Das Haus Sacré-Coeur während des Krieges

2015
Der Text:
Das Haus Sacré-Coeur während des
Krieges
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2015
Estas «notas», señala Andrè Perroux scj, están
contenidas en cuatro cuadernos escolares llamados
'Quaderno', de tapa azul, formato pequeño, escritura
autógrafa del Padre Dehon, paginación continua. Se
hallan en el archivo dehoniano de Roma: AD B 40/6 (1–
4). Inv. 676.00. Fueron escritas durante la guerra de
1914-1918 o inmediatamente después: un texto breve,
escritura rápida, redacción espontánea con algunos
tachones. Son un valioso complemento a otros
cuadernos, como «Notes Quotidiennes», «notes de
lectures» o retiros, y a la correspondencia poco
abundante que se ha conservado de los primeros años de
la guerra.
El texto se numera tomando los cuatro cuadernos como
un solo documento, siendo correlativa la numeración de
páginas. Son los números que aparecen entre corchetes.
Así mismo presentamos una doble anotación: en número
arábigo en superíndice la referencia al comentario
redaccional y gráfico, que pretenden ampliar las
referencias hechas por el P. Dehon en su texto; y en
cuadro lateral al texto algunas referencias al Diario (NQT)
de Dehon durante este tiempo.
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[HEFT 1]
[1] Einige Notizen zum Haus Sacré-Coeur in St. Quentin während des
Krieges
I. Vor der Okkupation
1
Ende Juli kam ich von einer
Pilgerreise nach Notre-Dame d’Albert1
und einem Besuch der Heiligtümer von
Arras2 und Cambrai3 mit zwei
holländischen Scholastikern, Bruder
Meyer 4 und Bruder Govaart5, zurück.
Was ist seitdem wohl aus diesen
beiden so interessanten
Kirchen
geworden? Die Basilika von Albert war
ein Wunder moderner Dekorationskunst,
alles muss hier nun wiederhergerichtet
werden.
Am 1. August6 begann der Krieg. Meine zwei jungen Leute waren
drauf und dran, festgesetzt zu werden; sie nahmen den letzten Zug, der es
ihnen erlaubte, Holland7 wieder zu erreichen.
Normalerweise [2] sollten nur Pater Urbain8 und Bruder
Objois9, bei mir im Haus Sacré-Coeur sein; die
Ausweisungsgesetze waren noch immer in Kraft. Aber die
Umstände verschafften mir eine ganze Kommunität. Pater
Black10 kam, um bei uns zu wohnen und um seinen Aufgaben als
Kaplan am ehemaligen Pensionat La Croix11 nachzugehen. Er
brachte mir seine Köchin mit, Frau Charpentier, und kurz darauf
Henri Vivier, einen Seminaristen aus dem kleinen Seminar. Pater
Devrainne12, die Brüder Bontemps13 und Delvigne14 verbrachten
ihre Ferien in St. Quentin. Sie lebten bei uns. Pater Burg15 begab
sich für seinen Militärdienst nach Argentan; dort nahm er den
Waffenrock, dann aber schickten sie ihn mir nach einigen Tagen
zurück, Minister Massimy17 glaubte, zu viel an Personal zu
haben.
3
Vgl. NQT
40/74
(09.1916)
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Pater Comte18, in Amiens19, ausgemustert, kehrte auch zu uns zurück.
[3] Bruder Roy20, im Elan seiner Zwanziger-Jahre, war von
Clairefontaine21 herbeigeeilt, um sich zu verpflichten, obwohl er nur zwei
Finger an der rechten Hand hatte, aber das Rekrutierungsbüro war nicht mehr
funktionsfähig. So blieb mir auch Roy. Mit dem jungen Haushaltsgehilfen
ergab das (für mich) dreizehn Personen.
Pater Comte leistete Pater Mathias22 Gesellschaft und übernahm die
Aufgabe als Pfarrer von Fayet23, so verblieben wir zu zwölft.
Die Neuigkeiten wurden eindrucksvoll. Zuerst hatte Österreich
Serbien den Krieg erklärt, dann Deutschland Russland.
Man stritt sich um die Zeitungen. Vage erfuhr man von den grausamen
Leiden Belgiens24 und vom Rückzug unserer Armee.
Viele Belgier flüchteten [4] in Richtung Holland und Frankreich. Der
letzte Zug erreichte uns von Quévy25 her. Er fuhr an St. Quentin vorbei ohne
anzuhalten. Wir hatten dort Pater Gilson26 gesehen, wie er an Bord eines
Güterwagons unter dem Schutz seines Regenschirms sass. Er schrieb mir ein
Telegramm aus Paris. Wenn er meine Depesche erhalten haben sollte, so
muss jene die letzte gewesen sein, die von St. Quentin aus am 26. August
weggeschickt wurde.
Die Post, die Bank und die Verwaltungseinrichtungen flüchteten nach
Paris. Unsere Zeitungen hörten auf zu erscheinen; es stellte sich ein
fieberhaftes Warten ein.
[5] II. Der Einmarsch der deutschen Einheiten, der 28. August
Die einzigen Verteidiger der Stadt waren das 10. Landwehrregiment27,
3
Bürger, Familienväter, ohne militärische Übung und ohne Artillerie.
Sie gestalteten mehr zum Schein eine Verteidigung auf der Cateauund der Guise-Strasse28. Einige wurden getötet, viele flüchteten. Der
Hauptmann Jean Lecot29, unser ehemaliger Schüler, rettete seine
Kompagnie, indem er sich zur rechten Zeit an die Somme30 zurück zog.
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Um 4 Uhr nachmittags, zum Klang von Pfeifen und Trommeln,
rückten Regimente über die Rue Saint-Jean31 und die Rue d’Isle32 in das
Zentrum der Stadt vor. Wir hatten das Haus verlassen, um zu sehen, was da
vor sich ging. Manche
sagten: «Das sind die
Engländer.» Aber nein,
es waren die Deutschen.
Einige Landwehrmänner
liefen
in
Richtung
Kaserne. [6]
Die Deutschen, gute Schützen, knallten sie beim Vorübergehen ab. Ich
sah einen in der Rue Antoine Lécuyer33 fallen. Es war Zeit, nach Hause
zurückzukehren.
Ein wenig später klopfte es an unserer Tür. Es war der Pfarrer von
Maissemy34, der schrie: «Macht endlich auf! Macht endlich auf!». Dann ein
Landwehrmann von Flavy35, in zivil gekleidet, und ein anderer, bei uns sehr
gut bekannt, Louis Hiver, der für zehn oder zwölf Jahre Schüler an der
Schule St. Clement gewesen war.
4
Ich brachte den Bewohner von Flavy dazu, sich still und heimlich zu
sich nach Hause zurückzubegeben, weil er ja in zivil gewesen war, und ich
behielt Louis Hiver. Er kam von seinem Wachposten von Lesdins36 und hatte
sich seiner Militäruniform in einem kleinen Restaurant entledigt, wo man
ihm alte Zivilkleidung gegeben hatte. Er sollte für ein ganzes Jahr unser Gast
werden.
[7] Die deutsche Armee quartierte sich in der Stadt ein. Für meinen
Teil hatte ich drei Mediziner oder Chirurgen. Es war nur für eine einzige
Nacht. Sie brachten ein schönes Stück Filet, das man ihnen kochte; danach
legten sie sich schlafen. Die Soldaten in der Stadt machten überall Radau
und forderten überall zu essen und zu trinken.
