EU-Vogelarten und die Grenzen der Eingriffsregelung

EU-Vogelarten und die Grenzen der Eingriffsregelung
Warum CEF-Maßnahmen für Schwarzstörche und Wespenbussarde in
Lebensräumen mit optimaler Nahrungs- und Brutrevierausstattung nicht
greifen können – aufgezeigt am Vorhaben „Windpark Markgrafenwald“
Von Michael Hahl
In Bezug auf das Vorhaben „Windpark Markgrafenwald“ im südöstlichen Odenwald
(Gemarkungen Waldbrunn u. Eberbach, Neckar-Odenwald-Kreis u. Rhein-Neckar-Kreis)
wurde vereinzelt angeregt, über CEF-Maßnahmen im Bereich der Eingriffsregelung den
Tatbestand gemäß § 44 BNatSchG auszugleichen und hierdurch eine artenschutzrechtliche
Genehmigung zu erzielen. Diese Überlegungen werden nachfolgend auf der Grundlage
umweltrechtlicher und naturschutzfachlicher Betrachtungen sowie gutachterlicher
Empfehlungen von Artexperten kritisch hinterfragt. Es wird aufgezeigt, warum CEFMaßnahmen (auch als „vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen“ bezeichnet) für
windkraftrelevante europäische Vogelarten wie Schwarzstorch und Wespenbussard in einem
hervorragenden Brut- und Nahrungshabitat, dem Markgrafenwald-Höllbach-ReisenbachSystem, artenschutzrechtlich nicht vertretbar sind.
Beurteilung von CEF-Maßnahmen auf Basis der Raumnutzungsanalyse eines
deutschlandweit anerkannten Artexperten
Zunächst ist auf das Gutachten zu verweisen, das unter dem Titel „Saisonales
Raumnutzungsmuster von Schwarzstorch (Ciconia nigra) und Wespenbussard (Pernis
apivorus) im Markgrafenwald (Odenwald). Untersuchungen im
Windparkplanungsgebiet „Markgrafenwald“ (Odenwald)“ im Jahr 2014 von Carsten
Rohde, Büro CINIGRA, vorgelegt wurde. Darin wird unmissverständlich auf die qualitativ
hochwertig ausgestatteten Nahrungshabitate – insbesondere die naturnahen
Bachläufe Höllbach und Reisenbach – hingewiesen. Nachfolgend einige Auszüge aus
dem Gutachten:
„Ausschlaggebend für den Aufbau und eine erfolgreiche Etablierung einer gesunden
Schwarzstorchpopulation ist stets die Existenz ökologisch anspruchsvoller und ungehindert
erreichbarer Fließgewässer.“ Hinzu kommt, dass die Bereiche des betreffenden
Höhenrückens (gemäß Einträge in der TK50 als „Augstel“, „Winterhauch“ und
„Markgrafenwald“ bezeichnet) „als essentielle Thermikareale für den Schwarzstorch
einzustufen“ sind, was in Kombination mit den ringsum benachbarten hervorragenden
Nahrungshabitaten zu regelmäßigen Überflügen führt.
Der Top-Lebensraum des Höllbach-Reisenbach-Markgrafenwald-Ökosystems „gab in den
letzten Jahren entscheidende Impulse für eine sich fast unbemerkt aufbauende lokale
Schwarzstorchpopulation. Im Verbreitungszentrum befindet sich das WEA-Planungsgebiet.“
Windenergieanlagen würden im Falle einer Genehmigung inmitten dieses Habitats errichtet
werden.
Bei einer Errichtung der WEA werden daher die Verbotstatbestände nach § 44 BNatSchG
umfassend erfüllt. „Spezielle CEF- und FCS-Maßnahmen (u.a. besondere
Artenschutzmaßnahmen mit konkretem Individuenbezug) können aufgrund der
umfangreichen Erschließung des WEA-Planungsgebietes der dargestellten
Schwarzstorchpopulation eine Verschlechterung des Erhaltungszustandes nicht
abwenden (eine funktional wirksame Wahrung oder Verbesserung des aktuellen
Erhaltungszustandes kann nicht belastbar prognostiziert werden).
