Bericht 2014 - Volksanwaltschaft

Bericht
der Volksanwaltschaft
an den Nationalrat und
an den Bundesrat
2014
Band 2
Präventive
Menschenrechtskontrolle
Vorwort
Die Volksanwaltschaft stellt das Ergebnis ihrer im Jahr 2014 geleisteten Arbeit erstmals
in zwei getrennten Berichtsteilen dar. Der zweite Band beleuchtet das Menschenrechtsmonitoring der Volksanwaltschaft und ihrer Kommissionen in Umsetzung ihres seit
1. Juli 2012 bestehenden verfassungsgesetzlichen Auftrags gem. Art 148 a Abs. 3 B-VG.
Die Volksanwaltschaft als parlamentarische Ombudsmann-Einrichtung nimmt sowohl
ihre Aufgaben im Rahmen der nachprüfenden Kontrolle als auch ihre präventive Tätigkeit zum Schutz und zur Förderung von Menschenrechten ernst und zieht zunehmend
Synergien aus ihrer Doppelfunktionalität.
Der Prüftätigkeit der Volksanwaltschaft als NPM sind 428 Kontrollen vorausgegangen,
die von den Kommissionen der Volksanwaltschaft durchgeführt wurden. Sie besuchten
öffentliche und private Einrichtungen, in denen Menschen einer Freiheitsentziehung
ausgesetzt sind oder Menschen mit Behinderung betreut werden und beobachteten Polizeieinsätze. Der Menschenrechtsbeirat, der eine beratende Funktion ausübt, leistete
wertvolle Unterstützung.
Die Volksanwaltschaft als NPM richtet ihre Arbeit im präventiven Bereich weniger auf
die Feststellung von Missständen aus, sondern auf das Erzielen von Lösungen. Wenn
Empfehlungen nicht sofort umgesetzt werden können, dann werden die jeweiligen Themen nicht abgeschlossen. Ausdauer und Konsequenz sind gefragt, um nachhaltige Verbesserungen zu erzielen.
Dieser Berichtsteil wird auch an den UN-Unterausschuss zur Verhütung von Folter (SPT)
in Genf übermittelt, demgegenüber die Volksanwaltschaft als NPM eine Berichtspflicht
hat. Kapitel 1 gibt einen Überblick über die Tätigkeit des NPM und die Aktivitäten in
diesem Berichtsjahr. Kapitel 2 erläutert die wichtigsten Ergebnisse des NPM und zeigt
strukturelle Schwachpunkte und wichtige Einzelfälle auf.
Die Mitglieder der Volksanwaltschaft danken den Kommissionen für ihr Engagement
und dem Menschenrechtsbeirat für seine beratende Unterstützung. Unser Dank gilt
auch den Bediensteten: Ohne die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses wäre
es nicht möglich, den verfassungsrechtlichen Auftrag zu erfüllen. Auch den Bundesministerien und übrigen Organen des Bundes, der Länder und Gemeinden und der
Zivilgesellschaft gilt ein besonderer Dank für die gute Zusammenarbeit im Berichtsjahr.
Dr. Günther Kräuter
Dr. Gertrude Brinek
Wien, im März 2015
Dr. Peter Fichtenbauer
Inhalt
Inhalt
1 Der Nationale Präventionsmechanismus im Überblick...............................................9
1.1 Mandat der Volksanwaltschaft............................................................................9
1.2 Kontrollen in Zahlen.........................................................................................10
1.3Budget................................................................................................................12
1.4 Personelle Ausstattung......................................................................................12
1.4.1Personal ..............................................................................................12
1.4.2
Kommissionen der Volksanwaltschaft................................................13
1.4.3Menschenrechtsbeirat..........................................................................14
1.5 Ablauf der Kontrollbesuche...............................................................................16
1.6 Bericht der Kommissionen.................................................................................17
1.7 Bericht des Menschenrechtsbeirats ...................................................................20
1.8 Weitere Aktivitäten ...........................................................................................21
2 Feststellungen und Empfehlungen.............................................................................27
2.1 Alten- und Pflegeheime.....................................................................................27
2.1.1Einleitung.............................................................................................27
2.1.2
Systembedingte Problemfelder............................................................32
2.1.2.1 Ärztliche Versorgung..................................................................32
2.1.2.2 Medikamentöse Versorgung.......................................................33
2.1.2.3 Personalmangel im Nachtdienst...............................................35
2.1.3
Untragbare Lebensbedingungen ........................................................36
2.1.4
Positive Feststellungen.........................................................................38
2.2 Krankenhäuser und Psychiatrien......................................................................39
2.2.1Einleitung.............................................................................................39
2.2.2
Systembedingte Problemfelder............................................................43
2.2.2.1 Evaluation der Bedingungen für Freiheitsbewegungseinschränkungen.......................................................................43
2.2.2.2 Beendigung des Einsatzes von Netzbetten steht in
Österreich bevor ........................................................................45
2.2.2.3 Private Sicherheitsdienste ..........................................................46
2.2.2.4 Kinder- und Jugendpsychiatrie in Österreich –
Mangelsituation in der Facharztausbildung.............................48
2.2.3
Fehlplatzierung eines langjährigen Psychiatriepatienten beendet....50
2.2.4
Unzureichende Kapazitäten im Unterbringungsbereich....................51
5
Inhalt
2.2.5
Mehrtägige Fixierung..........................................................................52
2.3Jugendwohlfahrtseinrichtungen.......................................................................54
2.3.1Einleitung.............................................................................................54
2.3.2
Systembedingte Problemfelder............................................................58
2.3.2.1 Prüfschwerpunkt Gewaltprävention..........................................58
2.3.2.2Barrierefreiheit...........................................................................59
2.3.2.3 Umgang mit Medikamenten.....................................................59
2.3.2.4 Ausbau der Hilfen für junge Erwachsene nötig.........................60
2.3.2.5 Probleme an der Schnittstelle zwischen Kinder- und
Jugendhilfe und Behindertenhilfe.............................................62
2.3.2.6 Einrichtungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
und Asylwerbende......................................................................63
2.3.2.7 Unterbringung von Kindern in anderen Bundesländern..........65
2.3.3
Heimstrukturen erschweren pädagogische Arbeit .............................66
2.3.4
Sexuelle Selbstbestimmung braucht Schutz........................................68
2.3.5
Positive Feststellungen.........................................................................69
2.4 Einrichtungen für Menschen mit Behinderung................................................71
2.4.1Einleitung.............................................................................................71
2.4.2
Systembedingte Problemfelder............................................................73
2.4.2.1 Altersuntypische Freiheitsbeschränkungen bei
Minderjährigen mit geistigen Behinderungen bzw.
psychischen Krankheiten...........................................................73
2.4.2.2.Deinstitutionalisierung..............................................................75
2.4.2.3 Keine Heimverträge für Menschen mit Behinderungen............77
2.4.2.4Beschäftigungswerkstätten........................................................78
2.4.2.5 Effiziente Interessensvertretung braucht Ressourcen.................80
2.4.3
Isolierung eines Bewohners.................................................................82
2.4.4
Verwendung von „Time-Out-Räumen“...............................................83
2.5Justizanstalten...................................................................................................86
2.5.1Einleitung.............................................................................................86
2.5.2
Systembedingte Problemfelder............................................................86
2.5.2.1 Personalmangel und dessen Folgen – langer Einschluss
und wenig Beschäftigung..........................................................86
2.5.2.2 Bedrückender Anlassfall löst Sonderprüfung und Reform
des Maßnahmenvollzuges aus..................................................89
2.5.2.3 Gesundheitswesen und ärztliche Betreuung im Vollzug...........93
2.5.2.4 Jugendstrafvollzug in der Justizanstalt – Mängel trotz
Verbesserungen...........................................................................96
6
Inhalt
2.5.2.5 Frauen im Vollzug – krasse Benachteiligungen evident............97
2.5.2.6 Behindertengerechter Ausbau von Justizanstalten...................99
2.5.2.7 Neue Wege bei Suchtmittelkontrollen – Speicheltests
sollen Harnproben ersetzen.....................................................100
2.5.2.8 Kriterienkatalog bei Ordnungsstrafen – Forderung bleibt
aufrecht....................................................................................102
2.5.2.9 Beschwerdemanagement und Information über
Rechtsschutzmöglichkeiten......................................................104
2.5.2.10 Zugang zum Internet als wichtiger Teil der
Resozialisierung.......................................................................105
2.5.3
Sonderkrankenanstalt in der Justizanstalt Stein –
schwerwiegende Vorwürfe.................................................................106
2.5.4 Bauliche Mängel auf der forensischen Abteilung des LKH
Rankweil............................................................................................108
2.5.5
Ausstattung der Krankenzimmer – Forensische
Psychiatriestation der Landesnervenklinik Sigmund Freud.............109
2.5.6
Defizite bei Fixierungen – Forensische Abteilung LKH Hall.............110
2.5.7
Korrekte Medikation? – Justizanstalt Garsten...................................112
2.5.8
Fehlende Ergotherapie im Maßnahmenvollzug –
Justizanstalt Garsten.........................................................................112
2.5.9 Ausstattung von Dreipersonenhafträumen – Justizanstalt
Linz
..................................................................................................113
2.5.10 Besonders gesicherte Hafträume in bedenklichem
Zustand – Justizanstalt Feldkirch, Außenstelle Dornbirn.................114
2.5.11 Fehlende sperrbare Spinde und zu große Tische –
Justizanstalt Sonnberg.......................................................................115
2.5.12 Selbstmordgefährdeter Insasse im Einzelhaftraum –
Justizanstalt Leoben..........................................................................116
2.5.13 Mentale Hilfe nach Einsätzen bei Suiziden und
Suizidversuchen – Justizanstalt Göllersdorf......................................117
2.5.14 Barscher Umgangston – Justizanstalt Wien-Josefstadt ....................118
2.5.15 Bilder von unbekleideten Frauen im Dienstzimmer –
Justizanstalt Stein..............................................................................119
2.5.16 Positive Feststellungen.......................................................................119
2.6 Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen.............................121
2.6.1Einleitung...........................................................................................121
2.6.2
Systembedingte Problemfelder – Polizeianhaltezentren...................121
2.6.2.1 Arbeitsgruppe erzielt erste Ergebnisse......................................121
2.6.2.2 Mangelhafte Begründung bei Verbringung von
Häftlingen in Sicherungszellen................................................123
7
Inhalt
2.6.2.3 Unzureichende Abtrennung der WC-Bereiche in
Mehrpersonenzellen.................................................................125
2.6.2.4 Verständigung bei medizinischen Untersuchungen................128
2.6.3
Erste Eindrücke vom neuen AHZ Vordernberg..................................130
2.6.4
PAZ Klagenfurt – kein Sozialraum für Verwaltungsstrafhäftlinge...132
2.6.5
PAZ Linz – wiederholte Kritik an Hygienestandards und
desolaten Bädern...............................................................................133
2.6.6
Positive Feststellungen.......................................................................134
2.6.7
Systembedingte Problemfelder – Polizeiinspektionen.......................135
2.6.7.1 Mangelhafte Dokumentation von Anhaltungen....................135
2.6.7.2 Mangelhafte Ausstattung der Dienststellen............................136
2.6.8
Abschaltbare Rufklingel in Anhalteräumen....................................137
2.6.9
Freiwilliger Aufenthalt in einem versperrten Raum.........................138
2.6.10 Positive Feststellungen.......................................................................138
2.6.11 Systembedingte Problemfelder – Kasernen.......................................139
2.6.11.1 Sanitärbereiche in militärischen Hafträumen......................139
2.6.12 Positive Feststellungen.......................................................................139
2.7Zwangsakte......................................................................................................141
2.7.1Einleitung...........................................................................................141
2.7.2
Systembedingte Problemfelder..........................................................141
2.7.2.1 Abschiebungen und Rückführungen.......................................141
2.7.2.2 Rollenkonflikte des Vereins Menschenrechte Österreich.........144
2.7.2.3 Verständigung der Kommissionen über Polizeieinsätze –
neuer Erlass des BMI................................................................146
2.7.2.4 Fremdenrechtliche Kontrollen mit GVS-Relevanz...................146
2.7.3
Demonstrationen mit Ausschreitungen des „Schwarzen
Blocks“ gegen den Wiener Akademikerball 2014.............................147
2.7.4
AGM-Kontrollen im Grenzbereich ....................................................148
2.7.5
Positive Feststellungen.......................................................................149
3 Anregungen an den Gesetzgeber..............................................................................151
Abkürzungsverzeichnis..................................................................................................153
8
Nationaler Präventionsmechanismus im Überblick
1
Der Nationale Präventionsmechanismus im
Überblick
1.1
Mandat der Volksanwaltschaft
Seit 1. Juli 2012 kontrolliert der NPM aufgrund des Mandats des OPCAT (Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame,
unmenschliche oder erniedrigend Behandlung oder Strafe) alle öffentlichen
und privaten Einrichtungen, in denen Personen angehalten werden oder angehalten werden können.
OPCAT-Mandat
Diese präventive Aufgabe des NPM dient dem Schutz und der Förderung der
Menschenrechte. Unter „Prävention“ versteht der NPM Maßnahmen zur Risikominderung, die notwendig sind, da Menschen in Anhaltung in besonderem
Maße staatlichen Eingriffen ausgesetzt sind. Die Kontrolltätigkeit des NPM
ist „flächendeckend und routinemäßig“ durchzuführen, ein Auftrag, den der
NPM auch im Berichtsjahr erfüllt hat.
Abseits des OPCAT-Mandats ist der NPM aufgrund der Bundesverfassung dazu
ermächtigt, Einrichtungen und Programme für Menschen mit Behinderungen
zu überprüfen sowie das Verhalten der zur Ausübung unmittelbarer Befehlsund Zwangsgewalt staatlich ermächtigten Organe zu beobachten und begleitend zu überprüfen.
Weitere präventive
Aufgaben
Auch diese Aufgaben stehen unter der Maxime der Prävention. Zur Verhinderung jeder Form von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch hat Österreich
sicherzustellen, dass alle Einrichtungen und Programme, die für Menschen
mit Behinderungen bestimmt sind, von unabhängigen Behörden wirksam
überwacht werden. Die Beobachtung von Akten unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgte schon seit dem Jahr 1998
durch eine Einrichtung des BMI, eine Kompetenz, die vom NPM übernommen
wurde.
In der Praxis werden diese Aufgaben natürlich verknüpft, das heißt die Kommissionen planen in ihre Besuchsprogramme alle Aufgaben ein. Der NPM
sieht daher die Aufgaben zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte
als einen Auftrag an, den er zu erfüllen hat, auch wenn die Rechtsgrundlagen
unterschiedlich sind.
Die Arbeiten zur Entwicklung einer Protokolldatenbank konnten mit Ende des
Berichtsjahrs abgeschlossen werden. Die Datenbank wird eine einheitliche
Vorgangsweise der Kommissionen und den Überblick über die jährliche Arbeit
unterstützen sowie die Beurteilung der Wahrnehmungen erleichtern.
Datenbank erfolgreich
gestartet
9
Nationaler Präventionsmechanismus im Überblick
1.2
Kontrollen in Zahlen
Die Kommissionen hatten im Berichtsjahr insgesamt 428 Einsätze. Sie besuchten Orte der Anhaltung im Sinne des OPCAT-Mandats, Behinderteneinrichtungen nach der UN-BRK und beobachteten polizeiliche Zwangsakte.
In 366 Fällen waren die Besuche und Beobachtungen unangekündigt, in 62
Fällen angekündigt. Die Durchführung unangekündigter Besuche ist daher
die Regel. Die durchschnittliche Besuchsdauer betrug etwa dreieinhalb Stunden.
280 OPCAT-Kontrollen
Die sechs Kommissionen besuchten österreichweit 280 Orte der Anhaltung im
Sinne des OPCAT. Dabei handelte es sich vorwiegend um Alten- und Pflegeheime, Einrichtungen der Jugendwohlfahrt, Polizeianhaltezentren und Polizeiinspektionen sowie Justizanstalten.
79 Behinderteneinrichtungen
Außerhalb des OPCAT-Mandats besuchten die Kommissionen 79 Behinderteneinrichtungen aufgrund des Mandats der UN-BRK in ganz Österreich, diese
Besuche waren ausschließlich Menschen mit Behinderung gewidmet.
69 Beobachtungen von
Polizeieinsätzen
Ebenso außerhalb des OPCAT-Mandats beobachteten die Kommissionen österreichweit das Verhalten von staatlichen Organen bei der Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt in 69 Fällen.
Kontrolltätigkeit der Kommissionen 2014
2014
Einrichtungen
359
Abschiebungen
22
Polizeieinsätze*
47
gesamt
428
* dazu zählen: Demonstrationen, Veranstaltungen, Versammlungen
Wie in den vergangenen Berichtsjahren legten die Kommissionen den Fokus
auf Einrichtungen der Alten- und Krankenpflege, Psychiatrie und Jugendwohlfahrt. Zahlenmäßig übersteigen diese Einrichtungen deutlich jene der Polizei
und Justiz, weshalb der Auftrag der routinemäßigen und flächendeckenden
Erfüllung des Mandats eine besondere Herausforderung darstellt.
10
Nationaler Präventionsmechanismus im Überblick
Polizei APH
JWF
BPE
PAK/
KRA
AbJA
KAS
schiebung
Polizeieinsatz
Andere
Wien
20
20
18
20
5
8
0
18
24
0
Bgld
3
8
5
1
0
1
0
0
1
0
NÖ
13
16
7
24
4
9
0
2
1
0
OÖ
6
5
2
1
1
3
2
0
4
1
Sbg
2
7
2
3
0
3
0
0
5
2
Ktn
4
7
4
10
1
4
2
0
3
0
Stmk
8
12
13
8
2
5
0
0
5
0
Vbg
1
5
0
0
0
2
1
0
0
0
Tirol
8
9
9
12
10
0
0
2
4
0
gesamt
65
89
60
79
23
35
5
22
47
3
davon
unangekündigt
60
89
58
76
18
31
5
11
16
0
Legende:
APH
=Alten- und Pflegeheime
JWF
=Jugendwohlfahrt
BPE
=Einrichtungen für Menschen mit Behinderung
PAK+KRA
=Psychiatrische Abteilungen in Krankenhäusern und Krankenanstalten
JA
=Justizanstalten
KAS=Kasernen
Andere
=Bezirkshauptmannschaften, Landespolizeidirektion
Kontrolltätigkeit der Kommissionen 2014 nach Bundesländern
2014
2013
Wien
133
164
NÖ
75
100
Tirol
54
66
Stmk
53
51
Ktn
35
27
OÖ
25
55
Sbg
25
28
Bgld
19
23
Vbg
9
15
428
529
gesamt
11
Nationaler Präventionsmechanismus im Überblick
Die Tätigkeit des NPM ist in sehr hohem Ausmaß davon geprägt, dass er nicht
(nur) Beanstandungen ausspricht, sondern intensiv lösungsorientiert arbeitet.
Mitunter schließt der NPM daher die Verfahren, die sich an die Übermittlung
von Kommissionsprotokollen anschließen, erst nach längerer Zeit, eventuell
im darauffolgenden Jahr endgültig ab. Die Kommissionen greifen bereits an
Ort und Stelle einrichtungsbezogene und strukturelle Mängel auf und schlagen Maßnahmen vor. Die Protokolle werden danach ausgewertet und die
Aufsichtsbehörden oder Einrichtungen mit den Kritikpunkten konfrontiert.
Lösungen werden danach erarbeitet. Der NPM beanstandete in 272 Fällen die
menschenrechtliche Situation. Da die Kommissionen im Zuge ihrer Besuche
regelmäßig mehrere Kritikpunkte aufgreifen, sprach der NPM zahlreiche Empfehlungen aus, die wichtigsten dieser Empfehlungen werden in der Folge dargestellt (siehe S. 27 ff.).
Erledigungsstatistik 2014
Beanstandung
Keine
Beanstandung
Noch offen
Einrichtungen
247
80
32
Abschiebungen
6
7
9
Polizeieinsätze*
19
23
5
gesamt
272
110
46
1.3Budget
2014 standen für die Entschädigungen der Kommissionsleitungen, Kommissionsmitglieder und Mitglieder des Menschenrechtsbeirates 1.450.000 Euro zur
Verfügung. Darin enthalten sind auch die Reisekosten sowie die Abgeltung für
die Vor- und Nachbereitung der Besuche.
Der NPM setzt sich in seinen Gesprächen mit dem Parlament stets dafür ein,
dass trotz allgemeiner budgetärer Sparmaßnahmen weiterhin die intensive
Kontrolltätigkeit beibehalten werden kann. Die Anzahl der Besuche und begleitenden Überprüfungen der Kommissionen sollen auch in den Folgejahren
sowohl qualitativ als auch quantitativ sichergestellt bleiben.
1.4
Personelle Ausstattung
1.4.1Personal
15 zusätzliche
Planstellen
12
Die VA hat im Zuge der Umsetzung des OPCAT-Mandats 15 zusätzliche Planstellen zur Erfüllung der Aufgaben erhalten. Eine Planstelle wurde infolge
von Budgeteinschränkungen wieder gestrichen. Die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter wurden für folgende Aufgaben eingesetzt: Sechs Juristinnen und
Juristen, fünf (ursprünglich sechs) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der
Nationaler Präventionsmechanismus im Überblick
Administration, zwei Personen im Sekretariat OPCAT und eine Person für die
Öffentlichkeitsarbeit.
Das Sekretariat OPCAT ist für die Koordinierung der Zusammenarbeit mit den
Kommissionen zuständig. Darüber hinaus sichtet es internationale Berichte
und Dokumente, um den NPM mit Informationen ähnlicher Einrichtungen
zu unterstützen. Die Juristinnen und Juristen haben Erfahrungen in den Bereichen Rechte von Menschen mit Behinderungen, Kinderrechte, soziale Rechte,
Polizei, Asyl und Justizanstalten.
1.4.2
Sekretariat OPCAT
Kommissionen der Volksanwaltschaft
Der NPM hat zur Besorgung seiner Aufgaben entsprechend dem OPCATDurchführungsgesetz die von ihm eingesetzten und multidisziplinär zusammengesetzten Kommissionen zu betrauen. Im Bedarfsfall können die regionalen Kommissionen Expertinnen und Experten aus anderen Fachgebieten
beiziehen, soweit ein Kommissionsmitglied einer anderen Kommission dafür
nicht zur Verfügung steht. Die Kommissionen sind nach regionalen Gesichtspunkten organisiert. Sie bestehen aus jeweils sieben Mitgliedern und einer
Kommissionsleiterin bzw. einem Kommissionsleiter.
Kommission 1
Kommission 2
Tirol/Vbg
Sbg/OÖ
Leitung: Dr. Karin TREICHL
Leitung: Priv.-Doz. az. Prof.
Dr. Reinhard KLAUSHOFER
Kommissionsmitglieder
Kommissionsmitglieder
Mag. Dr. Susanne BAUMGARTNER
Dr. Sepp BRUGGER
Mag. Elif GÜNDÜZ
Dr. Max KAPFERER
Lorenz KERER, MSc
MMag. Monika RITTER
Mag. Hubert STOCKNER
DSA Markus FELLINGER
Mag. Dr. Wolfgang FROMHERZ
Dipl.jur. Katalin GOMBAR
Mag. PhDr. Esther KIRCHBERGER
Dr. Robert KRAMMER
Dr. Renate STELZIG-SCHÖLER
Mag. Hanna ZIESEL
Kommission 3
Kommission 4
Stmk/Ktn
Wien (Bezirke 3 bis 19, 23)
Leitung: Mag. Angelika
VAUTI-SCHEUCHER
Leitung: Univ.-Prof. Dr. Ernst BERGER
Kommissionsmitglieder
Kommissionsmitglieder
Klaus ELSENSOHN
Dr. Odo FEENSTRA
Mag. Daniela GRABOVAC
Dr. Ilse HARTWIG
Mag. Sarah KUMAR
Sechs Kommissionen
ao Univ.-Prof. Dr. Andrea
BERZLANOVICH
Mag. Sandra GERÖ
Mag. Helfried HAAS
Christine PEMMER, MBA
13
Nationaler Präventionsmechanismus im Überblick
MMag. Silke-Andrea MALLMANN
SenPräs. d. OLG i.R. Dr. Erwin
SCHWENTNER
DSA Petra PRANGL
Mag. Nora RAMIREZ-CASTILLO
Mag. Walter SUNTINGER
Kommission 5
Kommission 6
Wien / NÖ
(Bezirke 1, 2, 20 bis 22)/NÖ (pol.
Bezirke Gänserndorf, Gmünd,
Hollabrunn, Horn, Korneuburg,
Krems, Mistelbach, Tulln, Waidhofen a.d. Thaya, Zwettl)
Bgld / NÖ
(pol. Bezirke Amstetten, Baden,
Bruck a.d. Leitha, Lilienfeld, Melk,
Mödling, Neunkirchen, Scheibbs,
St. Pölten, Waidhofen a.d. Ybbs,
Wiener Neustadt, Wien Umgebung)
Leitung: Univ.-Prof. Dr. Manfred
NOWAK, LLM
Leitung: RA Mag. Franjo SCHRUIFF,
LLM
Kommissionsmitglieder
Kommissionsmitglieder
Dr. Susan AL JAWAHIRI
(ab Februar 2014:)
Univ.-Prof. Dr. Gregor WOLLENEK
Mag. Lisa ALLURI, BA
Prim. Dr. Harald P. DAVID
Mag. Marijana GRANDITS
Mag. Sabine RUPPERT
Dr. Maria SCHERNTHANER
Hans Jörg SCHLECHTER
Mag. Karin BUSCH-FRANKL
Dr. Süleyman CEVIZ
Mag. Corina HEINREICHSBERGER
Prim. Univ.-Doz. Dr. Siroos MIRZAEI,
MBA
Cornelia NEUHAUSER, BA
Dr. Elisabeth REICHEL
DSA Mag. Karin
ROWHANI-WIMMER
1.4.3Menschenrechtsbeirat
Menschenrechtsbeirat
Der MRB ist als beratendes Organ eingerichtet. Er ist aus Vertreterinnen und
Vertretern von Nichtregierungsorganisationen und Bundesministerien zusammengesetzt. Er unterstützt den NPM bei der Klärung von Fragen der Kontrollzuständigkeit und jener Themen, die im Zuge der Besuche der Kommissionen
über den Einzelfall hinausgehende Probleme betreffen.
Menschenrechtsbeirat
Vorsitzende: Ass.-Prof. DDr. Renate Kicker
Stellvertretender Vorsitzender: Univ.-Prof. Dr. Andreas Hauer
14
Name
Funktion
Institution
SC Mag. Dr. Mathias VOGL
Mitglied
BMI
GL Matthias KLAUS
Ersatz­
mitglied
BMI
Dr. Ronald FABER
Mitglied
BKA
MR Dr. Brigitte OHMS
Ersatz­
mitglied
BKA
Nationaler Präventionsmechanismus im Überblick
SC Dr. Gerhard AIGNER
Mitglied
BMG
Mag. Irene HAGER-RUHS
Ersatz­
mitglied
BMG
SC Mag. Christian PILNACEK
Mitglied
BMJ
Lt.StA Mag. Gerhard NOGRATNIG
LL.M.Eur.
Ersatz­
mitglied
BMJ
Stv. AL Mag. Billur ESCHLBÖCK
Mitglied
BMLVS
GL Dr. Karl SATZINGER
Ersatz­
mitglied
BMLVS
Botschafter Dr. Helmut TICHY
Mitglied
BMeiA
Gesandte Mag. Ulrike NGUYEN
Ersatz­
mitglied
BMeiA
Stv. SL GL Dr. Hansjörg HOFER
Mitglied
BMASK
Stv. AL Mag. Alexander BRAUN
Ersatz­
mitglied
BMASK
Dr. Waltraud BAUER,
Amt der Steiermärkischen Landesregierung
(seit Okt. 2014:
Dipl.-Ing. Shams ASADI,
Magistrat der Stadt Wien)
Mitglied
Ländervertretung
Dipl.-Ing. Shams ASADI,
Magistrat der Stadt Wien
(seit Okt. 2014:
Dr. Wolfgang STEINER,
Amt der OÖ Landesregierung))
Ersatz­
mitglied
Ländervertretung
Mag. Heinz PATZELT
Mitglied
Amnesty International
Österreich iZm
SOS Kinderdorf
Mag. Barbara WEBER
Ersatz­
mitglied
Amnesty International
Österreich iZm
SOS Kinderdorf
GS MMag. Bernd WACHTER
(seit 2015:
Mag. Angela BRANDSTÄTTER)
Mitglied
Caritas Österreich iZm
VertretungsNetz
Dipl.ET Mag. Susanne JAQUEMAR
Ersatz­
mitglied
Caritas Österreich iZm
VertretungsNetz
Mag. Martin SCHENK
Mitglied
Diakonie Österreich iZm
Volkshilfe
GS Mag.(FH) Erich FENNINGER
(seit Okt. 2014:
Christian SCHÖRKHUBER)
Ersatz­
mitglied
Diakonie Österreich iZm
Volkshilfe
Michael FELTEN, MAS
Mitglied
Pro Mente Austria iZm
HPE
15
Nationaler Präventionsmechanismus im Überblick
Mag. Angelika KLUG
Ersatz­
mitglied
Pro Mente Austria iZm
HPE
Mag. Tamara GRUNDSTEIN
Mitglied
Selbstbestimmt Leben
Initiative Österreich
Martin LADSTÄTTER
Ersatz­
mitglied
Selbstbestimmt Leben
Initiative Österreich
Philipp SONDEREGGER
Mitglied
SOS Mitmensch iZm
Integrationshaus und
Asyl in Not
Mag. Nadja LORENZ
Ersatz­
mitglied
SOS Mitmensch iZm
Integrationshaus und
Asyl in Not
Mitglied
Verein für Gewaltprävention, Opferhilfe und
Opferschutz (Graz) iZm
Gewaltschutzzentrum
Salzburg
Dr. Renate HOJAS
Ersatz­
mitglied
Verein für Gewaltprävention, Opferhilfe und
Opferschutz (Graz) iZm
Gewaltschutzzentrum
Salzburg
MMag. Katrin WLADASCH
(seit Mai 2014:
Mag. Dina MALANDI)
Mitglied
ZARA iZm Neustart
SC i.R. Dr. Roland MIKLAU
Ersatz­
mitglied
ZARA iZm Neustart
Dr. Barbara JAUK
1.5
Ablauf der Kontrollbesuche
In Abstimmung mit dem NPM legen die Kommissionen vierteljährlich ihre
Besuchsprogramme fest. Prüfergebnisse von früheren Besuchen können in
Hinkunft in der neuen Datenbank sofort abgerufen werden. In regelmäßig
stattfindenden Sitzungen der Kommissionen werden die Besuchsteams zusammengestellt. Soweit die Besuchsthematik es erfordert, können die Kommissionen externe Expertinnen und Experten beiziehen.
Kommissionen erstellen
Protokolle
Die Wahrnehmungen und Feststellungen der Kommissionen werden in einem
standardisierten Protokoll festgehalten. Es ist in fünf Kapitel gegliedert: Basisinformationen über die besuchte Einrichtung, Feststellungen zum Besuch, themenbezogene Feststellungen, sonstige Anmerkungen und Abschlussgespräch.
Relevant für die Prüfung sind insbesondere Fragen nach der Anwendung freiheitsbeschränkender und Sicherungsmaßnahmen, Indizien für Folter oder erniedrigende Behandlung und das Gesundheitswesen. Erhoben werden auch
16
Nationaler Präventionsmechanismus im Überblick
Betreuungs- und Vollzugspläne, die Vorgangsweise für eine Rückführung und
Entlassung der Angehaltenen, die Personalsituation sowie das Beschwerdemanagement. Überprüft werden weiters die Lage, Baustruktur und bauliche Ausstattung der Einrichtung, die Lebens- und Aufenthaltsbedingungen der angehaltenen Personen, deren Möglichkeit zur Kontaktnahme nach außen, die
Wahrung ihres Rechts auf Familie und Privatsphäre, vorhandene Bildungs-,
Arbeits- und Beschäftigungsangebote sowie der Zugang zu internen Informationen.
Gesondert dokumentiert wird das von dem Besuchsteam mit der Leitung der
jeweiligen Einrichtung bzw. des jeweiligen Polizeieinsatzes geführte Abschlussgespräch. Darin werden die ersten Eindrücke und Wahrnehmungen festgehalten und, soweit möglich, die Behebung von Mängeln vereinbart. Dieses
Protokoll wird den Einrichtungen routinemäßig übermittelt.
Abschlussgespräch
Der NPM befasst sowohl bei Systemfragen als auch einrichtungsspezifischen
Mängeln die zuständigen Ministerien bzw. Aufsichtsbehörden, gelegentlich
auch die Einrichtungen selbst. Daneben arbeitet der NPM auch in ministeriellen Arbeitsgruppen oder Arbeitsgruppen mit Bundesländern mit.
In diesem Zusammenhang möchte der NPM die Großteils gute Kooperationsbereitschaft der Behörden und Einrichtungsträger betonen, die keinesfalls
den Eindruck entstehen ließen, notwendige Maßnahmen und Verbesserungen
nicht veranlassen zu wollen.
1.6
Bericht der Kommissionen
Die Kommissionen sehen es als ihre Verpflichtung an, ihre Arbeit für den
Schutz der Menschenrechte so effizient wie möglich zu gestalten. Sie stellen an
sich selbst den Anspruch, Prioritäten unter Beachtung der jährlichen Schwerpunktsetzungen des NPM richtig zu treffen. Um Menschenrechtsverletzungen
aufzudecken und präventiv weitere zu verhindern, stützen sie sich auf alle verfügbaren Informationen. Dazu ist ein intensiver Austausch mit Institutionen
und Organisationen im NGO-Bereich besonders wichtig. Diesem Austausch
dient die Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit des NPM mit der neugestalteten Homepage der VA.
Aus den Erfahrungen der Besuchstätigkeit der Kommissionen werden folgende
Einzelpunkte hervorgehoben:
Die Besuche in Alten- und Pflegeheimen zeigen große Unterschiede im Betreuungsstandard in quantitativer und qualitativer Hinsicht. In den bestehenden
Einrichtungen sind die Verhältnisse selbst in jenen ein und desselben Rechtsträgers äußerst unterschiedlich. Teilweise besteht erheblicher Verbesserungsbedarf bei den räumlichen Verhältnissen, die mitunter Beeinträchtigungen der
Privatsphäre verursachen. Der Großteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist äußerst bemüht und versucht, möglichst professionell zu agieren, ob-
Alten- und Pflegeheime
17
Nationaler Präventionsmechanismus im Überblick
wohl erheblicher Kostendruck herrscht. Allgemein sind Personalschlüssel und
-ausstattung zu wenig auf psychosoziale Betreuungsleistungen ausgerichtet.
In vielen Einrichtungen entsteht der Eindruck, dass die Menschen tendenziell
den einheitlichen Anforderungen des Systems angepasst werden sollen und
nicht das System an die oft unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen. So
sind autonome Entscheidungen (Essenszeiten, Schlafenszeiten, Gang in den
Garten, eigener Zimmerschlüssel etc.) aufgrund des Tagesablaufes mit zeitigem Abendessen und Zubettgehen oft nicht wahrnehmbar. Bedauerlicherweise wird Supervision selten in Anspruch genommen. Auf Dauer wird dadurch
die (psychische) Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und als Resultat daraus auch jene der Bewohnerinnen und Bewohner nachhaltig beeinträchtigt.
Jugendwohlfahrt
In Einrichtungen der Jugendhilfe wurden an vielen Orten nach wie vor Defizite an systematischen Konzepten der Gewaltprävention und der Dokumentation festgestellt. Supervision ist in diesem Bereich weitgehend etabliert.
Behinderteneinrichtung
Das durch die UN-BRK formulierte Prinzip der Inklusion und Deinstitutionalisierung fordert noch große Veränderungen im Bereich des Behindertenwesens.
Es gilt freilich auch für den Schulbesuch von Kindern mit Beeinträchtigungen.
Der Fortbestand von behinderungsspezifischen Großeinrichtungen in diesem
Bereich erscheint den Kommissionen in hohem Maße kritikwürdig.
Justizanstalten
In Justizanstalten weist die Gesundheitsversorgung an vielen Orten einen
deutlichen Verbesserungsbedarf auf. Dazu gehören auch der von Häftlingen
oft beklagte despektierliche Umgang seitens einzelner Anstaltsärztinnen und
-ärzte bzw. Pflegekräfte und die mancherorts unprofessionelle Diktion medizinischer Dokumentationen. Das derzeit in einem Probelauf eingesetzte Modell von Videodolmetscherinnen und Videodolmetschern im medizinischen
Bereich (JA Josefstadt) hat sich bisher bewährt und sollte ausgeweitet werden.
Reduzierte Besuchsmöglichkeiten sowie der Freiheitsentzug durch Unterbringung in besonders gesicherten Zellen gaben mehrmals Anlass zu menschenrechtlichen Empfehlungen.
Psychiatrie
Die Kommissionen sind bei Überprüfungen der Einweisung in psychiatrische
Krankenhausabteilungen nach dem Unterbringungsgesetz auf den Umstand
gestoßen, dass diese Einweisungen in einem erstaunlich hohen Prozentsatz
ohne amtsärztliche Bestätigung (Parere), also nach § 9 Abs. 2 Unterbringungsgesetz (bei Gefahr im Verzug – ohne Untersuchung), erfolgen. Vermutlich
kommt diese Ausnahmebestimmung im ländlichen Bereich noch häufiger
zur Anwendung. Man kann daher annehmen dass der gesetzliche Primärweg
(nach Abs. 1) sehr häufig nicht eingehalten wird. Dies erscheint menschenrechtlich bedenklich.
Amtsärztliche
Rufbereitschaft
Nachdem schon der Menschenrechtsbeirat (alt) jahrelang die mangelhafte
Verfügbarkeit von im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Ärztinnen und
Ärzten im ländlichen Gebiet für Hafttauglichkeitsprüfungen und Vorführun-
18
Nationaler Präventionsmechanismus im Überblick
gen in psychiatrische Abteilungen kritisiert hatte, wurde nun aufgrund von
Ebola eine durchgehende amtsärztliche Rufbereitschaft außerhalb des Dienstbetriebes eingeführt. Die Kommissionen erwarten, dass diese Verfügbarkeit
auch nach dem Abklingen der Furcht vor Ebola aufrechterhalten bleibt.
Die schon vor einigen Jahren vom Menschenrechtsbeirat (alt) aufgezeigten
Defizite bei der Aufklärung von Misshandlungsvorwürfen gegen die Polizei bestehen nach wie vor. Die öffentlich diskutierte mögliche Wiederaufnahme des
Verfahrens im Folterfall „Bakary J.“ zeigt, wie wichtig es wäre, internationale
Empfehlungen anzuwenden. Das Misshandlungsverfahren in Österreich bedarf, wie schon vom Menschenrechtsbeirat (alt) lange gefordert, einer grundlegenden Reform zu einer unabhängigen, schnellen Ermittlung hin.
Misshandlungsvorwürfe
Die Kommissionen 4 und 5 waren Anfang des Jahres 2014 mit einer großen
Zahl von Familienrückführungen nach dem Dublin III-Verfahren konfrontiert:
Im Zeitraum vom 1. Oktober 2013 bis 19. April 2014 waren es 27 Fälle. Der
Rücktransport führte in verschiedene europäische Länder, die vielen Familien
aufgrund ihrer Fluchterfahrungen bekannt sind. Häufig sind diese Erfahrungen negativ und lösen Angst aus. Die Erfahrungen und Erlebnisse, die Kinder
beim Abschiebungsverlauf machen, hinterlassen in ihrer Seele tiefe Verletzungen, insbesondere dann, wenn die Kinder Gewaltanwendung gegenüber ihren
Eltern miterleben. Die Kommissionen kritisierten daher wiederholt – mit Verweis auf das Kindeswohl – die Umstände der Abschiebungen von Familien mit
kleinen Kindern bzw. schwangeren Müttern (siehe auch S. 143 ff.).
Abschiebungen
Ein weiteres Problem, das im Rahmen von Abschiebungen manifest wurde,
ist die Frage der Verantwortung für die grenzüberschreitende gesundheitliche
Versorgung chronisch kranker Menschen. Während auf dem Transportweg
seitens der Polizei die medikamentöse Versorgung gewährleistet wird, ist die
lückenlose Weiterbehandlung am Ankunftsort keineswegs gesichert. Dass eine
substanzabhängige Patientin bzw. ein substanzabhängiger Patient, der in Österreich in ein Substitutionsprogramm integriert war, oder eine Diabetikerin
bzw. ein Diabetiker die erforderliche Medikation in einem europäischen Zielland (bei Dublin-III-Rückführungen) unmittelbar nach der Ankunft erhält,
sollte gewährleistet sein (siehe auch S. 142 ff. ).
Hinsichtlich der beobachteten Lokalkontrollen im Rotlichtmilieu ist festzuhalten, dass die Kommissionen zwar die Bemühungen um einen möglichst korrekten Ablauf anerkennen, die Vorgangsweise allerdings den Aspekt des Menschenhandels häufig außer Acht lässt, zumal keine Dolmetscherinnen und
Dolmetscher bei den Überprüfungen beigezogen werden. Die Beamtinnen und
Beamten sollten zu Umgang, Gesprächssetting und Kommunikationsstrategien mit potentiellen Opfern geschult werden.
Menschenhandel
19
Nationaler Präventionsmechanismus im Überblick
1.7
Bericht des Menschenrechtsbeirats
Der Menschenrechtsbeirat konnte im Jahr 2014 seine erfolgreiche Arbeit weiter fortsetzen und ausbauen. Er trat im Jahr 2014 zu insgesamt fünf Sitzungen zusammen und bildete zahlreiche Arbeitsgruppen, die ihrerseits in rund
20 Sitzungen, teilweise unter Beiziehung externer Expertinnen und Experten,
tagten.
Treffen mit
ausländischen
Delegationen
Im Februar 2014 sprachen mehrere Mitglieder des Menschenrechtsbeirats mit
einer tunesischen Parlamentsdelegation über Fragen des NPM. Die Vorsitzende nahm am Besuchsprogramm des NPM von Mazedonien in Wien im April
2014 teil und referierte über die Tätigkeit des Menschenrechtsbeirats und die
menschenrechtlichen Standards des „Europäischen Komitees zur Verhütung
von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe“
(CPT). Im Dezember 2014 traf eine Delegation der Expertengruppe „GRETA“
(„Group of Experts on Action against Trafficking in Human Beings“) des Europarats mit Mitgliedern des Menschenrechtsbeirats zusammen.
Erfolgreiche
Beratungstätigkeit
Die VA richtete verschiedene Anfragen (Vorlagen) an den Menschenrechtsbeirat, die überwiegend noch im Jahr 2014 erledigt werden konnten. Folgende
Themen wurden dabei behandelt:
Gesundheitswesen und ärztliche Betreuung in Justizanstalten,
Einsatz von Netzbetten versus Achtung der Menschenwürde,
Bundes-Blindeninstitut vereinbar mit der UN-BRK,
Schranken der Befugnisse von privaten Sicherheitsdiensten in psychiatrischen
Einrichtungen,
Menschenrechtliche Anforderungen an Daten und Statistiken zur Lebenssituation von Menschen mit Behinderung,
Besonders gesicherte Hafträume in Justizanstalten,
Beschäftigungstherapiewerkstätten – Reformbedarf,
NPM-Mandat für Abschiebungen und Zurückweisungen auf dem Luftweg,
Supervision bei der Polizei,
Rechtsschutz bei altersuntypischen freiheitsbeschränkenden Maßnahmen bei
Kindern und Jugendlichen mit Behinderung (noch in Bearbeitung),
Baulich getrennte WC-Anlagen in Anhalteräumen der Polizeiinspektionen
(noch in Bearbeitung),
Aus eigener Veranlassung richtete der Menschenrechtsbeirat folgende Arbeitsgruppen ein:
20
Nationaler Präventionsmechanismus im Überblick
„Einheitliche menschenrechtliche Standards und Prüfkriterien bei polizeilichen Großlagen“ (noch in Bearbeitung),
„Arbeitsweise des Menschenrechtsbeirats“ (noch in Bearbeitung).
Die Stellungnahme zu „Beschäftigungswerkstätten – Reformbedarf“ wurde
auch auf der Volltextbibliothek des BIDOK (Behinderung Inklusion Dokumentation), einem Projekt des Instituts für Erziehungswissenschaft der Universität
Innsbruck, veröffentlicht.
Die Stellungnahmen des Menschenrechtsbeirats, deren Veröffentlichung er
selbst angeregt und der NPM beschlossen hat, sind überwiegend im Volltext
auf der Homepage der VA nachzulesen.
1.8
Weitere Aktivitäten
Seminare, Workshops, Publikationen
Um die Kooperation mit den OPCAT-Kommissionsleiterinnen und –leitern zu
verbessern, wurden Seminare vor Ort, d.h. für die jeweiligen Regionalkommissionen, durchgeführt und damit der spezifische Erfahrungsaustausch verstärkt.
In einem zweitägigen Workshop wurden, ausgehend von der Grundsatzfrage
Was heißt Prävention? (unter der Leitung des Europaratsexperten Dr. Markus
Jaeger), wesentliche Fragen der Schwerpunktsetzung und der Professionalisierung im methodischen Vorgehen (Leitung Dr. Barbara Jauk, Gewaltschutzzentrum Steiermark und Mitglied des Menschenrechtsbeirats) erarbeitet und
gefestigt. An diesem jährlichen Erfahrungsaustausch nahmen neben Kommissionsleiterinnen und –leitern sowie Kommissionsmitgliedern auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der VA teil. In den regelmäßig abgehaltenen Arbeitssitzungen der Kommissionsleiterinnen und –leiter und der Mitglieder der VA
mit ihren jeweiligen Teams wurden sowohl aktuelle Arbeitsfragen diskutiert
als auch grundsätzliche Festlegungen erörtert und verabschiedet. Wesentliche
Abstimmungen für den täglichen Ablauf der Arbeit als NPM konnten damit
vorgenommen werden.
Zur weiteren Verbesserung der Arbeitsgrundlagen – sowohl für die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter der VA als auch für die Mitglieder der Besuchskommissionen und deren Leiterinnen und Leiter – wurde der Status der
Protokoll-Datenbank ausgebaut.
Als Zeichen einer guten Kooperation mit Behörden sind vor allem Workshops
und Arbeitssitzungen zu nennen; exemplarisch ist das Treffen mit einschlägigen Repräsentantinnen und Repräsentanten der Polizei sowie mit der Sozialverwaltung hervorzuheben.
Um die Arbeit des NPM einer qualifizierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und Impulse von einem möglichst weiten Kreis von Vertreterinnen und
Vertretern der Zivilgesellschaft erörtern zu können, wurden in einem „NGO-
21
Nationaler Präventionsmechanismus im Überblick
Forum“ einerseits Überlegungen zur Erarbeitung der Grundzüge eines Nationalen Aktionsplans Menschenrechte (NAP Menschenrechte) vorgestellt und
diskutiert und andererseits menschenrechtsrelevante Erfahrungen und Denkanstöße gesammelt. Dabei konnte der NPM resümieren, dass sowohl der
grundsätzliche Auftrag „Schutz und Förderung der Menschenrechte“ als auch
die einzelnen daraus abzuleitenden Aufgaben und Tätigkeiten sehr gut im allgemeinen Bewusstsein verankert sind und der NPM als „Menschenrechtshaus
der Republik“ erfolgreich etabliert ist.
Publikationen in Fachmedien trugen und tragen zur weiteren Verankerung
des NPM bei und veranschaulichen die jeweilige Kompetenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bzw. der beteiligten Akteure.
Mehr dazu im ersten Band des Berichts im Kapitel 2.4.
Internationale Vernetzung
Austausch im
deutschen Sprachraum
Im Sinne des Austauschs von Erfahrungen mit anderen Präventionsmechanismen des deutschen Sprachraums entsandte der NPM im April Vertreterinnen
und Vertreter zu einem ersten Treffen nach Berlin. Ziel dieses Treffens war der
Aufbau einer Kooperation zwischen den NPMs aus Deutschland, Österreich
und der Schweiz, wobei der Austausch über wirkungsvolle Präventionsarbeit,
erfolgreiche Arbeitsweisen und bewährte Strategien in den einzelnen Ländern
im Mittelpunkt stand. Aufgrund des großen Erfolges dieses ersten Treffens wird
der NPM ein Folgetreffen in Österreich ins Auge fassen.
Südosteuropäisches
NPM-Netzwerk
Seit Oktober 2013 ist der NPM auch ein Mitglied des Netzwerks südosteuropäischer NPM-Einrichtungen (SEE NPM-Network). Der Zusammenschluss von
Ombudsmann-Einrichtungen aus Albanien, Bulgarien, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Serbien, Slowenien und Österreich, die mit NPM-Aufgaben
betraut sind, dient dem Wissens- und Erfahrungsaustausch sowie der gegenseitigen Unterstützung. Der NPM war auch 2014 wieder in drei dieser südosteuropäischen Netzwerktreffen vertreten.
Slowenische
OmbudsmannEinrichtung
Das erste Treffen im Rahmen des SEE NPM-Netzwerks wurde von der slowenischen Ombudsmann-Einrichtung in Ljubljana organisiert. Beim Besuch eines
Polizeianhaltezentrums in Ljubljana konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Einblicke in die tägliche Arbeit des slowenischen NPM gewinnen.
NPM-Workshop in
Mazedonien
Ein SEE NPM-Workshop in Mazedonien thematisierte die Kontrolle von psychiatrischen Einrichtungen und den – auch präventiven – Schutz vor Folter
und Misshandlung. Anlass gab die derzeitige Situation in Mazedonien und die
Tatsache, dass die in Psychiatrien tätigen Ärztinnen und Ärzte keine Form der
externen Kontrolle akzeptieren. Die Ärztinnen und Ärzte waren daher ebenfalls zum Workshop eingeladen und konnten sich über international etablierte Kontrollmechanismen und Kontrollpraktiken informieren. Der Vortrag eines Kommissionsmitglieds wurde von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern
aufgrund seiner Praxisnähe besonders gut angenommen.
22
Nationaler Präventionsmechanismus im Überblick
Ein vom serbischen Ombudsmann organisiertes OPCAT Forum lud Vertreterinnen und Vertreter des SEE NPM-Netzwerks im November nach Belgrad,
um einen präventiven Ansatz für die Abschaffung von Folter und den Kampf
gegen Straffreiheit in diesem Bereich zu erörtern. Die Teilnehmerinnen und
Teilnehmer tauschten dabei ihre Erfahrungen über die Situationen in Erstaufnahmezentren, Gefängnissen und Psychiatrien aus.
OPCAT-Forum in
Belgrad
Der NPM stellt seine Expertise auch im Rahmen von bilateralen Arbeitsgesprächen mit Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt zur Verfügung.
So freute sich der NPM über eine Initiative Tunesiens, das als erstes Land in
der gesamten Region des Mittleren Ostens und Nordafrikas einen Schritt zum
Aufbau eines eigenen NPM setzt, und empfing im Februar eine tunesische
Delegation zum Erfahrungsaustausch in Wien. Ziel des Besuches war es, Tunesien bei der Etablierung eines NPM zu unterstützen, Fragen zur Finanzierung
und Bewältigung von Herausforderungen zu beantworten sowie Kriterien für
die Auswahl der Mitglieder einer solchen präventiven Menschenrechtskontrolle zu erstellen. Die tunesische Delegation traf auch mit Vertreterinnen und
Vertretern des Menschenrechtsbeirats und der Kommissionen zusammen.
Bilaterales Treffen mit
tunesischer Delegation
Ende April 2014 empfing der NPM eine Delegation der mazedonischen Ombudsmann-Einrichtung zu einem Arbeitsbesuch in Wien. Ziel dieses dreitägigen Besuches war es, die Delegation über den Aufbau und die Arbeitsweise der
österreichischen Menschenrechtskontrolle zu informieren. Ein besonderes Augenmerk bildeten dabei nationale und internationale Menschenrechtsstandards, die Kooperation mit Ministerien und den zu überprüfenden Einrichtungen sowie die Rolle der Zivilgesellschaft. Die mazedonische Delegation hatte
auch Gelegenheit, Kommissionsmitglieder beim Besuch einer Einrichtung für
Menschen mit Behinderung zu begleiten und so einen umfassenden Einblick
in die praktische Arbeit zu erhalten.
Mazedonischer NPM in
Wien
Auch in Griechenland wurde die dortige Ombudsmann-Institution mit der
Aufgabe des nationalen Präventionsmechanismus betraut und ist nun dabei, dieses neue Mandat zu implementieren. Aus diesem Anlass organisierte
der griechische Ombudsmann einen NPM-Workshop in Athen. Ein Experte
aus Wien unterstützte die Veranstaltung mit einer Präsentation über Aufbau,
Funktion und Tätigkeit des österreichischen NPM.
NPM-Workshop in
Athen
Im Hinblick auf die eigene Tätigkeit empfing der NPM im April Miloš Jankovic
von der serbischen Ombudsmann-Einrichtung in Wien. Er ist seit 2013 Mitglied des UN-Unterausschuss zur Verhütung von Folter (SPT) und als Länderberichterstatter u.a. auch für Österreich zuständig. Im direkten Gespräch mit
Herrn Jankovic konnte der NPM wichtige Hinweise für die Berichterstattung
an das SPT gewinnen.
SPT-Berichterstatter
besucht VA
Im Oktober nahmen Expertinnen und Experten des NPM an einem Workshop
zu NPM-Empfehlungen teil, der vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte organisiert wurde. Der Schwerpunkt des Workshops lag dabei
BIM-Workshop zu NPM
Empfehlungen
23
Nationaler Präventionsmechanismus im Überblick
auf der Follow-up-Kontrolle und der Umsetzung von Empfehlungen. Ebenfalls
thematisiert wurden Schnittstellen der Nationalen Präventionsmechanismen
mit dem SPT, dem CPT (Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter und
unmenschlichere oder erniedrigender Behandlung oder Strafe) und dem APT
(Vereinigung zur Verhinderung von Folter).
OSZE
Themenschwerpunkt
Folterprävention
Der NPM beteiligt sich aktiv am OSZE-Dialog über Aufgaben, Herausforderungen und Weiterentwicklungsmöglichkeiten der nationalen Menschenrechtsinstitutionen. Die traditionell gute Kooperation war dieses Jahr von besonderem
Interesse, da die Schweiz in ihrer Funktion als OSZE Vorsitzland den Themenbereich „Folterprävention“ als Schwerpunkt für das Jahr 2014 definierte.
Der NPM zeigte sich daher gerne bereit, im Rahmen eines Treffens des OSZEMenschenrechtskomitees in Wien einen Bericht über die bisherige Tätigkeit
zu präsentieren. Expertinnen und Experten des NPM nahmen auch an einem
Zusatztreffen zur menschlichen Dimension teil, das sich ebenfalls dem Thema
der Folterprävention widmete, und besuchten ein APT-Treffen, das im Vorfeld
des OSZE-Zusatztreffens NPM-Einrichtungen aus ganz Europa zu einem Erfahrungsaustausch in den Bereichen Polizei und Folterprävention nach Wien
holte.
Europarat
CPT trifft NPM
Im September absolvierte das CPT seinen mittlerweile sechsten Besuch in Österreich und traf dabei zum ersten Mal mit dem NPM zusammen. Mitglieder
der VA und zwei Kommissionsleiter informierten das vom Europarat eingesetzte Monitoring-Organ über aktuelle Probleme an Orten des Freiheitsentzugs in
Österreich und tauschten sich über nationale und internationale Standards
des Menschenrechtsschutzes aus. Im Zentrum der Gespräche standen neben
dem Verbot von Netzbetten auch der Umgang mit Misshandlungsvorwürfen
gegen die Polizei, der Jugendstrafvollzug und der Personalmangel in Justizvollzugsanstalten. Im Rahmen des zehntägigen Aufenthaltes absolvierte das CPT
angekündigte und unangekündigte Besuche im Anhaltezentrum Vordernberg,
den Justizanstalten Stein und Wien-Josefstadt, dem Otto-Wagner-Spital sowie
in Polizeistationen und anderen Orten, wo die Freiheit entzogen werden kann.
Veranstaltungen
Einen regen Gedanken- und Erfahrungsaustausch gab es mit internationalen Organisationen bei Vorträgen und Podiumsdiskussionen, etwa bei der 27.
Sitzung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen in Genf (UN Human
Rights Council) am 10. September 2014, bei der Präsentation von „Young People and their Rights“ (der englischsprachigen Fassung von „Junge Menschen
und ihre Rechte“) bei einem Side Event am 9. September 2014, bei Arbeitsge-
24
Nationaler Präventionsmechanismus im Überblick
sprächen im Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) in Wien über Kinderrechte und Österreichs NPM-Erfahrungen sowie bei Arbeitsbesuchen von CPT-Vertretern. Auch Gespräche mit
Repräsentantinnen und Repräsentanten der diplomatischen Vertretungen europäischer und außereuropäischer Staaten und Partner-Ombudseinrichtungen erweiterten das Arbeitsspektrum und eröffneten neue Möglichkeiten für
Kooperationen, Partnerschaften und künftige Aktivitäten. Die modellhaft gut
konzipierte Organisation des NPM wurde von den Dialogpartnern und Gästen vielfach besonders hervorgehoben und in seiner Ausformung und Ausstattung gewürdigt.
Als Beispiel für die nachhaltige Kooperation und Menschenrechtsbildung sei
auf den Workshop mit Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft zum
Thema „Polizei.Macht.Menschenrechte“ verwiesen, der an eine bestehende
gute Tradition anschließt und neue Wege der Kooperation eröffnet – vor allem
jene, die über die laufenden Arbeitsgruppen und -sitzungen in der VA hinausgehen.
