Klinke 40 - FSP - Förderkreis Sozialpsychiatrie eV Münster

Klinke
Literatur und Psychiatrie in Münster
Jahresausgabe 2015 / Nr. 40
kostenfrei zum Mitnehmen
12. Irrlichter Lesung
Sonntag, 19. April 2015, 18.00 Uhr Klinke live!
Schnabulenz, Geiststraße 50, 48151 Münster
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Die KLINKE ist eine Zeitschrift aus dem
Psycho-Sozialen Zentrum.
Die KLINKE erscheint einmal im Jahr. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben
nicht unbedingt die Meinung der Redaktion
wieder.
LeserInnenbriefe, Kommentare und Rückmeldungen sind erwünscht!
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Die Geschichte hinter dem Titelbild . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Je suis Charlie –Freiheit der Kunst versus Bildersturm . 5
Ute Tempel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Anmerkingen zu Ute Tempel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Ute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Zum Gedenken an Ute Tempel – Mitmensch und
psychisch kranke Intellektuelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Meine liebe Ute! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
Liebe Ute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
Spuren im Sand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Übergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
Morgenmuffel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Essen reichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Im Frühling aufhorchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Die Gänge in der psychiatrischen Anstalt . . . . . . . . . . .12
EX-IN – was ist das? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Fragen der KLINKE-Redaktion an Gudrun Tönnes . . . 14
Notizen zu Listen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Messe zur Inklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .15
Der Weg lohnt sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
„SEYMOUR oder Ich bin nur aus Versehen hier“ . . . . . 17
Theater Sycorax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Buchbesprechung: „Lebenskunst – Wege zur inneren
Freiheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
SEXUS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Festsonntag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Antigone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Worte III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Denkanstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
Zur Geschichte der Psychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Der Dichter und die Psychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Suizidprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Das Geld und die Psychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
Ballade meines hypothetischen Untergangs . . . . . . . . 28
Alptraum – ausgelöscht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Tausend Brote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Glück im Unglück – Ein Erfahrungsbericht . . . . . . . . . . 30
Paps = Vater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
Fußball Deutschland Weltmeister 2014 . . . . . . . . . . . . 31
Ein psychotischer Höhenflug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Fieber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Bipolar „manisch-depressiv“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
Alleinsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
im schatten der nacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
Interpretation meiner Schwester G. . . . . . . . . . . . . . . . 36
Deinen Wein trinken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
Worte brechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
Sommer auf dem Balkon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
Anschrift:
Die KLINKE
c/o Psycho-Soziales Zentrum
Geiststraße 37 · 48151 Münster
Tel. 0251/39937-0
e-Mail: [email protected]
Treffpunkt der Redaktion:
Donnerstag 17.15 – 18.45 Uhr
im Psycho-Sozialen Zentrum
Geiststraße 37, 3. Etage
Auflage: 1.500
Redaktion
(im engeren Sinne, neben vielen externen
„Textlieferanten“) dieser Ausgabe:
Hans-Jürgen Blümel,
Nina Burmeister,
Jens Dombrowski,
Elke Falk,
Annette Gilles,
Bernhard Heumer,
Gerd Potthoff,
Norbert Prostka,
Dieter Radtke,
Anke S.,
Vera Schnieder
Martin Schröer,
Thomas Speich
Illustrationen
Karin Hofrogge,
Thomas Riesner
Fotos
Ralf Emmerich, Elke Falk,
Gerd Potthoff, Anke S.,
Vera Schnieder
Titelbild
Jens Dombrowski
Seite 2
Nina Burmeister
Homepagebetreuung:
Christoph Aschenbrenner
Satz & Layout:
art applied, Medienproduktion
dem Termin mit dem Nervenarzt den Weg zu sich
nach Hause erlebt. Die Welt ist kalt und abweisend
und auch im Bus bekommt sie nicht den dringend
benötigten Sitzplatz. Dann erinnert sie sich an ihre
Zeit als Lehrerin und an alte Stärken. Mit nur einem
treffenden Satz dreht sie die Situation und bekommt
nicht nur einen Sitzplatz, sondern auch den Respekt
der angesprochenen Jugendlichen. Glücklich und
befreit kann sie nach Hause fahren. Ich denke, dass
dieser Text viel über Ute erzählt. Sie war und ist vielen aus der Redaktion und dem Umkreis der Klinke
sowohl Inspiration als auch Orientierung.
Die Klinke ist eine Zeitschrift für Literatur und Psychiatrie. Dieses Jahr liegt der Schwerpunkt bei der
journalistischen Arbeit. Neben Texten zur Geschichte der Psychiatrie, zur Bezahlung der Kliniken
und der niedergelassenen Psychiater, gibt es eine
interessante Reportage über die Ausbildung
zur/zum Genesungsbegleiter/-in (Ex-In). Dies alles
ist natürlich nur ein Teil der ganzen Themen, also:
sehen und lesen Sie selbst.
Liebe Leserin, lieber Leser,
heute begrüßen wir Sie zur 40. Ausgabe der „Klinke“.
Werfen wir angesichts dieses kleinen Jubiläums
einen Blick zurück: Als die Klinke 1977 zum ersten
Mal erschien (in der Anfangszeit teilweise mehrmals
im Jahr), geschah dies unter anderen Bedingungen
als heute. Im Jahr 1975 war die Psychiatrie-Enquête
veröffentlicht worden. Auch als Folge der Studentenproteste seit 1968 herrschte ein Klima, das die Aufarbeitung der vielfältigen Probleme in der Psychiatrie
ermöglichte. Vieles wurde (endlich) hinterfragt, die
katastrophalen Zustände in den Kliniken angegangen. Der Name „Klinke“ steht dabei für den Wunsch
nach einer Öffnung hin zu einer Gesellschaft ohne
Stigmatisierung. Vieles hat sich seitdem getan. Das
gilt auch für die Produktionsbedingungen unserer
Zeitschrift. Satz und Layout genügen heute professionellen Ansprüchen. Die Redaktionssitzungen
kommen inzwischen ohne Kaffee und Zigaretten aus.
Geblieben ist uns der Grundgedanke der Überwindung von Grenzen zwischen krank und gesund.
Im Herbst 2014 starb unsere langjährige Redaktionskollegin Ute Tempel. Wenn ich heute an Ute
denke, kommt mir ihr Text aus der Klinke 2003 „Aus
der Not heraus – oder – Frau Winkler befreit sich“ in
den Sinn. Dort beschreibt sie, wie Frau Winkler nach
Wir freuen uns, dass Sie auch dieses Jahr zur
„Klinke“ gegriffen haben und wünschen Ihnen spannende und unterhaltsame Momente mit unseren
Texten.
Gerd Potthoff für die Redaktion
Die Geschichte hinter dem Titelbild
Ich lehnte sie in einer Nische an die Hauswand, versorgte sie mit Wasser und wartete die weitere Entwicklung ab.
Die Sonnenblume war etwa hüfthoch gewachsen,
als der Pfingststurm 2014 sie kurz oberhalb des Bodens abknickte. Der obere Teil der Pflanze war nur
noch über wenige Fasern mit seinen Wurzeln verbunden.
Sie berappelte sich wieder und stand im August in
voller Blüte.
Uns gibt es auch online: www.muenster.org/klinke
Vormerken:
Lesung der Irrlichter
Schnabulenz, Geiststraße 50, 48151 Münster
Sonntag, 19. April um 18.00 Uhr,
Auf der Suche nach einem Motiv für das neue Cover
hatte ich schon einige Skizzen angefertigt, als ich
mich entschloss, es auch einmal mit der Sonnenblume zu versuchen. Noch zwei Vögel und ein paar
Insekten im Garten „eingefangen“ – und fertig war
das Titelbild.
Jens Dombrowski
Eintritt: ermäßigt 4 €, Vollzahler 7 €
Sie können die Arbeit der Klinke-Redaktion
tatkräftig unterstützen!
Wenn Ihnen die aktuelle Ausgabe gefallen hat und Sie uns aktiv helfen wollen, auch in den nächsten
Jahren weiterhin für die Belange von (ehemals) psychisch kranken Menschen einzutreten, dann freuen
wir uns über eine Geldspende, die direkt für die Arbeit der Redaktion (Druckkosten, Satztechnik, Arbeitsmaterialien usw...) verwandt wird.
Spendenkonto: Förderkreis Sozialpsychiatrie e. V., Bank für Sozialwirtschaft, Bankleitzahl
370 205 00, Stichwort: „Klinke“, Konto Nr. 72 24 200
Klinke 4
Je suis Charlie –
Freiheit der Kunst versus Bildersturm
Der 7. Januar wird in manchen Kommentaren als
das 9/11-Ereignis Europas bezeichnet. Im Gegensatz zur Zerstörung der Twin Towers in New York
wurde am 7. Januar 2015 zwar „nur“ eine Redaktion kritischer Zeichner getötet, dennoch ist – wie
der Kunsthistoriker Horst Bredekamp in der Süddeutschen Zeitung vom 12. Januar 2015 betont –
der 7. Januar ein vergleichbar tiefer Einschnitt.
Er analysiert, dass „die Zeit der Opferfreiheit“ im
Westen nunmehr vorbei ist, dass mithin jeder, der
aus Freiheitsempfinden heraus auf Kritikfähigkeit
beharrt, „in Zukunft unter Todesdrohung“ steht.
Er fragt sich weiterhin, ob es als Konsequenz daraus
eine „Bildpolitik der Konfliktvermeidung“ geben
oder ob die westliche Gesellschaft der Bedrohung
stand halten wird.
Im Gegensatz zu früheren europäischen Glaubenskriegen wird nun nicht das Objekt, sondern der
Künstler vernichtet. Damit werden „große zivilisatorische Errungenschaften“ infrage gestellt. Im Westfälischen Frieden, der 1648 den Dreißigjährigen
Krieg beendete, wurde beispielsweise laut Horst
Bredekamp festgelegt, „dass niemand um des
Glaubens willen getötet werden darf.“
Ebenso wurde schon 1563 im Tridentiner Konzil der
Kirche angeordnet, dass Bilder „auch offiziell kein
Gottesersatz mehr“ sind – eine Marienstatue beispielsweise ist seitdem nur noch ein bestimmter
Weg, zum Glauben an Maria zu kommen.
Diese „Grundpfeiler der Bild- sowie der Menschenrechtspolitik Europas“ werden durch den Islamismus attackiert.
Die „Tötung von Menschen wegen Bildern“ wird als
„die politische Strategie einiger islamischer Gruppierungen“ beschrieben, „die zwischen Bild und
Gott nicht unterscheiden wollen.“
Dies widerspricht diametral der beschriebenen
westlichen Auffassung: in unserer Kultur haben die
Karikatur und die Satire „immer gegen religiöse Autorität aufbegehrt.“
Im SZ-Interview befürchtet Horst Bredekamp nun
eine quasi-Selbstzensur. Der Anschlag von Paris
nimmt westlichen Kulturschaffenden seiner Meinung nach „die Unbefangenheit, alles zu sagen und
zu zeigen, was wir wollen.“
Er befürchtet weitere Anschläge, etwa auf Museen
und andere Kulturstätten.
Als Resümee bleibt festzuhalten, dass immer wieder „für den Freiraum der Kunst“ gestritten werden
muss. Bilder existieren „in ihrer eigenen Sphäre“, sie
ermöglichen uns, „Abstand zu gewinnen zur Welt
und sie aus der Distanz heraus zu verstehen.“
In diesem Sinne müssen wir Kulturschaffende auf
dem Eigenwert der von uns geschaffenen Bilder bestehen. Wenn wir in aller Radikalität darauf beharren – eigentlich müsste auf Demos jeder laut Horst
Bredekamp „eine Mohammed-Karikatur auf seinem
Schild kleben“ haben statt nur „je suis Charlie“ –
können wir den westlichen Wertekosmos erhalten.
Schließlich kann und darf es nicht gelingen, jeden
westlichen Kulturschaffenden auszulöschen, der eigensinnig auf seiner kritischen Meinung beharrt,
auch wenn er den Glaubenswächtern jeglicher Couleur auf den Schlips tritt.
Ich selber möchte betonen, dass der Islam nicht in
einfacher populistischer Manier mit seinen radikalen Spielarten gleichgesetzt werden darf. Der Islam
bietet ein in sich widersprüchliches Bild; es kann
darüber gestritten werden, ob Mohammed dargestellt werden darf oder nicht; ebenso ist strittig, ob
Gewalt im Namen Allahs erlaubt ist oder nicht. Das
von mir ausgiebig zitierte Interview in der Süddeutschen Zeitung lädt zu einer differenzierten Betrachtung ein. Ausgehend davon sind wir alle eingeladen,
nicht den PEGIDA-Akteuren zu folgen und den Islam
auch nicht kollektiv unter Generalverdacht zu stellen. Angeblich sehen 57 Prozent der deutschen Bevölkerung den Islam allgemein als Bedrohung an,
obwohl der Bevölkerungsanteil der Muslime unter 5
Prozent liegen soll. Dies ist ein eklatantes Missverhältnis; auch wenn es Probleme bei der Integration
der Einwanderer gibt, muss zwischen Islam und Islamismus unterschieden werden. Wenn der Zentralrat der Muslime nun zu Mahnwachen in Berlin
gegen das Attentat von Paris aufruft, so kann ich
dies nur unterstützen und dazu aufrufen, die
gemäßigten Richtungen des Islams zu unterstützen.
Dieter Radtke
Klinke 5
Ute Tempel
11.09.1941 – 10.08.2014
Auf der Welt lebt keiner vergebens,
der die Bürde eines anderen
leichter zu machen sucht.
Helen Keller
(1880-1968)
taubblinde amerikanische
Schriftstellerin
Nach kurzer schwerer Krankheit hat Ute den Planeten Erde verlassen.
Sie hatte uns, die wir nun um sie trauern, noch zu Lebzeiten zu einem Kuchenessen eingeladen.
Wir fanden uns im PSZ ein und hörten zunächst das Gedicht ‘Die schweren Wege’ von Hilde Domin. Für diesen
Anlass hatte Ute selber auch einen Text verfasst, der sich um das Wort von Helen Keller drehte. Ute bedankte
sich in ihrer bescheidenen Art für die Hilfe, die sie im PSZ bekommen hatte.
Sie selber folgte dem Satz von Helen Keller in ihrem jahrzehntelangen Engagement für psychisch kranke Menschen:
– beim „Psychoseforum“ im Gesundheitshaus,
– bei der Mitarbeit in der „Klinke“-Redaktion im PSZ
– und bei der Leitung der ‘Lichtung’, einem religiösen Gesprächskreis im „Kirchenfoyer“, nahe der
Lambertikirche.
Mit ihrer Broschüre: „Eine freundschaftliche Gebrauchsanweisung:
Fünf Schwierigkeiten und Aufgaben für Menschen mit einer psychischen Erkrankung“
gab sie eine ganz gelungene und realistische Hilfe an ihre Nachwelt weiter.
Möge es uns gelingen, in dankbarer Erinnerung ihr Werk fortzusetzen und unsererseits den jeweils persönlichen
Weg mit der Krankheit weiter zu gehen.
Die Klinke-Redaktion
Anmerkungen zu Ute Tempel
daktionsmitgliedern, sie verkörperte eine Art „graue
Ute Tempel, ein langjähriges Mitglied der „Klinke“ Eminenz“. Ihr Wort hatte Gewicht. Sie wurde von
Redaktion, ist im August 2014 nach schwerer
allen respektiert und anerkannt. Ihre
Krankheit verstorben.