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Eine wiederholt diskutierte und von den Planern erwünschte „Umsiedlung“ von den
inzwischen etablierten Schwarzstorchbrutrevieren im Odenwald, um so über angedachte
„Kompensationsmaßnahmen“ den Schwarzstorch aus der „Gefahrenzone“ des WEAPlanungsgebietes im Markgrafenwald zu „delegieren“, ist artenschutzfachlich
unannehmbar, da von einer Top-Schwarzstorchbrutrevierausstattung im Ist-Zustand die
Rede ist:
o Geomorphologisch ist das Planungsgebiet von den für den Schwarzstorch
bedeutungsvollen und ökologisch hochwertigen Nahrungsgewässern Reisen- und
Höllbach eingeschlossen. In ein intaktes Fließgewässernetz inklusive seiner vorhandenen
Auendynamik greift man mit „gewünschten Biotopmaßnahmen“ generell nicht ein (u.a.
Verschlechterungsverbot eines FFH-Lebensraumtypes).
o Das Anlegen zusätzlicher Nahrungsgewässer außerhalb des Gefahrenbereiches macht
ferner im Odenwald aufgrund seiner Genese und sichtbaren Habitatausstattung natur- und
artenschutzfachlich keinen Sinn. Die Störche werden zwar neue Stillgewässer saisonal
nutzen – erschließen aber unverändert und vor allem bevorzugt die nahrungsreichen
sowie störungsarmen Fließgewässer im Zentrum und Umfeld des Planungsgebietes.
Eine „Umsiedlung“ wird nicht erzielt und das Tötungsrisiko behält somit unverändert seinen
Fortbestand.
o Die Neuanlage von Nistplattformen außerhalb des zu betrachtenden „Gefahrengebietes“ ist
auch nicht zielführend, da die Schwarzstörche innerhalb ihrer Optimal-Lebensräume sehr
reviertreu sind und unverändert die Nähe zu ihren angestammten und optimal
ausgestatteten Brut- und Nahrungshabitaten suchen. Im Gegenteil, es könnten sich
außerhalb des vermeintlichen Gefahrenbereiches weitere Schwarzstörche ansiedeln, die
perspektivisch das Planungsgebiet mit Überflügen zusätzlich „belasten“ (hier bündelnde
Wirkung im Zusammenhang mit der Anlage zusätzlicher Stillgewässer für neue
Schwarzstorchansiedlungen).
o Fazit: mit einem angedachten „Biotop-Management“ zur Umsiedlung von Schwarzstörchen
im Markgrafenwald wird genau das Gegenteil erreicht – man lockt zusätzlich Schwarzstörche
in die Region, wo ggf. die Ausstattung an Nahrungshabitaten für die Art und dessen
erfolgreiche Ansiedlung und Reproduktion bislang unzureichend war.“ (Zitate aus Rohde, S.
21 ff.; besonders wichtige Stellen vom Verfasser markiert).
Dies wird von U. Mammen bestätigt: „Natürlich können, wenn ein bisher suboptimaler
Lebensraum in einen optimalen Lebensraum umgewandelt wird, sich dort Paare ansiedeln
und brüten. Es bedarf vorher einer genauen einzelartspezifischen Analyse der limitierenden
Faktoren (Brutplatz, Nahrung, Prädatoren). Aber es werden nicht die Paare sein, die ... in der
Nähe der geplanten WKA gebrütet haben!“ (aaO., S.1). Mammen erscheint es „auch
rechtlich äußerst bedenklich, sich die Zerstörung einer Brut bzw. das Töten (bzw. zumindest
die Tötung billigend in Kauf zu nehmen) dadurch „zu erkaufen“, dass man ja an anderer
Stelle für zusätzliche Paare die entsprechenden Bedingungen geschaffen hat“ (aaO.).
Für den Wespenbussard mit bis zu sieben nachgewiesenen Revierpaaren im
Planungsgebiet gilt nach Rohde (aaO.) eine vergleichbare gutachterliche Einschätzung:
„Nach fachlicher Prüfung und umsichtiger Auswertung der Beobachtungsdaten werden daher
bei einer Errichtung der WEA die Verbotstatbestände nach § 44 (1) ff BNatSchG umfassend
erfüllt. Spezielle CEF- und FCS-Maßnahmen (u.a. besondere Artenschutzmaßnahmen mit
konkretem Individuenbezug) können aufgrund der umfangreichen Erschließung des WEAPlanungsgebietes der dargestellten Wespenbussardpopulation eine Verschlechterung des
Erhaltungszustandes nicht abwenden (eine funktional wirksame Wahrung oder
Verbesserung des aktuellen Erhaltungszustandes kann nicht belastbar prognostiziert
werden)“ (Zitate aus Rohde, S. 24 f.).
