Ein Blick in`s Buch - Michael Imhof Verlag

INHALT
8
Grußwort
Helmut Müller
9
Vorwort und Dank
Manfred Großkinsky
137
Von bildender Kunst und Poesie –
Erzählen und Erzähltes in Bildern der Romantik
Irene Haberland
Kat. Nr. 72–97
173
Vom Empfinden und Erforschen der eigenen
Umgebung. Landschaft und Heimat in der Kunst
der Romantik im Rhein-Main-Gebiet
Mareike Hennig
Kat. Nr. 98–133
217
Frankfurt am Main, die „heimliche Hauptstadt“
der Nazarener
Michael Thimann
Kat. Nr. 134–143
11
Romantik im Rhein-Main-Gebiet
„Der Himmel so nahe die Welt so weit“
Mareike Hennig
21
Netzwerke der Romantik im Rhein-Main-Gebiet.
Förderer – Sammler – Auftraggeber
Birgit Sander
31
Zur Topographie der Romantik
Orte und Imaginationsräume romantischer Malerei
Johannes Grave
235
Fernweh! Künstler der Romantik auf Reisen
Susanne Wartenberg
Kat. Nr. 144–162
Zeichnung der Romantik im Rhein-Main-Gebiet
Mareike Hennig
Kat. Nr. 1–27
265
Künstlerbiographien
282
289
290
290
291
294
Anhang
Bibliographie
Abbildungs- und Fotonachweis
Abkürzungsverzeichnis
Autorenkürzel
Personenregister
Impressum
41
75
109
Lotte am Fenster: Innere Versenkung und stille
Einkehr in einem Interieur Ludwig Emil Grimms
Anne Hemkendreis
Kat. Nr. 28–51
Freundschaft als romantisches Bildmotiv
Alexander Bastek
Kat. Nr. 52–71
7
GRUSSWORT
VORWORT UND DANK
Helmut Müller
Manfred Großkinsky
nter dem benannten Schwerpunktthema des Kulturfonds
Frankfurt RheinMain „Impuls Romantik“ fanden seit 2012,
und finden noch bis Sommer 2015, zahlreiche Aufführungen,
Ausstellungen, Lesungen und Konzerte statt: Insgesamt 46 geförderte Projekte belegen die bedeutende Rolle der Romantik
in der Region Rhein-Main. So ging es um mehr als das bloße
Abbilden einer kunsthistorischen Epoche: Die Projekte haben
gezielt dazu beigetragen – gemeinsam mit der Diskussion um
den Bau eines Romantikmuseums – dass sich die Region der
prägenden Kraft dieser Epoche bewusst geworden ist.
Seinen Abschluss findet der temporäre Schwerpunkt nun in der
Ausstellung „Romantik im Rhein-Main-Gebiet“. Die Sonderausstellung bietet einen umfassenden Einblick in die unterschiedlichsten Darstellungsformen romantischer Kunst des 19.
Jahrhunderts in der Region – rund um die Städte Frankfurt,
Darmstadt, Mainz, Wiesbaden sowie den Odenwald und die
Schwälmer Landschaft. Neben den Werken bekannter Maler
wie Peter Cornelius, Philipp Veit, Edward Jakob von Steinle und
Johann Heinrich Schilbach präsentiert die Schau auch Künstler,
deren Schaffen es neu zu entdecken gilt. Insgesamt fassen über
150 Werke die Kunst der Romantik im Rhein-Main-Gebiet es-
U
8 Grußwort
senziell zusammen und spiegeln eine romantische Gesellschaft
in Zeiten des Auf- und Umbruchs wieder.
Ich gratuliere dem engagierten Team des MUSEUM GIERSCH
der GOETHE-UNIVERSITÄT unter der Leitung von Dr. Manfred
Großkinsky zu dieser anregenden Ausstellung! Die Schau lädt
mit begleitenden Vorträgen, Exkursionen und einem abwechslungsreichen Kinder- und Familienprogramm Jung und Alt auf
eine Entdeckungsreise ein.
Darüber hinaus möchte ich betonen, dass das Stifterpaar, Senatores Karin und Professor Carlo Giersch, mit dem MUSEUM
GIERSCH der GOETHE-UNIVERSITÄT ein Kleinod geschaffen haben: So leistet das Museum seit über 15 Jahren mit zwei großen
Sonderausstellungen pro Jahr wichtige Beiträge zur Erforschung
kunst- und kulturhistorischer Themen in der Rhein-Main-Region
des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich von der Ausstellung „Romantik
im Rhein-Main-Gebiet“ verzaubern lassen und gleichzeitig neue
regionale Perspektiven der Romantik kennenlernen!