Um Mitternacht klopfte es heftig an
der Tür, eine Gruppe betrunkener Soldaten
schrie: «Champagner, Champagner!».
Vgl. NQT 35/94, 31. August 1914.
Objois verlor die Fassung nicht, er
sagte ihnen: «Wartet, ich werde den Chef rufen.» Sie schienen das zu
verstehen und antworten: «Ja [in Deutsch], den Chef! Den Chef!». Es gab
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unter ihnen ohne Zweifel einige Angestellte des Gast¬gewerbes, die
glaubten, dass es sich um einen Küchen¬chef handele. Aber Objois lief
schnell einen [8] der Majore wecken, der dann schrie: «Fort! Fort!», mit
einem Satz, der bedeutete: «Lasst uns in Ruhe, oder aber… !». Die Party war
zu Ende. Die Soldaten machten sich aus dem Staub und wir konnten
schlafen.
Vlg. NQT
35/95
(2.9.1914).
Am nächsten Tag machten sich meine drei Majore auf:
«Wir gehen nach
Paris», sagten sie
mir. Einige Tage
später kamen sie
nach St. Quentin
zurück und machten
keine Anstalten, bei
uns zu logieren, sie
wären wohl in
Verlegenheit geraten, uns das zu erzählen, was sie in Paris
gesehen hatten.
Als sie aufbrachen, sagten sie noch zu mir: «Na, haben wir uns wie
Barbaren verhalten?». Sie waren froh darüber, bemerken zu können, dass ihr
Regiment sich nicht so benahm wie diejenigen, die Belgien terrorisierten.
[9] III. Nach der Schlacht an der Marne: der 15. September
5
Die grosse Armee war in ihrem Einfall bis nach Paris vorgedrungen.
Die Regierung zog sich nach Bordeaux37 zurück. Meaux38 war gefährdet, St.
Denis39 errichtete Barrikaden. Aber Gott hatte barmherzige Pläne mit
Frankreich, er wollte ihm die Zeit geben, zu ihm zurückzukehren.
Dies also geschah in den ersten Tagen des Septembers, etwas, das man
die wundersame Schlacht an der Marne genannt hat40.
Das göttliche Eingreifen wurde von gläubigen Menschen nicht
angezweifelt. Unsere führenden Generäle, Castelnau, Pau und Joffre41 hatten
gebetet.
Das Heiligtum von Montmartre, das das Schlachtfeld überragte, war
Ausdruck des Glaubens eines Volkes.
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[10] Man sprach auch von einer Erscheinung der Heiligen Jungfrau42.
Es gibt noch ein Geheimnis, das über dieser Schlacht schwebt, welche das
Schicksal Frankreichs entscheiden sollte und welche die grösste Schlacht
gewesen ist, die die Welt bisher gesehen hat.
Es gab eine Verwirrung bei den Einmarschierenden. Sie sind 50 bis 60
Kilometer pro Tag zurückgefallen. Amiens, Reims, Soissons 43 wurden
befreit. St. Quentin blieb besetzt. Einige Pariser Zeitungen erreichten uns,
wir lasen im «Écho de Paris»44 die Beschreibung der Schlacht durch Albert
de Mun45. Die Ströme der Eindringlinge zogen sich bis nach St. Quentin
zurück, die Stadt jedoch wurde nicht befreit.
Der 15. September war ein Tag der Hoffnung. Französische
Kürassiere mit einer Artillerie-Einheit46 waren in Fayet. Die Geschütze [11]
waren hinter dem Haus St. Clément, ganz in der Nähe des Monuments von
187047. Einer unserer Kinder, Louis Girardin, war dort; er beriet die
Schützen, die ihr Ziel auf die Kaserne von St. Quentin richteten. Unser Haus
Sacré-Cœur wurde zunehmend bedroht. Wir sind in den Keller hinunter
gegangen, aber nur einen Moment, für die Zeitdauer eines Rosenkranzes. Die
Deutschen waren nicht abgesichert, aber wir hatten nicht genügend Truppen
in Fayet. Unser Schicksal war an diesem Tag besiegelt; die Stadt sollte, auf
unbestimmte Zeit besetzt werden.
6
Vlg. NQT 35/111
(10-14.10.1914)
7
Der junge Louis Girardin huschte überall mit
seinem Rad herum. Man liess das zu. An einem dieser
Tage fuhr er bis nach La Capelle. Man nahm ihn bei
meinem Bruder auf. [12] Er brachte uns die
Neuigkeit, dass französische Aufklärer bis nach
Hirson48 gekommen waren.
Seitdem haben wir gewusst, dass Pater
Joseph Paris49 zu Fuss von Quévy bis zu seinem
alten Vater gekommen war, aber die Deutschen
liessen ihn nicht die Stadt betreten.
Vlg. NQT 35/159
(17.10.1914).
Der deutsche Rückzug brachte uns Tausende von Verletzten50. St.
Quentin schickte sich an, für lange Zeit das grosse deutsche Lazarett und die
kleine Hauptstadt der okkupierten Gebiete zu werden…
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[13] IV. Die Lazarette51
8
Die Lazarette organisieren und vervielfachen
sich. Der Justizpalast52 wird zum Modelllazarett.
Seine schönen Räume haben eine grosse Aura,
zweimal ist der Kaiser Wilhelm53 gekommen, um hier
den Verwundeten Trost zu spenden.
Vlg. NQT 35/95
(1.9.1914).
Der schöne Vauban-Saal hat viele französische Verletzte, die Damen
vom Roten Kreuz widmen sich ihnen hier.
Das Gymnasium und die Thellier-Schule sind zu grossen Lazaretten
der Deutschen geworden.
Im Pensionat La Croix gibt es einen Saal für die Deutschen und einen
für die Franzosen. Zwei von unseren Scholastikern, Bontemps und Roy, sind
hier Krankenpfleger – sie verbringen dort mehr als eine Nacht. Pater Black
versorgt hier die Sterbenden mit den Sakramenten, er spendet diese sogar
guten Glaubens einem Algerier, der [14] nicht getauft war.
9
Es gibt Speziallazarette für bestimmte Krankheiten. Das Institut St.
Jean ist für jene reserviert, die durch die Gewalt des Artilleriebeschusses
Schäden am Gehirn erlitten haben. Armes Institut St. Jean, zu einem
Irrenhaus geworden! Ein kranker Offizier hat sich aus dem Fenster des
dritten Stocks geworfen!
54
Wir brauchen Armbinden, um in die Lazarette hineinzukommen. Ich
lege eine an, um am Sonntag die Messe in der Klinik der Schwestern von St.
Erme zu lesen.
Welch’ traurige Konvois auf unseren Strassen! Die Krankenwagen
bringen die Verletzten zu einem Zuteilungsbüro, in der Rue du Palais de
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justice, und von dort schickt man sie weiter zu den verschiedenen Stationen
gemäss der Schwere ihrer Verletzungen.
[15] An gewissen Tagen gibt es so viele, dass man nicht weiss, wo
man sie hinlegen soll. Sie werden auf dem Schulplatz auf die Erde gelegt,
um die Statue des armen Henri Martin55 herum, bis man wieder Platz in den
Lazaretten geschaffen hat, indem man diejenigen Verletzten zum Bahnhof
schickt, die transportfähig sind und die sich im Norden pflegen lassen
können, in Maubeuge und bis nach Köln56.
10
Jedes wichtige Lazarett hat seine Kapelle und
seinen Kaplan. Auf diese Weise sehen wir unseren Herrn
wieder in die Schule oder ins Krankenhaus zurückkehren,
von wo die Radikalen oder Sozialisten ihn vertrie¬ben
hatten.