Nachhaltige
Kooperationen und
Menschenrechtsbildung
Auf eine gute Kooperationsbasis geht auch die Zusammenarbeit mit den Wiener Volkshochschulen zurück, welche die Gelegenheit bot, v.a. im Zusammenhang mit der Initiative „Wien wird Menschenrechtsstadt“ sowie in zahlreichen
Podiumsdiskussionen die Prüf- und Präventionstätigkeit des NPM anschaulich
darzustellen.
Mit der Eröffnung des neuen Besuchs- und Informationsbereichs VA.TRIUM
im Eingangsbereich der VA wurde ein eindrückliches Zeichen für Menschenrechtsbildung und Förderung des Menschenrechtsbewusstseins gesetzt (mehr
dazu in Band 1 Kapitel 2.4.).
25
Alten- und Pflegeheime
2
Feststellungen und Empfehlungen
2.1
Alten- und Pflegeheime
2.1.1Einleitung
Die Kommissionen besuchten im Berichtsjahr 89 Alten- und Pflegeeinrichtungen. Dabei kontrollierten sie bewusst sowohl größere Heime als auch sehr
kleine Einrichtungen. Die Kooperationsbereitschaft der Einrichtungen mit
Kommissionen und VA war im Wesentlichen hoch. In einem Fall entschied
die zuständige Kommission, einen Besuch unverzüglich abzubrechen. Ein Mitarbeiter der Einrichtung hatte am Vortag Suizid begangen. Die Betroffenheit
darüber war deutlich wahrnehmbar. Aus Gründen der Pietät wurde der Besuch verschoben.
In Österreich gibt es rund 850 größere Alten- und Pflegeheime mit mehr als
75.000 Plätzen. Davon sind etwas mehr als 400 öffentliche Einrichtungen.
Knapp 450 Alten- und Pflegeheime haben private Träger, davon 79 konfessionelle. Rund 25 % dieser der Alten- und Pflegeheime haben ein Qualitätsmanagement-System eingeführt. Ende 2014 waren 32 Heime mit dem nationalen
Qualitätszertifikat für Alten- und Pflegeheime in Österreich (NQZ) ausgezeichnet. Die gesetzliche Basis für das nationale Qualitätszertifikat für Alten- und
Pflegeheime in Österreich (NQZ) wurde in einer Novelle des Bundes-Seniorengesetzes, die mit 1. Jänner 2013 in Kraft trat, geschaffen. Das NQZ beinhaltet ein österreichweit einheitliches Fremdbewertungssystem mit dem Ziel,
die Lebensqualität in Alten- und Pflegeheimen transparent zu machen und
systematisch weiter zu entwickeln.
Qualitätsmanagement
und NQZ
Die Regelungskompetenz für den Betrieb von Alten- und Pflegeheimen samt
den Strukturen, unter denen Pflege- und Dienstleistungen erbracht werden
(Pflegestandards, Ausstattung, Personalschlüssel, Fachkräftequoten, ärztliche
Betreuung, Betriebspflichten, Rechte der Bewohnerinnen und Bewohner), liegt
bei den einzelnen Bundesländern. Den umfangreichsten Katalog an Rechten
für Bewohnerinnen und Bewohner enthält das Wiener Pflegeheimgesetz. Am
untersten Ende der Skala diesbezüglich ist OÖ, wo solche Rechte nur spärlich
normiert sind. Es gibt Heimgesetze, die sich zum Recht auf Pflege und dessen
Umsetzung überhaupt ausschweigen, andere gestehen diese nur im Umfang
der Leistungsangebote vor oder stellen darauf ab, dass Bewohnerinnen und
Bewohner entsprechend ihren Bedürfnissen unter Beachtung ihrer vertraglichen Rechte betreut werden müssen. Einzig in Wien wird das Recht auf respektvolle Pflege, fachgerechte und insbesondere an aktuellen Pflegestandards
ausgerichtete Pflege statuiert.
Länderweise
unterschiedliche
Regelungen
Die Umsetzung pflegewissenschaftlicher Ergebnisse und die Anwendung verschiedener – auch aus Sicht präventiver menschenrechtlicher Kontrolle – wesentlicher Assessment-Instrumente (z.B. für die Risikoeinschätzung im Zusam-
Deutlich gestiegene
Anforderungen
27
Alten- und Pflegeheime
menhang mit Sturzprophylaxe, Schmerz, Hygiene, Mangelernährung, Hautschäden) macht in allen Bundesländern eine Neuausrichtung und Professionalisierung der Pflege erforderlich. Dazu kommt, dass die meisten Bewohnerinnen und Bewohner schon bei Eintritt in Einrichtungen hochbetagt (über
85-jährig) sind und wegen chronischer Leiden und Mehrfacherkrankungen
einen dementsprechend hohen Pflege- und Betreuungsbedarf aufweisen.
Herausforderung
Demenz
Dementielle Erkrankungen im fortgeschrittenen Stadium sind dabei der häufigste Grund für den Umzug vor allem von allein lebenden Menschen. Als begrenzende Faktoren für häusliches Wohnen gelten insbesondere auch Stuhlinkontinenz, häusliche Gefahren und demenzassoziierte Verhaltensstörungen.
Expertinnen und Experten betonen, dass antidementiv gut eingestellte Demenzkranke und deren Umfeld im Hinblick auf Betreubarkeit und Wohnfähigkeit profitieren. Bleibt ein Durchbruch in Prävention und Therapie aus,
wird sich die Anzahl der Demenzkranken in Österreich von 90.500 im Jahr
2000 auf rund 233.000 im Jahr 2050 erhöhen. Dabei handelt es sich um mittelschwere und schwere Demenzen mit einem hohen Hilfs- und Versorgungsbedarf. Aufgrund dieser Situation gewinnen gerontopsychiatrisches, palliativpflegerisches und palliativmedizinisches Wissen und eine bestmögliche stetige
ärztliche Versorgung in Alten- und Pflegeheimen immer mehr an Bedeutung.
Auch die Erwartungshaltung von Angehörigen, was diese Einrichtungen als
letzter Wohnort von Menschen in der Langzeitbetreuung leisten sollten, steigt
dementsprechend. Es geht daher nicht mehr nur um Grundpflege („warm, satt,
sauber“), sondern auch um die psychosoziale und rehabilitative Versorgung
von Geriatriepatientinnen und -patienten. Durch spezielle räumliche, personelle und alltagsbezogene Gestaltung ist eine Unterstützung der Betreuung
und Pflege dementiell erkrankter Menschen in Bezug auf deren spezielle Bedürfnisse wie z.B. bei gesteigertem Bewegungsdrang, bei Tag-Nacht-Umkehr,
aber auch bei Verhaltensauffälligkeiten möglich. Dazu braucht es Ressourcen.
Harmonisierung der
Rahmenbedingungen
notwendig
Wie viel Personal nötig ist, nach welchem Schlüssel dies berechnet wird oder
über welche Qualifikationen das Personal verfügen muss, ist von Bundesland
zu Bundesland verschieden geregelt. Damit Pflegepersonen bundesweit in einem gesicherten Rahmen zeitgemäße, professionelle Pflege nach aktuellen
Standards, die Wissenschaft und Forschung in einzelnen Bereichen entwickelt
haben, leisten können, bedarf es bundeseinheitlicher Grundlagen für die Erstellung von Personalbedarfsberechnungen sowie vereinheitlichte Strukturparameter (Personal- und Qualifikationsschlüssel, Heimgröße, Ausstattung
sowie gemeinsame Qualitätssicherung). All das ist derzeit nicht gegeben. Entsprechend vielfältig sind auch die Eindrücke der Kommissionen bei ihren Besuchen in diesem Einrichtungstyp. Oftmals wurden die Kommissionen von
Seiten des Personals mit Klagen über mangelnde Ressourcen insbesondere bei
Unterstützung alter Menschen mit Demenz konfrontiert.
Positive Reaktionen auf
Kommissionsbesuche
Positiv hervorzuheben ist, dass Einrichtungen die Anregungen der Kommissionen auch als Feedback auffassen und annehmen konnten und Zusagen für
28
Alten- und Pflegeheime
Verbesserungen abgaben. Die Einhaltung derselben wird vom NPM im Zuge
von Follow-up-Besuchen oder in Prüfungsverfahren kontrolliert. Dabei zeigte
sich, dass leichter realisierbare Vorschläge vielfach aufgegriffen werden. Beispielsweise wurden Paravents zur Wahrung der Intimsphäre sowie Niederflurbetten zur Vermeidung von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen angekauft,
Sitzmöbel angeschafft, in die Personen im Rollstuhl zur Dekubitusprophylaxe
umgelagert werden und dennoch am Geschehen im Küchen-Ess- Aufenthaltsbereich teilnehmen können. Es wurde in einigen Einrichtungen der Zugang
zu Informationen in Piktogrammen für Demenzerkrankte hergestellt, Maßnahmen zur Erzielung von Barrierefreiheit gesetzt, Animations- und Freizeitangebote erweitert, spezifische Fortbildungen verstärkt etc. Außerdem wurden
in mehreren Heimen in Reaktion auf Abschlussgespräche mit Kommissionen Maßnahmen zur Verbesserung der Dokumentation gesetzt und das Beschwerdemanagement verbessert. Zuweilen wurden verstärkte Maßnahmen
zur Sturzprophylaxe oder Schmerzassesments empfohlen und umgesetzt. Im
Zuge von Kommissionsbesuchen stellte sich des Öfteren auch heraus, dass
freiheitsbeschränkende Maßnahmen nicht, wie im HeimAufG vorgesehen,
auch unverzüglich der Bewohnerinnen- bzw. der Bewohnervertretung gemeldet
wurden. Das macht diese Beschränkungen per se unzulässig. Entsprechende
„Nachmeldungen“ gab es deshalb in mehreren Fällen.
Auch Anregungen zu sehr spezifischen pflegerischen Situationen, in denen es
zu Freiheitsbeschränkungen kam, wurden aufgegriffen. So traf eine Delegation auf eine demente Bewohnerin, der Waschlappen um beide Hände gebunden worden waren, um ein Kratzen am Körper zu verhindern. Beim Followup-Besuch wurde festgestellt, dass diese Frau seit der Kritik juckreizlindernde
Medikation erhält und ihre Hände nun frei bewegen kann, ohne sich weiter
selbst zu verletzen.
Generell spielte in der Pflege eine die Bedürfnisse von Bewohnerinnen und
Bewohnern aufmerksam wahrnehmende Unternehmenskultur und eine wertschätzende Haltung eine entscheidende Rolle. Selbstbestimmung und Würde
von Menschen, die zunehmend auf Hilfe angewiesen sind und dabei Eingriffe
in ihre Intimsphäre zulassen müssen, sind sehr leicht bedroht. Die Kommissionen beanstandeten in einigen Fällen „Fließband-Pflege“ sowie Verhaltensweisen, welche deutlich von normalen Maßstäben abweichen. Wenn z.B. das
Frühstück serviert wird, obwohl eine Frau noch auf dem Toilettenruhlstuhl
sitzt, oder sämtliche Bewohnerinnen und Bewohner beim Essen Lätzchen tragen müssen, wie sie normalerweise bei Kleinkindern verwendet werden, stellt
dies eine entwürdigende Versorgung dar. Wenig bleibt vertraulich, wenn persönliche Angaben in Gemeinschaftsbereichen vor anderen gemacht werden
müssen oder Gespräche mit Arztinnen und Ärzten sowie Angehörigen mitgehört werden können. An gehörigem Respekt scheint es auch zu mangeln,
wenn Aufforderungen im Befehlston ergehen („Legen Sie sich hin!“) oder erwartet wird, dass alte Menschen im Sinne der Pflegeroutine „funktionieren“.
Respekt in der Pflege
unabdingbar
29
Alten- und Pflegeheime
Vielfach nahmen die Kommissionen das Bemühen der Leitung und des Pflegepersonals um eine freundliche, entspannte und angenehme Atmosphäre
und einen sorgsamen Umgangston wahr. Aber auch in der nichtsprachlichen
Kommunikation mit alten Menschen, der Durchführung pflegerischer Handlungen selbst, in Pflegeplanungen, bei vorgenommenen Tages- und Zeitstrukturierungen, der Begleitung desorientierter oder sterbender Menschen und in
der Dokumentation können sich unbeabsichtigt negative oder unreflektierte
Haltungen gegenüber den zu Pflegenden abbilden. Fallweise machten Kommissionen bei Besuchen darauf aufmerksam, dass abgewendete Pflegebalken
in Betten für alte Menschen nicht erreichbar sind, Rufsysteme nicht funktionieren, das Entblößen von Körperteilen oder die Inkontinenzversorgung vor
den Augen Dritter stattfindet, beim Duschen die Badezimmertüre offen bleibt,
Orientierungshilfen fehlen, mit neu eingezogenen Personen keine Führung
durch die Einrichtung vorgenommen wurden, ihnen nicht gezeigt wurde, wo
sich Terrassen befinden etc.
Forschung zu
menschenrechtsrelevanter Prävention
initiiert
Die VA hat ein Projekt angeregt, das Forschungsliteratur zum Thema „Prävention“ aufarbeiten soll. Univ.-Prof. Dr. Titscher hat ein entsprechendes anwendungsorientiertes Projekt als Projektleiter beim Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank eingereicht und bewilligt bekommen. Im Zentrum der
Studie steht die Prävention zur Verhütung von Menschenrechtsverletzungen.
Die Studie konzentriert sich vor allem auf zwei Typen von Wiener Einrichtungen: Alten- und Pflegeheime sowie Krankenanstalten, die psychiatrische Abteilungen führen. Die Leitfragen lauten: Wie können Einrichtungen, in denen
Menschen versorgt werden, präventive Mechanismen in ihre Arbeit integrieren? Und wenn das in verstärktem Maße möglich ist: Wie können sie dabei
unterstützt werden, das effektiver und effizienter zu tun? Um diese Fragen zu
beantworten, wird versucht, die Indikatoren zu identifizieren, die (vor allem)
die Versorgungsqualität beeinflussen. Anwendungsorientiert ist das Projekt,
weil die Ergebnisse dem NPM eine wissenschaftlich fundierte Hilfestellung für
die Prüfthemen und die Prüfmodalitäten geben sollen. Der NPM sieht derartige Vorhaben als Teil ihrer gesetzlichen Verpflichtung an, mit der Wissenschaft
zu kooperieren (§ 7 Abs. 3 VolksanwG).
Freiheitsbeschränkungen – Zentrales
Register
Der Schutz der persönlichen Freiheit während des Aufenthalts in Heimen und
anderen Pflege- und Betreuungseinrichtungen ist seit 2005 bundesgesetzlich
geregelt (HeimAufG). Eine wichtige Voraussetzung für die Zulässigkeit einer
freiheitsbeschränkenden Maßnahme ist, dass keine gelinderen Mittel zur Verfügung stehen. Alle Bemühungen, Häufigkeit, Ausmaß und Intensität freiheitsbeschränkender Maßnahmen – also technische, arzneimittelbasierte,
kommunikative und interaktive Eingriffe in die (Fortbewegungs-)Freiheit – zu
minimieren, sind deshalb ein Qualitätsmaßstab. Eine an der Menschenwürde
und den Menschenrechten ausgerichtete Pflege ist ohne aktiven Schutz der
persönlichen Freiheit undenkbar. Daher drängt dieser Achtungsanspruch darauf, dass Einrichtungen ihren eigenen Umgang mit freiheitsbeschränkenden
Maßnahmen überdenken und ständig selbstkritisch evaluieren. Das geschieht
30
Alten- und Pflegeheime
teils nicht mit der gehörigen Aufmerksamkeit. Es gibt aber auch traditionelle
Pflegeheime, die sich das als konkrete Zielvorgabe setzen und in der Pflegeplanung detailliert darauf abstellen, individuelle Lösungen für auftretende
Probleme zu suchen und zu finden, ohne in die Autonomie der zu Pflegenden
einzugreifen. Zum Teil schon in Verwendung befindliche EDV-gestützte Pflegedokumentationssysteme (z.B. Vivendi) erleichtern die Identifikationen von
Risiken und lassen auch gezielte Auswertungen gesetzter freiheitsbeschränkender Maßnahmen als Basis einer stetigen Selbstevaluierung zu. Das CPT
empfiehlt, in psychiatrischen Krankenanstalten ein Zentralregister zur Erfassung freiheitsbeschränkender Maßnahmen einzuführen. Das Gleiche fordert
der NPM auch für Alten- und Pflegeheime. Das BMG hat sich dieser Ansicht
angeschlossen und ein dementsprechendes Informationsschreiben an die Länder versandt.
Die Kommissionen stießen, wie auch schon im Jahr davor (PB 2013, S. 49),
bei ihren Besuchen immer wieder auf Menschen unter 60 Jahren in Pflegeheimen. Das grundsätzliche Problem besteht österreichweit darin, dass Behinderteneinrichtungen üblicherweise nicht auf die Versorgung von Bewohnerinnen
und Bewohnern mit intensivem Pflegebedarf ausgerichtet sind und kaum über
durchgehend beschäftigtes Pflegefachpersonal verfügen. Jüngere Menschen
mit erhöhtem pflegerischem oder medizinischem Pflegebedarf werden deshalb
in Pflegeheimen oder Geriatriezentren aufgenommen. Deren Konzepte sind
jedoch auf hochaltrige und demenzkranke Personen ausgerichtet und bieten
kein geeignetes Lebensumfeld für wesentlich jüngere Menschen.
Fehlplatzierungen:
junge Menschen im
Altersheim
Es ist daher erforderlich, entsprechende Konzepte zu entwickeln und ausreichend Plätze für diese Personengruppe zur Verfügung zu stellen. Wichtig dabei
ist, für junge behinderungsbedingt eingeschränkte Menschen mit Pflegebedarf
Wahlmöglichkeiten zu schaffen und aktiv anzubieten. Dazu gehören auch
Konzepte und Modelle, die Pflege und Betreuung in der eigenen Wohnung
leistbar machen.
In Wien wurde beim Dachverband der Wiener Sozialeinrichtungen eine Arbeitsgruppe zu dieser Thematik eingerichtet. Neben Vertreterinnen und Vertretern der verschiedenen Trägerorganisationen sowie Selbstvertreterinnen
und Selbstvertretern nahm auch der NPM daran teil. Im Rahmen dieser Arbeitsgruppe führte der Fonds Soziales Wien (FSW) ein Assessment in den Einrichtungen des KAV durch. Zum Zeitpunkt dieser Erhebung im Frühjahr 2014
befanden sich insgesamt 308 Menschen unter 60 Jahren in den Pflegehäusern
des KAV, 50 davon äußerten ausdrücklich den Wunsch zu wechseln.
Auch in Niederösterreich wurden inzwischen die Zahlen erhoben: In 107 Häusern mit über 9.000 Plätzen werden derzeit 245 Personen unter 60 Jahren in
Langzeitpflege betreut. Erhebungen, ob Fehlplatzierungen und der Wunsch zu
wechseln bestehen, werden zurzeit noch durchgeführt.
Der NPM begrüßt diese Initiativen und wird weiter beobachten, ob konkrete
Verbesserungen für diese Personengruppe erarbeitet werden.
31
Alten- und Pflegeheime
2.1.2
Systembedingte Problemfelder
2.1.2.1 Ärztliche Versorgung
Unzureichende
ärztliche Versorgung
Die Kommissionen stießen im Gesundheitsbereich auf vielfältige Problemfelder. Heimträger müssen aufgrund der meisten Landesgesetzgebungen die freie
Arztwahl sicherstellen. Hausärztinnen und -ärzte sind nach Beobachtung der
Kommissionen oft mangels entsprechender Weiterbildung mit den vielfältigen
Krankheitsbildern im Alter zum Teil überfordert. Probleme gibt es etwa dann,
wenn in Einrichtungen kaum Fachärztinnen und Fachärzte, etwa aus dem
Gebiet der Geriatrie, Psychiatrie oder Neurologie, sowie Therapeutinnen und
Therapeuten zur Optimierung der Betreuung beigezogen werden. Die Folge
davon sind u.a. Polypharmazie und/oder die Abgabe von nicht geeigneten
Medikamenten sowie das Unterschätzen der Wirksamkeit nichtmedikamentöser Therapien.
Wechselwirkungen von somatisch/hirnorganischen, psychischen, biographischen und sozialen Faktoren in der Altenpflege stärker zu berücksichtigen,
wäre allein schon durch die steigende Anzahl älterer und pflegebedürftiger
Menschen notwendig. Ziel der geriatrischen Wirkungsanalyse muss sein, viel
von dem zu erreichen, was noch möglich ist, und nichts an Ressourcen zu verlieren und damit die Lebensqualität weiter zu beschneiden. Einrichtungspersonal, dem Mängel auffallen, hat keine Möglichkeit einer effektiven Intervention, wenn die behandelnde Ärztin bzw. der behandelnde Arzt keine Einsicht
zeigt oder Sachwalterinnen bzw. Sachwalter nicht engagiert auftreten.
Verschwiegenheitspflicht soll
bestmögliche
Versorgung nicht
behindern
Die Kommissionen stellten fallweise fest, dass behandelnde Ärztinnen oder
Ärzte mit Hinweis auf die Verschwiegenheitspflicht die Weitergabe wesentlicher Gesundheitsdaten an das Pflegepersonal verweigerten. Es gibt keine gesetzliche Grundlage dafür, dass Ärztinnen und Ärzte ihre Dokumentation in
Pflegeheimen zu führen haben. Das Heimaufenthaltsgesetz (HeimAufG) und
das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) setzen allerdings eine Kooperation aller in Gesundheitsberufen Tätigen mit den Pflegeheimen voraus.
Diesbezüglich wandte sich der NPM an das BMG. Dieses teilte mit, dass für
2015 eine weitere Novelle zum Ärztegesetz in Aussicht genommen sei und
man sich darin der Frage, wie man das besser unterstützen könne, zuwenden
werde.
Der NPM erachtet eine derartige Novellierung für dringend erforderlich. Ebenso müssen Lösungen dafür gefunden werden, dass hilfsbedürftige Menschen
in Pflegeheimen ausreichend fachärztlich versorgt sind.
XX
Freie Arztwahl.
XX
Facharztversorgung und Kooperation mit Einrichtungen soll verbessert werden.
Einzelfall: VA-T-SOZ/0014-A/1/2014 u.a.
32
Alten- und Pflegeheime
2.1.2.2 Medikamentöse Versorgung
Die Kommissionen stellten in den Pflegeheimen wiederholt Mängel bezüglich
Medikamentenverordnung, informed Consent (Einwilligung in die Behandlung nach sorgfältiger Aufklärung) und freiheitsbeschränkenden Maßnahmen nach dem HeimAufG mittels Medikamenten fest.
Bei Menschen mit Demenz nehmen am späten Nachmittag und am Abend oft
Unruhe, Verwirrtheit oder der Aktivitätsdrang zu. Mit dem Fortschreiten der
Krankheit kommt es vor, dass Betroffene in der Nacht mehrmals aufwachen
und aufstehen möchten. Der Schlaf wird längere Zeit durch Aktivitäten unterbrochen, die sich aus der nächtlichen Desorientierung ergeben. Betroffene
finden sich örtlich oder zeitlich nicht mehr zurecht, meinen, es sei Zeit zum
Aufstehen, und wollen Arbeiten nachgehen, die sie von früher her gewohnt
waren. Sie haben vergessen, dass sie im Bett waren, wissen nicht mehr, wo sie
sind, und wollen wieder nach Hause. Kompensiert wird der fehlende Schlaf in
der Nacht durch vermehrte Schlafphasen am Tag.
Derzeit liegen Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen nach Verabreichung entsprechender sedierender Medikamente häufig bereits am späteren Nachmittag wieder in den Betten. Schlafstörungen bei Demenzkranken
lassen sich aber nicht allein mit Medikamenten behandeln. Medikamentöse schlafverbessernde Maßnahmen müssen vielmehr verbunden werden mit
einer Therapie der Demenz (z.B. mit Antidementiva), mit einer Behandlung
körperlicher oder psychischer Begleitkrankheiten und nichtmedikamentösen
Verfahren.
Nichtmedikamentöse
Interventionen wichtig
Der zu unkritische Umgang mit Schlaf- und Beruhigungsmitteln hat gravierende negative gesundheitliche Folgen und schränkt die Mobilität und Lebensqualität älterer Menschen deutlich ein. Die Kommissionen haben dies vielfach
beanstandet und eine vierteljährliche regelmäßige Kontrolle der Medikamentenpläne zur Herstellung einer größeren Arzneimittelsicherheit angeregt. Den
Hauptgrund nicht nachvollziehbarer Psychopharmakaverordnungen und
-dosierungen sah die Kommission in fehlenden psychiatrischen Fachexpertisen, teilweise auch aufgrund abgelehnter Beiziehung von Konsiliarpsychiaterinnen und -psychiatern durch die in den Heimen tätigen Allgemeinmedizinerinnen bzw. -mediziner.
Arztinnen und Ärzte, die Verhaltensveränderungen und psychische Folgen
einer Demenzerkrankung behandeln, müssen nicht nur die Auswirkungen
bestimmter Psychopharmaka und ihre spezielle Wirkung sowie gesundheitsschädliche Nebenwirkungen bei alten Menschen gut kennen. Sie müssen
auch wissen, wie Verhaltensstörungen und Beeinträchtigungen der Stimmung
durch soziale und psychische Bedingungen zustande kommen und wieder verändert werden können. Dazu bedarf es Konzepte, die eine Tagesstrukturierung
durch Gestaltung von lebendigen Lebensräumen, bedürfnisorientierter Mobilisation, Kommunikation, Teilhabe an der Gemeinschaft etc. fördern. Das
33
Alten- und Pflegeheime
schließt auch die planmäßige Eröffnung von Möglichkeiten des Zugangs ins
Freie tagsüber ein.
Werden nicht geeignete oder zu viele Medikamente gleichzeitig und vielleicht
auch überdosiert abgegeben, können schwere Verhaltensprobleme und Beschwerden aus diesem Umstand resultieren. Die Wechselwirkungen von Psychopharmaka sind schwer einzuschätzen und manche Medikamente können
sich bei zu hoher Dosierung im Körper zunehmend anreichern, da sie bei älteren Personen nicht so schnell abgebaut werden. Medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten sind vielschichtig und umfassen nicht nur den rechtzeitigen Einsatz einer geeigneten Medikation, sondern häufig auch das Absetzen
bzw. „Ausschleichen“ ungeeigneter bzw. nicht mehr notwendiger Medikamente. Eine regelmäßige Kontrolle der Medikamentenliste auf Notwendigkeit,
Interaktionen, Nebenwirkungen u.ä. sollte selbstverständlich sein. Die individuellen Bedürfnisse sowie die jeweilige Situation sogenannter „schwieriger
Patienten“ verlangen große Aufmerksamkeit und Sensibilität.
Die Kommissionen deckten Fälle auf, in denen Medikamente ohne entsprechend nachvollziehbare Diagnose „bei Unruhe“ verordnet wurden. In beinahe
allen detailliert überprüften Fällen gab es in der im Heim aufliegenden Dokumentation keinerlei Hinweise auf ein ärztliches Aufklärungsgespräch oder
die Zustimmung der Patientin oder des Patienten. Vielfach wurde auch nicht
erkannt, dass es sich bei der Abgabe von sedierenden Medikamenten mit dem
Zweck, die betroffenen Personen ruhig zu stellen, um freiheitsbeschränkende
Maßnahmen handeln könnte, es nebenwirkungsärmere Medikamente gäbe
etc. Dementsprechend ergingen auch keine Meldungen an die Vertretung der
Bewohnerinnen und Bewohner.
BMG und Ärztekammer
sagten Maßnahmen zu
Daher hat sich der NPM 2014 sowohl an das BMG als auch an die Österreichische Ärztekammer gewandt. Das BMG beabsichtigt, die Ärztekammer
zu ersuchen, diese Themen als Schwerpunkte ins ärztliche Fortbildungsprogramm aufzunehmen. Zudem soll es auch einen Fokus in der amtsärztlichen
Fortbildung geben.
Auch die Österreichische Ärztekammer nahm ausführlich Stellung zu der
genannten Problematik und sagte eine Überprüfung des derzeitigen Fortbildungsangebots zu.
Der NPM begrüßt diese Maßnahmen, sieht aber darüber hinaus noch dringenden weiteren Handlungs- und Forschungsbedarf, um in Pflegeheimen,
aber auch bei der Betreuung Hochaltriger zu Hause, eine Lege-Artis-Medikamentenversorgung sicherzustellen.
34
Alten- und Pflegeheime
XX
Mängel bei Herstellung von informed Consent und Medikamentenverschreibung.
XX
Medikamentöse Freiheitsbeschränkungen werden nicht erkannt.
XX
Spezifischere Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte in Bezug auf die Pharmakotherapie
älterer Patientinnen und Patienten erforderlich.
XX
Forschungsbedarf in Bezug auf Arzneimittelsicherheit für hochbetagte Menschen in und
außerhalb stationärer Langzeitpflege.
Einzelfall: VA-T-SOZ/0016-A/1/2014 u.a.
2.1.2.3 Personalmangel im Nachtdienst
Wie bereits im Berichtsjahr 2013 (PB 2013, S. 49) stellten die Kommissionen
immer wieder ungenügende personelle Ressourcen fest. Im Berichtsjahr konzentrierten sich die Beobachtungen vermehrt auf den Nachtdienst.
Die Kommission 5 erhob z.B., dass in einem NÖ Heim mit fünf Wohnbereichen
nur vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Nachtdienst versehen. Damit
ist ein Wohnbereich zwangsläufig phasenweise länger nicht besetzt. Dies ist
für die Versorgung und Sicherheit der Betroffenen höchst problematisch. Auch
die befragten Bewohnerinnen und Bewohner äußerten sich über die für sie
spürbaren negativen Folgen in Form von längerem Warten, Tragen von Inkontinenzeinlagen nur bei Nacht sowie ungeduldigem Personal. Der Einrichtungsbetreiber meinte dazu, dass beim derzeitigen Finanzierungsmodus eine
höhere Nachtdienstbesetzung nur auf Kosten einer geringeren Tagespräsenz
realisierbar sei. Dies würde die Betreuung und Aktivitäten tagsüber einschränken und einen Nachteil für die Bewohnerinnen und Bewohner darstellen.
Ungenügende
personelle Ressourcen
vor allem im
Nachtdienst
In einem anderen Fall waren zwei Pflegekräfte in der Nacht für 78 Bewohnerinnen und Bewohner zuständig, diese verteilen sich auf drei Stockwerke.
Damit bleiben zwangsläufig Stationen in der Nacht unbesetzt und Rufe von
Menschen, die die Klingelanlage nicht bedienen können, ungehört. Im Zeitpunkt des Besuchs der Kommission waren insgesamt 23 Personen in der Pflegegeldstufe 5 und elf Personen in der Pflegegeldstufe 6 (zeitlich unkoordinierbare Betreuungsmaßnahmen und dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson
auch nachts) zu versorgen.
Zwei Pflegekräfte für
drei Stockwerke
Aufsichtsbehörden der Länder prüfen zwar, ob Einrichtungsbetreiber die von
ihnen vorgegebenen Mindestpersonalzahlen einhalten. Sie prüfen jedoch
nicht, ob die Besetzung in der Nacht unter Bezugnahme auf die Betreuungsnotwendigkeiten und Erschwernisse, die sich aus baulichen und räumlichen
Komponenten ergeben könnten, ausreichend ist.
Der NPM vertritt die Ansicht, dass auch in der Nacht ausreichend Personal
vorhanden sein muss, um die Sicherheit der Bewohnerinnen und Bewohner
zu gewährleisten. Die Betreuungspersonen müssen zeitnah in der Lage sein,
unvorhersehbare Betreuung vorzunehmen, Notfälle frühzeitig zu erkennen
35
Alten- und Pflegeheime
oder Hilferufe wahrzunehmen. Zudem sollte es – wie es die Kommissionen in
einigen Einrichtungen durchaus positiv registrierten – auch abends Programme für nicht schlafende und ruhelose demente Bewohnerinnen und Bewohner
geben.
XX
Ungenügende personelle Ressourcen im Nachtdienst.
XX
Sicherheit der Bewohnerinnen und Bewohner nicht immer gewährleistet.
XX
Abendprogramme erforderlich.
Einzelfälle: VA-W-SOZ/0243-A/1/2014, VA-K-SOZ/0032-A/1/2014, VA-NÖSOZ/0122-A/1/2014 u. a
2.1.3
Untragbare Lebensbedingungen
Die Kommission 5 nahm bei ihrem Besuch in einer kleinen, privat betriebenen
Senioreneinrichtung in NÖ so massive Probleme wahr, dass sie einen Dringlichkeitsbericht vorlegte.
Betreiberin rund um die
Uhr alleine in der
Einrichtung
Die Betreiberin war rund um die Uhr in der Einrichtung anwesend, nur sie
allein versorgte fünf pflegebedürftige Frauen im Alter zwischen 69 und 90
Jahren. Sie erledigte sämtliche Pflege- und Betreuungsaufgaben und kochte
selbst für die Bewohnerinnen. Nur gelegentlich wurde auf das Angebot von
Essen auf Rädern zurückgegriffen. Jeden Mittwoch wurde sie am Nachmittag
von einer Pflegehelferin der Caritas unterstützt, damit sie Einkäufe erledigen
und Medikamente besorgen konnte. Zweimal pro Woche half für fünf Stunden
eine Reinigungskraft aus.
Keine Tagesaktivitäten
Für die Bewohnerinnen gab es keinen gemeinsam nutzbaren Aufenthaltsraum. Jede nahm das Essen in ihrem Zimmer ein und verbrachte dort viel
Zeit allein. Begegnungen der Pflegebedürftigen oder Austausch untereinander
fanden kaum statt. Es gab keine Ausflüge, keine gemeinsamen Aktivitäten,
keine regelmäßige Animation oder Beschäftigungsangebote. Die Betreiberin
erklärte, dass sie dafür keine Ressourcen habe. Potentiale der Pflegebedürftigen zur Verbesserung der Lebensqualität durch Abwechslung, Orientierung,
Bewegung, Spiele und Gedächtnistrainings blieben unausgeschöpft. Es gab
keinerlei Maßnahmen zur Wahrung der Autonomie und Selbständigkeit.
Nicht zuletzt wurde auch die Dokumentation völlig unzureichend geführt.
Die Kommission vertrat bereits an Ort und Stelle die Ansicht, dass die Versorgung von fünf pflegebedürftigen Bewohnerinnen durch eine einzige Person
für alle Beteiligten aus pflegefachlicher Sicht untragbar und im Hinblick auf
jederzeit mögliche Komplikationen gefährlich sei.
Betriebsschließung in
NÖ erfolgt
36
Mit diesen Beobachtungen konfrontiert, führte die zuständige Aufsichtsbehörde umgehend einen Lokalaugenschein durch, der sämtliche Wahrnehmungen
bestätigte. Die Behörde veranlasste die Verlegung der pflegebedürftigen Be-
Alten- und Pflegeheime
wohnerinnen in andere Einrichtungen. Die Betreiberin entschied kurz darauf,
die Einrichtung zu schließen.
Auf eine ähnlich problematische Situation stieß die Kommission 6 in einer
burgenländischen Einrichtung, in der neun hochbetagte Frauen mit der Familie des Betreibers in einem Haus leben. Der Kommissionsbesuch fand ab 16.00
Uhr statt. Zu dieser Zeit lagen bereits acht der neun Bewohnerinnen in ihren
Zimmern im ersten Stock im Bett.
Fehlende Mobilisierung
und Barrierefreiheit,
Hygiene –und Dokumentationsmängel
Angesichts fehlender Planungen von Aktivitäten entstand der Eindruck, dass
auch ansonsten den Großteil des Tages nichts unternommen wird, um die
Bewohnerinnen zu mobilisieren oder zu Aktivitäten anzuregen. Auf Befragen
gaben die Frauen selbst an, viel fernzusehen, aber faktisch nie außer Haus zu
kommen. Um wenigstens gemeinsam Zeit in dem im Erdgeschoß befindlichen
Esszimmer verbringen zu können, werden die bewegungseingeschränkten Damen mangels Barrierefreiheit vom Betreiber mit einem Rollstuhl die Treppen
hinunter und hinauf getragen. Die Kommission vergewisserte sich vom veralteten Zustand der Notrufanlage und erachtete überdies auch die Pflegeanamnesen und Pflegeplanungen als unzureichend sowie die Hygienebedingungen
als sehr bedenklich. Alle Nachtdienste werden seit Jahren allein vom Betreiber,
der nicht dem ArbeitszeitG unterliegt, durchgeführt; am Tag ist eine Pflegehelferin tätig.
Fortgesetzte Erhebungen des NPM brachten zu Tage, dass der Aufsichtsbehörde viele Probleme seit Jahren bekannt waren. Zahlreiche Auflagen wurden,
beginnend ab 2004, bescheidmäßig erteilt, ohne dass aus der teilweisen Nichtbefolgung derselben Konsequenzen gezogen wurden. Dass der Betreiber persönliche Gewohnheiten, Ressourcen und Defizite der Bewohnerinnen ungenügend erfasst und in der Pflegeplanung ebenso ungenügend berücksichtigt bzw.
Pflegeprozesse mangelhaft dokumentiert, wurde von der Kommissionen ebenso beanstandet wie die gänzlich fehlende Barrierefreiheit. Neben hygienischen
Mängeln und der veralteten Notrufanlage wurde unter anderem hervorgehoben, dass eine Gesundheitsgefährdung unter diesen Rahmenbedingungen
nicht ausgeschlossen werden dürfe.
Bei Anhaltspunkten dafür, dass pflegebedürftige Personen durch unprofessionelle stationäre Pflege Schaden nehmen könnten, müssen Aufsichtsbehörden
von ihren Befugnissen unverzüglich Gebrauch machen. Der NPM wird den
Fortgang des behördlichen Verfahrens sowie die im Rahmen des Parteiengehörs konkret zugesagten Änderungen für die Bewohnerinnen aufmerksam beobachten.
XX
Nicht mehr gewährleistete sichere Pflege muss zur Verlegung von Bewohnerinnen und
Bewohnern führen.
XX
Aufsichtsbehörden sind zum raschen Handeln aufgerufen.
Einzelfälle: VA-NÖ-SOZ/010, VA-B-SOZ/0023-A/1/2014
37
Alten- und Pflegeheime
2.1.4
Positive Feststellungen
Die Kommissionen achten bei ihren Besuchen in allen Einrichtungen zunehmend auch auf positive Praktiken. Diese finden Eingang in die Protokolle.
Wertschätzung durch
Erhebung von
Wünschen
38
Mit dem Prädikat „Good Practice“ wurde eine Einrichtung positiv hervorgehoben, die kreative Lösungen für ihr Beschwerdemanagement gesucht und
dafür das Konzept von Wunschbotinnen bzw. –boten eingeführt hat. Begründet wurde dies damit, dass es für die pflegeabhängigen Bewohnerinnen und
Bewohner viel einfacher sei, Wünsche zu äußern statt Beschwerden auszudrücken. Teils ausgebildete Psychologinnen und Psychologen arbeiteten sich als
Wunschbotinnen bzw. -boten durch das ganze Haus und erfassten in neun
Monaten alle Anliegen, um diese dann mit Leitung und Personal soweit wie
möglich umzusetzen.
Krankenhäuser und Psychiatrien
2.2
Krankenhäuser und Psychiatrien
2.2.1Einleitung
Die Kommissionen besuchten im Berichtsjahr 23 psychiatrische Krankenhäuser und sonstige Krankenanstalten, wobei die Kommissionen vorwiegend
psychiatrische Abteilungen (19) kontrollierten. Nach einem Besuch der Kommission 1 in einer Sonderkrankenanstalt für innere Medizin und Neurologie
wurde das Mandat für Kommissionsbesuche ausdrücklich bestritten. Der NPM
ist der damit intendierten Einschränkung der Prüfbefugnis entgegen getreten.
Ein im Oktober 2014 an alle Landeshauptleute ergangenes Informationsschreiben des BMG stellt im Sinne des Art. 4 Abs. 1 OPCAT klar, dass sich die
Überprüfungen des NPM tatsächlich auf sämtliche Krankenanstalten und deren Abteilungen erstrecken, da von vornherein nicht ausgeschlossen werden
kann, dass Patientinnen und Patienten nicht auch dort Freiheitsbeschränkungen (Fixierungen, Zwangsmaßnahmen) unterliegen könnten.
Umfassendes Mandat
geklärt
Die Kommissionen haben festgestellt, dass sowohl Ärztinnen und Ärzte als
auch das übrige Spitalspersonal engagiert und bemüht sind, eine am Wohl
der Patientinnen und Patienten ausgerichtete Behandlung und Versorgung sicherzustellen. Die Beachtung menschenrechtlicher Garantien sowie der durch
Gesetzgebung und Rechtsprechung definierten Bedingungen für Zwangsbehandlungen als ultima Ratio sollen darüber hinaus Vertrauen zwischen Patientinnen und Patienten und ihren professionellen Helferinnen und Helfern
in der Psychiatrie herstellen und die Basis für gedeihliche therapeutische Beziehungen schaffen. Diese herausfordernde Arbeit in psychiatrischen Einrichtungen oder Abteilungen wird oft durch unzureichende Ressourcen, Zeitdruck,
teils veraltete und kaum änderbare bauliche Gegebenheiten sowie Defizite
in der Stationsatmosphäre erheblich erschwert. Dadurch bedingte Überforderungen der Patientinnen und Patienten, aber auch die durch Anhaltung
erzwungene Inaktivität lassen eine positive therapeutische Umgebung nicht
entstehen oder gefährden diese. Werden Patientinnen und Patienten zudem in
ihrer Scham und Würde verletzt, mit gut gemeinten Pflegemaßnahmen überrollt, ohne ihre Bedürfnisse artikulieren zu können, entsteht ein Klima, das für
verbale und physische Angriffe anfällig ist und sich mitunter auch in Gewalt
gegen die professionellen Helferinnen und Helfer niederschlägt.
Strukturelle Defizite
behindern Arbeit
Die Häufigkeit der gegen den Willen der Patientinnen und Patienten erfolgten
Einweisungen, Fixierungen, Isolierungen oder unfreiwilligen Verabreichungen von Medikation ist aus menschenrechtlicher Perspektive ein Qualitätsindikator für die stationäre psychiatrische Behandlung. Psychiatrie-Erfahrene
berichten seit Jahren, dass mit ihren Rechten in unterschiedlichen Einrichtungen und Stationen unterschiedlich verfahren wurde. Gleiches war auch
vom ärztlichen und dem pflegerischem Personal zu hören, das in verschiedenen Einrichtungen tätig und mit unterschiedlichen Behandlungskulturen und
Haltungen konfrontiert war. An welchem Punkt das Versagen therapeutischen
Deeskaltionsmanagement unverzichtbar
39
Krankenhäuser und Psychiatrien
Handelns angenommen und zu Zwangsmaßnahmen übergegangen wird,
scheint trotz des einheitlichen rechtlichen Rahmens offenkundig von der jeweiligen Situation und den Entscheidungen darin involvierter Personen abzuhängen. Beschränkungen der Bewegungsfreiheit dürfen allerdings immer nur
„subsidiär“, also nur als letztes Mittel, in Betracht kommen. Im Spannungsfeld zwischen ihrem Behandlungs- und Schutzauftrag auf der einen sowie
gegebener Behandlungsmöglichkeiten und der vorhandenen Ressourcen auf
der anderen Seite bedürfte es gerade deshalb verstärkter Reflexionen und eines offenen Diskurses über Perspektiven und Voraussetzungen psychiatrischer
Behandlungen, die der Autonomie und Freiheit psychisch kranker Menschen
größtmögliche Räume lassen bzw. diese erweitern. Einzig und allein ausreichend vorhandenes, gut geschultes und handlungssicheres Personal kann die
Entstehung von Aggression im eigenen System, wenn schon nicht verhindern,
so doch zumindest vermindern und mit erregten und aggressiven Patientinnen und Patienten professionell und kompetent, d.h. deeskalierend umgehen
und dabei auch sich selbst schützen.
Mehrdimensionale
Gewaltprävention wird
vernachlässigt
Viel zu wenig wird in Österreich in die Entwicklung, Erforschung und den
Einsatz von präventiven Maßnahmen und Alternativen zu einer Zwangsbehandlung investiert. Krankenhausträger bzw. Psychiatrie müssen personell,
konzeptuell und organisatorisch sicherstellen, dass es möglichst viele, hinsichtlich der Eingriffsintensität abgestufte Reaktionsmöglichkeiten gibt, bevor man Zwangsmaßnahmen setzt. Handlungsleitend für das professionelle
Tun müssen dabei die Prinzipien der Freiwilligkeit, der (assistierten) Selbstbestimmung, der partizipativen Entscheidungsfindung und intensive Betreuung
und Beschäftigung – wenn in akuten Krisen notwendig auch im Verhältnis
1:1 – sein. Dies erfordert Ressourcen, Geduld und persönliche Zuwendung, Begegnung auf „Augenhöhe“, respektvolle Haltungen gegenüber individuellen
Lebensentwürfen sowie eine kontinuierliche Qualifizierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Umgang mit krisenhaften Situationen, Gewalt und
Aggression. Deeskalation kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Sie beginnt bereits bei der Verhinderung der Entstehung von Aggression, in einem
beruhigenden Gespräch mit einem angespannten Patienten, in der niederlagenlosen Konfliktlösung bis hin zu Fixierungen, welche würdewahrend und
patientenschonend durchgeführt werden müssen. Nichts anderes verlangt
das verfassungsmäßige Gebot der Verhältnismäßigkeit, wonach staatliche
Hoheitsakte für das Erreichen eines im übergeordneten öffentlichen Interesse
liegenden Zieles geeignet, notwendig und Betroffenen zumutbar sein müssen.
Jede Zwangsmaßnahme ist unverhältnismäßig, wenn eine ebenso geeignete mildere Anordnung für den angestrebten Erfolg ausreicht. Eingriffe in das
Recht auf persönliche Freiheit und andere Persönlichkeitsrechte dürfen in
sachlicher, räumlicher, zeitlicher und personeller Hinsicht nicht einschneidender als notwendig sein.
Der Umstand, dass menschenrechtsbezogene Kritik bisher von Krankenanstaltenträgern nicht systematisch zum Anlass genommen wurde, eine Reihe ein-
40
Krankenhäuser und Psychiatrien
schlägiger Empfehlungen des CPT umzusetzen, auf die der NPM immer wieder
hinweist, gibt Anlass zur Besorgnis und muss im Blickfeld der Arbeit bleiben.
Im psychiatrischen Alltag der meisten österreichischen Kliniken ist es z.B. leider nicht üblich, dass Patientinnen und Patienten nach erfolgten Fixierungen
mittels 1:1-Betreuung „ständig, unmittelbar und persönlich“ überwacht werden, wie es das CPT seit Jahren fordert. Diese Intensivbetreuung darf nicht als
reine Überwachungsmaßnahme verstanden werden, weil sie auch ein hohes
therapeutisches Potential bietet und deswegen durch Video-Monitoringsysteme und oftmalige Rundgänge nicht gleichwertig ersetzt werden kann. Mehr
menschliche Zuwendung und Präsenz ist gefordert. Die entscheidende Frage,
warum weiterhin Verhältnisse geduldet werden, in denen trotz möglicher gelinderer Alternativen in die persönliche Integrität von Menschen eingegriffen
wird, ist nicht nur an die unmittelbar in der stationären psychiatrischen Versorgung Tätigen, sondern auch an die Träger solcher Einrichtungen sowie die
politisch Verantwortlichen zu richten.
CPT-Empfehlungen,
die mehr Ressourcen
erfordern, sind nicht
umgesetzt
Aufgrund der Wahrnehmungen der Kommissionen ist davon auszugehen, dass
die Personalsituation vor allem auch im Hinblick auf ausreichende Nachtdienste laufend evaluiert werden sollte. Dabei ist es notwendig, den individuellen Erfordernissen auf den jeweiligen Stationen Rechnung zu tragen und auf
die zum Teil gestiegenen Anforderungen flexibel reagieren zu können.
Im Zuge der Prüfung der Pflegedokumentationen haben sich die Kommissionen intensiv mit Fragen der Medikation auseinandergesetzt. Das Verabreichen
von Arzneimitteln ist grundsätzlich eine ärztliche Tätigkeit, die aber im Rahmen des mitverantwortlichen Tätigkeitsbereichs an diplomiertes Pflegepersonal delegiert werden kann. Hierfür ist es allerdings erforderlich, dass sowohl
Menge, Dosis, Verabreichungsart als auch Zeitpunkt der Verabreichung von
den anordnungsberechtigten Ärztinnen und Ärzten schriftlich in der Patientendokumentation festgehalten werden.
Bedarfsmedikation
unzureichend
determiniert
„Bedarfsmedikationen“ sind ausnahmsweise in Einzelfällen zulässig, wenn
die Kriterien für die Beurteilung des Zeitpunkts und der Dosis des zu verabreichenden Arzneimittels nach ärztlichen Vorgaben in diesem Sinn eindeutig,
zweifelsfrei und nachvollziehbar sind, ohne dass das Krankenpflegepersonal
kompetenzüberscheitende und damit unzulässige diagnostische oder therapeutische Ermessensentscheidungen selbst trifft.
Die Kommission 2 musste allerdings beispielsweise im Zuge der Einsichtnahme in Pflegedokumentationen der psychiatrischen Abteilung des Klinikums
Wels-Grieskirchen feststellen, dass diese Vorgaben nicht lückenlos erfüllt werden. So war bei einem Patienten als Zusatzverordnung lediglich „bei Bedarf“
angegeben. Ärztinnen und Ärzte des Spitals wurden nach dem Kommissionsbesuch nachdrücklich darauf hingewiesen, wie zur Handlungssicherheit des
Pflegepersonals ordnungsgemäß vorzugehen ist. Weiters wurden regelmäßige
Kontrollen der ärztlich angeordneten Bedarfsmedikation durch die zuständigen Oberärztinnen und Oberärzte der Stationen im Rahmen von Visiten ange-
41
Krankenhäuser und Psychiatrien
ordnet. Gerade eine solche regelmäßige Evaluation ist unbedingt erforderlich,
um therapeutisch nicht mehr indizierte Medikationen rasch modifizieren zu
können.
Sturzprävention
Überblickt man die bloße Anzahl von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen
durch Bettgitter, fällt auf, dass besonders folgende Patientinnen und Patienten
diesen unterliegen: Personen in höherem Lebensalter oder mit der Diagnose
Demenz und Menschen, die in gerontopsychiatrischen Stationen behandelt
werden. Ein erhebliches Gefahrenpotential auch in Spitälern stellen Stürze
dar. Neurologische Erkrankungen haben ein besonders hohes Sturzrisiko, da
häufig mehrere altersphysiologische oder krankheitsbedingte Risikofaktoren
gegeben sind. Freiheitsbeschränkende Maßnahmen zu setzten statt Menschen angemessener zu versorgen und eine evidenzbasierte Sturzprophylaxe
zu betreiben, ist menschenrechtlich und volkswirtschaftlich verwerflich. Alle
Patientinnen und Patienten sollten bei der Aufnahme in ein Krankenhaus
hinsichtlich Sturzrisikofaktoren beobachtet und befragt werden. Danach ist
zu entscheiden, ob sie sturzgefährdet sind. Daneben müssten Erhebungen
häufiger Sturzursachen auf allen Stationen regelmäßig erfolgen, um umgebungsbedingte Risiken minimieren zu können (feuchte oder rutschige Böden,
schlechtes Licht, fehlende Haltegriffe, hohe Stufen etc.). Auch situationsbedingte Umstände wie die Personalstruktur auf einer Abteilung können Einfluss
auf die Sturzgefahr haben. Im Einzelfall – und am besten durch ein multiprofessionelles Team – müssen deshalb Maßnahmenplanungen erstellt, Informationen erteilt und gegebenenfalls therapeutische Interventionen gesetzt
werden. Orientierungstrainings, Körperübungen, Investitionen in Niederflurbetten, Betten-, Sessel- und Mattenalarme, individuell angepasste Hüftprotektoren, Seh- und Ganghilfen tragen erwiesener Maßen zur Sturzvermeidung
bei. Mögliche Folgen derselben wie hüftgelenksnahe Frakturen, Schädel-HirnTraumata und Immobilität verursachen Leid.
Aus Sicht des NPM lässt eine systematisch erfolgende Sturzprophylaxe in allen
Krankenanstalten eine Reduktion freiheitsbeschränkender Maßnahmen erwarten. Österreich ist – wie die meisten Länder der westlichen Welt – in einem
demographischen Wandel begriffen. Bereits jetzt nimmt die Bevölkerungsgruppe der über 80-jährigen Menschen am stärksten zu. 2040 soll es lt. Prognosen bereits eine Million über 80-jährige Menschen geben. Darauf müssen
sich Krankenanstalten schon jetzt einstellen.
Zentrales Register
zur Erfassung
freiheitsbeschränkender
Maßnahmen
Bereits im PB 2013 (S. 57 f) wurde ausgeführt, dass der NPM darauf dringt, in
Umsetzung einer Empfehlung des CPT in allen psychiatrischen Krankenanstalten und Stationen ein Zentralregister zur Erfassung freiheitsbeschränkender Maßnahmen einzurichten, um deren Anwendung und Häufigkeit auch
außerhalb von Patientendokumentationen evaluieren zu können.
Die Kommissionen mussten feststellen, dass trotz Expertengesprächen auf Betreiben der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) und des BMG in den psychiatrischen Krankenanstalten entsprechende Aufzeichnungen weitgehend noch
42
Krankenhäuser und Psychiatrien
nicht zur Verfügung stehen. Lediglich in der Univ.-Klinik für Psychiatrie des
LKH Graz konnte im Zuge der Besuche der Kommission 3 die Funktionsfähigkeit eines entsprechenden EDV-gestützten zentralen Registers zur Erfassung
aller freiheitsbeschränkenden Maßnahmen bestätigt werden, was positiv hervorzuheben ist. Die Tiroler Landeskrankenanstalten GmbH (TILAK) hat der
Kommission 1 im Juli 2014 ein Konzept, mit welchem ein derartiges Register
erstmals eingerichtet werden soll, übermittelt. Überlegungen in diese Richtung
wurden gegenüber der Kommission 4 durch das Sozialmedizinische Zentrum
Baumgartner Höhe, Otto Wagner-Spital und Pflegezentrum, in Aussicht gestellt. Auf die flächendeckende Einrichtung dieser Register wird der NPM weiter
dringen.
XX
Strukturelle Defizite (mangelnde Ressourcen, Zeitdruck für das Personal und veraltetes
bauliches Umfeld) behindern die Betreuung erheblich.
XX
Deeskalationsmanagement und mehrdimensionale Gewalt- und Sturzprävention dienen
der Vermeidung freiheitsbeschränkender Maßnahmen.
XX
Zentrales Register zur Erfassung freiheitsbeschränkender Maßnahmen ist flächendeckend
umzusetzen.
2.2.2
Systembedingte Problemfelder
2.2.2.1 Evaluation der Bedingungen für Freiheitsbewegungseinschränkungen
Fixierungen und Isolierungen sind keine therapeutischen Interventionen, sondern reine Sicherungsmaßnahmen, die dann angewendet werden, wenn eine
therapeutische Herangehensweise anders oder vorübergehend nicht möglich
ist. Falls deren Anwendung unumgänglich erscheint, muss man die Menschenwürde wahren und Rechtssicherheit gewährleisten. Interventionen sind
so kurz und so wenig eingreifend wie möglich zu halten, psychische oder physische Traumata sind zu vermeiden. Das Vorgehen bei der Durchführung von
Zwangsmaßnahmen im Hinblick auf Sicherheitsaspekte sowie der Überwachung während dieser Maßnahmen sollte in institutionsinternen Richtlinien
verbindlich geregelt und Gegenstand regelmäßiger Schulung sein.
Fixierungen und
Isolierungen
Die Häufigkeit und das Umfeld, in dem Fixierungen durchgeführt werden,
sind wichtige Indikatoren für den sensiblen Umgang mit den Patientinnen
und Patienten und die Wahrung ihrer essenziellen Persönlichkeitsrechte. Wie
bereits im PB 2013 (S. 54 f) dargelegt, stellen die Kommissionen laufend gravierende Defizite im Rahmen dieses Prüfschwerpunkts fest.
So variiert die Häufigkeit von Freiheitsbeschränkungen nicht nur regional,
sondern auch an verschiedenen Stationen eines Spitals. Dies lässt den Schluss
zu, dass bei entsprechend sensibilisierter Grundhaltung und gezieltem Einsatz
43
Krankenhäuser und Psychiatrien
Alternativen zu
freiheitsbeschränkenden
Maßnahmen
der vorhandenen Ressourcen das Ausmaß freiheitsbeschränkender Maßnahmen auf ein unbedingt notwendiges Maß reduziert werden kann. Hierzu wäre
es allerdings auch erforderlich, das Augenmerk in und außerhalb psychiatrischer Stationen auf den Einsatz und die Anschaffung alternativer Maßnahmen (z.B. Niederflurbetten, Sensormatten etc.) zu richten. Hier gibt es aus der
Sicht des NPM teils erheblichen Verbesserungsbedarf. Solche Hilfsmittel, die
sich in Alten- und Pflegeheimen bewährt haben, sind in Spitälern weniger oft
im Einsatz.
Die Gestaltung der räumlichen Bedingungen und der organisatorischen Abläufe in psychiatrischen Institutionen kann maßgeblich zur Vermeidung von
Gewalt und Aggression beitragen. Gerade gegenüber Kranken sind Aspekte
wie Kommunikation, Information und Transparenz des Handelns bei Wahrung der Intimsphäre und der Selbstbestimmung von hoher Bedeutung. Geschlechtsspezifische Belange und Verletzlichkeiten bedürfen stets besonderer
Beachtung.
