MEHR ALS WORTE ZEICHEN. SYMBOLE. SINNBILDER. Ausstellung TIROLER VOLKSKUNSTMUSEUM INNSBRUCK 24. April – 8. November 2015 BUCH ZUR AUSSTELLUNG AUSSTELLUNG Die Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung Claudia Mark, Innsbruck KONZEPT UND GESAMTLEITUNG AUSSTELLUNGSBAUTEN MEHR ALS WORTE Wolfgang Meighörner, Innsbruck Karl C. Berger und Anna Horner Hannes Würzl (Leitung), Oswald Gleirscher, ZEICHEN. SYMBOLE. SINNBILDER. Wolfgang Morscher, Innsbruck die im Tiroler Volkskunstmuseum Ingrid Rittler, Trins OBJEKTBETREUUNG vom 24. April bis 8. November 2015 gezeigt wird. Claudia Slanar, Wien Bernhard Frotschnig Walter Kelmer, Marcus Steurer, Martin Vögele, AUSSTELLUNGSARCHITEKTUR Wolfgang Sölder, Innsbruck REDAKTION SEKRETARIAT Barbara Lanz und Sonja Mitterer Heidi Kapferer www.bauforschung-tirol.com Irene Daz, daz* design und grafik RESTAURIERUNG MEDIENTECHNIK www.dazdesign.at Peter Haag Richard Schwarz Harm-Peer Zimmermann, Zürich Karl C. Berger Anna Horner LEKTORAT Bernhard Weber, Franz Zangerl GRAFISCHE GESTALTUNG, AUSSTELLUNGSGRAFIK www.islandrabe.com Ellen Hastaba FOTOGRAFIE RECHERCHE BEITRÄGE Wenn nicht anders angegeben: Richard Beer Karl C. Berger, Innsbruck Brigitte und Gerhard Watzek, Hall i. T. Olaf Bockhorn, Wien www.watzek-photografie.com LEIHGABEN Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, BESUCHERKOMMUNIKATION Ruth Haas, Stams Katharina Walter (Teamleitung), Sonja Fabian, Helene Hoffmann, Tübingen Christina Konle, Ulrike Schüller Bibliothek und Ältere Kunstgeschichtliche Sammlungen KUNST- UND VIDEOINSTALLATION Karin Ferrari, Wien Anna Horner, Innsbruck ÖFFENTLICHKEITSARBEIT & PRESSE Rudolf Ingruber, Lienz Eva Kreissl, Graz Ein herzlicher Dank an alle, die zum Gelingen dieses Sigrid Wilhelm (Teamleitung), Kathrin Bundschuh, ÜBERSETZUNGEN Andreas Liebl, Innsbruck Bandes und der Ausstellung beigetragen haben. Alexandra Hörtler Carla Leidlmair-Festi (Italienisch) Chris Marsh (Englisch) Schützenscheibe, bez. 1848, Südtirol, TVKM, Inv. Nr. Z1846. Dargestellt ist die Allegorie der Germania. Ihr Schild weist auf den 1848 gewählten Reichsverweser Erzherzog Johann hin. Tiroler Adler, um 1800, TVKM, Inv. Nr. Z1962. INHALT VORWORT Wolfgang Meighörner ................................................................................................................................................ 9 MEHR ALS WORTE. Zur Einführung in den Band Karl C. Berger und Anna Horner ................................................................................................................................. 11 FIXIEREN, SEHEN, SCHAUEN. Zur Phänomenologie von Ausstellungs-Besichtigungen Harm-Peer Zimmermann ............................................................................................................................................. 23 UNIVERSALSPRACHE UND PIKTOGRAFIE IM GLOBALEN DORF Ruth Haas und Claudia Mark ...................................................................................................................................... 39 ERGRÜNDEN, WAS NIEMAND WEISS AUSZUFINDEN. Über Sinn und Deutung von bildlichen Allegorien Rudolf Ingruber .......................................................................................................................................................... 49 WUNDERGESCHICHTEN VOM „LEBENSBAUM“. Anmerkungen zu einer „völkischen“ Sinnbildforschung Olaf Bockhorn ............................................................................................................................................................. 59 SYMBOLE UND ZEICHEN IM PRÄHISTORISCHEN TIROL Wolfgang Sölder ........................................................................................................................................................ 77 DAS KREUZ – VERMIESTES UND VERMISSTES SYMBOL Andreas Liebl ............................................................................................................................................................. 