Ratschläge waren hilfreich, ihre Kritik
Ich habe vergessen, wann und wo ich
stets wohlwollend und konstruktiv.
Ute kennengelernt habe. MöglicherGab es Meinungsverschiedenheiten
weise war es Ende der 1990er-Jahre
verhielt sich Ute immer fair, sie war
beim „Psychose-Forum“, das ich danie verletzend. Sofort war sie zur Vermals eine Zeitlang besuchte. Ute
Frieden gefunden,
söhnung bereit. Als es mir körperlich
gehörte zur Leitung dieser Veranstalnach etlichen Stunden.
und seelisch sehr schlecht ging, bot
tung und brachte sich sehr engagiert
Meine Hand genommen,
Ute mir ein Treffen unter vier Augen
in die Diskussionen ein. Mir wurde
war ganz benommen.
an, das dann leider durch mein Verschnell klar: sie ist jemand, der viel
Mutig und stark,
schulden nicht zustande kam. Später
gelitten hat und daher aus einem reihast auch was gewagt.
besuchte sie mich in der Klinik.
chen Erfahrungsschatz schöpfen
Hast dich dem Tode gestellt,
Ich habe Ute als einen warmherzigen,
kann. Im Laufe der Zeit spürte ich
fand es viel zu schnell.
hilfsbereiten und sogar weisen Menauch, daß Ute auf einem festen weltanschaulichen Fundament stand, aus
schen kennengelernt - so wie man
Elke Falk
dem sie viel Kraft zog. Später begegihn nur selten trifft. Auch wenn ich
nete ich Ute auch bei den wöchentlinicht zu Utes Freundeskreis gehörte,
chen Sitzungen der „Klinke“ - Redaktion. Für mich
so haben mich ihr Leiden und dann schließlich ihr
stand sie immer irgendwie über den anderen ReTod doch traurig gemacht.
Ute
Thomas Speich
Klinke 6
Zum Gedenken an Ute Tempel
– Mitmensch und psychisch kranke Intellektuelle
Seit Mitte 1993 hat Ute Tempel die Arbeit der
KLINKE-Redaktion über viele Jahre hinweg begleitet
und mit eigenen Texten bereichert. Dabei hat sie eine
wichtige Funktion erfüllt – sie war gleichzeitig eine
psychisch kranke Intellektuelle, die für die Würde der
psychisch Kranken stritt als auch der von Überheblichkeit freie Mitmensch, der die Nähe zu anderen
psychisch kranken Mitmenschen suchte und zum Teil
langjährige Freundschaften mit ihnen schloss..
Ute hätte als Theologin und Germanistin promovieren können (so wurde es von sachkundiger Seite
eingeschätzt), aber wie viele von uns PsychiatrieErfahrenen wurde sie aus der Bahn geworfen und
konnte nicht eine gesellschaftliche Position erreichen, die ihren wissenschaftlichen und literarischen
Fähigkeiten entsprochen hätte.
In die Psychiatrie der 1960 er Jahre katapultiert, musste sie die Träume begraben, eine erfolgreiche Wissenschaftlerin oder Schriftstellerin zu werden und
stattdessen die harte Realität akzeptieren: psychisch
krank zu sein und daher verwundbar und gefährdet.
Weil ihre eigene Menschenwürde oftmals mit Füßen
getreten worden war, setzte sie sich fortan für die
Würde der psychisch Erkrankten ein. Als Intellektuelle
hat Ute Tempel Referate verfasst und auf Tagungen
vorgetragen, damit ÄrztInnen und KrankenpflegerInnen die Möglichkeit bekamen, sich mit den Lebenssituationen und Innenwelten der psychisch Kranken
eingehender zu befassen und deren Anliegen und
Bedürfnisse in den (Klinik-) Alltag zu integrieren.
Als Mitmensch war sie einfach die gute Bekannte
oder Freundin, die immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte ihrer GesprächspartnerInnen hatte.
Mich hat sie immer wieder ermutigt, an meinen literarischen Ausdrucksmöglichkeiten zu feilen,
wobei sie in ihrem Urteil immer unbestechlich blieb
und klar benennen konnte, ob ein Gedicht von mir
zu achtzig Prozent oder nur zu sechzig Prozent gelungen war.
Weil Ute keine eigene Familie gründete, hatten ihre
Freundschaften einen besonders hohen Stellenwert
für sie – Freundschaft war für sie nicht auf Plaudereien am Teetisch beschränkt, sondern umfasste auch
gegenseitige Unterstützung in alltagspraktischen und
sogar existenziellen Belangen – dies schloss ein,
dass ich Botengänge unternahm und auch finanzielle Transaktionen abgeschlossen wurden – ohne
dass das liebe Geld die Freundschaft ruinierte.
In ihrer gepflegten und aufgeräumten Wohnung
konnte Ute den Rahmen für Gastfreundschaft und
Begegnung bieten. Ich durfte so manchen Tee bei
ihr trinken und eine Zeitlang auch einen Martini,
wobei sie immer fragte, ob ich einen kleinen oder
großen Martini wünsche. Erst bei Ute lernte ich dieses alkoholische Getränk kennen.
Im Laufe des Jahres 2013 wurde Ute mit der Diagnose einer ernsthaften Krankheit konfrontiert. Zwar
hoffte sie, diese Diagnose würde es ihr dennoch erlauben, weitere Lebensjahre in guter Gesundheit zu
verbringen – manchmal nämlich sind bei älteren
Menschen Krankheitsprozesse verlangsamt -, dennoch wirkte sie relativ gefasst, als entgegen ihrer
Hoffnung die Krankheit weiter voranschritt.
Für Ute war ihr Leben in der Rückschau abgerundet und vollendet: sie hatte alles erlebt, was sie in
ihrem Leben erleben wollte, - folglich kämpfte sie
nicht darum, unbedingt weiterleben zu wollen und
nahm die Konsequenz ihres baldigen Todes hin, unbeirrt von kritischen Einwürfen aus ihrem Umfeld.
Ich hatte immer Utes Gastfreundschaft dankbar genossen; als es ihr nicht mehr möglich war, mich als
souveräne Gastgeberin zu empfangen und zu bewirten, wurde dadurch eine Fortsetzung meiner Besuche unmöglich.
Obwohl ich mich zu Utes Freunden zählen durfte,
hatte ich immer das Gefühl gehabt, dass sie als ältere Freundin eine selbstverständliche Autorität innehatte, was auch beinhaltete, dass sie als
lebenskluge und erfahrene Frau so manchen guten
Ratschlag für mich parat hatte.
Ute war durchaus nicht jene prüde alte Jungfer, als
die sie manchmal von ihren Kritikern geschmäht
wurde; sie hatte als junge Frau das Leben in allen
Facetten kennengelernt, was auch Sinnlichkeit und
Genuss mit einschloss. Folglich waren ihre Ratschläge nicht weltfremd, sondern durchdrungen von
intensiver Lebenserfahrung; zwischenzeitig war Ute
sogar Atheistin gewesen, kannte also Anfechtungen
und Glaubenszweifel.
Als ihre Kraft nicht mehr zureichte, als sie immer
stärker mit ihrer eigenen Gebrechlichkeit konfrontiert wurde und sie nicht mehr als Ratgeberin fungieren konnte, änderte sich die Rollenverteilung
zwischen Ute und mir.
Vielleicht sollte das vertraute Bild, das ich von Ute
hatte, aufrechterhalten werden – jedenfalls hat Ute
sehr schroff reagiert, als ich sie auf einer Palliativstation besuchen wollte – (ein paar Wochen später
war ein Besuch vollends unmöglich). Später entschuldigte sie ihre Reaktion damit, dass sie einfach
schockiert gewesen war über eine weitere Verschlechterung ihres Zustands.
Es war sehr zuvorkommend und fair von Ute, die
Wogen zu glätten und zu betonen, zwischen uns sei
alles in Ordnung.
Wir trösteten uns gegenseitig mit der Zusicherung,
die wir uns als Christen geben konnten: wir werden
uns wiedersehen.
Dieter Radtke
Klinke 7
Meine liebe Ute!
Wir waren Leidensgenossinnen.
Wir waren Glaubensschwestern.
Manchmal in vielen Jahren sind wir uns begegnet, da haben sich unsere Wege gekreuzt.
Ich danke Dir für die Gebetskarte, die ich in meinem Portemonnaie aufbewahre.
„Auf Wiedersehen“ möchte ich sagen...
Deine Vera
Liebe Ute,
auch ich möchte deiner in
dieser
Ausgabe
der
KLINKE gedenken.
Wir standen uns besonders im Religiösen nahe.
Ich werde nie deine
Großzügigkeit vergessen,
mit der du mir einmal ein
religiöses
Buch
geschenkt hast. Ich hatte es
bei dir im Regal gesehen
und war fasziniert von der
wortwörtlichen Übersetzung der Bibel aus dem
Griechischen ins Deutsche. Das bekamst du
mit und wenige Tage später riefst du an, du hättest
eine kleine Geldzahlung
erhalten und wolltest mir
das –beileibe nicht billigeBuch schenken; ich
könnte es mir kaufen.
Das war so toll von dir.
In deiner letzten Lebensphase habe ich dich noch
einmal im Hospiz erreicht,
als du schon sehr
schwach warst. Da sagtest du, die Leidende, zu
mir: „Sei weiterhin behütet und beschützt“. Das
war so kennzeichnend für
dich.
Beim nächsten Anruf erfuhr ich von deinem Tod um 6:00 Uhr morgens. Ich hatte an diesem Abend in deiner Straße
eine Verabredung und da besorgte ich mir spontan ein Grablicht und stellte es in deinen Hauseingang. Es war
regnerisch und windig und ich fürchtete um das kleine Flämmchen, denn es war kein Deckel dabei gewesen.
Später habe ich zu meiner Freude gehört, dass es einige Tage bis zum Schluss für dich geleuchtet hat.
Schade, dass wir nicht noch mehr aus unserer Beziehung gemacht haben!
Ruhe sanft.
Annette Gilles
Klinke 8
Spuren im Sand
Sonnenuntergang –
Das Meer trägt
Rote Farben
Die Fahnen singen
Im Wind
Im Traum habe ich
Dich aufgefressen
14.11.2014
Als die Sonne schien
War ich eine Spur
Im Sand
Und atmete nicht
In meinem Mund
Loderte es weinrot
Von roten sonnenGesättigten Fluten des
Meeres
Und Du –
Eine Spur neben mir
Bist bereits weggewischt
Abends sind die Fahnen
In Schwarz getränkt –
Der Rest von mir speit
Ein Weinrot in den Sand –
Es ist die Farbe
Des Meeres
Dieter Radtke
Uns gibt es auch online:
www.muenster.org/klinke
Klinke 9
Übergang
Mit Kraft und Mut und Phantasie
gelingen erste, kleine Schritte;
denn wer nichts wagt, gewinnt auch nie
- das gilt seit Alter-Väter-Sitte.
Nicht immer gibt es Wegbegleiter
- dann stellt die Einsamkeit sich ein;
doch führt das Licht beständig weiter
- so wird die Schwermut schließlich klein.
Für jeden geht es rauf und runter
- wer krank ist, hofft gesund zu werden;
und wird das Leben wieder bunter
ist dies das größte Glück auf Erden.
Jens Dombrowski
Klinke 10
Morgenmuffel
Ja, Menschenskind, der Tag erwacht
- die Tiere sind schon auf den Beinen;
am Horizont die Sonne lacht
- mach einen Schritt, den ersten kleinen!
Die Arme kräftig hochgereckt
- und kaltes Wasser sei gepriesen;
der Frühstückstisch ist reich gedeckt
- auch für den Hunger eines Riesen!
Und endlich kommst du in die Gänge
- der Partner stampft schon mit den Füßen;
verlasse nun des Hauses Enge
- um dann auch mal zurück zu grüßen!
Jens Dombrowski
Essen reichen
Die alte Frau
Liegt im Bett
Mit glänzenden Augen
Schaut sie mich an
Und erwartet die Morgensuppe
Sie weiß nicht mehr
Was Ja und Nein bedeutet
21.12.2013
Und so muss ich ihr
Essen reichen
Solange sie Nahrung aufnimmt
Und ihr geöffneter Mund
Muss ihr das Ja ersetzen
So stehe ich geduldig
Neben ihr und erfülle
In ihrem Rhythmus
Meine Pflicht – so gut
Es geht
Dieter Radtke
Klinke 11
Im Frühling aufhorchen
Schweben durch
die Jahreszeit
des Übergangs
von dunkler Kälte
in warmes Licht.
Der Blick
in die Tiefe
verliert sich,
wenn morgens
zwischen Schlaf
und Tag
sich die Verzweiflung
ins Leben trommelt.
Unzulänglichkeit
gibt den Takt an.
Da heißt es
dem dröhnenden
Krach
einen Sinn geben:
in die Pause gehen.
Es trägt ein
persönlicher Dreiklang:
Glück durch Trost
Aufatmen nach Trauer
Routine durch Disziplin.
Mutig jetzt
improvisieren:
in eine Melodie
mich schwingen.
Anke S.
Die Gänge in
der psychiatrischen Anstalt
enden im Bett
Der Film ist gerissen und die
Darsteller sind nicht mehr zu sehen.
Der Regisseur ist weggegangen.
Hier auf der Endstation der Sehnsucht
gibt es für alle freie Pillen
Zahlen dafür tut jeder drauf.
Darüber wundert sich niemand mehr.
Für den Einen ist das die Schuld des Teufels.
Der Andere hadert mit unser aller Gott
Und ich fühle mich wie ein Fußball ohne Luft mit dem niemand mehr ein Tor schießen will.
Fritz Walterbach
Klinke 12
EX-IN – was ist das?
Das Gegenteil von Ex- und Hopp? Nein, natürlich
nicht. EX-IN ist die Abkürzung für die englischen
Worte „experienced involvement.“ Und diese
heißen: „Beteiligung Erfahrener.“ Darum geht es: die
Beteiligung und Einbeziehung von Menschen, die
Erfahrung haben – Erfahrung mit mehr oder minder
schweren psychischen Erkrankungsphasen in ihrem
eigenen Leben.
Durch intensive Reflexion und Beschäftigung damit,
und – u.a. durch das Erlernen bestimmter Methoden und viele Rollenspiele – wird den erfahrenen
TeilnehmerInnen in einem einjährigen, zertifizierten
Ausbildungsgang die Befähigung vermittelt, anderen Betroffenen unterstützend und begleitend zur
Seite zu stehen.
Zitat: „Psychiatrie-Erfahrene verfügen über ein
großes Wissen zu unterstützenden Haltungen, Methoden und Strukturen.“ (aus: EX-IN-Flyer).
Dieser Lehrgang ist so gestaltet, dass es 12 Module
gibt, 12 Lerneinheiten, und zwar in jedem Monat eine.
Ein Modul umfasst 3 Tage pro Monat. Man kann also
gegebenenfalls auch berufsbegleitend daran teilnehmen. Außerdem sind mindestens 160 Stunden für
Praktika und Hospitationen vorgesehen.
Grundsätzlich sind alle
psychiatrischen Kliniken
sowie ambulante psychiatrische Dienststellen
(z.B. Tagesstätten) geeignete Arbeitsorte. Für
PraktikantInnen sind diese Einrichtungen schon offener; wobei im allgemeinen Wert darauf gelegt wird,
dass der/ die Genesungsbegleiter/in nicht selbst in
dieser Einrichtung Klient/in war.