Fixierungen unter
unwürdigen
Bedingungen
Die Kommissionen mussten häufig feststellen, dass Patientinnen und Patienten in Gangbetten betreut und zum Teil dort auch fixiert werden – dies stellt
eine absolut inakzeptable Verletzung ihrer Menschenwürde und elementarer Persönlichkeitsrechte dar. Die Gründe dafür liegen allerdings darin, dass
einzelne kleinere Spitäler im Rahmen der psychiatrischen Versorgung einen
verhältnismäßig großen Einzugsbereich zu betreuen haben und die vorhandenen Kapazitäten zu gering sind. Dies führt im Falle gehäufter akuter Notfallaufnahmen notgedrungen zu Engpässen – reguläre Betten allein können
hier nicht abhelfen. Weiters mussten die Kommissionen häufig feststellen,
dass Fixiergurte an Betten für die Patientinnen und Patienten ständig sichtbar
sind und keine Vorkehrungen getroffen werden, damit Fixierungen nicht von
unbeteiligten Dritten beobachtet werden. Das begünstigt das Gefühl, der Institution hilflos ausgeliefert zu sein, schafft ein stetiges Bedrohungsszenario und
wird von Betroffenen als demütigend und beschämend empfunden.
Es ist nachdrücklich zu fordern, dass diese Praktiken abgestellt werden. Der
Einsatz alternativer Maßnahmen und die sorgfältige Planung eines stetigen
Ausbaus an Ressourcen im Rahmen bestehender finanzieller Möglichkeiten
können einen wesentlichen Beitrag dazu leisten.
Die Rechtsträger der Spitäler haben auf entsprechenden Vorhalt der Kommissionen insofern reagiert, als Fixierungsmittel inzwischen verdeckt werden und
der Einsatz von Gangbetten auf ein Mindestmaß reduziert wird. Wie das Beispiel des Klinikums Wels-Grieskirchen zeigt, kann auch die Übersiedlung in
einen modernen Neubau zur Erfüllung zeitgemäßer Standards der psychiatrischen Versorgung erforderlich sein.
44
Krankenhäuser und Psychiatrien
XX
Personelle und räumliche Rahmenbedingungen einer therapeutischen Behandlung
sind nach zeitgemäßen Standards zu schaffen.
XX
Fixierung von Patientinnen und Patienten haben außer Sichtweite Dritter zu
geschehen, Fixierungen haben stets unter kontinuierlicher und direkter
Überwachung in Form einer Sitzwache zu erfolgen.
Einzelfälle: VA-BD-GU/0060-A/1/2013; 0074-A/1/2013; 0026-A/1/2014; 0086A/1/2014 u.a.
2.2.2.2 Beendigung des Einsatzes von Netzbetten steht in Österreich
bevor
Das CPT hat seit 1999 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass „Netzbetten als Mittel zur Freiheitsbeschränkung von erregten Patientinnen und Patienten in allen psychiatrischen Anstalten und sozialen Pflegeeinrichtungen
in Österreich aus dem Verkehr zu ziehen sind“. Konsequenzen daraus wurden
in Wien und der Stmk nicht gezogen. Kommissionen und VA sowie der bei
ihr eingerichtete Menschenrechtsbeirat haben diesen Problembereich mit dem
Ziel, die Umsetzung internationaler Menschenrechtsstandards durchzusetzen,
in den vergangenen zwei Jahren immer wieder aufgegriffen und öffentlich
thematisiert. Dies zeigte Wirkung.
Eindeutige Verletzung
menschenrechtlicher
Standards
Das BMG hat im Juli 2014 unter Berücksichtigung der Wahrung der Menschenwürde und Bedachtnahme auf völkerrechtliche Verpflichtungen im
Einvernehmen mit dem BMJ per Erlass an alle Landeshauptmänner festgehalten, dass die Verwendung von psychiatrischen Intensivbetten (Netzbetten)
sowie anderen „käfigähnlichen Betten“ europäischen Standards nicht mehr
entspricht und daher unzulässig ist. Im Hinblick auf nötige Begleitmaßnahmen wurde Krankenanstalten- und Heimträgern im Geltungsbereich des Unterbringungsgesetzes (UbG) und Heimaufenthaltsgesetztes (HeimAufG) eine
einjährige Übergangsfrist bis 1. Juli 2015 eingeräumt.
Verwendung von
Netzbetten mit 1.1.2015
verboten
Diesbezüglich möchte der NPM hervorheben, dass es in der Übergangsfrist
tatsächlich einer Reihe von Begleitmaßnahmen bedarf, um zu verhindern,
dass Netzbetten bloß durch einen vermehrten Einsatz mechanischer Fixierungen ersetzt werden. Menschenrechtskonform ist nur eine Vorgangsweise, die
sicherstellt, dass so weit wie möglich alternative Lösungen gefunden werden.
Zu diesem Zweck ist es unvermeidlich, Deeskalatationsmaßnahmen zu verstärken und den gegenwärtigen Personalstand einer Überprüfung zu unterziehen. Der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) hat eine multidisziplinäre
Arbeitsgruppe aus medizinischen und nicht-medizinischen Expertinnen und
Experten eingerichtet, die Strategien zur Ablöse der Netzbetten erarbeiten und
deren Umsetzung vorantreiben soll.
Begleitmaßnahmen
erforderlich
In Reaktion auf diesen Erlass wurde an der Univ.-Klinik für Psychiatrie in Graz
die Verwendung von Netzbetten bereits eingestellt. Der NPM wird nun sorgfäl-
45
Krankenhäuser und Psychiatrien
tig beobachten, ob dem gegenständlichen Erlass des BMG auch in den anderen Einrichtungen termingerecht entsprochen wird.
XX
Bei Ablöse von Netzbetten müssen Alternativen zu freiheitsbeschränkenden
Maßnahmen reflektiert und realisiert werden.
Einzelfall: VA-BD-GU/0171-A/1/2014 u.a.
2.2.2.3 Private Sicherheitsdienste
Ausgehend von den Wahrnehmungen der Kommissionen wurde bereits im
PB 2013 (S. 58 f.) kritisch beleuchtet, dass im Alltag einiger psychiatrischer
Krankenanstalten gewerbliche Sicherheitsdienste vertraglich tätig und dabei
auch zur Unterstützung der Behandlung von Patientinnen und Patienten eingesetzt werden. Solche Feststellungen wurden von Kommissionen auch 2014
getroffen, wobei als Rechtfertigung dafür häufig auf Ressourcenmängel sowie
den notwendigen Schutz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Gewalt in
psychiatrischen Settings verwiesen wurde. Die menschenwürdige Betreuung
und Behandlung von Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen ist wegen
der Eingriffsintensität in elementare Grund- und Menschenrechte ein hoch
sensibler Bereich. Dessen ungeachtet wurden Möglichkeiten und Grenzen der
Heranziehung gewerblicher Sicherheitsdienste nicht nur zum Gebäudeschutz,
sondern auch in Tätigkeitsfeldern, die von Gesundheitsberufen besetzt sind,
nicht beachtet. Es gibt allerdings auch Krankenanstalten, die auf Personenschutz dieser Art bewusst gänzlich verzichteten.
Wahrnehmung der
Kommissionen
Faktisch ist auf Basis von Erhebungen mehrerer Kommissionen (insbesondere
aber der Kommission 4) sowie geschlossener Verträge mit Krankenanstalten,
die dem NPM vorliegen, davon auszugehen, dass Sicherheitsdienste in einigen
psychiatrischen Krankenanstalten nicht nur vereinzelt oder ausnahmsweise
in besonderen Akutsituationen eingesetzt werden, sondern in den Stationsalltag und Pflegeprozess bei folgenden Tätigkeiten eingebunden sind:
Abhalten von Patientinnen und Patienten am Verlassen der Station,
Zurückbringen von Patientinnen und Patienten auf die Station,
Durchsuchung von Patientinnen und Patienten bzw. deren persönliche Wertgegenstände,
Assistenz bei weitergehenden körpernahen Beschränkungsmaßnahmen,
Fixierung von Patientinnen und Patienten und deren Überwachung,
Überwachung bei der Einnahme von Medikamenten und
Hilfestellungen bei sonstigen pflegerischen Maßnahmen (Begleitung bei Toilettenbesuchen, beim Duschen etc.).
46
Krankenhäuser und Psychiatrien
Der Bundesgesetzgeber hat Vorsorge dafür getroffen, dass psychiatrische Patientinnen und Patienten nur von Personen gepflegt werden dürfen, die für diese sehr anspruchsvolle Aufgabe entsprechend den gesetzlichen Vorgaben ausgebildet sind. Dafür wurden das Berufsbild der psychiatrischen Pflege etabliert
und strenge Ausbildungsvorschriften erlassen. Die Sonderausbildung in der
psychiatrischen Gesundheits- und Krankenpflege dauert ein Jahr und umfasst
1.600 Stunden theoretische und praktische Ausbildung. Abgesehen davon,
dass das GuKG ausdrücklich festlegt, dass die Gesundheitsberufe nicht der
Gewerbeordnung unterliegen, gibt es für das Sicherheitsgewerbe nach § 129
Abs. 1 GewO keine auch nur annähernd gleichwertige und gesetzlich geregelte Qualifikation, die auf Bedürfnisse untergebrachter Kranker Bezug nimmt.
Gespräche der Kommission 2 in einem Spital in OÖ brachten zu Tage, dass
die von einem Spital selbst angebotenen Schulungen des Sicherheitspersonals
über Fixierungsmethoden äußerst mangelhaft waren. Dies zeigte sich exemplarisch am Beispiel eines Security-Mitarbeiters, der gegenüber der Kommission selbst angab, nur eine einmalige zweitägige Unterweisung erhalten zu
haben und sich nur aufgrund einer Jahrzehnte zurückliegenden Ausbildung
als Wachesoldat beim Bundesheer für ein Einschreiten in Akutsituationen als
kompetent zu erachten.
Pflege nur durch in
Gesundheitsberufen
ausgebildetes Personal
Der Menschenrechtsbeirat hat nach eingehender Befassung mit dieser Thematik im April 2014 festgestellt, dass vor dem Hintergrund des Berufsrechts
der Gesundheitsberufe und insbesondere des Rechts der Patientinnen und Patienten auf respektvolle und rücksichtsvolle Behandlung und Pflege nur medizinisch und pflegerisch geschultes Personal zu Pflegemaßnahmen hinzugezogen werden darf. In Österreich entbehre deshalb der Einsatz gewerblicher
Sicherheitsdienste im Rahmen der Behandlung von Patientinnen und Patienten, insbesondere Patientinnen und Patienten auf psychiatrischen Abteilungen, jeglicher gesetzlicher Grundlage.
Empfehlung des
Menschrechtsbeirates
Der OGH hat in einer Grundsatzentscheidung vom September 2014 diese Auffassung bestätigt und ausgeführt, dass bereits das Anlegen einer Vier-PunktFixierung der Ermöglichung medizinischer oder pflegerischer Maßnahmen
dient und das vorangehende Festhalten deshalb zur psychiatrischen Gesundheits- und Krankenpflege gehört. Damit sind gewerbliche Sicherheitsdienste auch auf Anordnung des anwesenden Pflegepersonals weder befugt noch
berechtigt, an Fixierungen mitzuwirken. Geschieht dies dennoch, sind die
Zwangsmaßnahmen unzulässig und ziehen haftungsrechtliche Konsequenzen für die Träger von Krankenanstalten nach sich, weil sich diese auch das
Verhalten des gewerblichen Sicherheitspersonals zurechnen lassen müssen. Im
Oktober 2014 hat der OGH in einem Urteil festgehalten, dass auch körpernahe
Tätigkeiten, wie das Festhalten, um jemanden am Verlassen einer Station zu
hindern, nicht durch Security-Personal erfolgen dürfen. Diese Entscheidungen
bestätigen Bedenken, die der NPM schon 2013 geäußert hat.
Bestätigung durch OGH
Die VA tritt daher nachdrücklich dafür ein, dass gewerbliche Sicherheitsdienste in psychiatrischen Krankenanstalten nicht mehr für pflegerische Maßnah-
Rechtsträger der
Spitäler uneinsichtig
47
Krankenhäuser und Psychiatrien
men herangezogen werden. Auch die Patientenanwaltschaften nach dem UbG
und Vertretungen von Bewohnerinnen bzw. Bewohnern nach dem HeimAufG
werden verstärkt darauf zu achten haben.
Da die betroffenen Spitalsträger vor diesen Gerichtsentscheidungen wenig Bereitschaft zu Strukturveränderungen zeigten, wird der NPM nochmals an die
betroffenen Länder herantreten. Immer gilt es zu beachten, dass das Unterbleiben der Mitwirkung von gewerblichen Sicherheitsdiensten an Pflegemaßnahmen nicht in einen vermehrten Einsatz freiheitsbeschränkender Maßnahmen
münden darf. Daher braucht es auch hier organisatorische Vorkehrungen
und Personaleinsatzplanungen, die Ressourcen optimieren und verstärken. In
der Psychiatrie Tätige müssen Bedingungen vorfinden, die es erlauben, ihren
Aufgaben menschenrechtskonform nachkommen zu können, ohne dabei die
eigene Sicherheit aufs Spiel zu setzen.
XX
Die Einbeziehung und Mitwirkung von gewerblichem Sicherheitspersonal an
Pflegehandlungen ist unzulässig und hat zu unterbleiben.
XX
Vorkehrungen in Bezug auf persönlichkeitsrechtswahrende und das Personal
sichernde Maßnahmen sind begleitend notwendig.
Einzelfälle: VA-BD-GU/0003-A/1/2014; 0045-A/1/2014; 0129-A/1/2014
2.2.2.4 Kinder- und Jugendpsychiatrie in Österreich – Mangelsituation
in der Facharztausbildung
Hohe Anzahl von behandlungsbedürftigen
Kindern und
Jugendlichen
Im Bericht zur „Außerstationären psychosozialen Versorgung von Kindern
und Jugendlichen“ der GÖG wird unter Hinweis auf das Ergebnis epidemiologischer Studien zur Kinder- und Jugendpsychiatrie ausgeführt, dass von einer durchschnittlichen Prävalenzrate von 17,5 % ausgegangen werden kann.
Daraus ergibt sich, dass bei einer Anzahl von 1.713.979 Kindern und Jugendlichen in Österreich im Jahr 2012 im Alter bis 19 Jahren eine behandlungsbedürftige Population von 299.946 Personen besteht. Davon sind 9,7 % aller
Kinder- und Jugendlichen, also 166.256 Kinder und Jugendliche, von einer
psychiatrischen Störung im engeren Sinn betroffen und damit eindeutig behandlungsbedürftig.
Unzureichendes
Behandlungsangebot
Für diese verhältnismäßig große Gruppe psychiatrisch behandlungsbedürftiger Kinder und Jugendlicher besteht allerdings ein bei weitem nicht ausreichendes Behandlungsangebot an Fachärztinnen und Fachärzten für Kinderund Jugendpsychiatrie. Die hierfür angegebenen Zahlen der Ärztekammer
und des BMG differieren zwar geringfügig, doch ist im Ergebnis davon auszugehen, dass der Bedarf an rund 350 Fachärztinnen und Fachärzten zur Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung aktuell etwas mehr als zur Hälfte
abgedeckt ist.
Die Ursache für diese eklatante Versorgungslücke liegt primär darin, dass die
gesetzlichen Grundlagen für eine eigenständige fachärztliche Ausbildung im
48
Krankenhäuser und Psychiatrien
Sonderfach Kinder- und Jugendpsychiatrie in Österreich erst im Jahr 2007 geschaffen wurden. Die verspätete Verankerung eines entsprechenden Berufsbildes hat zur Folge, dass viele der aktuell registrieren Fachärztinnen und Fachärzte ihren Titel erst im Zuge des Übergangs vom Additivfach zum Sonderfach Kinder- und Jugendpsychiatrie erworben haben, wovon nur ein geringer
Teil im Kerngebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie tatsächlich tätig ist. Die
Anzahl und Altersstruktur der Fachärztinnen und Fachärzte lässt eine baldige versorgungswirksame Zahl der Kinder- und Jugendpsychiaterinnen und
-psychiater in Österreich derzeit rein mathematisch kaum zu. Dazu kommt,
dass die Ausbildungskapazitäten für Facharztausbildung zuweilen auch nicht
entsprechend genutzt wurden, weil Krankenanstaltenträger zum Teil andere
Prioritäten gesetzt und vorhandene Planstellen für andere Fachbereiche umgewidmet haben.
Im Zuge der Bemühungen der Länder zum Ausbau stationärer Bettenkapazitäten im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie kommt es aufgrund dieser
Faktoren zu Problemen bei der Besetzung der notwendigen Facharztstellen, die
auch künftig zwangsläufig auftreten werden (vgl. PB 2013 S. 61f).
Aus Kommissionsbesuchen ergibt sich, dass es in Spitälern mit psychiatrischen
Abteilungen für Kinder- und Jugendliche vielfach nicht möglich ist, Nachtund Wochenenddienste mit Fachärztinnen und Fachärzten für Kinder- und
Jugendpsychiatrie zu besetzen. Aufgrund des Fachärztemangels stellen die
Kommissionen auch fest, dass Kinder und Jugendliche in der Erwachsenenpsychiatrie behandelt und untergebracht werden, was nach Ansicht des CPT
eine Verletzung präventiver menschenrechtlicher und fachlicher Standards
darstellt. 2014 hat auch der OGH in einer aktuellen Grundsatzentscheidung
das „Trennungsgebot“ für Jugendliche in psychiatrischen Krankenanstalten
betont. Dadurch konkretisiert der OGH erstmals den Persönlichkeitsschutz
Minderjähriger in der psychiatrischen Unterbringung, woraus sich zwingend
eine räumliche Trennung jugendlicher und erwachsener Erkrankter ergibt.
Trennungsgebot
zwischen Erwachsenen
und Jugendlichen wird
verletzt
Auch wenn sich dieses Urteil konkret auf eine forensische Abteilung einer psychiatrischen Krankenanstalt bezieht, lassen sich daraus Wertungen ableiten,
die eine generelle Trennung von Jugendlichen und Erwachsenen in allen psychiatrischen Krankenanstalten zwingend erforderlich machen.
Eine 2014 erfolgte Novelle des ÄrzteG bietet die gesetzliche Grundlage, von
bisherigen Ausbildungserfordernissen im Mangelfach Kinder- und Jugendpsychiatrie auf Ebene der Ärzte-AusbildungsVO unter bestimmten Begleitmaßnahmen weiter abzugehen als dies bisher möglich war. Aus Sicht des NPM
ist es unabdingbar, dass die Ausbildungsvorschriften für das Sonderfach Kinder- und Jugendpsychiatrie gelockert werden, da anderenfalls voraussichtlich erst in Jahrzehnten ein ausreichendes Versorgungsangebot für dringend
behandlungsbedürftige Kinder und Jugendliche sichergestellt werden kann.
Ausgehend davon, dass das Sonderfach Kinder- und Jugendpsychiatrie bereits
als Mangelfach anerkannt ist, sollte der bestehende Ausbildungsschlüssel von
Änderung der
Ausbildungsvorschriften
49
Krankenhäuser und Psychiatrien
„1:1“ ehestmöglich erhöht werden. Das ist übrigens im gesamten deutschen
Sprachraum erfolgt. Das würde bedeuten, dass im Sinn einer echten Mangelfachregelung an bewilligten Ausbildungsstätten eine Fachärztin oder ein
Facharzt künftig zumindest für jeweils zwei Assistenzärztinnen oder -ärzte
ausbildungsverantwortlich sein darf. Zur Illustration der Sinnhaftigkeit dieser
Forderung soll exemplarisch auf die neu errichtete Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Innsbruck hingewiesen werden. Diese kann ihren Aufgaben (u. a. Verbesserung der Versorgung des Bundeslandes Tirol) nur
nachkommen, wenn sie über zusätzliche Fachärztinnen bzw. -ärzte verfügt.
Auch in Wien müssen notwendige weitere Verbesserungen (sechs extramurale Kassenplanstellen, eine zu erwartende neue Fachabteilung im SMZ Nord)
erfolgen.
An einem vom NPM initiierten Runden Tisch mit Vertretern der Ärztekammer,
des BMG und der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie konnte bezüglich der weiteren Vorgangsweise Einigkeit erzielt werden. Dabei stellten die Gesprächspartner außer Streit, dass als flankierende
Maßnahme nicht nur im stationären, sondern auch im ambulanten Bereich
Ausbildungsstellen neu zu schaffen sind. Es wird aber zweifellos weiterer Gespräche bedürfen, insbesondere auch mit den Ländern, die den finanziellen
Mehrbedarf der Aufstockung von Ausbildungsstellen weitgehend zu tragen
hätten. Auf andere Weise ist eine reale Verbesserung in der Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher in Österreich in absehbarer Zeit keinesfalls zu erzielen.
XX
Mehr Ausbildungsmöglichkeiten für Fachärztinnen und Fachärzte im Fach Kinder- und
Jugendpsychiatrie sind dringend erforderlich.
Einzelfälle: VA-BD-GU/0042-A/1/2013; 0001-A/1/2014
2.2.3
Fehlplatzierung eines langjährigen Psychiatriepatienten
beendet
Betreuungsplätze
fehlen
Im Zuge eines Besuchs musste die Kommission 1 feststellen, dass im LKH Hall
mehrere Personen primär deshalb stationär betreut werden, weil trotz Bemühungen des Krankenhauses keine geeigneten Einrichtungen zur externen
Nachbetreuung gefunden werden konnten.
So wird ein Patient seit rund 20 Jahren, mit wenigen Unterbrechungen, stationär psychiatrisch versorgt. Sein Krankheitsbild wird sowohl durch ruhige
Phasen als auch raptusartige, dysphorische Impulsdurchbrüche und aggressive Handlungen gegenüber Gegenständen aber auch Menschen geprägt. Im
extramuralen Bereich wäre eine Einrichtung zu seiner Nachbetreuung nur
dann geeignet, wenn sichergestellt werden kann, dass ausreichend Personal
mit entsprechender Qualifikation in der psychiatrischen Krankenpflege vorhanden ist.
50
Krankenhäuser und Psychiatrien
Die Suche nach einer solchen geeigneten Einrichtung für diesen Patienten gestaltete sich jedoch äußerst schwierig. So war er einige Zeit in einem Wohnheim untergebracht, wobei jedoch unklar war, ob das Land Tirol für eine neuerliche Betreuung in diesem Wohnheim die notwendigen finanziellen Mittel
zur Verfügung stellt, um eine adäquate Betreuung zu gewährleisten.
Im Zuge des Prüfungsverfahrens konnte allerdings erreicht werden, dass dem
Herrn eine geeignete extramurale Unterbringung und Betreuung angeboten
wurde.
Betreuungsangebot für
den Betroffenen
Dieser Fall zeigt exemplarisch, dass das bestehende System der extramuralen
Versorgung und auch der Verteilung der Patientinnen und Patienten gerade in
schwierigen Fällen überfordert ist.
Strukturelle Probleme
Im Zuge der Psychiatriereform hat eine breitangelegte Deinstitutionalisierung, Differenzierung und Qualifizierung der Versorgung chronisch psychisch
beeinträchtigter Menschen stattgefunden und zur deutlichen Verbesserung der
Lebens- und Unterstützungsbedingungen beeinträchtigter Menschen geführt.
Allerdings gilt es, Versorgungsdefizite in Bezug auf jene zu beheben, bei denen
aktive Krankheitsphasen mit solchen mehr oder weniger intakter Gesundheit
abwechseln und psychiatrische Pflege und Rehabilitation weiter erfordern.
Mehr Hilfestellungen im Wohnbereich für chronisch psychisch kranke Menschen, insbesondere solche mit der Diagnose einer Schizophrenie mit ausgeprägter Symptomatik, comorbider Störung oder forensischem Hintergrund,
oder aber für Menschen mit psychomentalen Entwicklungsrückständen, die
häufig psychiatrisch relevante Krankheitsepisoden zeigen, wären österreichweit dringend erforderlich. Insgesamt geht es darum, flexible Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Betroffenen ein möglichst eigenständiges Leben
ermöglichen. Dazu gehören auch Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten,
die sich auf Krankheitsverlauf, soziale Integration und Lebensqualität positiv
auswirken.
XX
Wohnungs- und Rehabilitationsangebote für chronisch psychisch Kranke müssen ausgebaut
werden und würden Hospitalisierungseffekten vorbeugen.
Einzelfall: VA-BD-GU/0113-A/1/2014
2.2.4
Unzureichende Kapazitäten im Unterbringungsbereich
Das BKH Kufstein ist für die psychiatrische Akutversorgung in einer Versorgungsregion mit rund 150.000 Einwohnern zuständig. Hierfür sind lediglich
vier Betten im geschlossenen Bereich des Spitals vorhanden.
Dieses geringe Bettenangebot führt dazu, dass Patientinnen und Patienten
mangels ausreichender Kapazitäten ohne psychiatrische Untersuchung von
der Polizei direkt ins LKH Hall gebracht werden müssen, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass dort die Voraussetzungen für eine zwangsweise Unterbrin-
Patientinnen und
Patienten müssen
abgewiesen werden
51
Krankenhäuser und Psychiatrien
gung letztlich als nicht gegeben angesehen werden. Überdies bestehen insbesondere an Wochenenden und in der Nacht aufgrund der Personalknappheit
bei Polizei und Rettung oft sehr lange Wartezeiten für eine Überstellung ins
LKH Hall. Weitertransporte können sich so um drei bis vier Stunden verzögern,
was gerade bei schwer psychotischen und schwer agitierten Betroffenen zu
einer deutlichen Verlängerung des Leidenszustands führt.
Vorausschauende und
flexible Planung
erforderlich
XX
Im BKH Kufstein ist zwar mittelfristig eine Vergrößerung der Abteilung für
Psychiatrie mit ihrem Unterbringungsbereich beabsichtigt. Dieses Beispiel
zeigt aber deutlich, dass eine Abstimmung vorhandener Kapazitäten und der
notwendigen Versorgung von Patientinnen und Patienten in psychiatrischen
Krankenhäusern von vornherein sorgfältig unter Bedachtnahme auf die örtlichen Verhältnisse durchzuführen ist.
Das psychiatrische Versorgungsangebot ist unter Bedachtnahme auf die regionalen
Verhältnisse vorausschauend zu planen und flexibel anzupassen.
Einzelfall: VA-BD-GU/0057-A/1/2012
2.2.5
Mehrtägige Fixierungen
grundsätzlich
menschenrechtswidrig
Mehrtägige Fixierung
Im Zuge eines Besuches der psychiatrischen Abteilung des Landesklinikums
Neunkirchen hat sich die Kommission 6 mit der mehrtägigen Fixierung eines
Patienten näher auseinandergesetzt.
Der Patient wurde nach mehreren Suizidversuchen und einem Voraufenthalt
im Landesklinikum Baden stationär aufgenommen. Er wurde unmittelbar
nach seiner Aufnahme am Freitagnachmittag bis zu seiner Entlassung am folgenden Montagvormittag durchgehend mittels Mehrpunktfixierung in seiner
Bewegungsfreiheit beschränkt. Eine derart lange Fixierung ist eine extreme
Maßnahme und ein besonders massiver Eingriff in die Menschenwürde und
die elementaren Persönlichkeitsrechte. So hat auch das CPT tagelang andauernde mechanische Fixierungen als eine aus menschenrechtlicher Perspektive
nicht zu rechtfertigende Form einer Misshandlung angesehen.
Begründung für
besonders gelagerten
Sonderfall
Im durchgeführten Prüfungsverfahren hat sich jedoch gezeigt, dass im Landesklinikum Neunkirchen solche länger andauernden Fixierungen äußerst
selten vorkommen. Weiters hat der Vorstand der Abteilung nachvollziehbar
dargelegt, dass es sich bei der gegenständlichen Fixierung eines Patienten um
einen Sonderfall handelte und die Notwendigkeit der Fixierung laufend dokumentiert und kontrolliert wurde. Aufgrund des aggressiven Verhaltens des
Patienten habe es keine Alternative gegeben, um das Risiko einer Gewalteskalation zu vermeiden.
Klinik erhöht
Qualitätsstandards
Die Notwendigkeit und die Voraussetzungen für länger andauernde Fixierungen wurden in der Abteilung auch nochmals eingehend reflektiert, um eine
Mehrpunktfixierung über 24 Stunden zum Schutz der Betroffenen, des Pflegepersonals, anderer Patientinnen und Patienten sowie der Ärztinnen und Ärzte
52
Krankenhäuser und Psychiatrien
in Zukunft noch bewusster zu monitoren und exakter zu dokumentieren. Als
Mittel dazu wurde ein spezielles zusätzliches Formular eingeführt, das in solchen Sonderfällen eine lückenlose Dokumentation der sensiblen Behandlung
sicherstellen soll. Dadurch soll der ständige Abwägungsprozess der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit sowie der möglichen Alternativen genau
abgebildet werden. Aus Sicht des NPM ist dies positiv hervorzuheben.
XX
Mehrtägige Fixierungen sind aus menschenrechtlicher Sicht äußerst bedenklich
und grundsätzlich zu vermeiden.
XX
In speziellen Sonderfällen ist eine lückenlose Dokumentation und Kontrolle
sicherzustellen.
Einzelfall: VA-BD-GU/0154-A/1/2014
53
Jugendwohlfahrtseinrichtungen
2.3Jugendwohlfahrtseinrichtungen
2.3.1Einleitung
Rasche Veränderungen
nach Anregung der
Kommissionen
Die Kommissionen haben im Berichtsjahr 60 WGs und Wohnheime besucht,
in denen Kinder und Jugendliche zur Pflege und Erziehung von ihren Herkunftsfamilien getrennt leben.
Eine Reihe kleinerer Einrichtungen gab keinen Anlass zu Beanstandungen,
bei einigen wurde die Arbeit mit Kindern und Eltern sogar für außerordentlich
gut befunden. Kleinere, bei den Besuchen festgestellte Mängel sprachen die
Kommissionen beim Abschlussgespräch an; sie wurden von den Einrichtungen binnen kürzester Zeit behoben. So wurde mehrere Male eine Verbesserung
der Privatsphäre der Kinder und Jugendlichen erreicht, indem Schlösser an
den Zimmertüren eingebaut und versperrbare Kästen zur Verfügung gestellt
wurden. In einer Einrichtung wurden Trennwände zwischen Mädchen- und
Burschentoiletten angebracht. Personalengpässe durch Langzeitkrankenstände führten zu Nachbesetzungen. In einem anderen Fall wurden zwei bestehende WG-Plätze nachbesetzt – dadurch erzielte man eine Entlastung der angespannten Situation. Die Übersiedlung von Einrichtungen in für die Bedürfnisse der betreuten Minderjährigen besser geeignete Objekte wurde auf Empfehlung der Kommissionen in einigen Fällen vorgenommen. Wenn Mängel bei
der Partizipation der Kinder und Jugendlichen festgestellt wurden, regten die
Kommissionen die Einführung von Kinderteams und Hausparlamenten an.
Dies wurde vielfach auch umgesetzt. Bauliche Mängel wie sanierungsbedürftige Balkone oder Fenster, die sich nicht öffnen ließen, wurden behoben.
Volle Erziehung
Die Kommissionen betonten die Kooperationsbereitschaft und das große Engagement des pädagogischen Personals. Die dadurch erzielte Qualität kann
aber nicht über bestehende strukturelle Probleme und schwierige Rahmenbedingungen hinwegtäuschen. Ziel der vollen Erziehung ist es, alle Kinder und
Jugendlichen in ihrer Entwicklung bestmöglich zu fördern, traumatische Erlebnisse und die vielfältigen Ausdrucksformen von sozialen Störungen zu bearbeiten, Sicherheit zu gewähren und, sofern eine Rückführung in die Familie
nicht möglich ist, sie auf ihrem Weg in die Verselbständigung zu begleiten und
zu unterstützen.
Große Herausforderung
für Einrichtungen
Durch den teils bereits erfolgten und im Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz
(B-KJHG 2013) ausdrücklich verankerten Ausbau ambulanter Erziehungshilfen ist in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe eine Veränderung der
Problemlagen zu bemerken. Es leben in diesen Einrichtungen zunehmend
mehr Kinder- und Jugendliche mit einer hohen Betreuungsintensität, der mit
teilstationären Betreuungsformen nicht begegnet werden kann. Dass frühe
extramurale Hilfen präventiv wirken und ein gedeihliches Aufwachsen in den
Familien erleichtern, ist im Sinne der UN-Kinderrechtekonvention (UN-KRK)
vorbehaltlos zu begrüßen. Eine Konsequenz davon ist aber auch, dass sich
die qualitativen und quantitativen Angebote stationärer Erziehungshilfen in
54
Jugendwohlfahrtseinrichtungen
öffentlicher oder freier Trägerschaft immer höheren Anforderungen stellen
müssen. Psychische Schäden in den ersten Lebensjahren sind schwerwiegend
und erfordern bedürfnisgerechte differenzierte Möglichkeiten und Ressourcen.
Wie schon 2013 zeigte sich auch 2014 bei Kommissionsbesuchen der Mangel an speziellen Plätzen für Minderjährige mit psychiatrischer Diagnose bzw.
Psychiatrie-Erfahrung. Psychisch kranke Kinder und Jugendliche in WGs, in
denen weder genug Personal vorhanden ist, noch ein multiprofessionelles
Team mit Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Psychologinnen und Psychologen ergänzend zur Verfügung steht, haben und machen
Probleme. Diese können zuweilen krisenhafte Zuspitzungen erfahren und mit
erheblicher Selbst- oder Fremdgefährdung einhergehen.
Risikofaktoren
Ähnlich stellt sich die Situation in der Krisenabklärung dar, während welcher
entschieden werden muss, ob und welche Form der Betreuung nachfolgend in
Betracht kommt. Wenn z.B. straffällig gewordene oder tatverdächtige Jugendliche unmittelbar nach der U-Haft gemeinsam mit Kindern ab dem dritten
Lebensjahr in Krisenzentren aufgenommen werden müssen, lässt man sehenden Auges Bedingungen zu, die sozialpädagogisches Arbeiten mitunter verunmöglichen.
Vor allem kleinere Kinder berichteten den Kommissionen, fallweise große
Angst vor massiv aggressiven Jugendlichen zu haben. Dies ist verständlich
nach Impulsdurchbrüchen, die von der Zerstörung des Mobiliars bis hin zu
körperlichen Übergriffen auf Minderjährige oder das Personal reichen können. Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen gaben an, in der Arbeit mit
gewaltbereiten und hoch aggressiven Jugendlichen in Akutphasen ausreichenden Schutz zuweilen selbst nicht mehr gewährleisten zu können. Krisensituationen dieser Gravidität seien nur in den Griff zu bekommen, indem polizeiliche
Assistenz angefordert wird. Derart schwierige Grenzsituationen sind nicht der
Alltag, aber ein nicht zu vernachlässigender Teil der sozialpädagogischen Realität, die als sehr belastend erlebt wird.
Krisensituationen
Die Aggressions- und Gewaltforschung und die Erkenntnis kumulierter Risikofaktoren legen nahe, dass Gewaltprävention nicht nur am unerwünschten
Verhalten Minderjähriger, sondern auch an den Verhältnissen anzusetzen hat,
die zuweilen auch professionelle Helfer hilflos erscheinen lassen. In diesem
Sinne werden die Kommissionen tätig und sind auch deren Anregungen zu
verstehen.
Individualisierte Hilfen
notwendig
Die Erfahrungen der Kommissionen zeigen, dass einige Minderjährige mit psychischen Erkrankungen und daraus resultierenden psychosozialen Einschränkungen das Potential haben, zahlreiche Einrichtungen an Grenzen zu bringen und für sie bereit gehaltene Standardangebote nur schwer annehmen zu
können. Wiederholte Wechsel der betreuenden Institutionen behindern eine
Problemaufarbeitung, weil „mehr desselben“ die Bedingungen der Betreuung
nicht zwingend besser macht. Diese Minderjährigen brauchten zur Stabilisie-
Gewaltfreie Erziehung
als Menschenrecht
55
Jugendwohlfahrtseinrichtungen
rung spezifische – für sie maßgeschneiderte – Hilfsangebote, die sie annehmen
können. Aber auch sogenannte „Systemsprenger“, die sich institutioneller Hilfe immer wieder entziehen, müssten keine hoffnungslosen Fälle bleiben, wenn
man ihre Bedürfnisse, Interessen und Anlagen kennt und Hilfen nicht an zu
starre Regeln knüpft.
Einfache Lösungen
gibt es nicht
Die vielfach auch medial erzeugte Erwartungshaltung, äußerst negative Verlaufskarrieren in der Kinder- und Jugendhilfe durch rigidere bis zu freiheitsentziehende Maßnahmen reichende „Lösungen“ durchbrechen zu können, stellt
sich als utopisch dar. Der kritische Blick des NPM bleibt dort zu wahren, wo
ein härteres Durchgreifen und Zwang gegenüber „schwierigsten“ Kindern und
Jugendlichen gefordert wird, statt Risiken gesellschaftlicher Desintegrationsprozesse und die Lücken im Netz der individualisierten Hilfen für Minderjährige zu thematisieren. Die Schicksale ehemaliger Zöglinge und deren von Opferschutzkommissionen in allen Bundesländern dokumentierten Erfahrungen
mit der Heimerziehung nach 1945 belegen, welche lebenslangen seelischen
Wunden und Folgen institutioneller Zwang gepaart mit Machtmissbrauch
hinterlassen kann. Um zu verstehen, welches Hilfesetting Jugendliche (noch)
erreichen könnte, müssen die professionell Tätigen verstehen, welchem inneren Sinn das Verhalten folgt und danach ihr Angebot ausrichten.
Einfache Lösungen für schwierigste Problemlagen in der Kinder- und Jugendhilfe gibt es nicht. Träger, die sich mit dieser Thematik befassen, brauchen
Planungs- und Koordinationsunterstützung. Solche Projekte erfordern wissenschaftlich fundierte Grundlagenarbeit und Ressourcen, um Hilfeprozesse aus
verschiedenen Perspektiven zu erfassen.
Als problematisch erweist sich ferner, dass schwierig(st)e Jugendliche oft zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie und offenen Angeboten der stationären
Kinder- und Jugendhilfe „pendeln“ müssen, nur weil sich die Übergänge an
den Schnittstellen schwierig gestalten. Vor allem wäre wichtig, die Rechte und
Bedürfnisse der Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen und daran die Hilfen zur vollen Erziehung auszurichten. Zu beobachten war für Kommissionen
auch, dass Aufenthalte in Krisenzentren oder auf den kinder- und jugendpsychiatrischen Stationen nach Abschluss der eigentlichen Krisenabklärung wesentlich länger als zwingend notwendig dauern, da passende Plätze für diese
Gruppe in der Nachversorgung nicht verfügbar sind.
Untermauert werden die Feststellungen der Kommissionen über Versorgungsdefizite bei sozialtherapeutischen Wohnplätzen auch durch die vom BMG herausgegebene Studie über die außerstationäre psychosoziale Versorgung von
Kindern und Jugendlichen. Demnach waren 2013 in Österreich 585 sozialtherapeutische und 5.701 sozialpädagogische Wohnplätze vorhanden. Quantitative Richtwerte zur tatsächlich erforderlichen Anzahl an sozialtherapeutischen Plätzen wurden bisher nur für den Erwachsenenbereich festgelegt. Das
ist ein Manko. Wenn man den dafür vorgesehenen Richtwert von drei bis fünf
56
Jugendwohlfahrtseinrichtungen
Plätzen pro 10.000 Einwohner auf Kinder und Jugendliche überträgt, zeigt
sich, dass die Versorgungslage in den meisten Bundesländern bedenklich ist.
Die Länder sind gefordert, wissenschaftlich begleitete und den künftigen Bedarf regional berücksichtigende Kinder- und Jugendhilfeplanungen zu erstellen, womit auch dem Auftrag der §§ 13 und 14 des B-KJHG entsprochen würde.
In der Folge müssten dann mehr sozialtherapeutische Plätze geschaffen oder
dafür Sorge getragen werden, dass private Träger ihr Angebot auf diesem Sektor entsprechend erweitern.
Fundierte Kinder- und
Jugendhilfeplanungen
Die systematische Auswertung der von den Kommissionen gemachten Wahrnehmungen ist für den NPM fallweise schwierig, da in der Sozialpädagogik
einheitliche Fachbegriffe fehlen und österreichweite Vergleiche dadurch kaum
möglich sind. Das zeigt sich schon bei der Bezeichnung für die Einrichtungen
der Kinder- und Jugendhilfe. Es gibt Kinderwohngruppen, sozialpädagogische,
intensivpädagogische, sozialtherapeutische und sozialpsychiatrische Wohngemeinschaften, heilpädagogische Kindergruppen und daneben noch Wohngruppen in Kinder- und Jugendheimen. Da das B-KJHG nur allgemein von
sozialpädagogischen Einrichtungen spricht, ist nicht festgelegt, welche Struktur- und Qualitätskriterien unter den einzelnen Begriffen subsumiert werden.
Multiprofessionell zusammengesetzte sozialpsychiatrische Einrichtungen gibt
es beispielsweise derzeit nur in Wien.
Ähnlich ist es beim Beruf der Sozialpädagogin bzw. des Sozialpädagogen, für
den es kein eigenes Berufsgesetz, keinen Berufsschutz und daher auch keine einheitliche Ausbildung gibt. Aus diesem Grund ist das Ausbildungsniveau der in
den sozialpädagogischen WGs beschäftigten Fachkräfte sehr unterschiedlich.
Die einzelnen Ausbildungsstätten bieten sowohl hinsichtlich der Lehrinhalte
als auch der Anzahl von Unterrichts- und Praxisstunden verschiedene Module
an. Fort- und Weiterbildungen erfolgen ebenso nicht bundeseinheitlich. Das
B-KJG 2013 bleibt hier vage und normiert lediglich, dass für die Erbringung
von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe „Fachkräfte heranzuziehen sind,
die für den jeweiligen Tätigkeitsbereich ausgebildet und persönlich geeignet
sind“. Die nähere Ausgestaltung dieser Anforderungen ist den Ländern vorbehalten, die ihrerseits völlig unterschiedliche Ausbildungen anerkennen und
entwickeln. Nur in OÖ enthält das Sozialberufegesetz seit kurzem zusätzlich
das Berufsbild „Sozialpädagogische Fachbetreuung in der Jugendwohlfahrt“.
Die berufliche Verwertbarkeit dieser Ausbildung ist lokal begrenzt und wird in
anderen Bundesländern nicht anerkannt.
Keine bundesweit
einheitliche Ausbildung
für Fachkräfte
Die bereits seit 2012 bestehende Kooperation mit den Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs funktioniert hervorragend und brachte bereits einige
gemeinsame Erfolge. In zahlreichen Fällen nahmen die Kommissionen Berichte über vermutete Probleme in Einrichtungen zum Anlass, einen unangekündigten Besuch vorzunehmen. Der NPM dankt den Kinder- und Jugendanwältinnen und -anwälten für die gute Zusammenarbeit.
57
Jugendwohlfahrtseinrichtungen
XX
Gewaltfreie Erziehung für alle Minderjährigen muss sichergestellt werden.
XX
Hilfeangebote sind auch im Rahmen der vollen Erziehung zu individualisieren.
XX
Wissenschaftlich begleitete Kinder- und Jugendhilfeplanungen der Länder müssen
Versorgungsdefizite und Maßnahmen zu deren Behebung erfassen.
XX
Berufsrecht und Ausbildung von Sozialpädagoginnen und -pädagogen müssten
bundeseinheitlich normiert werden (Art. 15 a B-VG- Vereinbarung)
2.3.2
Systembedingte Problemfelder
2.3.2.1 Prüfschwerpunkt Gewaltprävention
Empfehlungen werden
umgesetzt
Wie sich im Zuge des Prüfschwerpunkts 2013/2014 zum Thema „Maßnahmen zur Gewaltprävention“ zeigte, haben ungünstige Rahmenbedingungen
in Einrichtungen Auswirkungen auf das Entstehen und die Verfestigung von
Gewaltdynamiken, was die in diesem Bericht näher dargestellten Einzelfälle
auf den Seiten S. 60 ff. exemplarisch belegen. Der NPM hat die Verantwortlichen der Länder als Träger der Kinder- und Jugendhilfe mit diesen Beobachtungen konfrontiert und verstärkte Aus- und Weiterbildungsangebote zur Gewaltprävention für alle Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen angeregt.
Die Kinder- und Jugendhilfeträger sind diesen Empfehlungen Großteils bereits
nachgekommen bzw. haben deren Umsetzung in Aussicht gestellt.
Sexuelle Übergriffe
unter Kindern
Eine spezielle Form der Gewalt ist die sexuelle Gewalt. Ein sexueller Übergriff
unter Kindern liegt dann vor, wenn sexuelle Handlungen durch ein übergriffiges Kind erzwungen werden bzw. das betroffene Kind sie unfreiwillig duldet oder sich unfreiwillig daran beteiligt. Häufig wird dabei ein Machtgefälle
ausgenutzt, indem z.B. durch Versprechungen, Drohungen oder körperliche
Gewalt Druck ausgeübt wird. Mit den Mitteln der Prävention, Sexualerziehung
und fachlicher Begleitung kann man Wege aus diesem „Ohnmachtszwischenraum“ finden und Minderjährige besser unterstützen. Bleiben solche Vorfälle
im Dunkeln, besteht die Gefahr, dass sich grenzverletzende Handlungsmuster
verfestigen und damit immer schwerer auflösbar werden. Erst ein Wissen über
die sexuelle Entwicklung von Kindern und eine Vorstellung von der kindlichen
Sexualität machen es möglich zu beurteilen, wo die Grenze zwischen sexuellen Aktivitäten und sexuellen Übergriffen unter Kindern verläuft.
Daher ist dieser Aspekt als gesonderter Prüfschwerpunkt für 2015 mit den Kommissionen gemeinsam festgelegt worden. Wenn Sexualität ein offenes und besprechbares Thema wird, kann das Räume im Denken, Fühlen, Reden und
Handeln öffnen und Grenzen aufzeigen. Wirksame Prävention muss über die
verschiedenen Arten von Grenzverletzungen aufklären, Kindern und Jugendlichen Mut machen, sich Hilfe zu holen, sie auf ihre Rechte auf körperliche und
sexuelle Selbstbestimmung hinweisen und Geschlechterrollenzuschreibungen
hinterfragen. Die Verantwortung, Mädchen und Buben vor sexuellen Über-
58
Jugendwohlfahrtseinrichtungen
griffen zu schützen und im Fall, dass dies nicht möglich ist, solche Vorfälle
bestmöglich aufzuarbeiten, liegt aber ausschließlich am Fachpersonal.
XX
Gewaltprävention, Sexualerziehung und Prävention von sexuellen Übergriffen
unverzichtbar.
Einzelfälle: VA-W-SOZ/0210-A/1/2013, VA-NÖ-SOZ/0067-A/1/2014 u.a.
2.3.2.2Barrierefreiheit
Die meisten Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sind nicht barrierefrei.
Oft sind sie in Gebäuden untergebracht, in denen die Barrierefreiheit aufgrund
von baulichen Gegebenheiten nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand hergestellt werden kann. In einigen Fällen wurden aufgrund der Kritik
des NPM Umbauarbeiten vorgenommen. In anderen stellte man in Aussicht,
ein anderes Objekt für die Wohngruppe zu suchen. Auch wenn nachvollziehbar ist, dass kostspielige Umbauarbeiten für die Kinder- und Jugendhilfeträger
kurzfristig nicht finanzierbar sind, so ist es zumindest erforderlich, bei Umund Neubauten sowie dem Abschluss weiterer Mietverträge darauf Bedacht
zu nehmen, dass Institutionen diesbezüglich den Bestimmungen der UN-BRK
entsprechen müssen.
XX
Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe müssen umfassend barrierefrei sein.
Einzelfälle: VA-OÖ-SOZ/0028-A/1/2014, 0035/A/1/2013, 0027-A/1/2014
2.3.2.3 Umgang mit Medikamenten
Die Kommissionen stellten bei vielen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe einen nachlässigen Umgang mit Medikamenten fest. So wurden herumliegende Medikamente und für Kinder- und Jugendliche offen zugängliche
Medikamentenschränke vorgefunden. Auch bereits abgelaufene Medikamente befanden sich darin. Für andere gab es Verordnungen, die schon bis zu drei
Jahre alt waren.
Verabreichung von
Medikamenten durch
pädagogisches
Personal
Die Kommissionen erachten es als problematisch, dass das in den Kinder- und
Jugendhilfeeinrichtungen beschäftigte sozialpädagogische Personal nicht den
Gesundheitsberufen angehört, aber dennoch ärztliche Tätigkeiten, wie die
Verabreichung von Arzneimitteln einschließlich deren Vorbereitung sowie das
Einordnen in Dispenser, vornehmen muss. Das Recht auf Einwilligung oder
Verweigerung einer medizinischen Heilbehandlung zählt zu den höchstpersönlichen Rechten eines Menschen auf Selbstbestimmung. Mit Inkrafttreten
des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes (KindRÄG) 2001 wurde die Einwilligung mündiger Minderjähriger in eine medizinische Behandlung durch § 173
ABGB gesetzlich geregelt, wobei der Gesetzgeber im Zweifel davon ausgeht,
dass 14-jährige die dafür notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit aufwei-
59
Jugendwohlfahrtseinrichtungen
sen. Laientätigkeit bei der Verabreichung von Medikamenten durch das Betreuungspersonal ist mit Zustimmung Minderjähriger zulässig, wenn für die
fachgerechte Durchführung selbst kein medizinisches bzw. pflegerisches Fachwissen vorauszusetzen ist. Die Entscheidung, ob die Anwendung bestimmter
Arzneimittel unter Bedacht auf deren Zusammensetzung und Wirkung überhaupt durch Laien erfolgen darf, haben die verordnenden Ärztinnen und Ärzte zu treffen. Es ist dann aber im Interesse der Minderjährigen umso bedeutsamer, dass die ärztliche Anordnung hinsichtlich des Zeitpunktes, der Anzahl,
der Form und Dosierung der Medikation eindeutig und zweifelsfrei bestimmt
ist.
Off-Label-Use
Besonders sensibel ist der Einsatz von Psychopharmaka, Neuroleptika und
Antipsychotika, welche an sich nicht für Kinder zugelassen sind. Sie werden
außerhalb der Zulassung (Off-Label-Use) verschrieben, was Ärztinnen und
Ärzten erlaubt ist, wenn der damit intendierte therapeutische Erfolg nach dem
Stand der Wissenschaft auf andere Weise voraussichtlich nicht erreicht werden kann. Bei diesen Medikamenten sind engmaschige psychiatrische Kontrollen und die Beobachtung allenfalls auftretender Nebenwirkungen immens
wichtig. Keinesfalls darf es aufgrund von Personalmangel und engen Personalressourcen zu einem erhöhten Einsatz solcher Medikamente kommen, da
langfristige Schäden und daraus resultierende Folgen nicht abschätzbar sind.
Verordnungen für den
Bedarfsfall
Unzulässig ist auch laut BMG die von Kommissionen beanstandete Verabreichung von „Bedarfsmedikation“ durch Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen. Diese erwerben in ihrer Ausbildunge keinerlei pflegerisches Basiswissen. Es ist ihnen daher – anders als den Sozialberufen, deren Ausbildung auf
der gesetzlichen Grundlage der Gesundheits- und Krankenpflege gemäß § 3a
GuKG erfolgt – auch der Zugang zu Schulungsmodulen zur Basisversorgung
und Unterstützung bei der Medikamenteneinnahme unter Aufsicht von diplomiertem Gesundheits- und Krankenpflegepersonal (DGKP) untersagt. Wer
eine Tätigkeit des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege
oder der Pflegehilfe ausübt, ohne dazu durch das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) oder eine andere gesetzliche Vorschrift berechtigt zu sein,
macht sich strafbar (§ 105 GuKG).
XX
Nachlässiger Umgang mit Medikamenten.
XX
Besondere Vorsicht bei Medikamenten im Off-Label-Use.
XX
Bedarfsmedikation darf nicht von pädagogischem Personal verabreicht werden.
Einzelfälle: VA-OÖ-SOZ/0084-A/1/2014, VA-B-SOZ/0041-A/1/2014, 0043A/1/2014
2.3.2.4 Ausbau der Hilfen für junge Erwachsene nötig
Mit 18 Jahren endet
der Anspruch auf Hilfen
60
Die Kommissionen werden bei ihren Besuchen in den Einrichtungen regelmäßig über Probleme beim Erreichen der Volljährigkeit von betreuten jungen
Jugendwohlfahrtseinrichtungen
Erwachsenen informiert. Im Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz (B-KJHG)
2013 sowie den Ausführungsgesetzen der Länder gibt es ab Erreichen der
Volljährigkeit keinen Rechtsanspruch für Hilfsmaßnahmen der Kinder- und
Jugendhilfe. Klare Rahmenbedingungen für die Verlängerung von Hilfen für
über 18-jährige im Bundesgrundsatzgesetz fielen im Konsultationsprozess mit
den Ländern dem Sparstift zum Opfer. Übrig blieb eine Ermächtigung zu Ermessensentscheidungen, die Hilfen bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres
möglich macht.
Klare
Rahmenbedingungen
Opfer des Sparstifts
In den einzelnen Landesgesetzen wurden die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfen für junge Erwachsene unterschiedlich ausgestaltet. Erfahrungen und statistische Auswertungen darüber, in wie vielen Fällen solche Hilfen
beantragt und zuerkannt oder verweigert wurden, fehlen derzeit noch, zumal
die Ausführungsgesetze noch nicht allzu lange in Kraft sind.
Bei Kommissionsbesuchen beklagten Einrichtungsverantwortliche wiederholt,
dass es große Probleme mit den zuständigen Behörden gibt, die Finanzierung
der Weiterbetreuung zu erwirken. Beispiele dafür gibt es viele. Besonders hervorzuheben ist der Fall einer 17-jährigen Frau aus OÖ, die motiviert werden
konnte, eine dreijährige Fremdenverkehrsschule zu besuchen. Mit Hilfe der
Bezugsbetreuerin gelang es, dass sie die ersten beiden Klassen erfolgreich
abschloss. Danach wollte die BH die Unterbringung und Betreuung in einer
WG nicht mehr bezahlen und argumentierte damit, dass aufgrund der guten
schulischen Leistungen keine dauernde Unterstützung mehr benötigt würde.
Dass diese Entwicklung nur durch den Rückhalt der Einrichtung möglich war,
wurde lange nicht anerkannt. Es bedurfte zäher Verhandlungen und einem
beharrlichen Eintreten der Bezugsbetreuerin, um die Kostenübernahme bis
zum Schulabschluss zu erreichen und die Wohnversorgung in der Einrichtung
abzusichern.
Anlässlich der Überprüfung einer Einrichtung sprach die Kommission 1 mit
einer jungen Mutter, die mehrere Jahre dort wohnte und im Februar 2014 das
21. Lebensjahr vollendete hat. Eine Sozialwohnung wurde ihr einige Wochen
später in Aussicht gestellt. Die Einrichtung hat die weitere Unterbringung zur
Überbrückung der Wartezeit selbst finanziert, da sonstige Hilfen nicht rechtzeitig eingesetzt hätten. Man sah sich dazu gezwungen, um nicht die geleistete
Hilfe zu gefährden, indem man die junge Frau mit ihrem kleinen Kind auf die
Straße setzt.
In Österreich leben rund 70 Prozent aller 21-jährigen noch zu Hause. Verantwortungsvolle Eltern setzen Kinder nicht am 18. Geburtstag vor die Tür.
Jungen Menschen in Fremdunterbringung wird aber – wenn sie nicht so viel
Unterstützung durch das pädagogische Fachpersonal haben – die Chance genommen, in Ruhe erwachsen zu werden, eine Ausbildung abzuschließen und
auf eigenen Beinen zu stehen. Sie kommen dadurch in die paradoxe Situation, für ihre weitere Entwicklung aufgrund multipler Problemlagen eigentlich
mehr Zeit zu brauchen, aber weniger als andere Gleichaltrige dafür zu bekom-
61
Jugendwohlfahrtseinrichtungen
men. Damit gefährdet die Kinder- und Jugendhilfe aber die Erfolge, für die sie
mit den Minderjährigen oft jahrelang zäh und ausdauernd gearbeitet hat.
XX
Rechtsanspruch auf Hilfen für junge Erwachsene soll verankert und Case-Management
verbessert werden.
Einzelfälle : VA-OÖ-SOZ/0084-A/1/2014, VA-T-SOZ/0009-A/1/2014
2.3.2.5 Probleme an der Schnittstelle zwischen Kinder- und Jugendhilfe
und Behindertenhilfe
Probleme an
Schnittstelle
Konfrontiert werden die Kommissionen auch mit der Schnittstellenproblematik zwischen Kinder- und Jugendhilfe einerseits und Behindertenhilfe andererseits. Diese zeigt sich, wenn Minderjährige, die zuerst in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen betreut werden, einen ihren Bedürfnissen besser entsprechenden Platz in Einrichtungen nach dem Chancengleichheitsgesetz bzw.
Behindertengesetz benötigten. Neben der Schwierigkeit, so einen Platz zu finden, ist in vielen Fällen die Bewilligung der Finanzierung problematisch und
langwierig. Dadurch bleiben diese Minderjährigen oft länger in Kinder- und
Jugendhilfeeinrichtungen, wo die Betreuungssituation allerdings nicht mehr
ihren Bedürfnisse gerecht wird. Die Minderjährigen und ihre Mitbewohner
sind dadurch extrem belastet, was zu unzumutbaren Zuständen in der Einrichtung führen kann.
Andererseits zeigen sich die Schwierigkeiten bei der Schnittstelle, wenn junge
Erwachsene das 21. Lebensjahr erreicht, ihre Ausbildung aber noch nicht ganz
abgeschlossen haben. Wenn eine Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung nicht
gleichzeitig auch eine Bewilligung nach dem Chancengleichheitsgesetz bzw.
Behindertengesetz hat, ist es nicht möglich, den jungen Erwachsenen dort zu
belassen. Dem NPM sind auch Einzelfälle bekannt, in denen eine unbürokratische Lösung gefunden werden konnte. Das ist aber keine zufriedenstellende Situation. Es müsste eine Möglichkeit zur Weiterbetreuung über das 21.