95 TAKTISCHE ZEICHEN VON LANDSTREITKRÄFTEN. Entwicklung und Funktion eines wichtigen Führungshilfsmittels Wolfgang Meighörner ................................................................................................................................................ 107 GEWERBESCHILDER Wolfgang Morscher ................................................................................................................................................... 117 EIN HÖLZERNES TÄFELCHEN Ein Holzkalenderfragment und der Versuch einer zeitlichen und gesellschaftlichen Zuordnung anhand der Symbole Ingrid Rittler ............................................................................................................................................................... 125 Gewerbeschild eines Kupferschmieds, verwendet in Innsbruck/Sailergasse, Anfang 17. Jahrhundert, TVKM, Inv. Nr. 1179. EMOTICONS – SCHREIB’S MIT GEFÜHL Helene Hoffmann ....................................................................................................................................................... 139 MIT HÄNDEN UND FÜSSEN. Symbolische Gesten und ihre Deutung Eva Kreissl ................................................................................................................................................................. 147 KARIN FERRARI: FLEURS DU MONSTRE. Zeichen Zeigen // Flower Flavour Claudia Slanar ............................................................................................................................................................ 157 VORWORT “? Nein, wir wollen beim gewohnten, und international wirksamen Entwicklungen führt, dass geschriebenen (Vor-)Wort bleiben, wenngleich uns die also ein „Tiroler Sonderweg“ nur in wenigen Fällen fest- Zeichen und Symbole auf Schritt und Tritt begleiten. Heu- zustellen ist. Internationale Standardisierungen, die Glo- te mag es scheinen, als ob diese Entwicklung eine Analo- balisierung und die normierende Kraft des Internets sind gie für einen sich wieder ausbreitenden Analphabetismus hierfür ebenso Grund wie die Genese größer werdender po- sei. In Einzelfällen mag das sein, sie ist aber zu alt, um litischer Strukturen wie etwa der Europäischen Union. Der dieses Muster zu erfüllen. Kampf für ein „Europa der Regionen“ mag aber als Beispiel Es ist einer der „Klassiker“: fast jeder kann die gängi- für Gegenbewegungen dienen, die einer allzu gleichmache- gen Verkehrszeichen schnell identifizieren und richtig rischen Normierung entgegenzuwirken versuchen. interpretieren. Liest man hingegen die dazugehörigen Für einen einmal mehr spannenden Einblick in einen unser Ausführungen in den jeweiligen Straßenverkehrsordnun- Leben weithin dominierenden Aspekt darf ich dem Team gen, erschließen sich einem die fachlich sicherlich kor- des Volkskunstmuseums unter der Leitung von Mag. Karl rekten Inhalte meist nicht auf den ersten Blick. Dies ist C. Berger herzlich danken. In den Dank schließe ich alle nun keineswegs neu oder auch nur verwunderlich oder am Projekt Beteiligten innerhalb und außerhalb der Tiro- auf die Gegenwart beschränkt. Hauszeichen, Zimmerer- ler Landesmuseen mit ein, so etwa die Leihgeber und die Markierungen, Rotwelsch und vieles andere mehr waren Autoren des Begleitbandes. in der Vergangenheit bereits gewohnte und erprobte Vor- Ich hoffe sehr, dass auch diese Ausstellung die Sicht auf gänger heutiger Zeichen, Symbole und Icons. Und wenn ein scheinbar nur allzu selbstverständliches Symptom ver- wir es genau betrachten, so haben wir auch im Museum tieft – auf dass wir dessen besser gewahr werden als bis- durchaus ähnliche Problemstellungen, wenngleich gewis- lang. Vielleicht führt das ja auch wieder zu einer Nutzung sermaßen mit umgekehrten Vorzeichen. Verstehen wir die der Sprache, die näherungsweise derjenigen Goethes und Exponate als unsere Zeichen oder Symbole, so müssen Schillers entspricht – und nicht