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Untersuchungen zeigen: in der Planungspraxis ist die Mehrheit der geplanten CEFMaßnahmen nicht einmal prinzipiell geeignet, ihre Funktion zu erfüllen – strenge
Artenschutzvorgaben werden abgeschwächt – hinzu kommt eine mängelbehaftete
Durchführung.
Die Naturschutzverbände kritisieren seit Jahren, dass „vorgezogene
Ausgleichsmaßnahmen im Einzelfall nicht über eine ausreichende Wirksamkeit
verfügen, um die hohen Anforderungen der EU-Kommission an die kontinuierliche
ökologische Funktionalität zu erfüllen“ (vgl. Gerhard et al, S. 330). Gerhard, Fabian,
Hövelmann und Kaubisch arbeiten die Schwachstellen bisher angewandter CEFMaßnahmen heraus. Für ein ausgewähltes Untersuchungsgebiet und auf der Basis von
Befunden aus dem nordrhein-westfälischen Straßenbau kommen sie mit einer objektivierten
Methodik zum Schluss, dass „nur 29,4 % aller Maßnahmentypen und 40,6 % aller konkreten
Maßnahmen ... nach Auffassung der befragten Experten diese Bedingung“ erfüllen (aaO.,
333). Als „Bedingung“ wird für die Einschätzung lediglich die Minimalforderung
herangezogen, nämlich eine „wahrscheinliche Funktionserfüllung“. Das heißt mit anderen
Worten: Weniger als 30 % aller Maßnahmentypen wird von ausgewählten Artexperten
attestiert, es handle sich dabei um Maßnahmen, welche die ökologische Funktionalität
wahrscheinlich erfüllen könnten. „Die Mehrzahl der untersuchten vorgezogenen
Ausgleichsmaßnahmen scheint nicht einmal prinzipiell geeignet, ihre Funktion zu
erfüllen.“ (aaO., 333). Zusätzliche erhebliche „Vollzugsdefizite und mängelbehaftete
Durchführung der konkreten Maßnahmen sind dabei noch gar nicht berücksichtigt“, wie die
Autoren betonen (aaO., S. 334).
Dies ist als „erheblicher Missstand“ (aaO.) auch vor dem Hintergrund des EUArtenschutzrechts zu werten. Die Autoren gelangen zur Schlussfolgerung, dass aus
„naturschutzfachlicher Sicht ... gegen das Instrument der vorgezogenen
Ausgleichsmaßnahmen nach den untersuchten Befunden schwerwiegende Bedenken
bestehen [müssen]. Anstatt besondere Vorsicht an den Tag zu legen und ausgesprochen
hohe Ansprüche an die Wirksamkeit bei der Anwendung der CEF-Maßnahmen zu stellen,
scheint die Planungspraxis zu einer erheblichen Abschwächung der vom
Richtliniengeber beabsichtigten strengen Artenschutzvorgaben zu führen. ...
Weitergehende Untersuchungen und Erhebungen erscheinen aus naturschutzfachlicher
Sicht dringend geboten, besteht doch die begründete Befürchtung einer rechtlich
unzulässigen Verschlechterung der Umweltsituation für bereits gefährdete Arten.“
(aaO.)
CEF-Maßnahmen für manche Artengruppen grundsätzlich ungeeignet
Aus dem im Jahr 2014 in der Fachzeitschrift „Naturschutz und Landschaftspflege“
publizierten Beitrag wird weiterhin deutlich, dass es „Arten und Artengruppen gibt, für die
mit größerer Sicherheit Maßnahmen geplant werden können – und solche, für die
vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen nicht oder nur schlecht geplant werden können.“
(Gerhard, S. 333). Auf diesen Aspekt muss auch in Bezug auf das Vorhaben „Windpark
Markgrafenwald“ in aller Deutlichkeit hingewiesen werden: Es wäre fachlich und
artenschutzrechtlich nicht realistisch, würde man CEF-Maßnahmen, die bspw. geschützte
Eidechsenarten oder den Feldhamster betreffen, mit solchen vergleichen, die für EUVogelarten in Erwägung gezogen werden. Nicht zuletzt die Tatsache, dass sich Eidechsen
abfangen und in einem neuen Habitat aussetzen lassen, zeigt grundsätzliche Grenzen der
Realisierbarkeit von CEF-Maßnahmen für bestimmte Arten und Artengruppen auf, die
in erheblichem Maße auch für Schwarzstörche und Wespenbussarde zutreffen und hier
sicherlich nicht diskutiert werden müssen.