Lebensjahr in Ausnahmefällen gesetzlich verankert werden. Dadurch könnte
verhindert werden, dass junge Erwachsene eine Ausbildung vorzeitig abbrechen, weil sie es ohne intensive Betreuung nicht schaffen.
XX
Minderjährige warten zu lange auf Platz in Einrichtung für Menschen mit Behinderung.
XX
Weiterbetreuung über das 21. Lebensjahr in Ausnahmefällen.
Einzelfälle: VA-ST-SOZ/0079-A/1/2013, VA-OÖ-SOZ/0084-A/1/2014, VA-WSOZ/0124-A/1/2014, VA-S-SOZ/0041-A/1/2013
62
Jugendwohlfahrtseinrichtungen
2.3.2.6 Einrichtungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und
Asylwerbende
Wenn Minderjährige alleine auf der Flucht sind, befinden sie sich in einer
besonders schwierigen Situation. Aus diesem Grund sieht die maßgebliche
EU-Aufnahmerichtlinie spezielle Regelungen für unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge und Asylwerbende (UMF) vor. Gemäß diesen Bestimmungen sind
Mitgliedstaaten verpflichtet, für alle UMF eine besondere Betreuung zu gewährleisten.
Minderjährige
benötigen besondere
Betreuung
Bei der Anwendung der Bestimmungen ist vorrangig das Wohl der Kinder und
Jugendlichen zu berücksichtigen. Wenn möglich sollten Minderjährige bei
Verwandten oder Pflegefamilien untergebracht werden. Ist dies nicht möglich,
sind sie primär in speziellen Einrichtungen für Minderjährige zu betreuen.
Unterbringung bei
Pflegefamilien
vorrangig
Die Kommissionen haben einige solcher Einrichtungen besucht und Problemfelder identifizieren können. So dürfte sich die Suche nach Pflegefamilien in
vielen Fällen als sehr schwierig erweisen, weshalb viele UMF in Einrichtungen
betreut werden. Ob in den Bundesländern ausreichende Schritte gesetzt werden, um Pflegefamilien zu finden, konnte der NPM nicht feststellen. Eine Verbesserung der Situation wäre aber wünschenswert und notwendig.
Eine weitere Herausforderung betrifft Geschwister. Diese werden immer wieder getrennt und in unterschiedlichen Einrichtungen betreut vor allem dann,
wenn ältere die Volljährigkeit erreicht haben. Ältere Geschwister werden in
Einrichtungen für Erwachsene untergebracht, während die jüngeren, zumindest solange die älteren nicht die Obsorge bekommen, in Einrichtungen für
Minderjährige verbleiben müssen. Das ist vor dem Hintergrund der gemeinsamen Fluchterfahrung für alle Beteiligen sehr belastend.
Geschwister sollten
nicht getrennt werden
Die Kommission 2 dokumentierte, dass Minderjährige, auch um ihre Selbstständigkeit zu fördern, in zwei Salzburger Einrichtungen Essen selbst kaufen
und zubereiten sollten. Dafür wurde ihnen ein Budget von 45,50 Euro pro
Woche aus Mitteln der Grundversorgung zur freien Verfügung überlassen. Die
Kochgeräte wurden von der Kommission in einem schlechten Zustand vorgefunden, ausreichend Kochutensilien wie Besteck, Gläser und Tassen fehlten.
Als Konsequenz konsumierten viele Minderjährige fast ausschließlich billige
und ohne Kocherfahrung leicht zuzubereitende Lebensmittel.
Die Kritik der Kommission bezog sich nicht darauf, Minderjährige an den
Umgang mit eigenem Geld zu gewöhnen. Die Kommission mahnte aber ein,
dafür Sorge zu tragen, dass sie sich gesund und ausgewogen ernähren und
dass sie pädagogisch angeleitet werden, gemeinsam einzukaufen, zu kochen
und die Vielfalt an Nahrungsmitteln kennenzulernen und zu probieren. Eine
Variante dazu wäre, Konzepte der Teilverpflegung einzuführen, bei denen die
Betroffenen zumindest das Mittag- oder Abendessen nach den Grundsätzen
einer gesunden Ernährung zubereiten. Der NPM bezweifelt zudem, dass eine
Mittel der
Grundversorgung nicht
ausreichend
63
Jugendwohlfahrtseinrichtungen
ausgewogene Ernährung für im Wachstum befindliche Jugendliche mit einem
Budget von 6,50 Euro pro Tag möglich ist. Diesbezügliche Tagessätze sollten
deshalb evaluiert und angehoben werden. Die Salzburger LReg betonte gegenüber dem NPM, die Kritik zum Anlass zu nehmen, Standards für die einzelnen
Bereiche (Wohnen, Verpflegung, Reinigung, Tagesstruktur, psychologische Betreuung und fachlicher Personaleinsatz, Ausweitung der Psychotherapie) zu
entwickeln, die dann auch Bestandteil von Leistungsvereinbarungen sein sollen.
64
Zu wenige
Beschäftigungsmöglichkeiten und
psychologische
Betreuung
Auch die Beschäftigungsmöglichkeiten erwiesen sich als nicht ausreichend.
Kommissionen beobachteten, dass zwar beispielsweise Deutschkurse in Einrichtungen angeboten wurden, dies aber in zu geringem Ausmaß von vier
Stunden pro Woche. Manche Jugendliche spielten in Fußballvereinen. Andere
Beschäftigungs- oder Freizeitmöglichkeiten gab es nicht. Verstärkt wird dieses
Problem dadurch, dass diesen oftmals traumatisierten Minderjährigen keine
ausreichenden Möglichkeiten der psychologischen Betreuung zur Verfügung
gestellt werden. Einer Erweiterung diesbezüglicher Angebote und Lernhilfen
sollte hohe Priorität eingeräumt werden.
Unzumutbare
Bedingungen
In einer Einrichtung für 40 unbegleitete männliche Jugendliche in der Stmk
stieß die Kommission 3 auf unzumutbare hygienische Bedingungen (verrußte
Herde, verschmutzte Kühlschränke, kaputte Küchenteile, verdreckte, teils beschädigte WCs sowie Bäder). Dies lässt darauf schließen, dass Grundreinigung
und Reparaturen seitens des Betreibers unterbleiben und Kontrollen dieser Einrichtungen mangelhaft durchgeführt werden.
Tagsätze der
Grundversorgung
diskriminierend
Die VA möchte in diesem Zusammenhang aber auch betonen, dass die Möglichkeiten von Betreibereinrichtungen durch die zur Verfügung gestellten Budgetmittel des Bundes aus der Grundversorgung begrenzt sind. Aufgrund der
deutlich schlechteren finanziellen Ausstattung entsprechen Personalstand,
Ausbildung des Personals, Fortbildungen, Supervision und pädagogische Konzepte nicht dem Standard sonstiger Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen.
Dies führt zu einer faktischen Diskriminierung von Kindern und Jugendlichen
ausschließlich aufgrund der Herkunft, obwohl den Ländern als Kinder- und
Jugendhilfeträger auch für unbegleitete Minderjährige die Obsorge zukommt.
Kostenersätze aus der Grundversorgung des Bundes liegen wesentlich unter
dem Niveau der Tagsätze der Kinder- und Jugendhilfe, weshalb ein ungleiches
Betreuungsniveau die logische Konsequenz ist. Deutlich erkennbar wird dies
daran, dass vielfach pädagogische Konzepte fehlen. Bundeseinheitliche Mindeststandards für diesen Einrichtungstyp – obwohl vom NPM wiederholt empfohlen – gibt es nicht, weil Bund und Länder diesbezüglich kein Einvernehmen
herstellen konnten. Wenn die Unterscheidung zwischen Kindern und Jugendlichen in voller Erziehung in Grundversorgung und außerhalb der Grundversorgung zu schlechterer Betreuung bzw. Behandlung führt, widerspricht dies
nach Ansicht des NPM der UN-KRK und ist deshalb abzulehnen. Der NPM wird
ihre Bemühungen, eine Veränderung herbeizuführen, 2015 verstärken und
hat deshalb ein amtswegiges Prüfverfahren eingeleitet.
Jugendwohlfahrtseinrichtungen
XX
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Asylwerbende benötigen besondere Betreuung.
XX
Beschäftigungs- und Freizeitmöglichkeiten sind auszubauen.
XX
Mehr Budgetmittel aus Grundversorgung sind erforderlich .
XX
Bundesweit einheitliche Standards sind erforderlich.
Einzelfälle: VA-S-SOZ/0001-A/1/2014, VA-ST-SOZ/0086-A/1/2014, u.a.
2.3.2.7 Unterbringung von Kindern in anderen Bundesländern
In einem amtswegigen Prüfungsverfahren hat sich der NPM auf Anregung der
Kommissionen mit der Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen, die von ihrem bisherigen Wohnort und dem Wohnort der Eltern
weit entfernt sind, auseinandergesetzt. Die Auswertung der Erhebungen zeigt,
dass eine große Zahl von Transferierungen nur deshalb erforderlich ist, weil es
im Herkunftsbundesland keine passenden Angebote gibt.
Unterbringung in
anderem Bundesland
aus Mangel an Plätzen
Problematisch ist, dass es so binnen kurzer Zeit zu einer Entfremdung von
nahen Bezugspersonen kommen kann und auch Freundschaften in Brüche
gehen. Die durch größere Distanzen verursachten Verluste an Bindungen und
Begegnungsmöglichkeiten begünstigen einen Beziehungsabbruch, der eine
Rückführung der Minderjährigen in die Familie unmöglich machen kann.
Viele Eltern schaffen es aus finanziellen oder logistischen Gründen nicht, von
ihrem Recht auf persönlichen Kontakt Gebrauch zu machen, wenn Einrichtungen zu weit entfernt sind. Außerdem ist so auch die für eine Rückführung
erforderliche Arbeit mit der Familie viel schwerer zu leisten.
Die von den Ländern mit Ausnahme Vbg gelieferten Zahlen zeigen deutlich,
dass einige Kinder- und Jugendhilfeträger diese Aspekte schon länger im Auge
haben, was bei anderen aber noch nicht der Fall zu sein scheint. NÖ hat nur
ca. 4 % der Minderjährigen in voller Erziehung in einer Einrichtung außerhalb
der Landesgrenzen, aber dennoch in Nähe zum Wohnort der Eltern untergebracht. Ktn und Tirol liegen unter 10 %, OÖ und Wien zwischen 10 und 15 %.
Im Vergleich dazu lebt aber die Hälfte der Kinder und Jugendlichen aus der
Stmk in einem anderen Bundesland. Auch im Bgld ist dieser Anteil mit 30 %
bzw. Sbg mit über 20 % ziemlich hoch.
Die betroffenen Bundesländer sollten so rasch wie möglich die schon in der
Einleitung angesprochene wissenschaftlich begleitete Kinder- und Jugendhilfeplanung erstellen und dem Bedarf entsprechend Plätze schaffen. Auffällig
ist jedenfalls, dass manche Einrichtungen vom eigenen Bundesland, das auch
die Fachaufsicht ausübt, nicht beschickt werden. Im Bgld nehmen – vermutlich aus Kostengründen – nur zwei Einrichtungen überhaupt burgenländische
Kinder auf, da sie für Kinder aus anderen Bundesländern einen Tarifzuschlag
von 10 % verlangen können.
Umsetzung einer
wissenschaftlich
begleiteten Planung
65
Jugendwohlfahrtseinrichtungen
Lobend zu erwähnen ist, dass OÖ reagiert und die Anzahl der Kinder und Jugendlichen aus anderen Bundesländern oder aus dem Ausland in sozialpädagogischen Einrichtungen mit 15 % der Gesamtzahl aller betreuten Kinder und
Jugendlichen beschränkt hat. Diesem Beispiel sollten andere Länder folgen.
XX
Länder müssen ihrer Versorgungsverantwortung selbst nachkommen.
XX
Unterbringung Minderjähriger sollte nahe dem Wohnort der Eltern erfolgen, wenn nicht
pädagogische Gründe dagegen sprechen.
XX
Beschränkung der Gesamtzahl für ganz Österreich.
Einzelfall: VA-BD-JF/0120-A/1/2014
2.3.3
Gravierende Mängel
Heimstrukturen erschweren pädagogische Arbeit
In einem NÖ Landesjugendheim mit fünf vollstationären und einer teilstationären Wohngruppe fanden zwei unangekündigte Überprüfungen der Kommission 5 im Jahr 2013 statt. Die angetroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden als engagiert und bemüht, allerdings auch als völlig überfordert
wahrgenommen. Die Einsichtnahme in die sowohl im Landesjugendheim als
auch in der örtlichen Polizeiinspektion aufliegenden Dokumentationen ergab,
dass überdurchschnittlich viele Gewalttaten gegen Minderjährige und das
Personal zu verzeichnen waren. Häufig waren Polizeieinsätze notwendig. Das
pädagogische Konzept der „Neuen Autorität“ von Haim Omer zur Gewaltprävention war zwar installiert; die darin enthaltene Deeskalationsstrategie
konnte aber nicht umgesetzt worden. Es waren infolge aktueller Krisen weder
Zeit noch Ressourcen vorhanden, um gezielte pädagogische Interventionen zu
setzen und auf die Kinder und Jugendlichen haltgebend einzugehen. Die Kommission 5 führte dies einerseits auf die Größe der Einrichtung, andererseits
aber auch auf mangelnde Personalpräsenz und Ausbildungsdefizite zurück.
Weiters kritisierte die Kommission, dass kein Hausparlament etabliert wurde.
Im Prüfungsverfahren bestätigte die NÖ LReg, dass sich das Landesjugendheim zum Zeitpunkt der Kommissionsbesuche in einer Krise befand und dies
auch bekannt war. Vorangegangene Fachaufsichtsberichte und die Kritik des
NPM wurden zum Anlass genommen, Erhebungen unter Einbeziehung aller
Verantwortlichen und Beteiligten durchzuführen. Der Aufsichtsbericht vom
August 2014 zeigt inzwischen erreichte Verbesserungen, aber auch strukturelle
Schwierigkeiten auf und wird zu Strukturmaßnahmen führten, die über 2015
hinaus reichen werden.
Risikofaktoren für
strukturelle
Gewaltdynamiken
66
Anerkannt wurde von der NÖ LReg, dass Heimstrukturen eine den Erkenntnissen der Sozialpädagogik entsprechende Arbeit per se erschweren. Wenn Kinder und Jugendliche, denen Störungen des Sozialverhaltens attestiert wurden,
Sozial- und Konfliktkompetenz im Umfeld vieler anderer Minderjähriger mit
dissozialen Störungen erwerben sollen, wird starker Gruppendruck erzeugt,
sich an Regelverstößen, Selbstinszenierungen und Machtdemonstrationen zu
Jugendwohlfahrtseinrichtungen
beteiligen. Kinder- und Jugendliche, die sich je nach Alter und Intensität Übergriffen und mehr oder minder ausgelebter Willkür oder Distanzlosigkeit ausgesetzt sehen, reagieren ihrerseits mit Aggression oder werden zu Opfern von
Ausgrenzung. Die Wirkung negativer Gruppendynamiken kann wesentlich
stärker sein als jene der pädagogisch und therapeutischen Sozial- und Konflikttrainings sowie zusätzlicher Settings, welche Persönlichkeitsentwicklung,
Verhaltensänderungen sowie schulische und berufliche Integration fördern
sollen. Nehmen physische Angst und Überforderung bzw. Krankenstände der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu, während gleichzeitig „Kapos“ unter den
Jugendlichen ganze Gruppen bzw. die Einrichtung verdeckt mitregieren und
steuern, sind Eskalationen an der Tagesordnung.
Als erste Maßnahme wurde ein Aufnahmestopp verhängt, wodurch sich die
Anzahl betreuter Minderjährigen verringerte. Durch die Neugestaltung aller
Dienstpläne und Gruppenzusammensetzungen wurden Ressourcen optimiert
und Arbeitsbedingungen verbessert. Die Präsenz des Personals erhöhte sich
durch die Verringerung der krankheitsbedingten Abwesenheiten (Vergleich
2013: 1.056 Krankenstandstage, 1-7/2014: 214). Von allen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern genutzte Fortbildungsangebote (Gewaltprävention nach
PART, „Autorität neu“, verschiedenste Formen des Coachings) haben sich bewährt. Das wirkt insgesamt stabilisierend, weil drohenden Eskalationen früher
und geschlossener begegnet werden kann, sodass in der Regel auch keine Polizeieinsätze wegen körperlicher Übergriffe nötig sind. Im Laufe des Jahres 2014
wurden Kinderteams und ein Jugendcafé installiert; seit September 2014 gibt
es ein Hausparlament. Die Ferien- und Freizeitaktivitäten wurden in Absprache mit den Kindern und Jugendlichen ausgeweitet. Auch Hausregeln werden
mit den Kindern- und Jugendlichen gemeinsam erstellt und reflektiert.
Maßnahmen wurden
ergriffen
Unmissverständlich wurde gegenüber der Fachaufsicht vom Großteil der interviewten Sozialpädagoginnen und -pädagogen der Wunsch nach Aufteilung
der Einrichtung in kleinere sozialpädagogische bzw. sozialtherapeutische WGs
deponiert. Dies mit der Begründung, dass in kleinen Einheiten individueller
auf die Bedürfnisse Einzelner eingegangen werden könne, was in Folge verbesserte Lebenschancen für Minderjährige und Rückführungsmöglichkeiten
in Herkunftsfamilien erwarten lasse (Zitat eines/r Betroffenen: „Wir wollen
nicht mehr in einer Einrichtung arbeiten, die aussieht wie ein Finanzamt aus
dem 19. Jahrhundert“). Gleichzeitig wurde die Notwendigkeit des Ausbaus
von derzeit spärlichen Möglichkeiten zu Fortbildungen im Bereich der Traumapädagogik betont, weil es Kinder- und Jugendliche mit hohem Anteil an
traumatischen Störungsbildern zu begleiten und fördern gilt.
Bestmögliche
Unterstützung bleibt im
Fokus
Die LReg berichtete, dass mit der Dezentralisierung des Jugendheims begonnen und erste Außenwohngruppen in umliegenden Städten geschaffen wurden. Der NPM begrüßt diese Veränderungen.
Ausgliederung hat
begonnen
Derzeit stehen in NÖ neun Landesjugendheime und 47 private Vertragseinrichtungen für Kinder und Jugendliche zur Verfügung. Zusätzlich gibt es in
67
Jugendwohlfahrtseinrichtungen
sechs Zentren für Krisenintervention 50 befristete Plätze zur weiteren Abklärung. Es werden um die 1.200 Kinder und Jugendliche in voller Erziehung in
Einrichtungen betreut.
„Hilfen zur Erziehung“
NÖ hat im März 2014 als erstes Bundesland das unter wissenschaftlicher Begleitung erstellte Konzept einer umfassenden und revolvierenden Planung
aller Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe erstellt. Datenbasiert wurden
Sozialstrukturen und spezielle Belastungen für junge Menschen, die zur Inanspruchnahme der „Hilfen zur Erziehung“ führen, abgebildet und mit bestehenden Angeboten verglichen. Daraus ergeben sich kurz-, mittel- und langfristige Anforderungen einer regional bedarfsgerechten und differenzierten
Angebotsgestaltung.
Dass Großheime Schritt für Schritt von kleineren regionalen Betreuungseinrichtungen mit familiärem Charakter abgelöst werden müssen, ist in NÖ inzwischen unbestritten. Dem Beispiel sollten auch andere Bundesländer folgen.
XX
Kleinere regionale Betreuungseinrichtungen mit familiärem Charakter sollen Großheime
ablösen.
Einzelfälle: VA-NÖ-SOZ/0121-A/1/2013, VA-NÖ-SOZ/0004-A/1/2014
2.3.4
Sexuelle Selbstbestimmung braucht Schutz
Nach einem Besuch in einer WG kritisierte die Kommission 6, dass ein wegen
sexuellen Missbrauchs verurteilter Jugendlicher fallweise mit anderen dort lebenden Minderjährigen in einem Zimmer nächtigen dürfe. Schutzvorkehrungen irgendwelcher Art wurden nach Ansicht der Kommission nicht getroffen.
Im Zuge des daraufhin eingeleiteten Prüfungsverfahrens berichtete die NÖ
LReg, dass in der WG Sexualworkshops für Kinder und Jugendliche installiert
wurden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese als Weiterbildung in Anspruch genommen haben. Auf Ersuchen des NPM wurde der Leiter der Einrichtung von der Fachaufsicht nochmals darauf hingewiesen, dass Übernachtungen von anderen Kindern und Jugendlichen im Zimmer des betroffenen
Jugendlichen zu unterbinden seien. Daraufhin wurde seitens der Einrichtung
zugesichert, dass die Betreuerinnen und Betreuer zukünftig achtsamer mit
dem Thema, das auch Gegenstand einer eigenen Klausur gewesen sei, umgehen werden und die Nachtruhe jeweils in den eigenen Zimmern verbracht
wird.
Sexualität ohne
Grenzverletzungen
erleben
68
Es ist Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen im Sinne der UNKRK alle Jugendlichen – selbstverständlich auch delinquente Jugendliche – zu
unterstützen, ihre Sexualität ohne Grenzverletzungen erleben zu können. Das
Strafrecht schützt die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen durch Schonräume in einem altersabgestuften System und verbietet
deshalb selbst erwünschte oder provozierte sexuelle Handlungen an unter
14-jährigen. Auch wer Sex mit unter 16-jährigen Jugendlichen mit mangeln-
Jugendwohlfahrtseinrichtungen
der Reife unter Ausnützung seiner „altersbedingten Überlegenheit sowie dieser
mangelnden Reife” hat, macht sich strafbar. Es gibt schon deshalb in Einrichtungen nicht nur die berufliche Verpflichtung, jungen Menschen in ihrer
Sexualentwicklung zu helfen, sondern auch, potentielle Opfer zu schützen.
XX  Empfohlene präventive Maßnahmen zur Verhinderung von sexuellen Übergriffen
umgesetzt.
Einzelfall: VA-NÖ-SOZ/0002-A/1/2014
2.3.5
Positive Feststellungen
Einjähriges Projekt zur Aufarbeitung und Umsetzung von Empfehlungen abgeschlossen Bei zwei Besuchen eines Jugendwohnheims Ende 2012 kritisierte die Kommission 2 menschenrechtsverletzende Bedingungen in der pädagogischen Arbeit
infolge struktureller Defizite (erhöhte Personalfluktuation bei gleichzeitigen
Schwierigkeiten der Personalrekrutierung, permanente Unterbesetzung, Langzeitkrankenstände) und damit zusammenhängende Überforderungen. Im
September 2013 startete auf Anregung des NPM ein von der OÖ LReg finanziertes interdisziplinäres Projekt, um die Situation für die Jugendlichen sowie
für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verbessern und präventive Standards zu entwickeln, die auch für alle drei OÖ Landesheime gelten sollen. Im
Projektteam wirkten neben Bediensteten der OÖ LReg und dem Heimleiter
eine Mitarbeiterin der VA, ein Mitglied der Kommission 2 sowie die Kinderund Jugendanwältin von OÖ mit. Der Projektendbericht mit Kurzbeschreibungen von 47 vereinbarten und in Eckpunkten gemeinsam festgelegten Umsetzungsmaßnahmen liegt seit Oktober 2014 vor.
Strukturelle Defizite
Entwicklung präventiver
Standards
Folgende Sofortmaßnahmen wurden als Dauermaßnahmen in Kraft gesetzt:
Reduktion der maximalen Gruppengröße der WGs von elf auf neun,
Verpflichtende laufende volle Ausschöpfung des Dienstpostenplans,
Keine Neuaufnahme von Jugendlichen, solange der Dienstpostenplan nicht
voll ausgeschöpft ist oder die maximale Gruppengröße überschritten würde,
Maximale Aufnahmequote von 15 % an Minderjährigen aus anderen Bundesländern,
Einführung bzw. tatsächliches Zulassen von Teilzeit für Pädagoginnen und
Pädagogen,
Supervision nach fachlichen Standards NEU,
Beteiligung der Erzieherinnen und Erzieher am Aufnahmeprozess,
Vollversammlung der Jugendlichen,
69
Jugendwohlfahrtseinrichtungen
Überarbeitung aller Haus- und Gruppenregeln in einem partizipatorischen
Prozess mit den Minderjährigen.
In organisatorischer Sicht erfolgten Weichenstellungen auf Ebene der OÖ
LReg, indem eine pädagogische Gesamtverantwortung für alle drei Landeseinrichtungen sowie lückenlose Führungs- und Verantwortungsketten festgelegt wurden. Erstmals sollen pädagogische Leitlinien als Hilfestellung für diese
drei Einrichtungen erarbeitet und anschließend implementiert werden.
In der Einrichtung selbst muss u.a. eine andere Führungs– und Dienststellenkultur entwickelt werden. Es ist essenziell, dass mit dem Projektende die umzusetzenden Maßnahmen nicht vorzeitig versanden. Vorgesehen sind deshalb
ein laufendes Umsetzungsmonitoring und eine Evaluierung der gesamten
Umsetzung nach ca. drei Jahren.
Chance für umfassende
Verbesserungen
XX
Die Projektergebnisse bieten die Chance, umfassende Verbesserungen in Angriff zu nehmen. Ob und wie die Umsetzung gelingt, wird durch weitere Kommissionsbesuche begleitend erhoben werden.
Projekt bietet Chance für grundlegende Veränderungen in OÖ.
Einzelfälle: VA-OÖ-SOZ/0072-A/1/2013, VA-OÖ-SOZ/0007-A/1/2013,
70
Einrichtungen für Menschen mit Behinderung
2.4
Einrichtungen für Menschen mit Behinderung
2.4.1Einleitung
Im Jahr 2014 führten die Kommissionen 78 Kontrollen in speziell für Menschen mit Behinderung geschaffenen Einrichtungen durch. Wie im Vorjahr
wurden öffentliche und private Träger geprüft, wobei die Bandbreite der Institutionen u.a. Heime, Wohngruppen, Tagesbetreuungszentren, Tageswerkstätten und Pflegestationen umschloss. Diese Einrichtungstypen sind sowohl vom
OPCAT-Mandat als auch vom Mandat nach Art. 16 Abs. 3 UN-BRK erfasst.
Die Prüftätigkeit erwies sich dabei aufgrund unterschiedlicher Bedürfnislagen,
der Breite an Angeboten und der Vielfältigkeit der Institutstypen und Organisationsformen als sehr komplex. Gleichzeitig wurden von den Kommissionen auch qualitative und quantitative Versorgungsdefizite, insbesondere
für Menschen mit Doppel-und Mehrfachdiagnosen (Lernbeeinträchtigung
und psychische Störung oder psychiatrische Beeinträchtigung), wahrgenommen. Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung, die zusätzlich eine psychosoziale Krise oder eine psychische Erkrankung durchleben, fallen durch
teils extreme selbst- oder fremdaggressive Verhaltensweisen auf, die sie selbst,
das Betreuungspersonal und auch Angehörige stark belasten. Menschen mit
geistiger Behinderung zeigen in ihrem Leben drei- bis viermal häufiger psychische Auffälligkeiten und klassische psychiatrische Störungsbilder als die
Durchschnittsbevölkerung. Diese Aussage der Welt-Gesundheitsorganisation
WHO ist durch das höhere Maß an Verletzbarkeit dieser Personengruppe zu
erklären. Zugleich stellt die psychische Erkrankung eine besondere Anforderung an die Betreuenden dar, da die Betroffenen häufig in ihrer Fähigkeit zur
Einsicht und Verbalisierung der Störung beeinträchtigt sind. Mitarbeitende sozialer Einrichtungen müssen sich deshalb mit psychiatrischen Krankheitsbildern auseinandersetzen, diese verstehen lernen und individuelle Antworten
auf Verhaltensweisen finden, zu denen sie bisher keinen Zugang hatten. Im
Arbeitsalltag entstehen dadurch häufig Situationen der Überforderung.
Breites Angebot –
dennoch
Versorgungsdefizite
Mit Betonung auf das Mandat zur Gewaltprävention haben Kommissionen
festgestellt, dass Versorgungsdefizite zu Krisen führen, die in teils sehr massiven körperlichen Übergriffen auf Mitbewohnerinnen- und -bewohner und
das Personal münden. Nicht selten werden diese betreuungsintensiven Personen von Einrichtung zu Einrichtung weiter gereicht und verlieren dabei
immer wieder Stützungssysteme, was Hospitalisierungseffekte bewirkt und
verschlimmert. Diese sind Folge des Fehlens einer Wohn- und Lebenswelt mit
personenzentrierter Betreuung und therapeutischer Begleitung durch Fachpersonal. Wenn es Einrichtungen nicht gelingt, ausreichende Ressourcen dafür
aufzubringen und Eskalationen zu vermeiden, kann das fatale Folgen haben.
Diese haben Menschen mit Behinderung zu tragen, die so um Entwicklungschancen und Lebensglück gebracht werden. Die Kommission 1 traf in Tirol auf
der forensischen Station des LKH Hall z.B. auf einen 15-jährigen, der sich nach
Gewalt als Folge
unpassender
Bedingungen
71
Einrichtungen für Menschen mit Behinderung
einem tätlichen Angriff auf einen Betreuer im Maßnahmenvollzug befindet.
Sein halbes Leben verbrachte er in Institutionen, in denen Impulsdurchbrüche
an der Tagesordnung waren. Seiner strafrechtlichen Verurteilung gingen gerichtliche Verfahren nach dem HeimAufG voraus, in denen die Vertretung der
Bewohnerinnen und Bewohner wiederholt personenzentrierte 1:1-Begleitung
und Aufhebung anstelle freiheitsbeschränkender Maßnahmen eingemahnt
hatte. Die individualisierte Intensivbegleitung unterblieb trotz der absehbaren
Risiken.
Unterschiedliche
Qualitätsvorgaben der
Bundesländer
Die VA musste im Zuge der NPM-Tätigkeit feststellen, dass landesrechtliche
Vorgaben und davon abgeleitete Finanzierungsschlüssel in Bezug auf Infrastrukturqualitäten erheblich divergieren und unterschiedliche Zugänge dazu
in grundlegenden Punkten bestehen. So unterscheiden sich beispielsweise die
vorgeschriebenen Fachkräftequoten für Einrichtungen für Menschen mit Behinderung bundesweit erheblich. Während diese Quote in der Stmk bei bis
zu 100 % liegt, ist in anderen Bundesländern – wie z.B. in Sbg – eine 50 %Beschäftigung von Fachpersonal bereits ausreichend, um Mindeststandards
zu erfüllen. Wenn grundlegende Rahmenbedingungen österreichweit so erheblich divergieren, kommt es zwangsläufig auch zu einer unterschiedlichen
Behandlung und Betreuung von Menschen mit Behinderung je nach Wohnort
oder Zuweisung. Das ist – weil es auch um die Erfüllung menschenrechtlicher
Garantien aus Völkerrechtsverträgen geht – nicht akzeptabel.
Forschungsstudie zu
Gewaltprävention und
Empowerment
Der Behindertenrechtsausschuss der UN hat nach der österreichischen Staatenprüfung im Rahmen der UN-Konvention über die Rechte von Menschen
mit Behinderungen zuletzt empfohlen, dass Österreich weitere Maßnahmen
ergreifen soll, „um Frauen, Männer, Mädchen und Buben mit Behinderungen vor Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch zu schützen“. Zu begrüßen ist
deshalb, dass der Nationalrat im November 2014 den parlamentarischen Entschließungsantrag 94/A(E) angenommen und dem BMASK den Auftrag zur
Erstellung einer Forschungsstudie betreffend „Maßnahmen gegen Gewalt und
sexuellen Missbrauch an Menschen mit Behinderungen in Einrichtungen“ erteilt hat (342 BlgNR 25. GP). Der NPM werden daran gerne mitwirken und sich
mit ihren Erfahrungen aus der NPM-Tätigkeit einbringen. Wissenschaftliche
Forschungsarbeiten, die sich mit den spezifischen Risikofaktoren institutioneller Settings in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung auseinandersetzen, gibt es in Österreich bisher nicht. Die Studie soll bis 2016 fertig gestellt
sein.
Dass der Abbau bestehender Großeinrichtungen sowie die konsequente Neuausrichtung von Hilfestellungen im Sinne persönlicher Assistenz und sozialräumlicher Angebote als Herzstück menschenrechtskonformer Behindertenpolitik per se auch gewaltpräventive Wirkung hat, wurde allerdings in internationalen Forschungsarbeiten bereits wiederholt betont. Um diesen Prozess
auch in Österreich zu betreiben, braucht es nicht nur Absichtserklärungen
in Regierungsprogrammen. Notwendig sind kompromisslose Entschlossenheit
72
Einrichtungen für Menschen mit Behinderung
der politisch Verantwortlichen sowie mit konkreten Zeithorizonten versehene
transparente Planungen und darauf ausgerichtete Konzepte.
Der zuständige UN-Fachausschuss hat die „unangemessene Zersplitterung“
der Behindertenpolitik in Österreich 2013 kritisiert und die den Zielen der UNBRK verpflichtete gemeinsame politische Steuerung aller Maßnahmen zur
Umsetzung der Konventionsverpflichtungen eingefordert. Bundesweit nehmen schätzungsweise rund 21.000 Menschen mit Behinderung an speziellen
Arbeitsformen in Werkstätten teil. Hier tut sich ein auch schon vom RH kritisierter wahrer Förderdschungel zwischen Bund und Ländern auf, der weder der
Durchlässigkeit zwischen erstem und drittem Arbeitsmarkt dienlich ist, noch
eine bedarfsgerechte Koordinierung, Planung und Steuerung von Angeboten
und Hilfen ermöglicht.
Zersplitterung der
Kompetenzbereiche
beenden
Es besteht also noch erheblicher Verbesserungs- und Nachholbedarf.
Die VA möchte an dieser Stelle aber auch ausdrücklich betonen, dass die gute
Zusammenarbeit und die Kommunikation mit Bewohnerinnen- und Bewohner-Vertretern, Selbstvertretern und die teilweise sehr konstruktiven Dialoge
mit Trägerorganisationen und Behörden wichtig für ihre Arbeit sind. Dafür
dankt der NPM auch im Namen der Kommissionen.
2.4.2
Zusammenarbeit mit
Stakeholdern für VA
wesentlich
Systembedingte Problemfelder
2.4.2.1 Altersuntypische Freiheitsbeschränkungen bei Minderjährigen
mit geistigen Behinderungen bzw. psychischen Krankheiten
Von außen versperrbare, mannshohe Pflegegitterbetten, in denen auch tagsüber Ruhezeit verbracht wird, mit Gattern versehene Zimmertüren, das Sitzen
in Sesseln, die nicht selbständig verlassen werden können, Gurtfixierungen
an nicht dem Alter und Körpergewicht entsprechenden Rollstühlen: Das sind
einige Beispiele für Freiheitsbeschränkungen, die von der Kommission 6 in der
Betreuung geistig und körperlich beeinträchtigter Kinder und Jugendlicher als
menschenrechtsverletzend gerügt wurden.
Massive
freiheitsbeschränkende
Maßnahmen bei
Minderjährigen
Pflegebedürftige Kinder- und Jugendliche mit Behinderungen sind besonders
verletzlich und einem erhöhten Risiko ausgesetzt, Opfer von Gewalt zu werden. Wenn Freiheitsbeschränkungen keine der Situation und dem Alter angemessenen pädagogischen Ziele verfolgen, sondern vermeintlich dem Schutz
vor Selbst- oder Fremdgefährdung dienen, ist immer besondere Achtsamkeit
und eine Prüfung von Alternativen dazu notwendig. Komplexere Krankheitsbilder und Mehrfachbehinderungen erfordern oftmals eine speziell optimierte
Versorgung. Das darf keine Ressourcenfrage sein. Die Persönlichkeitsentwicklung psychisch oder körperlich schwer beeinträchtigter Kinder und Jugendlicher hängt maßgeblich davon ab, ob und wie sie dabei unterstützt werden,
ihre Umgebung wahrzunehmen, sie im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen und selbst zu erkunden. Wenn bauliche Unzulänglichkeiten und fehlende
73
Einrichtungen für Menschen mit Behinderung
umfassende Barrierefreiheit, unzureichende Besetzungen im Tag- oder Nachtdienst, schlecht angepasste Hilfsmittel oder unterbleibende Förderung geistiger oder lebenspraktischer Fähigkeiten Minderjährige mit Behinderung einschränken, werden diese immer auch in ihrer sozialen Entwicklung unzulässig
behindert.
Rechtsschutz für
Minderjährige und
Erwachsene
Die Anwendung freiheitsbeschränkender Maßnahmen an Erwachsenen, die
geistig behindert oder psychisch krank sind, wäre ohne vorangegangene Prüfung von Alternativen und unverzüglicher Meldung an die Bewohnerinnenbzw. die Heimbewohner-Vertretung an sich unzulässig. Dies ist im HeimAufG,
das dann auch eine gerichtliche Überprüfung ermöglicht, entsprechend geregelt. Für Kinder und Jugendliche gilt dies nicht ausnahmslos. Für sie wurde
ein Ausnahmetatbestand im HeimAufG geschaffen. Das HeimAufG ist, wie
jüngst der OGH festgestellt hat, wohl auf Einrichtungen unter Aufsicht des
Kinder- und Jugendhilfeträgers nicht anzuwenden. Im Ergebnis bedeutet dies
aber, dass diese derzeit nicht den gleichen Rechtsschutz wie Erwachsene in
vergleichbaren Situationen genießen.
Rechtsschutz kann von
Zufällen abhängen
Aber auch Minderjährige untereinander werden unterschiedlich behandelt.
Weil der Anwendungsbereich des HeimAufG einrichtungsbezogen definiert
wird, hängt es unter Umständen von Zufällen bzw. rein innerorganisatorischen Zuordnungen ab, welchen Rechtsschutz ein Kind bei altersatypischen
freiheitsbeschränkenden Maßnahmen genießt. In Einrichtungen unter Aufsicht des Kinder- und Jugendhilfeträgers sind die Rechtsschutzverfahren des
HeimAufG nicht anwendbar. Kinder in anderen Einrichtungen, die der Aufsicht des Trägers der Behindertenhilfe unterliegen, können diesen Rechtsschutz
sehr wohl in Anspruch nehmen.
Altersatypische Freiheitsbeschränkungen stellen Eingriffe in das Recht auf die
persönliche Freiheit der Betroffenen dar. Dieses Recht genießt in Österreich einen besonderen Schutz und ist auf verfassungsgesetzlicher Ebene normiert. Im
Bereich von Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen bestand lange
Zeit eine rechtliche Grauzone bei der Ausführung von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen und dem Schutz der persönlichen Freiheit. Ziel des HeimAufG war es deshalb, diese Grauzone zu beseitigen.
Unterschiede beim
Rechtsschutz sind nicht
menschenrechtskonform
Diese Rechtslage ist für den NPM insbesondere aus menschenrechtlicher Sicht
nicht nachvollziehbar und auch nicht sachlich gerechtfertigt. Aus menschenrechtlicher Perspektive darf es für den Schutz von Menschen mit Behinderung
keinen Unterschied machen, in welcher Einrichtung sie betreut werden. Eine
solche Differenzierung steht nach Ansicht des NPM im Widerspruch zu den
Normen der UN-Kinderrechtskonvention und der UN-Behindertenrechtskonvention, weshalb sie auch den Menschenrechtsbeirat mit der Problematik befasst hat.
Novellierung des
Heim-AufG notwendig
Aus Sicht des NPM ist deshalb eine Novellierung des HeimAufG dringend geboten. Legistischer Handlungsbedarf besteht, da es nur durch die Kooperation
mit der Vertretung der Bewohnerinnen Bewohner z.B. gelungen ist, in einem
74
Einrichtungen für Menschen mit Behinderung
an eine Schule in NÖ angeschlossenen Internat alle 1,80 Meter hohen, von
außen versperrbaren Pflegegitterbetten zu entfernen. Das HeimAufG müsste
auf alle Einrichtungen anwendbar sein, in denen Kinder- und Jugendliche betreut werden. Im Zuge einer Änderung sollte ebenfalls diskutiert werden, ob
der Rechtsschutz des Heim-AufG nicht auch auf Kinder und Jugendliche mit
schwersten körperlichen Beeinträchtigungen ausgedehnt werden müsste.
XX
Minderjährige mit geistigen Behinderungen bzw. psychischen Krankheiten dürfen in
Einrichtungen keinen ungerechtfertigten freiheitsbeschränkenden Maßnahmen ausgesetzt
werden.
XX
Rechtsschutz muss für alle gleichermaßen zur Verfügung stehen.
XX
Minderjährige sollen den gleichen Schutz wie Erwachsene genießen.
XX
Novellierung des HeimAufG ist notwendig.
Einzelfälle: VA-NÖ-SOZ/0063-A/1/2013, VA-NÖ-SOZ/0050-A/1/2014,
2.4.2.2.Deinstitutionalisierung
Spätestens mit der Ratifizierung der UN-BRK hat Österreich ein Bekenntnis zur
Deinstitutionalisierung von Menschen mit Behinderungen abgegeben.
Verpflichtung zur
Deinstitutionalisierung
Art. 19 der UN-BRK garantiert das Recht auf unabhängige Lebensführung
und Einbeziehung in die Gemeinschaft. Alle Menschen mit Behinderungen
– darunter fallen alle Arten psychischer, psychosozialer und somatischer Beeinträchtigungen – haben das Recht auf gleiche Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen, in der Gemeinschaft zu leben. Staaten sind deshalb zu Vorkehrungen verpflichtet, um Menschen den vollen Genuss dieses Rechtes zu
ermöglichen und volle Einbeziehung in die Gemeinschaft und Teilhabe an
der Gemeinschaft zu gewährleisten. Menschen mit Behinderungen müssen
eine Wahlfreiheit haben, wo, mit wem und in welchen Wohnformen sie leben
möchten.
Das Recht, in frei gewählten Beziehungen zu leben, ist ein ebenso wichtiges
Grundbedürfnis wie das Recht, trotz Unterstützungsbedarf möglichst autonom
bleiben zu können. Eine Voraussetzung dafür ist die Schaffung gemeindenaher Unterstützungsdienstleistungen einschließlich persönlicher Assistenz sowie gemeindenaher Einrichtungen.
Die Kommissionen haben vielfach Institutionen besucht, bei denen schon ihrer Größe wegen Anlass zu Zweifeln besteht, dass das Recht auf Wahlmöglichkeiten und gemeindenahe Unterstützung gewährleistet und Konzepte der
Deinstitutionalisierung in Umsetzung begriffen sind.
Verstärkt wurde dieser Eindruck aufgrund der Tatsache, dass Bewohnerinnen
und Bewohner oft weit weg von ihren Heimatgemeinden untergebracht sind.
Auch wenn eine Zentralisierung von Heimen gewisse punktuelle Vorteile in
der umfassenden Steuerung der Versorgung und Betreuung bringen mag, so
Deinstitutionalisierung
nicht realisiert
75
Einrichtungen für Menschen mit Behinderung
geht jedenfalls „Normalität“ für Klientinnen und Klienten dadurch verloren. Unterbringung in Mehrbettzimmern, fehlende Intimsphäre, verwaltetes
Taschengeld, Pflegedienste und Ausgang nach Plan sind nur einige der Einschränkungen, die in Großeinrichtungen in Kauf genommen werden müssen.
Aber auch persönliche Kontakte und stützende Beziehungen, die es im Nahraum möglicherweise gegeben hat, werden bei Übersiedlung in entferntere
Heime zumindest erschwert. Die Größe von Einrichtungen bedingt, dass auf
individuelle Bedürfnisse und Wünsche schlechter eingegangen werden kann.
Die Orientierung an vorrangig beschützenden Haltungen zu Lasten einer eher
ressourcen- und stärkenorientierten Haltung gegenüber Menschen mit Behinderung ist Großeinrichtungen immanent. In zahlreichen Gesprächen mit
Kommissionen berichtete das Betreuungspersonal davon, dass einige Klienten
und Klientinnen bei freien Plätzen eigentlich längst in Trainingswohnungen
etc. wechseln hätten können.
Nicht auf individuelle
Bedürfnisse
eingegangen
Nicht selten wird auch das Bedürfnis nach Sexualität in Heimen als störend
betrachtet. Insbesondere dann, wenn es keine Rückzugsräume und sexualpädagogischen Konzepte dafür gibt. So beobachtete beispielsweise eine Kommission, dass zumindest einem Bewohner in einer Großeinrichtung Psychopharmaka verabreicht wurden, um seinen sexuellen Drang zur Selbstbefriedigung
zu verringern. Die Kommission erachtete dies als Verletzung seiner Privatsphäre. Der Bewohner konnte seine Sexualität nicht ausreichend selbstbestimmt
gestalten. Einer anderen Kommission berichtete eine Bewohnerin von ihrem
Kinderwunsch – auf Nachfrage der Delegation wurde dieser Wunsch vom Personal als in der Einrichtung nicht realisierbar erachtet.
UN-Fachausschuss
fordert verstärkte
Anstrengungen
Der UN-Ausschuss zum Schutz der Rechte für Menschen mit Behinderungen
zeigte sich in seinem Abschlussdokument zur Staatenprüfung Österreichs besorgt über Berichte, dass die Zahl von Menschen mit Behinderungen in Einrichtungen in den vergangenen 20 Jahren gestiegen ist, und forderte verstärkte Anstrengungen, um Deinstitutionalisierungen voranzutreiben. Deshalb
empfiehlt der Ausschuss explizit auch den Landesregierungen die Deinstitutionalisierung.
Gesamtkonzepte fehlen
Obwohl es immer noch zahlreiche Einrichtungen mit erheblicher Größe gibt,
wurden im Berichtsjahr einige dieser Einrichtungen geschlossen bzw. konkrete
Pläne erarbeitet, um kleinere dezentrale Wohneinheiten zu schaffen. Trotzdem musste der NPM feststellen, dass vor allem umfassende Gesamtkonzepte
für eine Deinstitutionalisierung immer noch fehlen und auch die persönliche
Assistenz für Menschen mit Behinderung als Alternative zu institutioneller Betreuung nicht ausgebaut wurde. Diese muss in Verfolgung der Ziele des Nationalen Aktionsplans für Menschen mit Behinderung in Abstimmung zwischen
Bund und Bundesländern geschehen. Mit einer verstärkten Deinstitutionalisierung wäre endlich ein Paradigmenwechsel verbunden, der für die Bewusstseinsbildung zur Gleichberechtigung und zur Wahrnehmung von Menschen
mit Behinderung besonders wichtig ist. Gleichzeitig wären damit konkrete
Schritte hin zu einer verstärkten Inklusion verbunden.
76
Einrichtungen für Menschen mit Behinderung
Voraussetzung für das Erstellen solcher Gesamtkonzepte ist aber ein umfassendes Verständnis des Begriffs Deinstitutionalisierung und der damit verbundenen Anforderungen. Der Grundsatz lautet, dass Menschen mit Behinderung
die für sie individuell passende Wohnform wählen können und dafür die
notwendigen Unterstützungsleistungen erhalten. Dabei wird nicht zwischen
„schweren“ oder „leichten“ Beeinträchtigungen unterschieden. Auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf haben ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben in einer eigenen Wohnung.
Dezentralisierung ist
nicht gleich
Deinstitutionalisierung
Die Umsetzung dieses Grundsatzes verlangt es, sich am Willen der Betroffenen zu orientieren und anzuerkennen, dass diese Expertinnen und Experten
in eigener Sache sind. Um eine Wahl zu ermöglichen, ist es notwendig, eine
Vielfalt an Wohnformen zur Verfügung zu stellen und Menschen auch persönliche Budgets zu ermöglichen. Dezentralisierung von Einrichtungen, die
schon jetzt teilweise verwirklicht wird, ist dafür ein wichtiger Schritt, aber nicht
ausreichend.
Wille der Betroffenen
entscheidend
Menschen müssen vielmehr in die Lage versetzt werden, ihren Alltag nach
persönlichen Vorlieben und Bedürfnissen zu gestalten und an der Gesellschaft
auf jeder Ebene teilzuhaben. Das Konzept der Sozialraumorientierung sollte
dabei zur Anwendung kommen.
Die Orientierung am Willen der Betroffenen erfordert es aber auch, diese in die
Lage zu versetzen, nach teilweise jahrelangen Aufenthalten in Großeinrichtungen ihre individuellen Bedürfnisse herausfinden zu können, Unsicherheiten durch Information auszuräumen und die Möglichkeiten anderer Wohnformen wahrnehmen zu können.
XX
Pflicht zur Deinstitutionalisierung gemäß UN-BRK muss beachtet werden.
XX
Umfassende Gesamtkonzepte fehlen und müssen ausgearbeitet werden.
Einzellfälle: VA-T-SOZ/0027-A/1/2013, VA-T-SOZ/0014-A/1/2014, VA-STSOZ/0071-A/1/2014, VA-T-SOZ/0010-A/1/2014, VA-K-SOZ/0013-A/1/2014,
2.4.2.3 Keine Heimverträge für Menschen mit Behinderungen
Kommissionen berichteten in mehreren Fällen, dass Bewohnerinnen und Bewohner in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung wohnten, ohne dass
die Heimträger mit ihnen schriftliche Heimverträge abgeschlossen hätten.
Bewohnerinnen und
Bewohner ohne
Heimverträge betreut
Dies widerspricht den Bestimmungen des Konsumentenschutzgesetzes
(KSchG). Die §§ 27ff KSchG sehen bei unbefristeten Verträgen vor, dass diese
spätestens innerhalb von drei Monaten nach Antritt eines Heimaufenthalts
zwischen dem Heimträger und den Bewohnerinnen bzw. Bewohnern abgeschlossen bzw. schriftlich ausgefertigt werden müssen. Bei befristeten Verträgen muss dies bereits vor Antritt des Heimaufenthalts erfolgen.
Schriftlicher
Heimvertrag
verpflichtend
vorgesehen
77
Einrichtungen für Menschen mit Behinderung
Der Zweck der Schriftform besteht insbesondere in der Beweissicherung und
der Transparenz der Leistungspflichten des Heimträgers. Diese Verträge müssen die Vereinbarung hinsichtlich Unterkunft, Betreuung und Pflege enthalten
und „einfach und verständlich“ formuliert werden. Den Maßstab für die Beurteilung bilden die Fähigkeiten, Bedürfnisse und Erwartungshaltungen eines
verständigen Heimbewohners.
Einzelne Trägerorganisationen vertraten jedoch den Standpunkt, dass in jenen
Fällen, in denen Klientinnen und Klienten eine Leistung, wie z.B. die Finanzierung eines Wohnplatzes, mittels Bescheid zugesagt werde, ein öffentlichrechtlicher Hintergrund vorliege. Das KschG sei deshalb nicht anwendbar, ein
Heimvertrag müsse nicht abgeschlossen werden.
VKI klagt eine
Trägerorganisation
Nach Interventionen des NPM bestätigte das BMASK, dass die Kostenübernahme durch eine öffentlich-rechtliche Körperschaft allein die Anwendung des
KSchG nicht ausschließe. Der Bundesminister beauftragte deshalb den Verein
für Konsumenteninformation („VKI“), von Behinderteneinrichtungen gemäß
§ 28 Abs.3 KSchG die Ausfolgung von Heimverträgen zu verlangen.
Da sich eine Trägerorganisation weigerte, dieser Aufforderung nachzukommen, erhob der VKI eine Klage gegen die betreffende Organisation.
Der NPM vertrat gegenüber dem BMASK außerdem die Ansicht, dass Heimverträge in „Leichter-Lesen-Versionen“ zu formulieren seien. Da der Schutz der
Heimbewohnerinnen und Heimbewohner bei den Bestimmungen der §§ 27 ff
KSchG klar im Vordergrund stehe, sei eine solche Vorgangsweise geboten.
Das BMASK nahm die Anregung des NPM zum Anlass, einen Mustervertrag,
der im Internet zur Verfügung gestellt wurde, in technischer Hinsicht barrierefrei zu gestalten. Gleichzeitig teilte das BMASK mit, dass aufgrund der Komplexität der Materie eine Leichter-Lesen-Version nicht formuliert werden könne.
Der NPM teilt die diesbezüglichen Bedenken des BMASK nicht und vertritt weiterhin die Ansicht, dass Verträge so formuliert sein müssen, dass die Betroffenen den Inhalt verstehen und nachvollziehen können.
XX
Schriftliche Heimverträge für Menschen mit Behinderung sind Pflicht.
XX
Verträge müssen einfach und verständlich formuliert werden.
XX
Betroffene müssen Inhalt verstehen und nachvollziehen können.
Einzelfall: VA-NÖ-SOZ/0041-A/1/2014, VA-T-SOZ/0020-A/1/2013
2.4.2.4Beschäftigungswerkstätten
Tätigkeit in Werkstätten
keine sozialversicherungsrechtliche Arbeit
78
Die Kommissionen absolvierten zahlreiche Besuche in Tagesstrukturen und
Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. In diesen Einrichtungen sind
Menschen tätig, deren Leistungsfähigkeit gemäß österreichischem Sozialversicherungsrecht zwischen sehr gering bis knapp unter 50 % derjenigen eines
Einrichtungen für Menschen mit Behinderung
nicht behinderten Menschen reicht. Unabhängig vom Umfang der Arbeitsleistungen der einzelnen Betroffenen gelten solche Beschäftigungen nicht als Arbeitsverhältnisse. Nach derzeitiger Rechtsprechung liege die Tätigkeit in erster
Linie im Interesse der Beschäftigten zu arbeiten und diene der „Erziehung“
und „Behandlung“.
Die Betroffenen sind deshalb nicht aufgrund ihrer Tätigkeit sozialversichert.
Sie erwerben keine selbständigen Pensionsansprüche. Andere Versicherungsleistungen erhalten sie aus Ansprüchen der Mindestsicherung, aus einer Waisenpension etc. Für ihre Arbeit erhalten sie keine sozialversicherungsrechtliche
Entlohnung, sondern lediglich Taschengelder in einer Höhe von durchschnittlich ungefähr 65 Euro pro Monat. Die Kriterien für die Berechnung der Höhe
des Taschengeldes sind oftmals intransparent und jedenfalls nicht einheitlich.
„Lohn“ ist kleines
Taschengeld
Der NPM geht davon aus, dass die Beschäftigung in der derzeitigen Form nicht
den Bestimmungen der UN-BRK entspricht. Gemäß Art. 27 UN-BRK haben
Menschen mit Behinderung das gleiche Recht auf Arbeit und Beschäftigung
wie alle anderen. Auch der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit
Behinderungen hat die Beschäftigung von rund 19.000 Menschen in Österreich außerhalb des geregelten Arbeitsmarktes kritisiert. Eine Stellungnahme
des Menschenrechtsbeirates zur Problematik wurde auf der Homepage der VA
veröffentlicht.
Eine Reform der derzeitigen Rechtslage und Praxis ist aus Sicht des NPM dringend geboten. Ziel muss die Sicherung des Lebensunterhalts außerhalb der
jetzigen Sozialhilfe bzw. Mindestsicherungslogik (d.h. ohne Berücksichtigung
von Vermögen und ohne Regressregelungen) sein. Menschen mit Behinderungen sollten in Werkstätten einen Anspruch auf eine reguläre Entlohnung haben und Ansprüche aus der gesetzlichen Sozialversicherung erwerben. Übergangslösungen werden in dieser Hinsicht vielleicht nicht zu vermeiden sein,
als Ergebnis darf es aber keine finanzielle Schlechterstellung der Betroffenen
durch das Wegfallen von Transferleistungen geben.
Reform der Rechtslage
notwendig
Die Probleme der derzeitigen Rechtslage werden in Kommissionsberichten
deutlich. Zumindest in einem Bundesland werden danach Menschen mit Behinderungen immer wieder angehalten, ihre Eltern auf Unterhalt zu verklagen. Ebenso wurde dem NPM berichtet, dass zumindest einzelne Werkstätten,
die externe Arbeitsaufträge annehmen, Überschüsse erwirtschaften ohne dass
die Beschäftigten direkt davon profitieren. In solchen Fällen ist im Zusammenhang mit der „Entlohnung“ in Form eines Taschengeldes die Gefahr der
Ausbeutung der Betroffenen gegeben.
Gleichzeitig muss ebenso die Integration in Normalarbeitsplätze gefördert
werden. Voraussetzung dafür wäre beispielsweise der Ausbau von persönlichen Assistenzleistungen insbesondere für Menschen mit Lernschwierigkeiten.
Der Versuch einer Integration ist aber derzeit auch mit erheblichen Risiken
verbunden. Bisher erhaltene Transferleistungen werden nicht ruhendgestellt,
Zu wenig Förderung für
Integration in
Normalarbeitsplätze
79
Einrichtungen für Menschen mit Behinderung
dafür erlöschen zugrunde liegende Ansprüche. Wesentliche Voraussetzung neben der zielgerichteten Förderung ist deshalb auch die Möglichkeit, dass Ansprüche auf Transferleistungen wieder aufleben können.
Kommissionen kritisierten wiederholt, dass in manchen Einrichtungen das
Angebot kaum über eine „Beschäftigungstherapie“ hinausgeht. Integration in
„Normalarbeitsplätze“ findet nicht statt, weil ein solche oft für das Betreuungspersonal kaum erreichbar scheint. Aus Sicht der UN-BRK ist eine möglichst
weitgehende Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung ein zentraler
Schwerpunkt, weshalb zumindest Inklusionsziele formuliert und bestmöglich
verfolgt werden sollten.
Im Gegensatz dazu wird aber in den Vorgaben an die Trägerorganisationen
zumindest in einem Bundesland die Förderung der Integration in „Normalarbeitsplätze“ nicht verpflichtend vorgeschrieben. Diese wird zwar als Möglichkeit definiert, es fehlen aber klare, eindeutige Zielvorgaben.
XX
Bezahlung eines regulären Lohns in Beschäftigungstherapiewerkstätten ist anzustreben.
XX
Erwerb sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche ist anzustreben.
XX
Integration in Normalarbeitsplätze gehört ausreichend gefördert.
XX
Recht auf Arbeit gemäß UN-BRK muss gewährleistet sein.