nur eine fast gestammelt wir feststellen, dass sie sich eben nicht auf den ersten wirkende Aneinanderreihung von Anschlägen auf dem Blick erschließen, sondern dass die Vermittlung hier die Display des Mobil-Telefons ist. Es wäre schade, wenn die Brücken zu einem schnellen und richtigen Verständnis Zeichen und Symbole den Klang einer schönen Sprache bauen muss. vollkommen überlagerten – der wir uns umso besser wid- Das Volkskunstmuseum setzt mit der Ausstellung die Reihe men können, je einfacher uns das Verständnis für andere von Präsentationen zu übergreifenden Themen fort, die es Aspekte des Lebens durch die Verwendung kluger Zeichen mit seinen Beständen in einen Tiroler Kontext setzt – und und Symbole gemacht wird. Oder besser „ sie zugleich weit darüber hinaus vernetzt. Dabei wird immer wieder deutlich, dass auch hier die Entwicklung von PD Dr. Wolfgang Meighörner klar regional abgegrenzten Beispielen hin zu überregional Direktor 9 MEHR ALS WORTE. ZUR EINFÜHRUNG IN DEN BAND Karl C. Berger und Anna Horner 10 Hinter der Inventarnummer „1“ im Bestand des Tiroler ben, sein äußerer Bezugsrahmen hatte sich gewandelt. Volkskunstmuseums verbirgt sich ein mit Zinnstiften ver- Solche Veränderungsprozesse wurden in der Kulturwis- zierter Bauchranzen aus dem Jahr 1757. Wann er genau senschaft Volkskunde schon mehrmals beschrieben. Vor erworben wurde, ist nicht dokumentiert – wohl aber, dass über 30 Jahren hat der schwedische Volkskundler Nils-Arvid er um 12 Gulden angekauft wurde und deshalb wohl schon Bringéus „Großmutters Spinnrad“ vorgestellt, das vom vor der Währungsreform 1892 in den Bestand aufgenom- Arbeitsgerät zum Erinnerungsding geworden ist.1 Schon men worden sein dürfte. Der Ranzen war keinesfalls das vorher beschäftige sich Karl Sigismund Kramer mit der erste Objekt, das vom Innsbrucker Gewerbeverein für die „Dingbeseelung“ und zeigte, dass hinter dem „rein mate- 1888 begonnene Sammlung erworben wurde, denn die riellen Wert der Dinge“ noch etwas anderes aufzuspüren Inventarisierung der Objekte wurde erst später begonnen sei.2 Die Dingbeseelung befasste sich „mit der besonderen – erst nachdem das angehäufte Kulturgut nicht mehr über- Rolle der Dingwelt im Leben des Menschen, mit ihrer Sym- blickt werden konnte. Dafür zeichnete sich Karl Radinger bolik und auffälligen Lebendigkeit“.3 Wie später auch Leo- von Radinghofen (1869–1921) verantwortlich, der dafür pold Schmidt mit seiner Idee der Gestaltheiligkeit betonte, seinen Posten am Salzburger Museum Carolino-Auguste- wollte Kramer die „Wirkkraft der Gegenstände“ hervor- um aufgab und nach Innsbruck zurückkehrte. Wenngleich heben.4 Später erklärte Kramer Zusammenhänge um die Radinger Klassische Philologie studiert hatte, plädierte er „Dingbedeutsamkeit“ und zeigte auch den zeichenhaften für ein „erweitertes Programm“ für das „Museum für Ti- Nutzen von Objekten und ihre Interdependenz zum Sym- rolische Volkskunst und Gewerbe“. Er schlug bereits 1909 bolischen. Diese Ideen wurden innerhalb der Kulturwis- vor, aus dem ehemaligen Gewerbemuseum ein „Museum senschaft Volkskunde lange Zeit kritisch betrachtet – war für tirolische Volkskunde“ zu formen. „Der Fremde und der die alte Sinnbildforschung doch zu einer arglosen Pseudo- Einheimische“ sollten, so Radinger, „in dem Museum ein wissenschaft verkommen. So dauerte es – trotz zaghafter Gesamtbild des Tiroler Volkes suchen.