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Funktionsfähigkeit von CEF-Maßnahmen ist vor Beginn einer Baumaßnahme zu
gewährleisten und sicherzustellen
Von den Autoren wird „mit Nachdruck auf die rechtlich notwendige Funktionsfähigkeit
von CEF-Maßnahmen vor dem geplanten Eingriff ... hingewiesen, die durch ein
Monitoring sichergestellt werden muss. ... An die Entwicklung und Bewertung von CEFMaßnahmen sollten daher besonders hohe fachliche Ansprüche gestellt und eine besondere
Zurückhaltung im Sinne des Vorsorgeprinzips an den Tag gelegt werden“ (aaO., S. 334).
Nicht akzeptabel ist, wenn „Planer vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen als bloße
Weiterentwicklung der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen der bundesrechtlichen
Eingriffsregelung“ verstehen“ (aaO.). Hierauf verweisen bereits Gellermann u. Schreiber:
„Mag die Versuchung ... auch groß sein, kann vor solchen Operationen doch nur
nachdrücklich gewarnt werden ... Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass CEFMaßnahmen nur insoweit zum Tragen kommen können, als sie der Vermeidung
verbotsrelevanter Wirkungen dienen. Dagegen können sie in ihrer auf vorgezogenen
Ausgleich gerichteten Ausprägung nicht dazu beitragen, die Einschlägigkeit
lebensstättenbezogener Verbote des § 42 (sic!) Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG
auszuschließen. Wird dies nicht bedacht, werden rechtswidrige und angreifbare
Entscheidungen vorprogrammiert“ (vgl. Gellermann u. Schreiber, S. 57 ff.; noch mit den
Paragraphen des „alten“ BNatSchG). „An gleich mehreren Stellen weist die EUKommission darauf hin, dass die Wirksamkeit von CEF-Maßnahmen sichergestellt
sein muss“ (aaO., S. 210). Bestätigt wird dies von U. Mammen in einer gutachterlichen
Stellungnahme zum „Markgrafenwald“, in der er darauf hinweist, dass „die Wirksamkeit
vorgezogener Ausgleichsmaßnahmen nachgewiesen sein muss, bevor das
Infrastrukturprojekt (hier also der Bau der WKA) realisiert wird. Ein baubegleitendes
Monitoring kommt also auf keinen Fall in Frage“ (vgl. Mammen, S. 2).
Signifikant erhöhtes Tötungsrisiko bei Errichtung von Windenergieanlagen innerhalb der
Flugkorridore bzw. inmitten der regelmäßig genutzten Nahrungshabitate
Hinzu kommt, dass CEF-Maßnahmen aufgrund der Vorgaben der EU-Kommission nicht
zum Einsatz kommen können, „wenn mit der Eingriffsregelung die Tötung von
Individuen verbunden ist“, zusätzlich zur „erfolgenden Zerstörung von genutzten
Lebensstätten“ (vgl. Gellermann u. Schreiber, S. 210). Mammen argumentiert
konsequenterweise wie folgt: „Im konkreten Fall des hier projektierten Bauvorhabens würden
... nicht die Nahrungshabitate durch das Vorhaben verschlechtert werden, sondern es droht
der Tod der Tiere durch Kollision mit den WKA, also ein unmittelbares Auslösen der
Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 Nr.1. Auch ein Verweis auf den Zustand der Population
kann hier aus mehreren Gründen nicht greifen: Erstens ist das Tötungsverbot bezogen auf
das Einzelindividuum zu betrachten, zweitens ist der Erhaltungszustand der
Populationen der zur Rede stehenden Arten nicht günstig (wobei nach Runge et al. 2009
sogar in Erwägung gezogen werden muss, dass bei Arten mit großen Raumansprüchen, wie
dem Schwarzstorch, vorsorglich bereits ein einzelnes Brutpaar als „lokale Population“ zu
betrachten sei) und schließlich drittens besteht eben grundsätzlich ein
Verschlechterungsverbot, was nicht durch die vage Annahme einer Verbesserung an
anderer Stelle aufgehoben werden kann“ (vgl. Mammen, S. 2).