Dr. Helmut Müller
Geschäftsführer des Kulturfonds Frankfurt RheinMain
it der ersten Ausstellung als „MUSEUM GIERSCH der
GOETHE-UNIVERSITÄT“ widmen wir uns der „Romantik
im Rhein-Main-Gebiet“ und leisten mit diesem anspruchsvollen
und facettenreichen Thema einen weiteren wichtigen Beitrag zur
Aufarbeitung der Kunst- und Kulturgeschichte der Region.
Das allgemeine Verständnis von Romantik trägt recht eindimensionale Züge und basiert im Wesentlichen auf kanonisierten,
mehrheitlich gefühlsbetonten Projektionen. Aber „Romantik“
umfasst weit mehr als klischeebehaftete Stimmungspotentiale.
In diesem Begriff sammeln sich vielfältige und auch widersprüchliche Teilaspekte einer Epoche, die in der bildenden Kunst
vom späten 18. bis weit über die Mitte des 19. Jahrhunderts
reichte und deren Impulse bis in die Gegenwart fortleben.
In der Frühphase des 19. Jahrhunderts sahen sich die bildenden
Künstler durch die Auswirkungen der Französischen Revolution,
die anschließende napoleonische Ära und die Restauration mit
der größten Umbruchsphase der Neuzeit konfrontiert. Und sie
reagierten auf diese gravierenden Veränderungen und Entwicklungen. Mehr oder weniger im Bewusstsein ihrer Individualität,
Subjektivität und historischen Situation, versuchten sie Antworten zu geben auf die Herausforderungen der Zeit – und zwar
auf künstlerisch ganz unterschiedliche Weise: Die einen orientierten sich an traditionellen Sujets und übertrugen diese in eine
zeitgemäße Bildsprache, die anderen sprengten konventionelle
Kompositionsmuster sowie Motivschemata und erklärten eigene
Wahrnehmungserlebnisse, Seherfahrungen sowie ihre ganz
persönliche Vorstellungskraft zum Maßstab ihres Kunstschaffens. Ungeachtet der jeweiligen künstlerischen Positionen einte
sie alle die Begeisterung und der Wille, ihren Wertvorstellungen
und ihrer Sicht der Dinge durch adäquate bildkünstlerische Gestaltungen Ausdruck zu verleihen. Dieses Potential an politischen, religiösen, idealistischen, patriotischen, revolutionären,
naturgebundenen, visionären und literarischen Inhalten erklärt
das facettenreiche künstlerische Erscheinungsbild der Romantik.
Während in den üblicherweise mit der Romantik in Verbindung
gebrachten Städten wie Dresden, Hamburg, Heidelberg oder
Jena einzelne herausragende Künstlerpersönlichkeiten das Erscheinungsbild der Romantik dominieren, zeichnet sich die „Romantik im Rhein-Main-Gebiet“ gerade durch die angesprochene Heterogenität sowohl im Kunstschaffen als auch bei den
M
Kunstschaffenden aus. Dieses heterogene Spektrum auszubreiten ist Ziel unserer Ausstellung!
Angeregt und gefördert wurde unsere Ausstellung durch den
Kulturfonds Frankfurt RheinMain, der 2012 für die regionalen
Kultureinrichtungen das Thema „Impuls Romantik“ initiierte.
Bei dem Geschäftsführer des Kulturfonds Dr. Helmut Müller
und seinem Team bedanken wir uns vielmals für die Unterstützung und die überaus angenehme Zusammenarbeit.
Dank großzügigen Entgegenkommens durch 25 öffentliche
und 15 private Leihgeber konnte das ambitionierte Projekt realisiert werden. Kollegialen Dank spreche ich den Kolleginnen
und Kollegen aus, die ihre Sachkenntnisse in die Katalogaufsätze haben einfließen lassen: Dr. Alexander Bastek, Prof. Dr.
Johannes Grave, Dr. Irene Haberland, Dr. des. Anne Hemkendreis, Dr. Mareike Hennig, Dr. Birgit Sander, Prof. Dr. Michael
Thimann und Susanne Wartenberg M. A. Mein herzlichster
Dank geht an das Museumsteam, das höchst professionell und
in bewährter Weise die gestellte Aufgabe meisterte: An erster
Stelle nenne ich die Projektleiterin und Kuratorin der Ausstellung
Dr. Mareike Hennig, die ein der komplexen Vielfalt der Romantik
entsprechendes Konzept entwickelte und die inhaltlichen sowie
formalen Themen unter phänomenologischen Aspekten in den
Blick nahm. Bei der Umsetzung von Ausstellung und Katalog
halfen Dr. Birgit Sander, Susanne Wartenberg M. A., Dipl. Kffr.