Vlg. NQT 37/65
und 37/67
(04.1915)
Der Justizpalast und die Thellier-Schule haben ihre Kapellen. Die
Deutschen besitzen sehr fähige Chirurgen, [16] die sogar bereit sind, einige
Operationen an französischen Zivilisten vorzunehmen.
Das Haus Sacré-Cœur ist von Lazaretten und deren Anbauten
umgeben. Mehrmals ging es darum, uns wegzuschicken, um Verletzte in das
Haus zu bringen. Wir nahmen das wohlwollende Eingreifen der
Franziskaner in Anspruch, und so konnten wir wohnen bleiben, wo wir
waren.
Alle benachbarten Häuser in der Rue Antoine Lécuyer, jene des Notars
Guiard-Latour, der Fräulein Fouquier und Marlier, wurden beschlagnahmt,
um darin Spezialkliniken zu errichten.
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[HEFT 2]
[17] V. Priester und Kapläne
11
Deutschland hatte an der Front zahlreiche Kapläne57, katholische
Priester und protestantische Pastoren; darin übertrafen sie uns. Alle
deutschen Soldaten gehen am Sonntag zum Gottesdienst.
Sie benutzten unsere Kirchen für den protestantischen wie auch für
den katholischen Gottesdienst. Für sie ist es eine Übung … wie jede andere,
man geht dorthin, weil es die Regel ist. Ich verurteile das nicht. Wenn ihr
Soldaten seid, geht die Regierung nicht davon aus, dass ihr eure Taufe
verleugnet habt, und sie bringt euch am Sonntag zur Kirche. Die Religion
gehört zum Naturrecht, der Mensch ist ein religiöses Tier.
Bei uns ist der Soldat frei und geht selten zur Messe. Die Deutschen
werfen uns das vor. Aber wenn ihre Männer nicht mehr zur Messe
angehalten werden, wie es bei ihren Kriegsgefangenen [18] in Frankreich
vorkommt, so hö¬ren sie alsbald damit auf, dorthin zu gehen. Die
«Menschenfurcht» erfasst sie, wie sie auch die unseren beherrscht.
12
Unter den Kaplänen gibt es gute und sehr gute. Es gibt auch
Merkwürdigkeiten und bedauernswerte Vorfälle. In St. Quentin waren die
offiziellen Kapläne in Ordnung. Die Franziskaner in den Lazaretten waren
Männer mit Eifer, studiert und von einem weiten Geist, sie haben uns viele
Dienste geleistet. Pater Raymond58 war gelehrt, er hat sehr gut gemachte
Broschüren über unsere Kathedralen publiziert.
Ein Frontkaplan, ein Steyler Pater, war ein Mann Gottes, er ist oftmals
gekommen, um mich zu besuchen. Dieser sah in der Widmung unserer
Strassen an all die Ungläubigen eine Kampfansage gegenüber Gott. Ich habe
ihm mitgeteilt, was ich über den ungerechten und übertriebenen
Chauvinismus [19] der Kölner Zeitung dachte.
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13
Diese Kapläne brachten aussergewöhnliche Kräfte auf: das tägliche
Lesen mehrerer Messen, die kollektive Absolution eines Regiments, das zur
Front aufbricht, und das Austeilen der Kommunion an alle Männer nach dem
Abendessen.
Mangels ausreichender Ziborien haben sie Hostien
Zigarrenschachteln konsekriert, sie hätten Besseres finden können.
in
Einige, sogar Ordensleute, liessen sich vom Meinungsstrom
mitreissen, Meinungen, die die Moral zur Kriegszeit unterdrückten. Ein
Religiose eines grossen Ordens schickte seinem Konvent Bücher, die er aus
den Bibliotheken der Pfarrer ausgewählt hatte. Ein anderer ging zu einem
Händler von liturgischen Gegenständen in St. Quentin und nahm [20] für 15
Franken einen Kelch im Wert von 80 Franken. «Es ist Krieg», sagte er.
Damit rechtfertigten sie alles.
Sie waren erstaunt zu sehen, dass es in Frankreich so viel Glauben gab,
so viele Konvente und so viele Priester.
Ihre Zeitungen in Köln und anderswo hatten ihnen so gut
eingetrichtert, dass Frankreich eine verdorbene Nation und ohne Religion
sei!
Die Kapläne in St. Quentin wollten sehr wohl die Kultobjekte unserer
Kapellen nach Maubeuge59 schicken. Ich habe diese ohne Erfolg in Brüssel
zurückgefordert. Werde ich sie eines Tagen wiedersehen? Sie sind mehr als
zehntausend Franken wert, mit zahlreichen Reliquien und wertvollen
Gegenständen.
[21] VI. Fayet
14
Was wurde während dieser Zeit nun aus Fayet? Pater Mathias hatte
seinen guten Teil an Prüfungen. Sein Haus wurde ständig überfallen. Seine
Vorräte verschwanden, man verbrannte seine Wandverkleidungen, seine
Holzböden und seine Balustraden.
Seine Kapelle konnte er erhalten. Eines Tages sollte sie jedoch zu
einem Getreidespeicher werden. Der Herr Bürgermeister hatte die Besatzer
darauf hingewiesen, aber wir suchten durch die Vermittlung von Herrn
Raymond rasch die militärische Autorität auf, und die Kapelle ist so gerettet
worden.
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Die guten Damen Sarrazin halfen ein wenig, dass Pater Matthias leben
konnte.
Pater Comte war da, er übernahm die Aufgabe eines Pfarrers. Dank
der Umstände [22] hatte er einen vollen Erfolg. Beinahe die ganze Pfarrei ist
wieder zur religiösen Praxis zurückgekehrt. Der Lehrer sang bei der Messe,
dabei assistierte der Adjunkt. Auch der Bürger-meister selbst liess sich bei
den grossen Festen blicken.
Ein Nachbar von St. Clement bestand jedoch hartnäckig darauf, den
ganzen Sonntag in seinem Garten zu arbeiten. Er soll ihn jetzt mal schauen
gehen, seinen so gut gepflegten Garten!
Pater Mathias hat seinen Bruder verloren, den Herrn Pfarrer von
Urvillers60; er erhielt, nicht ohne Probleme, die Erlaubnis zum Begräbnis zu
gehen.
Bruder Roy war auch in St. Clement und auch Kaplan Doucy, ein
Postulant. Pater Comte hat ihnen Philosophieunterricht gegeben. Der junge
Bruyelle, genannt Raynaut, studierte Latein. Louis Girardin besorgte die
Einkäufe und [23] stellte Karbitlampen her...
15
Alle zwei Wochen ging ich nach
Fayet.
Man
gab
mir
einen
Passierschein. Ich ging zu Fuss, es gab
keinen einzigen Wagen in St. Quentin.
Herr Hugues konnte eine Mähre und
einen Esel behalten.
In den letzten Monaten hatte ich
keinen Passierschein mehr.
Bruder Roy übersetzte die
deutschen Meldungen, die der
Bürgermeister von der Kommandatur
erhielt. Aber eines Tages zerstritt er
sich
mit
dem
Neffen
des
Bürgermeisters, Herrn Hazard, der
sehr antiklerikal war.
Unsere Studenten von Fayet
hatten Passierscheine, um zum
Unterricht nach St. Quentin zu kommen. Man borgte diese berühmten
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Passierscheine weiter, die Ordonanzsoldaten, bemerkten nichts und die
Beziehungen [24] blieben ziemlich häufig.
