationen in der Gesellschaft, der Politik und der Wirtschaft erwartet. Forschung soll die notwendigen Innovationen in Infrastruktur und Produktion voranbringen. Die Bundesregierung unterstützt Wissenschaft und Wirtschaft in der Gestaltung der Zukunft mit der Hightech-Strategie. Bislang wurde jedoch noch wenig untersucht, inwieweit diese Strategie mit der Gesellschaft verzahnt ist und ob sie in ausreichendem Maße dazu beiträgt, die globalen Zukunftsprobleme zu lösen. Die Untersuchung kommt hier zu einem kritischen Ergebnis. Demnach ist die Hightech-Strategie der Bundesregierung unzureichend legitimiert, Nachrichten der ARL • 1/2015 55 AUS RAUMFORSCHUNG UND -PLANUNG zu einer Weiterentwicklung strategischer Ansätze genutzt werden können. ISBN 978-3-658-04302-5 • Falk Schmidt, Nick Nuttall (Hrsg.) Contributions Towards a Sustainable World In Dialogue with Klaus Töpfer Klaus Töpfer, Executive Director of the Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam, former UN Under-Secretary-General and Executive Director of the UN Environment Programme as well as Minister for the Environment in Germany, turned 75 in 2013. His outstanding achievements inspired us to assemble this volume. Klaus Töpfer has been at the forefront of sustainability efforts for several decades, with a long track record of turning vision into reality, and a firm conviction that knowledge can be a crucial building block for transitions towards sustainability. Our world is shaped, more than ever before, by human activities. The scope of technology, to systemically alter nature in ways impossible for previous generations to comprehend, requests and requires a new relationship with 56 1/2015 • Nachrichten der ARL “planet Earth”. Such a relationship may speak, in the end, not just of profit and loss but also of a new meaning of wealth, including a sense of ethics, stewardship, and responsibility. For the time being, it seems paramount to face these new challenges, striving for new ways of understanding and, subsequently, new modes of response. ISBN 978-3-86581-479-1 • Olaf Kühne, Florian Weber Bausteine der Regionalentwicklung I m Zuge der politischen, sozialen und ökonomischen Diskussionen um die spezifischen Stärken und Schwächen, wie auch um Entwicklungschancen auf mittlerer räumlicher Maßstabsebene, hat das Thema der Regionalentwicklung besondere Aktualität erhalten. Das Buch befasst sich mit den Fragen der Herausforderungen für Regionen und die Regionalentwicklung in Gegenwart und Zukunft. Dabei wird insbesondere darauf eingegangen, welche Ansätze und Praktiken der Regionalentwicklung heute bestehen und wie diese begründet werden. Dabei erfolgt auch eine Reflexion von aktuellen Praxen und deren Begründung vor dem Hintergrund theoretischer Konzepte zur Raumentwicklung. ISBN 978-3-658-02880-0 Heinrich-Böll-Stiftung, Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS), Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Le Monde diplomatique (Hrsg.) Bodenatlas Daten und Fakten über Acker, Land und Erde 2015 W arum wird Land immer teurer? Wie viel Boden geht jedes Jahr verloren? Wie viele Quadratkilometer Acker- und Weideflächen „importieren“ wir für unsere Ernährung? Wem gehört das Land? Zum internationalen Jahr des Bodens präsentiert der Bodenatlas Daten und Fakten über die Bedeutung und den Zustand von Land, Böden und Ackerflächen in Deutschland, Europa und weltweit. In bewährter Tradition bietet der Bodenatlas in zahlreichen Grafiken und Textbeiträgen einen aktuellen Einblick in den Zustand und die Gefährdung der Böden, von denen wir leben. Der Bodenatlas liegt in einer gedruckten Version, als PDF und als OnlineDossier vor. www.boell.de/de/bodenatlas ISSN 1612-3891 (Printausgabe) Gedruckt auf 100% Recyclingpapier 0_Umschlag-1_2015.indd 2 ISSN 1612-3905 (Internetausgabe) www.arl-net.de 15.04.2015 14:42:27
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