Christine Karmann und Carina Matschke M. A. sowie Dipl. Rest.
Anja Damaschke und Haustechniker Werner Söder. Dankenswerterweise erfuhren wir in der Endphase Unterstützung durch
unsere engagierten Praktikanten Linda Baumgartner, Melanie
Blaschko, Kristina Schulz und Jasper Warzecha.
Eine besondere Erwähnung gebührt der STIFTUNG GIERSCH,
die nicht nur die Ausstellung und den Katalog finanzierte, sondern für die nächsten 30 Jahre mit einer jährlichen Finanzierung
von 500.000,- Euro die Arbeit des Museums auch unter neuer
Trägerschaft gewährleisten wird. Unser herzlicher Dank richtet
sich an das Stifterehepaar Senatores Karin und Professor Carlo
Giersch sowie an den Stiftungsvorstand Dipl. Kfm. Stephan
Rapp.
Dr. Manfred Großkinsky
Leiter MUSEUM GIERSCH der GOETHE-UNIVERSITÄT
Vorwort und Dank 9
ROMANTIK IM RHEIN-MAIN-GEBIET
„DER HIMMEL SO NAHE DIE WELT SO WEIT“
Mareike Hennig
in kleinteilig zersplitterter und politisch in schneller Folge
immer wieder neu geordneter Raum machte im frühen 19.
Jahrhundert das Gebiet des heutigen Deutschlands aus. Bis
1806 existierte das Heilige Römische Reich Deutscher Nation,
bis 1814 der Rheinbund und nach den Befreiungskriegen und
dem Wiener Kongress 1814/15 bestand bis 1866 der Deutsche
Bund. Innerhalb dieses uneinheitlichen Raumes war das RheinMain-Gebiet besonders stark zergliedert. In jenem Gebiet zu
dieser Zeit nach etwas zu suchen, das mit dem gemeinsamen
Namen der „Romantik“ benannt werden kann, scheint angesichts sich immer wieder ändernder topographischer, politischer
und gesellschaftlicher Zustände schwierig. Bezieht man den Begriff „Romantik“ auf die bildenden Künste, fächert sich auch
hier die Bandbreite des Heterogenen noch einmal auf: Unterschiedliche Ausbildungsformen und Interessenslagen der Auftraggeber, diverse „Einsatzgebiete“ der Kunst, divergierende
gesellschaftliche Positionen der Künstler in dem jeweiligen Gebiet und deren eigenes Selbstverständnis prägen die Kunst der
Zeit in diesem Raum auf vielfältige Weise.
Das Rhein-Main-Gebiet dennoch als etwas Zusammengehöriges zu betrachten, liegt weniger an statischen Gegebenheiten
als vielmehr an deren Gegenteil: Es ist eine Region der Bewegung, des Austausches, des steten Wandels. Dies verdeutlichen
schon die beiden Flüsse im Namen. Leicht hierher kommen zu
können, bedeutete zugleich, die Region auch leicht wieder
verlassen zu können. Tatsächlich hielten sich viele einflussreiche
Künstler nur ein paar Jahre oder eine Lebensphase lang im
Rhein-Main-Gebiet auf. Publikum und Kollegen vor Ort, seit
Langem auf ein schnelles Aufnehmen „durchreisender“ Anregungen spezialisiert, eigneten sich diese gleichwohl zügig und
vielfältig an. So blieben regionale Entwicklungen und Anstöße
von außen stets in Balance. Auch fließende Grundstrukturen
können Gemeinsamkeit konstituieren. Für die Kunst muss dieses dezentrale Element nicht Beliebigkeit, es kann ebenso gut
Freiheit bedeuten.1
Was eine solche kleinteilige und wandelbare topographischsoziologisch-politische Lage jedoch erschwerte, vielleicht sogar
ausschloss, war die klar umrissene, homogene Ausprägung ei-
E
ner Bewegung mit einem festen Namenskanon. Dies führte dazu, dass sich bislang für eine Rhein-Main-Romantik, im Gegensatz zur Rhein-Romantik, keine verbindliche Definition finden
ließ, anders als bei einer Dresdener, Heidelberger oder Berliner
Romantik. Von diesen – bei allen individuellen Eigenarten – in
sich homogenen Strömungen grundsätzlich verschieden, bedarf
es für die Definition einer Rhein-Main-Romantik anderer Herangehensweisen und Beschreibungsformen.