Einzelfälle: VA-NÖ-SOZ/0052-A/1/2013, VA-S-SOZ/0047-A/1/2013, VA-TSOZ/0021-A/1/2013, VA-T-SOZ/0023-A/1/2013, VA-T-SOZ/0002-A/1/2014, VAT-SOZ/0022-A/1/2014
2.4.2.5 Effiziente Interessensvertretung braucht Ressourcen
Selbstvertretung und gemeinschaftliche Mitbestimmung im institutionellen
Alltag stärken Menschen mit Behinderungen. Dadurch können Regeln des Zusammenlebens durch eigene oder gemeinschaftliche Initiativen als erfass- und
veränderbar erlebt werden. Dies betrifft sowohl den Bereich des Wohnens als
auch der Beschäftigungen und Tagesstrukturen. Allerdings braucht es strukturelle Voraussetzungen und Rahmenbedingungen, um Selbstvertretung und
Mitwirkung wirksam zu verankern.
Die Kommissionen orteten wiederholt einen Mangel an umfassend partizipativen Entscheidungsstrukturen und Abstimmungsprozessen, die Handlungsspielräume gegenüber Entscheidungen der Leitung eröffnen hätten können.
Selbstvertretung
braucht unterstützende
Bedingungen
80
Selbstvertretung ist eine logische Konsequenz aus der praktischen Umsetzung
des Prinzips der Selbstbestimmung im Sinne der UN-BRK. Voraussetzung dafür
sind allerdings unterstützende Maßnahmen. Sich zu organisieren, Informationen in verständlicher Form einzufordern, Vorstellungen über Konzepte und
Alternativen auszutauschen, sich extern zu vernetzen, Forderungen abzustim-
Einrichtungen für Menschen mit Behinderung
men und Anliegen der Gemeinschaft – allenfalls auch über Vertreterinnen
bzw. Vertreter – wirksam zu kommunizieren und durchzusetzen, setzt Prozesse
voraus, die gelernt und erlebt werden müssen.
Während nichtbehinderten Menschen der Zugang zu Informationsveranstaltungen, Seminaren und Fortbildungen zur Steigerung der Effizienz der Tätigkeit in und für Interessensvertretungen offen stehen, ist dies für Menschen mit
Behinderung in Einrichtungen keine Selbstverständlichkeit.
Durch Abhängigkeitsverhältnisse besteht im Alltag immer die Gefahr, dass Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner hinter denen der
Träger der Behindertenhilfe, der betreuenden Organisation und des Personals
zurücktreten. Bei der Etablierung und Absicherung von Selbstvertretungsmöglichkeiten geht es daher vor allem auch um einen Abbau eines strukturellen
Gewaltverhältnisses von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen.
Da Angelegenheiten des Behindertenwesens in die Gesetzgebungskompetenz
der Länder fallen, gibt es dafür bundesweit unterschiedliche – mehrheitlich
aber grob defizitäre – Vorgaben für Rahmenbedingungen. Das OÖ Chancengleichheitsgesetz schreibt die Einbindung von Menschen mit Behinderung in
Entscheidungsprozesse sowie die Schaffung „geeigneter Vertretungsformen“
für den Bereich des Wohnens, den Bereich der Maßnahmen der geschützten
Arbeit etc. vor. Auch eine Unterstützungspflicht von Einrichtungsträgern zur
Bildung solcher Interessensvertretungen wurde normiert (§§ 35, 37 OÖ Chancengleichheitsgesetz).
Defizitäre
landesgesetzliche
Ausgestaltungen
Im Gegensatz dazu überlassen einschlägige Regelungen anderer Bundesländer – so es diese gibt – solche Prozesse der Selbstorganisation und freiwilligen
Ausgestaltungen der Trägereinrichtungen. So „können“ beispielsweise nach
§ 15 NÖ Wohn- und Tagesbetreuungsverordnung Interessensvertretungen
gebildet werden. Eine genauere gesetzliche Festlegung zu den Voraussetzungen, Modalitäten und vor allem der Unterstützung solcher Aktivitäten fehlt
jedoch. § 6 Abs. 3 Kärntner Heimgesetz hält lediglich fest, dass Heimträger
nicht von einem rechtswirksamen Verzicht des Rechts darauf, „gemeinsam
mit Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern einen Interessenvertreter oder eine
Bewohnerdelegation zur Vertretung der Interessen der Bewohner zu wählen“,
ausgehen dürfen.
Augenfällig ist auch, dass mit Ausnahme von OÖ die Mehrzahl der Landesgesetze keine gesetzliche Verankerung von Wahlen von Werkstättenrätinnen
und -räten sowie der dazu nötigen Voraussetzungen und Bedingungen regelt.
Damit in Zusammenhang könnte stehen, dass Kommissionen bei Besuchen
in Werkstätten zuweilen vermittelt wurde, dass Werkstättensprecherinnen und
-sprecher „wenig zu sagen hätten“.
81
Einrichtungen für Menschen mit Behinderung
Normierung
demokratischer
Beteiligungsstrukturen
Die VA geht davon aus, dass mit der Normierung demokratischer Beteiligungsstrukturen auch die Ausrichtung aller Informations-, Entscheidungs- und Innovationsprozesse besser gelingen könnte. Dass es hier Nachholbedarf an Partizipation gibt und OÖ eine Vorreiterrolle zukommt, zeigt auch eine 2010 publizierte Studie des Instituts für Bildungswissenschaften an der Universität Wien
zum Thema „Werkstätten und Ersatzarbeitsmarkt in Österreich“ deutlich auf.
Durch fehlende oder unzureichende gesetzliche Mindestvorgaben bzw. an der
UN-BRK orientierte bundesländerübergreifende Qualitätsstandards bleibt es
den Institutionen bzw. deren Trägern überlassen, Selbstvertretungs- und Mitbestimmungsstrukturen für Bewohnerinnen und Bewohner sowie Nutzerinnen und Nutzer zu etablieren. Verschiedenste Konzepte dazu liegen vor und
wurden den Kommissionen bei Besuchen auch ausgehändigt. Das reicht für
sich allein nicht aus, die Ausgestaltung der Praxis danach zu orientieren und
nicht in gewohnten Bahnen an Betreuungsaufträgen und innerorganisatorischen Festlegungen festzuhalten. Der Zugang zu einem Austausch von Selbstvertreterinnen bzw. Selbstvertretern auch über Institutionsgrenzen hinweg mit
Menschen mit Behinderung, die selbstständig leben („Peer-to-Peer“), könnte
neue Perspektiven eröffnen.
Zu begrüßen ist die Ende 2014 erfolgte Eröffnung des Wiener SelbstvertretungZentrums, mit welchem inhaltlicher Austausch, Unabhängigkeit gegenüber
Trägerorganisationen, Vernetzung und gemeinsame politische Arbeit von
Menschen mit Lernschwierigkeiten gefördert werden soll.
XX
Selbstvertretung ist unabhängig von der Form der Behinderung zu gewährleisten.
XX
Geeignete Unterstützungsmaßnahmen sind dafür notwendig.
XX
Landesgesetze schaffen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keine geeigneten
Rahmenbedingungen und sollten novelliert werden.
XX
Peer-to-Peer-Informationsaustausch soll gefördert werden.
Einzelfälle: VA-W-SOZ/0236/2014, VA-W-SOZ/0353/2014, u.a.
2.4.3
Isolierung eines Bewohners
Bewohner wurde von
anderen isoliert
In einem Wohnhaus für Menschen mit Behinderung stellte die Kommission
1 fest, dass es vor allem mit einem bestimmten Bewohner Schwierigkeiten im
Umgang gab. Wegen intensiver Aggressionsausbrüche bestand ein erhöhtes
Gefährdungspotential für Mitbewohnerinnen und Mitbewohner, welches auch
vom behandelnden Arzt festgestellt wurde. Als Konsequenz wurde vor dem
Zimmer des Bewohners ein spezielles Gatter angebracht, das ihn am selbstständigen Verlassen des Zimmers hinderte. Auch in der Werkstätte, in der die
Bewohnerinnen und Bewohner des Wohnheims untertags tätig waren, wurde
der Bewohner durch ein solches Gatter von den anderen isoliert.
Gefährdungspotential
war erhöht
Nach Auskünften der Klientinnen und Klienten sowie des Personals stellten
auch die Transporte zwischen dem Wohnheim und der Werkstätte ein Prob-
82
Einrichtungen für Menschen mit Behinderung
lem dar. Der Bewohner fühlte sich beengt und durch die Anwesenheit anderer höchst gestresst. Es kam deshalb zu Eskalationen. Gleichzeitig fühlten sich
Mitfahrende während dieser Fahrten nicht sicher und berichteten der Kommission von ihren Ängsten. Die täglichen Fahrten von und zur Werkstätten
waren unter diesen Umständen für alle Beteiligen sehr beschwerlich.
Unmittelbar nach dem Besuch der Kommission wurden für den Betroffenen
Einzeltransporte vom Wohnheim zur Werkstätte organisiert, wodurch dieser
sich deutlich wohler fühlte. Zusätzlich erhielt er in der WG ein anderes Zimmer, welches einen direkten Zugang zu einem Garten hat, wo sich Herr N.N.,
wann immer er es möchte, aufhalten kann. Mehr begleitete Spaziergänge und
häufigere Ausflüge in die Natur zum Ausleben des Bewegungsdranges trugen
dazu bei, auf das Gatter im Wohnheim gänzlich verzichten zu können.
Verbesserungen nach
Kommissionsbesuch
In der Werkstätte wurde das Gatter auf Wunsch des Betroffenen beibehalten,
aber so adaptiert, dass er dieses selbständig öffnen und schließen konnte. Das
freiwillige und selbstbestimmte Aufsuchen des Rückzugsraums ist jetzt für die
anderen auch ein Signal, dass Herr N.N. alleine bleiben will und Ruhe benötigt.
Die Kommission kontrollierte die Werkstätte im Rahmen eines Follow-up-Besuchs nochmals und konnte sich von den Verbesserungen überzeugen.
XX
Pflegemaßnahmen ist gegenüber Isolierungen und Freiheitsbeschränkungen der Vorzug zu
geben.
Einzelfälle: VA-T-SOZ/0023-A/1/2013, VA-T-SOZ/0023-A/1/2014
2.4.4
Verwendung von „Time-Out-Räumen“
Das CPT hat Standards für die unfreiwillige Anhaltung in „Time-Out-Räumen“
entwickelt, die für psychiatrische Anstalten Geltung haben. Das CPT zeigt sich
u.a. sehr besorgt über die steigende Inanspruchnahme dieser Maßnahme und
führt aus, dass die Verbringung von Menschen in Auszeiträume bei fehlenden
Begleitmaßnahmen nicht notwendigerweise ein gelinderes Mittel zu medikamentösen und mechanischen Freiheitsbeschränkungen oder Beschränkungen
anderer Art sind und nie als Bestrafung eingesetzt werden dürfen.
Time-Out-Räume
dürfen nie zur
Bestrafung verwendet
werden
Die Kommission 2 ist in einer Einrichtung auf eine Vielzahl gerichtlich festgestellter unzulässiger Freiheitsbeschränkungen gestoßen. Diese betrafen die
Verwendung zweier Time-Out-Räume bei zwei massiv fremdaggressiven Bewohnern sowie unabhängig davon den Einsatz mechanischer und medikamentöser Freiheitsbeschränkungen.
Vielzahl unzulässiger
Freiheitsbeschränkungen
Der NPM hat durch Einsichtnahme in alle Urteile festgestellt, dass sich das
Erstgericht gegen die routinemäßige Verwendung der Time-Out-Räume aussprach, weil der Einsatz vorangehender gelinderer Mittel nicht dokumentiert
worden war. In der Fachliteratur ist die Verwendung von Time-Out-Räumen als
83
Einrichtungen für Menschen mit Behinderung
therapeutische Maßnahme in (heil)pädagogischen Settings zudem sehr umstritten. Diese werden nur unter engen Rahmenbedingungen als zielführend
angesehen und dürfen – wenn überhaupt – nur sehr kurz eingesetzt werden.
Wie das nachfolgende Prüfungsverfahren ergab, hat die Einrichtung eine Reihe von wirksamen Maßnahmen gesetzt, um die auch nach dem HeimAufG
ergangenen Urteile umzusetzen. Einer der beiden Time-Out-Räume wurde
gänzlich aufgelassen. Im anderen ist es gelungen, die zwangsweisen Verbringungen innerhalb eines Jahres um 75 % zu minimieren.
Die Fähigkeit zur bewussten Steuerung von Gefühlen und inneren Spannungen ist besonders in sozial fordernden Situationen wichtig: bei zwischenmenschlicher Nähe, bei Konflikten, bei Enttäuschungen und Zurückweisungen und bei der Äußerung und Umsetzung von Wünschen und Erwartungen.
Solche Alltagssituationen und Frustrationen überfordern manche Menschen
so sehr, dass sie mit unkontrollierbarer Wut, Verstimmungen, Vorwürfen,
Impulsdurchbrüchen, Aggression, aber auch Gefühllosigkeit, Selbstentwertungen oder Rückzug reagieren. Time-Out-Räume können von intellektuell
beeinträchtigten Menschen mit Persönlichkeitsstörungen aber auch leicht als
Ablehnung ihrer Person missverstanden werden, was erneute Eskalationen
provoziert.
Menschenrechtliche
Standards für
Verwendung von
Time-Out-Räumen
Menschenrechtliche Standards für die Verwendung von Time-Out-Räumen
können auf Basis der vom NPM gewonnenen Erkenntnisse wie folgt zusammengefasst werden:
Die Verwendung von Time-Out-Räumen in Einrichtungen für Menschen mit
Behinderung:
darf nicht Folge mangelnder individualisierter Betreuung, medizinischer oder
psychiatrischer Unterversorgung bzw. unpassender Settings sein;
setzt Kriseninterventionsplan und Deeskaltationstrainings des Personals voraus;
dient ausschließlich dem vorübergehenden Schutz Betroffener oder anderer
Personen bei akut fremdaggressivem Verhalten und ist kein zulässiges Mittel
der Disziplinierung oder Sanktionierung von sonstigem Fehlverhalten;
soll unter ständiger Beobachtung und der Möglichkeit beruhigender Gespräche so kurz wie möglich sein;
muss in angstfreier, reizarmer und verletzungssicherer Umgebung erfolgen;
muss dokumentiert und der Vertretung der Bewohnerinnen- und Bewohner als
freiheitsbeschränkende Maßnahme gemeldet werden;
muss von Interaktionsbeobachtungen und -analysen begleitet sein, welche die
Wechselwirkungen zwischen dem Verhalten Betroffener und Aktionen/Reak-
84
Einrichtungen für Menschen mit Behinderung
tionen des Betreuungspersonals oder Mitbewohnerinnen und -bewohner aufzeigen können.
XX
Verbringung in Time-Out-Räume nicht notwendiger Weise gelinderes Mittel.
XX
Sorgsamer Einsatz ist geboten.
Einzelfall: VA-OÖ-SOZ/0052-A/1/2014
85
Justizanstalten
2.5Justizanstalten
2.5.1Einleitung
Die Kommissionen führten im Berichtszeitraum 30 Besuche in Einrichtungen
des Straf- und Maßnahmenvollzugs durch. Wie im Jahr davor zeigten sich
dabei systemische Schwachstellen. Zu diesen Problemfeldern wurden Untersuchungen mit dem Ziel angestellt, einrichtungsübergreifende, systembedingte
Fehler zu erfassen und Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten.
Eine Reihe von Einzelfällen betrifft Defizite beim Maßnahmenvollzug, zu dem
auch in diesem Jahr schwerpunktmäßig Erhebungen der Kommissionen erfolgten. Trotz der vielfach aufgezeigten Mängel soll nicht verschwiegen werden, dass sich in den Besuchsprotokollen auch immer wieder positive Feststellungen finden. Jede einzelne dieser Wahrnehmungen wird an das BMJ weitergeben, mit der Bitte diese Rückmeldung an die einzelne Einrichtung weiterzugeben. Exemplarisch wird auf den letzten Fall dieses Berichtsteiles verwiesen.
2.5.2
Systembedingte Problemfelder
2.5.2.1 Personalmangel und dessen Folgen – langer Einschluss und
wenig Beschäftigung
Nachteinschluss vor
Mittag
Ausgehend von den Wahrnehmungen des vergangenen Jahres, wonach Personalengpässe oft ins Treffen geführt werden, um lange Sperrzeiten zu erklären,
hat der NPM systematisch erhoben, wann jeweils Einschluss in Österreichs
Justizanstalten ist. Dabei zeigt sich, dass von den 28 Justizanstalten (nicht
mitgezählt die Außenstellen, die diesbezüglich begünstigt sind) in drei Anstalten (Eisenstadt, Hirtenberg, Wien-Mittersteig) zum Wochenende und an Feiertagen der Einschluss bereits um 11.15 Uhr erfolgt. In den Anstalten Krems,
Ried, Stein und Wr. Neustadt, ist an diesen Tagen um 11.45 Uhr Einschluss. In
Klagenfurt, Suben, St. Pölten und Wien-Simmering um 12.00 Uhr.
Der NPM wertet derart lange Zeitspannen als dramatisch, gehen doch mit
langen Einschlusszeiten unstrukturierte Tagesabläufe einher und führt insbesondere der häufig festzustellende Überbelag von Hafträumen dazu, dass
während dieser Zeit die Gefahr von Übergriffen besonders groß ist.
Öder Tagesablauf
schürt Aggressionen
Verschärfend wirken sich geringe Beschäftigungsmöglichkeiten aus. Mangels
Arbeit und sinnvoller Tagesgestaltung wird noch mehr Zeit in jenem Trakt und
jenen Räumen verbracht, in denen der Einschluss erfolgt. So fielen der Kommission 2 beim Besuch der Justizanstalt Linz sowohl die langen Verschlusszeiten bei nicht beschäftigten Insassen (22,5 Stunden täglich) wie die geringen
Beschäftigungsmöglichkeiten auf. Von 225 Häftlingen hatten am Besuchstag
lediglich knapp mehr als ein Viertel, nämlich 65 Insassen, Arbeit.
Kaum
Bewegungsmöglichkeit
Zwar versuchte der Anstaltsleiter, die Einschlusszeiten zu verkürzen, indem
der Aufenthalt im Freien von einer Stunde auf eineinhalb Stunden verlängert
86
Justizanstalten
wurde. Auch wurde auf die Freizeiträume in den Abteilungen und auf Sportmöglichkeiten hingewiesen. Aufgrund der baulichen Situation und des hohen
Belags ist es aber in der Justizanstalt Linz nicht möglich, Abteilungen zu führen, in denen die Hafträume während des Tages durchgehend geöffnet sind.
Dass Personalengpässe zu Lasten der Insassen gehen und Rechte nicht vollumfänglich gewahrt werden können, zeigen Wahrnehmungen der Kommissionen in der Justizanstalten Sonnberg, Wien-Josefstadt und St. Pölten.
Diensteinteilung zu
Lasten der Insassen
In Sonnberg kritisierte die Kommission die Gestaltung des Dienstplanes, der
eine Vorverlegung der Einschlusszeit am Mittwoch statt um 19.00 Uhr auf
17.00 Uhr vorsah. Der Grund ist, dass die Einsatzgruppe hinreichend Zeit zum
Training haben soll.
Das BMJ verwies darauf, dass der Personalstand in der Justizanstalt Sonnberg
im Verhältnis zur Anzahl der Insassen gering sei. Dennoch sei man bemüht,
die Einschlusszeiten vergleichsweise kurz zu halten. Das Training der Einsatzgruppe sei in der vorgeschriebenen Frequenz durchzuführen und könne aktuell nur an diesem Wochentag stattfinden.
Der NPM hält dem Folgendes entgegen: Wenn der Trainingsplan zu einer Verlängerung der Einschlusszeiten an diesem Tag führt, soll dies an einem anderen Tag ausgeglichen werden. Anordnen kann dies der Anstaltsleiter.
Nachteil ist
auszugleichen
In der Justizanstalt Wien-Josefstadt wiederum musste die Kommission zum
wiederholten Mal feststellen, dass der Aufenthalt im Freien nicht ermöglicht
wurde, obwohl dies die Witterung an diesem Tag keineswegs ausschloss. Über
den Umstand, dass der Hofgang viel zu häufig entfalle, beschwerten sich mehrere Häftlinge.
Hofgang nicht
ermöglicht
Ein Personalmangel, der von der Anstaltsleitung im Abschlussgespräch ins
Treffen geführt wurde, ist nicht akzeptabel und steht der Einlösung des Anspruches, wie er sich aus dem Strafvollzugsgesetz ergibt, entgegen. Der NPM fordert
mit Nachdruck, dass das Recht auf Aufenthalt im Freien uneingeschränkt zu
gewähren ist.
Rechte müssen
eingelöst werden
können
In St. Pölten schränken Personalmangel und das bestehende Schichtsystem
(ab 15.00 Uhr stehen nur mehr vier Wachpersonen zur Verfügung) Freizeitaktivitäten stark ein. So kann etwa der Fitnessraum nachmittags nicht mehr
genutzt werden. Als Folge der verlängerten Nachtschicht drängen sich alle
Aktivitäten auf den verkürzten Tagesablauf, was dazu führt, dass sich Insassen entscheiden müssen, ob sie arbeiten oder an der frischen Luft sein wollen.
Sparvorgaben auf
Insassen überwälzt
Auf die Bewegung im Freien besteht ein Anspruch. Auf dieses Recht muss
verzichtet werden, will die inhaftierte Person nicht finanzielle Einbußen – die
Unbeschäftigtenvergütung ist weit geringer als der Arbeitslohn – mangels Beschäftigung hinnehmen. Aus Sicht des NPM ist es inakzeptabel, dass die Inanspruchnahme von Rechten zu einer finanziellen Schlechterstellung führt.
falsche Signalwirkung
87
Justizanstalten
XX
Trainings der Einsatzgruppe dürfen nicht zu einer Verlängerung der Einschlusszeiten
führen.
XX
Der Aufenthalt im Freien dient der Gesundheit des Insassen. Er ist täglich mindestens eine
Stunde zu ermöglichen, so es die Witterung zulässt.
XX
Inhaftierte sollen sich nicht zwischen Arbeit und zustehenden Rechten wie der Bewegung im
Freien entscheiden müssen.
XX
Aus der Inanspruchnahme eines Rechts darf keinem Insassen ein finanzieller Nachteil
erwachsen.
Einzelfälle: VA-BD-J/0840-B/1/2013; 0337-B/1/2014; 0003-B/1/2014; 089B/1/2014
Akuter Mangel an
Fachpersonal
In der Justizanstalt Graz-Karlau kann zwar das Arbeitsangebot bei einer Beschäftigungsquote von 90 % der Untergebrachten bzw. Häftlinge als sehr gut
bezeichnet werden. So werden z.B. 40 Lehrlinge in neun verschiedenen Berufssparten ausgebildet. Beeinträchtigt wird dieser Zustand allerdings durch
den akuten Mangel an Fachpersonal, was zu tageweisen und stundenweisen
Schließungen von Werkstätten führt.
Personalvertretung
lehnt externe
Fachkräfte ab
Diese Situation kann nur durch Aufnahme von entsprechenden Fachkräften
(Handwerkern) verbessert werden; die Leitung der Justizanstalt hat darum bereits angesucht. Paradoxer Weise spricht sich jedoch die Personalvertretung
vehement dagegen aus und verhindert damit eine Verbesserung dieser Situation. So besteht die Personalvertretung darauf, dass nur Bedienstete aus dem
Bereich der Justizwache aufgenommen werden.
Strukturierter
Tagesablauf
Demgegenüber verwies die Kommission darauf, dass jede (auch nur stundenweise) Schließung von Werkstätten eine Verschlechterung der beschäftigungstherapeutischen Versorgung darstelle und einer sinnvollen Tagesstruktur nicht
förderlich sei. Hinzu kommt, dass sich gerade die Werkstättenfachkräfte für
die Untergebrachten bzw. die Häftlinge als besonders wichtige Vertrauenspersonen erweisen. Unter jeder Verringerung einer bereits bestehenden Beschäftigungsmöglichkeit leidet auch der wichtige Beziehungseffekt.
Weniger Leidensdruck
bei Einschluss
Wie wichtig ein Festhalten und ein Ausbau des Arbeits- und Beschäftigungsangebotes sind, zeigt sich auch daran, dass der Einschluss jener Insassen, die
nicht im Wohngruppenvollzug untergebracht sind, um 15.00 Uhr erfolgt.
Zwar besteht noch die Möglichkeit, bis 17.00 Uhr Freizeiteinrichtungen wie
Sportstätten, Basteln, Musik- und Kunstgruppen etc. zu besuchen bzw. in Anspruch zu nehmen. An der Einschlusszeit ändert dies aber nichts.
Das BMJ pflichtete dem NPM bei, dass der Ausbau des Arbeits- und Beschäftigungsangebots in den Anstalten eine ganz bedeutende Rolle spielt.
Pilotprojekt angeordnet
88
Mit den Vertretern des Zentralausschusses für die Bediensteten des Exekutivdienstes wurden Beratungen geführt, die zu keinem einvernehmlichen Ergebnis geführt haben, weshalb der Bundesminister für Justiz gemäß § 10 Abs. 7
Justizanstalten
PVG letztlich eine Entscheidung für einen mit 1. Oktober 2014 beginnenden
Pilotbetrieb mit insgesamt 19 Handwerkern in den Justizanstalten Gerasdorf,
Graz-Karlau, Stein und Wien-Simmering zur Beschäftigung von Handwerkern
traf. Der Pilotbetrieb wird im Dezember 2014 evaluiert werden. Bis zur Besetzung der zusätzlichen (insgesamt 100) Exekutivdienstplanstellen soll daher
die einjährig befristete Aufnahme von handwerklichem Personal (über die
Justizbetreuungsagentur) der Hebung der Beschäftigungsquote, der Verringerung der Schließtage der Betriebe und der Entlastung der Justizanstalt dienen.
In Graz-Karlau sind aktuell (Stand 4. November 2014) vier zivile Zusatzkräfte
tätig, und zwar ein Maler, ein Installateur, ein Koch und ein Schlosser. Drei
weitere Fachkräfte (ein Koch, ein Bäcker und ein Maurer) sollen zeitnah ihren
Dienst aufnehmen. Die bisherigen Erfahrungen in Graz-Karlau sind äußert
positiv; auch die Mitglieder der Personalvertretung zeigen Kooperationsbereitschaft.
Positive
Rückmeldungen
Der NPM bedauert, dass eine einvernehmliche Lösung mit der Personalvertretung nicht gefunden werden konnte. Er begrüßt jedoch die vom BMJ gesetzten
Schritte, dienen doch diese nicht nur der Umsetzung von Empfehlungen des
CPT, wie sie vielfach zum Ausdruck kommen (z.B. CPT/Inf[94]15 u.a.), sondern auch der Einlösung der Pkt. 26.2 ff der Empfehlung REC (2006) 2 („Europäische Strafvollzugsgrundsätze“), zu denen sich Österreich im Mai 2007
bekannt hat.
Internationale
Vorgaben eingelöst
XX
Bemühungen um eine einvernehmliche Lösung in Personalangelegenheiten dürfen sich
nicht so lange hinziehen, dass sie zu Lasten der Interessen der Insassen gehen.
XX
Gegebenenfalls hat das BMJ erneut von seinen gesetzlich eingeräumten
Entscheidungsbefugnissen Gebrauch zu machen.
Einzelfall: VA-BD-J/0738-B/1/2014; BMJ BMJ-Pr10000/0071-Pr3/2014
2.5.2.2 Bedrückender Anlassfall löst Sonderprüfung und Reform des
Maßnahmenvollzuges aus
Im Mai 2014 berichteten die Medien über einen erschreckenden Fall der Duldung der Verwahrlosung eines seit vielen Jahren im Maßnahmenvollzug untergebrachten Insassen in der Justizanstalt Stein. Die Berichterstattung dazu
nahm der NPM zum Anlass, eine Untersuchung einzuleiten. Geklärt werden
sollen dabei nicht Fragen, die zu beurteilen den Strafverfolgungsbehörden zukommen. Von Interesse ist vielmehr, wie es zu einem derartigen Zustand eines
Menschen kommen kann, der unter der Obhut des Staates steht.
NPM reagiert prompt
Bei dem Insassen handelt es sich um einen 74-jährigen Häftling, der nach Verbüßen einer Haftstrafe in der Schweiz seit 2008 im Maßnahmenvollzug in der
Justizanstalt Stein untergebracht ist. Seine Beine waren entzündet, die Haut
durch Geschwüre verkrustet, die Zehennägel zentimeterlang und aufgebogen.
Schockierende Bilder
89
Justizanstalten
Trotz des Verwesungsgeruchs, der sich breit machte, will monatelang niemand
bemerkt haben, wie der Häftling bei lebendigem Leib verfaulte.
Körperlicher Verfall als
Zeichen seelischer
Verwahrlosung
Dem Mann dürften vor einiger Zeit Bandagen in der Sonderkrankenanstalt
Stein angelegt worden sein, die aber nicht gewechselt wurden. Die völlig verschmutzten Bandagen waren teilweise mit der Haut verwachsen. Darüber trug
der Mann eine lange Hose, die er beim Waschen nicht ablegte. Es scheint so,
als hätte er nach einiger Zeit die Füße als nicht mehr zum Körper gehörig
empfunden und dem Verfall preisgegeben. Betreuungsangebote hat der Betreffende schon seit Langem konsequent ausgeschlagen und sich immer mehr
zurückgezogen. Erst als der Fäulnisgeruch aus dem Einzelhaftraum unerträglich wurde, reagierte die Vollzugsverwaltung.
Der Bundesminister für Justiz zeigte sich nach Bekanntwerden des Falles tief
betroffen und kündigte eine Reform des Maßnahmenvollzuges an.
Intensivierung der
Betreuung von
Langzeitinsassen
Gerade bei älteren Häftlingen im Langzeitvollzug stellt die Körperpflege mitunter ein Problem dar. Für den NPM gilt es zu klären, wie bei Personen, die
nicht imstande sind, auf sich selbst zu achten, ein hygienischer Mindeststandard (der neben der Körperpflege auch die Mundhygiene umfasst) gesichert
werden kann. Verfallserscheinungen von Insassen, die Krankheitswert erreichen, müssen verhindert werden.
Hospitalisierung und
Deprivation drohen
Der NPM sieht die Notwendigkeit, sowohl die pflegerische Betreuung als auch
die ärztlichen Kontrollen besonders gefährdeter Personengruppen dringend
auszubauen. Insassen sind verstärkt zur Erfüllung eines Mindestmaßes an
Körperpflege anzuhalten und dabei nötigenfalls ausreichend zu unterstützen.
Zudem sollen Insassen, die einer gefährdeten Personengruppe angehören, in
regelmäßigen Zeitabständen einer Allgemeinmedizinerin bzw. einem Allgemeinmediziner und einer Psychiaterin bzw. einem Psychiater vorgeführt werden, da mit dem körperlichen Verfall auch ein geistiger Abbauprozess und/
oder eine seelische Verwahrlosung einhergehen kann.
ScreeningUntersuchungen
Das BMJ griff die Anregungen des NPM zur Etablierung von hygienischen
Mindeststandards und zur Intensivierung der ärztlichen Kontrollen auf. Es
werden derzeit in allen Justizanstalten von der Chefärztin der Vollzugsdirektion Screening-Untersuchungen der Insassen über 65 Jahre und der im Maßnahmenvollzug Untergebrachten durchgeführt, um festzustellen zu können,
welche Schritte zur Etablierung eines hygienischen Mindeststandards ergriffen
und welche Standards für regelmäßig durchzuführende (fach)ärztliche Kontrollen implementiert werden sollen.
Mindeststandards im
Hygienebereich
Bis zum Frühjahr 2015 soll die Erstellung von Mindeststandards im Hygienebereich erfolgen. Diese sollen qualitativ der Hygieneverordnung 2014 sowie
der Organisation und Strategie der Krankenhaushygiene des BMG entsprechen. Vorberatungen zu erforderlichen Schulungsmaßnahmen der Bediensteten im Hygienebereich wurden eingeleitet. In jeder Justizanstalt wird es einen
Hygieneverantwortlichen geben.
90
Justizanstalten
Der NPM konnte auch die Forderung nach einem Kontroll- bzw. Warnsystem
für jene Insassen, die eine medizinische Behandlung wiederholt ablehnen,
durchsetzen. Eine solche wiederholte Ablehnung einer ärztlichen Untersuchung soll künftig im Modul MED (Medizinische Daten) in der Integrierten
Vollzugsverwaltung (IVV) eingetragen werden und automatisch eine entsprechende Meldung an die Chefärztin ergehen. Bis zur Implementierung der beschriebenen Erweiterung des IVV-MED-Moduls soll der Chefärztliche Dienst
monatlich die Eintragungen in der IVV-MED kontrollieren.
Ablehnung ärztlicher
Untersuchungen wird
meldepflichtig
Im konkreten Fall stellt sich für den NPM die Frage, wie es möglich war, dass
die Justizwachebeamten die massiven hygienischen Vernachlässigungen an
den Beinen des Insassen erst zu einem derart späten Zeitpunkt wahrgenommen haben wollen. Trotz der vorgesehenen periodischen Visiten blieb über
Monate hinweg unbemerkt, dass sich der Untergebrachte weigerte, seine Beine
pflegen zu lassen. Durch dieses Versäumnis konnte sich der Untergebrachte an
der Gesundheit gefährden und schaden.
Verantwortlichkeiten im
konkreten Fall
Das BMJ betont, dass der Insasse seinen Zustand gezielt herbeigeführt, bewusst
verborgen und das Betreuungsangebot verweigert hat, sodass eine physiologische und psychotherapeutische Behandlung mangels Kooperation des Insassen nicht möglich war.
Derzeit führt die Staatsanwaltschaft Wien gegen Bedienstete der Justizanstalt
Stein Ermittlungen wegen des Vergehens des Quälens oder Vernachlässigens
eines Gefangenen nach § 312 Abs. 2 StGB. Zudem laufen Disziplinarverfahren.
Laufendes
Ermittlungsverfahren
Der NPM verweist darauf, dass es die Aufgabe der Justizanstalten ist, die Einhaltung eines Mindestmaßes an Körperpflege zu gewährleisten. Auch der Europarat empfiehlt in Punkt 47.2 der Neufassung der Mindestgrundsätze für
die Behandlung der Gefangenen (REC [2006]2), dass „der anstaltsärztliche
Dienst für die psychiatrische Behandlung aller Gefangenen, die einer solchen
Behandlung bedürfen, zu sorgen“ hat.
Forderungskatalog des
NPM
Der NPM verlangt, dass die Pflege und Betreuung von Insassen, die aufgrund
ihres Alters oder aufgrund ihres geistigen Zustandes vermehrten Betreuungsbedarf aufweisen, in den österreichischen Justizanstalten im selben Umfang
gewährleistet wird wie für Patienten in Kranken- und Pflegeeinrichtungen.
Neben dem Betreuungsschlüssel, der sich in dem erhöhten Bedarf nach persönlicher Zuwendung durch Justizbeamte und Pfleger niederschlägt, soll dabei
in jedem einzelnen Fall hinterfragt werden, ob es angezeigt ist, diese Personen in einem Einpersonenhaftraum unterzubringen, was zur Konsequenz hat,
dass der Sozialisierungseffekt durch Mitinsassen oft entfällt.
Der NPM verweist letztlich darauf, welche große Bedeutung dem regelmäßigen Aufenthalt im Freien für die Aufrechterhaltung und Förderung der physischen und psychischen Gesundheit der Insassen zukommt. Insassen, die auf-
91
Justizanstalten
grund fortgeschrittenen Alters sowie physischer oder psychischer Erkrankungen einen besonderen Betreuungsbedarf aufweisen, ist es zu ermöglichen, sich
im Freien aufzuhalten. Gegebenenfalls sind sie zur Bewegung an der frischen
Luft sogar ausdrücklich anzuhalten.
Hierbei kann es vonnöten sein, Rahmenbedingungen zu verändern, sodass
sich auch gebrechliche oder erkrankte Insassen im Freien aufhalten können
(z.B. Bedarf an nahegelegenen Toilettenanlagen bei Inkontinenz, barrierefreier Zugang zum Hof etc.).
XX
Die psychiatrische wie psychologische Versorgung ist Teil der Gesundheitspflege und als
solche in den Anstalten sicherzustellen.
XX
Regelmäßige Visiten sollen insbesondere helfen, körperliche und seelische Verwahrlosungen
von Langzeitinsassen hintanzuhalten.
XX
Insassen haben denselben Anspruch auf Betreuung und Pflege wie Personen in Freiheit.
XX
Gerade älteren, gebrechlichen oder kranken Menschen ist zum Erhalt ihrer Gesundheit oder
zur Förderung der Genesung der regelmäßige Aufenthalt an der frischen Luft zu
ermöglichen.
Einzelfall: VA-BD-J/0439-B/1/2014; BMJ-Pr10000/0075-Pr3/2014
Arbeitsgruppe
einberufen
Bereits wenige Wochen nach Bekanntwerden des Falles wandte sich der Bundesminister für Justiz der Frage zu, welcher Veranlassungen es bedarf, um den
Maßnahmenvollzug menschenwürdiger und behandlungsorientierter zu gestalten. Er setzte hierzu eine Arbeitsgruppe ein. Dem Gremium wurde vorgegeben, den derzeitigen Zustand des Maßnahmenvollzugs zu erheben, konkrete
Problemfelder zu definieren und Verbesserungsvorschläge in organisatorischer
und legistischer Hinsicht zu unterbreiten.
Alle Disziplinen
vertreten
In der Reformarbeitsgruppe sind neben hochrangigen Vertretern des BMJ, des
BMG und der Vollzugsverwaltung auch Experten und Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen vertreten. Die Frau Vorsitzende des Monitoringausschusses zur Konvention der Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie ein Vertreter des NPM wurden ebenfalls zur Teilnahme eingeladen.
Nach Grundsatzdiskussionen im Plenum hat sich die Arbeitsgruppe in vier
Unterarbeitsgruppen gegliedert. Diese Unterarbeitsgruppen haben zu den
Themen „Grundsatz- und Abgrenzungsfragen“, „Begutachtung“ und „Vollzugspraxis“ jeweils Reformvorschläge ausgearbeitet, die dann im Plenum erörtert wurden.
Umfassende
Evaluierung
92
Der Vertreter des NPM hat vor allem in der Unterarbeitsgruppe Vollzugspraxis
mitgewirkt, die sich wiederum in sieben Untergruppen mit folgenden Themen
beschäftgte: Auf- und Ausbau des Rechtschutzes der Patientenrechte, Qualitätssicherung und Monitoring sowie systembegleitende wissenschaftliche
Begleitforschung, Vermeidung unbedingter Einweisungen, Steuerung des Systems des Maßnahmenvollzugs, Praxis der Unterbringung, Behandlung und
Justizanstalten
Betreuung in Justizanstalten und psychiatrischen Krankenhäusern, Verbesserungen im Bereich der bedingten Entlassung sowie Übergangsmanagement
und Nachsorge.
Die ständige Mitarbeit an der Arbeitsgruppe „Vollzugspraxis“ sowie die Mitwirkung in der Arbeitsgruppe „Grundsatz- und Abgrenzungsfragen“ gaben
dem NPM Gelegenheit, eine Reihe von legistischen Vorschlägen, die von den
Kommissionen unterbreitet wurden, einzubringen und zur Diskussion zu stellen. Hierzu zählt u.a. die Frage, ob die Patientenvertretung im Fall einer Fixierung von Personen nach § 21 Abs. 1 StGB analog zum Unterbringungsgesetz
zu informieren ist. Angeregt wurde, dass Untergebrachten im Entlassungsverfahren eine effektive Verteidigung zukommen soll. Vorgebracht wurde weiters
– neben einer Reihe von Überlegungen zur Hebung der Qualität von psychiatrischen Sachverständigengutachten –, dass eine Anhörung des Untergebrachten in wesentlich kürzeren Zeitspannen als derzeit vorgesehen vorzunehmen
ist.
Anregungen des NPM
einbezogen
Der Leiter der Unterarbeitsgruppe „Vollzugspraxis“ organisierte auch zwei
Workshops, bei denen Bedienstete sämtlicher mit dem Maßnahmenvollzug
befassten Anstalten eingebunden waren. Breiten Raum zur Erörterung von
Verbesserungsvorschlägen bot auch ein mehrtägiges Symposium („Stodertaler
Forensiktage“), bei dem der Vertreter des NPM über die einschlägigen Wahrnehmungen der Kommissionen referierte.
Einbindung aller betroffenen Anstalten
Die Unterarbeitsgruppe „Vollzugspraxis“ übermittelte dem Plenum einen
19-seitigen Forderungskatalog, der zu nahezu allen Punkten des Maßnahmenvollzugs, beginnend mit der Frage der Anlasstat bis hin zu Qualitätskriterien von Nachsorgeeinrichtungen, Verbesserungsmöglichkeiten, aufzeigt.
Zahlreiche Verbesserungsvorschläge
Dieser Forderungskatalog wird nun gemeinsam mit den Ergebnissen der übrigen Unterarbeitsgruppen zu einem Gesamtbericht zusammengefasst, der nach
abschließender Behandlung im Plenum Anfang Februar dem Bundesminister
für Justiz überreicht wird.
XX
Der NPM begrüßt die umfassenden Bestrebungen zur Reform des Maßnahmenvollzugs.
Er erwartet, dass der Projektbericht nunmehr rasch legistisch umgesetzt wird.
XX
Wünschenswert erscheint die Zusammenführung der derzeit in mehreren Gesetzen
verstreuten Bestimmungen in einem eigenen Gesetz.
XX
Begriffe wie „geistig abnorme Rechtsbrecher“ und „seelische Abartigkeit“ sollen
entfallen und durch zeitgemäße, diskriminierungsfreie Bezeichnungen ersetzt
werden.
2.5.2.3 Gesundheitswesen und ärztliche Betreuung im Vollzug
Eine inadäquate Gesundheitsfürsorge kann zu Situationen mit unmenschlicher und erniedrigender Behandlung führen. Der NPM hat sich daher auch
im Jahr 2014 mit der Frage befasst, wie gewährleistet werden kann, dass die
medizinische Versorgung von Insassen auf demselben Niveau erfolgt wie für
Bedeutung einer
Qualitätssicherung
93
Justizanstalten
Personen in Freiheit. Qualitätssichernd ist dabei eine Fachaufsicht über die
im Straf- und Maßnahmenvollzug tätigen Anstaltsärztinnen und -ärzte. Der
NPM forderte nachhaltig, einen chefärztlichen Dienst einzurichten und diesen
mit weitreichenden Kompetenzen auszustatten.
Chefärztlicher Dienst
derzeit nur als
Provisorium
Das BMJ trug dieser Forderung nur teilweise Rechnung. Der Arbeitsplatz „chefärztlicher Dienst in der Vollzugsdirektion“ wurde zwar im Jänner 2014 ausgeschrieben, das Verfahren war Anfang November 2014 jedoch noch immer
nicht abgeschlossen. Aus diesem Grund wurde der chefärztliche Dienst vorerst
nur provisorisch eingerichtet, seine Kompetenzen erlassmäßig geregelt. Eine
„Chefärztin“ steht wöchentlich 20 Stunden in den Justizanstalten zur Verfügung.
Als Mitarbeiterin in der Fachabteilung Betreuung (VD 2) verfügt die Chefärztin über einen Zugang zum ELAK, die Zuweisung von Arbeitsaufträgen erfolgt
durch den Leiter der Fachabteilung.
94
Zentrale Steuerung
Die Chefärztin übernimmt vorrangig die von der Vollzugsoberbehörde im
Rahmen der Gesundheitsfürsorge (§§ 66 ff StVG) wahrzunehmenden Aufgaben. Dazu zählt die Ausarbeitung von Richtlinien zur medizinischen Behandlung von Insassen, von Vorgaben für die Ausstattung von Ordinationen und
der Medikation und für die Verschreibungspraxis genehmigungspflichtiger
Medikamente.
Beratung
Ein weiteres Aufgabenfeld stellt die Beratung des BMJ und der Vollzugsdirektion in Fragen der medizinischen Versorgung (operativ und strategisch) dar. Die
Chefärztin ist Ansprechpartnerin für die in den Justizanstalten tätigen Ärzte
und zuständig für die Genehmigung der Verordnung spezifischer Medikamente, Rehabilitationsmaßnahmen und Prothetik. Zur Effizienzsicherung werden
laufend Kontrollen des Medikamentenverbrauchs und der Abrechnungen von
medizinischen Leistungen durchgeführt.
Management
Durch die Einführung eines bundesweiten Spitalsbettenmanagements erfolgt
die Genehmigung und Entscheidung darüber, ob eine Insassin oder ein Insasse in eine öffentliche Krankenanstalt, in die gesperrten Abteilungen der
Krankenanstalten Krems, der Barmherzigen Brüder Wien oder in die Sonderkrankenanstalten der Justizanstalten Stein und Wien-Josefstadt überstellt
wird, zentral durch die Chefärztin. Sie überwacht und kontrolliert auch die
Genesungsfortschritte stationär untergebrachter Häftlinge (Aufenthaltsdauer/
externe Kosten).
fachliche
Stellungnahmen
Teile des Aufgabengebiets der Chefärztin sind sowohl das Verfassen als auch
die Genehmigung von Stellungnahmen der ärztlichen Dienste in den Justizanstalten an Gerichte, Behörden, der NPM und diplomatische Vertretungen
bezüglich der medizinischen Versorgung von Insassen. Der Aufbau eines Controllingsystems und die Mitarbeit an der Weiterentwicklung des Moduls der
elektronischen Krankenakte (IVV-MED) sind weitere Aufgabenbereiche.
Justizanstalten
Die Chefärztin gibt weiters bei der Aufnahme von Ärztinnen bzw. Ärzten über
die Justizbetreuungsagentur sowie bei Abschluss von Verträgen mit Konsiliarärztinnen und -ärzten eine Stellungnahme und Einschätzung über die fachliche Qualifikation ab.
Neben der primär anlassbezogenen Fachaufsicht nimmt die Chefärztin die Revision und Aufsicht über den ärztlichen Dienst in Justizanstalten durch Kontrolle wahr. Sie hat begonnen, die Justizanstalten einmal im Jahr zu besuchen.
Gleichzeitig findet in regelmäßigen Abständen die stichprobenartige Kontrolle
der Eintragungen und Krankengeschichten in der IVV-MED statt.
Kontrolle
Der NPM hat sich auch der Problematik der Medikamentengebarung zugewandt. Wiederholt kritisieren nämlich die Kommissionen bei ihren Besuchen,
dass in den Justizanstalten vorrätig gehaltene, in der Regel nicht verschreibungspflichtige Medikamente von nicht medizinischem Personal ausgegeben
werden.
Medikamentengebarung
Das BMJ führte dazu aus, dass die Medikamentengebarung der Leiterin bzw.
dem Leiter des ärztlichen Dienstes obliegt. Aufgrund ärztlicher Anordnung
kann Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege die Ausgabe und Verabreichung von Arzneimitteln
an Häftlinge – auch bei Abwesenheit der Leiterin bzw. des Leiters des ärztlichen Dienstes – übertragen werden. Im Zusammenhang mit der Ausgabe von
Bedarfsmedikation durch Personen, welche nicht dem ärztlichen Dienst angehören, gibt es für jene Justizanstalten, die keine ständige Leiterin bzw. keinen
ständigen Leiter des ärztlichen Dienstes vor Ort zur Verfügung haben, aktuell
keine einheitlichen Vorgaben. Dies deshalb, da seitens des BMG noch keine
abschließende (gesetzliche) Regelung gibt. Die Vollzugsdirektion arbeitet intensiv an einer diesbezüglichen Regelung mit.
Im Zusammenhang mit sprachlichen Problemen von Häftlingen aus nicht
deutschsprachigen Ländern beim Arztgespräch wurde das BMJ mit der Wahrnehmung der Kommission 2 (Justizanstalt Wels im Dezember 2013) konfrontiert, dass die Beiziehung gerichtlich beeideter Dolmetscherinnen und Dolmetscher nicht verifizierbar war.
Arztgespräch nur mit
gerichtlich beeidetem
Dolmetscherinnen und
Dolmetschern
Laut Stellungnahme des BMJ sind die Bediensteten der Justizanstalt Wels über
die Möglichkeit, zur Abklärung medizinischer Fragen oder Befunde bei sprachlichen Barrieren nur gerichtlich beeidete Dolmetscherinnen und Dolmetscher
beizuziehen, nochmals nachweislich informiert worden.
XX
Die gesetzliche Implementierung des chefärztlichen Dienstes ist zur Herstellung der
Rechtssicherheit geboten.
XX
Eine Regelung, wer wann welche Medikamente den Insassinnen und Insassen ausgeben und
verabreichen darf, ist rasch zu erarbeiten.
Einzelfall: VA-BD-J/0039-B/1/2013; BMJ-Pr10000/0046-Pr372014
95
Justizanstalten
2.5.2.4 Jugendstrafvollzug in der Justizanstalt – Mängel trotz
Verbesserungen
Mit Besenstil
vergewaltigt
Ein besonders tragischer Fall ereignete sich vergangen Frühsommer in der Justizanstalt Wien-Josefstadt. Unter den Augen von Mithäftlingen vergewaltigte
ein damals 16-Jähriger einen um zwei Jahre jüngeren Untersuchungsgefangenen und misshandelte diesen schwer. Die Öffentlichkeit zeigte sich schockiert.
Das BMJ richtete eine Taskforce zur Verbesserung der Zustände im Jugendstrafvollzug ein.
Schwelendes
Aggressionspotential
Bereits Monate vor diesem Verbrechen hat der NPM die Vollzugsverwaltung
auf jenes Gefahrenpotential hingewiesen, das sich jederzeit entladen kann,
wenn Jugendliche auf engstem Raum ohne jede Beschäftigung eingesperrt
sind. Der NPM hat aus Anlass dieses tragischen Falles eine Sonderprüfung
eingeleitet und seine Besuchstätigkeit in der Justizanstalt Josefstadt verstärkt.
Sofortmaßnahmen
greifen
Bei einem Folgebesuch im Herbst 2013 konnte der NPM in vielen Punkten eine
Verbesserung der noch im April vorgefundenen Zustände feststellen. Die Haftbedingungen haben sich deutlich verbessert, was auch Insassen bestätigten.
Weitere
Verbesserungen
gefordert
Nach wie vor stoßen aber lange Einschlusszeiten sowie ein fehlendes Programm an Aktivitäten auf Kritik. Der NPM regt daher weitere Verbesserungen
an. Insbesondere sind Schulungsinhalte festzulegen und deren Einhaltung
und Umsetzung zu überprüfen.
Dazu teilte das BMJ mit, dass die Jugendabteilungen von Montag bis Freitag
von 7.00 Uhr bis 18.00 Uhr als Wohngruppen mit geöffneten Hafträumen geführt werden. Sie bieten ein breitgefächertes und abwechslungsreiches Freizeitprogramm.
96
Mehr Zuwendung
Derzeit laufen Bemühungen, einen „Pool“ bzw. eine Interessensgemeinschaft
für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit besonderem Interesse am Jugendvollzug einzurichten. Zur qualitativen Verbesserung der Betreuung von Jugendlichen wurde ein zielgerechtes Ausbildungsprogramm „Arbeitsfeld Jugendvollzug“ entwickelt.
Bessere Ausbildung
Ab dem Frühjahr 2014 umfasst die Grundausbildung der am „Pool Jugendvollzug“ interessierten Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter einen vierteiligen
spezifischen Lehrgang der Strafvollzugsakademie. Für leitende Bedienstete des
Jugenddepartements ist jährlich eine obligatorische dreitägige Fachtagung
vorgesehen. Daneben werden fachspezifische Seminare mit zumindest einer
verpflichtenden Teilnahme angeboten.
Regelmäßige
Besprechungen
An den wöchentlichen Abteilungsteambesprechungen haben alle Berufsgruppen der Jugendabteilung teilzunehmen (multiprofessionelles Team). Zusätzlich findet monatlich ein Jour fixe statt, weiters sind halbjährliche Team-und
Zwischenklausuren geplant. Im Übrigen sollen allen Mitarbeitern die Inanspruchnahme externer Supervision bzw. Intervision („Profis treffen Profis“,
Justizanstalten
Besuche von Jugendabteilungen in anderen Justizanstalten) und erweiterte
Teambuilding-Aktivitäten offenstehen.
Der nächste Besuch erfolgte in den Abendstunden. Dabei musste der NPM
feststellen, dass nach wie vor nur ein Nachtdienstposten in dem Jugenddepartement eingerichtet ist.
Nur ein
Nachdienstposten
Wie die Kommission erhob, benötigt der Nachtdienstbeamte zwischen 20 Minuten und einer Stunde für einen Rundgang. Während dieser Zeit ist der Beobachtungsstützpunkt nicht besetzt. Der NPM kritisiert, dass in dieser Zeitspanne
etwaige Ereignisse in den Hafträumen vom diensthabenden Justizwachebeamten nicht wahrgenommen werden können.
Beobachtungsstützpunkt leer
Die Forderung, die Nachtdienstposten in der Jugendabteilung nur mit Beamten aus dieser Abteilung zu besetzen, wurde nicht zur Gänze erfüllt.
abteilungsfremde
Beamte
Der NPM bezweifelt, dass im Zeitraum des Rundgangs tatsächlich ein Beamter vor Ort ist, um im Krisenfall rasch reagieren und eingreifen zu können. Er
erachtet es daher weiterhin für geboten, dass zumindest zwei Nachtdienstwachebeamte im Jugenddepartement eingesetzt werden.
Ein Beamter zu wenig
Der Nachtdienst soll ausschließlich durch Bedienstete des Jugenddepartements besetzt werden. Empfohlen wird zudem die ehest mögliche Einrichtung
eines Personalpools für Mitarbeiter für das Jugenddepartement mit besonderem Interesse am Jugendvollzug bzw. von Mitarbeitern, die das Ausbildungsprogramm „Arbeitsfeld Jugendvollzug“ absolviert haben.
XX
Der Nachtdienst im Jugenddepartement soll ausschließlich durch Bedienstete des Jugenddepartements besetzt werden.
XX
Die Justizverwaltung soll gezielt nach geeigneten Mitarbeitern für den Jugendvollzug
suchen.
XX
Diesen Bediensteten sind nach Absolvieren einer einschlägigen Ausbildung attraktive
Arbeitsbedingungen anzubieten.
Einzelfall: VA-BD-J/0767-B/1/2013; BMJ-Pr10000/0091-Pr3/2013
2.5.2.5 Frauen im Vollzug – krasse Benachteiligungen evident
Aufgrund der Wahrnehmungen der Kommissionen sowie gehäufter Individualbeschwerden über die Benachteiligung von Frauen im Vollzug hat der NPM
eine Untersuchung eingeleitet mit dem Ziel, die Situation weiblicher Insassen
in den Justizanstalten zu erheben.
Österreichweite
Erhebung
So wurde beispielsweise wiederholt über monotone Arbeiten und zu wenige Möglichkeiten einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung geklagt. Während
männliche Insassen in nahezu allen Anstalten Sport ausüben können und
ihnen die Fitnessräume offenstehen, seien Frauen in ihrer Freizeitgestaltung
oft auf stereotype Arbeiten wie Häkeln oder Basteln beschränkt. Was das Be-
Anlassfälle
97
Justizanstalten
schäftigungsangebot anlangt, würden Frauen nur etwa im halben Ausmaß
Arbeit (und damit auch Entlohnung) erhalten. Überdies handle es sich bei
den zugewiesenen Arbeiten oftmals um Putz- und Reinigungsdienste, was als
diskriminierend empfunden wird.
wenig Freizeitaktivitäten
Die bisherigen Erhebungen des NPM zeigen tatsächlich große Unterschiede,
vor allem bei den Freizeitbeschäftigungen. So haben männliche Insassen in
beinahe jeder Anstalt mehrere Sportangebote zur Auswahl, während den
Frauen meist nur die Teilnahme an Bastel- oder Kochgruppen bzw. Kochkursen angeboten wird.
Geringere
Beschäftigungsquote
Daten zu den einzelnen Betätigungsfeldern und den Arbeitsbetrieben liegen
noch nicht vor. Jedoch lassen die bisher vorliegenden Zahlen sowie die Erhebungen der Kommissionen eine deutliche Benachteiligung von Frauen erkennen. In Klagenfurt etwa haben nur 20 % der inhaftierten Frauen Arbeit, was
für ein landesgerichtliches Gefangenenhaus noch als hoch (!) gewertet wird.
Das BMJ weist auch den Vorwurf zurück, die Vollzugsverwaltung würde den
spezifischen Bedürfnissen von menstruierenden oder unter Wechselbeschwerden leidenden Frauen nicht hinreichend Rechnung tragen. Es würden ausreichend Hygieneartikel bereitgestellt. Die Abteilungsduschen können täglich
auch mehrmals benutzt werden.
Speziell geschultes
Personal fehlt
Bedauerlicherweise gibt es bisher keine besondere Qualifikation von Justizwachebeamten, welche im Frauenvollzug oder in den Mutter/Kind-Abteilungen
Dienst versehen. Der NPM hat daher das BMJ auf die Bangkok -Regeln (Grundsatz 29-35) aufmerksam gemacht, wonach das Personal für die Besonderheiten des Frauenvollzugs bzw. vor allem für Kinder im Strafvollzug besonders
geschult sein muss. Das Ministerium verwies zwar auf die mangelnde rechtliche Verbindlichkeit der Bangkok-Regeln, kündigte aber an, Überlegungen zur
Entwicklung eines frauenspezifischen Ausbildungsmoduls anzustellen.
keine gynäkologische
Vorsorgeuntersuchung
Hingegen wird die vom NPM geforderte gynäkologische Vorsorgeuntersuchung
mit dem Hinweis auf das Fehlen eines gesetzlich verankerten Rechtsanspruchs
weiterhin abgelehnt.