Zum Schluss wurde ganz Fayet evakuiert. Die armen Leute konnten
nichts anderes mitnehmen als einen kleinen Koffer, man liess sie den Zug in
Vermand und Beaurevoir61 nehmen. Pater Mathias und die Schwestern sah
man im Bahnhof von Rocourt62 vorbei fahren. Erst einige Monate später
erfuhr ich, dass man sie nach Noyon63 evakuierte hatte, und da die Deutschen
sich wenig später aus Noyon zurückzogen, ging der gute Pater Mathias,
erstaunt, sich in einem freien Land wiederzufinden, fromme Tröstungen im
Karmel von Lisieux64 suchen.
[25] VII. Unsere Gäste im Sacré-Coeur
16
In den ersten Monaten haben wir fünf deutsche
Franziskaner, Kapläne und Sanitäter, beherbergt. Sie
kamen nur für die Nacht; sie assen im Lazarett des
Justizpalastes.
Vlg. NQT 35/103
(25.09.1914) und NQT
35/117 (10.1914)
Einer von ihnen bekam den Typhus, das war nicht gerade beruhigend
für das Haus. Eine Dame vom Roten Kreuz65, Schwester Alexandra, kam ihn
pflegen. Diese Damen nannten sich Schwester (Schweister), und hatten doch
nichts Monastisches an sich. Viele Offiziere hatten ihre Freundinnen ins
Rote Kreuz aufnehmen lassen, um sie mit sich zu nehmen, es war eine wenig
erbauliche Welt. Schwester Alexandra war korrekt und sogar fromm. Sie war
Tochter eines Ungarn und einer Italienerin und sagte mir, dass sie
Gouvernante [26] der Kinder des Herzogs von Parma gewesen war, sie
meinte wohl Zimmermädchen.
Mehrere evakuierte Pfarrer aus der Somme und dem
Pas-de-Calais66 trafen bei uns ein. Der Herr Pfarrer von
Curchy67 blieb die ganze Zeit. Er war Gefangener auf Abruf
und musste morgens und abends bei der Kommandatur
vorstellig werden. Als guter Redner brachte er die
Gläubigen der Pfarrei St. Jean68 oftmals zum Weinen und
es gab Bekehrungen.
Vlg. NQT 36/16
(10.01.1914)
Herr Sueur, Pfarrer von Montauban69 (Somme), kam sehr
niedergeschlagen zu uns. Er hatte einen Monat in seinem Hof ohne Bett
gelebt. Er blieb nicht bei uns, liess seine Familie zu sich zu kommen und
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richtete sich in der Stadt ein. Er war sehr erbaulich und leis¬tete dem Pfarrer
von St. Martin70 gute Dienste.
Ein guter alter Pfarrer aus dem Pas-de-Calais [27] von über 80 Jahren
kam an und nahm Unterkunft bei den Schwestern des Hôtel-Dieu. Er hatte
jede Menge Predigten mitgebracht, aber der gute Mann bekam nicht mehr
die Gelegenheit zu predigen, er starb nach einigen Wochen. Seine alte
Haushälterin liess sich von den Schwestern bedienen: «Ich bin nicht die
Köchin des Herrn Pfarrer, sagte sie, ich bin seine Gouvernante.»... Der gute
Pfarrer hatte auch seinen Wellensittich mitgebracht, um ihn nicht in die
Hände der Feinde auszuliefern. Er wird wohl aus Kummer nach ihm
gestorben sein.
17
Während Monaten habe ich Louis Hiver beherbergt, dann den jungen
Sarmer, den Cousin des Frater Bontemps. Das waren verkappte Soldaten und
ohne Papiere. So brachte ich mich in grosse Gefahr, aber man muss
hilfsbereit sein. Louis Hiver vermochte es, unter Umgehung der Wachen,
[28] nach La Capelle zurückzukehren.
Wir hatten einen kleinen, sehr nervösen Dienstboten. Wenn es läutete,
ging er mit dem Metzgermesser unter der Schürze zur Tür. Er hätte uns
Schwierigkeiten einbrocken können, so habe ich ihn entlassen. Frau Lefort,
unsere ehemalige Köchin, die in ihrer Wohnung in der Nähe des Bahnhofs
zitterte, kam bei uns wohnen, sie half Frau Charpentier.
Bei mir war wenig Militär einquartiert, manchmal ein Offizier oder
einige Soldaten. Es gefiel ihnen nicht bei uns, das Haus schien ihnen eine
Falle zu sein.
[29] VIII. Eine Episode: das Garde-Korps
18
Unsere jungen Priester gingen oft aus, vielleicht ein wenig zu oft, um
Neuigkeiten zu erfahren. Eines Tages erlebten zwei von ihnen ein
Abenteuer: Pater Devrainne und Frater Bontemps, die um 10 Uhr
ausgegangen waren, kamen zu Mittag nicht zurück. Wir waren ohne sie zu
Tisch, als ein Freund des Hauses uns sagen kam, dass sie am Marktplatz
festgenommen und auf die Wache geführt worden waren. Was war passiert?
Eine deutsche Streife ging vorüber und ein Offizier hiess seine Männer mit
rauher Stimme im Paradeschritt marschieren, als sie sich dem Rathaus
näherten.
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Unsere zwei Priester brachen in ein schallendes Gelächter aus und der
Offizier schickte zwei Männer, um sie festzunehmen und auf die Wache zu
führen.
[30] Wir berieten uns mit Pater Black, und er machte sich in meinem
Auftrag auf, um die wohlwollende Vermittlung des Paters Raymond zu
erbitten.
Der Pater begab sich zur Kommandantur, wo man ihm sagte, dass die
Patres noch am selben Abend ein Urteil erhalten würden. Er trat für sie ein
und sagte zu den Offizieren: «Das sind Franzosen, welche leicht zu lachen
beginnen, und dann lachten sie womöglich wegen einer anderen Sache als
das Vorübergehen der Abteilung.»
19
Ich war beunruhigt. Unsere jungen Leute waren se¬parat im Rathaus
unter Arrest. Dort amüsierten sie sich nicht. Man brachte ihnen nur um vier
Uhr die Soldatenkost, dann führte man sie zum Verhör. «Warum haben Sie
gelacht? Wollten Sie sich über die kaiserliche deutsche Armee lustig
machen?». Der Fall war schwerwiegend. Glücklicherweise gaben sie [31]
eine einhellige Antwort: «Wir haben aufgrund der erkälteten Stimme des
Kommandanten gelacht.»
Es gab zwei Richter: der eine wollte eine Verurteilung, der andere, von
Pater Raymond beeinflusst, wollte einen Freispruch. Dieser trug den Sieg
davon und man liess die jungen Leute frei, nachdem man sie eine Erklärung
hat unterzeichnen lassen, in der sie aussagten, dass sie nicht die Absicht
hatten, sich über die kaiserliche Armee lustig zu machen. Ich meinerseits
habe am meisten bei diesem Prozess gewonnen, weil ich die Strafe hätte
bezahlen müssen, zu der sie verurteilt worden wären.
Dieser bekannte Paradeschritt erscheint schön jenseits des Rheins, bei
uns ist das eine sonderbare Sache, die einen zum Lachen bringt. Unsere
Burschen hier in St. Quentin [32] nannten das «Gänsemarsch». Es gab ein
Lied über den Gänsemarsch. Einer unserer Schüler wurde auf dem Weg nach
Fayet durchsucht und dabei mit dem «Gänsemarsch»71 in der Tasche
erwischt. Glücklicherweise nahm die Patrouille das gut auf, man lachte
darüber und sagte: «Das kennen wir.»