Dichter, Komponisten, Maler. Romantiker im RheinMain-Gebiet
Erste Versuche in diese Richtung verdeutlichen, dass die Romantik im Rhein-Main-Gebiet eine durchaus prägende Kraft
war, durch alle Gattungen der Künste und die Gesellschaft hindurch.2 Unter den Literaten finden sich hier so wichtige Namen
wie Karoline von Günderrode (1780–1806), die einer Frankfurter Familie entstammenden Geschwister Clemens (1778–
1842) und Bettine Brentano (1785–1859) oder die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm (1785–1863/1786–1859), die in Hanau, Steinau und Kassel lebten. Auch Friedrich Hölderlin (1770–
1843), der wichtige Jahre in Frankfurt und Bad Homburg verbrachte, gehört dazu. Der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847) heiratete 1837 in Frankfurt Cécile Jeanrenaud (1817–1853) und hielt sich in den folgenden Jahren
oft in der Stadt und mehrere Sommer im Taunus auf, wo er
komponierte und sich etwa mit August Heinrich Hoffmann
von Fallersleben (1798–1874) und Ferdinand Freiligrath (1810–
1876) traf (Abb. 1).3
Literatur, Musik und Kunst gingen enge Verbindungen ein, die
nicht zuletzt auch persönlich engen Beziehungen geschuldet
waren: So leitete Mendelssohns Cousin Philipp Veit (1793–
1877), Sohn Dorothea Schlegels (1764–1839), seit 1830 die
Gemäldegalerie und die Schule des Städelschen Kunstinstituts.
Mit ihm fand eine zweite Generation nazarenischer Maler eine
Heimat am Main.4 Diese Künstler bildeten durchaus eine in sich
geschlossene Gruppierung. Doch standen sie – schon in ihrem
direkten räumlichen Umfeld und erst recht über dieses hinaus
– inmitten einer solchen Fülle künstlerischer Intentionen und
Romantik im Rhein-Main-Gebiet 11
München und Düsseldorf waren die bevorzugten Orte. In München unterrichtete seit 1825 Peter Cornelius (1783–1867), der
auf romantisch ambitionierte junge Künstler große Anziehungskraft ausübte. Cornelius gehörte zur ersten Generation der Nazarener. Er lebte von 1811 bis 1819 in Rom und brachte von
dort einen neuen Geist mit. Peter App (1803–1855), August
Lucas (1803–1863), Carl Sandhaas (1801–1859) und Carl Engel,
gen. von der Rabenau (1817–1870) zog er aus dem Darmstädter Umkreis an. Georg Bode (1801–1881) kam aus Hanau, Wilhelm Lindenschmit (1806–1848) aus Mainz. Gustav Canton
(1813–1885) hingegen und Carl Morgenstern (1811–1893),
die aus Mainz beziehungsweise Frankfurt 1832 nach München
gingen, studierten hier – etwa zehn Jahre später als die zuvor
Genannten – im Umfeld von Carl Rottmann (1797–1850) und
Johann Georg von Dillis (1759–1841). Auch Carl Ludwig Seeger
(1808–1866), der wie Morgenstern und Canton eine Vorliebe
für die Ölskizze hatte, war vor seiner Zeit als Leiter der Großherzoglichen Zeichenschule in Darmstadt Schüler Rottmanns.
München zog Künstler aus der gesamten Region an. Es stand
Abb. 6
Johann Wilhelm Schirmer: Landschaft mit Waldkapelle, um 1829,
Öl auf Leinwand, 103,5 x 85,5 cm, Privatbesitz
für ein römisch geprägtes Nazarenertum mit feiner Zeichnung
und sensiblem Gestus, das vor allem die jungen Künstler mit
ihrer Sehnsucht nach Italien anzog, und etwas später für die
Anfänge der Freilichtmalerei. Beide Aspekte gewannen in einer
Rhein-Main-Romantik großes Gewicht.
Die Düsseldorfer Akademie trat etwas später in Erscheinung.
Auch hier hatte Cornelius bereits seit 1821 eine Professur inne,
doch lag für die Künstler des Rhein-Main-Gebietes das Augenmerk seit den 1830er Jahren eher auf der Landschafts- und der
frühen Genremalerei, wie sie Johann Wilhelm Schirmer (1807–
1863, Abb. 6) und Carl Friedrich Lessing (1808–1880) vertraten.
Einige der früheren Münchener Studenten, wie App und Engel,
erweiterten ihren Horizont später in Düsseldorf. Jakob Becker
(1810–1872) kam nach einer Frankfurter Lehre, Johann Christian Heerdt (1812–1878) erhielt 1836 gar ein Stipendium des
Städelschen Kunstinstituts für Düsseldorf, von wo er aber noch
im gleichen Jahr zurückkehrte und Heinrich Funk (1807–1877)
sowie Rethel mitbrachte. Die Beziehung der Region zu Düsseldorf war eng und zeigte sich in einer Vorliebe für genrehafte
Dorfszenen und inszenierte Landschaften, die sich in der Kunst
des Rhein-Main-Gebietes häufig finden.