Die vorliegende Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen. Der NPM wird
auch im kommenden Jahr verstärkt das Augenmerk auf die Situation von
Frauen im Strafvollzug legen.
XX
Der Ausbau von Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen ist zu forcieren.
XX
Aus dem mangelnden Beschäftigungsangebot darf Frauen insbesondere kein finanzieller
Nachteil erwachsen.
XX
Frauen sollen gleichberechtigt Zugang zu Freizeitangeboten erhalten.
XX
Zum Standard der medizinischen Versorgung zählen auch Vorsorgeuntersuchungen.
Einzelfall: VA-BD-J/0766-B/1/2013; BMJ-Pr10000/0068-Pr3/2014
98
Justizanstalten
2.5.2.6 Behindertengerechter Ausbau von Justizanstalten
Wie der NPM in seinem Vorjahresbericht (Seiten 81 f.) aufgezeigt hat, sind von
den 40 Justizanstalten und ihren Außenstellen derzeit lediglich 16 mit einem
oder mehreren Hafträumen für Menschen mit Behinderung ausgestattet. Vor
allem in den südlichen Bundesländern gibt es einen Nachholbedarf. So verfügt etwa nur eine von den vier Anstalten in Graz über einen behindertengerechten Zugang.
Offenkundiger Mangel
Der NPM drängt daher unter Hinweis auf Art 14 Abs. 2 des Übereinkommens
über die Rechte von Menschen mit Behinderung darauf, dass Menschen mit
Behinderung, denen aufgrund eines Verfahrens die Freiheit entzogen wurde,
dieselben Lebens- und Aufenthaltsbedingungen haben wie die übrigen Insassen. Angesichts dessen ist die bestehende Bausubstanz ehestens zu adaptieren.
Um- und Zubauten sind so rasch wie möglich in Angriff zu nehmen.
Gewährleistungspflicht
des Staates
Das BMJ gab daraufhin bekannt, dass bis Mitte 2015 die Erweiterung des
Forensischen Zentrums Asten und der Neubau der Justizanstalt Salzburg in
Puch/Urstein fertiggestellt sein sollen.
Zeitplan für
Neuanlagen
Ende 2014 soll mit der Sanierung des Zellentrakts und der Sonderkrankenanstalt in der Justizanstalt Stein begonnen werden. Die Arbeiten sollen bis Mitte
2016 abgeschlossen werden.
Die genannten Bauvorhaben wurden nach Beiziehung eines Vertreters einer
Behindertenorganisation entsprechend dem „Nationalen Aktionsplan Behinderungen 2012-2020“ in Angriff genommen.
Der NPM hat sich persönlich über den Baufortschritt in Puch/Urstein informiert und im Zuge einer Begehung der Mitte Dezember 2014 noch im Rohbau
befindlichen Anlage vergewissert, dass sämtliche Räume barrierefrei erreichbar sind. Gefallen finden besonders die großzügige Raumaufteilung, warme
Farbtöne bei der Außenwandgestaltung und die hellen, lichtdurchfluteten
Hafträume. Umso bedauerlicher ist es, dass die gesamte Anlage, die für 227
Insassen ausgerichtet ist, lediglich über zwei Aufzüge im Gesperre und über
vier behindertengerecht ausgestattete Nasszellen verfügt. Dies erscheint im
Hinblick auf die zunehmende Überalterung der Insassenpopulation zu wenig.
Zu wenig
behindertengerechte
Hafträume
Zwar lässt sich dieses Manko im Stadium des derzeitigen Baufortschrittes nicht
mehr bereinigen. Sehr wohl kann man aber dafür Sorge tragen, dass in den
besonders gesicherten Hafträumen die aus Nirosta bestehenden WC-Anlagen
in den Fußboden eingepasst werden. Offenbar wurde in diesen Räumlichkeiten verabsäumt, den WC-Strang tiefer zu setzen, sodass man zur Benützung
des WC auf ein ca. 20 cm hohes Podest steigen müsste. Der NPM forderte, diese
eklatante Fehlplanung zu korrigieren und für eine gefahrlose wie barrierefreie
Benützbarkeit der WC-Anlage Sorge zu tragen. Die Anstaltsleitung sicherte zu,
diese Kritik umgehend an die Bauleitung weiterzugeben.
Eklatante Fehlplanung
bei Neubau
99
Justizanstalten
Laufende
Adaptierungsarbeiten
Anders als bei den Neubauten wurde ein Vertreter einer Behindertenorganisation bei Adaptierungsarbeiten nicht beigezogen, da die Verpflichtung im
Sinne des „Nationalen Aktionsplans Behinderungen 2012-2020“ zum Teil erst
nach Planung und Baubeginn (Justizanstalt Eisenstadt) oder während der Planungsarbeiten (Justizanstalt Graz-Karlau) entstanden ist oder der Umfang des
Projektes nicht danach verlangte (Justizanstalt Wien-Simmering)
Das BMJ betonte, dass die Einhaltung der entsprechenden Normen durch den
Generalplaner und die Projektleiter der Bundesimmobiliengesellschaft in Absprache mit den Nutzervertretern überprüft wird.
Weitere Überprüfungen
XX
Der NPM wird auf die Einhaltung dieser Zusagen auch im kommenden Jahr
achten und verweist abschließend nochmals auf den vorrangigen Bedarf an
barrierefreien Räumlichkeiten in den südlichen Bundesländern. Jede lediglich
aus diesem Grund vorgenommene Verlegung eines Insassen reißt diesen aus
seinem sozialen Umfeld. Derartige Maßnahmen stehen einer Resozialisierung
entgegen.
Bauliche Adaptierungen zur behindertengerechten Ausstattung der Justizanstalten sollten
Vorrang haben. Insbesondere im Süden des Landes besteht ein großer Nachholbedarf.
Einzelfall: VA-BD-J/0106-B/1/2014; BMJ-Pr10000/0005-Pr 3/2014
2.5.2.7 Neue Wege bei Suchtmittelkontrollen – Speicheltests sollen
Harnproben ersetzen
Statt Harnabgaben
Speichelproben
Zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in Justizanstalten sind
Suchtmittelkontrollen unumgänglich. Menschenrechtlich besonders sensibel
sind dabei sowohl die Anordnung wie die Art der Durchführung von Kontrollen auf Suchtmittelmissbrauch. Immer wieder wird von Insassinnen und Insassen der Vorwurf erhoben, willkürlich kontrolliert zu werden. Dabei komme
es zu massiven Eingriffen in die Privatsphäre, da Probanden beim Urinieren
– direkt oder indirekt (via Spiegel) – von Justizwachebeamten beobachtet würden. Zur Entschärfung dieses Problembereichs ordnete das BMJ in den Justizanstalten Wien-Simmering, Hirtenberg und Wien-Favoriten ein Pilotprojekt
„Speicheltest“ an. Damit soll die Alltags- und Vollzugstauglichkeit von Speicheltests erhoben werden.
Pilotprojekt
„Speicheltest“
Insgesamt wurden bisher 20.042 Analysen vorgenommen. Ihnen lagen 2.616
Proben zugrunde. Bei 40 Proben wurde eine Bestätigungsanalyse mittels Flüssigchromatographie / Massenspektrometrie (LC-MS/MS) angefordert, wobei in
34 Fällen, das sind 85 %, das ursprüngliche Ergebnis bestätigt werden konnte.
Im Vergleich dazu wurden im Jahr 2014 insgesamt 853 Harnproben einer
Bestätigungsanalyse unterzogen, wobei 162 Proben, das sind 19 %, einen –
beispielsweise aus Verwässerung resultierenden – zu geringen Kreatinin-Wert
aufwiesen und damit nicht mehr eindeutig zu interpretieren waren.
100
Justizanstalten
Analysebedingt ergeben sich, anders als bei Harntests, bei Speicheltests andere
Nachweiszeiten für bestimmte Substanzen. Beispielsweise liegt das Zeitfenster
der Nachweisbarkeit bei den lipophilen Substanzen Cannabis und Benzodiazepin aus Harn bei sechs bis 30 Tagen, bei Speichel aber nur bei ein bis drei
Tagen. Dieser – chemisch bedingte – Effekt eröffnet erstmals die Unterscheidung eines erneuten Konsums dieser Substanzen von einem Konsum zu einem
länger zurückliegenden Zeitpunkt.
Auswertung
Während die Harnabgabe unter Aufsicht per se zu einem potenziellen Eingriff
in die Privatsphäre führt, ist das Grundrecht bei der Speicheltestung nicht berührt. Die Proben können nicht nur einfach mittels Pad, sondern auch unabhängig vom Geschlecht der zu testenden Person von jeder und jedem Strafvollzugsbediensteten abgenommen werden. Letztlich entfallen auch Wartezeiten,
die von einer Flüssigkeitsaufnahme bis zum Harnlassen einzukalkulieren sind.
Praktikabilität
Nach Ansicht des BMJ stehen diesem Vorteil aber auch Nachteile gegenüber:
Speicheltestungen seien mit rund 35 Euro pro Test gegenüber Harntestungen
mit rund 3,80 Euro pro Test (jeweils pro zu testendem Parameter) deutlich teurer. Auswertungsergebnisse würden den Justizanstalten oft noch am Tag der
Abgabe der Probe (die Abholung der Teststreifen wurde zwischen dem Labor
und Justizanstalt individuell vereinbart), spätestens aber am Folgetag elektronisch übermittelt werden. Anders als bei den Harntests stehe aber das Ergebnis
nicht unmittelbar nach Probenabgabe fest.
Kosten und Validität
Einzuräumen ist allerdings, dass es sich bei den bisher üblichen Harntests nur
um Schnelltests handelt, die einen Verdacht bestärken oder abschwächen bzw.
ein Verdachtsmoment ergeben können. Ein Beweismittel für einen Suchtgiftkonsum biete nur eine GC/MS-Analyse (gaschromatographische Massenspektrometrie) des Mediums Harn.
Harntests liefern keinen
Beweis
Laut Darstellung des BMJ führten nicht nur die hohen Kosten, sondern auch
der Umstand, dass das Ergebnis der Testung nicht unmittelbar zur Verfügung
steht, zum Ausscheiden der Justizanstalt Wien-Favoriten aus dem Pilotprojekt,
zumal diese Justizanstalt als Therapieeinrichtung auch eine hohe Testfrequenz
aufweist. Dennoch steht die Vollzugsverwaltung der österreichweiten Einführung von Speicheltests aufgrund der Ergebnisse des Pilotprojektes weiterhin
positiv gegenüber.
Allerdings werde die Einführung der Speicheltests kein gänzliches Ende von
Harntests zur Folge haben, zumal deren unmittelbar verfügbare Ergebnisse im
Vollzugsalltag – etwa bei Stichproben nach der Rückkehr von einem Aus- oder
Freigang – auch in Zukunft nicht verzichtbar sein werden. Es bedürfe daher
eines ausgewogenen Konzepts, in dem einerseits festgelegt ist, in welchen Bereichen Speichel- bzw. Harntests zum Einsatz kommen, und andererseits, welche Parameter der Speichelprobe einer Auswertung unterzogen werden sollen.
Von diesem Konzept werde im Wesentlichen das Auftragsvolumen abhängen,
wobei bei einer bundesweiten Implementierung – auch bei konservativer Kos-
BMJ will nur Ergänzung,
nicht Ersatz
101
Justizanstalten
tenschätzung – eine Ausschreibung nach dem Bundesvergabegesetz durchzuführen sein wird. Die bundesweite Ausschreibung sollte auch eine Reduktion
der Preise pro Test bewirken.
NPM bezieht in seine
Beurteilung externe
Meinungen ein
Aus Sicht des NPM hat die Speicheltestung trotz der bisher bekannten Schwächen (höhere Kosten, keine sofortige Verfügbarkeit der Testergebnisse) mehr
Vor- als Nachteile. Dies wurde auch bei einem im Dezember 2014 an der TUWien abgehaltenen Symposium zum Thema „Drogenanalytik und Suchtmittelgesetz in der Praxis“, an dem der NPM teilnahm, deutlich.
Wie dort von Wissenschaftlern und Praktikern erörtert wurde, sind gewisse
Substanzen (z.B. Kokain, Amphetamine) im Speichel besser und länger nachweisbar. Andere Substanzen sind im Speichel kürzer als im Urin nachweisbar,
z.B. Cannabis. Ein Vorteil des Speicheltests ist zudem, dass die Testergebnisse
nicht durch vorheriges Trinken von viel Wasser „verdünnt“ und damit verfälscht werden können.
Problematisch erscheint überdies, dass das Ergebnis der derzeit verwendeten
Harnstreifentests von den subjektiven Wahrnehmungen jener Person abhängen, die den Streifen bewertet. Dabei spielen auch die aktuellen Lichtverhältnisse eine Rolle. Hinzu kommt, dass Streifen-Schnelltestungen keine ausreichende forensische Validität besitzen. Diese ist ausschließlich durch eine durch
ein Labor durchzuführende spezielle gaschromatographische Untersuchung
(GC/MS-Analyse) festzustellen. Erst dieses Verfahren ergibt ein eindeutiges Ergebnis.
Zusammengefasst vermag der NPM dem Argument der unmittelbaren Verfügbarkeit bei Anwendung von Streifen-Schnelltestungen in Anbetracht der
kurzen Auswertungsdauer in den chemischen Laboren sowie der möglichen
elektronischen Übermittlung des Ergebnisses nicht beizutreten.
Was die Kosten anlangt, ist anzumerken, dass naturgemäß bei Auswertung
von Testergebnissen durch ein chemisches Labor höhere Kosten anfallen. Bei
einer forensisch validen Auswertung (durch ein Labor) sind aber Harntests
und Speicheltests nahezu gleich kostenintensiv.
XX
Im Hinblick auf den geringen Eingriffscharakter sollen Speicheltests Harntests ersetzen.
XX
Sämtlichen Anstalten sollen Speicheltests ehestens zur Verfügung gestellt werden.
Einzelfall: VA-BD-J/0040-B/1/2013; BMJ-Pr10000/0062-Pr3/2014
2.5.2.8 Kriterienkatalog bei Ordnungsstrafen – Forderung bleibt
aufrecht
Sanktionenpraxis nicht
einheitlich
102
Im Vorjahresbericht (S. 79f) hat der NPM auf die große Ungleichheit bei der
Bestrafung wegen Ordnungswidrigkeiten hingewiesen. Diese Ungleichheit resultiert daraus, dass es keine Richtlinien zur Verhängung von Sanktionen gibt.
Justizanstalten
Nach Meinung des BMJ steht einem derartigen Katalog die Vielfalt der möglichen Pflichtenverletzungen sowie in Frage kommenden Sanktionen entgegen.
Zudem bestehe in jedem Einzelfall die Möglichkeit, ein Rechtsmittel zu ergreifen.
Die Auffassung des BMJ war vor allem angesichts des vom NPM verfolgten
präventiven Charakters eines Strafenkatalogs weder ausreichend noch über-
NPM regte Evaluierung
an
zeugend. Da inzwischen eine Rechtsänderung Platz gegriffen hat und seit
1.1.2014 nicht mehr Verwaltungsbehörden, sondern ordentliche Gerichte
Rechtsmittelinstanz in Ordnungsstrafverfahren sind, regte der NPM als ersten
Schritt an, die Spruchpraxis der ab Jahresbeginn 2014 zuständigen Vollzugsgerichte und -senate zu analysieren.
Mit welcher Ordnungsstrafe bei welchem Fehlverhalten zu rechnen ist, sollte
in einer den Häftlingen jederzeit zugänglichen Form veröffentlicht und periodisch aktualisiert werden. Damit sind auch die Maßstäbe transparent, nach
denen über Rechtsmittel entschieden wird.
Das BMJ replizierte nun darauf und gab an, die in § 107 StVG normierten Tatbilder als ausreichende Information anzusehen. Der vom NPM unter dem Titel
BMJ sieht kein
Informationsbedürfnis
der Evaluierung der Rechtsprechung der Vollzugssenate in Ordnungsstrafsachen unverändert erfolgten Anregung zur amtswegigen Serviceleistung werde
man weiterhin nicht nähertreten.
Zur Weiterentwicklung dieses Themenbereichs erreichte den NPM im November 2013 eine Stellungnahme von Amnesty International mit dem Titel „Menschenrechtliche Überlegungen zur Sanktionspraxis bei Ordnungswidrigkeiten
Auch Amnesty
International ortet
Handlungsbedarf
in Justizanstalten“. Im Abschnitt „Festlegung von Ordnungsstrafen“ erhebt
Amnesty International dezidiert die Forderung, es müsse nicht nur klar geregelt sein, welche Verhaltensweisen als Pflichtverstöße gelten. Auch Art und
Dauer der zulässigen Maßnahmen müssten feststehen. Der NPM möge daher,
wie es abschließend in dem Papier heißt, „österreichweit verstärkt das Thema
im Fokus behalten“.
In seiner letzten Sitzung des Jahres 2013 beschloss der MRB, eine diesbezügliche Arbeitsgruppe einzurichten. Deren Beratungsergebnisse bleiben abzuwar-
MRB richtet
Arbeitsgruppe ein
ten. Sodann wird der NPM dem BMJ die weitere Vorgangsweise empfehlen.
XX
Der NPM besteht auf seiner Forderung, wonach es Aufgabe der Vollzugsverwaltung ist, die
Folgen von Ordnungswidrigkeiten zu veranschaulichen.
XX
Das Zur-Verfügung-Stellen dieser Daten hat für die Insassen präventiven Charakter.
XX
Den Entscheidungsträgern sollen diese Daten Orientierung für eine gleichförmige
Spruchpraxis bieten.
Einzelfall: VA-BD-J/0045-B/1/2013
103
Justizanstalten
2.5.2.9 Beschwerdemanagement und Information über
Rechtsschutzmöglichkeiten
Beschwerdemanagement geboten
Der NPM hat im Vorjahresbericht (S. 80) eine systematische Erfassung und
Auswertung von Beschwerden gefordert, damit die Vollzugsverwaltung Defizite rasch feststellen und mit geeigneten Maßnahmen prompt darauf reagieren
kann.
Gegenwärtig besteht keine technische Möglichkeit, zu aussagekräftigen Daten zu gelangen, weil Beschwerden nirgendwo systematisch, umfassend und
strukturiert erfasst werden. Das BMJ hat jedoch inzwischen die Bedeutung eines Beschwerdemanagements als Erkenntnisquelle für Defizite und Verbesserungsmöglichkeiten akzeptiert. Angekündigt wurde, gemeinsam mit der Vollzugsdirektion nach „Entwicklungsmöglichkeiten“ zu suchen.
Zeitlicher Vorlauf
Nach Mitteilung des BMJ ist die bundesweite Fertigstellung des IVV-Moduls
„Ordnungsstrafverfahren“ die Voraussetzung für eine technische Applikation
„Beschwerderegister“. Der Probebetrieb war für Herbst 2014 geplant. Die bundesweite Inbetriebnahme des IVV-Moduls „Ordnungsstrafverfahren“ soll Mitte
2015 erfolgen. 2016 soll das „Beschwerderegister“ in allen Anstalten elektronisch geführt werden.
Die Kommission 3 stellte anlässlich eines Besuchs der JA Graz-Jakomini fest,
dass mehrere Insassen über die geänderten Beschwerdemöglichkeit in Ordnungsstrafverfahren und den Umstand, dass der Rechtszug seit 1.1.2014 an
das Vollzugsgericht geht, nicht Bescheid wussten. Die Kommission befasste daher das BMJ mit dieser Angelegenheit.
Wie sich aus dem Antwortschreiben ergibt, sei zwar der Haftraumaushang zu
Beginn des Jahres 2014 überarbeitet und aktualisiert worden. An die Anstalten
werde diese aktualisierte Fassung aber erst Ende September 2014 versendet. Bis
dahin werde den Insassen die geltende Rechtslage in den Rechtsmittelbelehrungen mündlich bzw. schriftlich vermittelt.
Überalterte
Haftraumaushänge
Für den NPM ist es nicht nachvollziehbar ist, dass der Haftraumaushang erst
neun Monate nach Inkrafttreten einer Rechtsänderung, die Anfang September
2013 im BGBl kundmacht wurde, aktualisiert wurde. Die bis zum Austausch
ausgehängten Behelfe waren geeignet, Insassen zu falschen Rechtsansichten
zu verleiten.
XX
Die Errichtung eines Beschwerderegisters ist nachdrücklich zu verfolgen.
XX
Informationsaushänge haben im Falle einer Rechtsänderung so rasch wie möglich angepasst
zu werden.
Einzelfall: VA-BD-J/0045-B/1/2014; BMJ-Pr10000/0016-Pr3/2014
104
Justizanstalten
2.5.2.10 Zugang zum Internet als wichtiger Teil der Resozialisierung
Der NPM hat sich im Berichtszeitraum vertiefend der Frage des Zugangs zum
Internet für Insassen zugewandt.
War das BMJ im vergangenen Jahr noch zurückhaltend (siehe die Ausführungen im PB-Bericht 2013 auf S. 87), so erachtet es inzwischen den Ausbau der
elektrotechnischen Infrastruktur ebenfalls als wünschenswert. Freilich könne
jede Erweiterung nur im Rahmen der begrenzten finanziellen Ressourcen erfolgen.
Begrenzte Mittel
Der NPM pflichtet dem BMJ bei, dass Abschließung zum Wesen des Strafvollzuges gehört und mit der Anhaltung der weitgehende Verlust der Freizügigkeit
einhergeht. Notwendige Folge der Anhaltung ist auch eine Beschränkung eines beliebigen Verkehrs mit Personen außerhalb der Justizanstalt.
Interessenabwägung
geboten
Dass unkontrollierte elektronische Nachrichtenübermittlungen wegen der damit verbundenen Gefahr für die Sicherheit und Ordnung in der Justizanstalt
nicht zulässig sind, versteht sich von selbst. Gleiches gilt für die schrankenlose
Nutzung des Internets.
Limitierter Zugang
Unbestritten ist aber auch, dass die Fähigkeit im Umgang mit Informationsund Kommunikationstechnologien für eine Reintegration in die Gesellschaft
erforderlich ist. Diese Fähigkeit sollte während der Zeit des Freiheitsentzuges
nicht verloren gehen. Kenntnisse sollten dem aktuellen Stand der Technik entsprechend erworben und vertieft werden.
Mittel zur Reintegration
Die Frage des Internetzgangs für Insassen ist kein Problem, das lediglich Österreich betrifft.
Vorgehensweise
europaweit
unterschiedlich
In Deutschland dürfen Häftlinge in acht Gefängnissen zur Weiterbildung die
Server der Fernuniversität Hagen (zum Teil nur unter Aufsicht) ansteuern.
In Belgien gibt es das Projekt „Prisoncloud“, das Insassen einen beschränkten, aber sicheren Zugang zum Internet im Wege einer Plattform für Arbeit/
Beschäftigung und Freizeitgestaltung ermöglicht. Angesichts des hohen finanziellen Aufwands, der mit der Einrichtung einer haftraumgestützten Internetnutzung in bestehenden Vollzugseinrichtungen verbunden ist, hat sich
die Vollzugsverwaltung in Österreich dazu entschlossen, eine „Prison-cloud“Lösung nicht weiter zu verfolgen.
Einzig in Norwegen sind seit dem Jahr 2010 Haftanstalten eingeschränkt mit
dem Internet verbunden. Es können nur Internetseiten aus den Kategorien
„Bildung“ oder „Nachrichten“ aufgerufen werden. Das System erweist sich allerdings als sehr wartungsintensiv. Derartige (Mehr)Belastungen aufgrund der
in der österreichischen Vollzugsverwaltung sehr knappen Ressourcen wären
auf absehbare Zeit nicht erbringbar.
Da sowohl die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (Punkt 28.1) als auch die
CPT-Standards (CPT/Inf [2001] 16 Pkt. 32, 33, 67 und CPT/Inf [99] 12 Pkt. 3)
105
Justizanstalten
das Angebot an (Aus-)Bildungsmöglichkeiten als eine der Kernaufgaben des
Strafvollzugs sehen, sollte auch im österreichische Straf- und Maßnahmenvollzug die Nutzung von Computern und Internet für Lernzwecke vorgesehen sein. Der NPM begrüßt daher, dass die österreichische Vollzugsverwaltung
seit dem Jahr 2012 in Kooperation mit deutschen Strafvollzugsanstalten eine
Lernplattform betreibt.
Diese Lernplattform wird derzeit in zwölf Justizanstalten zu Schulungszwecken
angeboten und beinhaltet 160 Lernprogramme. Im Rahmen des gelockerten
Vollzugs und in einem Projekt in Oberfucha (AußensteIle der JA Stein) wird zu
Ausbildungszwecken das Internet zu bestimmten Zeiten freigeschaltet.
Der NPM regt an, beide Projekte innerhalb eines überschaubaren Zeitraums
zu evaluieren und danach, allenfalls adaptiert, in weiteren Justizanstalten
eine überwachte Internetnutzung anzubieten.
XX
Die bisherige Praxis einer Lernplattform, wie sie derzeit in zwölf Justizanstalten angeboten
wird, ist zeitnahe zu evaluieren.
XX
Es sind nachhaltig Schritte zu setzen, um zu Fortbildungszwecken einen missbrauchssicheren
Zugang zum Internet zu schaffen.
Einzelfall: VA-BD-J/0210-B/1/2014; BMJ-Pr10000/0064-Pr3/2014
2.5.3
Sonderkrankenanstalt in der Justizanstalt Stein –
schwerwiegende Vorwürfe
Mannigfache Kritik
Im Mai 2014 besuchte die Kommission 5 die Justizanstalt Stein. Sie hat sich
dabei insbesondere der Gesundheitsversorgung in der Sonderkrankenanstalt
und im Maßnahmenvollzug zugewandt. Dabei musste die Kommission eine
unzureichende medizinische Versorgung, eine Unterbesetzung des medizinischen Personals sowie ein bedenkliches Pflegeverständnis des Pflegepersonals
gegenüber Insassen feststellen.
Geriatrische Abteilung
Einzelfälle lassen darauf schließen, dass pflegebedürftige Insassen zur täglich
notwendigen Versorgung weder eine adäquate Anleitung noch aktive Unterstützung durch das Pflegepersonal erhalten.
Siechende Insassen
Der NPM erachtet es als im höchsten Maß besorgniserregend, dass etwa ein
Angehaltener, der unter Stuhlinkontinenz leidet und eine Zeit lang einen
künstlichen Darmausgang gehabt hat, keine Anleitung und Hilfe bei der Stomaversorgung vom Pflegepersonal erhielt. Vielmehr war der Insasse auf die
Unterstützung von Mitinsassen angewiesen.
Ein anderer Häftling wurde im Rollstuhl angetroffen. Er hatte eigenen Angaben zufolge seit fünf Monaten einen Dauerkatheter. Das Urinieren funktioniere nicht. Ein suprapubischer Katheter sei, wie es in dem Protokoll der Kommission heißt, „noch nicht angedacht worden“. Obwohl er selbst keine Hilfe
106
Justizanstalten
zur Mobilisierung erhalte, versuche er, Mithäftlingen etwa beim Wechseln von
Einlagen zu helfen.
Ein dritter Insasse hatte deutliche Zeichen einer ausgeprägten Alzheimer-Demenz mit Tremor; er wies zudem eine örtliche und zeitliche Desorientiertheit
auf.
Insgesamt kamen beim Besuch der Sonderkrankenanstalt Zweifel auf, ob die
pflegerische Versorgung gewissenhaft und fürsorglich ist. Wahrgenommene
Äußerungen und Eintragungen in den Krankenakten – wie etwa „braucht
Windeln“ oder „sekkiert ganze Nächte die Schwestern und Ärzte“ – deuten auf
eine geringschätzende Einstellung des Personals gegenüber den Insassen hin
und lassen auf ein bedenkliches Pflegeverständnis schließen.
Wenig Empathie
Wie der Anstaltsarzt einräumte, sind ihm aus Zeitmangel kaum Visiten in den
Hafträumen möglich. Wegen der organisatorischen Überlastung gibt es auch
zu wenig Zeit, auf Gesprächswünsche einzelner Patienten einzugehen.
Kaum Zeit
Hinsichtlich des Mehrbedarfs an ärztlichem Personal führte das BMJ aus, intensiv bemüht zu sein, auch während urlaubs- oder krankheitsbedingter Abwesenheiten eine umfassende Versorgung aller Insassen sicherzustellen.
Zurückgewiesen werde die Kritik an der pflegerischen und medizinischen Versorgung. Jedem in der Sonderkrankenanstalt untergebrachten Insassen komme aufgrund einer 24-stündigen Anwesenheit des Pflegepersonals eine entsprechende Versorgung zu. Zu den einzelnen Fällen sei zu sagen, dass entsprechende Behandlungen vorgenommen und Veranlassungen ergriffen wurden.
Offen bleibt, wie die Versorgung und Pflege von Insassen gewährleistet ist, die
nicht in der Sonderkrankenanstalt untergebracht sind, aber dennoch einen
erhöhten Pflegebedarf aufweisen.
Die Erklärungen des BMJ lassen sich mit den Wahrnehmungen der Kommission nur schwer in Einklang bringen. Auch wenn auf Basis der vorliegenden
Informationen der NPM eine abschließende Beurteilung noch nicht treffen
kann: Dass Insassen mit erhöhtem Pflegebedarf für tägliche körperliche Verrichtungen – aufgrund mangelnder Kapazitäten oder Unterstützung durch
das Pflegepersonal – auf die Mithilfe von Mitinsassen angewiesen sind, ist völlig unzulänglich.
Vorabkritik
Derzeit scheint in der Sonderkrankenanstalt der Justizanstalt Stein eine grundrechtskonforme Gesundheitsversorgung nicht gegeben. Sollte die Sonderkrankenanstalt der Justizanstalt Stein weitergeführt werden, bedarf es nachhaltig
baulicher, personeller, pflegerischer und medizinischer Verbesserungen, um
Mindestanforderungen des Rechts auf Gesundheit zu entsprechen.
XX
Der NPM fordert, dass die pflegerische Versorgung gewissenhaft, fürsorglich und auch
menschlich wahrgenommen wird.
XX
Dem BMJ wird empfohlen, rasch Klarheit zu gewinnen, ob die Sonderkrankenanstalt in
dieser Form überhaupt fortgeführt werden kann.
Einzelfall: VA-BD-J/0696-B/1/2014; BMJ-Pr10000/0059-Pr3/2014
107
Justizanstalten
2.5.4
Bauliche Mängel auf der forensischen Abteilung des LKH
Rankweil
Enge schafft Stress
Beim Besuch der forensischen Station des Krankenhauses Rankweil fiel der
Kommission eine Reihe von Defiziten auf. So ist etwa die Raumsituation äußert prekär: Die mit bis zu vier Betten ausgestatteten Zimmer lassen keine Privatsphäre zu, die einzelnen Liegen sind nicht einmal durch einen Sichtschutz
getrennt.
Der Gang ist der einzige Aufenthaltsbereich und nur ca. acht m2 groß. Es ist
dies außerdem der einzige Raum, in dem Patienten rauchen können. Es gibt
keinen nützbaren Außen- oder Freibereich.
Hohes
Aggressionspotential
Die Kommission merkte an, dass auf dieser Station mitunter psychisch stark
belastete Personen untergebracht sind, die keinerlei Gewissheit über das weitere strafrechtliche Verfahren oder über die Dauer ihres Aufenthalts im Spital
haben. Das zumeist auf einer forensischen Station vorhandene Aggressionspotential kann durch diese angespannte Raumsituation zusätzlich verstärkt
werden.
Unnötige
Gefahrenquelle
In einem Ergotherapieraum, den das Personal durchqueren muss, befanden
sich zum Besuchszeitpunkt Gegenstände, mit denen die Patienten sich selbst
oder andere gefährden können.
Fehlende Grünanlage
Vermisst wurde ein Außenbereich oder ein Innenhof, der es den Untergebrachten ermöglicht, sich an der frischen Luft aufzuhalten. Dieser Freiraum würde
viele Aggressionen auf der Station verhindern und eine wesentliche Verbesserung für die Patienten bringen.
BMJ weist
Verantwortung von sich
Mit diesen Mängeln konfrontiert, verwies das BMJ auf die jährlich geleisteten
Zahlungen, erachtete sich jedoch für die konkreten Bedingungen der Anhaltung und die Ausstattung der Station nicht für zuständig. Zwar würden alle
vom BMJ in Anspruch genommene Krankenanstalten einmal jährlich von
Mitarbeitern der zuständigen Fachabteilung der Vollzugsdirektion visitiert.
Eine Aufsichtsfunktion im engeren Sinn komme aber weder dem BMJ noch
der Vollzugsverwaltung zu. Zu den konkret aufgeworfenen Fragen könne man
daher nicht Stellung nehmen.
Zuweisung ändert
nichts an Zurechnung
Diese Auffassung kann der NPM nicht akzeptieren. Nach dem StVG hat die
Unterbringung psychisch kranker Rechtsbrecher in den dafür besonders bestimmten Anstalten oder in den dafür besonders bestimmten Außenstellen zu
erfolgen. Alternativ kann die Zuweisung in eine öffentliche Krankenanstalt
für Psychiatrie erfolgen.
Diese Einrichtung muss dafür geeignet sein, was sich aus § 158 StVG ergibt.
Im gegenständlichen Fall geht es nicht bloß darum, eine von der Kommission
erkannte Gefahrensituation zu entschärfen. Vielmehr wird in Frage gestellt,
ob die Einrichtung (noch) habituell geeignet ist und damit der Vollzugsauftrag
erfüllt werden kann.
108
Justizanstalten
In der Sache selbst konnte im Zuge eines Kontaktgespräches mit dem BMJ Einvernehmen darüber erzielt werden, dass auch infrastrukturelle Gegebenheiten
bei öffentlichen Krankenanstalten für Psychiatrie in den Verantwortungsbereich des BMJ fallen.
Verantwortung letztlich
akzeptiert
XX
Weist das BMJ Untergebrachte einer öffentlichen Krankenanstalt für Psychiatrie zu, muss es
sich auch Defizite der Infrastruktur dort zurechnen lassen.
XX
Kann das BMJ nicht erwirken, dass diese Defizite behoben werden, ist der Insasse in einer
justizeigenen Einrichtung unterzubringen.
Einzelfall: VA-BD-J/0156-B/1/2013; BMJ-PR1000/0072-Pr3/2013
2.5.5
Ausstattung der Krankenzimmer – Forensische
Psychiatriestation der Landesnervenklinik Sigmund Freud
Im Spätherbst 2013 hat die Kommission die forensische Psychiatriestation
der Landesnervenklinik Sigmund Freud besucht. In der abschließenden menschenrechtlichen Beurteilung finden sich sehr erfreuliche Bemerkungen:
Die therapeutische Arbeit und Betreuung wird als „hochprofessionell“ gesehen. Es gab in den letzten Jahren keine Gewaltsituationen. Das erfahrene
Team leistet, wie sich die Kommission vergewissern konnte – interdisziplinär gemeinsam „hervorragende Arbeit“. Der Umgang der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter untereinander ist wertschätzend und gut, mit den Patienten
freundlich, es herrscht eine entspannte Stimmung. Die ärztliche Dokumentation und Pflege der Dokumentation wird als „vorbildlich“ beschrieben. Das
Entlassungsmanagement wird als „sehr gut und umfassend“ qualifiziert.
Behandlung und
Betreuung vorbildlich
Aus menschenrechtlicher Sicht problematisch ist allerdings, dass Patienten bis
zur Realisierung des Ausbaus der Station immer noch in zwei Sechsbettzimmern untergebracht sind. Diese Situation bedauert auch das Team. Eine möglichst rasche Verbesserung erachten alle Seiten als wünschenswert.
Platzbedarf
Als Erstmaßnahme wurden zur Wahrung der Privatsphäre der Patienten
Trennwände zwischen den Betten montiert.
Was die Forderung der Reduzierung des Belages betrifft, so führte die Landesnervenklinik Sigmund Freud aus, dass eine Verminderung der Zimmerbelegung veranlasst werden könne, was aber den Verlust von zumindest vier Pflegeplätzen bedeute. Bis zur Fertigstellung der baulichen Erweiterung versuche
man, das Defizit dahingehend auszugleichen, indem zwei Betten in den Sechsbettzimmern für jene Patienten freigehalten werden, deren Unterbringung
unterbrochen ist. Allerdings bestehe im Bedarfsfall die Verpflichtung, diesen
Patienten wieder ein Bett anzubieten. Da es das Ziel sei, in solchen Fällen dem
Patienten tunlichst wieder „sein“ Bett zur Verfügung zu stellen, lasse sich bis
auf weiteres die Anzahl der tatsächlich aufgestellten Betten nicht reduzieren.
Bett muss freigehalten
werden
109
Justizanstalten
Auch CPT tritt für
Einzelunterbringungen
ein
Das BMJ sieht diesen Kompromiss mit den Vorgaben des CPT unter Berücksichtigung des bereits bestehenden Sanierungskonzepts noch vereinbar. Richtig ist, dass sich das CPT zu den Lebens- und Aufenthaltsbedingungen der
Sigmund Freud Klinik anlässlich seines Besuchs im Februar 2009 nicht geäußert hat. Wiederholt hat das CPT allerdings empfohlen, ein therapeutisches
Umfeld mit Einzelzimmern und kleineren Unterbringungseinheiten zu schaffen (zuletzt aus Anlass der Überprüfung einer forensischen Psychiatriestation
eines Lissaboner Spitals im Juli 2012, CPT/Inf [2013] 4).
Vor diesem Hintergrund begrüßt der NPM die Bemühungen des BMJ, den zuständigen Rechtsträger zu einem raschen Ausbau der forensischen Station der
Landesnervenklinik Sigmund Freud zu bewegen.
XX
Lassen sich Sechs-Personen-Zimmer baulich nicht trennen, so kann bereits das Aufstellen
mobiler Trennwänden ein Mehr an Privatsphäre schaffen.
Einzelfall: VA-BD-J/0843-B/1/2013; BMJ-Pr10000/0084-Pr3/2014
2.5.6
Defizite bei Fixierungen – Forensische Abteilung LKH Hall
Angebunden und allein
gelassen
Im Zuge eines Besuches der forensischen Abteilung des LKH Hall musste die
Kommission feststellen, dass eine Patientin über 14 Stunden fixiert wurde.
Die Kommission nahm daraufhin Einsicht in die Pflegedokumentation. Sie
musste dabei feststellen, dass aus der Dokumentation nicht hervorgeht, dass
das Pflegepersonal während der Fixierung bei der Patientin ständig anwesend
war. Dagegen spricht, dass die Patientin während der Fixierung mehrfach
eingenässt habe und eigenen Angaben zufolge ca. 30 Minuten im urinierten
Bett gelegen sei. Die Delegation musste auch feststellen, dass keine gelinderen Maßnahmen dokumentiert sind. Weiters fehlt eine Dokumentation einer
Nachbesprechung mit der Patientin.
Isolierzimmer erinnert
an „Todeszelle“
Sodann besichtigte die Delegation das Isolierzimmer mit dem Fixierungsbett.
Dieses habe – so einzelne Kommissionsmitglieder – einen „furchteinflößenden
Charakter“ vermittelt und Assoziationen zu Bildern einer „Todeszelle“ in Amerika ausgelöst.
Sofortmaßnahmen
Die Kommission schlug dem ärztlichen Leiter der Einrichtung und seiner Stellvertreterin vor, den Raum mit einer beruhigenden Wandfarbe auszumalen.
Weiters regte sie an, eine freundlich farbige Decke über das Bett zu legen, die
die Gurte verdeckt und im Bedarfsfall leicht entfernt werden kann.
Der Vorschlag wurde aufgegriffen und der Raum mit einer grünen Wandfarbe
ausgemalt. Die Farbe soll an die Natur erinnern, beruhigend wirken und Sicherheit vermitteln. Grün ist auch die Tagesdecke, welche die Gurte verdeckt.
Ablauforganisation ist
anzupassen
110
Der Kommission wurde in Aussicht gestellt, dass jene Checkliste, nach der bei
Fixierungen und Isolierungen vorzugehen ist, in nächster Zeit überarbeitet
werden soll. Dabei sollen auch jene Punkte aufgenommen werden, die vom
Justizanstalten
CPT als unbedingt erforderlich angesehen werden. Dazu zählt nach den CPTStandards (Punkte 43 ff.), dass während der Fixierung ständig ein geschulter
Mitarbeiter anwesend sein muss, um therapeutische Hilfe zu leisten. Auch die
technisch vorgesehene Videoüberwachung soll in der Checkliste erwähnt werden. Diese solle auch Vorgaben beinhalten, wie der Videomonitor zu überwachen ist. Aufgenommen werden sollen Regeln bezüglich der Dauer der Fixierung und ab welchem Zeitraum die Fixierung durch Anordnung des Arztes zu
erneuern ist. Die Checkliste soll um Regelungen zur Mitarbeiterschulung, der
Beschwerdepolitik und der Nachbesprechung ergänzt werden. Auch soll dem
Patienten die Möglichkeit eröffnet werden, eigene Bemerkungen beizufügen.
Letztlich soll gewährleistet werden, dass dieses Formblatt dem Patienten als
Kopie ausgehändigt wird.
Der NPM weist darauf hin, dass nach der Judikatur des EGMR jede Fesselung
an ein Krankenbett nur solange währen darf, als dies nach den Umständen
unabdingbar ist (EGMR 27.11.2003, Hénaf/Frankreich, Appl 65.436/01 Z 52).
Strenge Judikatur
Der NPM empfahl, ein Formblatt zur „Einschränkung der Bewegungsfreiheit“
zu erstellen. In dem Formblatt soll der anordnende Arzt angeleitet werden, den
Einzelfall bezüglich möglicher gelinderer Mittel näher zu beschreiben und anzuführen, welche schonenderen Maßnahmen erfolglos versucht wurden, um
diese zusätzliche Freiheitsbeschränkung zu verhindern. Auch diesbezüglich ist
auf die CPT-Standards zu verweisen, wonach eine Fixierung von Patienten nur
als „letzter Ausweg“ erfolgen soll.
Fixierung als ultima
Ratio
Das Formblatt soll weiters die Verpflichtung zur Dokumentation beinhalten,
allfällige Verletzungen des Patienten oder des Personals festzuhalten und damit nachvollziehbar zu machen.
Alternativen sind zu
dokumentieren
Hiezu teilte der Krankenanstaltenträger mit, dass das Intranet-Formblatt „Einschränkung der Bewegungsfreiheit“ derzeit TILAK-intern im Hinblick auf die
Elektronische-Krankengeschichte neu erarbeitet werde. Selbstverständlich wird
dieses Formular auch auf der Station A6 verwendet. Es soll inhaltlich auch die
Erwähnung von gelinderen Mitteln beinhalten.
Formblatt wird
überarbeitet
XX
Die Fesselung an ein Krankenbett ist nur zulässig, wenn dies aufgrund des
Krankheitsverlaufes unabdingbar ist.
XX
Die äußeren Umstände bei einer Fixierung dürfen für den Patienten nicht furchteinflößend
sein.
XX
Während der Dauer einer Fixierung ist diese Art der Anhaltung laufend zu hinterfragen.
XX
Vom NPM empfohlenes Formblatt zur „Einschränkung der Bewegungsfreiheit“ ist zu
erstellen.
Einzelfall: VA-BD-J/0844-B/1/2013
111
Justizanstalten
2.5.7
Korrekte Medikation? – Justizanstalt Garsten
Medikation hinterfragt
Die Kommission stellte im Sommer 2013 in der Justizanstalt Garsten fest, dass
am Tag ihres Besuches von den 64 Insassen im Maßnahmenvollzug 38 Personen Praxiten 50 mg erhielten. Diese Verordnung konnte ebenso wenig nachvollzogen werden wie die Ausfolgung des Depotantipsychotikums Zypadhera.
Beides wurde mit dem für die Anstalt tätigen Psychiater besprochen.
Chefärztin visitiert
Anstalt
Auf Empfehlung des NPM nahmen der zuständige Leiter der Fachabteilung
in der Vollzugsdirektion und die Chefärztin eine Nachschau vor. Gesondert
erörterten die Chefärztin und der in der Anstalt tätige Psychiater die von der
Kommission kritisierte Verordnung von Psychopharmaka. Wie der RH ebenfalls erhob (Bericht 2014/15 Punkt 15.3), kann künftig die Medikamentenverschreibung anhand der monatlichen Controllingberichte der Bundesrechenzentrum GmbH nachvollzogen werden.
Erhebungen vor Ort
Im vorliegenden Fall konnte sich die Chefärztin vergewissern, dass die Verordnung der Psychopharmaka auf Grundlage der konkret diagnostizierten psychiatrischen Krankheitsbilder gemäß ICD-10 erfolgte. Durch obligatorische
Verlaufskontrollen wird überprüft, ob die Medikamente ansprechen. Im Bedarfsfall werden Änderungen der Therapie vorgenommen.
Abschließendes
Gespräch mit
Psychiater
Die Verabreichung von Psychopharmaka durch den Psychiatrischen Dienst
in der Justizanstalt Garsten entspricht, so die Chefärztin, den Grundsätzen
der Evidence-based-Medicine und ist mit den zuständigen Fachgremien abgesprochen. Aus Sicht des Chefärztlichen Dienstes waren keine Missstände erkennbar. Dennoch geht der NPM davon aus, dass das mit dem Arzt geführte
Gespräch zur Sensibilisierung und zum Problembewusstsein beigetragen hat.
XX
Auffälligkeiten bei der Verordnung von Psychopharmaka können mithilfe des Controllingmoduls „Medikamentenverwaltung“ rasch erkannt werden.
XX
Die monatlich erscheinenden Berichte sind auf die Verschreibepraxis hin zu sichten.
XX
Gegebenenfalls hat der Chefärztliche Dienst den Anstaltsarzt um Aufklärung zu ersuchen.
Einzelfall: VA-BD-J/0695-B/1/2013 ; 0696-B/1/2013
2.5.8
112
Fehlende Ergotherapie im Maßnahmenvollzug –
Justizanstalt Garsten
Unzureichendes
Angebot
In Garsten wandte sich die Kommission nicht nur der Medikation zu, sondern
untersuchte auch das Betreuungsangebot. Die Kommission erachtete dabei
den Ausbau des Therapieprogramms, insbesondere die Einführung von Ergotherapie, für zielführend.
Fehlende Mittel
Hierzu hielt die Anstaltsleitung fest, dass es einen Therapiebetrieb erst seit diesem Jahr gebe. Die Kosten für einen Ergotherapeuten würden allerdings nicht
Justizanstalten
finanziert. Es komme zu keinen weiteren Personalaufnahmen und insbesondere zu keiner Ausweitung des Budgets, etwa für die von der Kommission vorgeschlagenen Mehrstunden für das psychiatrische Personal.
Das BMJ führte hierzu aus, dass ein „mehr als wünschenswertes“ Therapieangebot in Form ergotherapeutischer Betreuung als wesentliches Behandlungselement im Maßnahmenvollzug an den derzeitigen Budgetrestriktionen scheitere. Das dazu notwendige zusätzliche Betreuungspersonal könne
auch nicht über die Justizbetreuungsagentur aufgenommen werden. Zum Teil
könne dieses Leistungsspektrum durch einen zu Jahresbeginn eingerichteten
arbeitstherapeutischen Betrieb abgedeckt werden, indem einige Insassen mit
Bastelarbeiten beschäftigt werden.
Derzeit nur
Bastelgruppe
Der NPM gibt zu bedenken, dass es sich dabei nur um ein Provisorium handelt, das ein bestehendes Defizit abfedern, nicht jedoch ausgleichen kann.
Insbesondere gilt es sicherzustellen, dass mögliche Therapien nicht deshalb
unterbleiben, weil sie im Hinblick auf Aufwand und Kosten über das standardisierte Angebot der Anstalt hinausgehen, anderenfalls dem Individualisierungsgebot, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem Erkenntnis vom
4. Mai 2011 (= EuGRZ 2011, 297 ff.) zum Ausdruck bringt, nicht entsprochen
wird.
Bedürfnisentsprechende Tätigkeiten
XX
Zur staatlichen Fürsorgepflicht zählt das Angebot einer bestmöglichen individuellen
Betreuung des Insassen, mit dem Ziel, dessen spezifische Gefährlichkeit so rasch wie möglich
abzubauen.
XX
Ergotherapien dürfen dabei nicht fehlen.
Einzelfall: VA-BD-J/0696-B/1/2013
2.5.9
Ausstattung von Dreipersonenhafträumen – Justizanstalt
Linz
Im Spätsommer 2013 fiel der Kommission bei einem Besuch der Justizanstalt Linz auf, dass Dreipersonenhafträume durchwegs mit zwei Stockbetten
ausgestattet waren, was den Eindruck der Beengtheit in Verbindung mit der
Anordnung der Fenster, die keinen Ausblick ins Freie ermöglichen, besonders
verstärkte.
Zwei Stockbetten in
Drei-Personen-Zimmer
Laut Stellungnahme des BMJ gingen der Justizanstalt Linz durch die Errichtung einer Abteilung für weibliche Insassinnen 35 Haftplätze für männliche
Insassen verloren. Aus diesem Grund wurden in acht Dreipersonenhafträumen in der Abteilung 1 und in acht Dreipersonenhafträumen in der Abteilung
2 jeweils zwei Stockbetten aufgestellt (zuvor befand sich in diesen Hafträumen
je ein Stockbett und ein Einzelbett). Die Einzelbetten wurden vorübergehend
mittels Stecksystem zu Stockbetten umgebaut. Diese Hafträume weisen eine
Gesamtgröße von je 19,5 m2 bzw. 57,4 m3 auf. Die Vollzugsverwaltung ist nach
Maßgabe der faktischen Gegebenheiten (Belag) bestrebt, den ursprünglichen
Umbau bedingt
Zusammenlegung
113
Justizanstalten
Zustand in den Dreipersonenhafträumen mit je einem Stockbett und einem
Einzelbett wieder herzustellen.
Aus Sicht des NPM vermag der Verlust von Haftplätzen nicht zu rechtfertigen, dass in Dreipersonenhafträumen in der angegeben Größe jeweils zwei
Stockbetten aufgestellt werden. Auch wenn es die Größe des Raumes zulässt,
muss neben dem Platzangebot auch ausreichend natürliches Licht und Frischluftzufuhr gegeben sein; vgl. hiezu auch den Bericht des (CPT) zu Österreich
vom 15. bis 25.2.2009, GZ 311363/2009, CPT/Inf(2015)5. Überdies müssen die
Insassen die Möglichkeit haben, einen angemessenen Teil der Tageszeit außerhalb des Haftraums zu verbringen. Die Vorgangsweise vermag zwar vorübergehend sein, die Belegung des Haftraums mit vier Personen widerspricht
aber aufgrund der räumlichen Enge der Justizanstalt Linz einer angemessenen
Unterbringung.
XX
Die Ausstattung eines Dreipersonenhaftraums mit zwei Stockbetten ist wegen der möglichen
Überbelegung des Raumes zu vermeiden.
Einzelfall: VA-BD-J/0840-B/1/2013; BMJ-Pr10000/0049-Pr3/2014
2.5.10 Besonders gesicherte Hafträume in bedenklichem
Zustand – Justizanstalt Feldkirch, Außenstelle Dornbirn
Aufgelassener
Haftraum
In der Außenstelle Dornbirn der Justizanstalt Feldkirch wurden die Mitglieder
der Kommission auf zwei Absonderungsräume im Keller aufmerksam, welche
jedoch nach Auskunft des Kommandanten aktuell nicht mehr in Verwendung
stünden. Eine Absonderungszelle werde als Lagerung für Putzmittel verwendet.
Gefahrenquelle
Der Zustand der beiden besonders gesicherten Hafträume wurde von der Kommission als bedenklich gesehen. Es gibt viele Ecken und Kanten. Im Falle eines
Belages sei die Verletzungsgefahr groß.
Das BMJ führte dazu aus, in der Außenstelle gebe es nur Insassen im gelockerten Vollzug. Bei diesen wäre keine Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum zu befürchten. Außerdem sei dem StVG keine Verpflichtung zu entnehmen, wonach jede Anstalt über einen besonders gesicherten
Haftraum verfügen müsse.
MRB teilt Ansicht des
BMJ
Befasst mit der Frage, schloss sich der MRB der Ansicht des BMJ an. Sollte es
dennoch zu einem Vorfall kommen, könne der Insasse ohne Verzug in die
Hauptanstalt, erforderlichenfalls in ein nahe gelegenes Krankenhaus, überstellt werden.
Notwendige
Vorkehrungen
Angesichts dessen empfiehlt der NPM: Wenn besonders gesicherte Hafträume
nicht mehr als solche in Verwendung stehen und auch kein Bedarf für solche
Hafträume gesehen wird, so sind diese Räume für eine Unterbringung von Insassen untauglich zu machen (z.B. Entfernung des Türschlosses). Sodann sind
sie aus dem Haftraumplan zu streichen.
114
Justizanstalten
XX
Besonders gesicherte Hafträume, welche aufgrund ihrer Ausstattung nicht verwendet
werden, sind unbrauchbar zu machen.
XX
Anschließend ist der Raum aus dem Haftraumplan zu eliminieren.
Einzelfall: VA-BD-J/0632-B/1/2013, BMJ-Pr10000/0098-Pr3/2013
2.5.11 Fehlende sperrbare Spinde und zu große Tische –
Justizanstalt Sonnberg
In der Justizanstalt Sonnberg kritisierte die Kommission die hohe Zahl der
Mehrbetthafträume (bis zu fünf Betten), welche zum Teil zur Gänze belegt
sind. In diesen Hafträumen gibt es keine versperrbaren Spinde. Die Insassen
haben keine Rückzugsmöglichkeit und keine Möglichkeit der Sicherung privater Gegenstände. Übergriffe auf fremdes Eigentum würden begünstigt.
Mehrpersonenhafträume
Das BMJ räumte ein, dass im Altbau (dem historischen Teil des Schlosses)
Hafträume sind, die mit bis zu fünf Personen belegt werden. Die in diesem
Bereich untergebrachten Insassen haben den Vollzugsstatus „gelockerter Vollzug“. In diesen Wohngruppen sind die Haftraumtüren unversperrt. Dem kritisierten Mangel an Rückzugsmöglichkeiten stehen aber deutlich mehr Bewegungsmöglichkeiten der Insassen gegenüber.
Offener Vollzug gleicht
nicht alle Nachteile aus
Zwar mag es zutreffen, dass die Insassen grundsätzlich nicht im Besitz von
wertvollen Gegenständen sind. Diese bleiben als Depositen verwahrt. Dieser
Umstand spielt aber ebenso wenig eine Rolle wie jener, dass es in der Vergangenheit selten zu Diebstahlsanzeigen oder dahingehenden Vorwürfen gekommen ist.
Das Interesse insbesondere im gelockerten Vollzug, nicht um den Verbleib privater Gegenstände besorgt sein zu müssen, ist nachvollziehbar. Dass es aus
Gründen des budgetär verbunden Aufwands sowie der Sicherheit und Ordnung „nicht machbar“ sei, versperrbare Kästen zur Verfügung zu stellen, überzeugt demgegenüber nicht.
Sorge um privates
Eigentum
Der NPM empfiehlt, versperrbare Spinde anzuschaffen, die sich mittels Generalschlüssel von der Justizwache öffnen lassen. Derartige versperrbare Kästen
sollten insbesondere dort zur Verfügung stehen, wo aufgrund einer großen
Fluktuation privates Eigentum besonders gefährdet ist. Entsprochen würde damit auch einer Forderung, wie sie das CPT mehrfach geäußert hat (z.B. CPT/
Inf (2010) 33: „Lockable space for their personal belongings“).
Weiters kritisierte die Kommission, dass bei Tischbesuchen der Tisch viel zu
groß sei und eine Distanz schaffe, die fast ebenso markant sei wie bei der
Trennung durch eine Glasscheibe sei. Das BMJ verwies darauf, dass ein neues
Besucherzentrum errichtet werden soll.
zu großer Tisch
Auch diesbezüglich ist dem NPM nicht einsehbar, weshalb nicht durch einfache Verbesserungsmaßnahmen wie den Austausch eines zu langen Tisches,
einem bestehenden Defizit rasch abgeholfen wird.
115
Justizanstalten
XX
Der Nachteil durch Zuweisung in einem Mehrpersonenhaftraum kann durch Reduktion der
Einschlusszeiten gemindert werden.
XX
Umso wichtiger ist es in diesen Fällen, dass den Insassen abschließbare Kästen zur
Verfügung stehen.
XX
Zu große Tische lassen Berührungen bei Besuchen nicht zu. Sie sind auszutauschen.
Einzelfall: VA-BD-J/0337-B/1/2014, BMJ-Pr10000/0042-Pr 3/2014
2.5.12 Selbstmordgefährdeter Insasse im Einzelhaftraum –
Trotz Risiko in
Einzelhaft
Justizanstalt Leoben
In der Justizanstalt Leoben stieß die Kommission auf einen Untersuchungshäftling, der nach angedrohtem Suizid in einem Einzelhaftraum mit Echtzeitvideoüberwachung untergebracht war.
Der Mann leidet an einer psychischen Störung, welche eine Unterbringung
mit anderen Insassen nicht gestattet. Als der Insasse Selbstmordabsichten äußerte, wurde er für nahezu zwei Monate in einen Einzelhaftraum mit Echtzeitvideoüberwachung verlegt.
Procedere bei
Selbstmordgefahr
Mit Ausnahme von Göllersdorf wird derzeit in allen Anstalten ein Haftraumzuweisungsprogramm (VISCI – Viennese Instrument for Suicidality in Correctional Institutions) verwendet. Das Programm weist aus, ob die betreffende
Person suizidal (rot), geringfügig suizidal (orange) oder stabil (grün) ist. Ist die
Ampel auf „rot“, werden sofort Interventionen gesetzt. Eine Einzelunterbringung ist dann untersagt.