Vollzeit, Teilzeit, auf Honorarbasis, als Dozent/in –
alles ist möglich und denkbar.
Erfreulicherweise wurde gerade in Münster vom Arbeitskreis „Trialog praktisch“ (LWL) beschlossen, in
einem dreijährigen Inklusionsprojekt 6 Teilzeitstellen
für Genesungsbegleiter/innen teil-zu finanzieren und
mit Forschung zu begleiten.
Die finanzielle Eingruppierung hängt übrigens von
verschiedenen Faktoren ab, z.B. von der Vorerfahrung und ob man eine abgeschlossene Berufsausbildung hat. Ein Beispiel aus Bremen: mit einer
Vollzeitstelle verdient man ungefähr 1.600 ,- € brutto.
Was wird im Einzelnen durchgenommen und erarbeitet?
Die Kosten für den EX-IN Kurs betragen 2.400 ,- €.
Es sollte noch erwähnt werden, dass es gewisse
Zugangsvoraussetzungen gibt, u.a. ein ausführliches Vorgespräch und einen Bewerbungsbogen.
Was kostet es und wer bezahlt es?
Leider ist nur Platz für einige Beispiele. Lehrinhalte
sind z.B.:
Finanzierungsmöglichkeiten sind:
– Salutogenese (gesundheitsförderndes Wissen)
– Recovery (Wiederentdeckung eigener Ressourcen)
– Trialog (Zusammenwirken von Betroffenen, Angehörigen und Professionellen)
– Krisenbegleitung, -prävention
– professionelles Profil (beruflicher Handlungsplan,
Kursreflexion)
– Eigenleistung, auch in Ratenzahlungen
– Kostenübernahme durch die Arbeits- (Job-)
agenturen im Rahmen eines Weiterbildungsgutscheins
– durch „Aktion 5“ (Förderprogramm des LWL)
– einzelfallabhängig durch den Rentenversicherungsträger
– über das Persönliche Budget (selten)
– durch Stiftungen und andere
Was gibt es für Beschäftigungsmöglichkeiten?
EX-IN wurde 2005-2007 im Rahmen eines EU-Projektes entwickelt. Mehrere Länder, außer Deutschland z.B. die Niederlande und Schweden, nahmen
daran teil. In Nordrhein-Westfalen gibt es EX-IN
außer in Münster u.a. in Köln, Bochum, Siegburg
und Bielefeld.
Die Beschäftigungsmöglichkeiten sind etwas unterschiedlich genauso wie die Offenheit der möglichen
Arbeitgeber. In Münster muss EX-IN, laut der Ausbildungsleiterin Gudrun Tönnes (selbst Expertin aus
Erfahrung) trotz Bekanntheit erst „noch etwas ins
Bewusstsein einsickern.“ Es scheint etwas schwierig zu sein, nach Kurs-Absolvierung eine Stelle zu
finden. Natürlich kommt es hierbei auch auf die persönliche Eignung an. Einige Arbeitgeber befürchten
bei Einstellung höhere Ausfallzeiten, einen höheren
Krankenstand. Andere Städte sind da schon weiter.
Natürlich muß jede/r selbst herausfinden, ob er/sie
sich als Genesungsbegleiter/in für andere Betroffene für geeignet hält. Fallstricke sind z.B., dass
man zu sehr Probleme Anderer zu den eigenen
macht, oder dass man verfrüht glaubt, man selbst
sei jetzt endgültig gesund.
Dennoch: „Nichts kann so viel Mut machen wie der
erfolgreiche Weg eines anderen betroffenen Menschen“ (Recovery-Broschüre). Das Ziel von EX-IN,
nämlich „die bezahlte Mitarbeit von Experten aus
Erfahrung in allen psychiatrischen Einrichtungen
und Organisationen“ liegt zwar noch in der Ferne.
Man darf aber gespannt sein, wie die weitere Entwicklung verläuft.Weiterführende Information: EX-IN-NRW.info
Klinke 13
Fragen der KLINKE-Redaktion an Gudrun Tönnes
(EX-IN-Ausbildungsleiterin, Vorsitzende des „Vereins der Angehörigen psychisch
Kranker“, Mitmoderatorin „Trialog“)
IN-Trainer angetreten hat.
Eine fünfte Münsteranerin hat in ihrem alten Beruf
als Sozialarbeiterin wieder eine Stelle gefunden.
Eine weitere Person wollte mit dem Gesamtgebiet
Psychiatrie nichts mehr zu tun haben. Andere haben
sich teilweise nicht um eine Stelle beworben, u.a.
wegen anderer Orientierung (wie z.B. der Beginn
einer Ausbildung).
1.) Wie errechnet sich die Summe von 2.400,- €
für den EX-IN-Kurs?
Es handelt sich um die bundesweit als Empfehlung
vorgegebene Summe von EX-IN Deutschland. Honorare
für
Trainer(in)
und
Cotrainer(in),
Referenten(innen), Materialkosten, Miete, Verköstigung, Akquise/ Infoveranstaltung u.ä. (konzipiert für
15 Teilnehmer).
Literaturhinweise:
Jörg Utschakowsky u.a.
„Vom Erfahrenen zum Experten“
Psychiatrie-Verlag, 24,- €
2.) Wieviel Prozent beenden die Ausbildung
bundesweit?
20 % unterbrechen, können innerhalb von zwei Jahren nachholen und regulär abschließen. Davon Totalabbrecher: 10 %.
Bettina Jahnke
„EX-IN Kulturlandschaften – wie gelingt Inklusion?“
Verlag Paranus, 19,95 €
Bettina Jahnke
„Vom Ich-Wissen zum Wir-Wissen“
Verlag Paranus, 19,95 €
(B. Jahnke hat selbst die EX-IN-Ausbildung absolviert).
3.) Von wem oder welchem Arbeitskreis wurden
die EX-IN-Inhalte zusammengestellt?
Verschiedene Institute, z.B. auch aus Slowenien.
„Focus Bremen“ (Jörg Utschakowsky). „Trialog“
kommt von der Uniklinik Eppendorf/ Dorothea Buck.
Und Andere. Vor allem: Psychiatrieerfahrene, und
psychiatrische Mitarbeiter. Modulinhalte wurden
wissenschaftlich gemeinsam entwickelt. An diesen
bundesweiten Standards wird fortlaufend gearbeitet.
4.) N ach welchem Tarif werden Genesungsbegleiter(innen) bezahlt?
Ist der Kurs zertifiziert?
In Nordrhein-Westfalen ist die Ausbildung zertifiziert.
Deshalb kann man unter bestimmten Voraussetzungen mit einem Bildungsgutschein vom Arbeitsamt den Kursbesuch finanzieren. Bezahlt wird in
Anlehnung an TVÖD (Tarif öffentlicher Dienst).
5.) Wieviel Prozent (circa) der Kursabsolvent/
innen gelingt es, in Münster/ im Münsterland
eine Stelle zu finden?
Es fanden bislang drei Kurse statt, einer läuft gerade. Insgesamt haben 22 TeilnehmerInnen den
Kurs mit Zertifikat abgeschlossen, davon sind 9 Personen sozialversicherungspflichtig im Genesungsbereich mit unterschiedlicher Stundenzahl
beschäftigt.
Unter den TeilnehmerInnen waren 15 MünsteranerInnen. Von diesen sind 4 als Genesungshelfer/in
beschäftigt, wovon eine Person eine Stelle als EXKlinke 14
Notizen zu Listen
Listen sind besonders dann angesagt, wenn ich
eine Fülle von Arbeitsschritten, Aufgaben oder Themen vor mir habe und Struktur brauche. Nach
jedem ausgeführten Punkt der Liste macht es mir
außerordentlichen Spaß, die jeweilige Tätigkeit
durchzustreichen.
Manchmal bin ich kopflos und blockiert; die Trauer
um die Vergangenheit und die Angst vor der Zukunft
hindern mich daran, geistig gegenwärtig zu sein.
Trotzdem möchte ich den Tag gestalten. Also setze
ich mich an den Schreibtisch und fange an, zu listen:
aufstehen
Derartige Listen helfen mir beim Machen und Tun,
auch manchmal noch beim Arbeiten, eben bei der
Bewältigung des Lebens. Aber all das ist ein einsames Unterfangen. Beim Handeln, dem Wirken in
Beziehungen, brauche ich andere Unterstützung als
durch Listen. Die haben dann als Hilfsmittel ihre
Grenze erreicht.
frühstücken
Körperpflege
anziehen
Müll wegbringen
Anke S.
usw.
Messe zur Inklusion
Gut 150 gibt es in Westfalen-Lippe schon: Unternehmen, die sich in besonderer Weise die Förderung der Teilhabe behinderten Menschen am
Arbeitsleben auf die Fahnen geschrieben haben.
Neu in diesen Firmen ist, dass nicht einfach eine Behindertenwerkstatt betrieben wird, sondern dass
sich die geförderten Personen zusammen mit ihren
Kollegen mit ihren Produkten und Dienstleistungen
an den allgemeinen Markt begeben und dort im
Wettbewerb stehen. Wirkliche Inklusion also und
damit
im
aktuellen
Trend. Das bedeutet
auch eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu regulären
Löhnen und dies nicht in
einem abgegrenzten Bereich.
Auf der Messe gibt es nun die Möglichkeit, sich auszutauschen, an einem breiten Angebot von Gesprächsrunden teilzunehmen und insbesondere
auch Arbeitskräfte anzuwerben. So wird das ganze
auch zu einer Jobbörse, viele Besucher sind ganz
konkret auf Arbeitssuche. Auch vertreten sind öffentliche Institutionen wie z.B. die Stiftung Wohlfahrtspflege und die Aktion Mensch.
Spricht man mit den Angestellten der ausstellenden
Unternehmen begegnet
man in der Regel zufriedenen und selbstbewussten
Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen.
Es sei nicht verschwiegen,
dass auch diese Unternehmen nicht ohne öffentliche Förderung auskommen.
Diese ist jedoch interessanter Weise
wesentlich geringer als in einer Behindertenwerkstatt. Nach Angaben des LWL ist die Förderung im
Jahr mit 7.100 Euro nur halb so hoch wie die Förderung eines Arbeitsplatzes in einer Werkstatt
(14.500 Euro im Jahr).
Genau diese Unternehmen lädt der LWL inzwischen
alle zwei Jahre zur Messe der Integrationsunternehmen ein. In der Halle Münsterland trafen sich zuletzt
im April 2014 Betriebe aus den Bereichen Dienstleistung, Gastronomie, Handwerk und Industrie. Diese
waren entweder eigens für die Beschäftigung behinderter Menschen gegründet worden (gemeinnützige GmbH) oder haben erst später behinderte
Menschen aufgenommen. Allen gemein ist die
rechtliche und wirtschaftliche Selbständigkeit, sie
müssen sich am freien Markt behaupten.
Nicht fehlen auf der Messe durfte das Atelier plus,
das mit einer kleinen und feinen Ausstellung Abwechslung bot von den eher schweren Themen Behinderung, Arbeit und Inklusion.
Gerd Potthoff
Klinke 15
Der Weg lohnt sich
Ein kleiner Rundgang durch die Jahresausstellung 2014 im Kunsthaus Kannen
Nein, ein Katzensprung ist es wirklich nicht- der
Weg hinaus zu den Alexianern in Münster-Amelsbüren. Wir haben es dann doch geschafft, und werden im Eingangsbereich gleich von der hellen und
freundlichen Atmosphäre des Ausstellungsgebäudes empfangen.
Das Highlight der Ausstellung ist dann an der, dem
Eingang gegenüberliegenden, Wand zu finden:
große meist monochrome Acrylbilder. Oft sind es
Tiere und Menschen, die in einer surrealen Komposition aufeinandertreffen. Noch dazu wurde die Leinwand effektvoll mit Nadel und farbigem Faden
bearbeitet.
Für einen ersten Eindruck schweift unser
Blick kurz durch den einen, großen und von
Licht durchfluteten Raum: er ist wieder einmal randvoll mit Kunst gefüllt.
Zwischendurch fallen einige kleinere Insektenskulpturen auf, die, auf einen Sockel mitten in den Raum gestellt, für etwas
Abwechslung sorgen.
Wohlan – beginnen wir im Uhrzeigersinn
mit der linken Wand: hier fällt nach einigen
Schritten ein Künstler auf, der in verschiedenen Techniken sehr reduziert menschliche Gesichter gemalt hat. Wir sind nicht
die ersten, denen er gefällt – denn alle Bilder sind bereits verkauft.
Wir begegnen noch den Bildern zweier weiterer münsterscher Künstler, die es als
Gäste geschafft haben, ihr Werke präsentieren zu können.
Wie ist unser Gesamteindruck? Kunst in Hülle und
Fülle- wohl etwas zu viel des Guten- aber sehr abwechslungsreich und – im Querschnitt – positiv gestimmt und farbenfroh.
Wir schlendern weiter und schauen mal nach
rechts- dort befindet sich eine hohe Stellwand voller
Bilder. Durch Zufall entdecken wir einen Künstler
des Atelier plus - vertreten mit kleinen Zeichnungen
und bunten Aquarellen.
Runden wir es ab mit einem Spaziergang im Sinnespark und anschließendem Kaffee und Kuchen direkt vor Ort.
Und dann, wieder auf der linken Seite, erneut
Gesichter- gemalt mit Tusche und Aquarell oder
auch als großformatiger Scherenschnitt. Diese
Künstlerin hat das Wesen der jeweiligen Person lebendig herausgearbeitet.
Bis zum nächsten Mal
Jens Dombrowski
Irrlichter-Lesung
Das Live-Programm der preisgekrönten Zeitschrift
für Literatur und Psychiatrie in Münster „Klinke“.
AutorInnen lesen Texte und Gedichte, Vorträge und Musik
irrlichtern in entspannter Atmosphäre, nah am Wahnsinn,
unterhaltend und interessant,
fordernd und zum Lachen
Schnabulenz, Geiststraße 50, 48151 Münster
Sonntag, 19.April 2015, 18.00 Uhr
Eintritt: 7 € Vollzahler, 4 € ermäßigt
Klinke 16
„SEYMOUR oder Ich bin nur aus Versehen hier“
- die neueste Inszenierung des „Theaters Sycorax“
einem Diwan liegt. Als sich ein Junge das Leben
nimmt, gerät die Situation für einen Augenblick
außer Kontrolle. Danach wird den jungen Patienten
das Leben in diesem Exil immer unerträglicher. Besonders der Neuankömmling Leo hat große Probleme, sich in die Absurdität einzufinden und ihm
macht zusätzlich zu schaffen, dass zuhause der
dünne Cousin Seymour seinen Platz eingenommen
hat. Allmählich scheint er zu begreifen, dass er nicht
nur vorübergehend von seiner Familie getrennt ist,
denn er erhält niemals einen Anruf von daheim und
seine Mutter kommt seiner Bitte, ihm Münzen zum
Telefonieren zu schicken, einfach nicht nach. Zufällig werden die Jugendlichen Zeugen der Flucht des
Dr.Bärfuß vor der Polizei. Der Scharlatan setzt sich
auf Skiern ins Tal ab. Nun wird jedem klar, dass die
Therapie in dem Kurhaus nichts weiter war als ein
Betrug. Kurz darauf bekommt jeder der jungen Patienten einen Anruf von seinen Eltern: eine Heimkehr
ist nicht mehr erwünscht, da in den Familien jeweils
dünne, „passendere“ Kinder den Platz der Dicken
eingenommen haben. Das Schicksal der Letztgenannten ist somit besiegelt.