Dresden mit seiner langen akademischen Tradition, Berlin, wo
seit 1831 Carl Blechen (1798–1840) eine Professur für Landschaftsmalerei innehatte, oder gar Kopenhagen, Ausbildungsort
vieler norddeutscher Romantiker, waren keine relevanten Bezugspunkte für das Rhein-Main-Gebiet.13 Dies ist nicht allein
mit räumlicher Distanz zu erklären, vielmehr schien die Ausrichtung der Akademien in München und Düsseldorf aus der
Perspektive der Rhein-Main-Künstler näher an neueren Tendenzen der Kunst zu liegen und das Akademische – das nicht
zuletzt die präsenten Nazarener in Verruf gebracht hatten –
weniger im Vordergrund zu stehen.
Ferne und regionale Ideale
Wichtiger als akademische Ausbildungsstätten waren also die
dort verhandelten Themen, wichtiger als die schulische Ausbildung das eigene Erproben. Einer der zentralen Bezugspunkte
für die Künstler des Rhein-Main-Gebietes blieb daher Rom – in
den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ein internationaler
Treffpunkt der Künstler. Die deutschen Maler lebten hier in enger Gemeinschaft.14 Zwar gab es einzelne Gruppierungen, doch
blieben die Grenzen durchlässig. Fohr etwa hielt in seinen römischen Jahren von 1816 bis 1818 Kontakt zu den Nazarenern
und teilte sich zugleich ein Atelier mit dem Deutschrömer Joseph Anton Koch (1768–1839).
Das gemeinsame und zugleich selbständige Erarbeiten neuer
Methoden, Perspektiven und Sujets blieb das Ideal mehrerer
Generationen, ebenso der kontinuierliche, intensive Austausch
16 Mareike Hennig
Abb. 7
Carl Morgenstern:
Felsblöcke im Meer bei
Terracina, 1836, Öl auf
Pappe, 25,2 x 38,1 cm,
Privatbesitz
über alte und zeitgenössische Kunst. Viele dieser beliebten
Strukturen wurden folgend auch im Rhein-Main-Gebiet umgesetzt, und zwar immer außerhalb der Institutionen. Veit gründete seinen „Componierverein“15 erst nach seinem Bruch mit
dem Städelschen Kunstinstitut gemeinsam mit seinen Schülern
im Deutschherrenhaus. Hier klingen Parallelen zu Sant’ Isidoro
an, dem römischen Kloster, in dem die erste Generation der
Nazarener gemeinsam lebte und arbeitete. Lucas, App, Jakob
Felsing (1802–1883) und Freunde veranstalteten zusammen
Aktkurse und debattierten über Kunst.16 Auch das gemeinsame
Zeichnen auf Wanderungen in der Heimat hatte ein Pendant
in den Wanderungen deutscher Künstler in Rom. Es ging dabei
nicht um Nachahmung, sondern um das Etablieren eines persönlich als richtig empfundenen, nicht vorgegebenen Zugangs
zu einer zeitgenössisch-relevanten Kunst am eigenen Lebensort.
Andere Orte und Institutionen lieferten Themen und Strukturen,
umgesetzt wurden sie in der Rhein-Main-Romantik mit einer Individualität, die die Freiheit des offenen Gebietes ebenso spüren
ließ wie die Energie der Freiwilligkeit, die diese Initiativen trug.
Rhein-Main-Romantik
Rhein-Main-Romantik ist weder ein homogen beschreibbares
Phänomen in einem zeitlich vorgegeben Rahmen, noch setzt
sie sich aus Einflüssen zusammen, die wie Importe aus anderen
Orten kamen. Rhein-Main-Romantik ist vielmehr das, was sich
in einem Freiraum entwickeln konnte, in dem institutionelle
Vorgaben kein übergreifend dominantes Gewicht hatten und
so vielfältige Strömungen zuließen. Zu fragen bleibt, was dieser
Freiraum erlaubte, was er erforderte und was die wichtigen
Themen der Künstler waren.