Eine andere Möglichkeit ist die Unterbringung in einem sogenannten „Listener-Haftraum“. Das heißt, ein vertrauenswürdiger und entsprechend geschulter Insasse wird mit dem suizidgefährdeten Häftling in einem Haftraum
untergebracht. Sind bereits suizidale Handlungen gesetzt worden oder liegt
sonst eine akute psychotische Phase mit Selbst-und/oder Fremdgefährdung
vor, kann eine vorübergehende Verlegung in einen videoüberwachten Sicherheitshaftraum gemäß § 103 Abs. 2 Z 4 StVG angeordnet werden. Binnen 24
Stunden ist der Gefährdete einem Facharzt für Psychiatrie vorzustellen, welcher über die weitere Anhaltung eine Empfehlung abgibt.
Im konkreten Fall wurde der Insasse in 14-tägigen Intervallen von einem
Facharzt für Psychiatrie untersucht und medikamentös behandelt. Die Selbstmordgefährdung konnte jedoch nicht aufgehoben werden. Erst nachdem der
Insasse gegen seine Anhaltung Vorbehalte angemeldet hatte, wurde ihm ein
anderer Einzelhaftraum ohne Videoüberwachung zugewiesen.
Durchgängige
Beobachtung nicht
gewährleistet
116
Der NPM kritisiert die Art und Dauer der Anhaltung in einem Einzelhaftraum.
Gegenständlich blieb die Selbstmordgefährdung nach Ansicht des Arztes aufrecht. Die VISCI-Einschätzung war auf „rot“. Damit erscheint die Anhaltung
Justizanstalten
in einem Einzelhaftraum, mag dieser auch videoüberwacht sein, nicht die geeignete Art der Unterbringung, um sicherzustellen, dass der selbstmordgefährdete Insasse über viele Wochen durchgängig beobachtet wird.
Kann hausintern der besonderen Fürsorgepflicht in diesen Situationen nicht
entsprochen werden, ist es geboten, den Insassen umgehend in eine psychiatrische Anstalt zu verlegen.
XX
Ein selbstmordgefährdeter Insasse darf nicht in einem Einzelhaftraum untergebracht
werden.
XX
Eine Videoüberwachung schließt nicht aus, dass sich der Gefährdete in einem
unbeobachteten Moment suizidiert.
Einzelfall: VA-BD-J/0241-B/1/2014, BMJ-Pr10000/0098-Pr3/2014
2.5.13 Mentale Hilfe nach Einsätzen bei Suiziden und
Suizidversuchen – Justizanstalt Göllersdorf
Aus Anlass des Ablebens eines Untergebrachten stattete die Kommission der
Justizanstalt Göllersdorf einen Besuch ab. Sie wandte sich dort insbesondere
der Frage zu, wie in Krisenfällen sowohl den Untergebrachten als auch dem
Personal Unterstützung angeboten werden kann. Dabei erneuerte die Kommission ihre Anregung, dass Mitarbeiter, die einen Suizidierten auffinden,
nicht nur eine Akutunterstützung nach dieser besonders belastenden Situation bekommen, sondern verpflichtend eine begleitende Supervision absolvieren sollen. Vielfach herrsche nämlich die Meinung, dass es ein Ausdruck des
Versagens sei, wenn man professionelle Begleitung benötige. Todesfälle würden vielfach verdrängt und mit lapidaren Hinweisen weggeredet.
Ängste oft verdrängt
Das BMJ nahm diese Kritik ernst und verwies auf einen Erlass aus dem Jahr
2001. Demnach ist u.a. nach Ereignissen mit letalen Folgen dem/der betroffenen Bediensteten innerhalb von 24 Stunden ein erster Betreuungskontakt,
binnen weiterer 48 Stunden ein zweites Betreuungsgespräch anzubieten. Die
zu derartigen Betreuungsangeboten einschlägig qualifizierten Bediensteten
(CISM-Betreuer) sind verpflichtet, diese Angebote an die Betroffenen aktiv
heranzutragen. Es ist gleichzeitig akkordierter Standard, dass für Zielpersonen keine Verpflichtung bestehen kann, derartige Betreuungsangebote in Anspruch zu nehmen. Die Teilnahme erfolgt ausschließlich auf freiwilliger Basis.
Weitere Betreuung auf ausschließliche Initiative des betroffenen Bediensteten
ist auch noch bis zu sechs Wochen nach dem Vorfall möglich.
Soforthilfeangebot
Diese an individuellen Bedürfnissen orientierte Vorgangsweise sei zweckmäßiger als eine flächendeckende Verpflichtung zur Teilnahme an einer Supervision. Die Erfahrung lehrt, dass die individuelle Verarbeitung belastender Ereignisse von Person zu Person äußerst unterschiedlich erfolgt und sich eine
verpflichtende bzw. aufoktroyierte standardisierte Bearbeitung belastender
Ereignisse somit weniger sinnvoll und bedarfsgerecht erweist als die derzeitige
Vorgangsweise.
Individuelle Betreuung
117
Justizanstalten
In der Justizanstalt Göllersdorf steht ein ausgebildeter CISM-Betreuer zur Verfügung. Dieser war aber zum Zeitpunkt des Vorfalls im Urlaub. Die Nachbetreuung eines betroffenen Bediensteten der Justizanstalt Göllersdorf wurde
ersatzweise vom CISM-Betreuer der Justizanstalt Wien-Josefstadt wahrgenommen, was mit einer geringen Verzögerung einherging.
Aufklärung soll helfen,
Vorurteile abzubauen
Das BMJ versicherte, dass es ihm ein Anliegen sei, allfälligen Vorbehalten Bediensteter gegenüber Betreuungsmaßnahmen durch entsprechende Aufklärungsarbeit zu begegnen. Zu diesem Zweck wurde im Jahr 2012 die Suizidprävention im Allgemeinen mit einem einschlägigen Erlass neuerlich thematisiert. Im März 2013 fanden zwei Fachseminare zur Suizidprävention statt.
Nachbetreuung für alle
Betroffenen
Der NPM empfahl eine Folgeveranstaltung noch in diesem Jahr, was aufgegriffen wurde. Gegenstand der Veranstaltung waren Nachbetreuungsangebote
für Bedienstete und betroffene Insassen. Nachbetreuungsangebote für Insassen und Patienten wird es künftig in jedem Fall geben.
XX
Die Konfrontation mit Suiziden führt oft lange danach zu Belastungsstörungen, die durch
Maßnahmen des Dienstgebers zu minimieren sind.
XX
Die Justizverwaltung hat alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Inanspruchnahme
von psychotherapeutischer Hilfe nicht als Schwäche erscheinen zu lassen.
Einzelfall: VA-BD-J/0092-B/1/2014, BMJ-Pr10000/0011-Pr 3/2014
2.5.14 Barscher Umgangston – Justizanstalt Wien-Josefstadt
Beschimpfungen und
Verspotten
Bei ihrem Besuch im Juli 2014 musste die Kommission in der Justizanstalt
Wien-Josefstadt feststellen, dass in der Abteilung C 2 ein barscher Umgangston herrscht. Insassen beklagten zudem, dass sich Justizwachebeamte ihnen
gegenüber sehr unfreundlich verhalten. Die Häftlinge schilderten, dass sie
von einem Stockbeamten mehrfach beschimpft und durch das Nachäffen von
Tierlauten erniedrigt wurden.
Der NPM empfahl der Anstaltsleitung eine sofortige entsprechende Belehrung
des/der Beamten, die auch erfolgte.
Korrekter Umgang als
gesetzliches Gebot
Gemäß § 22 StVG sind die Gefangenen mit Ruhe, Ernst sowie unter Achtung
ihres Ehrgefühls und der Menschenwürde zu behandeln. Verletzende oder herablassende Umgangsart und Formulierungen sind verboten und werden vom
NPM auf das Schärfste verurteilt.
Die Professionalität des Gefängnispersonals erfordert, dass es in der Lage ist,
mit Gefangenen in einer annehmbaren und menschlichen Weise umzugehen
und gleichzeitig auf Fragen der Sicherheit und Ordnung zu achten. In dieser
Hinsicht sollte die Anstaltsleitung das Personal ermutigen, ein vernünftiges
Maß an Vertrauen und Erwartung zu haben, dass die Gefangenen gewillt sind,
sich korrekt zu benehmen. [Auszug aus dem 11. Jahresbericht [CPT/Inf (2001)
16].
118
Justizanstalten
XX
Herablassender und beleidigender Umgangston verletzt die Menschenwürde.
XX
Korrekte Umgangsformen sind nicht nur gesetzlich geboten. Sie sollten eine Selbstverständlichkeit sein.
Einzelfall: VA-BD-J/0760-B/1/2013, BMJ-99003612/0007-Pr3/2014
2.5.15 Bilder von unbekleideten Frauen im Dienstzimmer –
Justizanstalt Stein
Im Mai 2014 fiel der Kommission anlässlich eines Besuchs der Justizanstalt
Stein auf, dass in einem Dienstzimmer Lichtbildaufnahmen von unbekleideten Frauen hängen.
Anstößige Fotos im
Dienstzimmer
Der NPM forderte das sofortige Entfernen dieser Bilder, da sich weibliche Justizwachebeamtinnen durch die herabwürdigende oder verletzende Darstellungen sexuell belästigt fühlen könnten.
Die kompromittierenden Bilder im Dienstzimmer wurden unverzüglich entfernt und der Anstaltsleiter angewiesen, dafür Sorge zu tragen, dass derartige
Bilder im gesamten Anstaltsbereich keinesfalls mehr aufgehängt werden.
Die Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz ist zu schützen. Verhaltensweisen, welche die Würde des Menschen verletzen, einschränken oder dies
bezwecken, insbesondere herabwürdigende oder verletzende Äußerungen und
aufreizende Darstellungen (Poster, Kalender, Bildschirmschoner usw.), sind zu
unterlassen. Mit dem Tatbestand der sexuellen Belästigung ist nicht nur der
Schutz der körperlichen Integrität vor unerwünschten sexuellen Handlungen,
sondern auch die psychische Verletzbarkeit gemeint. Folglich kann das Anbringen von Bildern von unbekleideten Frauen im Dienstzimmer eine sexuelle
Belästigung darstellen.
Sexuelle Belästigung
XX
Sexuelle Belästigung verletzt die Menschenwürde. Ebenso inakzeptabel sind herabwürdigende oder verletzende Äußerungen und Darstellungen, die daher zu vermeiden sind.
XX
Der Dienstgeber hat dafür Sorge zu tragen, dass die geschlechtliche Selbstbestimmung,
sexuelle Integrität und Intimsphäre der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht
gefährdet wird.
XX
Dementsprechend hat er sicherzustellen, dass keine Bilder von unbekleideten Frauen in
Dienstzimmern angebracht werden.
Einzelfall: VA-BD-J/0696-B/1/2014, BMJ-Pr10000/0059-Pr3/2014
2.5.16 Positive Feststellungen
Vorbildhaftes Verhalten eines Beamten – Justizanstalt Stein, Außenstelle Oberfucha
Acht Justizwachebeamte und 29 männliche Häftlinge. Das ist die Belegung in
der Außenstelle Oberfucha nahe Krems. Die Hafträume sind sparsam, abge-
Gutes Betriebsklima
trotz abgewohnter
Räumlichkeiten
119
Justizanstalten
wohnt und eng. Allerdings besteht die Möglichkeit zur individuellen Gestaltung und provisorischen Raumteilung. Die räumliche Beengtheit wird kompensiert durch eine große Bewegungsfreiheit untertags.
Respektvoller Umgang
Der Umgangston mit den Häftlingen und die Rücksichtnahme auf persönliche
Gegebenheiten erscheinen vorbildlich. Der Ton ist wertschätzend, die Insassen
werden mit Respekt behandelt. Diesen Eindruck konnte die Kommission bei
ihrem Besuch im August 2014 in der Justizanstalt gewinnen.
Best Practice
Oberfucha liefert damit den Beweis dafür, wie offener Strafvollzug funktionieren kann. Wie gut trotz unterschiedlicher Rollen das Zusammenleben von
Justizwache und Insassen funktioniert, zeigte sich an einem Einzelfall. Am Tag
vor dem Kommissionsbesuch klagte ein Insasse über starke Zahnschmerzen.
Da der Zahnarzt auf Urlaub war, fuhr der diensthabende Beamte mit dem
Häftling am nächsten Tag zu einem Zahnarzt nach Herzogenburg. Es habe
nur einer Überweisung aus der Zentralanstalt bedurft, dann sei er gefahren. Er
würde es von sich auch „nicht erwarten“, das Wochenende mit Zahnschmerzen zu verbringen. Daher sei ihm klar gewesen, dass er mit dem Insassen zum
Arzt fahre.
Beispielwirkung wichtig
Für den NPM ist dies ein Beispiel von „Best Practice“. Das BMJ wurde um Weitergabe dieser positiven Rückmeldung an den betreffenden Justizwachebediensteten ersucht.
Auch im Zuge von Vorträgen, die Vertreter des NPM gehalten haben, wurde
die Einstellung des Beamten als vorbildlich hervorgehoben.
XX
Persönliches Engagement und wertschätzender Umgang mit den Insassen sind unverzichtbarer Teil eines menschlichen Strafvollzuges.
XX
Die Vollzugsverwaltung sollte vorbildliches Verhalten honorieren.
Einzelfall: VA-BD-J/0883-B/1/2014; BMJ-Pr10000/0082-Pr3/2014
120
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen
2.6
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und
Kasernen
2.6.1Einleitung
Im Berichtsjahr führten die Kommissionen 65 Besuche in Polizeieinrichtungen
durch. Dabei entfielen 24 Besuche auf Polizeianhaltezentren (PAZ) einschließlich Anhaltezentren (AHZ), 39 Besuche auf Polizeiinspektionen (PI) und zwei
Besuche auf sonstige Dienststellen. Während einige aufgezeigte Mängel nur
einzelne Einrichtungen betrafen, brachten gleichartige Feststellungen und
Wahrnehmungen der Kommissionen auch systematische Schwachstellen der
Anhaltebedingungen im Polizeibereich zutage.
65 Besuche in
Polizeieinrichtungen
In vielen Fällen konnten die Einrichtungsleitungen weniger gravierende Defizite bereits im Anschluss an die Abschlussgespräche mit den Kommissionen
beheben. Positiv ist auch die Kooperationsbereitschaft des BMI, gemeinsam
mit dem NPM Lösungen für strukturell bedingte Probleme zu erarbeiten. Hingegen scheiterte die Umsetzung von Vorschlägen des NPM teilweise – wie bereits im Vorjahr – an der finanziellen und personellen Ressourcenknappheit
der verantwortlichen Behörden.
In Kasernen führten die Kommissionen fünf Besuche durch.
2.6.2
5 Kasernenbesuche
Systembedingte Problemfelder – Polizeianhaltezentren
2.6.2.1 Arbeitsgruppe erzielt erste Ergebnisse
Im PB 2012 (S. 49 f.) und im PB 2013 (S. 92 ff.) berichtete der NPM über strukturelle Mängel der Lebens- und Aufenthaltsbedingungen in PAZ. Im Zuge
eines bereits im Jahr 2012 eingeleiteten Prüfverfahrens über die Anhaltebedingungen in PAZ unterbreitete der NPM dem BMI zahlreiche Vorschläge zur
Verbesserung der Situation.
So prüfte das BMI etwa – einer Anregung des NPM folgend – die Informationsblätter für Häftlinge auf ihre leichtere Verständlichkeit hin und überarbeitete diese inhaltlich. Nach einem regen schriftlichen Austausch zwischen NPM
und BMI machte das BMI den Vorschlag zur Einsetzung einer Arbeitsgruppe.
Bereits seit März 2014 erörtern Vertreterinnen und Vertreter des BMI sowie des
NPM gemeinsam ausgewählte Themen, die bisher noch keiner befriedigenden
Lösung zugeführt werden konnten.
PAZ dienen grundsätzlich der Anhaltung von Menschen in Schubhaft, Verwahrungs- und Verwaltungsstrafhaft. Am Beginn der Arbeitsgruppe berichtete
das BMI über die Einführung eines neuen Konzepts für den Vollzug der Schubhaft. Seit Jahresbeginn 2014 bestehen demnach drei Kategorien von PAZ. In
PAZ der Kategorie 1 wird keine Schubhaft mehr vollzogen. In PAZ der Kategorie 2 soll Schubhaft nur noch bis zu sieben Tagen vollzogen werden. Dies
Gesamtkonzept
Schubhaft
121
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen
betrifft die PAZ Eisenstadt, Klagenfurt, Linz, Graz, Innsbruck und Bludenz. PAZ
der Kategorie 3 sind dem längerfristigen Schubhaftvollzug (mehr als sieben
Tage) gewidmet. Darunter fallen die PAZ Wien und Sbg sowie das neue AHZ
Vordernberg, wobei letzteres ausschließlich dem Schubhaftvollzug dient (vgl.
dazu auch PB 2014, S. 130 ff.). Die ehemaligen PAZ Leoben und Schwechat
werden mittlerweile nur noch als Verwahrungsräumlichkeiten für kurzfristige
Anhaltungen genutzt. Durch die Reduzierung des Schubhaftvollzugs auf weniger Standorte erhofft sich das BMI eine generelle Verbesserung der Anhaltebedingungen.
Standards für
Einzelzellen
Ausführlich beschäftigte sich die Arbeitsgruppe mit der Vollziehung von Einzelhaft, soweit diese als besondere Sicherheitsmaßnahme angeordnet wird.
Die Arbeitsgruppe legte einheitliche Standards für die Anhaltung in Einzelhafträumen fest. Dazu zählen besonders gesicherte Hafträume gemäß Anhalteordnung, d.h. geflieste Sicherungszellen, gepolsterte bzw. gummierte Sicherungszellen und sonstige Einzelzellen. Zukünftig soll jedes PAZ – neben
Gemeinschaftszellen – über alle drei Arten von Einzelzellen verfügen. Die Anhaltung in diesen Zellen (anstelle der regulären Anhaltung in Gemeinschaftshaft) hat unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips nur in Ausnahmefällen und so kurz wie möglich zu erfolgen.
Hinsichtlich folgender Kriterien formulierte die Arbeitsgruppe spezifische Standards für die genannten Einzelhafträume: Benutzung, Beleuchtung, Belüftung, Rufmöglichkeit, Ausstattung, technische und persönliche Überwachung
der Zellen sowie Dokumentation. Die Bedenken des NPM an der Videoüberwachung von Toilettenbereichen in Sicherungszellen (vgl. dazu PB 2013, S.
102) räumte das BMI dadurch aus, dass die Bildgebung dieser Zellenbereiche
inzwischen technisch oder mechanisch unkenntlich gemacht wurde. Damit
kann sowohl dem Interesse an der Aufrechterhaltung der Sicherheit als auch
dem Interesse an der Wahrung der Intimsphäre der Häftlinge ausreichend
Rechnung getragen werden. Langfristig soll die Videoüberwachung von Sicherungszellen in allen PAZ lichtquellenunabhängig mittels Infrarotkameras und
undeutlicher (verpixelter) Übertragung der Toilettenbereiche erfolgen.
Offener
Schubhaftvollzug
Ein Durchbruch gelang aus Sicht des NPM in Bezug auf die Praxis des Schubhaftvollzugs. Die Arbeitsgruppe kam überein, dass der generelle Standard für
den Vollzug der Schubhaft der offene Vollzug sein soll. Schubhäftlinge sind
demnach – nach Durchführung einer ärztlichen Untersuchung und einer allfälligen Einvernahme durch die zuständige Behörde – längstens binnen 48
Stunden nach Einlieferung in ein PAZ oder AHZ im offenen Vollzug unterzubringen. Als Ziel formulierte die Arbeitsgruppe die Vereinheitlichung und Ausdehnung der Öffnungszeiten aller offenen Stationen von täglich 8 bis 21 Uhr.
Einvernehmlich legte die Arbeitsgruppe auch die künftig geltenden Ausschlusskriterien für den Vollzug der Schubhaft auf offenen Stationen fest. Darunter
fallen etwa Selbst- und Fremdgefährdung des Häftlings, mangelnde Gruppenfähigkeit, die gesundheitliche Gefährdung anderer oder hygienische Gründe.
122
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen
Die Arbeitsgruppe betonte, dass der mögliche Ausschluss eines Schubhäftlings
von der offenen Station bei Hungerstreik keine Disziplinarmaßnahme sein
soll, sondern der intensiveren therapeutischen und medizinischen Betreuung
Hungerstreikender dient. Diesbezüglich skizzierte sie sowohl Kriterien für die
notwendige Verlegung eines Schubhäftlings bei Hungerstreik als auch für die
weitere Vorgehensweise und Betreuung. Wichtig erschien der Arbeitsgruppe
dabei der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zwischen Hungerstreikenden
und externen – d.h. nicht in einem Dienstverhältnis zum BMI stehenden –
Ärztinnen bzw. Ärzten.
In der mangelnden Fachausbildung der in PAZ tätigen Bediensteten sah der
NPM stets ein gravierendes strukturelles Manko. Umso erfreulicher ist es, dass
das BMI nun zusagte, einen Basisausbildungslehrgang zu implementieren,
den künftig alle Exekutivbediensteten absolvieren müssen, die in PAZ eingesetzt werden. Diese Grundausbildung soll den in PAZ tätigen Bediensteten
jene fachlichen, persönlichen und sozialen Kompetenzen vermitteln, die zu
einer qualitativ hochwertigen Aufgabenerfüllung im Bereich des polizeilichen
Anhaltewesens erforderlich sind. Voraussichtlich wird die Grundausbildung
einen theoretischen Teil im Ausmaß von drei Wochen und einen praktischen
Teil im Ausmaß von einer Woche umfassen. Im Rahmen der Arbeitsgruppe
sollen sowohl die Organisation als auch die Inhalte der Schulungen weiter
erörtert werden. Der NPM regte diesbezüglich etwa an, die Themen Suizidprävention und Umgang mit psychisch auffälligen Personen in die Grundausbildung einfließen zu lassen.
Ausbildung des
Personals
Weitere für die Arbeitsgruppe vorgesehene Themen wie die Verbesserung der
Arbeits- und Beschäftigungsangebote für Häftlinge sowie die Schaffung alternativer Besuchsmodalitäten (verstärkter Tischbesuch) und die generelle Ausdehnung der Besuchszeiten in PAZ konnten bis zu Redaktionsschluss dieses
Berichts noch keiner abschließenden Lösung zugeführt werden.
Aus Sicht des NPM hat sich die gemeinsame Erarbeitung von Lösungen für
komplexe und teilweise bereits über viele Jahre bestehende Probleme gut bewährt. Die Arbeitsgruppe wird ihre Tätigkeit daher im Jahr 2015 fortsetzen.
Einen konkreten Zeitpunkt für die vollständige Umsetzung der von der Arbeitsgruppe festgelegten Standards konnte das BMI noch nicht nennen, da einer
Implementierung dieser neuen Standards sowohl Änderungen der Anhalteordnung als auch bauliche und organisatorische Änderungen voranzugehen
haben.
Fortsetzung der
Arbeitsgruppe
Einzelfall: VA-BD-I/0510-C/1/2012, BMI-LR1600/0034-III/10/2014
2.6.2.2 Mangelhafte Begründung bei Verbringung von Häftlingen in
Sicherungszellen
Aus Anlass von Besuchen im PAZ Linz und im PAZ Steyr stellte die Kommission im Berichtszeitraum mehrfach gravierende Defizite der Dokumentation
Wiederholte Kritik an
Begründungsmängeln
123
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen
bzw. der Begründung bei Verbringung von Häftlingen in besonders gesicherte Hafträume (Sicherungszellen) fest. In der Dokumentation fand sich in vielen Fällen entweder eine mangelhafte oder keine Begründung, ob die in der
Anhalteordnung genannten Voraussetzungen für die Unterbringung in einer
besonders gesicherten Zelle vorlagen. In Kritik zog die Kommission teilweise
auch gravierende Abweichungen der ärztlichen Dokumentation von der Maßnahmendokumentation.
Dies ist jedoch in Hinblick auf das verfassungsgesetzlich garantierte Recht auf
persönliche Freiheit höchst bedenklich, da nur das absolut notwendige Maß
einer Freiheitsentziehung zulässig ist und Haftverschärfungen nicht ohne nähere Begründung vorgenommen werden dürfen. Der NPM erachtet es daher
für unbedingt erforderlich, ein besonderes Maß an Sorgfalt bei der Begründung für die Verlegung von Häftlingen in besonders gesicherte Zellen anzuwenden.
Für die Kommission war auffällig, dass Unterbringungen in besonders gesicherten Zellen häufig aufgrund von befürchteter Selbstgefährdung der Häftlinge und/oder Sachbeschädigung erfolgten. In diesem Zusammenhang ist
auch der Umgang mit stark alkoholisierten, substanzbeeinträchtigten und
psychisch auffälligen Personen zu hinterfragen. Der Alkoholrausch sowie ein
Erregungszustand bei Alkoholisierung sind psychische Störbilder. Die Behandlung der davon betroffenen Personen sollte dementsprechend in der Kompetenz einer dafür spezialisierten Fachklinik liegen.
Eine von Amtsärztinnen und Amtsärzten empfohlene engmaschige Observanz
in einer besonders gesicherten Zelle kann nicht eine notwendige kompetente
fachspezifische Diagnostik und Behandlung des Krankheitsbildes ersetzen. Die
Unterlassung einer medizinischen Betreuung ist in diesen Fällen in Hinblick
auf die besondere Fürsorgepflicht des Staates bei Freiheitsentziehungen problematisch. Zudem wäre in solchen Fällen das vom CPT geforderte Prinzip der
gleichwertigen Gesundheitsfürsorge verletzt (vgl. CPT Standards, S. 94 Rz 32).
Strenge Anforderungen
an die Dokumentation
Auf Basis der Feststellungen der Kommission erging das Ersuchen an das BMI,
seinen Dienststellen nachdrücklich in Erinnerung zu rufen, dass das Vorliegen eines in der Anhalteordnung genannten Grundes für die Unterbringung
in einer besonders gesicherten Zelle in jedem Einzelfall genau, sorgfältig und
nachvollziehbar zu dokumentieren ist. Weiters erschien dem NPM eine Sensibilisierung dahingehend geboten, dass bei befürchteter Selbstgefährdung
und/oder Sachbeschädigung sowie beim Umgang mit stark alkoholisierten,
substanzbeeinträchtigten und psychisch auffälligen Personen bei Bedarf eine
kompetente fachspezifische Diagnostik und Behandlung zu gewährleisten ist.
BMI veranlasst
Schulungen
In Reaktion auf die Kritik des NPM veranlasste das BMI eine Sensibilisierung
der in oberösterreichischen PAZ tätigen Bediensteten hinsichtlich der schriftlichen Begründung bei Verlegung von Häftlingen in besonders gesicherte Zellen
sowie hinsichtlich der Gewährleistung einer medizinischen Betreuung dieser
Personen. Laut BMI habe im Juni 2014 eine Besprechung der LPD OÖ mit den
124
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen
Kommandanten der PAZ Linz, Wels und Steyr stattgefunden. Im Juli 2014 sei
eine entsprechende Schulung ausgewählter Bediensteter dieser PAZ erfolgt. Inzwischen hätten sich sämtliche Bedienstete in oberösterreichischen PAZ einer
solchen Schulung unterzogen.
Der NPM wertet diese Schulungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen als wichtigen Schritt, damit die rechtlichen Vorgaben für die Anhaltung von Häftlingen in besonders gesicherten Hafträumen sowie deren Dokumentation künftig
beachtet werden. Es bleibt zu hoffen, dass die bereits ergriffenen Maßnahmen
eine nachhaltige Qualitätssteigerung der Begründung und Dokumentation
bei Unterbringung von Häftlingen in Sicherungszellen bewirken werden.
Bezüglich der Frage der Haftfähigkeit bei Suchtmittelbeeinträchtigung unterbreitete der NPM bereits im Jahr 2012 den Vorschlag, die Unterbringung von
alkoholisierten, substanzbeeinträchtigten, psychisch auffälligen und selbstgefährdeten Personen in besonders gesicherten Zellen grundlegend zu überdenken. Das BMI kündigte an, eine Richtlinie über die wünschenswerte Vorgangsweise auszuarbeiten, sodass die notwendige Gesundheitsversorgung solcher
Personen künftig adäquat berücksichtigt wird. Leider konnte das BMI seine
Ankündigung bisher nicht umsetzen. Begründend führte es aus, dass die Ausarbeitung einer entsprechenden Handlungsanleitung in engem Zusammenhang mit der Überarbeitung der Richtlinie für den polizeiärztlichen Dienst
und der Anhalteordnung stehe.
Substanzbeeinträchtigte und
psychisch
auffällige Personen
Die derzeitige Praxis zeigt jedoch, dass das BMI dringend Überlegungen zum
Umgang mit alkoholisierten, substanzbeeinträchtigten, psychisch auffälligen
und selbstgefährdeten Häftlingen anstellen sollte. Die Erarbeitung von Kriterien für eine medizinisch notwendige Überstellung in Fachkliniken anstelle der
Unterbringung in besonders gesicherten Zellen könnte die Risiken einer mit
etwaigen Fehlentscheidungen einhergehenden gesundheitlichen Gefährdung
dieser besonders verletzlichen Personengruppe minimieren. Der NPM wird daher weiterhin auf eine Lösung dringen.
Ausarbeitung einer
Handlungsanleitung
ausständig
XX
Der Grund für die Unterbringung in einer besonders gesicherten Zelle gemäß
Anhalteordnung ist in jedem Einzelfall zu dokumentieren.
XX
Es ist eine Richtlinie auszuarbeiten, die die Gesundheitsversorgung von alkoholisierten,
substanzbeeinträchtigten, psychisch auffälligen und selbstgefährdeten Personen
berücksichtigt.
Einzelfälle: VA-BD-I/0402-C/1/2013, BMI-LR1600/0126-III/10/2013; VA-BDI/0167-C/1/2014, BMI-LR1600/0095-III/10/2014; VA-BD-I/0224-C/1/2014,
BMI-LR1600/0084-III/10/2014;
2.6.2.3 Unzureichende Abtrennung der WC-Bereiche in
Mehrpersonenzellen
Im Zuge ihrer Besuche im PAZ Sbg kritisierte die Kommission, dass der Sanitärbereich in den Zweipersonenzellen lediglich durch eine Trennwand vom rest-
Zweipersonenzellen im
PAZ Sbg
125
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen
lichen Zellenbereich getrennt ist, sodass seitlich in den Sanitärbereich eingesehen werden kann. Die nur teilweise Abmauerung von WC-Bereichen (ohne
Türen) erachtete die Kommission deshalb für problematisch, weil nicht auszuschließen ist, dass ein Häftling während der Verrichtung der Notdurft von
einem Mithäftling und möglicherweise auch vom Wachpersonal beobachtet
werden kann. Dies würde das Recht auf Privat- und Intimsphäre erheblich
verletzen.
Diesbezüglich legte das BMI dar, dass ein Umbau von 43 Zellen im PAZ Sbg
(jeweils Errichtung einer Wand, Einbau einer Türe sowie anschließende Bodenleger- und Malerarbeiten) budgetär nicht realisierbar sei. Falls ein Häftling seine Privatsphäre als gefährdet erachte, bestehe aber die Möglichkeit,
dass dieser auf seinen ausdrücklichen Wunsch und bei freien Kapazitäten eine
Zweipersonenzelle alleine benützen könne. Das BMI betonte, dass das PAZ
den Wünschen der Häftlinge bezüglich der Alleinbenützung einer Mehrpersonenzelle grundsätzlich immer entspreche, sofern es die Belagszahl des PAZ Sbg
zulasse und nicht andere Gründe dagegen sprechen würden.
Achtpersonenzelle im
PAZ Steyr
Auch im PAZ Steyr musste die Kommission feststellen, dass das WC in einer
zum Besuchszeitpunkt mit sechs Verwaltungsstrafhäftlingen belegten Zelle
nicht nach allen Seiten hin abgemauert ist. Zwar ist die Häftlingstoilette in der
Achtpersonenzelle des zweiten Obergeschoßes rundherum abgemauert und
mit einer Türe versehen, nach oben hin jedoch offen. Für die Häftlinge ist es
entwürdigend und erniedrigend, die Notdurft derart zu verrichten, da sie die
Mithäftlinge unmittelbar mit Gerüchen und bzw. oder Geräuschen konfrontieren. Der NPM ersuchte das BMI daher, so rasch wie möglich die erforderlichen
baulichen Maßnahmen zu ergreifen, um das WC auch nach oben hin vom
Rest des Zellenbereichs abzutrennen.
Die Anregung des NPM, die WC-Wand bis zur Deckenhöhe zu schließen, lehnte das BMI ab. Einerseits wäre durch eine solche bauliche Maßnahme keine
Be- und Entlüftung der WC-Bereiche möglich. Andererseits wäre die Implementierung einer Wanderhöhung in die historische Deckenkonstruktion des
PAZ Steyr zu teuer. Die räumlichen Ressourcen des PAZ Steyr würden es auch
nicht zulassen, dass die gegenständliche Zelle nicht durch mehr als eine Person belegt werde.
Das PAZ Steyr habe allerdings zugesichert, dass die Zelle in Zukunft nur mehr
mit maximal sechs Personen belegt werden soll. Zudem bestehe die Möglichkeit, dass eine Person auf ihren Wunsch und bei entsprechenden Ressourcen in
eine Einzelzelle bzw. Mehrpersonenzelle zur alleinigen Benützung verlegt werden könne. Sofern von einem Häftling der Wunsch geäußert werde, in einer
Zelle allein sein zu wollen und ein derartiger Haftraum frei sei, werde diesem
Wunsch entsprochen. Die Generalsanierung des PAZ Linz stehe dabei im besonderen Fokus, zumal die meisten Anhaltungen im Zentralraum Linz stattfinden würden. Die Schließung anderer Verwahrungsräume, insbesondere des
PAZ Steyr, sei nach einer Generalsanierung des PAZ Linz angedacht.
126
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen
Der NPM begrüßt grundsätzlich die vom BMI ins Treffen geführte Möglichkeit
eines Häftlings, auf seinen ausdrücklichen Wunsch und bei freien Kapazitäten
eine Mehrpersonenzelle allein zu benützen. Dies ändert jedoch nichts daran,
dass die nur teilweise vorhandene Abtrennung der WC-Bereiche in Mehrpersonenzellen den vom CPT erarbeiteten Standards nicht vollständig entspricht
(CPT-Standards S. 18 Rz 49; Finnland-Bericht vom 11.05.1999, Abs. 72, 73).
In mehrfach belegten Zellen sollten Toiletten unbedingt nach allen Seiten hin
abgemauert sein. Die baulichen Mängel der WC-Bereiche, die das BMI vorwiegend aus budgetären Gründen nicht zu beheben beabsichtigt, führen zu einer
(potenziellen) Verletzung der Intimsphäre der Betroffenen und waren daher
Verletzung der
Intimsphäre
vom NPM zu beanstanden. Auch die derzeit mögliche Zuweisung einer Mehrpersonenzelle an Einzelpersonen kann nur eine Übergangslösung darstellen,
welche die Ursache des Problems nicht beseitigt. Dazu kommt, dass es in der
Kommunikation mit fremdsprachigen Menschen – auch bei entsprechendem
Bemühen – Missverständnissen geben und nur unzureichend sichergestellt
werden kann, dass die Betroffenen über eine mögliche alleinige Benützung
von Mehrpersonenzellen Kenntnis erlangen.
Der Belag im PAZ Sbg und im PAZ Steyr kann sich auch rasch verändern und
damit käme die Grundproblematik der mangelnden Wahrung der Intimsphäre der Betroffenen voll zum Tragen. Zudem lassen es die räumlichen Ressourcen des PAZ Steyr offenbar schon derzeit nicht zu, dass die gegenständliche
Zelle nur mehr durch eine Person belegt wird. Da jedem einzelnen Häftling
ein Recht auf Wahrung seiner Intimsphäre zukommt, kann auch die seitens
des BMI zugesicherte Belegung der in Rede stehenden Achtpersonenzelle mit
„nur“ sechs Personen die Bedenken des NPM nicht auszuräumen.
Auch im PAZ Graz rügte der NPM bereits mehrfach, dass die Toiletten in Mehr-
Hafträume im PAZ Graz
personenzellen nur durch eine nicht durchgängig geschlossene Türe vom restlichen Haftraum abgetrennt sind. Das BMI erwog zwar eine vollständige Verblendung der Nassbereiche. Bisher erfolgte jedoch keine bauliche Umsetzung.
Zuletzt teilte das BMI mit, dass das Ressort Angebote zur Abtrennung der Toilettenbereiche bis zur Raumdecke eingeholt habe. Da die Angebote jedoch
nachgebessert werden müssten, konnte das BMI keinen genauen Zeitpunkt für
eine Umsetzung der baulichen Maßnahmen nennen. Der NPM begrüßt das
Tätigwerden des BMI und wird die Realisierung der baulichen Maßnahmen
weiter verfolgen.
Im PAZ Linz sind die Toiletten in manchen Zellen ebenfalls nicht (vollständig)
abgemauert. Teilweise existiert nicht einmal ein Vorhang als Sichtschutz. In
diesem Fall versicherte das BMI jedoch, dass in Hafträumen, in denen das WC
nicht abgemauert ist, bis zu einer baulichen Adaptierung keine Mehrfachbele-
keine Beanstandung im
PAZ Linz
gung erfolgt. Eine Beanstandung des NPM konnte aufgrund dieser Zusage des
BMI (vorerst) unterbleiben.
127
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen
XX
Die WC-Bereiche in den Zweipersonenzellen des PAZ Sbg sind baulich abzutrennen.
XX
Der WC-Bereich in der Achtpersonenzelle des PAZ Steyr ist baulich abzutrennen.
XX
Die WC-Bereiche in den Mehrpersonenzellen des PAZ Graz sind baulich abzutrennen.
XX
Mehrpersonenzellen des PAZ Linz ohne (vollständig) abgemauerten WC-Bereich sind bis zu
einem Umbau nicht mit mehreren Häftlingen zu belegen.
Einzelfälle: VA-BD-I/0402-C/1/2013, BMI-LR1600/0126-III/10/2013; VA BDI/0501-C/1/2013, BMI LR1600/0029-III/10/2014; VA BD I/0167 C/1/2014,
BMI-LR1600/0095-III/10/2014; VA BD I/0676 C/1/2014, BMI-LR1600/0104III/10/2014;
2.6.2.4 Verständigung bei medizinischen Untersuchungen
Gute Sprachkenntnisse
unerlässlich
Im Zuge eines Besuchs im PAZ Innsbruck beschäftigte sich die Kommission intensiv mit der Verständigung zwischen Ärztinnen bzw. Ärzten und Häftlingen.
Den Empfehlungen des CPT zufolge sollte in Hafteinrichtungen dem physischen und psychischen Zustand von Häftlingen besondere Aufmerksamkeit
geschenkt werden.
Für eine fachgerechte Beurteilung des gesundheitlichen Zustandes ist vor allem eine gute Verständigung zwischen Ärztinnen bzw. Ärzten und Häftlingen notwendig. Vor allem die Beurteilung der psychischen Befindlichkeit eines Häftlings bedarf einer exakten sprachlichen Auseinandersetzung mit der
untersuchten Person. Dies kann jedoch nur in einer Sprache gelingen, welche
die untersuchende und die untersuchte Person ausreichend beherrschen. Ansonsten müsste eine Dolmetscherin bzw. ein Dolmetscher oder eine sprachkundige Person beigezogen werden. Für eine gründliche Untersuchung reichen
so genannte „Small talk“-Kenntnisse einer Sprache weder auf der Seite des
Untersuchenden noch des Untersuchten oder auch einer beigezogenen sprachkundigen Person aus.
Bei Durchsicht der Krankenakten sämtlicher zum Besuchszeitpunkt im PAZ
Innsbruck aufhältiger Personen fiel der Kommission auf, dass bei vier Häftlingen mit nicht deutscher Muttersprache keine durchgängige Beiziehung einer
Dolmetscherin bzw. eines Dolmetschers oder einer sprachkundigen Person erfolgte. Der NPM erachtet es jedoch für unabdingbar, dass bei ärztlichen Untersuchungen von Angehaltenen, die nicht ausreichend Deutsch sprechen, stets
eine Dolmetscherin bzw. ein Dolmetscher oder zumindest eine andere sprachkundige Person hinzugezogen wird.
Änderungen im
Anhalteprotokoll
128
Verbesserungsbedarf erkannte die Kommission auch bei der Formulierung des
Anhalteprotokolls III, das bei Neuzugängen zu führen ist, in dem u.a. die Beiziehung einer Dolmetscherin bzw. eines Dolmetschers oder einer sprachkundigen Person vermerkt werden muss. Nicht erkennbar war dabei bisher, ob die
Polizeiärztin bzw. der Polizeiarzt im konkreten Fall eine Dolmetscherin bzw.
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen
einen Dolmetscher oder lediglich eine sonstige sprachkundige Person beizog.
Der NPM regte daher mehrere Änderungen des Anhalteprotokolls III an.
Bei Aufnahme eines Häftlings ist von diesem ein ärztlicher Anamnesebogen
(Fragebogen) auszufüllen. Dieser enthält zahlreiche medizinische Fachausdrücke, deren Verständnis gute Sprachkenntnisse erfordert. Die Selbsteinschätzung bzw. Selbstüberschätzung angehaltener Personen kann dazu führen,
dass Häftlinge mangels richtigen Verständnisses der Begrifflichkeiten falsche
Angaben über den eigenen Gesundheitszustand machen. Der NPM regte aus
diesem Grund an, dass jede angehaltene Person den ärztlichen Anamnesebogen – unabhängig von seinen allenfalls nur alltagstauglichen Deutschkenntnissen – künftig unaufgefordert in ihrer Muttersprache erhält.
Anamnesebogen in
Muttersprache
Das BMI betonte, dass die Vollzugsbehörden bemüht seien, die Verständigung
zwischen dem ärztlichen Personal und fremdsprachigen Angehaltenen sicherzustellen. Erforderlichenfalls seien Ärztinnen bzw. Ärzten bei Beurteilung der
Haftfähigkeit oder anderer medizinischer Fragen Dolmetscherinnen bzw. Dolmetscher zur Seite zu stellen.
Dolmetschende versus
Sprachkundige
In der Praxis wird ein „Drei-Stufen-Prinzip“ angewendet: 1. Hinzuziehung von
Mithäftlingen, 2. Hinzuziehung von Bediensteten der Schubhaftbetreuung
bzw. Rückkehrberatung, 3. Hinzuziehung von professionellen Dolmetscherinnen bzw. Dolmetschern. Dieses System habe sich laut BMI – unter Berücksichtigung der individuellen Erforderlichkeit – bisher bewährt. Eine ausschließliche oder verstärkte Hinzuziehung von professionellen Dolmetscherinnen bzw.
Dolmetschern bei ärztlichen Untersuchungen sei daher nicht beabsichtigt. Zu
ärztlichen Untersuchungen beigezogene sprachkundige Personen (z.B. Angehörige, Mithäftlinge oder Bedienstete der Schubhaftbetreuung bzw. Rückkehrberatung) unterliegen zwar keiner Verschwiegenheitspflicht in Bezug auf gesundheitsbezogene Patientendaten. Das BMI betonte jedoch, dass die Heranziehung solcher sprachkundiger Personen ausschließlich mit Einverständnis
des betroffenen Häftlings erfolgen dürfe.
Das BMI informierte in diesem Zusammenhang auch über eine im Juni 2014
abgehaltene Fortbildungsveranstaltung mit 23 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus allen Bundesländern. Im Rahmen dieser Veranstaltung sei erneut
eine Sensibilisierung der Polizeiärztinnen und Polizeiärzte hinsichtlich des
Erfordernisses einer exakten sprachlichen Auseinandersetzung zwischen Ärztinnen bzw. Ärzten und der untersuchten Person sowie der Notwendigkeit der
Beiziehung von Dolmetscherinnen bzw. Dolmetschern oder sprachkundigen
Personen erfolgt.
Das BMI veranlasste die Aufnahme folgender Punkte in das Anhalteprotokoll
III: 1. Unterscheidung zwischen der Beiziehung einer Dolmetscherin bzw. eines
Dolmetschers oder einer sprachkundigen Person, 2. Angabe des vollständigen Namens der beigezogenen Dolmetscherin bzw. des Dolmetschers oder der
sprachkundigen Person, 3. Zustimmung des Häftlings zur Hinzuziehung ei-
129
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen
ner sprachkundigen Person und Kenntnisnahme der fehlenden Verschwiegenheitspflicht von Sprachkundigen. Auch die Anregung des NPM, Häftlingen die
Anamneseblätter künftig stets in ihrer Muttersprache auszuhändigen, wertete
das BMI als wertvollen Hinweis.
BMI setzt Vorschläge
weitgehend um
Erfreulich ist, dass das BMI fast alle Vorschläge des NPM umzusetzen bereit
war. Aus Sicht des NPM erscheint die Anwendung des vom BMI dargestellten
Drei-Stufen-Prinzips grundsätzlich geeignet, um eine gute sprachliche Verständigung zwischen Ärztinnen bzw. Ärzten und Häftlingen sicherzustellen.
Auch die laufende Sensibilisierung von Polizeiärztinnen und Polizeiärzten
qualifiziert der NPM als wichtigen Schritt, um Kommunikationsdefizite und
Missverständnisse im Zuge ärztlicher Untersuchungen zu vermeiden.
Die vom BMI überarbeitete Version des Anhalteprotokolls III soll nun transparent und nachvollziehbar machen, ob Dolmetscherin bzw. Dolmetscher oder
Sprachkundige bei ärztlichen Untersuchungen beigezogen waren. Genauere
Angaben der Häftlinge auf den in ihrer Muttersprache ausgehändigten Anamnesebögen werden künftig zu einer besser fundierten Beurteilung des Gesundheitszustandes angehaltener Personen durch Polizeiärztinnen und Polizeiärzte beitragen. Der NPM hofft, dass sich die in PAZ tätigen Ärztinnen und
Ärzte ihrer Verantwortung hinsichtlich einer fachgerechten Beurteilung des
gesundheitlichen Zustandes der Häftlinge, welche stets eine gute sprachliche
Verständigung voraussetzt, bewusst sind.
XX
Bei ärztlichen Untersuchungen von nicht Deutsch sprechenden Angehaltenen ist eine
Dolmetscherin bzw. ein Dolmetscher oder eine sprachkundige Person beizuziehen.
XX
Angaben über die Hinzuziehung einer Dolmetscherin bzw. eines Dolmetschers oder einer
sprachkundigen Person sind in den Anhalteprotokollen zu dokumentieren.
XX
Jedem Häftling ist der ärztliche Anamnesebogen unabhängig von möglichen
Deutschkenntnissen in seiner Muttersprache auszuhändigen.
Einzelfall: VA-BD-I/0645-C/1/2013, BMI-LR1600/0099-III/10/2014
2.6.3
Inbetriebnahme des
Anhaltezentrums
Erste Eindrücke vom neuen AHZ Vordernberg
Bereits im vergangenen Berichtsjahr informierte das BMI den NPM über die Errichtung eines neuen, ausschließlich dem Schubhaftvollzug gewidmeten Anhaltezentrums in Vordernberg. Mit dem für 200 Häftlinge konzipierten AHZ
Vordernberg strebte das BMI einen reformierten Schubhaftvollzug nach neuesten Standards und Erkenntnissen an (vgl. PB 2013, S. 93). Die Inbetriebnahme
des AHZ Vordernberg erfolgte nach Vorliegen der Arbeitsstättengenehmigung
mit 28. Februar 2014.
Im April 2014 führte die zuständige Kommission einen angekündigten Erstbesuch im AHZ Vordernberg durch. Im Zuge dessen fand auch ein ausführliches
Round-Table-Gespräch mit den leitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
des AHZ Vordernberg statt. Die Kommission nahm das Betriebsklima und den
wertschätzenden Umgang als sehr positiv wahr. Sie spürte beim Personal eine
130
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen
hohe Motivation, dieses innovative Projekt mitzugestalten und gemeinsam
gute Arbeit zu leisten. Beeindruckend fand die Kommission auch die großzügige architektonische Gestaltung und die Ausstattung des Gebäudes. Die
Bemühungen des BMI, den Schubhaftvollzug modernen menschenrechtlichen Standards entsprechend zu konzipieren und zu organisieren, waren für
die Kommission in mehrfacher Hinsicht erkennbar (z.B. Unterbringung in
großen, gut gestalteten Wohneinheiten, breites Angebot an Beschäftigungsmöglichkeiten, psychosoziale Betreuung, Trennung von gutachterlicher und
kurativer Tätigkeit der Ärztinnen und Ärzte sowie Einsatz von diplomiertem
Gesundheitspersonal etc.).
Die Bediensteten des AHZ Vordernberg betonten einerseits die konstruktive
Zusammenarbeit zwischen der Polizei und dem privaten Sicherheitsunternehmen G4S, andererseits aber auch die klare Trennung der Aufgaben- und Befugnisverteilung. Die praktische Umsetzung der Aufgabentrennung zwischen
Polizei und G4S wird die Kommission allerdings erst im Zuge weiterer Besuche
beurteilen können.
Zusammenarbeit
Polizei und G4S
Im Rahmen des Abschlussgesprächs formulierte die Kommission mehrere Vorschläge zur Verbesserung. So würde etwa die Dokumentation sämtlicher Tätigkeiten und Maßnahmen seitens des G4S-Personals eine erhöhte Transparenz
und Nachvollziehbarkeit bewirken. Wichtig erschien der Kommission auch,
dass die im „Infomat“ abrufbaren Informationen rasch in den entsprechenden Übersetzungen (Ausarbeitung in 27 Sprachen) verfügbar sind. Kritik übte
die Kommission an dem Umstand, dass Häftlinge ihre Mobiltelefone abgeben müssen. Schließlich äußerte die Kommission das Anliegen, dass Häftlinge
nach Aufhebung der Schubhaft unverzüglich entlassen bzw. in die Obhut der
Caritas übergeben werden können.
Vorschläge zur
Verbesserung
Auch während ihres zweiten Besuchs im August 2014 bewertete die Kommission die Aufenthaltsbedingungen im AHZ Vordernberg generell als gut und
stellte keine gravierenden Missstände fest. Während des Abschlussgesprächs
richtete die Kommission trotzdem mehrere Empfehlungen an die Einrichtungsleitung. Diesbezüglich trafen der Leiter des AHZ Vordernberg und der
Leiter von G4S teilweise Zusagen, von deren Umsetzung sich die Kommission
im Zuge von Folgebesuchen hoffentlich überzeugen können wird.
Bei ihrem Besuch im Dezember 2014 setzte sich die Kommission intensiv mit
dem Zugang der Häftlinge zu Informationen auseinander. Sie übte insbesondere Kritik an der unzureichenden Beiziehung von professionellen Dolmetscherinnen bzw. Dolmetschern durch die Bediensteten, an der mangelhaften
Aufklärung der Häftlinge über die Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit der
Rechtsberatung, am Verbot der Nutzung von Internet und Mobiltelefonen
durch die Häftlinge sowie an der Absonderung hungerstreikender Häftlinge in
einer eigenen Wohngruppe. Auch erkannte die Kommission Schulungsbedarf
des Personals im Bereich der Identifizierung und des Umgangs mit potentiellen Opfern von Menschenhandel.
Zugang zu
Informationen
131
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen
Der NPM konfrontierte das BMI bereits mit diesen Kritikpunkten. Zu Redaktionsschluss des Berichts lag jedoch noch keine Stellungnahme des Ressorts vor.
XX
Dokumentation sämtlicher Tätigkeiten und Maßnahmen seitens des G4S-Personals.
XX
Rasche Übersetzung der im „Infomat“ abrufbaren Informationen in 27 Sprachen.
XX
Unverzügliche Entlassung nach Aufhebung der Schubhaft und Übergabe in die Obhut der
Caritas.
Einzelfälle: VA-BD-I/0350-C/1/2014, BMI-LR1600/0054-III/10/2014; VA-BDI/0577-C/1/2014; VA-BD-I/0889-C/1/2014
2.6.4
PAZ Klagenfurt – kein Sozialraum für Verwaltungsstrafhäftlinge
Aus Anlass ihrer Besuche im PAZ Klagenfurt kritisierte die Kommission die
Anhaltebedingungen von Verwaltungsstrafhäftlingen. Die Kommission hielt
es für problematisch, dass die Verwaltungsstrafhäftlinge, die im geschlossenen Vollzug angehalten werden, keinen Zugang zu einem Sozialraum haben.
Zudem stellte die Kommission fest, dass die Beschäftigungsmöglichkeiten für
Verwaltungsstrafhäftlinge innerhalb der Zellen sehr begrenzt sind (Spiele, Lesen), zumal zum Zeitpunkt der Besuche noch keine Steckdosen für TV- und
Radio-Empfang eingebaut waren.
Kein Geld für
Sozialraum
Das BMI führte dazu aus, dass ein Umbau des PAZ Klagenfurt zur Errichtung
eines Sozialraumes derzeit budgetär nicht realisierbar sei. Mangels entsprechender Raumkapazitäten scheide auch eine Umwidmung von Räumlichkeiten in Sozialräume für Verwaltungsstrafhäftlinge aus. Allerdings würde das
PAZ den Verwaltungsstrafhäftlingen nicht nur Spiele und Lesestoff, sondern
auch batteriebetriebene Elektrogeräte und Trainingsunterlagen zur sportlichen Betätigung aus ihren Effekten aushändigen.
NPM empfiehlt Umbau
Der NPM hält es für sehr bedauerlich, dass das BMI keine Möglichkeit der
Nutzung eines Sozialraumes für Verwaltungsstrafhäftlinge sieht. Damit in Zusammenhang steht auch der Umstand, dass Verwaltungsstrafhäftlinge sportliche Aktivitäten derzeit nur in den Zellenbereichen ausüben können. Der NPM
verkennt nicht, dass das BMI die budgetären Rahmenbedingungen beachten
muss. Jedoch unterliegen Verwaltungsstrafhäftlinge langen Einschlusszeiten,
die täglich nur durch eine Stunde Bewegung im Freien sowie gelegentlich
durch Besuche, Telefongespräche oder die Verrichtung von Hausarbeit unterbrochen werden.
Der NPM misst daher ausreichenden Freizeitaktivitäten und sozialen Kontaktmöglichkeiten der Häftlinge untereinander (z.B. Gespräche, Gesellschaftsspiele, gemeinsame sportliche Betätigung etc.) maßgebliche Bedeutung zu, um
außerhalb der Einschlusszeiten eine Verbesserung der Haftbedingungen herbeizuführen. Das BMI sollte einen Umbau des PAZ Klagenfurt zwecks Errich-
132
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen
tung eines Sozialraumes für Verwaltungsstrafhäftlinge anstreben und – auch
in budgetärer Hinsicht – prioritär verfolgen.
Erfreulich ist der Umstand, dass das BMI seinen eigenen Angaben zufolge die
bereits im Jahr 2009 ausgesprochene Empfehlung des CPT bezüglich der Ausrüstung der Zellen mit Steckdosen inzwischen umgesetzt hat. Demnach seien
nun alle zehn Zellen im geschlossenen Vollzugsbereich mit je einer schaltbaren Steckdose ausgestattet.
Ausrüstung der Zellen
mit Steckdosen
Der NPM begrüßt, dass den im geschlossenen Vollzugsbereich angehaltenen
Häftlingen somit neben dem Betrieb von batterie- bzw. akkubetriebenen Geräten (z.B. Radios) und dem Zugang zur zentralen Radioanlage (Hausradio)
zumindest in dieser Hinsicht erweiterte Informations- und Unterhaltungsmöglichkeiten offenstehen.
XX
Im PAZ Klagenfurt ist ein Sozialraum für Verwaltungsstrafhäftlinge zu errichten.
VA-BD-I/0289-C/1/2013,
Einzelfälle:
LR1600/0039-III/10/2014
2.6.5
VA-BD-I/0710-C/1/2013,
BMI
PAZ Linz – wiederholte Kritik an Hygienestandards und
desolaten Bädern
Bereits anlässlich eines Besuchs der Kommission im Jahr 2012 wies das PAZ
Linz zum Teil erhebliche Verunreinigungen auf. Besonders markant war dies
in den Sicherungszellen. Die beobachteten Verschmutzungen, der unangenehme Geruch und ein starkes Aufkommen von Ungeziefer (Schmetterlingsmücken) belegten eine unzureichende Reinigung. Die Bäder im PAZ Linz machten einen veralteten und stark abgenützten Eindruck. Bei einem neuerlichen
Besuch im PAZ Linz im Jahr 2013 konnte die Kommission hinsichtlich der
Hygienebedingungen keinerlei Verbesserung gegenüber der im Zuge des vorangegangenen Besuchs wahrgenommenen Situation feststellen.
Verunreinigungen und
Ungeziefer
In Reaktion auf diese Kritik veranlasste das BMI eine Reinigung und teilweise
Desinfektion der Zellen sowie der Stationen durch eine Reinigungsfirma. Zusätzlich seien die Tageszellen ausgemalt worden. Das BMI habe die Leitung
des PAZ angewiesen, künftig rechtzeitig entsprechende Maßnahmen für die
Reinhaltung zu veranlassen.
Im Zuge eines Besuchs im Jahr 2014 wiederholte die Kommission ihre Kritik
am schlechten Zustand der Bäder. Im Bad auf der Frauenstation waren die
Duschköpfe zum Besuchszeitpunkt so verkalkt, dass Wasser in alle Richtungen
spritzte. In Kritik zog die Kommission auch, dass es in den Zellen nur Kaltwasser gibt.
Desolate Bäder
Daraufhin veranlasste das BMI die Instandsetzung der Duschen (Austausch
der Duschköpfe) und eine engmaschigere Kontrolle der Funktion (vor allem
Lösung durch
Gesamtsanierung?