Die Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes machen deutlich: „Ein
signifikant erhöhtes Tötungsrisiko ist ... anzunehmen, wenn die Untersuchung der
Aufenthaltswahrscheinlichkeiten nicht ergibt, dass die Windkraftanlage gemieden oder
nur selten überflogen wird“ (VGH, Urteil vom 18.05.2014, vgl. auch Faller u. Stein). Wenn die
Nahrungshabitate eine „räumlich gut abgrenzbare kleinere Teilmenge innerhalb der
Prüfkulisse“ (Schwarzstorch: 10.000 m; Wespenbussard: 4000 m) darstellen, die
„regelmäßig über die Anlage angeflogen“ werden, ist von „erhöhten
Aufenthaltswahrscheinlichkeiten im Nahbereich einer Anlage“ auszugehen (aaO.). –
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Bestätigt wird dies beispielsweise durch ein Urteil des Oberlandesgerichts von SachsenAnhalt, in dem wichtige und dauerhaft genutzte Nahrungshabitate im Prüfbereich der
betreffenden Art, insbesondere wenn Windenergieanlagen innerhalb der Flugkorridore zu
diesen Nahrungshabitaten liegen, zu einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko führen (vgl
OLG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 21.03.2013, vgl. auch Faller u. Stein).
Genau diese Situation eines dergestalt signifikant erhöhten Tötungsrisikos belegt die
Raumnutzungsanalyse Rohdes (aaO.) für das Schwarzstorch-Vorkommen im Wald-BachÖkosystem mit dem kompletten „Markgrafenwald“-Planungsgebiet durch die ermittelten
Überflüge und Flugkorridore. Für den Wespenbussard ist zudem – neben Flugkorridoren
zwischen Brut- und Nahrungshabitaten – die Brutreviernutzung inmitten des Planungsgebiets
nachgewiesen.
Eine Scheuchwirkung durch errichtete Windenergieanlagen ist zudem auszuschließen, wie
Rohde unmissverständlich schildert: „Ein immer wieder aufgeführtes (erhofftes)
Meideverhalten von Schwarzstörchen zu WEA wird insbesondere im Odenwald durch
wiederholte Nebeltage und den einhergehend unkalkulierbaren Nebelbänken im
Planungsgebiet regelmäßig ausgehebelt.“ (aaO., S. 22). Bestätigt wird dies bspw. von
Hormann und Gröbel (2015, S. 49). Auch Richarz (2014, S. 40 f.) führt erhebliche Konflikte
an, „besonders dann, wenn die Anlagen im Bereich der regelmäßig vom Schwarzstorch
frequentierten Flugkorridore gebaut würden“ (aaO., S. 41). Ein Großteil der
Flugbewegungen in die Nahrungshabitate seien „Direktflüge, wobei die Flughöhen von den
Witterungsverhältnissen abhängig sind. In der Regel nutzt der Schwarzstorch den kürzesten
Weg ins Nahungshabitat“ (aaO.). Ein weiterhin explizit erhöhtes Risiko besteht zudem für
Jungvögel. Im Übrigen fallen auch Balzflüge unter den Begriff der Fortpflanzungsstätte (vgl.
Faller u. Stein, S. 16) und sind somit unter dem Aspekt von Verbotstatbeständen nach § 44
BNatSchG zu beurteilen.
Eng begrenzter Anwendungsbereich für die Erteilung einer Ausnahme – Unionsrecht sieht
keine Befreiungen für EU-Vogelarten vor
Die Realisierung von CEF-Maßnahmen im Rahmen der Eingriffsregelung setzt prinzipiell
einen Ausnahmegrund bzw. eine Befreiung voraus. Erst wenn es an „zumutbaren
Alternativen“ tatsächlich fehlen sollte, „darf eine Ausnahme nur erteilt werden, wenn der
Erhaltungszustand der Populationen der hiervon betroffenen Art nicht leidet. ... Entscheidend
ist, dass sich die Erhaltungssituation ... nicht nachteilig verändert. ... Dies führt dazu, dass
etwa dann, wenn eine negative Entwicklung absehbar ist, stets von der Erteilung einer
Ausnahme abgesehen werden muss“ (Faller u. Stein, S. 19). In einem Urteil des
Verwaltungsgerichts Cottbus vom 07. März 2013 heißt es: „Mit Blick auf die Gewichtigkeit
der in § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG genannten Ausnahmegründe ist das mit der
Errichtung von Windenergieanlagen verbundene Interesse an der Energiegewinnung
nicht als zwingender Grund des überwiegenden öffentlichen Interesses anzusehen“
(VG Cottbus, Urteil vom 07.03.2013, vgl. auch Faller u. Stein).