Über unterschiedliche Strömungen und Einzelwerke hinweg ist
der Kunst der Romantik im Rhein-Main-Gebiet eine große Unmittelbarkeit zu eigen und das Anliegen, den Dingen nahe zu
kommen. Dies konkretisierte sich auf so unterschiedlichen Ebenen wie Motivik, Technik oder übergeordneten Fragen nach der
Position des Künstlers und der Gesellschaft. Beständig – auch
von ganz unterschiedlichen Seiten – wiederkehrende Themen
sind: 1. Heimat – in Form von Landschaft, aber auch von Menschen; 2. der Blick auf sich selbst und auf nahestehende Personen – oft nahsichtig und reduziert; 3. der private Raum – als Interieur oder in kleinen, bekannten Winkeln; 4. Gemeinschaft –
als familiäre oder freundschaftliche Gruppe ebenso wie als idealistische und politische Verbindung; 5. die Ferne – verbunden
mit persönlichem Fernweh, der Sehnsucht nach dem Fremden,
das in der eigenen Person angelegt ist und ein Gegengewicht
zu den intimen Szenen der Heimat bildet; 6. „Erlösung“ – die
nicht allein die Religion bietet; 7. ein Hang zum Erzählen – von
Literatur, die dem Künstler nahe war, ebenso wie von selbst erdachten und malerisch umgesetzten Geschichten.
Durch bestimmte Techniken ließ sich das subjektive Potential
dieser Themen steigern: In Ölskizzen ließen sich Eindrücke schnell
und mit großer Nähe zum eigenen Erleben festhalten (Abb. 7).17
Die Bleistiftzeichnung war das bevorzugte Mittel gemeinschaftlichen Arbeitens bei Zusammenkünften oder Wanderungen,
Romantik im Rhein-Main-Gebiet 17
84
29
30
Ludwig Emil Grimm (1790–1863)
Ludwig Emil Grimm (1790–1863)
Charlotte Hassenpflug, geb. Grimm, 1833
Der Lotte ihre Stube, 1821
Öl auf Leinwand, 34 x 28 cm
Öl auf Leinwand, 37,7 x 28,8 cm
Unbez.
Bez. l. u.: Der Lotte ihre Stube. Cassel den 2t Octb. 1821. LG px.
Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen,
Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen,
Inv. Nr. 1.1.17
Inv. Nr. 1.1.149
Lit.: Koszinowski/Leuschner 1990, Bd. 1, S. 392, Ö 21, Abb. S. 206.
Lit.: Koszinowski/Leuschner 1990, Bd. 1, S. 387, Ö 10, Abb. S. 388.
85
67
Georg Wilhelm Bode (1801–1881)
Selbstporträt, 1827
Öl auf Leinwand, 82,7 x 58,6 cm
Bez. r. u.: G. W. Bode 1827
Haus der Stadtgeschichte, Offenbach am Main, Inv. Nr. K/8658
Georg Wilhelm Bode war Maler, Lithograph und Turnlehrer, eine
Gründer der politisch agierenden Turnerbewegung, engagierte er
Kombination, die im Vormärz ein politisches Statement bedeutete.
sich selbst in der Offenbacher Turnerbewegung.
Tatsächlich vertrat Bode klare Ideale, sowohl in künstlerischer als
Politisches Engagement fand sich bei den Romantikern im Rhein-
auch in politischer Hinsicht. Einen Eindruck davon vermittelt sein
Main-Gebiet häufig. Carl Philipp Fohr verkehrte im Kreis der revo-
bemerkenswertes Selbstporträt aus dem Jahr 1827.
lutionären Heidelberger Studenten. Mit diesen personell verbunden
Die starke Präsenz des Bildes entsteht nicht allein durch seine auf-
waren die „Gießener-“ beziehungsweise „Darmstädter Schwarzen“,
fallende Größe. Die Nähe des Dargestellten und seine mehr als halb-
zu denen Künstler wie Friedrich Maximilian Hessemer (Kat. Nr. 160)
figurige Ausführung kommen ebenso hinzu wie die aufrechte Hal-
und Carl Sandhaas (Kat. Nr. 13, 56, 64) Kontakte pflegten. Und
tung, die Frontalität des Kopfes und der direkte Blick auf den Be-
auch in Rom trugen die Künstler den „deutschen Rock“ als Tracht
trachter. Bode steht an einem geöffneten Fenster von Schloss Kes-
mit politischer Aussage. Diese Haltung hatte Einfluss auf ein neues
selstadt. Von hier geht der Blick über den Main auf Hanau. Die weite
Künstlerselbstbild. 1828 kamen zum 300. Todestag Albrecht Dürers
Aussicht und die erhöhte Position versetzen den Maler in eine gleich-
in Nürnberg hunderte Künstler zu einem Fest zusammen, von dem
sam erhabene Position.
Cornelius im Vorfeld sagte, „das soll unser Wartburgfest werden“1.