133
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen
der Abstrahlrichtung des Wassers). Generell betonte das BMI, dass die Bäder
im PAZ Linz in einem ihrem Alter entsprechenden Zustand seien. Das Bad in
der Station A sei aufgrund des desolaten Zustands bereits gesperrt worden. Zudem sei beabsichtigt, vorhandene Mängel im Zuge einer geplanten Gesamtsanierung des PAZ Linz zu beheben. Weiters bestätigte das BMI, dass die Zellen
des PAZ Linz nur über einen Kaltwasserstrang verfügen. An eine Änderung sei
erst mit der geplanten Sanierung gedacht. Allerdings werde den Häftlingen
des PAZ Linz zum Zwecke der Körperreinigung täglich ein Zugang zu Waschbecken mit Warmwasseranschluss in den Sanitärräumen zur Verfügung gestellt.
Fernsehgeräte für
Häftlinge
Positiv zu vermerken ist der Umstand, dass das PAZ Linz in den beiden Tageszellen der Stationen A und D über Fernsehgeräte verfügt. Nach Kritik des NPM
an den eingeschränkten Beschäftigungsmöglichkeiten der Häftlinge stellte die
LPD OÖ für die Station B ein weiteres Fernsehgerät zur Verfügung. Angesichts
der von der Kommission generell beanstandeten Beschäftigungssituation im
PAZ Linz begrüßt der NPM diese Maßnahmen.
Verbesserung der
Personalsituation
Auf Anregung des NPM führte die LPD OÖ eine Evaluierung der Personalsituation durch und verfügte eine Dienstzuteilung von drei Bediensteten in das
PAZ Linz. Der NPM erachtet diese – hoffentlich langfristig wirksame – Maßnahme für sehr wichtig, um die Personalsituation im PAZ Linz, insbesondere
die von den Bediensteten angesprochene Unterbesetzung der Dienststelle, zu
verbessern.
XX
Es ist rechtzeitig und regelmäßig für die Reinhaltung des PAZ Linz zu sorgen.
XX
Die Duschen sind regelmäßig zu kontrollieren (vor allem die Abstrahlrichtung des Duschwassers) und erforderlichenfalls in Stand zu setzen (Austausch der Duschköpfe).
XX
Den Häftlingen ist täglich ein Zugang zu Waschbecken mit Warmwasseranschluss in den
Sanitärräumen zur Verfügung zu stellen.
Einzelfälle: VA-BD-I/0402-C/1/2013, BMI-LR1600/0126-III/10/2013; VA BDI/0224-C/1/2014, BMI-LR1600/0084-III/10/2014
2.6.6
Positive Feststellungen
Moderner Schubhaftvollzug im AHZ Vordernberg
Moderner
Schubhaftvollzug
134
Gelungen ist aus Sicht des NPM der Bau des im Februar 2014 in Betrieb genommenen AHZ Vordernberg. Beeindruckend fand die Kommission vor allem die
großzügige architektonische Gestaltung und die Ausstattung des Gebäudes.
Die Bemühungen des BMI, den Schubhaftvollzug modernen menschenrechtlichen Standards entsprechend zu konzipieren und zu organisieren, waren
für die Kommission in mehrfacher Hinsicht erkennbar (z.B. Unterbringung in
großen, gut gestalteten Wohneinheiten, breites Angebot an Beschäftigungsmöglichkeiten, psychosoziale Betreuung, Trennung von gutachterlicher und
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen
kurativer Tätigkeit der Ärztinnen und Ärzte sowie Einsatz von diplomiertem
Gesundheitspersonal etc.).
Einzelfall: VA-BD-I/0350-C/1/2014, BMI-LR1600/0054-III/10/2014
Zusammenarbeit zwischen NPM und BMI
Sehr konstruktiv nahm der NPM die Zusammenarbeit mit dem BMI im Rahmen der seit März 2014 regelmäßig zusammentretenden Arbeitsgruppe wahr.
Die Erfahrungen haben gezeigt, dass auch komplexe und teils über Jahre ungelöste Probleme im persönlichen Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern des BMI einer Lösung zugeführt werden konnten. Ohne die Bereitschaft
des BMI, sich den Standpunkten des NPM anzunähern und eine allenfalls
zunächst ablehnende Haltung gegenüber Empfehlungen des NPM aufzugeben, wäre eine Erhöhung menschenrechtlicher Standards im polizeilichen Anhaltevollzug nicht möglich. Die fachliche Expertise und die Kenntnisse des
Haftalltags der an der Arbeitsgruppe beteiligten Personen waren für die bisher
erzielten Erfolge ebenso ausschlaggebend wie das gute Gesprächsklima. Im
Lichte dieser positiven Erfahrungen werden weitere gemeinsame Arbeitsgruppen für thematisch abgegrenzte Bereiche sinnvoll sein.
Arbeitsgruppe mit BMI
Einzelfall: VA-BD-I/0510-C/1/2012, BMI-LR1600/0034-III/10/2014
Persönliches Engagement von Bediensteten
Lob verdienen auch engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in PAZ.
Immer wieder berichten die Kommissionen von in PAZ tätigen Bediensteten,
die sich – über ihre beruflichen Verpflichtungen hinaus – persönlich für eine
Verbesserung der Haftbedingungen einsetzen. Das Engagement mancher Bediensteter zeigt sich etwa bei der Beschaffung von Spielen und Lesematerial
für die Häftlinge oder auch durch einen besonders wertschätzenden und respektvollen Umgangston mit den Häftlingen. Dass trotz der herausfordernden
und teils sehr belastenden Tätigkeit in PAZ keine Frustration bei den Bediensteten entsteht und deren Empathie den Häftlingen gegenüber erhalten bleibt,
ist eine nicht zu unterschätzende Voraussetzung für einen humanen Anhaltevollzug.
2.6.7
Kleine Schritte mit
großer Wirkung
Systembedingte Problemfelder – Polizeiinspektionen
2.6.7.1 Mangelhafte Dokumentation von Anhaltungen
Bei ihren Besuchen nehmen die Kommissionen routinemäßig Einsicht in die
Verwahrungsbücher und Anhalteprotokolle der jeweiligen Polizeiinspektionen. Freiheitsentzüge sollen lückenlos dokumentiert werden. In Anhalteprotokollen, in denen zur Wahrung der Rechte der Betroffenen deren Unterschrift
erforderlich ist, sollte diese Unterschrift auch tatsächlich eingeholt bzw. deren
Verweigerung dokumentiert werden. Ebenso sollten besondere Maßnahmen,
wie z.B. Beginn und Ende des Anlegens von Handfesseln, lückenlos dokumen-
135
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen
tiert sowie etwa bei überdurchschnittlich langen Handfesselungen eine entsprechende Begründung vermerkt werden.
„Nachweisliche“
Information über
Rechte
Im Falle einer Freiheitsentziehung stehen der festgenommenen Person bei
sonstiger Verletzung des Freiheitsrechtes bestimmte Mindestrechte zu (Verständigung, Information). Von diesen Verständigungsrechten müssen die Organe
des öffentlichen Sicherheitsdienstes Betroffene in Kenntnis setzen. Über Verständigungs- und Informationsrechte ist jede festgenommene Person „nachweislich“ zu belehren. Nachweislich ist eine Belehrung dann, wenn diese in
Form einer entsprechenden Dokumentation festgehalten wird. Dadurch kann
im Nachhinein überprüft werden, inwieweit eine Belehrung tatsächlich stattgefunden hat. Ebenso ist die Inanspruchnahme einzelner Rechte bzw. der Verzicht auf einzelne Rechte von der festgenommenen Person handschriftlich zu
unterfertigen und somit ausdrücklich zu dokumentieren. Verweigert eine Person trotz Einräumung ihrer Rechte die Unterschrift, so ist dies, um den Dokumentationserfordernissen Rechnung zu tragen, vom einschreitenden Polizeiorgan ebenfalls festzuhalten.
Wie schon im PB 2013 (S. 96 f.) berichtet, kritisierten die Kommissionen bei
ihren Besuchen neuerlich mehrfache Dokumentationsmängel. Bereits in der
Vergangenheit erreichte der NPM, dass das BMI Sensibilisierungsmaßnahmen
bei den einzelnen Exekutivbediensteten setzt und das Erfordernis einer genauen Dokumentation auch im Rahmen von Schulungen und Fortbildungen verstärkt behandelt wird.
Klärung in
Abschlussgesprächen
XX
Der NPM nahm im Berichtszeitrum neuerlich Mängel wahr, wie beispielsweise
das Fehlen der Unterschriften von Festgenommenen sowie der einschreitenden
Exekutivbediensteten oder des Eintrags der Uhrzeit bzw. des Ortes von Festnahmen. In der Regel können die Kommissionen Dokumentationsmängel im
Rahmen der Abschlussgespräche direkt mit den dienstführenden Kommandantinnen und Kommandanten abklären.
Anhaltungen auf PI sind nachvollziehbar und lückenlos zu dokumentieren.
Einzelfälle: VA-BD-I/0190-C/1/2013, BMI-LR1600/0076-II/10/a/2013; VA-BDI/0385/2013; VA-BD-I/0505-C/1/2013; VA-BD-I/0507/2013; VA-BD-I/0631C/1/2013; VA-BD-I/0486-C/1/2014
2.6.7.2 Mangelhafte Ausstattung der Dienststellen
Mängelbehebung wird
meist vor Ort zugesagt
136
Bei Besuchen nahmen die Kommissionen unterschiedliche Mängel in der Ausstattung der Dienststellen wahr. Diese Feststellungen betrafen im Berichtszeitraum z.B. ungenügende Heiz- und Belüftungssysteme, fehlende bzw. mangelhafte Geräte (veraltete Funkgeräte) oder die Raumpflege bzw. Hygiene. Diese
Beanstandungen werden im Rahmen der Prüfungen des NPM regelmäßig behoben bzw. wird seitens der Dienststellen eine Mängelbehebung in Aussicht
gestellt.
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen
Auch hier nützen die Kommissionen meist das Abschlussgespräch, um vor Ort
die Probleme zu erörtern und eine Verbesserung zu erreichen. Nur in Fällen,
in denen auf diesem Weg keine Lösung zugesagt werden kann, führt der NPM
nach dem Besuch eine Korrespondenz mit dem BMI. Dabei handelt es sich
meist um Probleme, deren Beseitigung eines größeren budgetären oder personellen Aufwandes bedarf.
XX
Die PI müssen hygienisch, gepflegt und mit funktionierenden Heizungen ausgestattet sein.
Einzelfälle: VA-BD-I/0385-C/1/2013; BMI-LR1600/0105-III/10/2013; VA-BDI/0507-C/1/2013,
BMI-LR1600/0138-III/10/2013;
VA-BD-I/0566-C/1/2013,
BMI-LR1600/0124-III/10/2013; VA-BD-I/0017-C/1/2014
2.6.8
Abschaltbare Rufklingel in Anhalteräumen
Bei einem Besuch in der PI Lehen stellte die Kommission fest, dass die Rufklingel in einem Anhalteraum deaktiviert war. Gemäß der Anhalteordnung sind
in den Hafträumen zur Verständigung der Aufsichtsorgane geeignete Einrichtungen vorzusehen. Dieser Bestimmung wird in aller Regel durch den Einbau
eines Rufklingelsystems Genüge getan.
Für den NPM ist durchaus nachvollziehbar, dass bestimmte renitente Personen die Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes durch ununterbrochenes Be-
Verständigung des
Wachpersonals
tätigen des Rufklingelsystems maßgeblich stören können. Die Möglichkeit,
das Rufklingelsystem abzuschalten, ist jedoch in Folge der dann fehlenden
Verständigungsmöglichkeit der inhaftierten Person menschenrechtlich problematisch. Auf Bedürfnisse der Häftlinge und mögliche Notsituationen kann bei
Abschalten der Klingel nicht reagiert werden; dies insbesondere dann, wenn
– wie im konkreten Fall – die (Re-)Aktivierung des Rufklingelsystems vergessen
wurde.
Eine Lösung dieses Problems sollte daher nicht im Abschalten des Rufklingelsystems und somit unter Umgehung der gesetzlichen Vorschriften gesucht
werden. Die Rufklingel eines Anhalteraums sollte grundsätzlich stets aktiviert
und akustisch wahrnehmbar sein. Auch nach den CPT-Standards (S 16 Rz 48)
müssen Personen in Polizeigewahrsam stets in der Lage sein, Kontakt zum
Wachpersonal aufzunehmen.
In Akkordierung mit dem BMI teilte die LPD Sbg mit, dass künftig keine abschaltbaren Rufklingeln mehr verbaut werden und die derzeit vorhandenen
Deaktivierung künftig
nicht mehr möglich
Rufklingeln sukzessive zurückgebaut werden. Somit ist gewährleistet, dass
Rufklingeln künftig technisch nicht mehr abschaltbar sind. Sollte eine Deaktivierung in der Übergangsperiode doch noch möglich sein, hat die Rufklingel
jedenfalls ständig aktiviert zu bleiben.
137
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen
XX
Damit Personen im Polizeigewahrsam stets Kontakt zum Wachpersonal aufnehmen können,
ist ein permanent aktiviertes Rufklingelsystem vorzusehen.
Einzelfall: VA-BD-I/0492-C/1/2013, LPD-Salzburg P1/31364/2013
2.6.9
Freiwilliger Aufenthalt in einem versperrten Raum
Bei einem Besuch in der PI Bad Ischl stellte die Kommission fest, dass einer Person angeboten wurde, sich zwischen zwei Vernehmungen in einem Verwahrungsraum auszuruhen. In dieser Zeit wurde der Verwahrungsraum versperrt.
Freiwilligkeit oder Haft?
Der NPM hält „freiwillige“ Aufenthalte in versperrten Verwahrungsräumen
für problematisch. Gerade im Zuge von Amtshandlungen gegen im Zusammenhang mit einem Strafverfahren beschuldigte Personen könnte es mitunter
fraglich sein, inwieweit eine freie Willensentscheidung noch vorliegt bzw. eventuell die Zustimmung mangels Handlungsalternativen unter psychischem
Druck erfolgt. Die Abgrenzung zur Haft und damit zur hoheitlichen Freiheitsentziehung ist schwierig, zumal die betroffene Person – wie aufgezeigt – kaum
Handlungsalternativen haben dürfte. Im Zweifel muss daher eher von einer
Haft ausgegangen werden, wenn sich eine Person auf einer Polizeidienststelle
in einem versperrten Anhalteraum befindet. Ist dies der Fall und liegen keine
Haftgründe vor (bzw. werden die verfassungsgesetzlich garantierten Mindestrechte nicht gewährt), erweist sich eine solche Anhaltung als rechtswidrig.
Im konkreten Fall ergaben die Erhebungen des BMI, dass der Angehaltene
nach Betätigung der Rufglocke jederzeit den Anhalteraum bzw. die PI verlassen hätte können. Daher sei eine Abgrenzung zur Haft und damit zur hoheitlichen Freiheitsentziehung möglich gewesen. Das BMI teilte jedoch die Ansicht,
dass freiwillige Aufenthalte in versperrten Verwahrungsräumen als problematisch zu bewerten sind.
XX
Ein Aufenthalt in einem versperrbaren Haftraum ist nur dann freiwillig, wenn kein Zweifel
daran besteht, dass sich der Betroffene der Freiwilligkeit bewusst ist.
Einzelfall: VA-BD-I/0190-C/1/2013, BMI-LR1600/0076-III/10/a/2013
2.6.10 Positive Feststellungen
Dokumentation
positiver Feststellungen
Zu jedem Besuch in einer PI erstellen die Kommissionen ein umfangreiches Besuchsprotokoll. Regelmäßig werden auch positive Wahrnehmungen gemacht,
die in den Abschlussgesprächen der diensthabenden Leiterin bzw. dem diensthabenden Leiter mitgeteilt und im Protokoll festgehalten werden. Auch solche
positiven Wahrnehmungen berichtet der NPM dem BMI regelmäßig.
Diese positiven Wahrnehmungen können unterschiedliche Bereiche betreffen
wie etwa die bauliche Ausstattung, insbesondere hinsichtlich der Barrierefreiheit oder der Hafträume, die personelle Ausstattung, das Arbeitsklima auf der
138
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen
jeweiligen Dienststelle, die Dokumentation der Festnahmen, der professionelle
Umgang mit psychisch kranken Personen, flexibles Vorgehen bei der Versorgung Festgenommener (Verpflegung) oder das Engagement bei der Bearbeitung und Prävention von Gewalt im familiären Bereich.
Auch Lob über die konsensuale Lösung von Problemen vor Ort, die von der
Bevölkerung an die Dienststelle herangetragen wurden, hat der NPM dem BMI
bereits zur Kenntnis gebracht.
Einzelfälle: BD-VA-I/0643-C/1/2013, BMI-LR1600/0055-III/10/2014 PI Bad
Schllerbach); BD-VA-I/0064-C/1/2014, BMI-LR1600/0079-III/10/2014 (PI
Wals); BD-VA-I/0186-C/1/2014; BMI-LR1600/0083-III/10/2014 (PI Lehmanngasse); BD-VA-I/0284-C/1/2014 (PI Schmiedgasse), BD-VA-I/0400-C/1/2014,
BMI-LR1600/0113-III/10/2014 (PI Hermagor); BD-VA-I/0423-C/1/2014 (PI
Berndorf).
2.6.11 Systembedingte Problemfelder – Kasernen
2.6.11.1 Sanitärbereiche in militärischen Hafträumen
Die Kommissionen widmeten sich anlässlich von Kasernenbesuchen gelegentlich der Frage nach den Ausstattungsstandards von militärischen Haft- bzw.
Anhalteräumen. So schlugen sie etwa vor, die im Verantwortungsbereich des
BMI geltenden Standards auch auf das BMLVS zu übertragen. Insbesondere
sollten militärische Haft- bzw. Anhalteräume mit integrierten Sanitärbereichen (WC, Waschgelegenheit und Dusche) ausgestattet werden.
Sanitärbereich in
Hafträumen
Verbindliche (internationale) Standards über ein solches „Upgrade“ militärischer Haft- bzw. Anhalteräume existieren nicht. Aus budgetären Gründen
wäre die flächendeckende Neugestaltung der Sanitärbereiche auch nicht möglich. Der NPM hält aber eine Ungleichbehandlung von Soldatinnen bzw. Soldaten und sonstigen in militärischem Gewahrsam befindlichen Personen gegenüber in Polizeianhaltung befindlichen Personen für nicht argumentierbar.
Auf dieser Basis nahm der NPM eine Abklärung mit dem BMLVS in Angriff.
Als Ergebnis sicherte das BMLVS zu, dass im Zuge der Planung größerer Umbauten bzw. Neubauten von Kasernen Überlegungen, militärische Haft- bzw.
Anhalteräume mit integrierten Sanitärbereichen auszustatten, miteinfließen
werden.
XX
Berücksichtigung bei
Um- und Neubauten
Militärische Anhalteräume sollen nach Möglichkeit künftig mit getrennten Sanitärbereichen
ausgestattet sein.
Einzelfall: VA-BD-LV/0047-C/1/2014, S91154/42-PMVD/2014
2.6.12 Positive Feststellungen
Auch wenn die Besuche der Kasernen nur einen sehr kleinen Teil der Arbeit
des NPM ausmachen, soll nicht unerwähnt bleiben, dass das BMLVS und die
139
Polizeiinspektionen, Polizeianhaltezentren und Kasernen
jeweiligen Kommandanten bzw. Bediensteten vor Ort den Kommissionen offen gegenüberstehen und das Mandat, das für Orte der Anhaltung im militärischen Bereich erst seit 1. Juli 2012 besteht, nicht in Frage stellen.
140
Zwangsakte
2.7Zwangsakte
2.7.1Einleitung
Im Berichtsjahr 2014 beobachteten die Kommissionen 69 Akte unmittelbarer
verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Darunter fielen insbesondere Abschiebungen und Rückführungen, Demonstrationen, Fußballspiele, Razzien sowie Großveranstaltungen.
Wie schon in den Jahren davor gab es aus Sicht des NPM keine bzw. kaum
Beanstandungen bei Polizeieinsätzen anlässlich von Fußballspielen und Razzien. Hingegen kritisierte der NPM in mehreren Fällen den Ablauf von Abschiebungen (Verbringung in Drittstaaten) bzw. Rückführungen (Verbringung
in EU-Staaten aufgrund der Dublin-VO) und die Durchführung von Kontaktgesprächen im Vorfeld dieser Amtshandlungen.
Bei Demonstrationen zeigte sich ein differenziertes Bild. Während sich die Exekutive bei kleineren Demonstrationen sehr vorbildlich verhielt, war der Polizeieinsatz bei den Gegendemonstrationen und der damit verbundenen Ausschreitungen des „Schwarzen Blocks“ im Zuge der Veranstaltung des Wiener
Akademikerballs verbesserungswürdig. Das BMI zeigte in diesem Zusammenhang Verständnis für die Kritik des NPM und sagte Verbesserungen zu.
2.7.2
Systembedingte Problemfelder
2.7.2.1 Abschiebungen und Rückführungen
In Tirol kritisierte die Kommission die Tätigkeit eines zum Kontaktgespräch
beigezogenen Übersetzers. Dieser war kein ausgebildeter Dolmetscher, sondern
ein Sprachkundiger mit medizinischen Kenntnissen. Zudem führte er das Gespräch zum Teil selbst und ergänzte selbständig Inhalte, die er für sinnvoll
hielt. Eine Übersetzung muss stets objektiv die Inhalte wiedergeben, weshalb
ein persönliches Einbringen des Dolmetschers in das Gespräch oder sogar eine
eigene Gesprächsführung fehl am Platz sind. Das BMI sagte zu, künftig die
Dienste dieser sprachkundigen Person nicht mehr in Anspruch zu nehmen.
Dolmetscherinnen und
Dolmetscher müssen
objektiv bleiben
Ein weiterer Kritikpunkt betraf den Umstand, dass bei ärztlichen Begutachtungen keine Anamnese erhoben wurde. Das BMI versprach in diesem Fall, notwendige Sensibilisierungsmaßnahmen aller im PAZ Innsbruck eingesetzten
Amts- und Vertragsärztinnen bzw. Amts- und Vertragsärzte zu treffen.
Mehrmals beanstandete der NPM, dass in Fällen von Hungerstreik keine Psychiaterinnen bzw. Psychiater beigezogen wurden. Diesbezüglich betonte das
BMI, dass die Amtsärztin bzw. der Amtsarzt selbst entscheiden müsse, ob eine
Notwendigkeit bestehe, eine Psychiaterin bzw. einen Psychiater beizuziehen.
Der NPM wies das BMI in diesem Zusammenhang auf die sehr sensible Problematik des Hungerstreiks hin.
Psychiatrische
Begutachtung bei
Hungerstreik
141
Zwangsakte
Problematisch erachtete der NPM auch die fehlende Anamnese bei Flugangst
sowie die Nichtaufklärung über mögliche Nebenwirkungen eines Medikaments gegen Flugangst. Das Medikament wurde letztlich aber nicht verabreicht.
Versorgung chronisch
Kranker
Die gesundheitliche Versorgung chronisch kranker Menschen sollten die Behörden bei Abschiebungen und Rückführungen immer ausreichend mitbedenken. Der Anregung einer Kommission folgend hinterfragte der NPM, inwieweit eine Vorsorge bei diesen Amtshandlungen auch grenzüberschreitend
mitbedacht wird.
Das BMI wies darauf hin, dass bei Überstellungen in einen anderen Mitgliedsstaat gemäß der Dublin III-VO medizinische Bedürfnisse dem Zielland
bekannt zu geben seien. Nach Einwilligung der bzw. des Betroffenen werde
dem Zielstaat ein Datenblatt samt medizinischen Befunden übermittelt. Bei
schwerwiegenden Krankheiten werde auch die individuelle Betreuung abgeklärt. Bestehen bei Abschiebungen in einen Drittstaat Rücknahmeübereinkommen, sei ein solcher Datenaustausch ebenso möglich, auch könnten Verbindungsbeamtinnen und Verbindungsbeamte eingeschaltet werden.
Bei Abschiebungen in Drittstaaten, mit denen kein Übereinkommen besteht,
ist eine solche Vorgangsweise rechtlich nicht vorgesehen, die Zuständigkeit österreichischer Behörden endet somit „an der Grenze“. Für den Austausch von
sensiblen Gesundheitsdaten und die Einflussnahme auf die Gesundheitsversorgung im Zielland fehlt es an einer Rechtsgrundlage und der Möglichkeit, in
einem fremden Staat hoheitlich zu handeln. Zu bedenken ist auch, dass etwa
drogenabhängige Personen, die in Österreich eine Substitutionsbehandlung
erhalten haben, nicht ohne weiteres mit diesen Medikamenten in ein anderes
Land einreisen dürfen, strafgesetzliche Bestimmungen könnten zum Tragen
kommen. Im Sinne der Judikatur des EGMR ist aber vor allem im Hinblick auf
Art. 3 EMRK in den vorgeschalteten Verfahren stets zu prüfen, ob die Möglichkeit der Behandlung im Zielland besteht und somit eine aufenthaltsbeendende Maßnahme überhaupt zulässig ist.
Bei einer Abschiebung rügte die Kommission den unkoordinierten Ablauf bei
der Ankunft einer Familie in der Familienunterkunft Zinnergasse in Wien. In
dieser Einrichtung wird nicht Schubhaft, sondern das so genannte gelindere Mittel vollzogen. Die Familie wurde zunächst mit einer anderen Familie
verwechselt. Zudem war unklar, ob bzw. welche Dolmetscherin bzw. welcher
Dolmetscher kommen würde und wer für die Zurverfügungstellung von Babynahrung verantwortlich war. Das BMI versprach, den Fall aufzuarbeiten und
die Bediensteten zu sensibilisieren.
Gute Verständigung ist
sehr wichtig
142
Bei einer weiteren Abschiebung in Sbg führte die unterbliebene Beiziehung
einer Dolmetscherin bzw. eines Dolmetschers zu großer Unsicherheit der abzuschiebenden Personen. Der Albanerin wurden Schriftstücke in deutscher
Sprache vorgelegt, die sie mangels ausreichender Deutschkenntnisse nicht
Zwangsakte
verstehen konnte. Zudem konnte die Betroffene Anweisungen aus denselben
Gründen nicht sofort Folge leisten, was seitens der Bediensteten als unkooperatives Verhalten ausgelegt wurde. Die Frau war durch die mangelnde Verständigungsmöglichkeit offenbar in hohem Maße verunsichert. Das BMI bezeichnete die Nichtbeiziehung einer Dolmetscherin bzw. eines Dolmetschers
als Missverständnis.
Die Kommission für NÖ und Bgld kritisierte, dass bei der gleichzeitigen Abschiebung von drei Familien mit Kindern zu wenige Beamtinnen bzw. Beamte
im Einsatz waren. Drei Abschiebungen mit Kindern, wovon zumindest eine
Unzureichende
Vorbereitung und zu
wenig Betreuung
wegen massiven Widerstands sehr problematisch war, hätten nicht zur selben
Zeit mit dieser Anzahl von Beamtinnen und Beamten stattfinden dürfen. Trotz
des bestehenden Spannungsfeldes zwischen Vorbereitung der Betroffenen und
deren Recht auf persönliche Freiheit müssen die Abzuschiebenden auch psychologisch auf eine Abschiebung ausreichend vorbereitet werden. Das BMI
schloss sich der Auffassung des NPM an. Das Ressort betonte in diesem Fall,
dass die Beiziehung von mehr weiblichen Beamtinnen oder Schubhaftbetreuerinnen förderlich gewesen wäre.
Mehrmals rügte der NPM nach Beobachtungen der Kommissionen in Wien,
Trennung von Familien
dass bei Abschiebungen bzw. Rückführungen die Trennung von Familien in
Kauf genommen wurde. So war in einem Fall der Ehemann untergetaucht,
während die Einsatzkräfte versuchten, die Ehefrau mit ihren Kindern nach
Polen rückzuführen. Die Rückführung wurde zwar abgebrochen, der NPM beanstandete aber die geplante Vorgangsweise der Behörde, da auf Art. 8 EMRK
nicht ausreichend Rücksicht genommen wurde. Dass die Rückführung abgebrochen und verschoben wurde, begrüßte der NPM. Das Wohl der Kinder und
die Auswirkungen auf das Familienleben sind auch bei tatsächlicher Durchführung der Abschiebung oder Rückführung stets zu beachten. Im Sinne des
Art. 8 EMRK ist jedoch im Zweifelsfall dem Schutz der Kinder und des Familienlebens Vorrang vor dem Interesse des Staates an einer Außerlandesschaffung
einer Familie zu geben. Dem BMI ist aber insofern nicht entgegenzutreten,
als jede Rückführung oder Abschiebung letztlich einer Einzelfallprüfung zu
unterziehen ist.
Auch die Gesprächsführung der Bediensteten mit einer alleinstehenden Frau
und ihren Kindern gab Anlass zu Kritik. So betonte der NPM, dass bestimmte –
Einfühlungsvermögen
bei Gesprächen
möglicherweise sachlich gemeinte – „Informationen“, beispielsweise dass bei
Widerstand gegen die Abschiebung mit einer Anzeige und einem Gerichtsverfahren zu rechnen sei, in der schwierigen Situation einer Abschiebung von den
Betroffenen als bedrohlich und einschüchternd empfunden werden können.
Selbst wenn diese Informationen grundsätzlich zutreffend sind, wäre es aus
Sicht des NPM besser, diese in solch heiklen Situationen zu vermeiden.
143
Zwangsakte
XX
Bei Abschiebungen bzw. Rückführungen sollen Trennungen von Familien vermieden
werden.
XX
Bei Familienabschiebungen mit Kindern ist die Beiziehung zusätzlicher weiblicher
Beamtinnen hilfreich.
XX
Eine psychiatrische Begutachtung und/oder psychologische Vorbereitung kann schwierigen
Situationen vorbeugen.
XX
Bei Flugangst ist eine ärztliche Begutachtung – auch der verschriebenen Medikamente –
vorzunehmen.
XX
Bei chronisch kranken Menschen sind die Behörden des Ziellandes bei bestehender
Rechtsgrundlage über die medizinischen Bedürfnisse zu informieren.
XX
Babynahrung muss immer in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen.
XX
Gute Gesprächsführungen unter Bedachtnahme auf die Situation sind zu standardisieren.
XX
Bei Abschiebungen bzw. Rückführungen sind professionelle Dolmetscherinnen bzw.
Dolmetscher zur Verfügung zu stellen.
Einzelfälle: VA-BD-I/0707-C/1/2013, BMI-LR1600/0028-III/10/2014; VA-BDI/0538-C/1/2013,
BMI-LR1600/0020-III/10/2014;
VA-BD-I/0636-C/1/2013,
BMI-LR1600/0015-III/10/2014; VA-BD-I/0373-C/1/2014, BMI-LR1600/0088III/10/2014; VA-BD-I/0014-C/1/2014, BMI-LR1600/0030-III/10/2014; VA-BDI/0146-C/1/2013,
VA-BD-I/0188-C/1/2013;
VA-BD-I/0259-C/1/2013,
BMI-
LR1600/0056-III/10/2014; VA-BD-I/0289-C/1/2014, VA-BD-I/0290-C/1/2014,
BMI-LR1600/0050-III/10/2014; VA-BD-I/0286-C/1/2014, BMI-LR1600/0087III/10/2014;
2.7.2.2 Rollenkonflikte des Vereins Menschenrechte Österreich
Der ehemalige Menschenrechtsbeirat beim BMI regte in einer seiner letzten
Empfehlungen (Juni 2012) an, dass der Verein Menschenrechte Österreich
(VMÖ) nicht als alleiniger Auftragnehmer in der Funktion des Menschenrechtsbeobachters betraut werden möge. Zudem sollten Rollenkonflikte des
VMÖ als Menschenrechtsbeobachter, Dolmetscher und Rückkehrberater vermieden werden.
Menschenrechtsbeobachter
In weiterer Folge leitete der NPM Anfang 2013 ein amtswegiges Prüfverfahren
ein. Dabei ging es um die Frage, ob das BMI künftig auch andere Organisationen als Menschenrechtsbeobachter beauftragen wird. Das BMI teilte mit, dass
es den Vorschlag des ehemaligen Menschenrechtsbeirats beim BMI aufgegriffen habe. Demnach würden bereits mit anderen NGOs Gespräche über die
Tätigkeit als künftige Menschenrechtsbeobachter geführt. Das BMI erklärte
seine Absicht, nach dem Rotationsprinzip verschiedene NGOs als Menschenrechtsbeobachter einzusetzen. Ende 2014 lag diesbezüglich noch keine Entscheidung vor.
144
Zwangsakte
Zudem kritisierte der NPM in vielen Fällen die Tätigkeit des VMÖ in seiner
dolmetschenden Funktion. Dabei ging es einerseits um die Qualität der Dolmetscherleistungen, als auch um die Gefahr von Rollenkonflikten bei gleichzeitiger Funktion als Dolmetscher und Rückkehrberater. So beobachteten die
Kommissionen etwa, dass Bedienstete des VMÖ versucht hätten, Abzuschiebende im Zuge des Kontaktgesprächs davon zu „überzeugen“, sich kooperativ
gegenüber den Polizeibediensteten zu zeigen und mögliche Widerstände gegen eine Abschiebung aufzugeben.
Rollenkonflikte des
VMÖ
Der NPM vertritt – ebenso wie bereits der ehemalige Menschenrechtsbeirat
beim BMI – die Auffassung, dass die Bündelung verschiedener Funktionen in
einer Person unweigerlich zu Rollenkonflikten führt, weil die dahinter stehenden Interessen bzw. Ziele in der jeweils ausgeübten Funktion unterschiedlich
sind. Während die (Sozial-)Betreuung in der Rückkehr- bzw. Schubhaftberatung typischerweise von einem Vertrauensverhältnis zur betreuten Person
geprägt ist, zeichnet sich eine professionelle Dolmetschertätigkeit durch eine
streng objektive und gleichsam außerhalb der Interessen der sonst beteiligten
Personen stehende Position aus.
Das BMI bestätigte, dass es eine strikte Trennung zwischen der Rolle des Menschenrechtsbeobachters und der Rückkehrvorbereitung für wichtig erachte.
Hinsichtlich einer allfälligen Doppelrolle von Rückkehrberatung und Dolmetschertätigkeit vertrat das BMI jedoch die Meinung, dass bei Rückkehrberatungen oftmals ein Vertrauensverhältnis begründet werde, das sich bei
Übersetzungen positiv auswirken könne. Aus diesem Grund greife das BMI bei
Kontaktgesprächen gerne auf sprachkundige Bedienstete der mit der Rückkehrvorbereitung beauftragten Organisationen zurück.
Der NPM bestreitet keineswegs die positiven Aspekte, wenn eine Rückkehrberaterin bzw. ein Rückkehrberater die Muttersprache der abzuschiebenden
Person spricht. Unbeschadet dessen kann jedoch eine sprachkundige Rückkehrberaterin bzw. ein sprechkundiger Rückkehrberater eine professionelle
Dolmetscherin bzw. einen professionellen Dolmetscher nicht ersetzen.
Noch offen ist, ob sich überhaupt andere NGOs für das Projekt interessieren
und gegebenenfalls welche NGOs als künftige Menschenrechtsbeobachter in
Frage kommen.
XX
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Rückkehrberatung können professionelle
Dolmetscherinnen und Dolmetscher nicht ersetzen.
XX
Rückkehrberatung und Dolmetschertätigkeit sind von unterschiedlichen Personen
auszuüben.
Einzelfälle: VA-BD-I/0430-C/1/2012, VA-BD-I/0542-C/1/2012, VA-BD-I/0470C/1/2012,
VA-BD-I/0479-C/1/2012,
VA-BD-I/0455-C/1/2012,
BMILR1600/0053-III/10/2014; VA-BD-I/0205-C/1/2014, VA-BD-I/0206-C/1/2014,
BMI-LR1600/0045-III/10/2014; VA-BD-I/0286-C/1/2014, BMI-LR1600/0087III/10/2014;
145
Zwangsakte
2.7.2.3 Verständigung der Kommissionen über Polizeieinsätze – neuer
Erlass des BMI
Bereits im PB 2013 bemängelte der NPM, dass die Kommissionen in vielen Fällen über Einsätzen der Polizei sehr spät bzw. gar nicht informiert wurden. Aus
diesem Grund kam der NPM mit dem BMI überein, dass jener Erlass, der die
Voraussetzungen regelt, ob und wann die Kommissionen über Polizeieinsätze
informiert werden („Verständigungserlass“), überarbeitet werden soll.
Arbeitsgruppe des NPM
und BMI
In einer Arbeitsgruppe einigten sich der NPM und das BMI im Frühsommer
2014 über eine Neufassung des sogenannten „Verständigungserlasses“. Dieser
regelt zentrale Begriffe wie Schwerpunktaktion, Großveranstaltung und Versammlung neu und stellt insbesondere hinsichtlich der erwarteten Dimension
eines Polizeieinsatzes nicht mehr auf eine Festnahmeprognose ab. Es galt eine
Balance dahingehend herzustellen, dass die Kommissionen zwar über alle potentiell menschenrechtsrelevanten Einsätze informiert, andererseits aber nicht
mit Informationen über Einsätze „überschwemmt“ werden.
Bis dato gab es an der Handhabung der neuen Regelung kaum Kritik der Kommissionen. Selbstverständlich ist aber auch bei bester Absicht aller Beteiligten
nicht auszuschließen, dass eine Verständigung über einen Polizeieinsatz in der
Praxis nicht oder zu spät erfolgt. So kritisierte eine Kommission etwa, dass ein
Kontaktgespräch in der Familienunterkunft Zinnergasse für 16 Uhr angekündigt war. Als die Kommission kurz vor 16 Uhr eintraf, war das Gespräch jedoch
bereits beendet.
Einzelfall: VA-BD-I/00048-C/1/2014, BMI-LR1600/0033-III/10/2014
2.7.2.4 Fremdenrechtliche Kontrollen mit GVS-Relevanz
Informationsblätter
Seit Jahren führen Bedienstete der Fremdenpolizei und des BMI fremdenrechtliche Kontrollen durch, die auch Aspekte der Grundversorgung (GVS) umfassen. In Entsprechung einer Empfehlung des ehemaligen Menschenrechtsbeirats beim BMI wurden Informationsblätter in 13 Fremdsprachen übersetzt, die
kontrollierten Personen in der jeweils passenden Sprache auszufolgen sind.
Diese Maßnahme soll der mit dem Zweck einer Kontrolle einhergehenden Ungewissheit entgegen wirken.
In einem Fall kritisierte die Kommission, dass die Kontrollorgane den Betroffenen die Informationsblätter nicht aushändigten. Das BMI bedauerte diesen
Vorfall und versicherte, dass die Informationsblätter grundsätzlich ausgegeben würden.
Eine Kommission kritisierte anlässlich der Begleitung einer fremdenrechtlichen Kontrolle mit GVS-Relevanz, dass ihr die Exekutive – im Gegensatz zu
Zeiten des ehemaligen Menschenrechtsbeirats beim BMI – keine Listen mit
Namen und Adressen der zu kontrollierenden Personen aushändigte. Die Zur-
146
Zwangsakte
verfügungstellung solcher Listen würde aber die Tätigkeit der Kommissionen
erheblich erleichtern.
Vertreterinnen und Vertreter des NPM und des BMI erörterten diese Frage im
Rahmen eines Round-Table-Gesprächs im Oktober 2013. Im Sommer 2014 gab
das BMI bekannt, dass die Behörden mittels Erlasses angewiesen wurden, den
Kommissionen künftig diese Listen im Vorfeld einer Kontrolle auszuhändigen.
Kommissionen erhalten
Namenslisten
Eine Kommission kritisierte, dass im Zuge einer fremdenrechtlichen Kontrolle
mit GVS-Relevanz eine kontrollierte Person minutenlang in Unterwäsche auf
dem Gang im Stiegenhaus verbringen musste. Das BMI sagte gegenüber dem
NPM eine Sensibilisierung der betroffenen Bediensteten zu.
Im Zusammenhang mit einem weiteren Fall betonte das BMI, dass im Rahmen der berufsbegleitenden Fortbildung der Bediensteten auch auf Kontrollen
mit GVS-Relevanz eingegangen werde. Das Briefing und Debriefing vor und
nach jedem Einsatz würde dazu genützt, auf bisherige Erfahrungen hinzuweisen und neu gemachte Erfahrungen einer Reflexion zuzuführen.
Fortbildungsmaßnahmen
Einzelfälle: VA-BD-I/0418-C/1/2012, BMI-LR1600/0021-BüroMRB/2013; VABD-I/0625-C/1/2013, BMI-LR1600/0014-III/10/2014; VA-BD-I/0536-C/1/2013,
BMI-LR1600/0132-III/10/2013; VA-BD-I/0150-C/1/2013, BMI-LR1600/0111III/10/2014
2.7.3
Demonstrationen mit Ausschreitungen des „Schwarzen
Blocks“ gegen den Wiener Akademikerball 2014
Wie jedes Jahr beobachteten die Wiener Kommissionen auch im Jahr 2014
den Polizeieinsatz anlässlich von Demonstrationen gegen den Wiener Akademikerball. Dabei handelt es sich zweifellos um einen extrem schwierigen
Einsatz. Einer Betrachtung der taktischen Einsatzgrundsätze enthält sich der
NPM, positiv zu erwähnen ist aber, dass die LPD Wien durch eine kritische
Evaluierung bestrebt war, bestmögliche Erkenntnisse für den Einsatz im Folgejahr zu gewinnen.
Im Zuge ihrer Beobachtungen kritisierten die Kommissionen vor allem die
Bildung der Polizeikessel. Durchsagen der Polizei waren akustisch nicht wahrnehmbar, sodass die im Kessel eingeschlossenen Personen nicht wussten, wie
sie sich zu verhalten hatten. Ein Mangel an Computern führte dazu, dass
Identitätsfeststellungen zum Teil mehr als zwei Stunden dauerten.
In der Akademie der Bildenden Künste am Schillerplatz fand gerade ein Tag
der offenen Tür statt, als das Gebäude von der Polizei eigekesselt wurde. Ein
Verlassen der Veranstaltung war den Gästen somit nicht mehr möglich, weil
es auch in diesem Fall an genügend Ausrüstung fehlte und unklare Informationen erteilt wurden. Die Folge war, dass manche Gäste die Veranstaltung erst
nach Mitternacht verlassen konnten.
Mangelnde Information
bei Kesselbildung
147
Zwangsakte
Der NPM wies das BMI diesbezüglich auf eine Empfehlung des ehemaligen
Menschenrechtsbeirats beim BMI hin, in der Richtlinien für eine menschenrechtskonforme Bildung von Polizeikesseln aufgestellt wurden. Das BMI versicherte, den Bediensteten diese Empfehlung für die Durchführung von Polizeikesseln wieder ins Bewusstsein zu rufen.
Einsatz von Pfefferspray
Ein weiterer Kritikpunkt des NPM betraf den Einsatz von Pfefferspray, der den
Kommissionen zufolge unverhältnismäßig war. Nach Ansicht des BMI war
dieser Einsatz in der gegebenen Situation jedoch das gelindeste Mittel. Trotzdem griff das BMI die Anregungen des NPM zum Einsatz von Pfefferspray auf,
um die Einsatzkräfte bei ähnlichen Anlässen entsprechend weiter und nachhaltig zu sensibilisieren.
Der NPM rügte zudem, dass es beim Zutritt von Kommissionsmitgliedern zu
Einsatzbereichen punktuell zu Schwierigkeiten gekommen war. Die LPD Wien
nahm diese Kritik des NPM zum Anlass, die Einsatzkräfte neuerlich über die
Erkennbarkeit und Befugnisse der Kommissionsmitglieder zu informieren.
Dialog-DeeskalationDurchgreifen
Im Kontakt mit den Demonstrantinnen und Demonstranten wäre ein stärkerer Einsatz der bei der EURO 2008 so erfolgreich eingesetzten „3-D-Strategie“
(Dialog – Deeskalation – Durchgreifen) von Vorteil gewesen. Das BMI wies in
diesem Zusammenhang darauf hin, dass Einsätze der Wiener Polizei selbstverständlich weiterhin vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, des Interessenausgleichs und der „3-D-Philosophie“ getragen seien. Auch bestritt das BMI
nicht, dass bei schwierigen Einsätzen Fehler auftreten können. Einzelfälle würden jedoch stets zum Anlass für Verbesserungen genommen.
XX
Bei der Bildung von Polizeikesseln sind den Eingekesselten gut hörbare Informationen zu
geben.
XX
Die Einkesselung sollte so kurz wie möglich dauern.
XX
Identitätsfeststellungen sind so rasch wie möglich abzuwickeln, wofür eine ausreichende
Ausstattung mit Computern nötig ist.
XX
Die bisher erfolgreich eingesetzte 3-D-Strategie der Polizei (Dialog – Deeskalation –
Durchgreifen) ist beizubehalten und weiterzuentwickeln.
Einzelfall: VA-BD-I/0213-C/1/2014, BMI-LR1600/0041-III/10/2014;
2.7.4
AGM-Kontrollen im Grenzbereich
Bei den so genannten AGM-Kontrollen handelt es sich um Ausgleichsmaßnahmen in Form von Kontrollen im Grenzgebiet. Die Kommission für Ktn und
Stmk beobachtete im Berichtsjahr einige dieser Einsätze. Sie führte ein ausführliches Abschlussgespräch mit Vertreterinnen und Vertretern der LPD Ktn.
Die LPD verwies darauf, dass Einsätze mit Aufgriffen von mehr als zehn Personen häufiger geworden seien. Große Personengruppen würden dann auf
die verschiedene Dienststellen (Villach, Thörl Maglern, PAZ Klagenfurt) auf-
148
Zwangsakte
geteilt, wobei Familien zusammenbleiben würden. Bei Aufgriffen in der Stmk
soll künftig auch der nächste Ausstieg und die Bearbeitung in Leoben möglich
sein. Im PAZ Klagenfurt waren getrennte Räumlichkeiten für die Unterbringung von ca. 15 Personen im Zuge von AGM bereits in der Fertigstellung. Die
Verpflegung wurde vertraglich geregelt und wird vom PAZ Klagenfurt bzw. der
JA Klagenfurt zur Verfügung gestellt.
Die Kommission kritisierte, dass zum Zeitpunkt des Einsatzes keine Dolmetscherinnen und Dolmetscher verfügbar waren. Es musste auf sprachkundige Personen aus dem Bekanntenkreis der Beamtinnen und Beamten zurückgegriffen werden. Die Erstbefragung bei traumatisierten Personen ist sowohl
für die Dolmetscherinnen und Dolmetscher als auch für die Beamtinnen und
Beamten sehr schwierig. Die Beamtinnen und Beamten berichteten, dass sie
verstärkt mit dem Aufgriff von teils sehr jungen, schwer traumatisierten und
zum Großteil weiblichen Asylwerbenden aus Somalia und anderen nordafrikanischen Staaten sowie mit syrischen Flüchtlingen aus Kriegsregionen konfrontiert gewesen seien. Mehr Beamtinnen für solche Einvernahmen sollten
zur Verfügung stehen.
Ausreichende
Verständigung ist
wichtig
Die Kommission wies auch auf den beobachteten Mangel in der Informationsweitergabe hin und betonte die Wichtigkeit der Information der Angehaltenen über erkennungsdienstliche Maßnahmen und den weiteren Verlauf der
Amtshandlung. Die LPD berichtete über eine Änderung des Ablaufes, sodass
die Amtshandlungen schneller durchgeführt werden könnten. Es werde nach
Eintreffen einer Dolmetscherin bzw. eines Dolmetschers eine Gesamtbelehrung vor Beginn der erkennungsdienstlichen Maßnahmen durchgeführt, da
schriftliches Informationsmaterial oft nicht verstanden werde.
Aufklärung über
Amtshandlung
XX
Dolmetscherinnen und Dolmetscher müssen zur Verfügung stehen.
XX
Die Erstbefragung traumatisierter Personen muss professionell erfolgen.
XX
Eine rasche Aufklärung über die Amtshandlung ist unerlässlich.
Einzelfall: VA-BD-I/0548-C/1/2014
2.7.5
Positive Feststellungen
Die Kommissionen beobachteten viele polizeiliche Amtshandlungen. Wie
schon eingangs erwähnt, geben nicht alle Beobachtungen Anlass zu Kritik.
Bei fast allen Fußballspielen, Razzien und Veranstaltungen und mehreren Abschiebungen verhielt sich die Polizei höchst professionell. Die Kommissionen
gaben die positiven Rückmeldungen den Beamtinnen und Beamten bzw. deren Vorgesetzten in Abschlussgesprächen weiter. Bei manchen Beobachtungen hob die Kommission das Verhalten einiger namentlich genannter Beamtinnen und Beamten besonders positiv hervor. Auch darüber informierte der
NPM das BMI.
Viele Polizeieinsätze
korrekt
149
Zwangsakte
In einem Fall einer Demonstration in Wien ersuchte die Kommission, die positiven Eindrücke an die LPD Wien speziell zu melden. Diesem Wunsch kam
der NPM gerne nach. Grund für dieses Lob war wie in anderen Fällen auch
das deeskalierende Verhalten der Polizei unter Anwendung der 3-D-Strategie.
Potentielle Störenfriede wurden weggewiesen, die Begleitung der Demonstration durch die Polizei erfolgte in lockerer Formation ohne Schilde und aufgesetzte Helme in einem großzügigen Seitenabstand zum Demonstrationszug.
Diese Taktik führte zu einem reibungslosen Ablauf der Demonstration (VABD-I/0752-C/1/2014, BMI-LR1600/0110-III/10/2014).
Neuer
Verständigungserlass
150
Auch die die Besprechungen im Zuge der Arbeitsgruppe über den neuen Verständigungserlass waren geprägt von einer offenen Gesprächskultur und gegenseitigem Vertrauen, mit dem Ziel, eine gemeinsame Lösung zu finden. Die
Tatsache, dass es bis Redaktionsschluss keine wesentliche Kritik an der Informationspolitik des BMI dem NPM gegenüber gab, zeigt, dass das gegenseitige
Vertrauen bisher berechtigt war (siehe Pkt. 2.7.2.3).
Legislative Anregungen
3
Anregungen an den Gesetzgeber
Neue Anregungen
Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz
Legislative Anregung
Reaktion des Ressorts
Details
Bundeseinheitliche Leistungsstandards
für Alten- und Pflegeheime – Anregung
an Bund und Länder.
PB 2013 S. 48 ff.
PB 2014, Band 2. S. 27 ff.
Bundeseinheitliche Ausgestaltung des
Rechts auf persönliche Assistenz für Menschen mit Behinderung – Anregung an
Bund und Länder.
PB 2013, S. 137 ff
PB 2014, Band 2, S. 75 ff.
Systematische Anstrengungen zur Überprüfung von Bundes- und Landesgesetzen am Maßstab der UN-BRK; Anregung
an Bund und Länder.
PB 2014, Band 2, S. 60 ff.
Deinstitutionalisierung (Umsetzung von
Art 19 UN-BRK) – Anregung an Bund
und Länder.
PB 2014, Band 2, S. 75 ff.
Sozialversicherungsrechtliche Absicherung der Tätigkeit von Menschen mit
Behinderung in Werkstätten; Erhöhung
der Durchlässigkeit zum 1. und 2. Arbeitsmarkt (Umsetzung von Art. 27 UNBRK)- Anregung an Bund und Länder.
PB 2014, Band 2, S. 78 ff.
Bundesministerium für Familien und Jugend
Legislative Anregung
Reaktion des Ressorts
Details
Bundesweit einheitliche Mindeststandards in Bezug auf sozialpädagogische
Wohngemeinschaften – Anregung an
Bund und Länder.
PB 2014, Band 2, S. 54 ff.
Rechtsanspruch auf Hilfen für junge
Erwachsene – Anregung an Bund und
Länder.
PB 2014, Band 2, S. 60 f.
151
Legislative Anregungen
Bundesministerium für Gesundheit
Legislative Anregung
Erhöhung des Ausbildungsschlüssels im
Sonderfach „Kinder- und Jugendpsychiatrie“, um dem bestehenden Fachärztemangel zu begegnen.
Reaktion des Ressorts
Das BMG steht dieser Anregung positiv gegenüber.
Details
PB 2014, Band 2, S. 48 f.
Das BMG stellte in Aussicht,
Erhöhung der Arzneimittelsicherheit
(Vermeidung von potenziell unangemes- Ärztekammer zu sensibilisiesenen Arzneimitteln und Polypharmazie) ren.
für geriatrische Patientinnen und Patienten.
PB 2014, Band 2, S. 33 f.
Informationspflicht von Ärztinnen und
Ärzten gegenüber Angehörigen anderer
Gesundheitsberufe in Alten- und Pflegeheimen, soweit dies für Behandlung,
Pflege und Umsetzung des HeimAufG
erforderlich ist.
PB 2014, Band 2, S. 33 f.
Das BMG sicherte ein Informationsschreiben an die
Länder zu. Eine Klarstellung
im ÄrzteG wird nicht ausgeschlossen.
HeimAufG – Ausdehnung des Anwendungsbereichs, um gleichen Rechtsschutz
gegen altersuntypische Freiheitsbeschränkungen für Minderjährige in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe
und Minderjährigen in Einrichtungen der
Behindertenhilfe zu gewährleisten.
Zentrales Register zur Erfassung freiheitsbeschränkender Maßnahmen (Umsetzung der Empfehlung des CPT).
PB 2014, Band 2, S. 73 f.
BMG und GÖG führten Gespräche.
PB 2014, Band 2, S. 42 f.
Umgesetzte Anregungen
Bundesministerium für Gesundheit
Legislative Anregung
Verbot der Verwendung von Netzbetten
in psychiatrischen Einrichtungen und
Pflegeheimen per Erlass oder Gesetz bei
gleichzeitiger Sicherstellung, dass medikamentöse oder mechanische Freiheitsbeschränkungen nicht häufiger eingesetzt werden.
152
Reaktion des Ressorts
Das BMG hat mit Erlass festgehalten, dass die Verwendung von Netzbetten unzulässig ist, und in Hinblick auf
nötige Begleitmaßnahmen
eine Übergangsfrist bis 1. Juli
2015 gesetzt.
Details
PB 2013, S. 56 f.
PB 2014, Band 2, S. 45 f.
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
ABGB
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch
Abs.Absatz
AGMAusgleichsmaßnahmen
AHZAnhaltezentrum
APT
Vereinigung zur Verhinderung von Folter
ArbeitszeitGArbeitszeitgesetz
Art. Artikel
ÄrzteGÄrztegesetz
BGBl. Bundesgesetzblatt
BgldBurgenland
BHBezirkshauptmannschaft
Bundeskanzleramt
BKA BKHBezirkskrankenhaus
Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz
BKJHG
BM... Bundesministerium ...
… für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz
BMASK
BMBF
… für Bildung und Frauen
… für Europa, Integration und Äußeres
BMeiA BMFJ
… für Familien und Jugend
… für Finanzen
BMF BMG
… für Gesundheit
… für Inneres
BMI BMJ … für Justiz
BMLFUW … für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und
Wasserwirtschaft
… für Landesverteidigung und Sport
BMLVS BMVIT … für Verkehr, Innovation und Technologie
… für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft
BMWFW
BPDBundespolizeidirektion
B-VG Bundes-Verfassungsgesetz
bzw. beziehungsweise
CAT
CPT
UN-Ausschuss gegen Folter
Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter und
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe
d.h. DGKP
EG das heißt
diplomiertes Gesundheits- und Krankenpflegepersonal
Europäische Gemeinschaft
153
Abkürzungsverzeichnis
EGMR
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
ELAK
Elektronischer Akt
EMRK
Europäische Menschenrechtskonvention
etc. et cetera
(f)f. folgend(e) (Seite, Seiten)
FSW
Fonds Soziales Wien
gem. gemäß
G(es)mbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Gewerbeordnung
GewO GÖG
Gesundheit Österreich GmbH.
GuKG
Gesundheits- und Krankenpflegegesetz
GVSGrundversorgung
GZ Geschäftszahl
HeimAufGHeimaufenthaltsgesetz
iZM
in Zusammenarbeit mit
JAJustizanstalt
KAVKrankenanstaltenverbund
KindRÄGKinderschaftsrechts-Änderungsgesetz
KSchGKonsumentenschutzgesetz
KtnKärnten
LKHLandeskrankenhaus
LPDLandespolizeidirektion
LRegLandesregierung
MRBMenschenrechtsbeirat
N.N.
Beschwerdeführerin, Beschwerdeführer
NGONichtregierungsorganisation
(non-governmental organisation)
NÖ Niederösterreich
NPM
Nationaler Präventionsmechanismus
NQZ
Nationales Qualitätszertifikat für Alten- und Pflegeheime in
Österreich
Nr. Nummer
OGH Oberster Gerichtshof
OLGOberlandesgericht
OÖ Oberösterreich
154
Abkürzungsverzeichnis
OPCAT
OSZE
Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und
andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung oder Strafe
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
PAZPolizeianhaltezentrum
PB
Bericht der Volksanwaltschaft an den Nationalrat und an
den Bundesrat
PIPolizeiinspektion
Pkt.Punkt
RzRandziffer
S. Seite
SbgSalzburg
SPT
UN-Unterausschuss zur Verhütung von Folter
StAStaatsanwaltschaft
StGBStrafgesetzbuch
StmkSteiermark
StVGStrafvollzugsgesetz
TILAK
Tiroler Landeskrankenanstalten GmbH.
u.a. unter anderem
u.Ä. und Ähnliches
UbGUnterbringungsgesetz
UMF
unbegleitet minderjährige Flüchtlinge
United Nations
UN UN-BRKUN-Behindertenrechtskonvention
UN-KRK
Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen
UNODC
Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und
Verbrechensbekämpfung
VAVolksanwaltschaft
VbgVorarlberg
vgl. vergleiche
VOVerordnung
VolksanwGVolksanwaltschaftsgesetz
WG Wohngemeinschaft
WHOWeltgesundheitsorganisation
Z
z.B. Zl. Ziffer
zum Beispiel
Zahl
155
Impressum
Herausgeber:Volksanwaltschaft
1015 Wien, Singerstraße 17
Tel. +43 (0)1 51505-0
http://www.volksanwaltschaft.gv.at
Redaktion und Grafik: Volksanwaltschaft
Herausgegeben: Wien, im März 2015