„Seymour“ von Anne Lepper ist eine bitterböse
Fabel über die zumindest in Teilen der Gesellschaft
vorhandene Panik, auf irgendeine Art und Weise
nicht zu genügen. In einer haltlos ehrgeizigen „Verbesserungsgesellschaft“ wird das, was nicht passt,
einfach weggeworfen und ausgetauscht. Alles, was
in Ungnade fällt, wird zum Opfer dieses Optimierungswahns - auch Menschen.
Das Theaterstück „Seymour“ der deutschen Dramatikerin Anne Lepper entstand im Jahre 2012.
In der Regie von Paula Artkamp und unter dem Titel
„Seymour oder Ich bin nur aus Versehen hier“ ist es
die neueste Inszenierung des „Theaters Sycorax“ in
Münster.
Zehn übergewichtige „Kinder“ bzw. „Jugendliche“
(in Wirklichkeit handelt es sich natürlich um erwachsene Schauspieler) leben in einem Kurhaus
hoch in den Bergen. Einen Kontakt zur Außenwelt
gibt es nicht. Der abwesende Dr. Bärfuß hat akribische Regeln für die „Kur“ aufgestellt (die Patienten
haben beispielsweise eine „Liegekur“ und eine
„Sonnenkur“ zu absolvieren). Mit Hilfe dieser Behandlungsmethoden sollen die Kinder abspecken
und dann vielleicht wieder zu „richtigen“ Menschen
werden. Über die Einhaltung dieses Regelwerks
wacht mit großer Strenge Roberta,eine Art Krankenschwester. Alle Hoffnungen der Kinder sind auf
die Ankunft des Doktors gerichtet, der seinen Patienten den erzielten Kurerfolg bescheinigen und so
endlich die Heimkehr der Kinder zu ihren Familien
ermöglichen soll. Bis dahin müssen die Kinder
durchhalten. Sie ermahnen einander, ja überwachen
sich regelrecht. Der Abgeschiedenheit und Lieblosigkeit des Sanatoriums zum Trotz brechen die jungen Patienten von Zeit zu Zeit jedoch aus dem
starren Regelkorsett aus, indem sie ausgelassen
„Mitternachtspartys“ feiern, bei denen sie heißhungrig Kuchen und andere „Dickmacher“ verzehren.
Aber auch dies scheint ein Bestandteil des absurden Therapiekonzepts des Dr.Bärfuß zu sein. An
verschiedenen Stellen des Theaterstücks kommt
zum Ausdruck, dass sich die jungen Patienten
nichts sehnlicher wünschen, als dünn zu sein und
den Ansprüchen ihrer
Familien und der Gesellschaft insgesamt
in jeder Hinsicht zu
genügen. Man sehnt
sich nach Liebe, Sexualität, einfach nach
einem ganz normalen,
altersgemäßen
Leben. Auch scheinen
sich die Jugendlichen
tief in ihrem Innern der
Unsinnigkeit
ihres
Aufenthaltes in den
Bergen und der Behandlungsmethoden
des Dr.Bärfuß durchaus bewusst zu sein.
Das Idol und Leitbild
aller ist der herrlich
dünne Sebastian, der
völlig regungslos auf
Thomas Speich
Klinke 17
Theater Sycorax
Seymour oder Ich bin nur aus Versehen hier
Abgrundtief allein auf der Flur: im Leben, in der Familie, in der Gesellschaft, auf der Station. Wie ist das
möglich? Es gehört dazu, das Verlassensein und
das Nicht-Genügen angesichts der Anforderungen
der Normen.
Die Kur kuriert und ist gut. Die Kinder sind dick, sind
schlecht und müssen kuriert werden. Liegekur und
Sonnenkur am Tage, alle zwei Wochen nachts eine
Kuchenparty, ein Exzess in der Welt in den Bergen.
Der „Chef vons ganze“ definiert richtig und falsch,
das Leben, die Situation, den Weg. Ihn bekommen
die Kinder und wir, die Zuschauer, nicht zu sehen. Er
wird vertreten durch die Frau im weißen Kittel, auch
sie ist dick.
Sebastian, der Morphinist mit dem goldenen Arm,
liegt auf dem Gemeinschaftsdiwan ganz ruhig und
hält die Stellung. Er ist dünn.
Die Schauspieler, die wir zu sehen bekommen,
haben ihre individuellen Eigenschaften, sie sind unterschiedlich dick. Die Kinder spielen gut zusammen; Sprache und Körperausdruck finde ich auf
hohem Niveau. Noch nie habe ich den Begriff „sich
anstrengen“ so anschaulich vermittelt bekommen.
Wie absurd kann eine therapeutische Anweisung
sein! Das wird sehr deutlich.
Wir werden gekonnt auf die Seite der Verlassenen,
der Verlorenen, der Verlierer gezogen. Auf der Bühne
wird geweint, und es ist auch für mich als Zuschauerin zum Heulen: diese Hilflosigkeit, diese
Ausweglosigkeit, diese Hoffnungslosigkeit.
Die Mädchen und die Jungen machen Versuche, Bildung zu erreichen, Liebesbeziehungen zu finden und
scheitern kläglich. Leo, der ankommt und bleibt,
muss erkennen und kapieren, dass er nicht geliebt
wird, dass er verstoßen wird von seinen Eltern.
Vera Schnieder
Klinke 18
Buchbesprechung:
„Lebenskunst – Wege zur inneren Freiheit“
von Peter Lauster
Das Buch erschien erstmals 1982.
Ich bekam es Anfang der Neunziger
von meiner Mutter geschenkt, las es
und fand es ausgezeichnet.
Bilder malen, um zur Meisterschaft
zu gelangen. Man kann auch mit 40
oder 60 Jahren noch mit einer künstlerischen Tätigkeit beginnen, dass
einzige Kriterium auf das man achten sollte ist, dass man an etwas
echte Freude hat.
Innere Freiheit bedeutet Selbstentfaltung, sagt Lauster und diese
könne nicht unter Zwang geschehen,
sondern nur mit Freiwilligkeit und
Freude.
„Sei du selbst“, betont der Autor
immer wieder und „besinne dich auf
deinen eigenen inneren Kern“. Da
mit der Selbstentfaltung die Liebe zu
sich, zu anderen und der Welt
wächst, besteht nicht die Gefahr,
dass man bei der Selbstentfaltung
und inneren Freiheit, wie Lauster diese versteht,
egoistisch oder gar gewalttätig wird, denn Angst
und Aggression ist ja wie schon angedeutet das Gegenteil von innerer Freiheit. Der Autor nennt vollkommene innere Freiheit auch Erleuchtung, wobei
er sich jedoch zu keiner bestimmten Religion bekennt, sondern wie erwähnt dazu rät, sich von allen
Philosophien zu befreien und nur auf seinen „inneren Kern“ zu vertrauen.
Es ist ein großartiges Buch von Peter Lauster, den
man sicher schon als ein bisschen Weise bezeichnen kann.
Das Buch hat 318 Seiten, ist im Econverlag erschienen und kostet etwa 10 Euro.
Es geht darin, wie der Titel schon andeutet, um die Erreichung eines Zustandes, den der Autor „Innere
Freiheit“ nennt und es geht auch um
die Überwindung von Angst und Aggression. Aus Angst und Aggression
entsteht die sogenannte Destruktion.
Destruktion die nach innen verläuft
wird zu psychischen oder psychosomatischen Erkrankungen. Destruktion nach außen wird zur Gewalt und
Kriminalität.. Angst, Aggression und
Destruktion bezeichnet Lauster als
die großen Negativkräfte des Lebens; Angstfreiheit, Liebe und Kreativität sind dagegen die großen Positivkräfte des Lebens. Diese
Positivkräfte entstehen, indem man nach innerer
Freiheit strebt.
Was ist genau mit innerer Freiheit gemeint?
Lauster erwähnt zum Beispiel auch Erich Fromm
und sein Buch “Haben oder Sein“ und er erwähnt
den Begriff „Individuation“ von C.G. Jung. Die
Seinsmentalität von Fromm im Gegensatz zur Habenmentalität und Jungs Individuation, dass ist so
etwas wie innere Freiheit.
Innere Freiheit ist ein Zustand der „Gelöst- und Gelassenheit“. Frei sein von allen Ideologien, Philosophien und Fremdbestimmung durch andere
Menschen; sich ganz auf sich selbst besinnen, auf
seinen inneren Kern vertrauen und sich mit sich
selbst und dem Leben und der Welt eins fühlen.
Dies kann man zum Beispiel auch bei kreativen
Tätigkeiten wie Malen, Musikmachen oder Gedichte
schreiben.
Denn genauso wichtig wie es für die Seele ist, dass
diese Eindrücke erhält, ist es,
dass die Seele sich ausdrückt. Diesen Vorgang der
Eindrücke und Ausdrücke bezeichnet der Autor als
„seelischen Verdauungsvorgang“. Ausdrücken kann
man sich schon in einem Gespräch, weshalb Gespräche so wichtig sind. Jeder Mensch kann zu
einem Ausdruckskünstler werden, weshalb Lauster
Joseph Beuys recht gibt, der den Satz sagte: „Jeder
Mensch ist ein Künstler.“
Lauster empfiehlt künstlerische Ausdrucksformen.
Man sollte ruhig die Ausdrucksformen wählen, an
denen man Freude hat, auch wenn man eine Tätigkeit wie Malen oder Gedichte schreiben nicht erst
so gut kann. Jeder große Künstler hat mal mit einem
Nichtkönnen angefangen und ein Maler muss viele
Martin Schröer
SEXUS
Komm, süßer Schmerz, umtose mich,
Verzehre mich, umglose mich!
Ganz und gar verschenk ich mich,
In deiner heißen Höhle hause ich;
Durchfahr dein blondes Elfenhaar,
Biet meine Brunst dir fiebernd dar.
Die rehkitzene weiße Brust
Gilt mir sprühendste Liebeslust;
Peitsch die mit tausend Ruten aus,
Verströme mich im Sturmgebraus.
Aus meinen Venen zapf ich Wein,
Geb mich im Tod selbst mit darein!
Norbert Prostka
Klinke 19
Festsonntag
Trinitatis im Kirchenjahr
neunzigstes Lebensjahr
vollendet.
Wir saßen und aßen
und tranken
mit Gedanken.
Schöpfung: Nahrung für uns,
Liebe: Frieden für die Familie,
Trost: Hilfe in schweren Zeiten.
Schwelgen in Glück,
Schwelgen in Beziehung,
Schwelgen in Kraft.
Vera Schnieder
Statt einer Widmung
Worte III
Antigone
Sei gegrüßt, Unsere Liebe Schwester!
Mitverschworene im Kampf gegen die Mächtigen.
Wenn der Regent befiehlt
Uns unlautere Tat
Wollen wir stark sein
Nimmer uns beugen dem falschen Geheiß,
Gehorchen den ewigen Gesetzen der Mutter Erde
Gegen die Launen der Willkür der Väter,
Die nackten Toten begraben,
Nicht nur der eigenen Gefallenen gedenken,
Sondern die fremden Feinde mitzulieben,
Weil sie unsere Brüder sind.
Salve!
(Anmerkung: Antigone, die Tochter des verstorbenen
Königs Ödipus, begrub ihren Bruder Polyneikes entgegen dem Gebot des herrschenden Onkels Kreon, nach
einem Zweikampf um die Stadt Theben mit seinem
Bruder Eteokles. Kreon, darüber erbost, befahl Antigone
zum Verhungern in ein Verließ einzumauern, wo sie auch
verstarb.)
Klinke 20
Worte sind tote Schatten
Ich torkle
Schwanke durch den Raum
Und lalle
Unter der Zungenwurzel
Tobt heftiger Kampf
Es wütet ein anderer
Hoch im Hinterkopf
Rede ist leerer Rauch
Was übel riecht
Verschlingst du mit Behagen
Nennst es Geist
Bald klirrt das Eis
Es birst
Wenn eigenes Feuer
Mich verzehrt
Norbert Prostka
Denkanstöße von Karin Hofrogge
Die Bleistifte können plötzlich automatisch werden.
Eine humane Gesellschaft machen die Banken nicht mit.
Es ist besser, jemandes Freude zu erobern, als mit ihm im Schmerz zu weinen.
„Jeder“ und „alle“ ist eine Sünde im Wortschatz.
Warum machen Menschen Kunst?? Wegen der Seelenschau.
Klinke 21
Zur Geschichte der Psychiatrie
Hauptmotiv für die Auseinandersetzung mit dem
Thema ist der Schmerz, den ich empfinde angesichts der Zwangsmaßnahmen, die ich in der Psychiatrie erfuhr. Zu der Orientierungslosigkeit der
Psychose kam in zwei verschiedenen Situationen
die Hilflosigkeit gegenüber Ärztin und Richter, gegenüber Polizist und Ärztin. Ich möchte einen Blick
werfen auf die Erfahrungsgeschichte von psychisch
kranken Menschen zu verschiedenen Zeiten und so
meine Situation in einen Zusammenhang stellen.
Grundlage sind unter anderem zwei Bücher über die
Psychiatrie in Bremen, die ich erwarb, als wir mit der
Klinke-Redaktion dort waren. Dieser Text besteht
zum großen Teil aus Zitaten; ich habe die Gedankengänge neu geordnet.
wirtschaftliche Autonomie. Es gab eine eigene
Währung in Form von Blechgeld. Die Waren, die
man auf dem Gelände kaufen konnte, waren überteuert, und es gab für verschiedene Kunden verschiedene Preise. Arbeitstherapie war die wichtigste
Behandlung zur Reaktivierung von individuellen
Kräften und Fähigkeiten. Ansonsten war die Beruhigung der Kranken Hauptziel der „Irrenbehandlung“
z.B. durch stunden-, ja tagelange Wannenbäder.
Schon in der Weimarer Republik wurde von Wissenschaftlern der Begriff „Ballastexistenz“ geprägt.
Durch sie – psychisch Kranke und „Antisoziale“
würde der deutsche Volkskörper zunehmend ruiniert
und sie seien deshalb „unschädlich“ zu machen. Es
galt die Regel „Heilen oder Vernichten“. Das Individuum, sowohl TherapeutIn als auch PatientIn, hatte
sich dem Ganzen unterzuordnen. Die neuentwickelte Cardiazol-Therapie löste Krämpfe aus und
rief beim Patienten eine Art Vernichtungsgefühl und
große Angst hervor. Die Patienten wurden zur
Untätigkeit ins Bett verbannt. Es wird berichtet: 30
Menschen waren vier Wochen lang in einem Tagesraum eingesperrt. - Ein Gesunder hält das nicht
aus; wie aber soll ein psychisch Kranker unter diesen Umständen gesund werden?
Im 18. und 19. Jahrhundert lebten “Wahnwitzige,
Tolle und Rasende“, Menschen, die für andere
„Scheusal und Schrecken“ werden konnten, unter
elenden Bedingungen, wie Vieh. Glück hatte, wer in
eine „familiäre Irrenpflege“ kam, eine Maßnahme,
die bis ins 20. Jahrhundert durchgeführt wurde. Dieses Glück hatte der geniale Dichter Friedrich Hölderlin (1770-1843).
Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die
Anstaltspsychiatrie, die Verwahrpsychiatrie, weit
weg von der Stadt und mit großen Wachsälen. Es
galt die Regel: psychisch Kranke brauchen weniger
Raum. Verschiedene Wirtschaftszweige sorgten für
In der Nazizeit wurde das konstante Problem der
Überbelegung nicht durch Ausbau der psychiatrischen Einrichtungen, sondern durch Vernichtung
der lebensunwert gehaltenen PatientInnen angegangen – dies galt auch für Kinder. Das „Euthanasie“-Programm der Nazis (Euthanasie = leichtes
Sterben) war ein kollektiver Wahnsinn der über Leichen ging. Es wurde in geheimer Arbeit an der Tiergartenstraße 4 in Berlin - daher der Name T4 –
verwaltet und organisiert. Grundlage war, neben der
wissenschaftlichen Argumente, das „Gesetz zur
Verhütung erbkranken Nachwuchses“ und die Propaganda „so teuer ist ein Erbkranker.“ Geisteskrankheit galt als organisch und erblich bedingt. An
der T4-Aktion waren 60-80 Personen beteiligt, und
es wurden allein durch sie 70-80.000 Erwachsene
und 5.000 Kinder ermordet. Insgesamt gab es
300.000 Zwangssterilisationen und ca. 200 000
Morde – zunächst durch Giftgas in sechs Vernichtungsanstalten in Deutschland und Österreich, später, bei aufkommendem Protest, heimlich durch
Spritzen, Medikamente und Verhungern.
Zu diesem Protest gehörte auch die dritte politische
Predigt des Kardinal Graf von Galen im Sommer
1941 in Münster. Er sagte:“ Eine furchtbare Lehre,
die die Ermordung Unschuldiger rechtfertigen will,
die die gewaltsame Tötung der nicht mehr arbeitsfähigen Invaliden, Krüppel, unheilbar Kranken,
Altersschwachen grundsätzlich freigibt ... Als
Todesursache wird dann irgendeine Krankheit anKlinke 22
gegeben. Da die Leiche sofort verbrannt wird, können die Angehörigen und auch die Kriminalpolizei
hinterher nicht mehr feststellen, ob die Krankheit
wirklich vorgelegen hat und welche Todesursache
vorlag.“ Der Kardinal erstattete pflichtgemäß Anklage. Weiter sagte er: “Es ist nicht auszudenken,
welche Verwilderung der Sitten, welch allgemeines
gegenseitiges Misstrauen bis in die Familien hinein
getragen wird, wenn diese furchtbare Lehre geduldet, angenommen und befolgt wird.
Er mahnte die Einhaltung der zehn Gebote an. Sein
Widerstand wurde durch die „Weiße Rose“ aufgegriffen. Er verhallte, ohne dass dem Kardinal etwas
angetan wurde, aber auch ohne dass das Morden
gestoppt wurde. Die physische Beseitigung vieler
Kranker geschah weitgehend unbemerkt, denn man
hatte sie schon lange vorher aus den Herzen und
Köpfen verdrängt. Dies war der erste Schritt des
Mordens, die geistige Isolierung.
weist sowohl Aspekte der Kontinuität als auch der
Neuorientierung auf. Ein Großteil blieb Verwahranstalt. Die Patienten saßen oder standen stumpfsinnig herum, gingen vielleicht in einem ummauerten
Hof Runde für Runde.
Als Neuerung wurden Elektroschock- und Insulinbehandlung eingeführt. Sie galten als aktives Eingreifen in den bis dahin schicksalhaft und
unbeeinflussbar verstandenen Krankheitsprozess,
waren jedoch weder theoretisch noch statistisch
begründet. Die Nebenwirkungen waren Verwirrtheit
und Gedächtnisstörungen. Der Wille der Patienten
wurde übergangen. Auch die Leukotomie, Gehirnoperationen, wurde verbreitet durchgeführt – trotz
starker Persönlichkeitsstörungen als Folge. In den
50er Jahren begann die Entwicklung von Psychopharmaka, Megaphen war das erste. Die Folgen
waren weitreichend: in unruhige Abteilungen kehrte
Ruhe ein, mechanische Fixierung wurde weitgehend
überflüssig, die Aufenthaltsdauer wurde verkürzt, es
gab mehr ambulante Behandlung.
Nach dem Untergang des Nazi-Regimes waren die
Opfer der Psychiatrie Opfer zweiter Klasse. Rassisch und politisch
Verfolgte wurden
anerkannt,
nicht
aber
„Geisteskranke“, die ermordet oder sterilisiert
worden waren.
Im Rahmen der
Wiedergutmachung
wurde ihnen nicht
ein Pfennig gezahlt.
Die innere Abwehr
gegenüber Schwachen, die Verachtung
von
Hilflosigkeit, dies
sind die alltäglichen
Formen des Faschismus, die geblieben sind. Die
Psychiatrieverbrechen wurden tabuisiert – von Richtern,
Ärzten und Angehörigen.
Das
„Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wurde im Gegensatz zu anderen Gesetzen von den Alliierten nicht
verboten. Akten enthielten nach wie vor die Notiz
„erbkrank“. Die Nachkriegsgesellschaft war aufs
Ganze gesehen fleißig, anpaßlerisch, auch gelehrig
demokratisch, aber kaum nachdenklich, solidarisch
oder gar liebevoll.
Die Grundlage für psycho- und sozialtherapeutische
Maßnahmen war gegeben. Auch das Wissen um die
außerordentliche Bedeutung einer funktionierenden
Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft
war Grundlage für die Entstehung von psychotherapeutischen Fachabteilungen. Die neu entwickelte
Beschäftigungstherapie beinhaltet schöpferisches
Gestalten und Improvisieren, eine neue Beziehung
zur Umwelt soll hergestellt werden; Ziel ist weniger
eine Resozialisierung als eine Re-Individualisierung.
Durch die Verbesserung der Ausbildung von Pflegekräften waren in den 60er Jahren Reformen in der
Psychiatrie möglich, denn sie, die PflegerInnen
In den psychiatrischen Krankenhäusern herrschte
zunächst Mangel an Pflegepersonal und Ärzten, an
Nahrung, Kleidung und Heizung. Die Versorgungsund Betreuungsstrukturen waren weitgehend zusammengebrochen. Die Psychiatrie nach 1945
Klinke 23
standen im alltäglichen, direkten Kontakt zu den Patienten. Ihr Umgang bewegte sich zwischen Fürsorge und rigider Anstaltsroutine.
Eine weitere Geschichte des Scheiterns sei erwähnt: für die Tiergartenstraße 4 in Berlin, dem Verwaltungsort der „Euthanasie“ gab es vom Bund der
Psychiatrie-Erfahrenen eine Initiative für ein ‘Haus
des Eigensinns’. Die „Prinzhorn-Sammlung“, gestohlene Bilder von Psychiatrieerfahrenen, diesen
Schwächsten aller schwachen Künstler, sollte dort
ausgestellt werden. Daraus wurde aber nichts. Anfang September 2014 wurde ein Denkmal für
‘Euthanasie’-Opfer eingeweiht: eine hellblau
getönte drei Meter hohe und dreißig Meter lange
Glaswand.
In den 70er Jahren zählten zu den wichtigsten Forderungen der Psychiatriekritiker der Wechsel von
der Bewahr- zur therapeutisch-rehabilitativen
Psychiatrie, die Umstrukturierung der stationären
Langzeittherapie und die Aufhebung der rechtlichsozialen Benachteiligung der psychisch Kranken.
Auf Initiative der Bundesregierung entstand die Enquête „Zur Lage der Psychiatrie“ Sie wiederum war
Voraussetzung für entscheidende Reformen: dazu
gehört das Prinzip der offenen Tür: die Rückkehr der
psychisch Kranken in die Gesellschaft sollte vorbereitet, gesichert und gestützt werden. Zu den neuen
Maßnahmen gehörten der Aufenthalt in Tages- und
Nachtklinken, gruppentherapeutische Sitzungen,
Unterhaltungstherapie mit Film, Theater, Konzerten,
Ferienfreizeiten für Langzeitpatienten. Psychisches
Leid wurde nicht länger als individuelles, sondern
gesellschaftliches Problem begriffen.
„Inklusion“ ist das Thema der Gegenwart und der
Zukunft, ein Ziel, das durch einen umfassenden
Prozess angestrebt wird. Erstes Anliegen für uns
dabei ist die Arbeit; es sollte für Arbeitgeber interessant werden, mit psychisch Kranken individuell
gestaltete Arbeitsverhältnisse einzugehen. Die Arbeitnehmer sollten die Möglichkeit haben, sich in
den Ruhepausen hinzulegen. - Weiterhin sollte die
medikamentöse Einstellung durch individuell abgestimmte Entspannungs-, Selbstbehauptungs- und
Techniktrainings ergänzt werden. - Im zwischenmenschlichen Bereich wünsche ich mir ein Zeichen
ähnlich wie ein Zebrastreifen für Fußgänger, ähnlich
wie die drei schwarzen Punkte auf gelbem Grund
für Blinde.
Das Verhältnis der Psychiatrie zur Gesellschaft sollte
sich ändern, denn nicht nur die Patienten , auch die
Ärzte und Pfleger hatten einen schlechten Ruf in
ihren Berufsgruppen. Positive Einstellungsänderungen in der Öffentlichkeit wurden besonders dadurch
erreicht, dass direkte Kontakte mit psychisch Kranken hergestellt wurden. Bei den Betroffenen wiederum wurden positive Veränderungen ausgelöst,
wie z.B. eine bessere Körperpflege.
Ich denke an einen erhobenen Zeigefinger bei angewinkeltem Arm, durch den mir erlaubt wird, zu
sagen, was ich kann, und zu schweigen, wie ich
kann. - Politisch wäre eine Ausweitung des Wahlrechts für Behinderte zu fordern.
Erst in den 80er Jahren konnten Zwangssterilisierte
eine einmalige Beihilfe von 5.000 DM beantragen.
Die Opfer von „Euthanasie“ und Sterilisation waren
darüber hinaus in der Lage, Leistungen auf Grundlage des Allgemeinen Kriegsopfergesetzes (AKG) zu
beantragen. Die Bearbeitung führte aber oft zur Ablehnung. 1998 hat sich der Deutsche Bundestag
dazu entschlossen, pauschal zumindest die Unrechtsurteile der Erbgesundheitsgerichte aufzuheben.
Inklusion bedeutet das Aufgehobensein in der Gesellschaft, das selbstverständliche Miteinander von
Behinderten und Nicht-Behinderten in der Öffentlichkeit, in den verschiedenen Bereichen des Lebens. Um das zu verwirklichen sind viele kleine
Schritte zu gehen. Auch jede/r einzelne ist angesprochen, wenn es um den Prozess der Inklusion
geht. U.a. folgende Fragen stellen sich:
Welche Vorstellungen von Inklusion habe ich persönlich? Kann ich mit Hilfe von Ärzten, Therapeuten, Beratern, Freunden und Verwandten diese
Vorstellungen verwirklichen?
Im September 2014 erhielten psychisch kranke
Opfer des Nazi-Regimes die gleiche finanzielle Entschädigung wie andere wegen ihrer Abstammung
oder wegen ihrer politischen Auffassung Verfolgte.
Eine gesetzliche Gleichstellung gibt es immer noch
nicht.
Vera Schnieder
An dieser Stelle sei Ralf Schulz gewürdigt, der 1993
mit 33 Jahren starb. Er war vollgepumpt mit Psychopharmaka; therapeutische Maßnahmen – etwa
den Kontakt zu seinen Eltern abzubrechen – trafen
ihn so, dass er keine Therapeut/Patient-Beziehung
mehr wollte. In der Arbeitstherapie, an der er in den
letzten Jahren seines Lebens teilnahm, war er gut.
Sein Leben und sein Tod sind ein Beispiel für misslungene psychiatrische Behandlung in der jüngeren Vergangenheit.
Klinke 24
Der Dichter und die Psychiatrie
Teil 5: Der ganz normale Wahnsinn (aus den Aufzeichnungen eines Psychiaters)
Ach, mein liebes Tagebuch,
endlich komme ich zur Ruh;
manchmal ist der Job ein Fluch
- darum höre mir gut zu:
Manche Krankheitsbilder sind
nichts als graue Hirngespenster;
selbst mein kleines Enkelkind
malt viel buntre an die Fenster!
Jeden Morgen, kurz vor acht,
schließe ich die Praxis auf;
doch viel früher als gedacht
drückt das Leid den Türenknauf.
Homo Sapiens einzulullen
scheint nicht wirklich schwer zu sein;
Glücksversprechen in Ampullen
- schon stellt er das Denken ein.
Und dann folgen Stund um Stund
Depression und Größenwahn;
selber schon nicht mehr gesund
kämpfe ich wie ein Titan.
Hatten wir in frühren Zeiten
nicht die große Renaissance?
Heute fehlt in unsren Breiten
Phantasie plus Contenance.
Mittagspause? Das war gestern!
- alle halten mich auf Trab;
wie in einem schlechten Western
schaufle ich mein eignes Grab.
Kann ich daran etwas ändern,
dass Gesundheit krankhaft wird?
In den reichen Abendländern
läuft es doch wie gut geschmiert !
Nachmittags das gleiche Bild:
in des Wahnsinns Wunderland
geben die Patienten wild
sich die Klinke in die Hand.
Ja, ich möchte auch mal tauschen
mit manch gut versorgtem Kranken;
nur noch meinen Stimmen lauschen
bis es Zeit wird abzudanken.
Manchmal brauche ich ne Droge
(trotz Verbot und Paragraphen);
beim Patientenmonologe
gilt es halt, nicht einzuschlafen!
Doch ich tue meine Pflicht
in dem Ärztefachberufe,
denn die Götter helfen nicht
- auch wenn ich zum Himmel rufe!
Leiden muss was Tolles sein
- denn ein jeder hält dran fest;
jubelnd stimme ich mit ein
- grad so wie beim Weihnachtsfest.
Uhrwerksgleich geht es so weiter
- Tag für Tag und jahrelang;
meine Zähne lächeln heiter
- doch im Herzen ist mir bang.
Feierabendparadies?
- daraus hat man mich vertrieben;
auf dem Konto reichlich Kies
- doch wo ist der Spaß geblieben?!
Jetzt ist erst mal Wochenende
- das ist etwas Schönes, Feinesund ich tauche meine Hände
in die Unschuld eines Weines.
Meine Zweifel, riesengroß,
an mir selbst und am System,
lassen mich auch nachts nicht los
- langsam wird es unbequem!
Tagebuch, ich danke dir
- du mit deiner weißen Weste,
bist geduldiges Papier
- oft ist schweigen wohl das Beste!
Jens Dombrowski
Hat die Politik, dort oben,
für Reformen wirklich Zeit?
Unbequemes wird verschoben
sind die Wahlen nicht mehr weit.
Haben unsre Krankenkassen
vom Verteilen einen Schimmer?
Schließlich bilden sich zwei Klassen
- so auch im Behandlungszimmer!
Klinke 25
Suizidprävention
Ein paar Tage vor dessen Untergang
stand meterhoch bei einer Straße,
obenauf die Dachterrasse,
das Bürogebäude einer Bank.
Doch immer wieder kam es dort vor,
die Gründe wurden nie bekannt,
dass jemand im Leben den Halt verlor
und im Sprung vom Dach einen Ausweg fand.
So formulierten die Obersten ein Ziel,
denn ihnen wurde das zu viel:
„Schließt das Bürogebäude!
Schließt das Bürogebäude!“
Auch auf die Autos wurde geschaut,
war ja der Fluss nicht mehr passierbar,
das Problem war korrigierbar:
es wurde eine U-Bahn gebaut.
Niemand bedachte in den nächsten Momenten
wem die U-Bahn eine Möglichkeit bot:
Die hinterbliebenen Partner der Suizidenten
entschieden sich für den Schienentod.