Zwar hält Bode in seiner rechten Hand einen Stift und in seiner
In der Rückbesinnung auf Dürer lag politische Sprengkraft, ein na-
linken ein Skizzenbuch und stellt so die Zeichen seiner Künstlerschaft
tionaler Kunstverein sollte in diesen Tagen gegründet werden. Mit
aus, doch liegt zugleich ein repräsentativer Gestus in der Haltung
der Säkularisierung und der schrumpfenden Bedeutung der Höfe
des angewinkelten Armes mit der lässig und souverän in die Hüfte
hatten die Künstler starke Bezugspunkte verloren. Es galt, sich neu
gestützten Hand. Es ist ein selbstbewusstes Bild, das doch über per-
zu definieren, nicht zufällig entstanden zu dieser Zeit zahlreiche
sönliche Eitelkeit hinausgeht. Entstanden im Zusammenhang mit
Künstlerselbstporträts. Die Dürerfeier trug zur Etablierung des Bildes
seiner Hochzeit und für seine Frau, präsentierte sich Bode auf der
vom freien, selbstbewussten Künstler bei.
Höhe seiner Laufbahn und im Bewusstsein seines Könnens. Doch
Ob Georg Bode zum Dürerfest reiste, ist nicht überliefert, dass er
zeigte er sich gleichzeitig als Vertreter einer Künstlergeneration, die
davon wusste, jedoch nicht zu bezweifeln. Sein Selbstporträt, kurz
sich zu dieser Zeit mit der Entwicklung eines neuen Selbstverständ-
vor dem Fest und in der allgemeinen Begeisterung für Dürer ent-
nisses auseinandersetzte.
standen, bezieht sich deutlich auf den Meister, speziell auf dessen
Bode kam in München bei Peter Cornelius in Berührung mit naza-
Selbstbildnis von 1500 in der Alten Pinakothek, München. Bode
renischer Kunst, die ihn nachhaltig beeindruckte. Bis zu seiner Nie-
stellte sich wie Dürer frontal dem Betrachter gegenüber, mit direk-
derlassung in Offenbach 1830 und noch in der ersten Zeit hier ent-
tem Blick und gescheiteltem, lang gelocktem Haar, und er trägt
standen meist Porträts. Doch verlegte sich Bode bald auf die noch
mit dem schwarzen Rock die altdeutsche Tracht. War Dürers Porträt
relativ junge Drucktechnik der Lithographie und gründete eine
durch seinen Rückgriff auf die Christusikonographie revolutionär,
Werkstatt. Lithographien waren ein wichtiges Medium für Flugblät-
so zeigt Bodes doppelter Rückgriff die eigene selbstbewusste Hal-
ter, auch Georg Büchners „Hessischer Landbote“ wurde in den
tung ebenso wie die einer ganzen Generation.
MH
Offenbacher Werkstätten gedruckt. Bodes freiheitlich-nationale Haltung ist offensichtlich. Befreundet mit Friedrich Ludwig Jahn, dem
130
1 Zit. nach Büttner 1980/99, Bd. 2, S. 44.
131
170
95
96
97
Leopold Bode (1831–1906)
Leopold Bode (1831–1906)
Leopold Bode (1831–1906)
Die Laurenburger Els am Grabe Hansens von der Laurenburg, 1870
Was ihr wollt (Farbentwurf für die Lünetten der Frankfurter
König Lear (Farbentwurf für die Lünetten der Frankfurter
Bleistift auf Papier, 73,8 x 48,1 cm
Oper), um 1880
Oper), um 1880
Bez. l. u.: 18 B 70
Öl auf Leinwand, 23 x 40 cm
Öl auf Leinwand, 23 x 40 cm
Historisches Museum Frankfurt, Inv. Nr. hmf C48555
Bez. l. u.: Leop. Bode
Bez. l. u.: Leop. Bode
Historisches Museum Frankfurt, Inv. Nr. hmf B1324
Historisches Museum Frankfurt, Inv. Nr. hmf B1323
171
202
120
121
Johann Heinrich Schilbach (1798–1851)
Johann Heinrich Schilbach (1798–1851)
Aussicht vom Felsberg nach Reichenbach und nach der Knodener Höhe, um 1846
Abendlicher Blick auf Bickenbach, 1847
Öl auf Papier auf Leinwand, 27,8 x 37 cm
Öl auf Leinwand, 51,5 x 46 cm
Unbez.
Bez. l. u.: Schilbach 1847
Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Inv. Nr. GK 641
Institut Mathildenhöhe, Städtische Kunstsammlung Darmstadt, Inv. Nr. 155 MA
Lit.: Ausst. Kat. Darmstadt 2000, S. 197, Nr. 93, Abb. S. 134; Bott 2003, S. 233f. m. Abb.
Lit.: Ausst. Kat. Frankfurt 2000/01, S. 130, Nr. 27 m. Abb.