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Ich wäre auch beinahe in eine Spionageaffäre
geraten. Der gute Pater Oswald, Franziskaner, schickte
unsere Briefe nach Italien und nahm welche von dort für
mich in Empfang. Eines guten Tages rief ihn der
Kom¬mandant zu sich und drohte ihm, ihn als Spion
ein¬zu¬sperren. Auch mir wäre das passiert. Da jedoch in
meinen Briefen nichts Politisches stand, legte sich die
Angelegenheit und Pater Oswald konnte aufatmen.
16
Vlg. NQT 36/24
(01.1915).
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[HEFT 3]
[33] IX. Der erste Winter
20
Im Dezember kam der gute Pater Joseph aus Quévy zu Fuss zu uns.
Er hatte auf dem Weg bei einem Freund, dem Herrn Dechanten von
Wassigny72, übernachtet. Er kam seinen alten Vater besuchen, der einige
Monate später gestorben ist. Er erzählte uns, dass bei der Belagerung
Maubeuges die Granaten das Haus in Quévy gestreift hatten. Pater Gilson
hatte sich nach Frankreich aufgemacht, die Patres Joseph und Charles
begaben sich nach Bavay73, aber sie kamen tags darauf wieder nach Hause
zurück.
Die Deutschen feierten Weihnachten in unseren Kirchen, die ihrem
Brauch gemäss mit Tannen geschmückt wurden.
Ich lese die Weihnachtsmette, nur für die Bewohner unseres Hauses,
in unserer Kapelle. Weihnachten, das Johannesfest, Neujahr, alle Feste sind
während des Krieges ohne Freude [34]. Man betet, man wartet, man findet
sich damit ab.
Die Kohle ist selten, unmöglich die Heizung zu unterhalten: Wir
heizen nur die Kapelle, den Speisesaal und einige Zimmer. Die jungen
Menschen schlafen in kalten Räumen.
Einige Zeitungen erreichten uns von Paris her, ich weiss nicht auf
welchem Wege. Man reichte sie herum; das gab ein wenig Trost. Es war ein
Genuss, wenn man einige Artikel von Albert de Mun oder von Maurice
Barrès las.
21
Some newspapers from Paris reached us, I do not know by what route.
We passed them around, there was some small comfort in that. When we
read some article by Albert de Mun or Maurice Barrès74, that was a treat.
In unseres Strassen verkaufte man die Gazette des Ardennes75, viele
Menschen kauften sie, weil es nichts besseres gab: natürlich wurden die
Redakteure bezahlt, um einige tendenziöse Thesen zu unterstützen. Häufig
fielen sie [35] den Engländern in den Rücken. Das Volk las dies und blieb
misstrauisch. Die Jungen riefen die Zeitung aus, indem sie schrien: «Wer
will die Gazette des Ardennes, die Zeitung der Lügner, hundert
Unwahrheiten für einen Sou.»
17
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Im Haus Sacré-Cœur zogen wir es vor, die Kölner Zeitung zu kaufen
oder die Frankfurter. Die Zeitungen aus Köln waren auch gefälscht, sie
hatten eine Spezialausgabe für uns. Die Gazette populaire de Cologne, eine
katholische Zeitschrift, war keineswegs erbaulich. Sie legte einen
übertriebenen Chauvinismus an den Tag und behandelte ihre Feinde mit
einer wenig christlichen Verachtung.
22
Der Krieg bescherte mir freie Zeit: keine Zeitungen
mehr, keine Reisen, keine Korrespondenz. Ich hatte Zeit, all
das an asketischen Büchern, Heiligenbiografien und
Abhandlungen über Spiritualität zu lesen, was ich in meiner
Bibliothek angehäuft hatte [36], bis hin zu den
Offenbarungen der heiligen Brigitte76 auf Latein im
Quartformat.
Vlg. NQT
39/162
(02.1916)
Die Biografien der heiligen Seelen unserer Zeit, wie Gertrude Marie,
Élisabeth de la Sainte Trinité, Catherine Labouré77, usw., usw., interessierten
mich ganz besonders. Diese privilegierten Seelen haben die jetzigen grossen
Prüfungen vorausgesehen, jedoch sagen sie alle, dass nach der Stunde der
Gerechtigkeit jene des Erbarmens kommen werde, und dass die Älteste
Tochter der Kirche, nach hartem Sühnen, noch schöne Tage erleben werde.
[37] X. Der 15. April
23
Es war ein denkwürdiger Tag für St. Quentin.
Oft schon hatten die französischen Flugzeuge die
Stadt überflogen, und sie hatten Bomben auf den Bahnhof
geworfen78, aber am 15. April 1915 konnten sie ihren
grossen Coup landen. Es gab am Bahnhof beträchtliche
Munitionslager, die Bomben fielen dort mitten hinein und es
gab eine fürchterliche Explosion; die Erde bebte bis in die
Stadtmitte hinein. In der Nähe des Bahnhofs stürzten viele
Häuser ein, andere bekamen Risse. Die ganze Atmosphäre
wurde erschüttert wie bei einem Tornado oder einem
Monsunregen. Tausende Glasfenster gingen in Stücke. Viel
Häuser verloren ihre Fenster, vom Bahnhof her bis zum
grossen Platz.
18
Vlg. NQT
37/64
(15.04.1915)
2015
Wir spürten die Erschütterung bis nach Sacré-Cœur, aber nur zwei
[38] Fensterscheiben wurden zerbrochen.
An der Basilika79 war der Schaden enorm. Grosse
24
Fenster
waren
mit
ihren
Steinhalterungen
heruntergefallen. Jedoch blieben die alten Kunstfenster
intakt, ihre Position im Osten hatte sie nicht der
Druckwelle ausge¬setzt, die vom Süden her kam.
Vlg. NQT 40/63
(01.07.1916)
Die Basilika konnte nicht mehr benutzt werden, sie wurde
geschlossen. Der Gemeinderat stimmte sofort die nötigen Gelder für eine
eilige Notausbesserung. Man brachte Bretter an den Fenstern an und einige
Wochen danach konnte hier der Gottesdienst wieder aufgenommen werden.
In der Zwischenzeit hielt man den Gemeindegottesdienst in der La
Croix Kapelle, und die Kapellen der Charité80 und der Augustinerinnen
waren für die Öffentlichkeit zugänglich.
Auch die Kirche St. Éloi81 war ohne Fenster, man behalf sich dort mit
Matratzentuch.
[39] Beim Bahnhof wurde der ganze Bestand an Munition durch Brand
vernichtet. Explosionen folgten eine nach der anderen, je nachdem das Feuer
die Depots erreichte. Eine enorme, rote Rauchsäule erhob sich zum Himmel
und neigte sich unter dem Einfluss des Windes. Das erinnerte an den Vesuv
in den Momenten seines Zorns.
25
Das Übel hätte noch grösser sein können: es gab dort
Dynamitbestände, die aber nicht getroffen wurden.
Zum Zeitpunkt der Explosion brachte ein Militärkonvoi die Leiche
eines Offiziers zum Bahnhof. Viele Offiziere folgten, sie beeilten sich, in die
Keller zu gelangen, der Leichenwagen blieb allein auf der Strasse zurück.
Die Offiziere wussten, dass es dort Bestände an Dynamit gab, und wenn
diese Depots getroffen würden, [40] dann wäre die ganze Stadt
niedergerissen worden.