Doch auch dafür war bald eine Lösung gefunden
und es hieß innerhalb der nächsten Stunden:
„Sperrt das U-Bahn-Netz!
Sperrt das U-Bahn-Netz!“
Schon seit vielen langen Jahren,
nah dem Büro, wie man wissen muss,
führte über einen Fluss
eine Brücke, von Autos stets befahren.
Die Angestellten des Büros,
nun beraubt all ihrer Stellen
und weiters perspektivenlos,
stürzten sich in die graublauen Wellen.
Die Brücke hatte nun Leben gefordert,
doch sofort wurde beordert:
„Reißt die Brücke ab!
Reißt die Brücke ab!“
Noch vor der Schließung des Büros
im Zimmer einer Psychiatrie
hatte sich ein Patient erschossen
und die Psychiatrien wurden geschlossen.
U. Hammer
Klinke 26
Das Geld und die Psychiatrie
Die Psychiatrie ist eine „sprechende“ Medizin. Behandelt wird über den persönlichen Kontakt zwischen
Patient und Arzt. Dies sollte sich also in den Vergütungsformen für die Behandler in der Psychiatrie wiederfinden. Doch wie wird tatsächlich abgerechnet?
Für die Kliniken ist aktuell das neue Entgeltsystem für
die Psychiatrie in der Einführung und in der Diskussion: PEPP, also: Pauschalierende Entgelte für Psychiatrie und Psychosomatik. Bei der Entwicklung
dieses Systems hat man sich teilweise an den Fallpauschalen der Kliniken für körperliche Krankheiten
orientiert. Dort wird ja schon seit geraumer Zeit nach
der Diagnose und weiteren Patientendaten (z.B. Alter)
abgerechnet. Die Verweildauer auf der Station spielt
keine Rolle mehr.
Ab 2015 sollen die psychiatrischen Kliniken nun verbindlich nach dem neuen System abrechnen. Das soll
wie folgt funktionieren: Wo früher die Klinik für jeden
Tag des Aufenthaltes eines Patienten Geld bekam und
dies unabhängig von der Dauer des Aufenthaltes, wird
nun in einem Kraftakt ein Katalog der unterschiedlichen
Krankheiten und ihrer Ausprägungen ermittelt. Der Katalog weist jeder Erkrankung einen bestimmten Punktwert zu, der Grundlage ist für die Abrechnung. Also
wird ein frisch eingewiesener Kranker zu Beginn der
Behandlung von einem sogenannten „Codierer“ befragt, und dieser ermittelt, in welche Gruppe der neue
Patient denn nun gehört. Dann kommt die wesentliche
Änderung: Je länger die Behandlung dauert, desto geringer werden die Tagessätze für die Klinik. Verdient das
Krankenhaus z.B. in den ersten sechs Tagen der Behandlung noch überdurchschnittlich gut an dem Patienten, sinkt die Vergütung ab dem siebten Tag des
Aufenthaltes und dann nochmal ab dem 14. Tag der
Therapie. Es kommt also für die Klinik der Tag, ab dem
sie den Patienten nicht mehr kostendeckend behandeln kann. Das Resultat aus Sicht der Klinik: die weniger schwer erkrankten Fälle sind attraktiver als die
schweren, chronischen Krankheitsverläufe mit langer
Verweildauer. Dies widerspricht dem, was im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung als Ziel genannt
wird: „ Ein neues Vergütungssystem in der Psychiatrie
und Psychosomatik darf schwerst psychisch Erkrankte
nicht benachteiligen…“.
Von der Politik gewollt ist, die psychiatrische Behandlung immer mehr vom stationären in den ambulanten Bereich zu verlagern. Wie aber ergeht es dem
Patienten, wenn er erst einmal die Klinik verlassen
hat? Schwierig ist es oft schon, einen niedergelassenen Psychiater zu finden, der auch Zeit für einen
neuen Patienten hat. Ist hierfür auch das Entgeltsystem für niedergelassene Psychiater verantwortlich?
Wie funktioniert dieses System?
Nach Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung
Westfalen-Lippe gibt es seit 1997 ein budgetorientiertes Abrechnungssystem. Hierzu wird für jeden Arzt
nach Ablauf des Quartals allein anhand der Zahl der
von ihm in diesem Quartal behandelten Patienten
(Fallzahl) ein Gesamtbudget errechnet. In NRW bekommt der niedergelassene Psychiater dann ca. 50
Euro für jeden Patienten, der ihn mindestens einmal
pro Quartal aufgesucht hat. Im Rahmen dieses Budgets wird dem Arzt jede abgerechnete Behandlung
voll bezahlt. Sollte er das Budget überschreiten, werden diese Behandlungen nur noch mit ca. 10% des
ursprünglichen Wertes vergütet. Das Ganze im Beispiel: Im Quartal hat der Psychiater mit seinen Behandlungen 40.000 Euro abgerechnet. Dabei haben
700 Patienten seine Praxis aufgesucht. Er erhält nun
für jeden Patienten 50 Euro, somit werden 35.000
Euro ohne Kürzung ausgezahlt. Für die restlichen
5.000 Euro aus der ursprünglichen Honorarsumme
werden nur noch 10%, hier also 500 Euro vergütet.
Insgesamt werden also 35.500 Euro überwiesen.
Dabei ist es dann gar nicht mehr erheblich, welche
und wie viele Leistungen genau der Psychiater für den
einzelnen Patienten abgerechnet hatte, alle Behandlungen gehen ein in einen großen „Topf“. Patienten mit
hohem Behandlungsaufwand, wie z.B. dringende
Fälle mit enger Betreuung, werden in diesem System
ausgeglichen durch Behandlungen von anderen Patienten, die nicht viel Zeit in Anspruch nehmen.
Die technisch geprägten Leistungen wie z.B. ein EEG
sind in den ca. 50 Euro enthalten, nur für Sonographien gibt es einen geringfügigen Zuschlag. Für das
Verschreiben von Medikamenten erhält der Arzt keine
gesonderte Vergütung. Liegt er hier mit seinen
Verschreibungen über dem ihm zugestandenen Rahmen, läuft er Gefahr, sich gegenüber einer Prüfungseinrichtung verantworten zu müssen und wird
schlimmstenfalls mit Regressforderungen seitens der
Krankenkassen konfrontiert.
Aus dem so ermittelten Honorar muss der Arzt jetzt
noch neben anderen Posten die Miete und das Personal bezahlen. Dazu kommt die Einkommensteuer.
Viele Psychiater betreuen in der Folge, um wirtschaftlich zu bleiben, pro Quartal zwischen 600 und 800 Patienten. Die Wartelisten sind entsprechend lang. Das
persönliche Gespräch und der individuelle Kontakt
über das reine Verschreiben von Medikamenten hinaus, kommen dabei zu kurz.
Man sieht: Gesundheit kostet Geld und kostet Zeit. In
einer sprechenden Medizin wie der Psychiatrie ist das,
worum es im Wesentlichen geht, Zeit und Empathie.
Egal, nach welchem System genau abgerechnet wird,
als Patient wünsche ich mir nichts mehr als ausreichend Zeit für mich.
Gerd Potthoff
Vielen Dank an die Pressestelle der KV Westfalen-Lippe
Frau Dominas und Herrn Schneider in Dortmund und an
Herrn Tafertshofer vom LWL Münster für die Unterstützung bei den Recherchen.
Klinke 27
Ballade meines hypothetischen Untergangs
09.03.2014
Ich
Gezeichneter Ich
In Wolkengebirgen
Fern
Ich
Umgrenzter Ich
In Einheitszimmern
Fern
Ich
Zerrissener Ich
In Todeszellen
Fern
Ich werde sein
Als wäre ich nicht –
Ich bin
Als wäre ich nicht –
Ich bin
Kind von Flüchtlingen –
Nirgendwo
Abschaum auf Wellenkämmen
Abschaum – in Bier schwimmend
Abschaum – Bier trinkend
Abschaum in Klärteichen
Abschaum – in Wein schwimmend
Abschaum – Wein trinkend
Mühsam gebändigter Hass
Trotzig bewahrte Liebe
Kämpfen in mir
Der Untergang – mir
Zugedacht von bösen Engeln
Bald – schon bald
Habt ihr meine hässliche
Fratze gesehen?
Hass ist hässlich
Armut ist hässlich
Habt ihr meine hässliche
Fratze gesehen?
Hass ist hässlich
Einsamkeit ist hässlich
Klinke 28
Abschaum – Aufschaum –
Ich schwimme in Ozeanen
Ich trinke mich tot
Dieter Radtke
Alptraum – ausgelöscht
Mein Name
Verzweifelt festgehalten
Auf Papier –
Gefährdet – bedroht
Findet sich mein Name
In Zeiten des Umbruchs
In einem Papierknäuel
Den jemand zusammendrückt
20.05.2014
Eingeschnürt findet sich
Mein Name in einem
Drahtverhau – in einem
Spitzigen stechenden
Stacheldrahtverhau
Ausgelöscht –
Mein Name – fremd
Verfälscht ist nicht
Mehr mein Name
Dieter Radtke
Tausend Brote
30.04.2014
Wir schreiben das Jahr 2085. Eine rätselhafte Viruserkrankung hat sämtliche Pflanzen und Tiere befallen, so dass sie in Kürze eingehen werden. Nur
noch tausend Menschen leben, verzweifelt darauf
bedacht, ihren Untergang möglichst hinaus zu zögern. Alle Nahrungsmittel sind verseucht, außer tausend Broten, die sich in der Hand des reichsten
überlebenden Menschen befinden; es handelt sich
hierbei um den Selfmade-Millionär Florian B., der
die tausend Brote in einem bunkerähnlichen Anwesen in einem deutschen Mittelgebirge hortet und
sich dabei allzu sicher fühlt.
Denn die übrigen Menschen haben seine Fährte
aufgenommen und suchen ihn, um der tausend
Brote habhaft zu werden. Schon bald haben sie sein
Anwesen umstellt und brechen Tür um Tür auf, um
in das Innere zu gelangen, wo Florian B. selbstsüchtig seine tausend Brote bewacht.
Er hat eine Geheimtür durchquert und sitzt in einem
höhlenartigen Raum, mit dem Notwendigsten wie
Brot und Wasser in Kanistern versorgt.
Doch seine Verfolger haben das Versteck dank moderner Infrarotkameras schon bald entdeckt. Sie
stehen in Florian B.s Zufluchtsraum; dieser wehrt
sich verzweifelt gegen den Raub der Brote, aber
sein Widerstand führt dazu, dass der Anführer der
Eindringlinge ihn im Handgemenge tötet.
Die Eindringlinge schaffen die tausend Brote nach
draußen, wo sich bereits beinahe zweitausend gierige Hände den Broten entgegenstrecken. Im aufkommenden Kampf um die Brote werden hundert
Menschen getötet, die übrigen verstreuen sich mit
den tausend Broten in die Umgebung.
Tausend Brote für fast neunhundert Menschen, das
reicht nicht lange zum Überleben. Einige haben
mehrere Brote ergattert; diese Menschen überleben
vielleicht ein paar Wochen länger.
Aber spätestens in ein paar Monaten werden alle
Vorräte an Wasser und Nahrung erschöpft sein, und
es wird keine Menschen mehr auf der Erde geben.
Dieter Radtke
Klinke 29
Glück im Unglück – Ein Erfahrungsbericht
Eine psychische Erkrankung zu haben bedeutet oft
auch nicht mehr einen Beruf auf dem freien Arbeitsmarkt ausüben zu können. Aber das muss ja nicht
heißen, sich nicht mehr sinnvoll beschäftigen zu
können. Das kann zwar auch sein, zum Beispiel bei
einer schweren Depression, wo man an nichts mehr
Lust oder Interesse hat und wo einem dann schon
leichte Tätigkeiten schwerfallen. Aber es gibt auch
viele Psychiatrieerfahrene die kreative Hobbys
haben, die ihnen Freude machen, zum Beispiel im
künstlerischen Bereich.
alles ohne Erfolg. Aber die Muskelschwäche kann
auch durch eine Nervenschädigung verursacht sein,
die dadurch kommt, dass ich seit meiner Jugend,
also über zwanzig Jahre, durchgehend Neuroleptika
eingenommen habe, die ja auf die Nerven einwirken. Das vermutet mein Arzt.
Ich war wie gesagt auch deswegen betrübt, weil ich
dachte, ich könnte nie wieder richtig Musik machen,
weil ich ja nur die linke Hand so gut wie vorher bewegen konnte und kann. Irgendwann fiel mir dann
ein, dass ich mal gelesen hatte, dass der Komponist Maurice Ravel ein Klavierkonzert für einen Pianisten geschrieben hatte, der im Krieg den rechten
Arm verloren hatte und so also nur noch mit der linken Hand Klavier spielen konnte. Und da dachte
ich, ich könnte doch auch mal im Internet nachschauen, ob es nicht mehr solcher Klaviermusik und
Noten gäbe, die nur mit einer Hand gespielt werden
können. Ich war ganz überrascht, dass es das
tatsächlich und in großer Vielfalt gibt. Das ist Klaviermusik extra für Pianisten, die wegen einer
Krankheit oder einem Unfall nur noch mit einer Hand
Klavier spielen können. Dabei gibt es Musik, die nur
mit der linken Hand gespielt wird, solche, die nur
mit der rechten gespielt wird, als auch solche Klavierstücke, die wahlweise nur mit der rechten oder
nur mit der linken Hand gespielt werden können. Es
gibt solche Musik, die so bearbeitet wurde, dass
man diese nur mit einer Hand auf dem Klavier spielen kann (zum Beispiel wurden einige Stücke von
Johann Sebastian Bach von anderen Komponisten
dafür bearbeitet), als auch Musik, die extra für solche Klavierspieler komponiert wurde, wie etwa die
Sonate Opus 179 von Carl Reinecke, die die Bezeichnung trägt: „Klaviersonate für die linke Hand
allein“.
Die Tätigkeit, die ich neben dem Schreiben am liebsten mache, ist das Musizieren. Die Instrumente die
ich spielte, waren vor allem Kirchenorgel, Klavier
und Klarinette.
In der Jugendzeit fing meine seelische Krise an,
aber zu etwa derselben Zeit fing ich auch an, aktiv
Musik zu machen.
Ich lernte in der Musikschule die drei Instrumente,
die ich oben genannt habe und machte bei der
evangelischen Kirche eine Ausbildung zum Kirchenmusiker im Nebenamt. Dann spielte ich in einer
Kirchengemeinde Orgel in den Gottesdienstern.
Alles klappte auch ganz gut und ich war gerne mit
der Musik beschäftigt.
Doch dann nach vielen Jahren merkte ich auf einmal, von einen Tag auf den anderen, dass ich die
rechte Hand nicht mehr ganz so gut bewegen
konnte. Ich konnte zwar Schreibmaschine schreiben und viele Kirchenlieder, die nicht so schnell gespielt werden, auf der Orgel spielen, aber nicht mehr
alle. Und auf dem Klavier konnte ich nur ganz leichte
Klavierstücke spielen, die eigentlich für Anfänger
gedacht sind. Meine Organistentätigkeit musste ich
also aufgeben und war sehr betrübt, dass ich nicht
mehr anspruchsvollere Musik spielen konnte, denn
nur die linke Hand kann und konnte ich noch so
schnell und gut bewegen wie vorher.
Die meiste solcher Klaviermusik wurde im 19. und
20. Jahrhundert geschrieben. Es gibt auch moderne
Klassik solcher Art (zum Beispiel auch von dem
Komponisten Hans Werner Henze, den ich sehr
schätze).