“ Annäherungen – bis in die 1990er-Jahre, bis sich das Fach Bereits als ein Handwerker diesen Bauchranzen fertig- wieder mit solchen Bedeutsamkeiten von Dingen, die über te – so könnte man die Phantasie spielen lassen – und die Funktion hinausgehen, beschäftigte. In der neueren ihn anschließend ein Wirt oder ein besitzender Bauer, volkskundlichen Forschung werden Kramers Überlegungen auf jeden Fall ein finanziell betuchter Herr, trug, war er wieder stärker berücksichtigt und mit der Idee der episte- mehr als nur ein Leibgürtel. Die aufwändige Herstellung mischen Dinge des Wissenschaftstheoretikers Hans-Jörg und die zu verschiedenen Motiven kombinierten Zinnnie- Rheinberger verbunden. Dadurch hat die Analyse der ma- ten zeugten vom Status und Prestige des Trägers. Als er, teriellen Kultur nicht nur eine neue Konjunktur erfahren: mittlerweile als veraltetes und überholtes Kleidungs- Die Beschäftigung mit dem Symbolischen und mit Sym- stück, in die Sammlung des Gewerbemuseums aufge- bolen führte zu einem Gewinn von neuen Erkenntnissen nommen wurde, sollte er eine neue Aufgabe erfüllen: und Zusammenhängen. Was Dinge sind, hängt wohl auch Als Teil der damals angelegten Vorbildsammlung wurde mit ihrer Stofflichkeit, Form, Oberfläche, Materialität und er zu einem Dokument des handwerklichen Könnens in Funktionalität zusammen – aber eben auch mit den mit Tirol. Das materielle Ding „Ranzen“ war gleich geblie- ihnen verbundenen Handlungszusammenhängen: Dinge 11 haben einen Zeichencharakter und verweisen auf mensch- Seine goldene Farbe sollte zusätzliche Auszeichnung sein. liches Handeln, auf Gefühle oder Werte. Sie können aber Horizontal über das Wappentier verläuft der Schriftzug ihrerseits solche Handlungen auch bewusst provozieren. „Qualität Tirol“. Dieses Qualitätszeichen ist heute in Ver- Diese Wechselbeziehung mag Erklärungsmuster für Ra- wendung, ziert Milchprodukte verschiedener Molkereien, dingers Entscheidung gewesen sein, just den Trachten- prämiert nach nachhaltigen Gesichtspunkten verarbeite- ranzen aus dem gesamten Konvolut zusammengetragener tes Fleisch oder ist am Blumentopf so mancher Gärtnerei „Erzeugnisse des heimischen Kunstfleißes“ auszuwählen zu entdecken. Auch für den zu einem grafischen Symbol und ihn mit der Inventarnummer „1“ zu versehen. Der gewordenen Ranzen gilt, dass er über seine eigentliche Ranzen ist – um Geertz zu zitieren – Teil eines dichten Funktion – dem Kennzeichnen von Lebensmitteln und „selbstgesponnenen Bedeutungsgewebe[s]“: In Trachten, Produkten – weitere Bedeutungsebenen transportiert. Er so formulierten es Zeitgenossen, würde das „Gemüth der ist sichtbarer Hinweis auf eine nicht-sichtbare Wirklich- Bergbewohner so unverfälscht“ erhalten bleiben, dass keit.9 Dieses hier angerissene Bedeutungsspektrum zeigt durch sie gar die „Nachteile der kosmopolitischen Nivel- nicht nur, dass im Prinzip jedes Objekt zu einem Symbol lierung“ abgeschwächt werden könnten.7 Die Beständig- gewandelt werden kann; es treten einige Eigenschaften keit im Landleben der Vormoderne, Sehnsüchte nach dem und Kennzeichen von Symbolen zum Vorschein, auf die im Authentischen und Historischen, ja selbst Vorstellungen Folgenden hingewiesen werden soll. vom Alpinen – all dies fokussierte sich auch im Trachten- Im ursprünglichen Gebrauch meinte das griechische Wort ranzen. Das Objekt wurde mit symbolischen Inhalten auf- „symbolon“ einen in zwei Teile zerbrochenen Gegenstand, geladen. Dieser hier angedeutete Sinngehalt des Ranzens der durch das Zusammenfügen als Erkennungszeichen geht weit über seine eigentliche Funktion als Leibgürtel diente. Ein Symbol, so muss dementsprechend die erste hinaus. Er verweist auf komplexe Gedankengänge, auf ge- Feststellung lauten, ist stets auf ein Ganzes gerichtet. Es Zwar werden sie vom Menschen erdacht und mit Werten kurzen Moment muss es zu einem spontanen Sinnverste- sellschaftliche Stimmungen und Wünsche, die ihrerseits steht nicht für sich alleine, spricht also auch nicht für sich und Bedeutungen versehen; doch fordern sie ihrerseits ein hen kommen, welches eine Resonanz des Betrachters aus- mit dem Objekt in Verbindung stehen. Dass diese nicht nur selbst. Symbole sind eine Mitteilungsform und stehen menschliches Handeln.10 In religiösen Zusammenhängen löst. Diese Resonanz aber kann unterschiedlich sein: Ein zu Radingers Zeiten zu spüren waren, zeigte sich Ende des für einen bestimmten Sinninhalt, etwa für eine Idee, ein mag ein Symbol (etwa ein Kreuz) beispielsweise ein Gebet Wirtshausschild könnte beispielsweise