Gastroösophagealer Reflux

Gastroösophageale
Refluxkrankheit
Denisa Pilic
Pädiatrische Gastroenterologie - Klinik für Kinderheilkunde II
Universitätsklinikum Essen
Kein Interessenkonflikt
Gastroösophagealer Reflux (GÖR)
• Physiologischer Prozess, tritt mehrfach
täglich auf, dient der Magenentlüftung
• Besonders häufig im Säuglingsalter ohne
pathologische Bedeutung:
Prävalenz bis zu 50% in den ersten 3,
Maximum mit 4 Lebensmonaten (67%) ,
dann abnehmend bis zum 12. Lebensmonat (5%)
→ meist keine diagnostischen oder
therapeutischen Maßnahmen erforderlich
Pilic 2015
Definition gastroösophageale
Refluxkrankheit (GÖRK)
Leitlinien NASPGHAN und
ESPGHAN, JPGN 2009
„GERD is present when the
reflux of gastric contents causes
troublesome symptoms and/or
complications.“
Pilic 2015
Intestinale Symptome
• Regurgitationen,
Erbrechen
• Sodbrennen,
retrosternale
Schmerzen
• Oberbauchschmerzen
• Hämatemesis
• Dysphagie,
Schluckstörungen
• Nahrungverweigerung
Pilic 2015
Komplikationen:
• Ösophagitis
• Strikturen
• Barrett-Ösophagus
Extraintestinale Symptome
• Unruhezustände
(Säuglinge,
psychom. behinderte
Kinder)
• Stridor
• Bronchiale
Obstruktion
• Husten
• Heiserkeit
• Apnoen
• Rez. Otitiden???
Komplikationen:
• Gewichtsverlust,
Dystrophie
• Rez. Pneumonie
• Verschlechterung
chronischer
Lungenerkrankungen
• Laryngitis/ Pharyngitis
• Anämie
• Sandifer-Snydrom
• Dentale Erosionen
• ALTE
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Diagnostik
• Ziel diagnostischer Tests:
– vermehrten Reflux oder Komplikationen
dokumentieren
– zeitlichen Zusammenhang zwischen Reflux und
Symptomen aufzeigen
– andere Erkrankungen ausschließen
– Ggf. Therapieerfolg überprüfen
¾ Kein diagnostischer Test kann all diese Fragen
gleichzeitig beantworten
¾ diagnostisches Vorgehen muss je nach
Fragestellung individuell
entschieden werden
Pilic 2015
Anamnese und klinische Untersuchung
• Symptombeschreibung bei ist Säuglingen
und Kindern < 8-12 Jahren unzuverlässig
• „Typische“ Symptome können fehlen,
umgekehrt können sie auch andere
Ursachen haben
• Symptomschwere korreliert nicht mit
Schwere objektivierbarer Veränderungen
• Keine Symptomkombination kann
zuverlässig Therapieerfolg oder
Wahrscheinlichkeit von Komplikationen
vorhersagen
→ unzuverlässiger Parameter
Pilic 2015
Probatorische PPI-Therapie als
Diagnosekriterium
• allenfalls bei großen Schulkindern und
Jugendlichen, da geringe Sensitivität
und Spezifität und spontane
Besserung sowie Placeboeffekt nicht
sicher auszuschließen
• Muss für zuverlässige Aussage
mindestens 2 Wochen erfolgen
• Bei Ansprechen maximal 3 Monate,
dann Reduktionsversuch. Bei erneuten
Symptomen, keine Langzeittherapie
ohne Diagnostik
Pilic 2015
Endoskopie und Histologie
• Kann Komplikationen der Refluxkrankheit
darstellen (z.B. Ösophagitis, Erosionen, Strikturen)
• Kann Differntialdiagnosen ausschließen
(z.B. eosinophile Ösophagitis)
• Kann jedoch Refluxkrankheit nicht ausschließen:
nur 5% der unter Einjährigen haben makroskopische
Veränderungen, ansteigend auf 19,6% der 17jährigen
(Gilger et al 2008)
• Histologie:
→ Veränderungen sind nicht refluxspezifisch
→ Bedeutung histologischer Veränderungen bei fehlenden
makroskopischen Veränderungen (nicht-erosive
Refluxkrankheit (NERD)) bei
Kindern nicht validiert
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Barium Breischluck
• Geeignet um anatomische Auffälligkeiten
aufzuzeigen
• Unterscheidet nicht zwischen GÖR und
GÖRK:
– Momentaufnahme unter unphysiologischen
Bedingungen
– Keine Quantifizierung der Refluxepisoden,
kurze Dauer führt zu falsch-negativen
Ergebnissen
– Auftreten von nicht-pathologischem
postprandialem Reflux führt zu falsch-positiven
Gleiches gilt für
Ergebnissen
Ultraschalluntersuchungen!