203
160
Friedrich Maximilian Hessemer (1800–1860)
Vision einer islamischen Stadt, um 1830/35
Aquarell, Feder auf Papier, 33 x 46,4 cm
Unbez.
Städel Museum, Frankfurt am Main, Inv. Nr. 5319 Z
Lit.: Ausst. Kat. Frankfurt 2001, S. 246, Nr. 83 m. Abb.
Hoch ragen die Türme und Kuppeln einer fremdländisch anmu-
die Ägypten auf ihn ausübte, hielt Hessemer in seinem Reisetage-
tenden Architektur in den Himmel, beschienen von gleißendem
buch fest. So schrieb er angesichts der Stadt Kairo: „Wie wunderbar
Licht. Malerisch staffeln sich Gebäude und Mauern, umgeben von
erregt, wie getheilt zwischen großem Staunen und hoher Bewun-
felsigem Gestein, grünen Palmen und blauem Meer. Im spannungs-
derung steh ich in dieser Stadt. – Welch eine Welt, wie soll ich sie
vollen Miteinander von detailliert ausgeführten Partien und nur
schnell genug fassen?“3, und schilderte weiter die Schönheit der
summarisch angedeuteten Bereichen verewigte Friedrich Maximilian
Stadt als „Meer […] von Häusern, Kuppeln und Thürmen“4. Die
Hessemer so zeichnerisch seine „Vision einer islamischen Stadt“.
vermutlich nach seiner Rückkehr nach Deutschland entstandene
Das wohl um 1830/35 entstandene Aquarell des in Darmstadt aus-
„Vision einer islamischen Stadt“ weist Parallelen zu dieser Beschrei-
gebildeten Architekten besticht durch seinen exotischen Reiz, der,
bung auf, gibt sie doch Elemente der islamischen Baukunst in pit-
ganz im Sinne der zeitgenössischen Orientbegeisterung, von diesem
toresker Anordnung wieder. Allerdings verdichtete Hessemer hier
als ganz andersartig empfundenen Kulturraum ausging. Während
seine Reiseeindrücke und erweiterte sie um fiktive, konstruierte
sich einzelne Autoren wie Johann Gottfried Herder und Friedrich
Bestandteile zu einem subjektiv geprägten Idealbild, entstanden
Schlegel bereits um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert mit
aus real Gesehenem, in der Erinnerung Verklärtem und exotistisch
Schriften und Philosophien auseinandersetzten, die diesem Gebiet
geprägten Phantasien. Gleichzeitig erinnert diese Vision in Anklän-
entstammten,1 erfreuten sich insbesondere die seit 1824 in einer
gen auch an Darstellungen des Himmlischen Jerusalems aus der
deutschen Übersetzung vorliegenden Erzählungen „Tausendund-
neutestamentarischen Offenbarung des Johannes und verweist
eine Nacht“ einer großen Popularität. Zugleich fungierten jene
damit auf Hessemers Herkunft aus dem christlich geprägten Kul-
ebenso wie entsprechendes Bildmaterial – genannt sei die von Na-
turraum. Als Architekt, Bauhistoriker, Schriftsteller und Freimaurer
poleon Bonaparte initiierte, 1809 bis 1828 erschienene Text- und
blieb er zeitlebens Vermittler zwischen den Kulturen und beein-
Bildsammlung „Description de l’Égypte“ – gleichsam als Katalysator
flusste insbesondere als langjähriger Lehrer der Bauklasse am Stä-
bei der Imagination der fremden Lebenswelten. Im Unterschied zu
delschen Kunstinstitut in Frankfurt am Main auch die nachfolgende
vielen seiner Zeitgenossen konnte Hessemer jedoch auf eigene Rei-
Generation.
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seerfahrungen zurückgreifen: Im Auftrag des Engländers Lord Henry Gally Knight war er 1829 über Malta und Kreta nach Ägypten
gereist, um den Ursprung des Spitzbogens zu erforschen.2 Dort
fertigte er eine Vielzahl dokumentarischer Zeichnungen arabischer
Baudenkmäler an, darunter auch viele detailreiche Architekturstudien der Innenräume sowie Ornamentzeichnungen. Die Faszination,
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1 Vgl. Schulz 2008, S. 20f.
2 Vgl. Katharina Bott: Friedrich Maximilian Hessemer. Ein Frankfurter
Baumeister in Ägypten, in: Ausst. Kat. Frankfurt 2001, S. 9–52, hier S. 20.
3 Friedrich Maximilian Hessemer: Brief an seinen Vater vom 15.10.1829, zit.
nach Staub 2002/03, Bd. 2, S. 64f.
4 Ebd., S. 66.
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