erklären, dass es 20. Jahrhunderts in einem ganz anderem Zusammenhang: Ereignis, eine Handlung oder ein Gefühl. Das Verhältnis oder Ritual provozieren. hier etwas zu essen gibt. Das gleiche Schild könnte aber 1996 formierte sich die Agrarmarketing Tirol als ein vom von Symbol und dem, was symbolisiert werden soll, steht Doch gerade im Alltag können Symbole überaus bestim- auch komplex und abstrakt gelesen werden. Es mag Hin- Land Tirol, der Tiroler Wirtschafts- und Landwirtschafts- demnach in einem engen Verhältnis: Goethe meint in sei- mend wirken: Verkehrszeichen oder Hinweispfeile machen weis auf den Namen des Gasthofes geben oder vermitteln, kammer sowie der Tirol-Werbung gegründeter Verein. Ziel nen „Maximen und Reflexionen“, dass „wahre Symbolik“ den Menschen zu einem folgsamen Diener ihrer Symbolik. dass es sich um ein traditionelles Wirtshaus handelt, in dieses Zusammenschlusses war es, agrarische Produkte, dort zu finden sei, „wo das Besondere das Allgemeine Dabei sollen sie keineswegs passiv oder stumm sein, im dem man beispielsweise gut-bürgerliche Küche genießen welche in Tirol „gewachsen und veredelt“ wurden, geziel- repräsentiert, nicht als Traum und Schatten, sondern als Gegenteil: Symbole sind aktive Teilnehmer in der Mensch- kann. Oder die Botschaft kann gänzlich anders lauten: Dies ter zu vermarkten. Als Qualitätssiegel wurde ein „Symbol lebendig-augenblickliche Offenbarung des Unerforschli- Ding-Beziehung. Wie Besitz- oder Herstellerzeichen ver- ist ein altes Haus, in dem es früher einmal ein Gasthaus für unser starkes Land“8 gesucht. Fündig wurde man in den chen“. Das Symbol und das Symbolisierte sind also nicht anschaulichen, verbindet ein Symbol einen Menschen mit gab. Diese hier angedeutete Vielschichtigkeit macht es Beständen des Tiroler Volkskunstmuseums: Grundlage für austauschbar und scheinen doch fast eins zu sein. Diese dem Objekt. Gerade durch diese individuelle Verbindung schwierig, den gesamten Sinngehalt eines Symbols mit das Qualitätszeichen sollte ein Trachtenranzen werden. annähernde Wesensgleichheit wird im Religiösen beson- richten sich Symbole an die Öffentlichkeit und können Worten zu übersetzen. Symbole sind im Stande, „mehr als Es war zwar nicht jener, den Radinger damals ausgesucht ders begreifbar: Das Kreuz an sich ist heilig – es ist nicht erst dadurch ihre Botschaft mitteilen. Je stärker sie mit Worte“ auszudrücken. Ihre Bedeutung kann sich wandeln, hatte, schließlich schienen sich andere Formen besser zu bloß ein Stück Holz oder Eisen oder steht nur stellvertre- dem öffentlichen Leben verbunden sind, desto reduzierter weshalb ihnen eine „eindeutige Mehrdeutigkeit“11 zuge- eignen. In einem Grafikstudio wurde das Siegel schließ- tend für das Göttliche. Seine Wirkkraft ist mit jener des scheint ihre Formensprache zu sein. Allgemein sichtbare sprochen werden muss. Gerade deshalb ist zu betonen, lich kreiert: Es zeigt einen mit Federkielarbeit bestickten Göttlichen scheinbar ident. In solchen Zusammenhängen Symbole scheinen auf das Wesentliche reduziert zu sein. dass die Deutung von Symbolen nicht beliebig ist, schließ- Ledergurt, auf dem ein ovales Ranzenblatt aufgenäht zu werden Symbole Vermittler zum Transzendenten und ma- Besonders eindringlich ist diese Entwicklung bei Pikto- lich sind sie durch eine historische Tiefe gekennzeichnet. sein scheint. In der Mitte des feuerroten Blattes breitet chen Nicht-Begreifbares visuell sichtbar. Symbole sind grammen. Gerade sie sollen unmittelbar wirken und ihre Durch sie bleibt Vergangenes in der Gegenwart präsent. ein Adler, das Wappentier Tirols, seine Schwingen aus. Ausdruck einer eigenen Wirklichkeit und eines Weltbildes. Information schon beim ersten Blick mitteilen. In diesem Diese hier skizzierten Eigenschaften unterscheiden Sym- 5 6 12 Bauchgurt, sogenannter Ranzen, bez. 1756, TVKM, Inv. Nr. 1. 