19
2015
Die deutsche Presse vermeldete, dass französische Bomben auf die
Kathedrale geworfen worden waren. Nichts ist weniger wahr als das. Unsere
Flugzeuge haben die Munitionslager beim Bahnhof anvisiert und auch
getroffen. Die Kirche ist nur durch den Rückschlag und die Druckwelle
getroffen worden. Einige Tage später haben neu angekommene Offiziere die
Kathedrale besichtigt und fragten die Angestellten, wo die französischen
Granaten eingeschlagen hätten. Man erklärte ihnen, wie die Kirche gelitten
hatte, ohne Bomben abbekommen zu haben: «Dann», sagten sie, «haben
unsere deutschen Zeitungen nicht die Wahrheit gesagt» … Das passierte
mehr als einmal.
[41] XI. Das Institut St. Jean
Was wurde in dieser Zeit aus unserem geschätzten Haus St. Jean? Der
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obere Teil, in der Rue des Arbalétriers82, hat seine Bestimmung bewahrt, es
gab dort bis zum Vorabend der Evakuation Schüler. Der untere Teil, zur Rue
Antoine Lécuyer hin, wurde zu einem Lazarett für die armen Soldaten, die
durch den Kanonenbeschuss Hirnschäden erlitten hatten, mit anderen
Worten: es war ein Irrenhaus. Die Deutschen hatten es nach ihrem Ermessen
eingerichtet. Sie haben im Hof eine Baracke für Küche und Kantine errichtet
und im ersten Stock die Wände der Klassenzimmer entfernt, um dort einen
Schlafsaal einzurichten.
20
2015
Die Kapelle ist lange Zeit dem Gottesdienst vorbehalten geblieben,
jedoch hielten hier die Protestanten abwechselnd [42] mit den Katholiken
ihre Gottesdienste ab. Zum Schluss ist die arme Kapelle ein Schlafsaal
geworden. Das Haus Michel diente den kranken Offizieren.
Herr Rouchaussé83 hat die Räume seines Hauses die ihm noch
geblieben waren gut genutzt. Überall wurde Unterricht gehalten: im Salon,
in der Bibliothek, in den Zimmern der Professoren. Es gab bis zu hundert
Studenten. Zwei Priester-Professoren: die Herren Gratiot und Virlaye,
mehrere Laien, die Herren Vilfort, Harmant, Tétier, Vinchon. Der
Deutschlehrer, Herr Kielwasser, leistete gute Dienste, indem er als
Dolmetscher tätig war, um die Fragen der Nachbarschaft mit dem Lazarett
zu regeln.
Das Hauspersonal war dasselbe geblieben: Schwester Saint Marcel
mit ihren Gehilfen, die Pförtnerin und der treue Gaston.
27
Der Grundton des Hauses war fromm. [43] Herr Rouchaussé hatte ein
Dutzend Schüler von St. Charles vereint. Er hatte mehrere kleine
«apostolische Schüler» hinzugenommen.
Alles ging seinen gewohnten Weg: die Klassen, ja sogar die
Vorbereitungen auf die Prüfungen, denn wir hatten während der Besatzung
Berufsschulabschluss- und Abiturexamen in St. Quentin. Die Professoren
von Lille84 hatten einen Passierschein bekommen, um die Prüfungen
vorzunehmen.
Der deutsche Kaplan gab sich als Schulinspektor aus und kam
schauen, was da passierte.
Der Katechismus-Unterreicht wurde gepflegt.
Herr Rouchaussé predigte seinen Schülern Exerzitien zum
Schulbeginn und zweimal als Vorbereitung zur Erstkommunion in der
Kapelle des Sacré-Cœur.
[44] Es gab angstvolle Stunden. Mehrmals ging es drum, einen ganzen
Teil des Gebäudes, den man uns bisher gelassen hatte, ans Lazarett
anzuschliessen.
Mehrere Professoren, die nervöser waren als die anderen, gerieten oft
aus der Fassung. Sie suchten die Keller auf, sobald sie die Flieger anrauschen
oder die Bomben einschlagen hörten.
21
2015
Herr Rouchaussé hatte einen Gebetsraum in meinem alten Büro im
ersten Stock eingerichtet. Dort betete ich mit grosser Rührung.
[45] XII. Das Leben in St. Quentin
Es war hart. Jeden Tag ermüdete uns der Wechsel zwischen Ängsten
28
und Hoffnungen. Die Gazette des Ardennes und die deutsche Presse
bemühten sich darum, uns zu deprimieren. Manchmal erhielten wir – ich
weiss nicht woher – einen französischen Zeitungsfetzen, oder die Flugzeuge
warfen uns die aufmunternden Worte von Lavisse85 in Rundbriefen runter,
die für die besetzten Gebiete bestimmt waren.
Es bedurfte der Hingabe an Gott, des Gebets und der spirituellen
Lektüre, um die Seelenruhe zu bewahren.
Oft kamen viele falsche Nachrichten, viele «Enten», die uns auf die
Nerven gingen.
Vlg. NQT
37/1
(03.1915);
vlg. 38/97.
Die Lebensmittelversorgung war eingeschränkt: 250
oder 300 Gramm Brot, und welches Brot! Meistens war es
schwarz, schlecht gebacken und unverdaulich. [46] Es war ein
Gemisch aus Kleie, Maismehl, Leinölkuchen… Was die
Quantität anbelangt, so gab es Ausgleiche: der Bäcker gab uns
oft zusätzlich ein Brot, das er übrig hatte86.
Fleisch war selten. Ab und zu gaben die Deutschen den Metzgern
einige Tiere zum Schlachten. Diejenigen, die sich eingeschrieben hatten,
erhielten eine sehr beschränkte Menge.
Die Deutschen konfiszierten Früchte, Kartoffeln, Eier; die Märkte
hatten nur mehr wenig grünes Gemüse und Grasbündel für die Kaninchen.
I had planted potatoes in our lawns and in my plot of land on Rue de
Mulhouse87.
Ich hatte Kartoffeln auf unseren Rasenflächen und auf meinem
29
Grundstück in der Rue de Mulhouse gepflanzt. Die amerikanische
Nahrungsmittelversorgung [47] hat uns viel geholfen. Sie verkaufte zu
einem vernünftigen Preis Reis, Fett, Speck und ab und zu Fisch. Die alten
Leute bekamen Milchdosen, aber alles war rationiert entsprechend der
Einwohnerzahl eines jeden Hauses.
22
2015
Wir hatten Kriegsgeld, kleine Scheine von allen Wertsorten, ab 5
Centimes bis zu tausend Franken. Man wird damit Sammlungen machen wie
mit unseren alten Anweisungen auf Nationalgüter [Papiergeld aus der Zeit
der Revolution]. Die Mark hatte einen Zwangskurs.
Man fand nicht mehr viel zu kaufen. Die deutschen Kapläne gaben uns
Wein für die Messe und verkauften uns Wachs für acht Franken das Kilo.
Das Kanonenfeuer hörten wir Tag und Nacht. Die Somme war nicht
weit und während zwei Jahren bekämpfte man sich dort jeden Tag.
[48] Unsere Vorräte an Kohle waren sehr begrenzt.
Einige Händler betrieben Spekulation auf Kosten ihrer Mitbürger. Sie
kauften den Zucker für 100 Franken den Sack und verkauften diesen für 500
Franken.