Dass Ausnahmen und Befreiungen im Rahmen der Eingriffsregelung bei EU-Vogelarten
grundsätzlich aufgrund der weitergehenden Anforderungen der Vogelschutzrichtlinie äußerst
bedenklich sind, stellen Faller und Stein darüber hinaus klar: „Abgesehen davon, dass es
sich auch hier ohnehin um eine nur eng auszulegende Ausnahmeregelung handelt, ist zu
beachten, dass es sich dabei um abschließend formulierte Gründe handelt und somit nach
den unionsrechtlichen Vorgaben gar kein Rechtfertigungsgrund in Fällen der
Betroffenheit geschützter Vögel vorgesehen ist ...“ (aaO., S. 20). – Für die Befreiung
nach § 67 BNatSchG sei nur ein äußerst geringer Anwendungsbereich vorgesehen, so Faller
und Stein weiter, „nämlich dann, wenn es zu einer unzumutbaren Belastung führen würde ...
Dies dürfte jedoch – insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Unionsrecht,
namentlich die FFH-Richtlinie und die Vogelschutzrichtlinie, keine Befreiungen aus
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den in § 67 BNatSchG genannten Gründen vorsieht – nur äußerst selten in Betracht
kommen“ (aaO.).
Literatur:
Faller, R. u. Stein, J. (2014): Artenschutzrechtliches Gutachten im Auftrag des Landesverbandes badenwürttembergischer Bürgerinitiativen gegen Windkraftanlagen in Natur- und Kulturlandschaften e.V. 24. S.
(unveröffentlicht)
Gellermann, M. u. Schreiber, M. (2007): Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen in staatlichen Planungs- und
Zulassungsverfahren. Schr.-R. Natur und Recht 7, Springer, XIX + 503S.
Gerhard, M., Fabian, M., Hövelmann, Th., Kaubisch, S. (2014): Europäischer Artenschutz im Blindflug. In:
Naturschutz und Landschaftspflege 46 (11), 2014, 329-335
Hormann M. u. Gröbel, B.-Th. (2015): Geheimnisvoller Schwarzstorch. Faszinierende Einblicke in das Leben
eiens scheuen Waldvogels. 136 S.
Mammen, U. (2014): Stellungnahme „Windpark Markgrafenwald“, September 2014, i.A. der Initiative Hoher
Odenwald e.V. 2 S. (unveröffentlicht)
OLG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 21.03.2013 . 2 M 154/12 – juris Rn 31
Richarz, K. (2014): Energiewende und Naturschutz. Windenergie im Lebensraum Wald. Statusbericht und
Empfehlungen.
Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der
wildlebenden Tiere und Pflanzen (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie – FFH-RL) (ABl.EG L 206 vom 22.7.1992, S.7),
zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/105/EG des Rates vom 20. November 2006 (ABl. L 363 v. 20.12.2006)
Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung
der wildlebenden Vogelarten (kodifizierte Fassung) (Vogelschutzrichtlinie – VRL) (ABl. L 20 v. 26.01.2010)
Rohde C. (2014): Saisonales Raumnutzungsmuster von Schwarzstorch (Ciconia nigra) und Wespenbussard
(Pernis apivorus) im Markgrafenwald (Odenwald). Untersuchungen im Windparkplanungsgebiet „Markgrafenwald“
(Odenwald). Gutachten der CINIGRA, August 2014, i.A. der Initiative Hoher Odenwald e.V. 26 S.
(unveröffentlicht)
Runge, H., Simon, M., Widdig, T. (2009): Rahmenbedingungen für die Wirksamkeit von Maßnahmen des
Artenschutzes bei Infrastrukturvorhaben, FuE-Vorhaben im Rahmen des Umweltforschungsplanes des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz
– FKZ 3507 82 080. 383 S.
VG Cottbus, Urteil vom 07.03.2013 – 4 K 6/10 – juris Rn 85
VGH, Urteil vom 18.05.2014, - 22 B 13. 1358 – juris Rn 50
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