13 Eine Wiege, hergestellt aus Kämmen, mit IHS und Pentagramm als Schutzzeichen, 19. Jahrhundert, TVKM, Inv. Nr. F2722. Handwerkszeichen der Schmiede, bez. IF, 1790, Ankauf 1914 aus einem Innsbrucker Antiquariat, TVKM, Inv. Nr. 9286. 14 15 bole von Zeichen. Während erstere eine bewusste Form eine Ideologie in ein Symbol einbrennen kann, zeigt die der Kommunikation, des Vermittelns und des Verstehens Swastika. Das historische Heilssymbol wurde in der Zeit sind, haben Zeichen keine direkte Informationsfunktion: des Nationalsozialismus zum Hakenkreuz und steht heu- Der in der Ferne zu entdeckende Rauch wird als Zeichen te für Antisemitismus, Rassismus und Vernichtung. Der gedeutet, dass es brennt. Mit diesem simplen Beispiel sei Versuch einer bewussten Umdeutung oder unbedarften aber auch auf eine der vielen Gemeinsamkeiten zwischen Falschdeutung historischer Motive wird am Beispiel von Symbol und Zeichen hingewiesen: Beide haben einen nar- Sinnbildern gezeigt. Die auf verschiedenen Gerätschaften rativen Charakter. Sie rufen dazu auf, ihre Bedeutungen zu entdeckenden Verzierungen wurden mythologisch als zu erzählen. Nicht nur aufgrund dieser Eigenschaft scheint Lebensbaum oder Fruchtbarkeitssymbol interpretiert. Die es im musealen Kontext besonders anregend zu sein, sich Symbole Tirols und des Alpinismus findet man gegenüber mit Symbolen zu beschäftigen. Es ist vor allem die auf das allegorischen Gestalten, wie der Germania oder der Tyro- Ganze gerichtete Eigenschaft von Symbolen, die einen be- lia. Die beiden Bereiche leiten den Besucher weiter zum sonderen Reiz ausübt: Symbole sind Aussagen des Geis- Rätselhaften und Unbekannten. Schließlich werden Sym- tes, die sich materiell niederschlagen. Das Immaterielle bole vorgestellt, die Emotionen und Stimmungen vermit- der Kultur ist mit dem Materiellen verbunden. Freilich ist teln, ehe der heute allgegenwärtige Richtungspfeil die Be- auch festzustellen, dass die Beschäftigung mit Symbolen sucher wieder zum Ausgangspunkt des Rundgangs weist. gerade in der Gegenwart eine Konjunktur erlebt – auch Die Architektur zur Ausstellung wurde von Barbara Lanz abseits der Wissenschaft. Spätestens seit es der Roman und Sonja Mitterer erdacht und von der museumseige- „Der Da Vinci Code – Sakrileg“ von Dan Brown in die Best- nen Werkstatt unter der Leitung von Hannes Würzl um- sellerlisten geschafft hat, ist das Interesse an Symbolen gesetzt. Die Ausstellungsgestaltung kommt dem wissen- gestiegen – gerade weil sie dadurch in ein geheimnisvol- schaftlichen Konzept entgegen. Die anthrazitfarbenen les und rätselhaftes Licht gerückt werden. Der Entschluss, Wände bieten eine klare Struktur, der offen gestaltete sich mit diesem Thema im Volkskunstmuseum zu beschäf- Grundriss erlaubt, auf Zusammenhänge hinzuweisen. Die tigen, ist auch diesem Umstand geschuldet. spielerischen Computerinstallationen wurden von Richard In der Ausstellung werden deshalb wichtige Schneisen in Schwarz erdacht und lassen Besucher zum aktiven Teil der den schwer zu durchschauenden Dschungel der Symbole Ausstellung werden. geschlagen, wodurch das komplexe Thema – so hoffen Der anlässlich der Ausstellung organisierte Begleitband wir – verständlich aufbereitet wird. Thematisch beginnt ist vielschichtig wie das Phänomen Symbol selbst: Harm- die Ausstellung mit der Frage nach dem Kontext. Am Bei- Peer Zimmermann stellt Überlegungen zu Ausstellungs- spiel des Schlüssels werden unterschiedliche, oftmals Besichtigungen an, während sich die Kunsthistorikerinnen widersprüchliche Bedeutungen, die ein Symbol in sich ver- Ruth Haas und Claudia Mark der Universalsprache und Pik- einen kann, analysiert. Er kann Zunftzeichen, Hinweis auf tographie annähern. Rudolf Ingruber beschäftigt sich mit eine Amtsgewalt, Liebeszeichen oder Besitzsymbol sein. der Sprache von Allegorien. Im wissenschaftsgeschichtli- Besitzzeichen und die individuelle Verbindung zwischen chen Beitrag von Olaf Bockhorn wird die volkskundliche Symbole den Ausgangspunkt für eine gesellschaftliche den Mittelpunkt rückt. Karin