Dann sagten mir verschiedene Leute, ich würde das
rechte Bein beim Gehen so nachziehen beziehungsweise so humpeln, was auch stimmte. Ich
hatte und habe eine Muskelschwäche in der rechten
Körperhälfte, deren Ursache unklar ist. Es wurde
eine MRT-Untersuchung gemacht, die aber kein Ergebnis brachte. Nun muss man dazusagen, dass
nach dem heutigen Stand der Medizintechnik sich
nicht alles sofort diagnostizieren lässt, so weit ist die
Medizin heute noch nicht.
Dabei gibt es Klavierstücke unterschiedlicher
Schwierigkeitsgrade, also ein breites Spektrum.
Sogar Jazzmusiknoten solcher Art gibt es.
Für mich als Musiker bedeutet das, dass ich doch
noch Musik machen kann, was ich fast schon abgeschrieben hätte. Beinahe hätte ich resigniert.
Meine Muskelschwäche in der rechten Körperhälfte
ist bis jetzt nicht wieder verschwunden, möglicherweise bleibt das so. Aber weil ich die linke Hand so
wie vorher bewegen kann, geht es doch mit dem
Klavierspielen. Und weil ich auch die Rechte, wenn
auch langsamer, bewegen kann, kann ich bei den
Musikstücken für die linke Hand an einigen Stellen,
Es kann sein, dass vermutet mein Arzt, dass meine
Muskelschwäche durch die Neuroleptika, die ich
nehme, verursacht wurde. In der Richtung wurde einiges ausprobiert, zuerst nahm ich Akineton, dann
wechselte ich auf ein anderes Neuroleptikum, aber
Klinke 30
wo zum Beispiel schwierige Akkorde zu spielen sind
und es geht, die Rechte auch zur Hilfe nehmen, um
mir das Spielen zu erleichtern. So bin ich also wieder viel am Musikmachen; zurzeit übe ich unter anderem das Finale der Klaviersonate von Reinecke,
die ich bereits weiter oben erwähnt habe.
Außerdem kann ich ja auch uneingeschränkt
Schreibmaschine und auch mit der Hand Schreiben,
ich bin übrigens Linkshänder.
Schöner wäre es natürlich, wenn ich wieder mit beiden Händen Musik machen könnte, aber, um es mit
einem bekannten Werbeslogan in abgewandelter
Form zu sagen:
Einschränkungen müssen uns nicht unbedingt
daran hindern, kreativ zu sein.
Nachtrag
Jetzt (November 2014) hat die Muskelschwäche
doch deutlich zugenommen. Möglicherweise liegt
es doch nicht an den Neuroleptika. Da die Muskelschwäche bis jetzt aber „nur“ in der rechten Körperhälfte ist, geht es auch weiterhin – wie in dem
Artikel beschrieben – mit dem Klavierspielen
Markus Schmidt
Fußball Deutschland
Weltmeister 2014
Vor dem Fernseher sitzend,
mit der Deutschlandflagge in der Hand.
Draußen laute Rufe
und auch viele Fluche.
Immer noch kein Tor,
looos rückt vor.
Popcorn neben mir,
denke, gleich werde ich zum Tier.
Im Fernseher die Zuschauer,
manche fangen schon an zu trauern.
Dann endlich das Tor,
Freudentränen kommen mir hervor.
Deutschland ist Weltmeister,
zum Glück war am Fußball kein Kleister.
Paps = Vater
Ich habe dich lieb,
auch wenn ich nicht oft schrieb.
Blumen möchte ich dir schenken
und werde oft an dich denken.
Du hast mir in meinem Leben viel beigebracht,
da hat es auch mal gekracht.
Wir sind viel spazieren gegangen,
manchmal ziemlich lang.
Nun bist du nicht mehr da,
das ist leider wahr.
Ich hätte dir gerne noch soviel gesagt,
egal an welchem Tag.
Meine Tränen fließen dahin,
ich frag mich wohin ?
Eine Kerze zünde ich für dich an
und flüstere... bis irgendwann.
Elke Falk, 14.Juli 2014
Elke Falk
Klinke 31
Ein psychotischer Höhenflug
Prof. Helmut Bach (1928 – 2008): ich habe ihn gegoogelt. Er war ein gesellschaftskritischer und
selbstkritischer Wissenschaftler, der psychoanalytische Bücher veröffentlicht hat. Ich sehe ihn vor meinem inneren Auge. Ich sehe ihn lieber als dass ich
die aggressiven Stimmen von Patti Smith und von
Insa E. höre. Dorothee Sölle (1929 – 2003), deren
Fan bzw. deren Schülerin ich bin, dagegen sehe ich
lieber vor mir als ihn. Diese Vorgänge sind psychotisch oder aber eine Auseinandersetzung mit Ahnen,
mit überirdischen Kräften.
stimmt, ich bin es gewohnt, vor mir selber zu fliehen. Mein Leben zwang mich, noch viele Stufen
weiter bergab zu gehen, bis ich ganz spät und mit
letzter Kraft und einer großen Geduld den Weg hinaus aus der Misere und in ein unauffälliges, verantwortliches Leben fand.
Diese Psychose ist wie Eiter auf einer entzündeten
Wunde. Deshalb ist es so wichtig, die Wunde zu
pflegen, sie nicht mehr zu vernachlässigen, zu akzeptieren, dass ich verletzt wurde.
Während ich diese Wahrnehmungen erlebe und
diese Gedanken entwickle, erledige ich meine Büroarbeit präzise und auf Hochtouren. Ist das die Schizophrenie?
Anke S.
Berlin: im April 1980 habe ich mein Psychologie-Diplom bekommen. Die mündlichen Prüfungen und
deren Vorbereitungen machte ich von der KarlBonnhoeffer-Nervenklinik aus. Die Psychologin dort
empfahl mir, eine psychoanalytische Therapie nach
Adler. Der Arzt in Bonny’s Ranch bescheinigte mir
ein Borderline-Syndrom, also keine Schizophrenie.
Weil ich jedoch über meine Familie eine Empfehlung
bekommen hatte, suchte ich Prof. Bach auf: beim
ersten und zweiten Mal sagte ich meinen Spruch:
Peter Silies, selber Psychoanalytiker, hat Sie mir
empfohlen, er war auch auf dem Kongress in Freiburg. Gleich zu Anfang unterstrich der Professor die
Diagnose Borderline-Syndrom. Mir war das egal; ich
wollte Hilfe. Jetzt ist es etwas Positives, das ich mit
ihm verbinde.
Beim zweiten Mal wollte ich mich hinlegen; das untersagte der Arzt heftig. Meine Frage:“sind Sie ein
politisch neutraler Wissenschaftler oder Antifaschist?“ Antwort:“Antifaschist!!“ - Ich:“ ich bin lesbisch.“ Er“Sie sind bisexuell.“ Das war’s, ein
Gespräch kam nicht zustande.Ich gab ihm meine
Anarcho-Gedichtmappe, von der ich 50 Exemplare
kopiert hatte.
Fieber
Mir ist warm,
mir ist kalt.
Ich sehne mich,
nach Dir.
Du bist der Tod
und kalt.
Doch im Himmel,
ist es warm.
Mein Fieber, steigt.
Bin ich... ,
jetzt schon dran ?
Beim dritten Mal hatte ich eine Glatze. Er gab mir
die Mappe zurück. Ich nahm sie, war beleidigt, weil
er sie nicht behalten wollte. Meine Frage“Wenn es
ein Unterbewußtsein gibt, gibt es auch ein Überbewußtsein?- Keine Antwort damals. Ich meine, jetzt
sagt er mir“Ja“ Er sucht mich aus dem Jenseits hier
auf der Erde auf. „ Kann ich eine Therapie bei Ihnen
machen?“ „Nein – Sie sind zu assoziativ.“ Mir fiel
nichts ein. Eine Freundin, der ich das damals erzählte, sagte:“ Man soll doch in der Psychoanalyse
assoziativ sein!“ Ich ließ alles, was mir einfiel, an
seine Ohren kommen. „Gestern habe ich wieder gekifft.“ „Ich glaube, Sie drehen durch!“ Mein Gedanke:“Das bin ich schon.“ Ich bat ihn, ein Taxi
bestellen zu können, das tat er für mich und ich kam
in meine Elendswohnung.
Elke Falk 11.Juni 2009
Meine ehemalige Ärztin, der ich vor Jahren schon
mal von Prof. Bach und meinem inneren Bild von
ihm berichtete , sagte: Sie suchen Hilfe!. Das
Klinke 32
Bipolar „manisch-depressiv“
Ich trat hinaus in die Helligkeit
- hier trug ich auch ein helles Kleidich drehte zu schnell in der Helligkeit
ich musste tragen schweres Leid
Ich fiel hinein in die Dunkelheit
- hier trug ich auch ein dunkles Kleidich sank zu tief in die Dunkelheit
ich musste tragen schweres Leid
Ob Helligkeit, ob Dunkelheit
ich musste tragen schweres Leid
ich trug es wie mein eigen Kleid
durch Dunkel und durch Helligkeit
Annette Gilles
Klinke 33
Alleinsein
Zu den Bedingungen meiner Krankheit gehört, dass
ich Angst vor Nähe habe bzw. ein ganz großes Misstrauen anderen Menschen gegenüber. Bei dem
‘Damit’-Sprechen habe ich wenig Möglichkeiten
und Fähigkeiten. Bei dem ‘Darüber’-Sprechen habe
ich Erfahrung und Wissen. Das ist oft meine Rettung.
Als junger Mensch versuchte ich, mein Problem mit
Sex und Drugs und Rock ‘n Roll zu überwinden. Ich
begegnete bei diesem Lebensstil interessanten
Menschen, doch er hat mehr geschadet als genutzt:
ich wurde psychotisch.
mich trägt, ändert sich eben laufend, und das ist
aufregend! Erwachsen zu sein und für mich zu sorgen, bringt Ruhe.
Ich habe keine eigene Familie, kenne kaum jemanden aus der kommenden Generation. Mein Alter zu
gestalten - jetzt bin ich 61 - ist mühsam. Ich gehe
die Themen Patientenverfügung, Krankenhaustasche, Vollmacht oder Betreuungsverfügung, Testament und Todesfall in kleinen Schritten an.
Der Vorteil des Alleinseins ist, dass ich mein Hobby,
Lesen und Schreiben, ausüben kann, es bringt
mich aber auch in den Zusammenhang der
„Klinke“-Redaktion. Der Nachteil dieses Alleinseins
ist, dass etwas ganz Wesentliches nicht zum Tragen kommt: nämlich, dass ich ein soziales Wesen
bin. Tröstend dabei ist, dass Lesen und Schreiben
eine Form von Kommunikation sein können.
Seit dreißig Jahren bemühe ich mich um eine Umkehr im Umgang mit meiner Angst: ich will mich der
Realität nähern, auch meiner eigenen Realität.
Meine jetzige Situation besteht seit ca. 20 Jahren.
Dazu gehört die Arbeitsstelle; ich bin dort mit guten
Menschen zusammen, davon bin ich überzeugt.
Auch mein Vermieter ist verständnisvoll und mit den
Mietnachbarn besteht ein freundlicher Grußkontakt,
ähnlich wie mit vielen Bekannten, die ich im Dorf
treffe. - Ich habe einen kleinen Freundes- und einen
großen Bekanntenkreis. Auch pflege ich Kontakt zu
meiner Generation in der Familie.
Für meinen Weg finde ich in der christlichen Gemeinde Halt und Orientierung. Eine weitere Möglichkeit, mein Alleinsein zu gestalten, ist, auch für
andere Menschen, für den konziliaren Prozess, für
Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zu beten.
Wenn ein mir wichtiger Mensch jedoch mich nicht
mehr annimmt, sich von mir distanziert, gerate ich in
Panik. Das ist mir mit meiner Schwester passiert
und mit einer guten Freundin. Das soziale Netz, das
All-ein als Paradox, dass das Leben prägt!
Anke S.
Klinke 34
(1)
im schatten der nacht
gestern abend:
du suchtest ETWAS was dir spaß macht.
MIKADO / 4 GEWINNT
du wolltest nicht gewinnen, außerdem lieber mit
mir fernsehen.
in der u-bahn wars ein gutes gefühl,
sonst bin ich dort immer alleine mit meinen
ängsten.
ich hab zur beruhigung deine hand angefasst,
du hast sie dankbar genommen.
i don`t know.
hast mich geküsst, ganz sanft.
meintest, dass die fahrt dieses mal sehr lange dauert.
ich fand das gar nicht so, sondern wusste, als wir
bei dir ankamen, dass dieses leider die einzige
nacht sein würde.
hätte mich gerne mir dir eingesperrt.
etwas später erwähnte ich das verhütungsproblem.
deine frage, ob es mit kondom ginge.
etwas später schliefen wir miteinander.
zuerst ich, dann du oben.
oder morgenstund hat gold im mund.
was geschieht zwischen tag und nacht?
die grenzen verschwimmen.
am morgen ist die abgrenzung fast automatisch.
die grenze zwischen dir und mir, von mir + dir.
dazwischen liegt nähe.
morgens:
wir stehen auf.
du magst nicht mehr.
ziehn uns an.
frühstücken
stille, unüberhörbar.
ich plädiere für andere MUSIK.
du lässt einfließen, dass du gegen eine grenze
bist,
gegen dein abgrenzen
eigentlich, willst du dich anlehnen
aber du kannst es mir nicht zeigen!
(4)
morgens fand ich die kondome,
ekelte mich zum aller ersten mal vor den dingern.
mich erinnnert die ganze szenerie an
„dinner for one“
du kennt einen anderen film
„every year the same procedure“
anschließend verschwindest du im bad
na ja, dann war das
frühstück
im hintergrund
Tom Waits
ich schau mir deine bücher an.
finde einen unabgeschickten liebesbrief.
mit dieser frau wolltest du an der ostsee
spazieren gehen, kurz bevor es anfängt zu regnen.
Abraksas
du kommt aus dem bad
ich vertiefe mein gesicht in ein buch, scham.
(2)
ich ziehe mich an.
du auch.
ich räume den frühstückstisch ab, ganz hausfrau.
wir gehen.
nur du weißt, wohin.
ich stelle mich fest, du willst einkaufen.
wir sitzen im bus,
so wie gestern.
nur unsere körper verspüren keine gier mehr.
du: ich steige aus
ich: schau schau.
anschließend sitze ich in der u-bahn
auf dem weg nach kreuzberg.
(3)
habe die wäsche gewaschen. bin sauber.
denk an den geruch deiner achseln.
Klinke 35
Interpretation meiner Schwester G.
Warum
Sollte ich Brötchen holen?
Ich war vier Jahre alt.
Hat das Alles einen Sinn?