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Nuklearszintigraphie
• nach Aufnahme von 99Technetiummarkierter Nahrung
• Frage nach Aspiration:
– Negatives Ergebnis schließt Mikroaspirationen
nicht aus (niedrige Sensitivität)
– Aspirationen von Mageninhalt und Speichel
treten bei gesunden Erwachsenen in
Tiefschlafphasen auf
• Nachweis verzögerter Magenentleerung
• Momentaufnahme, nur postprandialer
Reflux wird erfasst
Pilic 2015
• Keine gute Standardisierung
24h-pH-Metrie
• Misst pH-Schwankungen im Ösophagus
• Vorteil: Längere Messdauer, „physiologischere
Bedingungen“
• Nachteil:
– Nicht-saurer Reflux wird nicht erfasst
• Beurteilt wird:
– Refluxindex RI (% der Zeit pH<4)
– andere Scoring-Systeme sind dem RI nicht
überlegen
– Symptomassoziation (Symptom Index)
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24h-pHImpedanzmessung:
• Eine Sonde mit 7 Messelektroden
wird in den Ösophagus platziert.
• Die elektrische Impedanz wird
zwischen jeweils zwei Messpunkten
gemessen und deren Veränderung
bei Passage eines Bolus registriert.
• Die Sonde besitzt zusätzlich eine
pH-sensitive Antimon-Elektrode, die
eine parallele pH-Messung
ermöglicht.
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Die 6 Impedanzkanäle werden simultan dargestellt ⇒
Richtung der Bolusbewegung kann erfasst werden.
Retrograde Bolusbewegung
(Reflux)
Antegrade Bolusbewegung (z.B.
Schluckakt)
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Vorteil:
• Leicht-/ nicht-saurer Reflux wird
ebenfalls aufgezeichnet
• Erfasst zusätzlich Steighöhe der
Refluxepisoden
• Ist der alleinigen pH-Metrie bei
Beurteilung der zeitlichen
Assoziation zwischen Reflux und
Symptomen überlegen
• Nachteil:
– Auswertung zeitaufwändig, schwierig.
– Normwerte bei gesunden Kindern
fehlen
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Manometrie
• Misst die Ösophagusperistaltik und den
Druck des unteren Ösophagussphinkter
• Erfasst Störungen der
Ösophagusmotilität (Achalasie, diffuse
Ösophagusspasmen, hypotensive
Peristaltik)
• Erfasst nicht Reflux (Bolusbewegungen,
Boluscearance, Säureexposition)
• Kaum Einsatz von hochauflösender
Manometrie, Impedanz-Manometrie in
der Pädiatrie (Kostenfaktor,
Pilic 2015
Katheterdicke…)
GÖRK und
Kuhmilchproteinallergie
• Nahrungsmittelallergien betreffen ca. 2-3%
der Säuglinge, meist Kuhmilch- und
Hühnereiweiß als Auslöser
• Spätreaktionen (48h-1 Woche nach
Allergenexposition, meist nicht-IgE vermittelt
Reaktionen) scheinen auch die GI-Motilität zu
beeinflussen
• Hinweis für KMPA als Auslöser von GÖRK:
Verbesserung der Symptomatik bei bis zu
42% der Säuglinge unter Hydolysatnahrung1.
• Spez. IgE bei ca. 50% der Patienten nicht
erhöht
Pilic 2015
1Iacono
G J. Allergy Clin. Imm. 1996
GÖRK und
Kuhmilchproteinallergie
• Nachweis nur mittels Eliminationsdiät für 2 bis 4
Wochen → anschließende Wiederbelastung zum
Kausalitätsbeweis
• Gestillte Säuglinge:
Elimination von Kuhmilch aus mütterlicher
Ernährung (Ernährungsberatung der Mutter
empfohlen)
• Nicht gestillte Säuglinge:
Start mit extensiver Hydrolysatnahrung* (z.B.
Alfare®, Althera®, Aptamil Pepti®, Aptamil Pregomin®) ,
bei fehlender Besserung (ca. 10%) nach 2
Wochen ggf. Umstellung auf AminosäurenFormel-Nahrung (z.B.Neocate®, Aptamil Pregomin
AS®, Alfamino®)
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Therapie:
Die meisten Medikamente vermindern
den Säurekontakt mit der Speiseröhre
und somit die Folgen von GÖR, aber
verhindern nicht den Reflux von
Mageninhalt.
ABER:
→ Viele Symptome sind bedingt durch sauren Reflux
→ eine bestehende Ösophagitis fördert Reflux
Pilic 2015
Säuglinge:
• Beratung bei physiologischem GÖR meist
ausreichend
• Bei V.a. Kuhmilchproteinallergie: s.o.
• Nahrungsmittelandickung: vermindert nur
sichtbare Regurgitationen und Refluxsteighöhe;
Bedingt empfohlen, da es Eltern beruhigt.