Ferrari wurde eingeladen, ein Mensch und Objekt stehen im Mittelpunkt des anschlie- Sinnbildforschung unter die Lupe genommen. Während und zeitliche Einordnung eines historischen Kalenders. künstlerisches Projekt für die Ausstellung zu entwickeln, ßenden Bereichs und führen zu rechtlichen und staatlichen sich Wolfgang Sölder archäologisch belegter Symbole Helene Hoffmann hat sich den digitalen Emoticons ver- das im Eingangsbereich des Museums umgesetzt wurde. Symbolen. Ihnen gegenüber stehen das Religiös-Magische nähert, stellt Andreas Liebl das religiöse Kreuz zwischen schrieben. Eva Kreissl weist in ihrem Aufsatz darauf hin, Ein ganz besonderer Dank ist Irene Daz und Ellen Hastaba und seine Wirkung auf das menschliche Tun. Mit dem gegenwärtige Diskurse und theologische Bedingtheit. dass auch die Körpersprache eine symbolische Kommu- geschuldet. Ohne sie wären wohl Ausstellung und Begleit- Kreuz wird schließlich auf den gesellschaftlichen Umgang Wolfgang Meighörner widmet sich in seinem Beitrag den nikation darstellt. Den Abschluss des Bandes bildet ein band symbolisch-geistige Vorhaben geblieben und wären hingewiesen. In gegenwärtigen Diskursen wird das gött- Zeichen militärischer Streitkräfte und Wolfgang Morscher kurzer Beitrag von Claudia Slanar, der die in Wien leben- materiell nicht fassbar geworden. Den beiden sowie allen liche Zeichen zu einem kulturellen Symbol. Wie sehr sich thematisiert Gewerbeschilder. Bei Ingrid Rittler bilden de und aus Meran stammende Künstlerin Karin Ferrari in Beteiligten an unserem Projekt schicken wir ein großes ♥. 16 Karl von Radinger vor einer Berglandschaft, Portrait von Franz Xaver Dietrich (1882–1962), TVKM, Inv. Nr. 31248. 17 Seit dem 17. Jahrhundert verbreitete sich die Herz-Mariä-Verehrung. Das Schwert weist auf die Schmerzen der Muttergottes hin; 2. Hälfte 18. Jahrhundert, TVKM, Inv. Nr. 21921. Die Rückenmarkierung dieses „gepfotschten Schafes“ dient im Schnals- und Ötztal als ein schon in der Ferne erkennbares Besitzzeichen; 2. Hälfte 19. Jahrhundert, TVKM, Inv. Nr. 5626. 18 19 1 2 3 4 5 6 Bringéus, Nils-Arvid: Folklorismus. Einige prinzipielle Gesichtspunkte vor schwedischem Hintergrund, in: Hörandner, Edith (Hg.): Folklorismus. Vorträge der I. Internationalen Arbeitstagung des Vereins „Volkskultur um den Neusiedlersee“, Neusiedel/See 1982, S. 55–72, hier S. 68. Vgl. Kramer, Karl-Sigismund: Die Dingbeseelung in der germanischen Überlieferung, München 1940. S. 5. Kramer, Karl-S[igismund]: Dingbedeutsamkeit. Zur Geschichte des Begriffs und seines Inhaltes, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums, 1995, S. 22–32, hier S. 22. Ebda. Radinger, Karl von: Das Museum für Tirolische Volkskunst und Gewerbe, in: Der Föhn. Eine tirolische Halbmonatsschrift für Literatur, Kunst und Leben, 1. Jg., 1909/10, S. 33–39, hier S. 34. Mayer-Bergwald, Anna: Zur Erhaltung der Volkstrachten in Tirol, in: Fremden-Zeitung. Central-Organ zur Förderung des Fremden- 7 8 9 10 11 verkehrs in Oesterreich, 7. Jg., Nr. 22 (3.3.1894), S. 12. L[echner], Z. K.: Ueber die Wiederbelebung alter Volkstrachten, in: Bote für Tirol und Vorarlberg, 80. Jg., 1894, Nr. 232 (10.10.1894), S. 1843. Vgl. Tiroler Bauernzeitung, Nr. 11, 15.10.1996, Sonderbeilage 3. http://www.symbolforschung.org/Symbole.html (Zugriff: 25.1.2015). König, Gudrun: Plädoyer für eine qualitative Dinganalyse, in: Hess, Sabine/Moser, Johannes/Schwertl, Maria (Hg.): Europäisch-ethnologisches Forschen. Neue Methoden und Konzepte, Berlin 2013, S. 283–307, hier S. 292. Gerndt, Helge: Bildüberlieferung und Bildpraxis. Vorüberlegungen zu einer volkskundlichen Bildwissenschaft, in: Gerndt, Helge/ Haibl, Michaela (Hg.): Der Bilderalltag. Perspektiven einer volkskundlichen Bildwissenschaft, Münster 2005, S. 13–34, hier S. 27. Abbild des „Johanes Wintler den 13./Mei seines alder 82“, 18. Jahrhundert, TVKM, Inv. Nr. 19978. 