Mit der Moral war es nicht weit her in der Stadt. Viele Frauen, sogar
aus wohlhabenden Familien, waren zu entgegenkommend im Umgang mit
den Okkupanten. Man wird nach dem Krieg viele dieser Erbärmlichkeiten in
Erinnerung rufen.
23
2015
[HEFT 4]
[49] XIII. Die Pfarreien – der pastorale Dienst
30
In St. Quentin gab es einen grossen Aufschwung des Glaubens und
des Gebets während der ersten zwei Kriegsjahre. Darauf folgte anscheinend
ein wenig Entmutigung und Überdruss.
Der Herr Erzpriester88 legte einen wahrlich beharrlichen Eifer an den
Tag. Jeden Abend beim Gebet richtete er das Wort an die Pfarrkinder, und
man kam in ziemlich grosser Zahl. Aber während Monaten war die arme
Basilika nicht nutzbar.
Herr Crinon fand in der Pfarrei St. Jean Anregungen, um die
Frömmigkeit aufrechtzuerhalten. Dort gab es die Verehrung und den Altar
Unserer Lieben Frau der Armeen. Jeden Monat feierte er eine Messe für die
verstorbenen Soldaten. Der Herr Pfarrer von Curchy predigte mit viel
Hingabe.
[50] Herr Rouchaussé setzte sich voll in der Basilika ein: er hielt dort
die Fastenpredigten.
Wir halfen überall aus, soweit wir es vermochten. Pater Urbain ging
jeden Tag zur Pfarrei St. Jean, dort las er die Spätmessen. Pater Devrainne
ging während der Woche nach St. Éloi und sonntags nach Homblières89.
Pater Burg war Kaplan der Charité, Pater Black Kaplan der Kapelle La
Croix.
Vlg. NQT 38/132
(09.1915) und NQT
39/68 (5-8.12.1915)
Ich konnte einmal den Kleinen Schwestern90
der Armen Exerzitien predigen, und zweimal bei
unseren Schwestern91, trotz meiner Bronchitis. Ich
habe es nicht gewagt, dies auch in der La Croix
Kapelle zu tun, wo man mich darum gebeten hatte.
Unsere bescheidene Kapelle vom Sacré-Cœur ist notwendigerweise
halb öffentlich geworden. Da die Basilika ziemlich lange geschlossen blieb
und sie [51] in der Folge allen Wetterlagen ausgesetzt war, suchte ein jeder
eine Kapelle in seinem Umkreis. Die unsere war am Sonntag gut gefüllt.
Während der Woche kamen einige Gewohnheitsteilnehmer, wie Herr Vilfort
und Herr Harmant vom St. Jean und die Schwester St. Marcel.
24
2015
31
Jeden Monat ging ich ins Kloster, um dort eine Unterweisung zu
geben. Ich sah die geschätzte Mutter Oberin [«la Chère Mère»], die sich
langsam auf den Tod vorbereitete. Ihr Gedächtnis liess nach, aber moralisch
blieb sie das, was sie immer gewesen ist: eine Frau grossen Glaubens und
mit festem Charakter. Sie betete, sie munterte auf, sie entäusserte sich, indem
sie jedem Besucher was schenkte. Sie starb dann in Soignies92, als sie in
Belgien ankam, am Vorabend ihres 80. Geburtstags.
[52] Oft ging ich Frau Malézieux besuchen, und ich brachte ihr einoder zweimal im Monat die heilige Kommunion. Sie entbehrte es sehr, nicht
zur Messe gehen zu können, weil es keinen Wagen mehr in St. Quentin gab.
Man rief mich zu Kranken, aus meinem alten Bekanntenkreis.
Mehrere von ihnen habe ich auf den Tod vorbereitet: meinen ehemaligen
Schüler Paul Poette, den Bruder der Priester; Herrn Evrard, ehemaliger
Schreiner, ein bedeutender Arbeitgeber, der sehr verarmt war, immer treu
und fromm; Herrn Cogne, ein Industrieller, ehemaliger Seminarist, der
Erfolg gehabt und seinen Glauben bewahrt hatte.
[53] XIV. Beziehungen
32
In Zeiten der Prüfung wendet man sich wieder seinen
Freunden zu und seinen alten Bekannten. Ich habe ziemlich
viele Besuche in St. Quentin empfangen: Herrn Desjardins,
ehemaliger Abgeordneter und seinen Sohn93, Herrn Hugues
Frédéric, Herrn Jourdain, Herrn Fleury, Herrn Soret,
Gemeindeeinnehmer, die Maréchal, Marchandier, usw94.
Viele der guten Familien waren rechtzeitig weggegangen.
Vlg. NQT
35/121
(11.1914)
In schwierigen Zeiten braucht man gegenseitige Ermunterung, die
Möglichkeit, seinen Kummer ausschütten und seine Hoffnungen mitteilen zu
können.
Der deutsche Bahnhofsvorsteher, ein katholischer Notar aus
Lothringen, kam mich begrüssen. Sein Bruder, Priester in Amerika, hatte
Bischof Grison95 gekannt, und auch unsere Patres in Ecuador. Er war mit
unserem Bischof von dort unten nach St. Quentin gekommen.
25
2015
Vlg. NQT
38/97
(28.08.1915)
[54] Mehrere unserer Patres und Brüder aus
Deutschland kamen mich besuchen: die Priester waren
Kapläne, die Brüder Soldaten. Alle waren mir gegenüber so,
wie sie es sein sollten. Mehrere kamen aus Belgien und
brachten mir Aufträge von Pater Falleur96 mit.
Mehrere Male habe ich Pater Loh97 gesehen, der Sanitäter am Bahnhof
von Cherbourg98 war, Pater Storms99, Missionar, und Pater Demont100, der
Pastoraldienst sogar bei den Franzosen an der Front in Chauny101 leistete. Er
versuchte, mir eine Erlaubnis zu besorgen, um nach Brüssel zu fahren. Eines
Abends suchte er den Kommandanten auf, der wie gewohnt ein üppiges
Abendessen mit seinen Offizieren einnahm. Der Pater kam zu mir zurück
und sagte: «Es ist nichts zu machen, sie sind betrunken.»
[55] Mehrmals wurde ich zur Kommandantur gerufen, um Briefe von
meinen jungen Patres aus Elsass-Lothringen102 entgegenzunehmen, die
Weiheentlassschreiben beantragten. Ich konnte mehrere von ihnen in Trier103
und sogar in Breslau104 weihen lassen.
Einmal, im August 1915, gab man mir eine Depesche,
33
es war eine schlechte Nachricht: der Tod des lieben Paters
Jean Guillaume105, ein frommes Opfer des Herzens Jesu, der
seine schrecklichen Leiden für all unsere grossen
Angelegenheiten aufgeopfert hat. Er ruht auf dem traurigen
Friedhof von Hérent106.
Vlg. NQT 38/27
(21.06.1915)
Vlg. NQT
38/75
(01.08.1915)
Die Patres von Charleroy107 brachten mir
Nachrichten aus Holland und Belgien.
Der Kaplan aus La Capelle108 brachte mir Briefe von meinem
Bruder109. [56] Er war sehr freundlich und gut erzogen; er war bei meiner
Familie untergebracht und skandalisierte sie mit seinen modernistischen
Ideen.
Im Verlaufe der ersten Kriegsmonate erhielt ich aus Bologna
Nachrichten aus der ganzen Welt durch die Vermittlung des Kaplans Pater
Oswald, aber das ging schief und man musste drauf verzichten, um nicht der
Spionage verdächtig zu werden.