• Kommerzielle AR-Nahrung: Vorteil →
Energiedichte angepasst (keine erhöhte
Energiezufuhr)
• Keine empirische Therapie!!! PPI (bei GÖRKSymptomen) gegenüber Placebo kein Vorteil
2015
• Bauchlage theoretischPilicbesser,
wegen SIDSRi ik i ht
f hl
„Lifestyle“-Modifikationen:
• keine Evidenz für spezifische
Einschränkungen bei älteren Kindern und
Jugendlichen
• Folgende Modifikationen möglicherweise
hilfreich:
– Gewichtsreduktion bei Adipositas
– Keine voluminösen, hochkalorischen MZ
– Koffein, Schokolade, Alkohol, Nikotin, scharfe u.
fettige Speisen, späte Mahlzeiten meiden
– Eventl. Linksseitenlage und erhöhtes Kopfteil
nachts bei großen Kindern/ Jugendlichen
– Zuckerfreies KaugummiPilicnach
dem Essen
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Protonenpumpeninhibitoren PPI
• wirksamer als H2-Rezeptorantagonisten,
kein Gewöhnungseffekt
• Kinder zwischen 1 und 10 Jahren
benötigen meist höhere Dosen als
Erwachsene
((0,7)-1-(3,5)mg/kg KG,
ED ausreichend)
• Einnahme 30 Minuten vor Mahlzeiten,
nicht zermörsen
• Ausreichend lange Behandlung (2
Wochen nicht genug)
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Protonenpumpeninhibitoren PPI
• wenn nach 4 Wochen Symptombesserung,
Fortführung der Therapie für mindestens 8
weitere Wochen
• langsam ausschleichen (Rebound Effekt)
• Nebenwirkungen bei Säuglingen nicht
unterschätzen (z.B. Pneumonie,
Gastroenteritis, NEC)
• Bei bis zu 14% NW u.a. Kopfschmerzen,
Übelkeit (!), Durchfall, Obstipation. Manchmal
Präparatwechsel ausreichend
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Weitere Medikamente
H2-Rezeptorantagonisten:
• Rascher Wirkungseintritt (bereits nach 30
Minuten bei ausreichender Dosis i.v. (z.B.
5mg/kg KG bei Säuglingen)
• Gabe 2-3 x tgl.
• Gewöhnungseffekt nach 6 Wochen
• Nebenwirkungen: u.a. Schwindel,
Kopfschmerzen
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Weitere Medikamente
• Prokinetika (Metoclopramid, Domperidon)
aufgrund der Nebenwirkungen und geringer
Effektivität nicht zur routinemäßigen
Anwendung empfohlen
• Antazida als alleinige Langzeittherapie nicht
empfohlen
– Gefahr bei aluminiumhaltigen Präparaten:
Aluminiumintoxikation beschrieben
– Gefahr bei calciumhaltigen Präparaten:
Hypercalcämie, Alkalose, Nierenversagen
beschrieben
– Alginat? (Gaviscon infant®)
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Fundoplicatio:
• Oft einzige Antwort bei fehlendem
Ansprechen auf medikamentöse
Therapie, bei erforderlicher
Langzeittherapie oder bei
lebensbedrohlichen Komplikationen.
Diagnose muss gesichert sein!
• Magenfundus - Manschette um den
unteren Ösophagussphinkter UÖS →
Unterstützung des UÖS durch
entstehenden Druck der Manschette bei
Magenfüllung nach Nahrungsaufnahme
Pilic 2015
Fundoplicatio:
• Nach Nissen-Rossetti: Manschette
komplett um die Speiseröhre 360°
Fundoplicatio
• Nach Toupet: dorsale 270° Fundoplicatio
• Laparoskopisches Vorgehen mit gering
höherer OP-Versager-Rate bei
geringerer Morbität, kürzerem
Krankenhaus-Aufenthalt und weniger
perioperativen Komplikationen
Pilic 2015
Fundoplicatio:
• Nur wenige prospektive Outcome-Studien
bei Kindern
• Bis zu 1/3 Therapieversager im
Langzeitverlauf
• Nebenwirkungen: Dysphagie, „Gas-bloat“Syndrom, vermehrte Flatulenz, Völlegefühl
nach dem Essen
• Bei Patienten mit neurologischen
Grunderkrankungen erhöhte Rate von
Komplikationen, Morbidität, Mortalität und
erforderlicher Re-Operation
Pilic 2015
Zusammenfassung
• Die gastroösophageale Refluxkrankheit ist
vom physiologischen GÖR abzugrenzen
• Keine GÖR-Symptom kann zuverlässig
Therapieerfolg oder Wahrscheinlichkeit von
Komplikationen vorhersagen
• Kein diagnostisches Instrument kann eine
GÖRK 100%ig ausschließen/beweisen:
diagnostisches Vorgehen muss je nach
Fragestellung individuell entschieden werden
Pilic 2015
Zusammenfassung
• Bei Säuglingen mit physiologischem GÖR
Elternberatung meist ausreichend. PPI Therapie nur
bei nachgewiesenem Säureschaden, da sonst kein
Vorteil gegenüber Placebo. Bei V.a. KMPA
probatorische Eliminationsdiät
• Bei Jugendlichen kann eine probatorische Therapie
erwogen werden
• Bei nachgewiesenem pathologischem sauren
Reflux sind Protonenpumpeninhibitoren
Medikament der ersten Wahl
• Chirurigsche Intervention nur bei sicherem Beweis
einer GÖRK und ausgereizter medikamentöser
Therapie
Pilic 2015
[email protected]
www.kinder-gastroenterologie-essen.de