20 21 FIXIEREN, SEHEN, SCHAUEN ZUR PHÄNOMENOLOGIE VON AUSSTELLUNGS-BESICHTIGUNGEN Harm-Peer Zimmermann Eine Ausstellung zu besuchen heißt in aller Regel, sie zu be- Jedoch beschränken sich neuere phänomenologische An- sichtigen. Zwar heißt es manchmal „Anfassen erlaubt“ oder sätze nicht auf einen sensualistischen Subjektivismus. Es „Berühren erwünscht“, sofern es sich um unverwüstliche geht nicht nur um das sinnliche Rezeptionsvermögen und Dinge oder Imitate handelt, für die dann bestimmte Ecken die Rezeptionskraft von Ausstellungs-Besucher/innen, reserviert sind. Und natürlich ist auch das Gehör im Spiel, sondern auch um das Ausstrahlungsvermögen und die gelegentlich sogar der Geruchssinn. Aber in der Hauptsa- Ausstrahlungskraft von Dingen und Objekten. Eine Phäno- che geht es ums Besichtigen. Ausstellungen richten sich menologie von Ausstellungs-Besichtigungen fragt somit (von wenigen Ausnahmen abgesehen) an den Gesichtssinn: auch: Wie wirkt eine Ausstellung auf die Besucher/innen? Dinge, Bilder, Arrangements und nicht zuletzt Begleittexte Wie affizieren Gegenstände die Sinne der Betrachter? Wie sind auf visuelle Wahrnehmung und Auffassung ausgelegt, prägen sich die Dinge in unser Bewusstsein ein, in unsere auch wenn Anfassbares, Hörbares, Riechbares hinzukom- Wahrnehmung, ja in unseren ganzen Leib? Welche Stim- men kann. – So scheint es jedenfalls. Dass aber das Sehen mungen und Atmosphären gehen von einer Ausstellung andere Sinne einbezieht, weiß jedermann aus eigener Er- aus? – Natürlich haben solche Wirkungen der Dinge et- fahrung. Eine Ausstellungs-Besichtigung ist mehr als eine was mit subjektiven Voreinstellungen, Erwartungen und Besichtigung, mehr als Sehen und Beobachten. Man sieht Intentionen der Besucher/innen zu tun, aber es gibt auch eine Ausstellung gleichsam mit allen Sinnen an. Was also eine Wirkmacht der Dinge selbst, wie wir sie etwa zum geht mit uns vor, wenn wir eine Ausstellung besichtigen? Ausdruck bringen, wenn wir sagen, eine Ausstellung habe Wie verhält sich unser Gesichtssinn? Wie bezieht er andere uns ergriffen, verblüfft oder überwältigt. Und dabei geht es Sinne ein? Wie sehen wir in einem Museum? nicht nur um Empfindungen des Schönen, um Wohlgefallen Eine Phänomenologie der Besichtigung hat ihre Vorläufer vor oder Missfallen, sondern um eine Vielfalt leiblich-sinnli- allem in der phänomenologisch orientierten Kunstgeschichte cher Resonanzen und Reaktionen sowie um synästhetische und in der sensualistischen Ästhetik. Das Schöne existiert Verknüpfungen aller Sinne und um mediale Möglichkeiten demnach nicht an und für sich, als reine Form oder Idee, son- des Leibes. dern es erscheint erst in der Betrachtung, in den Sinnen der Rezipientinnen und Rezipienten, vermittelt durch die leibliche, Eine erste Phänomenologie von Ausstellungs-Besichtigun- seelische und geistige Konstitution des Menschen. Phänome- gen finden wir bei Robert Vischer (1847–1933), der in Bres- nologie heißt hier, eine (Ausstellungs-)Besichtigung als eine lau, Aachen und zuletzt in Göttingen Allgemeine Kunstge- sinnlich-leibliche Erfahrung zu untersuchen und aufzuschlüs- schichte und Ästhetik lehrte.2 1872 ist Vischer in Tübingen seln: Was ist das Besondere dieser Erfahrung? Was tun un- „Ueber das optische Formgefühl“3 promoviert worden, eine sere Sinne in diesem Moment? Welche leiblichen Reaktionen Arbeit, die nicht weniger als eine Leibphänomenologie von gehen damit einher? Der phänomenologische Ansatz konzen- Ausstellungs-Besichtigungen entwickelt und die erhebli- triert sich auf den unmittelbaren Eindruck, der beim Besichti- chen Einfluss gehabt hat, zum Beispiel auf Aby Warburg.4 gen entsteht, auf das Betroffensein der Betrachtenden, das Mit dieser Dissertation knüpft Vischer an Arbeiten seines nicht nur ein geistiges, bewusstes, visuelles ist, sondern auch Vaters an, des Literaturwissenschaftlers und Philosophen ein sinnliches, unwillkürliches, leibliches. der Ästhetik Friedrich Theodor Vischer (1807–1887), beson- 1 23
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