26
2015
[57] XV. Fürstliche Besuche. Beschlagnahmungen
Dreimal besuchte der Kaiser St. Quentin110. Er wohnte in einem
34
eleganten Bürgerhaus, gelegen in den Champs Élysées, Boulevard
Gambetta111, das der Familie Basquin-Bartaut gehörte. Der Kaiser
beglückwünschte Frau Basquin zu ihrem guten Geschmack bezüglich ihres
Mobiliars und erteilte ihr eine Dispens von militärischer Einquartierung für
die Zeit der Besetzung.
Als seine Dienstoffiziere das Haus vorbereiteten, fragte man sie, ob
man ein Bild der Heiligen Jungfrau abnehmen sollte, das den Kaiser in
seinem lutherischen Glauben stören könnte. Sie antworteten, dass der Kaiser
dieser Sache keine Aufmerksamkeit schenken würde, dass er Deist sei und
dass es sich damit habe. Hat er nicht sogar eine Tendenz, den Gott der
Christen mit dem alten deutschen Gott, Odin oder Wotan, zu verwechseln?
[58] Es gab eine Heeresschau auf dem Platz112, Militärmusik, Besuch
der grossen Lazarette, im Justizpalast und im Gymnasium.
Im Jahr 1916 wollte der Kaiser das Monument einweihen, das auf dem
35
neuen Friedhof errichtet worden war, wo man die Toten der Lazarette
begrub, Deutsche und Franzosen113. Er lud den Bürgermeister ein, die
protestantischen Pastoren und den Erzpriester. Dieser hielt eine kurze, sehr
gewandte Ansprache, höflich und ohne Schöntuerei, mit Lob auf die
Soldaten, die für ihre Heimat ihr Leben hingaben.
Der Kaiser sprach ungezwungen mit ihm. Er sagte ihm, dass der Papst
sein Freund war, dass er Frankreich sehr liebe und er kommen werde, um zu
helfen, Calais zurückzuerobern, wo die Engländer sich festsetzen wollten. Er
fand, dass unsere Kartoffelbebauungen es nicht mit jenen der sandigen
Felder Preussens aufnehmen konnten.
[59] Ein Sohn des Kaisers, Prinz August114, hielt sich lange Zeit in St.
Quentin auf. Er hatte nichts Militärisches an sich; er war verletzt worden,
jedoch durch einen Autounfall. Er amüsierte sich auf eine derart
27
2015
unerbauliche Art und Weise, dass sein Vater ihn zur Strafe nach Vervins115
schickte. Viele von den Offizieren waren im Übrigen Genussmenschen und
hinterhältig dazu. Der Kaiser sagte ihnen eines Tages: «Ihr seid nicht mehr
wie die Offiziere zur Zeit Bismarcks!».
Ein junger sächsischer Prinz, der zweite Sohn des Königs116, hielt sich
auch unter uns auf. Dieser war klug und fromm. Er nahm jeden Tag an der
Messe in der La Croix Kapelle teil, wo ihm Pater Black die heilige
Kommunion reichte. Er machte einen Besuch bei Madame Malézieux, im
Gedenken eines Aufenthalts, [60] den ein sächsischer Prinz bei ihr im Jahre
1870 gemacht hatte.
Fürst Salm, einer der führenden Köpfe der katholischen Partei, stand
an der Spitze unserer Lazarette.
36
Und die Beschlagnahmungen! Zuerst der ganze Wein. Man sagte uns,
dass dieser für die Lazarette bestimmt sei, aber die Verwundeten haben
nichts davon gesehen. Er diente lange Zeit für die Gelage der Offiziere, und
man belud damit Wagons in Richtung Deutschland.
Man machte keinen Unterschied zwischen teuren erlesenen Weinen
und ganz gewöhnlichen. Im Sacré-Cœur haben sie davon nichts gefunden,
Pater Urbain hatte hier alles in Ordnung gebracht. Zwecklos blieb eine
zweimalige Durchsuchung im Garten, wo sie sämtliche Beete mit ihren
Baionnetten durchstiessen…
[61] XVI. Letzte Plagereien – Unfall – Aufbruch
Die letzte Zeit war ziemlich hart. Man konnte die Stadt nicht mehr
37
verlassen. Für mehr als sechs Monate konnte ich nicht mehr nach Fayet
gehen. Pater Devrainne konnte auch nicht nach Homblières gehen.
Wir haben mehrere Hausdurchsuchungen auf der Suche nach Kupfer
erlitten. Die Besucher haben das genommen, was sie vorfanden: die Glocke
der Kommunität, die Kerzenständer, die Fusswärmer, einige Kochtöpfe; sie
haben mir einen Bon für die Beschlagnahmung gegeben.
28
2015
Vlg. NQT
40/84
(10.1916)
Es gab auch eine Spezialeinheit für «Suchaktionen».
Ein Jude unter ihnen begann sich an das Weihrauchfass zu
machen und wollte die Kapelle ausräumen, aber der
Korporal erinnerte ihn daran, dass die Beschlagnahmung
sich nicht auf die Kultgegenstände beziehe…
[62] Die Stadt war in Aufruhr, man sprach von der bevorstehenden
Evakuierung, obwohl die Kommandantur das verneinte. Schlussendlich
wurde am 2. März die Evakuierung117 öffentlich angeschlagen. Die ganze
Stadt sollte in 15 Tagen abreisen. Traurig begann jeder seine Koffer zu
packen. Man musste alles zurück lassen, Bibliotheken, wertvolle
Gegenstände, Erinnerungsstücke der Familie!
Man weinte nicht, aber man litt. Die deutschen Kapläne wollten sich
wohl um unsere Kisten mit den Kultgegenständen kümmern: werden wir
diese jemals wiedersehen?
Wir erhielten je nach den Stadtvierteln Anweisungen zum Aufbruch.
Zwei Züge pro Tag gingen in Richtung Belgien, ohne zu wissen wohin:
langes Warten am Bahnhof, Viehwagen oder Güterwagen.
[63] Jeder trug seine Koffer zum Bahnhof, so wie er es vermochte. Ein
deutscher Soldat führte unsere Leute mit dem Wagen: er erhielt Trinkgeld.
38
Am 11. März brach ein Feuer bei Herrn Arrachart aus. Ich ging ihn
trösten. Alle Prüfungen kamen miteinander.
Am 13., Aufbruch. Um fünf Uhr morgens zum Bahnhof, um um 9 Uhr
abzureisen. Ich hatte die Messe um halb 5 Uhr gelesen. Man hat uns in einen
Güterwagen gesteckt. Wir setzten uns auf das Gepäck. Die amerikanische118
Versorgung hatte uns Zwieback und Schokolade für die Reise gegeben. Ich
liess meine zwei Häuser möbliert zurück, die Kapelle im Sacré-Cœur war
voll ausgestattet.
Vlg. NQT
40/115
(12.03.1917)
Die Reise war beschwerlich: langes Halten.
Unsicherheit über [64] das Ziel der Reise. Man sprach von
Givet119. Am Abend stiegen wir in Enghien120 aus. Todmüde,
mit unseren Gepäckstücken auf dem Arm, konnten wir nur
einer nach dem anderen den Bahnhof verlassen. Die
Stadtverwaltung von Enghien wollte uns zählen:
Absurditäten der Verwaltung. Wir stürzten vor Müdigkeit
um. Die Jesuiten nahmen uns brüderlich auf.
29
2015
Ich war erschöpft vor Müdigkeit und von den Eindrücken. Ich werde
mich davon nie wieder völlig erholen.
Fiat voluntas Dei!
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