Einfach – Leben
Abraksas
Koma *
Epilepsie
Psychose aus dem schizophrenen
Formenkreis
* Ich wurde Brötchen holen geschickt und landete unterm Auto
Deinen Wein trinken
29.08.2014
Der Irre tanzt –
In den Verliesen klirren
Im Walzertakt die Ketten
Die Welt bleibt unverloren –
Der Irre tanzt
Mit dem Mond – die Finsternis
Trägt ein grünes Gesicht
Der Mond
Hat die Wachen bestochen –
Die Gefangenen fliehen –
Als ich Dich sah
Sprang ich im Dreieck
Kopfüber in Dein Herz
Heute fuhr der Mond
Auf der Überholspur
Und vergoss Tränen der Rührung
Ich tauchte in Dich
Und schöpfte Deinen Wein
In grüne Kelche
Das Einhorn trägt sie
Über Berge und Meere
Die Welt bleibt unverloren –
Der Irre tanzt –
Der Mond dreht sich
Im Walzertakt –
Dein Herz ist eine Flamme
Stein auf Stein
Baute ich Dein Haus
Ich trinke Deinen Wein
Aus grünen Kelchen
Dieter Radtke
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Klinke 36
Worte brechen
18.03.2014
Dein Tag im Winter –
Dein Gesicht eingesponnen
In Raureifwolle
Dein Lächeln packt mich
In Watte
Die Sommer hingegen
Gießen Dein Nichtgesagtes
Mir in die Wohnung –
Ich grüble über Deine
Träume
Es ist eine Ahnung
Du singst
Es ist ein Lied
In mir
Über Sagbares – das lange
Verschwiegen wurde
Du brichst Deine Worte
Über dem Brot
Und vermengst sie
Zum Teig des Neubeginns
Dieter Radtke
Klinke 37
Sommer auf dem Balkon
Ein Sommerabend auf dem Balkon; da ich einen
leichten Heuschnupfen habe, nutze ich ihn nur selten und außerdem liegt er zur Straße hin, was nicht
gerade idyllisch ist. Manchmal gibt es Ausnahmen –
heute Abend ist Familie S., aus Sri Lanka stammend
(wobei Herr S. einen deutschen Pass besitzt), vollständig auf dem Nachbarbalkon versammelt. Neben
Frau S. sehe ich die kleine Tochter, die mit einem
Ball spielt und den halbwüchsigen Sohn aus Herrn
S. früherer Ehe.
Herr S. winkt mir freundlich zu und gibt zu verstehen, dass er zu mir hinübergehen möchte und auch
eine Flasche Bier für mich mitnimmt.
Gerne gehe ich auf sein freundliches Angebot ein
und schon bald sitzt er mir auf meinem Balkon gegenüber und ich öffne die beiden Flaschen Bier.
Im Gespräch kommen wir auf kulturelle Unterschiede zu sprechen. In Sri Lanka sind beispielsweise Altenheime kaum bekannt; genauso wie es
bei uns noch vor wenigen Generationen allgemein
üblich war, kümmern sich dort die Erwachsenen
mittleren Alters um ihre Eltern und versorgen sie bis
zu ihrem Tod; ganze Großfamilien leben unter einem
Dach zusammen.
In der westlichen Welt dagegen haben die Vorstellungen sich verbreitet, das Individuum solle ein
freies, selbstbestimmtes Leben führen.
Auch ich bin seinerzeit in die Universitätsstadt gezogen, des beruflichen Fortkommens wegen, und
nur alle vier Wochen besuche ich meine betagte
Mutter, die in 80 Kilometern Entfernung wohnt.
Dies kann Herr S. nicht verstehen; dass ich quasi
aus seiner Sicht die Mutter im Stich lasse und
außerdem, dass ich allein lebe ohne Partnerin oder
Kinder.
19.07.2014
Ein wenig hilflos und rührend kommt es mir vor, als
er andeutet, er könne mich mit einer srilankischen
Frau verkuppeln.
Natürlich gehe ich auf dieses Angebot nicht ein;
Herrn S. Vorstellungen stammen aus einer Zeit, als
die Ehen noch arrangiert wurden von den Eltern des
Brautpaars und als die romantische Liebe noch
keine Rolle spielte.
Über dies alles reden wir bei einer Flasche Bier; Herr
S. fühlt sich fremd; er arbeitet hart in der Küche
eines Restaurants und muss Frau und zwei Kinder
versorgen. In der Abendsonne sieht er entspannt
aus; aber ich ahne, dass er abends zuviel trinkt, dass er seinen Kummer mit Alkohol betäubt.
Ein paar Jahre später wird er tot sein. Auf rätselhafte
Weise holt sich mein Nachbar eine Legionellen-Infektion, was in der Folge zu einer tödlichen Blutvergiftung führt.
Seine Witwe wird auf der Trauerfeier in Tränen aufgelöst sein; die etwa zehnjährige Tochter jedoch bemerkenswert tapfer und gefasst.
Allerdings fürchtet sie sich, in der Wohnung allein zu
sein; nach ihrem Glauben ist der Geist des Verstorbenen noch in der Wohnung präsent; es ist ein
dunkler Schatten, der sie frösteln macht, denn die
vergangenen Sommerabende auf dem Balkon sind
in der Erinnerung verblasst; nur Dunkles ist geblieben, aber vielleicht gibt es noch irgendwo ein Foto,
auf dem Familie S. an einem Sommerabend in die
Kamera lächelt.
Dieter Radtke
Irrlichter-Lesung
Das Live-Programm der preisgekrönten Zeitschrift
für Literatur und Psychiatrie in Münster „Klinke“.
AutorInnen lesen Texte und Gedichte, Vorträge und Musik
irrlichtern in entspannter Atmosphäre, nah am Wahnsinn,
unterhaltend und interessant,
fordernd und zum Lachen
Schnabulenz, Geiststraße 50, 48151 Münster
Sonntag, 19.April 2015, 18.00 Uhr
Eintritt: 7 € Vollzahler, 4 € ermäßigt
Klinke 38
Professionelle Unterstützung
Professionelle Unterstützung
Unterstützung im Umgang mit der Erkrankung
Unterstützung
im Umgang
mit der Erkrankung
Hilfe im Umgang
mit Behörden
Hilfe
im Umgang in
mitaktuellen
Behörden
Unterstützung
Krisensituationen
Unterstützung
aktuellen Krisensituationen
Beratung voninAngehörigen
Beratung
von Angehörigen
Koordination
weiterer Hilfsmaßnahmen
Koordination
Hilfsmaßnahmen
Hilfe bei derweiterer
Tagesgestaltung
und beruflicher
Hilfe
bei der Tagesgestaltung und beruflicher
Orientierung
Orientierung
Das Leistungsangebot umfasst unter anderem:
Das Leistungsangebot umfasst unter anderem:
Wer schnelle Hilfe und Beratung braucht, wendet
Wer schnelle Hilfe und Beratung braucht, wendet
sich an die Beratungsstelle des Psycho-Sozialen
sich an die Beratungsstelle des Psycho-Sozialen
Zentrums.
Zentrums.
Eine Beratung kann nach telefonischer oder
Eine Beratung kann nach telefonischer oder
persönlicher Terminabsprache kurzfristig
persönlicher Terminabsprache kurzfristig
erfolgen.
erfolgen.
Erste klärende Gespräche helfen, ProblemErste klärende Gespräche helfen, Problemsituationen zu überblicken, Lösungsschritte
situationen zu überblicken, Lösungsschritte
vorzubereiten und weitergehende Hilfsangebote
vorzubereiten
und weitergehende Hilfsangebote
kennen zu lernen.
kennen zu lernen.
Psycho-SozialeBeratung
Beratung
Psycho-Soziale
Ferner möchten wir mit unserem Angebot
Ferner
möchten wirMenschen
mit unserem
Angebot
„Frühberatung“
und deren
Angehörige
„Frühberatung“
Menschen
und
deren
Angehörige
erreichen, die zum ersten Mal mit psychischer
erreichen,
zum ersten
MalZiel
mitist
psychischer
Krankheitdie
konfrontiert
sind.
es dabei,
Krankheit
konfrontiert
sind. Ziel
ist es dabei,Hilfen
durch möglichst
frühzeitige
professionelle
durch
Hilfen
eine möglichst
krisenhaftefrühzeitige
Zuspitzungprofessionelle
psychischer Erkraneine
krisenhafte
Zuspitzung psychischer Erkrankung
zu vermeiden.
kung
vermeiden. Beratung ist kostenfrei.
Die zu
Psycho-Soziale
Die Psycho-Soziale Beratung ist kostenfrei.
Persönliche Gespräche
Persönliche Gespräche
Psycho-SozialeBeratung
Beratung
Psycho-Soziale
Betreutes
Wohnen
Betreutes Wohnen
AmbulantePsychiatrische
PsychiatrischePflege
Pflege
Ambulante
Freizeitund
Kontaktmöglichkeiten
Freizeit- und Kontaktmöglichkeiten
DieAufgabenbereiche
Aufgabenbereicheder
derEinrichtung
Einrichtungumfassen
umfassen
Die
DasZentrum
Zentrumbietet
bietetMenschen
Menschenmit
mitpsychischer
psychischerErkrankung
Erkrankung
Das
unterschied
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Hilfen
in
verschiedenen
Lebensbereichen.
unterschiedliche Hilfen in verschiedenen Lebensbereichen.
Nebenpädagogischen
pädagogischenund
undpflegerischen
pflegerischenFachkräften
Fachkräften
Neben
sind
zahlreiche
ehrenamtliche
Mitarbeiter/innen
und
sind zahlreiche ehrenamtliche Mitarbeiter/innen und
Praktikanten
im
Psycho-Sozialen
Zentrum
tätig.
Praktikanten im Psycho-Sozialen Zentrum tätig.
Psycho-Soziale
Zentrum
eine
Kontakt-und
undBeratungsstelle
Beratungsstellefür
fürpsychisch
psychischerkrankte
erkrankteMenschen.
Menschen.
DasDas
Psycho-Soziale
Zentrum
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Kontaktversteht
sich
bürgernahes
gemeindepsychiatrischesAngebot.
Angebot.Gesellschafter
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der
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versteht
sich
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bürgernahes
gemeindepsychiatrisches
Förderkreis
Sozialpsychiatrie
e.V.
und
dasDiakonische
DiakonischeWerk
WerkMünster
Münstere.V..
e.V..
Förderkreis
Sozialpsychiatrie
e.V.
und
das
DasPsycho-Soziale
Psycho-SozialeZentrum
Zentrum
Das
Klinke 39
Leistungsträger ist der überörtliche Träger der
Leistungsträger
ist der überörtliche WestfalenTräger der
Sozialhilfe, der Landschaftsverband
Sozialhilfe,
der Landschaftsverband WestfalenLippe.
Lippe.
regelmäßige Hausbesuche
regelmäßige Hausbesuche
Einzel- und Gruppengespräche
Einzel- und Gruppengespräche
Hilfe bei der Alltagsbewältigung
Hilfe
bei der Alltagsbewältigung
Unterstützung
in Behördenangelegenheiten
Unterstützung
in Behördenangelegenheiten
Hilfe beim Aufbau
einer Tagesstruktur
Hilfe
beim
einer Perspektive
Tagesstruktur
Klärung
derAufbau
beruflichen
Klärung
der
beruflichen
Perspektive
Unterstützung in der Gestaltung sozialer
Unterstützung
Beziehungen in der Gestaltung sozialer
Beziehungen
Sicherstellung der medizinischen Behandlung
Sicherstellung
der medizinischen
Behandlung
Erkennen und Auffangen
von Krisensituationen
Erkennen und Auffangen von Krisensituationen
Die Betreuungsleistungen umfassen unter
Die Betreuungsleistungen umfassen unter
anderem:
anderem:
Die
DieAmbulante
AmbulantePsychiatrische
PsychiatrischePflege
Pflegeunterstützt
unterstützt
psychisch
erkrankte
Menschen
psychisch erkrankte Menscheneinmal
einmaloder
odermehrmehrmals wöchentlich in ihrer häuslichen Umgebung.
mals wöchentlich in ihrer häuslichen Umgebung.
Die Ambulante Psychiatrische Pflege kann nach
Die Ambulante Psychiatrische Pflege kann nach
Verordnung durch einen Facharzt für Psychiatrie
Verordnung durch einen Facharzt für Psychiatrie
umgehend tätig werden.
umgehend tätig werden.
Intensivere Hilfe
Hilfe bietet
bietet das
Intensivere
das Betreute
Betreute Wohnen
Wohnen in
in
einer
Wohngemeinschaft
oder
allein
in
einer Wohngemeinschaft oder allein in einer
einer eigeeigenen Wohnung. Es handelt sich um ein am indivinen
Wohnung. Es handelt sich um ein am individuellen Hilfebedarf orientiertes und verbindlich
duellen Hilfebedarf orientiertes und verbindlich
vereinbartes ambulantes Betreuungsangebot.
vereinbartes ambulantes Betreuungsangebot.
Ziel ist, der betreuten Person Möglichkeiten der
Ziel ist, der betreuten Person Möglichkeiten der
persönlichen Entwicklung zu Eigenständigkeit
persönlichen Entwicklung zu Eigenständigkeit
und Selbstverantwortung zu bieten.
und Selbstverantwortung zu bieten.
Leistungsträger sind die Krankenkassen
Leistungsträger
sindTräger
die Krankenkassen
und
der überörtliche
der Sozialhilfe,
undLandschaftsverband
der überörtliche Träger
der Sozialhilfe,
der
Westfalen-Lippe.
der Landschaftsverband Westfalen-Lippe.
bei der Sicherstellung einer fachgerechten
bei der Sicherstellung einer fachgerechten
medizinischen Behandlung
medizinischen Behandlung
bei der Alltagsbewältigung
bei der Alltagsbewältigung
bei der Tages- und Freizeitstrukturierung
bei der Tages- und Freizeitstrukturierung
in Krisensituationen
in Krisensituationen
durch
entlastende Gespräche
durch entlastende Gespräche
Unser Team von qualifizierten Pflegekräften
Unser Team von qualifizierten Pflegekräften
unterstützt:
unterstützt:
Ambulante
AmbulantePsychiatrische
PsychiatrischePflege
Pflege
Hausbesuche
Hausbesuche
Betreutes Wohnen
Wohnen
Betreutes
Begleitung im
im Alltag
Alltag
Begleitung
Sollten Sie Interesse an
an unseren
unseren Angeboten
Angebotenhaben,
haben,kommen
kommen
Sie vorbei oder rufen Sie
Sie uns
uns an!
an! Tel.
Tel. 02
0251–
51–3399
9937
37- -00
Freizeit- und Kontaktmöglichkeiten
Unser Café am Dienstag, Mittwoch, Donnerstag
und Samstag und das Frauencafé am Montag
bieten Besuchern die Möglichkeit zur Freizeitgestaltung und Tagesstrukturierung. Zahlreiche
Treffs, Gruppenangebote (z.B. Sportgruppen,
Zeitungsgruppe, Gesprächsgruppen) und Ausflugsfahrten ergänzen das Angebot des Cafés.
Bei uns können Sie:
Neue Menschen kennenlernen
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Beratung
Mo - Do
9.00 - 13.00 u. 14.00 - 18.00
Fr
9.00 - 13.00 u. 14.00 - 17.00
Darüber hinaus
Mo
18.00 - 21.00
telefonisch
Di u. Mi
18.00 - 20.00
erreichbar
Sa
15.00 - 18.00
Freizeitbereich
Frühstückstreff
Mo u. Do
10.00 - 12.00
Frauencafé
Mo
18.00 - 21.00
Café
Di u. Mi
17.00 - 20.00
Do
15.30 - 18.00
Sa
15.00 - 18.00
Ausflüge
Do
14.30 - 17.30
Termine der Gruppenangebote bitte telefonisch erfragen.
So finden Sie uns!
ten
ntaktmöglichkei
Freizeit- und Ko
atrische Pflege
Ambulante Psyc
hi
Psycho-Soziales Zentrum Münster gGmbH
nen
Betreutes Woh
Beratung
Psycho-Soziales Zentrum
mit psychischer Erkrankung
Hilfe für
Menschen
Psycho-Soziale
Klinke 40
andere Menschen kennen lernen
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